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Endokarditisprophylaxe - Prof. Wendt

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SONDERDRUCK<br />

Endokarditis-<br />

Prophylaxe<br />

Was ist neu?<br />

Dr. med. Christa Gohlke-Bärwolf<br />

Herz-Zentrum Bad Krozingen<br />

PD Dr. med. Christoph K. Naber<br />

Universitätsklinikum Essen<br />

<strong>Prof</strong>. Dr. med. Hans-Heiner Kramer<br />

Universitätsklinikum S-H, Campus Kiel,<br />

Klinik für Kinderkardiologie<br />

Herausgegeben von der<br />

Deutschen Herzstiftung<br />

Stand: März 2008


Endokarditis, die Entzündung der Innenwand des<br />

Herzens, ist eine gefährliche und schwer zu behandelnde<br />

Krankheit. Deshalb galt es seit 50 Jahren als<br />

selbstverständlich, alle Patienten, die ein höheres<br />

Risiko für diese Krankheit haben, mit einer Endokarditis-Prophylaxe,<br />

zu schützen.<br />

Jetzt hat sich ein radikaler Wandel vollzogen. Nicht<br />

mehr alle, sondern nur noch Hochrisikopatienten<br />

sollen durch die Endokarditis-Prophylaxe geschützt<br />

werden.<br />

Das ergibt sich aus dem neuen Positionspapier<br />

Prophylaxe der infektiösen Endokarditis, das die<br />

Deutsche Gesellschaft für Kardiologie gemeinsam<br />

mit der Paul-Ehrlich-Gesellschaft und in<br />

Kooperation mit 16 weiteren medizinischen Fachgesellschaften<br />

aus Deutschland, Österreich und<br />

der Schweiz sowie der Deutschen Herzstiftung<br />

erarbeitet und verabschiedet hat. Grundlage waren<br />

neue Leitlinien der American Heart Association,<br />

der Amerikanischen Herzgesellschaft, die im April<br />

2007 erschienen sind und wesentliche Änderungen<br />

an den bisherigen Empfehlungen vornahmen.<br />

Was ist Endokarditis-Prophylaxe?<br />

Die Endokarditis ist eine entzündliche Erkrankung<br />

der Innenwand des Herzens (Endokard),<br />

die sich vorwiegend an den Herzklappen abspielt<br />

und durch die Besiedlung mit Bakterien oder<br />

Pilzen zustandekommt. Diese Besiedlung kann<br />

dann eintreten, wenn Bakterien ins Blut gelangen<br />

und sich z. B. an künstlichen Herzklappen oder<br />

Bioprothesen festsetzen. Durch die vorbeugende<br />

Gabe von Antibiotika (Endokarditis-Prophylaxe)<br />

soll die Ansiedlung von Bakterien verhindert<br />

werden, wenn mit einer großen Wahrscheinlichkeit<br />

damit zu rechnen ist, dass Bakterien ins<br />

2<br />

Endokarditis-Prophylaxe:<br />

Was ist neu?<br />

Dr. med. Christa Gohlke-Bärwolf, Herz-Zentrum Bad Krozingen,<br />

PD Dr. med. Christoph K. Naber, Universitätsklinikum Essen,<br />

<strong>Prof</strong>. Dr. med. Hans-Heiner Kramer, Universitätsklinikum S-H, Campus Kiel,<br />

