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Ausgabe 2/2011 - Lagergemeinschaft Auschwitz

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InhaltsverzeichnisSeitePuppen und Zitronen aus Kanada 1Link der Rechts-Terroristen nach <strong>Auschwitz</strong> 5Studienfahrt nach <strong>Auschwitz</strong> im April 2012 7Miriam Magall: Ein Leben unter fünf Namen 8Das Häkchen auf der Transportliste 11Franz Grossmanns Spurensuche in <strong>Auschwitz</strong>Jeder konnte es wissen 16Zur Edition von Friedrich Kellners Tagebüchern (1939 - 1945)„Vernebelt sind alle Hirne“ 17Friedrich Kellner, ein unbestechlicher Chronist einer gnadenlosen ZeitNeugewählter Vorstand der LGA 24„Die Seele der Dinge“ 27Éva Fahidis Buch liegt nun auch in deutscher Übersetzung vorLegalisierter Raub 30Ausstellung in Butzbach (Wetteraukreis) 17. April - 1. Juli 2012Nachrufe 32Impressum:Herausgeber: <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erFreiherr-vom-Stein-Straße 27, 35516 MünzenbergInternet: www.lagergemeinschaft-auschwitz.deRedaktion: Hans Hirschmann, Tel. (06101) 32010Bankverbindung: Sparkasse Oberhessen (BLZ 518 500 79) Kt.-Nr.: 20 000 503Bei Spenden bitte Adresse deutlich schreiben, damit dieBescheinigung für die Steuererklärung zugeschickt werden kann.


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 1Puppen und Zitronen aus KanadaBitte um Weihnachtsspende für ehemalige KZ-Häftlinge„Kanada“ nannten die Häftlinge in<strong>Auschwitz</strong> das Effektenlager. „Kanada“deshalb, weil sie das dort gelagertewertvolle Raubgut als „Symbol fürReichtum“ mit ihrer Vorstellung mitdem nordamerikanischen Land verbanden.In den Baracken von „Kanada“ließ die SS-Verwaltung alles sammeln,was den hunderttausenden vonMenschen bei der Ankunft abgenommenwurde, nachdem es ihnen zuvornoch in trügerischer Absicht erlaubtworden war, es auf den Transport in dieVernichtungslager mitzunehmen.Entledigt von allen Wertgegenständen,aller Kleidung, jeglicher sonstigerHabe, führte ihr Weg nackt indie Gaskammern. Zuvor hatte manihnen auch die Haare zwecks Weiterverarbeitungin der Rüstungsindustrieund anderen Wirtschaftszweigenabgeschnitten. Nach dem grausamenTod wurde den Leichen noch Goldzähneausgebrochen und die Körperöffnungennach dort eventuell verstecktemSchmuck abgesucht.Bis zur Weiterverarbeitung undzum Weitertransport wurde die gestohleneHabe der Opfer in „Kanada“zwischengelagert und sortiert. NebenUhren und Schmuck, Kleidung, Koffern,Brillen, Gehhilfen, Besteckenund anderen Gebrauchsgegenständenbefanden sich auch viele Spielsachendarunter: So auch die zu Bruch gegangenePuppe, die auf der Titelseite diesesMitteilungsblattes zu sehen unddie nun in einer Vitrine im Museumim Stammlager ausgestellt ist. Sie gingwohl erst in <strong>Auschwitz</strong> zu Bruch. DemKind, dem sie gehörte, dürfte diePuppe bis kurz vor seinem gewaltsamenTod ein kleiner Trost gewesensein - vielleicht eine symbolhafte Erinnerungan friedlichere und unbekümmerteTage sowie gleichzeitigKorsetts, Krücken und andere Gehhilfen, die man den Opfern vor der Vernichtungabahm, wurden in „Kanada“ gelagert. Heute sind einige davon in einer Vitrine imStammlager (<strong>Auschwitz</strong> I) ausgestellt.


2 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erein unbewusstes, utopisches Versprechen,dass es noch einmal eine solcheZeit geben könnte.Wir wissen, dass es in <strong>Auschwitz</strong>und den anderen Konzentrationslagernfür die wenigsten Kinder undauch die wenigsten erwachsenenHäftlinge eine solche bessere Zeit gebensollte. Selbst die Wenigen, die dieBefreiung der Lager und den Untergangdes Dritten Deutschen Reichesüberlebten, waren alptraumartig geprägtfür ihr weiteres Leben und geplagtvon Schuldgefühlen, warum geradesie überlebten.Oder sie lebten mit einer irrationaleninneren Zerissenheit, die zumBeispiel unsere ungarische FreundinEva Fahidi (Pusztai) in ihrem Buch„Die Seele der Dinge“ eingestand:„Ich war funfunsiebzig Jahre alt, alsIm Jahr <strong>2011</strong> konnte die <strong>Lagergemeinschaft</strong>dank Ihrer Spendenwieder mehr als 12.000 Euro an dieHäftlingsorganisationen in Krakau,Warschau und Zgorzelec überweisen.Zudem weitere Beträge fürProjekte des staatlichen Museumsin <strong>Auschwitz</strong>.ich endlich mit meiner Mutter Friedenschloss (...) Davor hätte ich, wenn ichnur an meine Mutter dachte, vor Wutschreien können: Wozu hatte sie michzur Welt gebracht, wozu geliebt, erzogen,verwöhnt, um mich dann im Stichzu lassen? Mich mutterseelenalleinzurückzulassen?“ Erst mit 75 Jahrenhat Eva ein Foto ihrer Mutter bei sichin der Wohnung an die Wand gehängt.Erst dann hat sie gefühlt und akzeptiert,was offenkundig ist,dass nämlich ihre Mutterkeine Schuld trifft an<strong>Auschwitz</strong> und allem, wasdieses eine Wort aussagt(siehe Besprechung ihresBuches auf Seite 27 ff).Dr.Alicja Klich-Raczka,die Leiterin des Ambulatoriums inKrakau (li.), und eine Mitarbeiterin mit LGA-VorsitzendemUwe Hartwig. In dem Ambulatorium werden bevorzugtehemalige Häftlinge der Konzentrationslager betreut.Die LGA unterstüzt die Einrichtung seit Jahren mit Spendenihrer Mitglieder und Freunde.Das Bild im Hintergrundstellt den <strong>Auschwitz</strong>-Häftling Kazimierz Sowa dar, der biszu seinem Tod wichtiger Ansprechpartner der LGA war.VertrauenDass die Häftlinge trotzdemihre Menschenfreundlichkeitbehieltenoder wiedergewannenund uns, den Mitgliederndes Freundeskreises undallen Sympathisanten, vertrauen,ist für uns eingroßes Geschenk. Sie gedenkenmit uns ihrer ermordetenKameraden, berichtenüber deren Schicksal,und wir können ge-


