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Gesundheit: Fit durch die kalte Jahreszeit - PVD Pflegedienst ...

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Schwerpunkt<br />

„Schwierigkeiten bei der Versorgung“<br />

Der Leiter der Polioambulanz in Koblenz, Dr. Ruetz, im Interview über <strong>die</strong> Behandlung des Post-Polio-Syndroms<br />

Herr Dr. Ruetz, wie viele Menschen sind von<br />

Polio-Spätfolgen betroffen?<br />

Wenn ich Patienten untersuche, <strong>die</strong> zu uns<br />

in <strong>die</strong> Polioambulanz kommen, dann suche<br />

ich messbare äußere Lähmungserscheinungen,<br />

um <strong>die</strong> Diagnose Post-Polio-Syndrom<br />

(PPS) sicher stellen zu können. Es gibt<br />

Diskussionen darüber, ob es mit anderen<br />

minimalen Veränderungen, bei denen man<br />

Lähmungen gar nicht mehr klinisch feststellen<br />

kann, 350 000 Betroffene gibt. Ich<br />

denke, das ist nicht seriös und auch<br />

nicht belegbar. Motorisch feststellbar<br />

im Sinn eines zweiten Schadens<br />

an den Bewegungsnerven klinisch<br />

betroffen sind etwa 80.000 Menschen.<br />

Allerdings ist jeder, der eine<br />

Lähmung hatte, in Gefahr, später<br />

das PPS zu bekommen.<br />

Es ist also nicht so, dass hier eine<br />

gigantische Zeitbombe tickt?<br />

Das ist unrealistisch. Es gibt viele<br />

Menschen, <strong>die</strong> im fortgeschrittenen<br />

Alter über Abgeschlagenheit,<br />

Funktionsverluste in der Muskulatur,<br />

verminderte Leistungsfähigkeit<br />

im Arbeitsprozess klagen. Da<br />

muss man immer danach schauen,<br />

ob nicht doch vielleicht ein anderer<br />

Grund vorliegt. Das kann auch rein<br />

funktionell muskelbedingt sein<br />

und muss nichts mit einer früheren<br />

Poliovirusinfektion zu tun haben.<br />

Sie haben Krankengymnastik<br />

erwähnt. Betroffene haben mir<br />

gesagt, dass gerade Krankengymnastik<br />

<strong>die</strong> geschädigten Neuronen<br />

zusätzlich belasten würde.<br />

Das ist genau der Punkt, warum in<br />

<strong>die</strong>sem Jahr beim Poliotag Physiotherapie,<br />

Nachdiagnostik und Nachanalyse<br />

des funktionellen Befunds<br />

zum Thema gemacht wurden.<br />

Wenn der Therapeut nicht um<br />

Polio und um das PPS weiß, geht<br />

er mit dem ehrgeizigen Anspruch an <strong>die</strong><br />

Behandlung: Ich will versuchen, eine Lähmung<br />

zu kompensieren. Dann werden neuromuskulär<br />

erschöpfliche bis übererschöpfliche<br />

Übungen mit dem Patienten gemacht.<br />

Als Folge kommt es mit den restlichen<br />

Motorneuronen zum metabolischen Desaster.<br />

Erst werden Motorneuronen abgebaut,<br />

dann geht <strong>die</strong> Funktionalität verloren. Das<br />

erleben wir bei vielen Patienten bereits<br />

<strong>durch</strong> <strong>die</strong> allgemeine Alltagsbelastung.<br />

Eine Krankengymnastik für PPS-Patienten<br />

muss ganz klar darauf ausgelegt sein,<br />

dass sie <strong>die</strong> Funktionen der Muskeln erhält.<br />

22 l Pflegefreund 2/12<br />

Dazu braucht es vor allem schonende<br />

Gymnastiken und manuelle Therapie.<br />

Wie ist der Wissensstand bei Physiotherapeuten<br />

über das Thema?<br />

Es gibt etwa 65 000 Betroffene PPS-Patienten,<br />

<strong>die</strong> unter dem Problem der muskulären<br />

Überforderung leiden. Es gibt viele Physiotherapeuten,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Krankheit noch<br />