Klinik für Kinderkardiologie<br />

Blut eingeschwemmt werden (Bakteriämie).<br />

Bisher wurde einer sehr großen Zahl von Patienten<br />

vor allem bei zahnärztlichen, aber auch bei<br />

einer Vielzahl anderer Eingriffe empfohlen,<br />

30 bis 60 Minuten zuvor Antibiotika einzunehmen.<br />

Das neue Positionspapier empfiehlt eine Prophylaxe<br />

nur noch bei Hochrisiko-Patienten, d.h. bei<br />

Patienten mit operierten Herzklappen, bei Patienten,<br />

die eine Endokarditis durchgemacht haben,<br />

bei Patienten mit bestimmten angeborenen Herzfehlern<br />

oder bei bestimmten Patienten nach einer<br />

Herztransplantation (s. S. 4).<br />

Wesentliche Änderungen: Warum?<br />

Für Patienten mit mittlerem oder niedrigem<br />

Risiko für Endokarditis, die jetzt bei zahnärztlichen<br />

und anderen Eingriffen Antibiotika nicht<br />

mehr einnehmen sollen, ist das schwer verständlich.<br />

Zum Beispiel wird ein Patient mit einer<br />

Aortenklappenstenose sich fragen: „Warum ist die<br />

Endokarditis-Prophylaxe, die bisher für mich als<br />

unabdingbar angesehen wurde, jetzt nicht mehr<br />

nötig?“ Auch für die Ärzte, die sich seit Jahrzehnten<br />

mit der Endokarditis-Prophylaxe beschäftigen,<br />

ist eine völlig neue Situation entstanden.<br />

Allen Experten, die in den USA und Europa die<br />

neue Leitlinie erarbeitet haben, ist die Schwierigkeit,<br />

den Wechsel begreiflich zu machen, bewusst.<br />

Aber die radikale Änderung der Leitlinie war ihrer<br />

Ansicht nach nicht mehr zu umgehen. Denn heute<br />

wird an die Medizin ein hoher Anspruch gestellt,<br />

wissenschaftlich fundiert oder wie es in der Fachsprache<br />

heißt evidenzbasiert zu sein. Hier liegt<br />

der kritische Punkt der alten Leitlinie. Es gab Tierversuche,<br />

Expertenmeinungen, aber wissenschaftliche<br />

Studien, die den heutigen Ansprüchen<br />

genügen, d. h. die prospektiv, randomisiert und<br />

placebo-kontrolliert sind, fehlen, so dass die Wirk-


samkeit der Endokarditis-Prophylaxe beim Menschen<br />

nie bewiesen wurde. So entstanden in den<br />

letzten Jahren berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit<br />

der vorbeugenden Antibiotika-Gabe,<br />

wenn sie einer großen Zahl von Patienten mit<br />

einem unterschiedlich hohen Risiko für eine Endokarditis<br />

gegeben wird – auch bei Eingriffen, bei<br />

denen wenig Bakterien ins Blut geschwemmt<br />

werden. Die amerikanischen Experten, die die<br />

Leitlinie der American Heart Association erarbeiteten<br />

sowie die Experten der deutschen Leitlinien-<br />

Kommission, haben Studien der letzten Jahrzehnte<br />

analysiert. Ihnen waren gleichgerichtete Bemühungen<br />

in Frankreich und England vorausgegangen.<br />

Das Ergebnis: Im Vergleich zu den Leitlinien<br />

der letzten 50 Jahre wird die Endokarditis-Prophylaxe<br />

auf einen wesentlich engeren Patientenkreis<br />

eingegrenzt.<br />

Das Ziel der bisherigen Leitlinien war, möglichst<br />

bei allen Patienten, auch bei solchen mit einem<br />

gering erhöhten Risiko, die Entstehung einer Endokarditis<br />

im Zusammenhang mit medizinischen<br />

Eingriffen zu verhindern. Die neue Leitlinie zielt<br />

jedoch darauf ab, die Endokarditis-Prophylaxe<br />

nur bei denjenigen Patienten durchzuführen, die<br />

das höchste Risiko für eine Endokarditis haben<br />

und bei denen das Komplikations-Risiko bei Auftreten<br />

einer Endokarditis am höchsten ist.<br />