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 3Wilhelm Brasse, hier bei einem Gesprächmit einer Gruppe der <strong>Lagergemeinschaft</strong>,konnte nach seiner Befreiung nicht mehr alsFotograf arbeiten.meinsam trauern. Andererseits geschiehtes auch oft, dass wir ihre Freude,zum Beispiel über ihre Kinder undEnkel oder andere positive Erlebnisse,teilen, zusammen lachen und feiernkönnen. Das können alle nachvollziehen,die bei einer unserer Studienfahrten*dabei waren und Veranstaltungenmit ihnen miterlebt haben.Zitronen, die aus dem EffektenlagerKanada geschmuggelt wurden,halfen unserem Freund StanislawHantz, wieder zu Kräften zu kommen,als er 53 Tage in Bunkerhaft imTodesblock 11 überlebte und so wiederzu seinem Arbeitskommandozurückkehren durfte. Was für Staszekdie Zitronen aus Kanada waren, sindfür uns - pathetisch formuliert - dieFreundschaft mit ihm, seinen Angehörigenund den anderen Überle-benden der KZ und Gestapo-Gefängnisse.**Materielle Hilfe, die wir oft wegendes doch eher begrenzten Umfanges,als eine kleine Geste ansehen, wirdvon Seiten der Häftlinge, aber alsweitaus mehr aufgefasst - nämlich alsunser ehrliches Interesse an ihremSchicksal und dem Gedenken an dieermordeten Kameraden.Deshalb bitten wir Sie, liebe Leserinnenund Leser, auch in diesem Jahrwieder um eine Weihnachtsspende, diewir an die Organisationen der ehemaligenHäftlinge oder direkt an einzelneweiterleiten. Darüber hinaus laden wiralle ein, an unseren Studienfahrtenund unseren Lesungen, Gedenk- undanderen Veranstaltungen teilzunehmen.Dort können Sie noch den einenoder anderen der hochbetagten Überlebendenkennen lernen und von ihnenhören, was es für sie heißt, einLeben nach <strong>Auschwitz</strong> zu führen.Der Fotograf von <strong>Auschwitz</strong>Als ein Beispiel sei hier WilhelmBrasse genannt, der am 3. Dezember94 Jahre alt wurde und dem wir auchvon dieser Stelle aus herzlich gratulieren.Der Sohn eines Österreichersund einer Polin war in diesem Jahrwieder Gesprächspartner bei unserenStudienaufenthalten in <strong>Auschwitz</strong>. Erkommt im Rollstuhl und ihn plagenaußer den grausamen Erinnerungenauch Gelenke und Knochen. „Ich habeimmer Schmerzen, aber wenn ichIhnen erzähle, dann vergesse ich sie“,antwortet er fast immer auf die Frage,* Die nächste Studienfahrt findet im April 2012 statt (siehe S. 7)** Stanislaw Hantz. Zitronen aus Kanada (12 Euro, erhältlich bei der LGA)


4 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erwie es ihm gehe.Wir sollen aus seinemSchicksal und dem seiner toten wieüberlebenden Kameraden lernen, fürunser eigenes Leben Verantwortungzu übernehmen. Wir sollen uns nichtbequem und unkritisch Meinungenanschließen, die wir eigentlich nichtwollen und die im Grunde nicht unseremVerständnis von Menschlichkeitund Humanität entsprechen.Wilhelm Brasse war vier Jahre langals Häftling Nummer 3444 einer derLagerfotografen im Konzentrationslager<strong>Auschwitz</strong>. Bis Mitte 1943 wurdenalle ankommenden Häftlinge für dieLagerkartei fotografiert. Danach mangeltees an Fotomaterial und es wurdennur noch von reichsdeutschen GefangenenAufnahmen gemacht. Brassemusste auch Opfer fotografieren, dievon Josef Mengele und anderen SS-Ärzten für menschenverachtende Experimenteherangezogen wurden.Nach der Befreiung konnte WilhelmBrasse nicht mehr als FotografDiese Häftlingsfotos stammen mit einiger Wahrscheinlichkeitvon Wilhelm Brasse<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> -Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erSparkasse Oberhessen(BLZ 518 500 79)Kontonummer 20 000 503Vielen Dank für Ihre Spende:Bitte schreiben Sie deutlich ihrenNamen und Adresse, damit wir IhnenSpendenbescheinigungen für dasFinanzamt schicken können.arbeiten, denn jedesmal wenn erdurch ein Okular sah, sah er nackte,abgemagerte Menschen, die Mengeleund die anderen SS-Ärzte bald daraufzur Vernichtung ins Gas schickten.Hauptsache die „Ergebnisse der Experimente“waren dokumentiert.Über <strong>Auschwitz</strong> hat WilhelmBrasse bis zum Jahr 2008 geschwiegen.Er lernte seine Frau Stanislawakennen, beide lebten von einem kleinenGeschäft für Metzgereibedarfund mit ihr war so etwas wie Alltagmöglich, schlussfolgert die JournalistinKamilla Pfeffer, die einPortrait von ihm in der SüddeutschenZeitung veröffentlichte.Erst nach dem Tod seinerFrau begann Wilhelm Brasse,über <strong>Auschwitz</strong> zu sprechen.Die Reporterin SybilleKorte zitiert ihn in der BerlinerZeitung wie er deutschenJugendlichen erklärte:“Ich erzähle die schrecklicheWahrheit. Das ist manchmalfür euch sehr peinlich zuhören. Aber ich erzähle auchvon Deutschen, die sichdamals als Menschen gezeigthaben.“


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 5Link nach <strong>Auschwitz</strong>Erklärung des Internationalen <strong>Auschwitz</strong>-Komiteeszu der jetzt erst den Neo-Nazis zugeordneten MordserieEs wird noch Wochen dauern, bisalle Zusammenhänge und Verbindungen,die die Rechts-Terroristen ausZwickau über lange Jahre genutzt haben,offen gelegt worden sind. Schonheute lässt die Dimension der Verbrechenund er eisige Hass, der aus ihnenspricht, die Überlebenden der deutschenKonzentrationslager alarmiertund entsetzt zurück. Besonders betroffensind sie durch die Tatsache,dass in der Gedankenwelt der Terroristenoffensichtlich <strong>Auschwitz</strong> wiedereinen zentralen Platz einnimmt.Hierzu betonte Christoph Heubner,der Exekutiv Vizepräsident des Internationalen<strong>Auschwitz</strong> Komitees, bei einemAufenthalt in Zwickau: „Die Endvorstellungder Absichten der Terroristenund die Endstation ihres Denkensist eindeutig mit dem Thema <strong>Auschwitz</strong>verbunden. Als bewusst gesetzte Botschaftan die deutsche Gesellschaft istder Schriftzug ‘NationalsozialistischerUntergrund’ auf einem der Bekennervideosin Anlehnung an den Schriftzug‘Arbeit Macht Frei’ über dem Eingangstorvon <strong>Auschwitz</strong> gestaltet worden.Dieendgültigen Absichten der Rechts-Terroristensind als Link so deutlich markiert:Vernichtung ihrer Gegner. Wirhoffen, dass die Verantwortlichen inStaat, Polizei und Gesellschaft dieseHerausforderung jetzt erkennen.“Das LandeskriminalamtBerlin hat mitgeteilt,dassin den Listen der Terroristen„NationalsozialistischerUntergrund“auch das Internationale<strong>Auschwitz</strong>-Komitee aufgeführtist.


