<strong>Jahresbericht</strong> des Externen Psychiatrischen Dienstes SirnachHäusliche Gewalt und «Wegweisung,Rückkehr- und Kontaktverbot»Daniel Moll, dipl. Sozialarbeiter FH16Als häusliche Gewalt werden Tätlichkeitenpsychischer, physischer, sexuelleroder ökonomischer Natur bezeichnet,welche innerhalb der Ehe oder Partnerschaftbegangen werden. Zu 90 bis 95 %sind Frauen Opfer von häuslicherGewalt, oft sind auch Kinder involviert.Nachfolgend Beispiele für häusliche Gewalt, welche direktgegen das Strafgesetzbuch verstossen:– Schlagen– Einsperren– Beschimpfen, bedrohen, mit Waffen drohen, Waffen einsetzen– Sexuell belästigen, vergewaltigenUnter häusliche Gewalt fallen aber bereits böswillige Handlungenwie:– Vernachlässigen– Geld vorenthalten– Schikanieren– Unverhältnismässiges Kontrollieren– Einen Menschen isolieren, ihm Kontakte vorenthaltenAufgrund der bisher einzigen repräsentativen Studie in derSchweiz zum Problem «Gewalt in Ehe und Partnerschaft» imJahr 1997 ist bekannt, dass 20,7 Prozent der Frauen in derSchweiz, also jede Fünfte, in ihrem bisherigen Leben körperlicheund/oder sexuelle Gewalt erlebt haben. Wenn auch psychischeGewalt dazugerechnet wird, haben 40 % der FrauenErfahrung mit Gewalt gemacht. Ein erschreckendes Ergebnisergab eine repräsentative Patientinnenbefragung zum Themahäusliche Gewalt an der Maternité des Züricher StadtspitalsTriemli im Jahr 2004: Jede zehnte Befragte erlitt innert derletzten zwölf Monate körperliche Gewalt, mehrheitlich durchaktuelle oder frühere Partner.Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich 10 000 Frauendie Polizei zum Schutz vor häuslicher Gewalt rufen. DieFolgen der häuslichen Gewalt verursachen für die SchweizerVolkswirtschaft jährliche Kosten von über 400 MillionenFranken.Häusliche Gewalt ist heute kein Tabu mehr. Aufgrund derveränderten Haltung der Gesellschaft sowie der gesellschaftspolitischenRelevanz der häuslichen Gewalt gab es im Rechtssystemder Schweiz sukzessive Anpassungen. Seit dem 1. April2004 sind einfache Körperverletzung, wiederholte Tätlichkeit,Drohung sowie sexuelle Nötigung und Vergewaltigungin Ehe und Partnerschaft neu Offizialdelikte und werden vonAmtes wegen ausnahmslos verfolgt. Solche Tätlichkeitenwurden bisher bei Ehe- und Lebenspartnern nur auf Antragverfolgt.Am 1. Juli 2007 ist neu der Art. 28b des SchweizerischenZivilgesetzbuches in Kraft getreten. Dieser regelt den Schutzvon Opfern von Gewalt, Drohungen und Nachstellungenund verpflichtet die Kantone, das Verfahren für die Wegweisungzu regeln und eine Stelle zu bezeichnen, welche im Krisenfalldie Wegweisung unverzüglich durchführt.Die Umsetzung und Einführung dieses neuen Gesetzesartikelserfolgte im Kanton Thurgau per Anfang <strong>2008</strong>. Nachfolgendmöchte ich kurz darstellen, wie der Kanton Thurgaudiese Instrumente ausgestaltet hat.Wenn eine Meldung von einem Opfer oder aus demUmfeld bei der Polizei eintrifft, wird diese aktiv. Um weitereGewalt im persönlichen Umfeld von Familie, Ehe und Partnerschaftzu verhindern, kann die Polizei eine gewalttätigePerson aus der Wohnung bzw. dem Haus wegweisen und dieRückkehr für 14 Tage verbieten. Eine Wegweisung kannauch gegen den Willen des Opfers erfolgen. Eine entsprechendeVerfügung wird der gewaltausübenden wie auch dergewaltbetroffenen Person ausgehändigt. Mit dem Einverständnisder gewaltbetroffenen Personen leitet die Polizei diePersonalien an die Fachstelle Opferhilfe weiter, welche weitergehendeUnterstützung im Sinne des Opferhilfegesetzesanbietet.Die weggewiesene Person darf die Wohnung bzw. dasHaus sowie die unmittelbare Umgebung der betroffenen Personennicht mehr betreten, auch wenn die betroffenen Personendamit einverstanden sind. Bei einer Missachtung wirddie Polizei erneut aktiv, die weggewiesene Person wird mitBusse bestraft (Ungehorsam gegen eine amtliche Verfügung).Die Durchsetzung und Aufrechterhaltung der Wegweisungkann von der Polizei auch mittels 24-stündigen Gewahrsamsdurchgesetzt werden. Wenn trotzdem weiterhin Gewalt zubefürchten ist, kann durch den Untersuchungsrichter auchHaft verhängt werden.Bei anhaltender Gefahr von weiterer Gewaltausübungkann die Massnahme der Wegweisung, Rückkehr und desKontaktverbots über die 14 Tage hinaus durch das Bezirksgerichtmittels zivilrechtlicher Massnahmen verlängert und/oder aufrechterhalten werden.Gewaltbetroffene Personen erhalten Informationen übereine Broschüre der Kantonspolizei Thurgau. Es existiert aucheine Notfallkarte mit Adressen/Telefonnummern von Anlaufstellenwie Notruf, Opferhilfe, Helfende Hand, Frauenhäu-
sern etc. Diese wird auch durch den EPD Sirnach bei Gefährdungssituationenabgegeben. Die Notfallkarte existiert inverschiedenen Sprachen, so auch in Englisch, Bosnisch, Kroatisch,Albanisch, Türkisch, Spanisch, Italienisch.Im Kanton Thurgau gibt es erste Zahlen und Fakten ausdem Jahr <strong>2008</strong>, also seit der Einführung der neuen Massnahmen.Bis Ende Juni <strong>2008</strong> registrierte die Kantonspolizei insgesamt400 Interventionenbei häuslicher Gewalt,wobei 80 Prozent derAggressoren Männer waren.Insgesamt wurden 34 Wegweisungenausgesprochen,darunter bei 5 Frauen. DieKantonspolizei ThurgauEine Studie zeigt, dass in der Schweizjede fünfte Frau in ihrem bisherigenLeben körperliche und/oder sexuelleGewalt erlebt hat.und die Fachstelle «Häusliche Gewalt» halten dabei fest, dasssich das Instrument «Wegweisung und Kontaktverbot»bewährt.Die Neuerungen im Strafgesetzbuch (Gewalt in Ehe oderPartnerschaft ist Offizialdelikt) sowie die neuen Instrumentebei häuslicher Gewalt (Wegweisung, Rückkehrverbot undKontaktverbot) waren nach meiner Einschätzung überfälligund sind bei Vorfällen von häuslicher Gewalt, von denenauch der EPD Sirnach betroffen ist, notwendig und unentbehrlich.■17