Lebenszeitrisiko für eine Endokarditis<br />

Das Risiko, im Lauf des Lebens eine Endokarditis<br />

zu erleiden, variiert stark und ist abhängig von<br />

der zugrundeliegenden Herzerkrankung.<br />

So liegt das Risiko in der Normalbevölkerung bei<br />

5 bis 7 pro 100000 Patientenjahre. Bei Patienten mit<br />

Mitralklappenprolaps mit begleitender Undichtigkeit<br />

wird das Risiko mit 52 pro 100 000 Patientenjahre<br />

angenommen. Bei Patienten mit bestimmten<br />

angeborenen Herzfehlern beträgt es zwischen<br />

145 bis 271 pro 100 000 Patientenjahre. Dies wird<br />

als relativ niedriges Risiko angesehen. Hingegen<br />

haben Träger von Klappenprothesen mit 308 bis<br />

383 pro 100 000 Patientenjahre ein deutlich höheres<br />

Risiko. Patienten, die eine Endokarditis durchgemacht<br />

haben, haben mit 740 pro 100 000 Patientenjahre<br />

und Patienten mit Klappenersatz wegen<br />

einer Klappenprothesenendokarditis mit 2 160<br />

pro 100 000 Patientenjahre das höchste Risiko für<br />

eine Endokarditis.<br />

Wie hoch ist die Komplikationsrate?<br />

Wenn eine Endokarditis auftritt, ist die Gefährdung<br />

der Patienten sehr unterschiedlich, je nach<br />

der zugrundeliegenden Herzkrankheit:<br />

■ Patienten mit einer Endokarditis an Klappenprothesen<br />

haben, bei demselben Erreger, eine<br />

wesentlich höhere Sterblichkeit als Patienten<br />

mit einer Endokarditis an den körpereigenen<br />

Herzklappen. Zudem entwickeln sie vermehrt<br />

Komplikationen.<br />

■ Patienten, bei denen eine Endokarditis wiederholt<br />

auftritt, entwickeln ebenfalls häufiger<br />

Komplikationen und haben eine höhere Sterblichkeit<br />

als Patienten mit einer Erstinfektion.<br />

■ Bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern<br />

haben insbesondere diejenigen mit zyanotischen<br />

Herzfehlern (Blaufärbung der Haut), die<br />

operativ nicht oder nur mit einer Kurzschlussverbindung<br />

zwischen Lungenkreislauf und großem<br />

Kreislauf versorgt wurden, ein hohes<br />

Lebenszeitrisiko für eine Endokarditis mit einem<br />

schweren bzw. tödlichen Verlauf.<br />

Gleiches gilt für angeborene Herzfehler, bei deren<br />

operativer Behandlung Conduits (künstliche<br />

Röhrchen) mit und ohne Klappe oder sonstiges<br />

prothetisches Material verwendet wurden, in<br />

dessen Umgebung nach der Operation ein turbulenter<br />

Blutfluss besteht. Wenn keine Turbulenzen<br />

durch Restdefekte mehr vorhanden<br />

sind und das prothetische Material nach 6 Monaten<br />

vollständig durch neues körpereigenes<br />

Gewebe (Neoendokard/Neoendothel) überzogen<br />

wurde, ist nicht mehr von einem erhöhten<br />

Risiko auszugehen. Dies gilt auch für Patienten<br />

mit angeborenen Klappenfehlern und Klappen-<br />

und Gefäßstenosen (Einengungen) sowie<br />

Klappeninsuffizienzen (Schlussunfähigkeit).<br />

■ Patienten, die nach einer Herztransplantation<br />

eine Klappenerkrankung entwickeln, haben<br />

ebenfalls ein hohes Risiko für einen schweren<br />

bzw. tödlichen Verlauf einer Endokarditis.<br />

3


4<br />

Wer benötigt eine<br />

Endokarditis-Prophylaxe?<br />

Patienten, die das höchste Risiko für eine Endokarditis<br />

haben und bei denen das Komplikationsrisiko,<br />

wenn eine Endokarditis auftritt, am höchsten ist,<br />

profitieren mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer<br />

Endokarditis-Prophylaxe.<br />

Das sind:<br />

■ Patienten mit Klappenersatz (mechanische und<br />