6 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erEintrag im Gästebuch der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in <strong>Auschwitz</strong>


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 7Studienfahrt nach <strong>Auschwitz</strong> und Krakau12. April - 17. April 2012Auf dem Programm stehen:- geführter Rundgang durch das Stammlager <strong>Auschwitz</strong>- geführter Rundgang durch das Vernichtungslager Birkenau- Gespräche mit Überlebenden- Besuch im Archiv und der Kunstsammlung der Gedenkstätte- Besuch in Krakau (u.a. Museum in Schindlers Fabrik)Kosten: 600 Euro (Flug, Unterkunft,Verpflegung, Eintritte, Honorare)Ermäßigung bis zu 50 Prozent für Studierende, Schüler und Schülerinnensowie Menschen mit geringem EinkommenInformationen und Anmeldung beiUwe Hartwig,Tel. (06002) 938033,E-Mail: hartwig@lagergemeinschaft-auschwitz.de25 Jahre Internationale JugendbegegnungsstätteDie Internationale Jugendbegegnungsstätte(IJBS) in Oswiecim kann indiesem Jahr auf ihr 25-jähriges Bestehenzurückblicken. Die <strong>Lagergemeinschaft</strong>gratulierte zum Jubiläum, VorsitzenderUwe Hartwig schrieb dem IJBS-LeiterLeszek Szuster:Zum 25. Jahrestag der IJBS beglückwünscheich Sie, Ihre Kolleginnen undKollegen und die Gremien der InternationalenJugendbegegnungsstätte ganzherzlich.Dass die Jugendbegegnungsstätte inzwischenein Vierteljahrhundert erfolgreicharbeitet, ist Ihr großes Verdienst.Ihnen allen ist es gelungen, Heimstätteund Begleiter zu werden für diejenigen,denen daran liegt, die Erinnerung an dieVerbrechen des deutschen Faschismus’wach zu halten, zu erfahren, was geschehenist, daraus zu lernen und vor allemden Opfern Stimme und Platz im Gedächtnisder Menschen zu geben.Die verschiedenen Gruppen, mit denenwir über viele Jahre Gast in der Jugendbegegnungsstättewaren,haben unsimmer wieder einhellig versichert, wiewertvoll es ist, während der Studienfahrtennach <strong>Auschwitz</strong> Gast in der Jugendbegegnungsstättezu sein.Wir wünschen von ganzem Herzen,dass auch in den kommenden 25 Jahrendie Internationale Jugendbegegnungsstätteihre erfolgreiche Arbeit wird fortsetzenkönnen.Mit Ihren pädagogischen Programmenhaben Sie den Weg gefunden undanderen gewiesen, wie aus der dunklenVergangenheit Hoffnungen für eine humaneZukunft geschöpft werden können- gegen Völkermord, Rassismus undAntisemitismus. Für Ihre weitere Arbeitdie allerbesten Wünsche und großenDank für Ihre großartige Arbeit.Mehr Informationen zur Begegnungsstätteim Internet unterwww.mdsm.pl (deutschsprachig).


8 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erEin Leben unter fünf NamenMiriam Magall setzt ihren Eltern und ihrer Tante Rachel GrabsteineEine Woche lang war die in Berlin lebende Miriam Magall im November auf Einladungder <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er sowie derErnst Chambré-Stiftung zu Besuch in Hessen.An sechs Schulen des Wetteraukreisessowie bei einem Treffen in Lich im Kulturzentrum Bezalel-Synagoge mit Jugendlichenaus drei weiteren Schulen aus Wetzlar, Herborn und Lich berichtete sie überihr Leben als verstecktes jüdisches Kind.Sie las dabei aus dem von ihr selbst als „halbautobiografisch“bezeichneten Roman „Das Brot der Armut“ und erläuterte aberauch immer wieder davon abschweifend Episoden, die dort nicht schriftlich festgehaltensind. Neben den Treffen mit den Schülerinnen und Schülern war MiriamMagall zudem Referentin bei zwei öffentlichen Abendveranstaltungen: Am 9. Novemberin Butzbach im Museum der Stadt bei der Gedenkfeier anlässlich des Jahrestagesder Reichspogromnacht von 1938 und einen Tag später in Ortenberg beimKulturkreis Altes Rathaus Ortenberg. „Mit der Pogromnacht vor 73 Jahren fand dasZiel der deutschen Faschisten seinen unmissverständlich sichtbaren Ausdruck:Die restloseErmordung der Juden. Der Prozess der Entrechtung war schon weit fortgeschrittenund wurde nun verschärft und beschleunigt.“ Mit diesen Worten leitete LGA-VorsitzenderUwe Hartwig die Veranstaltung ein. „Ich erzähle nun von der Fortsetzungdieses historischen Datums“, knüpfte die 1942 geborene Miriam Magall an.Miriam Magall, Rachel Kochawi,Keren Kowalski, Kriemhild Stach. Esist ein Leben, das unter vier Namengeführt wurde bzw. wird. Eigentlichsind es fünf Namen, denn KriemhildStach steht in dem Buch „Das Brot derArmut“ nur stellvertretend für einenanderen Namen, den die Autorin niemalsmehr in den Mund nehmen oderlesen möchte.Miriam Magall ist der dritte ihrerNamen. Es ist ihr erster selbst gewählter.Sie entschied sich in den 1960erJahren dafür, als sie nach Israel einwanderte.Es sollte ein völliger Neubeginnihres Lebens sein, deshalb machtesie von dem Recht des jüdischen StaatesGebrauch, sich einen neuen Namenzu wählen. Und so steht Miriam Magallauch ganz offiziell in ihrem Pass.Geboren wurde sie 1942 in einemeinsam gelegenen Jagdhaus einesdeutschen Junkers an der Grenze zwischenOstpreußen und Polen. Ihre Eltern,Zelda und Gabriel Kowalski, gabenihr den Namen Keren und trugenihn auf Hebräisch auf ihrer Hochzeitsurkundeein. Zelda Kowalski starb wenigeStunden nach der Geburt ihrerTochter. Ihr Mann Dr. GabrielKowalski und seine Schwester Rachelkonnten, obwohl er Arzt war und sieKrankenschwester, die Blutungen derjungen Mutter nicht stoppen. Das Versteckwurde kurz darauf von deutschenSoldaten entdeckt. Zuvor hatteRachel Kowalski ihren Bruder überzeugt,die kleine Keren dem vormaligenDienstmädchen der Familie zuübergeben. Diese junge Frau hatte denKowalskis auf deren Bitte hin dasJagdhaus als Versteck empfohlen.Als Miriam Magall nach einer Reihevon Sachbüchern anfing, literarischeWerke zu schreiben, unter anderemden stark autobiografisch geprägten