nie beim Patienten erlebt haben. Seit 13<br />

Jahren halten wir in Koblenz daher <strong>die</strong><br />

Dr. A. Ruetz bei der Behandlung eines seiner Patienten<br />

Poliotage ab. Die Veranstaltung <strong>die</strong>nt auch<br />

als Informationsbörse, um zwischen Ärzten,<br />

Therapeuten und den Betroffenen mit<br />

Familienangehörigen Kontakt herzustellen.<br />

Der Informationsstand ist auch bei den<br />

meisten Ärzten leider schlecht. Was wir<br />

hier an der Polioambulanz machen, findet<br />

man leider in keinem Lehrbuch. In einem<br />

Standardwerk für Neurologie finden Sie<br />

mit etwas Glück einen Fünf-Zeilen-Absatz.<br />

In den Büchern der Orthopä<strong>die</strong> oder der<br />

Unfallchirurgie ist das PPS unvollständig<br />

und auch noch falsch beschrieben.<br />

Ich spreche hier von aktueller Literatur,<br />

Büchern medizinischer Fachverlage aus<br />

den Jahren 2010/2011.<br />

Das zeigt, wie wichtig <strong>die</strong> Aufgabe der<br />

Selbsthilfe ist, Betroffene zu befähigen,<br />

Behandlungen kritisch zu hinterfragen.<br />

Das müssen sie, es kommt immer wieder<br />

zu Konflikten. Man muss dazu auch sagen,<br />

ein deutlich betroffener Polio-Patient ist<br />

nicht attraktiv im gesetzlichen Krankenversorgungssystem.<br />

Er ist sehr aufwändig, er<br />

kommt häufig wieder. Die Krankenkassen<br />

mögen das nicht so gerne.<br />

Wie kann das PPS sicher diagnostiziert<br />

werden?<br />

Anhand unserer diagnostischen<br />

Möglichkeiten sind wir hier im<br />

Poliozentrum in Koblenz in der<br />

Lage, eine deutliche Diagnose zu<br />

machen. Wir stellen <strong>die</strong> Diagnose<br />

aufgrund klinischer Untersuchungen,<br />

einer genauen Anamnese und<br />

mithilfe des Labors. Im Zweifelsfall<br />

hilft ein neurologischer Kollege mit<br />

Neurographie.<br />

Sie sind in Deutschland <strong>die</strong> einzige<br />

Ambulanz, <strong>die</strong> in Deutschland<br />

PPS-Arbeit macht?<br />

Die Polioambulanz begann in<br />

Koblenz vor 15 Jahren. Wir waren<br />

nicht <strong>die</strong> ersten. Die Medizinische<br />

Hochschule in Hannover z. B. hatte<br />

bereits einen Forschungsschwerpunkt<br />

PPS. An den Universitätskliniken<br />

gibt es oft neurologische<br />

Arbeitsgruppen und Sprechstunden,<br />

<strong>die</strong> sich um das Thema kümmern.<br />

Viele neurologisch universitäre<br />

Einrichtungen kennen das PPS<br />

und können es gut diagnostizieren.<br />

Die Schwierigkeiten liegen bei<br />

der Versorgung. Die Patienten<br />

brauchen Orthethik für den Alltag<br />

oder <strong>die</strong> richtigen Therapien. Das<br />

machen Neurologen traditionell<br />

nicht. Für <strong>die</strong> funktionellen Therapien sind<br />

nach wie vor wir Orthopäden zuständig. Die<br />

Krankheit ist ja kein Prozess, der rückgängig<br />

gemacht werden kann. Nach der Lähmung<br />

bleiben immer Folgen zurück. Und das sind<br />

Folgen, <strong>die</strong> sich ja häufig beim Kind, beim<br />

Jugendlichen und im frühen Erwachsenenalter<br />

nicht auswirken. Aber dann kommt<br />

es unter Umständen nach zehn, 15 Jahren<br />

zu Gelenk- und Muskelbeschwerden. Und<br />

das sind <strong>die</strong> Beschwerden, <strong>die</strong> Orthopäden<br />

schon immer behandelt haben.<br />

Foto: Katholische Krankenhaus Koblenz / Polio-Ambulanz<br />

Die Fragen stellte Harald Spies

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