biologische Prothesen),<br />

■ Patienten mit rekonstruierten Klappen unter<br />

Verwendung von Fremdmaterial für die Dauer<br />

von 6 Monaten nach der Operation,<br />

■ Patienten, die eine Endokarditis durchgemacht<br />

haben,<br />

■ Patienten mit angeborenen Herzfehlern wie:<br />

a. Herzfehler mit Blaufärbung der Haut, die<br />

nicht oder mit einer Kurzschlussverbindung<br />

zwischen Lungenkreislauf und großem<br />

Kreislauf operiert sind,<br />

b. operierte Herzfehler, bei denen Conduits<br />

(künstliche Röhrchen) mit oder ohne Klappe<br />

eingesetzt wurden oder mit Restdefekten,<br />

d. h. turbulenter Blutströmung im Bereich<br />

von prothetischem Material,<br />

c. alle operativ oder interventionell unter Verwendung<br />

von prothetischem Material<br />

behandelten Herzfehler in den ersten<br />

6 Monaten nach der Operation.<br />

■ Herztransplantierte Patienten, die eine<br />

Klappenerkrankung entwickeln.<br />

Patienten, die bisher eine<br />

Prophylaxe erhalten haben<br />

Nach der neuen Leitlinie besteht die Möglichkeit<br />

einer individuellen Abwägung einer Endokarditis-Prophylaxe<br />

bei Patienten, die hier nicht aufgelistet<br />

sind. Das betrifft besonders Patienten, die<br />

entsprechend den bisherigen Leitlinien Antibiotika<br />

zur Prophylaxe einer Endokarditis ohne Probleme<br />

oder unerwünschte Nebenwirkungen eingenommen<br />

haben und diese Praxis in Absprache mit<br />

ihrem behandelnden Arzt fortführen möchten.<br />

Wer benötigt keine<br />

Endokarditis-Prophylaxe?<br />

Alle Patienten, die keinen der oben genannten<br />

angeborenen oder erworbenen Herzfehler haben,<br />

brauchen keine Endokarditis-Prophylaxe. Es sind<br />

Patienten mit mäßigem Risiko für Endokarditis.<br />

Das heißt zum Beispiel, dass Patienten mit Mitralstenose,<br />

Mitralinsuffizienz, Aortenstenose, Aorteninsuffizienz<br />

empfohlen wird, keine Antibiotika<br />

vor einem zahnärztlichen oder anderen Eingriff<br />

zu nehmen.<br />

Wie wird die Prophylaxe durchgeführt?<br />

Eine Antibiotika-Prophylaxe sollte generell innerhalb<br />

von 30 bis 60 Minuten vor einem Eingriff verabreicht<br />

werden. Nur für den Fall, dass ein Patient<br />

keine Prophylaxe vor einem Eingriff erhalten hat,<br />

erscheint diese bis zu zwei Stunden nach dem<br />

Eingriff noch sinnvoll.<br />

Wie lässt sich das<br />

Endokarditis-Risiko verringern?<br />

Einer guten Zahnpflege und einer soliden Sanierung<br />

der Zähne kommt für die Prophylaxe der<br />

Endokarditis eine besondere Bedeutung zu. Denn<br />

sogar Routineaktivitäten wie Zähneputzen oder<br />

Kauen können vorübergehend Bakterien ins Blut<br />

einschwemmen. Eine sorgfältige Mundhygiene<br />

vermindert die Bakterienlast im Mund und damit<br />

das Risiko für eine Endokarditis. Eine schlechte<br />

Zahnpflege und Zahnfleischerkrankungen führen<br />

dazu, dass z. B. beim Ziehen eines Zahns mehr<br />

Bakterien ins Blut gelangen.<br />

Deshalb sind regelmäßige Kontrollen beim Zahnarzt<br />

und eine sorgfältige Zahnpflege so wichtig. Dabei<br />

sollten die Zähne mindestens zweimal täglich<br />

geputzt und Zahnseide zur Reinigung der Zahnzwischenräume<br />

benutzt werden.<br />

Gesunde Zähne und ein gesundes Zahnfleisch<br />

schützen das Herz – so die Aussage der Experten<br />

in den neuen Leitlinien – möglicherweise besser<br />

als Antibiotika bei zahnärztlichen Eingriffen vor einer<br />

Endokarditis.