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 9Roman „Das Brot der Armut“, wähltesie als ihren vierten Namen das PseudonymRachel Kochawi. Sie ehrt damitihre Tante, deren Initiative sie ihrLeben verdankt. Der Name Kochawiist eine hebräische Form von Kowalski,denn beide haben die gleichen Vokaleund die gleiche Anzahl von Silben.Ihren zweiten Namen, den MiriamMagall in den Jahren trug, in denen sieheranwuchs und den sie damals fürihren ursprünglichen hielt, will sie nichtmehr in den Mund nehmen. „Er warähnlich teutonisch wie der NameKriemhild“, ist alles, was sie währendihrer Lesungen verriet. KriemhildStach ist der Name, den sie in dem„Brot der Armut“ für sich wählte. Derwahre Namen des ehemaligen Dienstmädchens,das Miriam alias Kriemhildin ihrer Jugendzeit als ihre Mutter ansah,ist in dem Buch ersetzt durch EllaStach. Die Wahrheit über ihre wahreIdentität erfuhr Kriemhild/Miriam inder Nacht, als sie Ella verließ, um inGenf als Au-Pair zu arbeiten und Französischzu lernen. Da übergab ihr Ellaauch die Heiratsurkunde ihrer tatsächlichenEltern mit der Ergänzung vonder Geburt im ostpreußischen Jagdhaus.Dabei erfuhr sie auch von der Ermordungihrers Vaters und ihrer Tantedurch deutsche Soldaten, die Rachelzuvor noch vergewaltigt hatten. Die Täterhatten sich ihrer „Heldentaten“ beiEllas Eltern selbst gerühmt.„Lichtstrahl“ im KellerZunächst hat Ella das ihr anvertrauteKind nicht als ihr eigenes ausgegeben.Sie versteckte es vor der Umwelt mitZustimmung ihre Eltern im Keller desHauses. Drei Jahre lang sah Keren dasTageslicht nur durch das Kellerfenster- einer grausame Ironie, denn ihrMiriam Magall bei der Lesung in ButzbachName leitet sich von „Keren Or“ ab,der hebräischen Bezeichnung für dasdeutsche „Lichtstrahl“. Gegen Endedes Krieges floh Ella mit dem Kind inRichtung Westen. Sie hatte die Adresseeines Wehrmachtsoldaten, mit dem sieeinst angebändelt hatte und der inzwischen„für Führer und Vaterland“ gefallenwar. Dort in einem Städtchen imHarz angekommen, gab sie Keren alsihr eigenes Kind aus. Nach Streit mitder „Schwägerin“ floh Ella mit Kriemhildweiter in die von den Westalliiertenbesetzte Zone, wo sie sich weiterhinals Witwe von Siegfried Stach ausgab.In einer Kleinstadt im Harz gingsie mit einem Mann eine sogenannte„Onkel-Ehe“ ein. So wurden damalsdie Beziehungen von „Kriegerwitwen“genannt, die nicht wieder heirateten,um ihre Rente weiter erhalten zu können.Als Kriemhild lebte Miriam somitzusammen mit Ella, Onkel Heini undderen Kind, das Ella bald zur Weltbrachte, in einem Flüchtlingslager, in


10 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erdem während des Krieges Zwangsarbeiteruntergebracht waren.Auf der Suche nach der IdentitätDie nächtlichen Stunden, als Ella diewahre Geschichte von Miriam enthüllte,waren die letzten, in denen die Beidensich sahen und sprachen. Noch alsMiriam in Genf war, starb Ella überraschend.Miriam ging nachEngland, um Englisch zulernen, und suchte denKontakt zu einer jüdischenFamilie und der jüdischenGemeinde. Nacheiner Zwischenstation inSaarbrücken wanderte sienach Israel aus, arbeitetseitdem als Übersetzerinund Konferenzdolmetscherin.1988 kehrte siemit ihrem Sohn nachDeutschland zurück.Bis zum Jahr 2005 hatsie über ihr Schicksal als verstecktesjüdisches Kind nie gesprochen. Dannübersetzte sie für das Museum desHolocaustdenkmals in Berlin Dokumenteaus Polen, darunter auch solcheaus der Stadt, aus der ihre Großelternstammten. Da fing sie an, ihrem Sohnalles zu erzählen. Der animierte sieschließlich dazu es aufzuschreiben. Soentstand „Das Brot der Armut“.Miriam Magall hat ihre Ziehmutter,die sie im Buch Ella Stach geb. Schwinteknennt, nicht in der israelischen GedenkstätteYad Vaschem eintragen lassenals eine der „Gerechten unter denVölkern“, die jüdischen Menschen vordem Holocaust gerettet haben. Dasssich Ella für die Rettung vonKeren/Miriam von deren Eltern hat bezahlenlassen und dass sie darüber hinausauch die Wertgegenstände, die fürdas ihr anvertraute Kind bestimmt waren,behalten und somit gestohlen hat,ist ein Grund für Miriams Entscheidung.Schwerer wiegt, dass Ella nachKriegsende nicht ihr Versprechengehalten hat, das Kind an jüdische Organisationenzu geben, obwohl dieseEmissäre ins Nachkriegsdeutschlandgeschickt haben, um überlebendeJuden zu suchen. Miriamwirft Ella zudem vor, dasssie nie eine weiterführendeSchule besuchen durfte,obwohl die Lehrer diesempfahlen und sich Miriamdies sehnlichst gewünschthatte.Noch schwerer wiegt,dass Ella das Kind in denersten drei Jahren vor derUmwelt im dunklen Kellerversteckt hielt. Schließlichkam noch hinzu, dassElla nicht einschritt, als„Onkel“ Heini Miriam mehrfach misshandelteund vergewaltigte.Dass Miriam Magall alias RachelKochawi mit der Geschichte ihresLebens bei Lesungen auftritt und fürdas Buch wirbt, das sieht sie als die Errichtungeines symbolischen Grabsteinesfür ihre Eltern Zelda und GabrielKowalski sowie ihre Tante Rachel. IhreLesungen in der Wetterau und im LandkreisGießen bilden somit weitere Mosaiksteinein diesem Grabstein.Hans HirschmannRachel Kochawi: Das Brot der Armut.Die Geschichte eines versteckten jüdischenKindes. Lich/Hessen: VerlagEdition AV 2010. 333 Seiten. ISBN:978-3-86841-034-1. 18 Euro. (Im gleichenVerlag sind weitere Bücher vonRachel Kochawi erschienen.)


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 11Das Häkchen auf der TransportlisteDie Spurensuche des Franz GrossmannHinter den Namen von Gertrud Grossmann war ein Häkchen gesetzt. Damitwar für ihren Enkel Franz Grossmann traurige Gewissheit geworden, was bisdahin lediglich eine sehr wahrscheinliche Vermutung war: Seine Großmutter istin <strong>Auschwitz</strong> ermordet worden. Bis dahin wusste der 75-jährige Friedrichsdorfernur mit Bestimmtheit, dass Oma Gertrud und ihre Schwester Erna mit einemTransport aus Berlin im Sommer 1943 in Richtung Osten deportiert wurden undals verschollen galten. Die Häkchen hinter den Namen auf der Transportlistebedeuten, dass diese Personen in <strong>Auschwitz</strong> angekommen waren. Dies erläuterteKrystyna Lesniak, die im heutigen Museum <strong>Auschwitz</strong> das Archiv leitet.Aufgrund der engen Beziehungender <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> -Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er (LGA)zur Museumsleitung können die Teilnehmervon Studienfahrten sich auchin Abteilungen wie dem Archiv oderder Kunstsammlung umsehen, die fürnormale Besucher nicht ohne weitereszugänglich sind. Franz Grossmannwar im Frühjahr dieses Jahres mit einerGruppe bei einer Studienfahrt derLGA in Polen unterwegs, um den Ortzu sehen, an dem ein Teil seiner Familieden Tod fand und an dem seinGertrud Grossmann (zirka 1934) in ihrer Wohnungin der Berliner FasanenstraßeVater Franz Helmut Grossmann mehrereJahre inhaftiert war.Der Deportationszug mit GertrudGrossmann und weiteren 296 Personenkam am 29. Juni 1943 in <strong>Auschwitz</strong>an, wie die im Archiv befindlicheTransportliste belegt. Gertrud Grossmannwäre am 22. November des gleichenJahres 70 Jahre alt geworden.Aufgrund ihres Alters ist die Wahrscheinlichkeitgroß, dass sie zu den 87Personen gehörte, die gleich nach derAnkunft in den Gaskammern von Birkenau„sonderbehandelt“, sprich „vernichtet“wurden. Die erste Selektiondieses „39. Osttransportes“aus Berlin nach <strong>Auschwitz</strong> überstanden93 Frauen und 117 Männer.Allerdings fehlen für dieMehrzahl von ihnen Unterlagen,wie die Archivleiterin der Studiengruppeberichtete.Einige Monate vor GertrudGrossmann, genau am 8. März1943, war bereits ihr Sohn FranzHelmut in <strong>Auschwitz</strong> angekommen.In den Archiv-Unterlagenvon <strong>Auschwitz</strong> sowie auch in anderenGedenkbüchern galt er beiEnde des Krieges als in Maut-


12 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erhausen verschollen. Aber er hat dieOdyssee durch mehrere Konzentrationslagerüberlebt und konnte nach1945 zu seiner Familie zurückkehren,wie Franz Grossmann richtigstellenkonnte. Allerdingsstarbder Vater bereits1953 imAlter von nur48 Jahren aneinem Herzinfarkt,derals Spätfolgeder KZ-Haftanerkanntwurde. Bis zuFranz Helmut Grossmann(Anfang der1950er Jahre)seinem Todwar er hochangesehenerChefchirurgund ärztlicher Direktor des KreiskrankenhausesObertaunus in Bad Homburg.Am Todestag des Vaters erfuhrsein damals 17 Jahre alter Sohn Franz,der drittälteste seiner sechs Kinder,dass sein Vater, den er nur als sehrfrommen Katholiken kannte, jüdischerAbstammung war. Später erinnertesich der 1936 geborene Junioran ein Erlebnis aus seinem erstenSchuljahr, das ihm nachträglich als einHinweis auf die Abstammung seinesVaters erschien. Er besuchte im Jahr1942 die erste Klasse der Dahlmann-Schule und wohnte mit den Elternund Geschwistern in Frankfurt amMain im Ostend in einer Dienstwohnungdes Rothschild-Hospitals, dessenLeiter sein Vater war. Eines Tages erschreckteder junge Franz seine Muttermit der Frage, ob es wahr sei, wasdie Mitschüler sagten, dass sein Vatermit vollständigem Vornamen „FranzHelmut Israel“ heiße. Die Mutter tatdies etwas unwirsch als Unsinn ab.1943 musste Franz jedoch erleben,dass sein Vater von der Gestapo verhaftetund nach <strong>Auschwitz</strong> geschicktwurde. Die Mutter strengte beimReichssippenamt in Berlin ein Verfahrenan, das beweisen sollte, dass ihrMann nicht der biologische Sohn vonjüdischen Eltern sei. Ein verzweifelterund aberwitziger Versuch, ihren Mannzu retten. Zwar wurde im August 1944ihr Antrag abschlägig beschieden,aber „mein Vater glaubte fest daran,dass ihm das Verfahren das Leben gerettethat, denn er wurde in <strong>Auschwitz</strong>nicht ins Gas geschickt, sondern mussteals Häftlingsarzt arbeiten“, erinnertsich der heute 75-jährige FranzGrossmann. Als Beleg verweist er aufdie Briefe aus <strong>Auschwitz</strong>, in denensein Vater die Mutter inständig bittet,das Verfahren in Berlin weiterzubetreiben.Aber der Reihe nach: FranzHelmut Grossmann wurde am 23. Dezember1904 in Berlin geboren. Erwurde Arzt, lernte seine spätere FrauMaria in Gera kennen, wo sie alsRöntgen-Assistentin im Krankenhausarbeitete. Beide wurden 1932 von einemkatholischen Geistlichen getraut,der später die junge Familie auch inFrankfurt öfters besuchte, wie sichFranz junior erinnert. Ebenso erinnerter sich an Besuche bei der Großmutterin Berlin, zu der nach der Konversiondes Vaters der Kontakt nicht abgebrochenwar. Großvater Eugen war bereits1931 gestorben.


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 13Archivleiterin Krystyna Lesniak und Franz Grossmann im Archiv von <strong>Auschwitz</strong>Da der Arzt Franz Grossmannzum Katholizismus übergetreten war,meldete er sich auch nicht bei derJüdischen Gemeinde in Frankfurt an,als ihm dort die Leitung des Rothschild-Hospitalsangetragen wurde.Als dies die Gestapo feststellte, wurdeer für den 20. Januar 1943 aufsAmt einbestellt. Das war für dienächsten nicht ganz zweieinhalbJahre das letzte Mal, dass er seineKinder sah. Er wurde im Polizeinotgefängnisin der Gutleutstraße inhaftiert,verhört und misshandelt. SeinSohn Franz kann sich erinnern, dassdie Mutter von einem ihrer Besucheauch einmal einen blutverschmiertenSchlafanzug zum Waschen mit nachHause brachte.Am 8. März 1943 wurde FranzHelmut Grossmann mit einem Sammeltransportnach <strong>Auschwitz</strong> geschickt.Laut einem von ihm späterselbst aufgestellten Lebenslauf arbeiteteer bis zum 21. August im Stammlager<strong>Auschwitz</strong> I als Häftlingsarzt,danach in gleicher Funktion in Monowitz(<strong>Auschwitz</strong> III). Dort hatte dieSS die Zwangsarbeiter untergebracht,die sie dem IG-Farben-Konzern fürden Bau eines großen Buna-Werkesals Leiharbeiter vermietet hatte. Am25. Oktober 1944 wurde Franz Grossmannnach Eintrachthütte, einemAußenlager von Monowitz, versetzt.Von dort wurde er am 30. Januar 1945ins Konzentrationslager Mauthausenim heutigen Österreich deportiert.Befreit wurde er am 5. Mai 1945 imKonzentrationslager Gunskirchen. Erhatte Fleckthyphus und wurde bisMitte Juli in einem amerikanischenKriegslazarett behandelt. Danachmachte er seine Familie ausfindig, dienach der Ausbombung in Frankfurt