Empfohlene Prophylaxe vor zahnärztlichen Eingriffen<br />

Wann ist eine<br />

Endokarditis-Prophylaxe notwendig?<br />

Die Zahl der Eingriffe, bei denen für Hochrisikopatienten<br />

eine Endokarditis-Prophylaxe notwendig<br />

ist, wurde von den neuen Leitlinien eingeschränkt.<br />

In vielen Fällen, in denen früher eine<br />

Endokarditis-Prophylaxe üblich war, wird sie nicht<br />

mehr empfohlen.<br />

Zum Beispiel ist bei Eingriffen im Magen-Darm-<br />

Trakt, in den Harnwegen oder der Haut eine Prophylaxe<br />

jetzt nur dann erforderlich, wenn es sich<br />

um Infektionen dieser Organe handelt.<br />

Einzeldosis 30 – 60 Minuten<br />

vor dem Eingriff<br />

Situation Antibiotikum Erwachsene Kinder<br />

Einnahme durch<br />

Schlucken (p.o.) Amoxicillin 1 2 g p.o. 50 mg/kg p.o.<br />

Wenn Schlucken<br />

nicht möglich ist, Ampicillin 1,2 2 g i.v. 50 mg/kg i.v.<br />

durch Spritzen (i.v.)<br />

Penicillin- oder<br />

Ampicillinallergie – Clindamycin 3, 4 600 mg p.o. 20 mg/kg p.o.<br />

Einnahme durch<br />

Schlucken (p.o.)<br />

Penicillin- oder<br />

Ampicillinallergie –<br />

wenn Schlucken Clindamycin 2, 4 600 mg i.v. 20 mg/kg i.v.<br />

nicht möglich ist,<br />

durch Spritzen (i.v.)<br />

Zu Besonderheiten der Prophylaxe vor Eingriffen an den Atemwegen, dem Magen-Darm-<br />

Trakt und den Harn- und Geschlechtsorganen sowie an infizierter Haut siehe Text.<br />

(1) Penicillin G oder V kann als Alternative verwendet werden.<br />

(2) Möglich auch Cefazolin, Ceftriaxon 1 g i. v. für Erwachsene bzw. 50 mg/kg i. v. bei Kindern.<br />

(3) Möglich auch Cefalexin 2 g p. o. für Erwachsene bzw. 50 mg/kg i. v. bei Kindern oder Clarithromycin 500 mg p. o.<br />

für Erwachsene bzw. 15 mg/kg p.o. bei Kindern.<br />

(4) Achtung: Cefalosporine sollten nicht angewandt werden bei Patienten mit vorangegangener Unverträglichkeit<br />

wie Gesichtsschwellung oder Hautausschlag nach Penicillin- oder Ampicillineinnahme.<br />