14 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erden Bescheid sowie Briefe seines Vatersaus <strong>Auschwitz</strong> und viele andereUnterlagen nach dem Tod seinerMutter im Nachlass gefunden.Die abenteuerliche Argumentation,dass Franz Helmut Grossmannvon arischer Geburt und nicht leiblicherSohn seiner jüdischen Elternsei, beruhte vor allem auf der wohlfalschen Aussage einer vormaligenHaushälterin. Im Bescheid wird dieswie folgt dargelegt: „Im Abstammungsprüfverfahrenwird von derdeutschblütigen Ehefrau des Prüflings,gestützt auf eine eidesstattlicheErklärung der früheren Wirtschafterinder Eheleute Eugen und Gertrud SaraGrossmann, Frl. Valerie Wirth inBerlin-Reinickendorf-Ost, Epsteinstr.6a, v. 2.3.1943 (zu Urkunddes Notars Hugo Kekulévon Stradoniß in Berlin-Friedenau,Nr. 9/1943), vorgebracht,daß der Prüfling nichtvon seinen gesetzlichen jüdischenEltern abstamme, sonderndas Kind christlicherEltern sei. Die Eheleute Großmannhätten ihr etwa im Jahre1910 unter dem Siegel der Verschwiegenheitanvertraut, daßsie das Kind bald nach seinerGeburt als ihr Kind angenommenhaben, weil ihnen damalskurz vorher ein eigenes Kindgestorben war und Frau GertrudGroßmann sich über dessenTod schwer aus Sehnsuchtnach einem Kleinkind habentrösten können.“Tatsächlich war dem EhepaarGrossmann im Jahr 1901die dreijährige Tochter gestorbeider Familie der Schwägerin inLimburg Unterkunft gefunden hatte,und kehrte zurück.Das ReichssippenamtIn Auchwitz war Franz GrossmannHäftling Nummer 107566 und inMauthausen die Nummer 123861.Das Verfahren zur Klärung seinerAbstammung vor dem Reichssippenamt,von dem er meinte, dass deshalbseine Verlegung nach Birkenau zurVergasung immer wieder aufgeschobenwurde, zog sich bis Mitte 1944hin. Mit Abstammungsbescheid vom15. August 1944 stellte das Amt jedochfest: „Franz Helmut Israel Großmann(...) ist Jude.“ Franz junior hat


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 15ben. Den Söhnen Walter, geboren1896, und Hans, geboren 1902, war esgelungen, vor Beginn des Krieges ausDeutschland zu emigrieren. Als zweitesArgument für die waghalsigeBehauptung, ihr Mann sei ein angenommenesKind, hatte Maria Grossmanndem Antrag ein Foto von HansGrossmann beigelegt, „mit dem Hinweis,daß der Prüfling ein ganz andererTyp sei als sein Bruder, der tatsächlichvon den gesetzlichen jüdischen Elternabstamme, und daß es sich um zweiganz verschiedene Menschen handele,die unmöglich von den gleichen Elternabstammen könnten“, so die Darstellungdes Amtes in dem abschlägigenBescheid.Eine von Maria Grossmann beantragte„Blutgruppen- bezw. Erb- undrassenkundliche Untersuchung“ wurdeabgelehnt, weil die Voraussetzungenfehlten. Das heißt, weil „die maßgebendenPersonen (insbesondere dieangeblichen und die auszuschließendenEltern des Prüflings - die Mutterist nach dem Osten ausgesiedelt -)“*nicht für eine Untersuchung greifbarwaren. „Berechtigte Zweifel an der gesetzmäßigenvolljüdischen Abstammungdes Prüflings bestehen nicht. Sonachergibt sich die oben festgestellterassische Einordnung des Prüflings alsJude“, verfügt abschließend ein Dr.Kurt Maher in dem mit Stempel desReichssippenamtes und der Unterschrifteiner Kanzleiangestellten beglaubigten„Abstammungsbescheid“.Im Archiv in <strong>Auschwitz</strong> wurdeFranz GrossmanndieEchtheit vondrei Dokumentenmitdem Namenseines Vatersbestätigt, vondenen er bereitsKopienbesaß: einRöntgenbucheintragFranz Helmut Grossmann(um 1933/34)(ohne Befund),eineNotiz aus dem Häftlingskrankenbauin Monowitz und der Nachweis seinerVerlegung am 21. Oktober 1944 nachEintrachthütte. Zudem hat der ehemaligepolnische KZ-Häftling AntoniMakowski in seiner 1972 in Krakauerstellten Dissertation mehrfach Dr.Franz Grossmann erwähnt. Die Doktorarbeiterschien auf Deutsch 1975in „Hefte von <strong>Auschwitz</strong> 15“, herausgegebenvom Staatlichen Museum<strong>Auschwitz</strong> unter dem Titel „Organisation,Entwicklung und Tätigkeit desHäftlings-Krankenbaus in Monowitz(KL <strong>Auschwitz</strong> III)“.Franz Grossmann hat auch Kontaktzu Angehörigen seiner beiden indie USA ausgewanderten Onkel Walterund Hans Siegesmund. Er tauschtdie Ergebnisse seiner Nachforschungenüber die Familie vor allem mit einerKusine aus, die an der Columbia-Universität als Historikerin arbeitet.Hans Hirschmann* „ausgesiedelt“ ist die euphemistische Bezeichnung der Nazi-Behörden für dieDeportationen in die Vernichtungslager


16 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erJeder konnte es wissenZur Edition von Friedrich Kellners Tagebüchern (1939 - 1945)Ein Herausgeberteam der ArbeitsstelleHolocaustliteratur an der UniversitätGießen edierte die Tagebücher(1939 - 1945) des kleinen GerichtsbeamtenFriedrich Kellner. Sie sind imWallstein-Verlag unter dem Titel „Vernebelt,verdunkelt sind alle Hirne“ erschienen.Sie wurden in so gut wie allengroßen deutschsprachigen Zeitungenund Wochenmagazinengerühmt. Kellnerwird als „außergewöhnlicherChronist“gewürdigt, seine Notizenals „beachtlicheHinterlassenschaft“(Süddeutsche Zeitung),als „grandios“(Der Spiegel) und„Jahrhundert-Dokument“(Die Zeit).„Die großartig ediertenBände (...)gehören in jede deutscheBibliothek undmöglichst jede Bücherwand - neben dieTagebücher von Klemperer“, apelliertElke Schmitter im Spiegel. Auch in anderenBesprechungen werden KellnersEintragungen mit den Tagebüchern vonVictor Klemperer verglichen.Kellners festgehaltene Beobachtungenzeigen, wie viel der Normalbürgervon den Verbrechen des damaligendeutschen Staates hätte mitbekommenkönnen, wenn er dies denn gewollt hätte.In einem Interview der Zeit sagteder Historiker Peter Longerich: „KellnersTagebücher bestätigen, dass sehrviel mehr Informationen über die Verbrechenverfügbar waren, als man langeZeit angenommen hatte. Wobei man un-terscheiden muss zwischen bloßer Informationund tatsächlichem Wissen. Wissensetzt voraus, dass man sich Dinge ineinem unter Umständen mühsamen Prozessbewusst macht. Kellner las zum BeispielPropagandameldungen gegen denStrich, indem er ältere Tageszeitungsberichteheranzog oder auch Programmschriftenwie Hitlers ‘Mein Kampf’.“Auf die Frage wasandere Menschen davonabhielt es Kellnergleich zu tun, antworteteLongerich: „Unteranderem eine Artpsychischer Selbstblockade.Kellnerglaubte, dass Hitlernur durch eine militärischeNiederlagebeseitigt werden könne.Für die meistenDeutschen war dieseVorstellung wegen derdamit verbundenenSchrecken schwer zu akzeptieren. Vieleinfacher war es, über die Verbrechenhinwegzusehen.“Hans HirschmannFriedrich Kellner: „Vernebelt, verdunkeltsind alle Hirne.“ Tagebücher 1939- 1945. Herausgegeben von SaschaFeuchert, Robert Martin Scott Kellner,Erwin Leibfried, Jörg Riecke, MarkusRoth.Wallstein-Verlag, Göttingen <strong>2011</strong>.Zwei Bände, 1200 Seiten, 59,90 Euro.Die Edition wurde von der <strong>Lagergemeinschaft</strong><strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreisder <strong>Auschwitz</strong>er mit einemDruckkostenzuschuss gefördert.