Im folgenden wird beschrieben, wann eine Endokarditis-Prophylaxe<br />

notwendig ist.<br />

Zahnärztliche Eingriffe<br />

Eine Endokarditis-Prophylaxe ist für Hochrisikopatienten<br />

(s. S. 4) notwendig bei allen<br />

Eingriffen, durch die das Zahnfleisch, die Mundschleimhaut<br />

oder der Bereich um die Zahnwurzeln<br />

verletzt werden.<br />

Zum Beispiel: Zahnsteinentfernung, Zahnziehen,<br />

Zahnimplantation, Gewebeprobe (Biopsie)<br />

oder Einsetzen einer festen Zahnspange.<br />

5


Dagegen ist keine Endokarditis-Prophylaxe<br />

notwendig bei der üblichen Betäubungsspritze<br />

in gesundes Gewebe, bei der Platzierung und<br />

Anpassung von herausnehmbaren kieferorthopädischen<br />

Apparaten oder Prothesen und bei<br />

Nahtentfernung.<br />

Eingriffe in den Atemwegen<br />

Patienten ohne Infektionen:<br />

Eingriffe in den Atemwegen können zur Ausschwemmung<br />

von Bakterien führen. Bei Operationen,<br />

durch die die Schleimhäute der oberen<br />

Luftwege verletzt werden, wird deshalb Hochrisikopatienten<br />

(s. S. 4) eine Endokarditis-<br />

Prophylaxe empfohlen, z. B. bei der Entfernung<br />

von Gaumenmandeln (Tonsillektomie) oder Polypen<br />

(Adenomen) oder bei Gewebeproben (Biopsien).<br />

Eine Endokarditis-Prophylaxe ist jedoch<br />

nicht notwendig bei einer Spiegelung der Bronchien,<br />

die nur der Untersuchung dient (rein diagnostische<br />

Bronchoskopie).<br />

Patienten mit Infektionen<br />

Wenn Hochrisikopatienten während einer Infektion<br />

der Atemwege sich einem Eingriff unterziehen,<br />

wie dem Absaugen (Drainagen) von Abszessen, sollte<br />

die Therapie ein Antibiotikum mit Wirksamkeit<br />

gegen Streptokokken der Viridans-Gruppe<br />

(wie in Tabelle S. 5) enthalten.<br />

Sollten diese Infektionen allerdings durch Staphylococcus<br />

aureus verursacht worden seien, so<br />

sollte die Behandlung mit Antibiotika ein Penicillin<br />

enthalten, das gegen Staphylokokken wirksam<br />

ist, oder Cefalosporin. Wenn eine Allergie<br />

gegen Penicillin oder Cefalosporin vorliegt, sollte<br />

Clindamycin oder – wenn Methicillin-resistente<br />

Staphylococcus aureus-Stämme (MRSA) beteiligt<br />

sind – Vancomycin oder ein anderes gegen<br />

MRSA-wirksames Antibiotikum gegeben werden.<br />

Eingriffe im Magen-Darm-Trakt, in den Harnwegen<br />

oder Geschlechtsorganen<br />

Patienten ohne Infektionen:<br />

Eine Endokarditis-Prophylaxe wird Hochrisikopatienten<br />

bei Eingriffen im Magen-Darm-Trakt, in<br />

den Harnwegen oder Geschlechtsorganen ohne<br />

6<br />

Infektionen in diesen Organen nicht mehr empfohlen.<br />

Auch bei Magenspiegelungen (Gastroskopie),<br />

Darmspiegelungen (Koloskopie),<br />

Blasenspiegelung (Zystoskopie) ist bei Hochrisikopatienten<br />

eine Endokarditis-Prophylaxe nicht<br />

mehr erforderlich.<br />

Patienten mit Infektionen:<br />

Wenn Hochrisikopatienten an Infektionen des<br />

Magen-Darm-Trakts, der Harnwege oder der<br />

Geschlechtsorgane leiden, und bei Eingriffen in<br />

diese Organe zur Vermeidung von Wundinfektionen<br />

oder Sepsis Antibiotika erhalten, sollte die<br />

Behandlung mit Antibiotika eine Substanz enthalten,<br />

die gegen Enterokokken wirksam ist (z. B.<br />

Ampicillin, Piperacillin oder Vancomycin). Vancomycin<br />

sollte nur eingesetzt werden, wenn die anderen<br />

Antibiotika nicht vertragen werden. Auch wenn<br />

Hochrisikopatienten, die an einer Harnwegsinfektion<br />

leiden oder Bakterien im Urin ausscheiden,<br />

sich einer Blasenspiegelung oder anderen<br />

Untersuchungen oder Eingiffen in den Harnwegen<br />

oder Geschlechtsorganen unterziehen<br />

müssen, sollte die Behandlung mit Antibiotika<br />

eine Substanz enthalten, die wirksam gegen En–<br />

terokokken ist (s. oben).<br />

Eingriffe an Haut, Haaren, Nägeln, Knochen oder<br />

Muskeln<br />

Bei Eingriffen an infizierter Haut, Haaren, Nägeln,<br />

Knochen oder Muskeln ist es sinnvoll, dass die<br />

Behandlung mit Antibiotika bei Hochrisikopatienten<br />

Staphylokokken und beta-hämolytische<br />

Streptokokken erfasst. Empfohlen wird ein Staphylokokken-wirksames<br />

Penicillin, bei einer Allergie<br />

gegen diese Substanzen Clindamycin sowie<br />

Vancomycin und andere MRSA-wirksame Antibiotika<br />

bei Beteiligung von Methicillin-resistenten<br />

Staphylococcus aureus-Stämmen (MRSA).