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 17Markus Roth ist einer der Herausgeber von Friedrich Kellners Tagebüchern.Die Erstveröffentlichung des folgenden Beitrages erschien am 22. Juni <strong>2011</strong> in derWochenzeitung Die Zeit.„Vernebelt sind alle Hirne“Ein unbestechlicher Chronist einer gnadenlosen ZeitVon Markus RothFriedrich Kellner im Jahr1934. Foto: R.S. KellnerLaubach, Oberhessen, Anfang September1939. In seiner Dienstwohnungim Amtsgericht der kleinen Stadt beiGießen beginnt der JustizinspektorFriedrich Kellner damit, ein Tagebuchanzulegen.„Es ist heuteso“, schreibter, „daß dasLeben überhauptnichtmehr lebenswertist. Eindrangsaliertes,gequältes,eingeschüchtertes,überausunfreies Volksoll sich füreinen Tyrannen totschießen lassen. Terrorohnegleichen! Die Bonzen als Spitzel.Der anständige Deutsche hat kaummehr den Mut, überhaupt zu denken,geschweige denn etwas zu sprechen.“Wovor Sozialdemokraten wie Kellnerin den letzten Jahren der WeimarerRepublik immer gewarnt hatten, daswar nun eingetreten - mit dem Überfallauf Polen brach das NS-Regimeeinen Krieg vom Zaun, der MillionenMenschen das Leben kosten sollte.Friedrich Kellners an die 900 Seitenzählendes Tagebuch aus den Jahren1939 bis 1945 gehört zu den großenhistorischen Dokumenten des 20.Jahrhunderts,von Stil und Anlage herallenfalls vergleichbar mit den Aufzeichnungendes Celler IngenieursKarl Dürkefälden. Erst jetzt wird es,nachdem es lange in Familienbesitz gebliebenwar, endlich veröffentlicht.Kein unmittelbar Verfolgter sprichthier, wie etwa Victor Klemperer in seinemberühmten Journal, sondern eindeutscher Normalbürger, ein stiller,aber kritischer Beobachter tief in derProvinz. Sein Tagebuch wirft erneutdie Frage auf:Was konnte der Einzelnewährend der NS-Zeit wissen? Was laser in der Zeitung, hörte er im Radio(ohne heimlich den „Feindsendern“ zulauschen)? Was war von den großenVerbrechen in Erfahrung zu bringen,wenn ihm jeder Zugang zu den internenKreisen des Regimes fehlte?Im Unterschied zu Klemperer warKellner auch kein Intellektueller ausgroßbürgerlichem Haus. Geboren wurdeer 1885 in Vaihingen an der Enz, inder Nähe von Stuttgart. Sein Vater arbeiteteals Bäcker, seine Mutter alsDienstmädchen. 1889 zogen die Kellnersnach Mainz, wo Friedrich VolksundOberrealschule besuchte. 1903 beganner seine Ausbildung als Gerichtsschreiberin Mainz. Nach dem obligatorischenVorbereitungsdienst von dreiJahren und der einjährigen Militärzeitfand er Anstellung am Mainzer Gericht.Hier arbeitete er bis 1932, zwischenzeitlichbefördert zum Justizinspektor.Ob bereits sein Vater Sympathienfür die Arbeiterbewegung gehegthatte, ist nicht bekannt, Friedrich


18 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erDiesen Ausschnitt aus dem Fachperiodikum „Deutsche Justiz, Nr. 38, 1942“ klebteFriedrich Kellner am 25. September 1942 in sein Tagebuch. Er notierte dazu am Rand:„Die sogenannte ‘Bereinigung“ Europas von Juden wird ein dunkles Kapitel in derMenschheitsgeschichte bleiben.Wenn wir in Europa soweit sind, daß wir Menschen einfach beseitigen, dann ist Europarettungslos verloren. Heute sind es die Juden, morgen ist es ein anderer schwacher Volksstamm,der ausgerottet wird. Die Nazis sagen, die Juden haben sich eingenistet? Sind dieDeutschen nicht gerade im Begriffe im Osten sich einen Ostraum zu schaffen und dort‘einzunisten’?“ (aus Band 1 der edierten Tagebücher, S. 314)


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 19jedenfalls schloss sich bald nach demEnde des Ersten Weltkriegs, in dem erbrav gedient hatte, der SPD an und engagiertesich aktiv für sie.Wenige Tage vor dem MachtantrittHitlers versetzte ihn das Justizministeriumnach Laubach im Kreis Schotten.Friedrich Kellner und seine Frau Paulinezogen in die Kleinstadt, wo dieNSDAP schon in den Reichstagswahlenim Juli 1932 mehr als 70 Prozent derStimmen bekommen hatte. Doch wussteman hier nichts von Kellners Einsatzfür die SPD oder veranschlagte ihn gering,sodass er die nach 1933 rasch einsetzendenSäuberungen in Verwaltungund Justiz unbeschadet überstand.Dass der neue Bürger der Stadtoffenkundig kein glühender Anhängerder „Bewegung“ war, merkten seineVorgesetzten und die Parteigewaltigenin der Provinz freilich rasch, widersetztesich Kellner doch beharrlich dem Drängen,in die Partei einzutreten. Lediglichdem wiederholten Druck, endlich derNationalsozialistischen Volkswohlfahrt(NSV) beizutreten, da, wie man ihm imJuli 1935 schrieb, „es nach unserenErfahrungen heute keinen Beamten, insbesonderekeinen Mittleren Beamtenmehr geben dürfte, der nicht der N.S.V.als Mitglied angehört“, gab er schließlichnach, ohne sich jedoch jemals in irgendeinerForm zu engagieren.Obwohl sein Lebenslauf dem Hunderttausendereinfacher und mittlererBeamter glich, die in Scharen in den erstenTagen und Wochen nach HitlersMachtantritt in die NSDAP drängtenund seiner Politik zujubelten, widerstandKellner den kleinen und großenVersuchungen; die Erfolge auf demArbeitsmarkt, in der Sozialpolitik oderin der Außenpolitik blendeten ihnnicht. Diese Haltung ließ er immer wiederin Gesprächen durchblicken, sodassden Gewaltigen in Laubach klar werdenkonnte, dass sie es mit einem Regimegegnerzu tun hatten. Sie bekamenihn jedoch nicht richtig „zu packen“,wie die Kreisleitung der NSDAP derLaubacher Ortsgruppe 1940 bedauerndauf deren Ansinnen mitteilte,Kellner in „Schutzhaft“ nehmen zu lassen.„Menschen vom Typ Kellner“ seien„viel zu intelligent“, als dass sie „sichgreifbar schuldig machten“. So vertrösteteman denn auf die Zeit nach demKrieg: „Wenn wir Leute vom SchlageKellner fassen wollen, müssen wir sieaus ihren Schlupfwinkeln herauslockenund schuldig werden lassen. Ein andererWeg steht zur Zeit nicht offen. Zu einemVorgehen ähnlich dem seinerzeit gegendie Juden ist die Zeit noch nicht reif. Daskann erst nach dem Krieg erfolgen.“Schreiben gegen dieLügen einer ‘heroischen Zeit’Unterdessen machte sich Kellner daran,seine Chronik anzulegen: für denseit 1936 in den USA lebenden Sohn,aber auch für die Allgemeinheit. „DerSinn meiner Niederschrift ist der,augenblickliche Stimmungsbilder ausmeiner Umgebung festzuhalten, damiteine spätere Zeit nicht in die Versuchungkommt, ein ‘großes Geschehen’heraus zu konstruieren (eine ‘heroischeZeit’ od. dergl.).“Zufällig Gehörtes, Gespräche undvor allem die jedermann zugänglichenZeitungen waren Kellners Quellen. Erverfügte weder über Einblick inGeheimdokumente, noch konnte er -wie die Exil-SPD für ihre Deutschland-Berichte auf ein Netz von Zuträgernzurückgreifen. Der entscheidendeUnterschied zu den meisten anderen„Volksgenossen“ war wohl, dass Kell-