Infektionen<br />

Bei bakteriellen Infektionen (z. B. eitrige Bronchitis,<br />

eitrige Nebenhöhleninfektionen, Harnwegsinfekt)<br />

sollen Patienten, die eine Endokarditis-Prophylaxe<br />

benötigen, sich konsequent<br />

mit Antibiotika behandeln lassen.<br />

Bei unklaren Fieberzuständen sollte eine<br />

Blutkultur veranlasst werden.<br />

Das Fieber ist das erste und wichtigste<br />

Anzeichen für eine sich entwickelnde<br />

Endokarditis. Temperaturen<br />

zwischen 38 °C und 39 °C, oft<br />

verbunden mit Frieren, Schüttelfrost<br />

und nächtlichem Schwitzen, sind die<br />

ersten Anzeichen.<br />

Unbehandelt ist die Endokarditis<br />

fast immer tödlich. Wenn sie zu<br />

spät diagnostiziert wird, können<br />

lebensbedrohliche Komplikationen<br />

wie Embolien<br />

auftreten, und es kann zu<br />

einer vollständigen<br />

Eine gründliche<br />

Zahnpflege ist die beste<br />

Vorbeugung.<br />

Zerstörung der Herzklappe kommen mit Entwicklung<br />

einer schweren Herzschwäche und Tod.<br />

Für Patienten und betreuende Ärzte ist es deshalb<br />

wichtig, immer an eine Endokarditis zu denken,<br />

wenn Fieber bei einem gefährdeten Patienten auftritt,<br />

und so lange den Verdacht zu hegen, bis eine<br />

Endokarditis ausgeschlossen ist.<br />

Ausblick<br />

Wie sich zeigt, brauchen Patienten und Ärzte Zeit,<br />

um sich an die neuen Leitlinien zu gewöhnen.<br />

Aber diese neuen Leitlinien haben wichtige Vorteile:<br />

Im Vergleich zu früher müssen viele Patienten<br />

keine Antibiotika zur Endokarditis-Prophylaxe<br />

mehr einnehmen, andere kommen nicht mehr<br />

so häufig in Situationen, die Antibiotika erfordern.<br />

Ein weiterer Vorteil ist die Harmonisierung der<br />

Empfehlungen: Zum ersten Mal haben 16 medizinische<br />

Gesellschaften Deutschlands, Österreich<br />

und der Schweiz sowie die Deutsche Herzstiftung<br />

sich gemeinsam auf eine Leitlinie geeinigt.<br />

Der Endokarditis-Ausweis wird in diesen<br />

Ländern die gleichen Empfehlungen vorgeben<br />

– später in ganz Europa.<br />

Alle Hochrisikopatienten, die einer Endokarditis-<br />

Prophylaxe bedürfen, sollten immer einen<br />

Endokarditis-Ausweis bei sich tragen, in dem<br />

auch der Grund für die Prophylaxe vermerkt<br />

ist.<br />

Diesen Ausweis können Sie kostenlos bei der<br />

Deutschen Herzstiftung anfordern.<br />

7


Endokarditis-Prophylaxe: Was ist neu?<br />

Dr. med. Christa Gohlke-Bärwolf<br />

PD Dr. med. Christoph K. Naber<br />

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Wie alle Schriften der Deutschen Herzstiftung wird auch dieser Sonderdruck von<br />

namhaften Herzexperten erarbeitet und regelmäßig aktualisiert.<br />

Herausgeber: Deutsche Herzstiftung e.V.<br />

Vogtstraße 50 · 60322 Frankfurt am Main<br />

Telefon 069 955128-0<br />

Fax 069 955128-313<br />

www.herzstiftung.de<br />

info@herzstiftung.de<br />

Druck:<br />

Progress Druck GmbH, Speyer<br />

Bildnachweis:<br />

Celestino Piatti (Logo), Jan Neuffer (S. 7).<br />

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