20 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erner mit wachem Verstand die NS-Propagandalas und nicht an der allgemeinverbreiteten Amnesie litt. Im Gegenteil:Die jeweils aktuelle Propagandawellesetzte er in Beziehung zu dem, was oftnur wenige Wochen zuvor berichtetworden war oder was die NS-Funktionärevor Jahren gesagt und geschriebenhatten. So konnte, gleichsam alsZeitungsphilologe, ein einfacher Mannohne höhere Schulbildung den wahrenKern des Regimes erkennen.Stand zunächst die Haltung derLaubacher im Vordergrund, ging esihm bald schon um das Ganze: die Verlogenheitder Propaganda und dieVerbrechen des NS-Staates. Und immerwieder auch um eine zukünftigeAbrechnung mit dessen Vordenkern,Vollstreckern und Nutznießern.Ihm ist klar: Es geht um die„Ausrottung der Juden und Polen“Ein stetig wiederkehrendes Thema istder Luftkrieg. Am 1. September 1940schreibt Kellner dazu: „Wenn in denHeeresberichten und in den Zeitungender Flugwaffe täglich gedacht wird, sowird hierdurch der Versuch gemacht,Eindruck hervorzurufen. Unsere Fliegerlegen nach den Meldungen alles inSchutt und Asche. Der Gegner trifft nurfreies Feld, Friedhöfe oder Krankenhäuser.“Der immer aggressiveren Propagandavon den „englischen Luftpiraten“hält er zwei Wochen später entgegen:„Sobald ein Amtsträger oder Parteigenosseeinem Fliegerangriff zumOpfer fällt, wird in den parteiamtlichenTodesanzeigen von ‘englischen Luftpiraten’und ‘feigen Bombenangriffenbritischer Nachtpiraten’ gesprochen.Das mag vielleicht auf den einen oderanderen harmlosen Deutschen noch einengewissen Eindruck machen, es wirdaber wohl außerhalb der Grenzen desdeutschen Reiches kaum einen halbwegsvernünftigen Menschen geben, der etwazwischen einem Bombenangriff aufLondon und einem solchen auf deutscheStädte einen Unterschied herausfindenkönnte. Es ist also einfältig, auchnur ein Wort des Unmutes über die Angriffezu sagen. Wünscht man keinenFliegerangriff, dann darf man keinenKrieg machen. Wer hat übrigens dieBewohner Polens mit Flugzeugen angegriffen??Waren diese Flieger auch Piraten?Oder in Holland (Rotterdam)?“Selbst als die Bombardements späterzunehmen und seine eigene Verwandtschaftin Mainz betroffen ist, hältKellner an seiner Überzeugung fest. Erverspottet all diejenigen, die über „Terrorangriffe“lamentieren, aber vorherüber die deutschen Luftschläge gegendie englischen Städte frohlockt haben.Methodisch raffiniert und erfinderisch,mit einem feinen Gespür für dieSprache bedient sich Kellner unscheinbarerDinge bei seiner Analyseder Kriegswirklichkeit im Alltag undder Einstellung seiner Mitmenschen.Er liest aufmerksam die Todesanzeigenin der regionalen und überregionalenPresse und zieht daraus seineSchluss-folgerungen. Im Sommer 1941stellt er bei der Lektüre der Trauerformelnein „buntes Gemisch“ in der„Geistesverfassung der Hinterbliebenen“fest. Angewidert listet er dieWendungen auf: „Für seinen geliebtenFührer“, „Für sein teures Vaterland u.den festen Glauben an den SiegDeutschlands“ und sogar „Im Kampfgegen den Bolschewismus u. das Untermenschentum“.Dass viele aus demTod der Hinterbliebenen „noch einpolitisches Geschäft“ machen wollen,sagt ihm viel über die Geisteshaltung


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 21Diesen Ausschnitt aus dem Völkischen Beobachter kommentiert Kellner wie folgt:„Gleiche Brüder, gleiche Kappen! Das portugiesische Nazischreiberlein muß natürlich -getreu den gegebenen Richtlinien - aus dem deutschen Rückzug einen grandiosen deutschenSieg machen. Was hätten die Nazis für ein Geschrei erhoben, wenn jemand im Jahre1941 behauptet haben würde, bei den russischen Rückzuge bis vor Moskau, da sei dieInitiative in den Händen der Russen gewesen. Es ist immer dasselbe Bild. die törichstenAuslassungen werden gedruckt, wenn sie nur den Schimmer einer Hoffnung auf Besserungder Lage durchblicken lassen. -“ (aus Band 2 der edierten Tagebücher, S. 677)seiner Zeitgenossen, die wenigen aber,die bereits 1941 auf solche Formelnverzichten, sieht er auch.Dass den maßlos übertriebenenVerlusten der Gegner keine Zahlender deutschen Verluste gegenübergestelltwerden, verurteilt er immer wieder.Schließlich behilft er sich mit einereigenen Berechnung. Im Oktober1941 zählt er alle im Hamburger Fremdenblattveröffentlichten Todesanzeigenzusammen und kommt auf 281.Auf dieser Grundlage rechnet er hoch- bei angenommenen 250 Zeitungenmit jeweils fünf Todesanzeigen pro Tagkommt er auf eine Zahl von mindestens30.000 gefallenen deutschen Soldatenin einem Monat, vergisst abernicht, anzumerken, dass die wahreZahl noch deutlich höher liegen müsse,da es nicht für jeden eine Todesanzeigegebe.So aufmerksam, wie Kellnerwährend des Krieges die Zeitläuftemithilfe der Presse verfolgte, ist anzunehmen,dass er auch in den ersten Jahrennach 1933 die Verbrechen des Regimesgenau beobachtet hatte: die Etablierungder Diktatur, die Ausschaltungder politischen Gegner, die Verfolgungund Entrechtung der Juden, die Errichtungvon Konzentrationslagern undvieles mehr. Unstrittig ist, dass hiervonalle Zeitgenossen wussten, wenn auch


22 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erdie Zustände in den KZs nicht im Detailbekannt waren.Die Massenverbrechen währendder Kriegszeit aber, vor allem denMord an den Behinderten und die Vernichtungder europäischen Juden, wolltedas Regime unbedingt geheim halten.Selbst intern bedienten sich die Tätereiner Art Geheimsprache. Dasmachte es vielen Deutschen nach 1945einfach, pauschal abzustreiten, „davon“etwas gewusst zu haben. Die Forschungender letzten zwei Jahrzehnte indeshaben hinreichend gezeigt, dass jederwissen konnte, der wissen wollte - mituntersehr detailliert. Fest steht auch:Die „Volksgemeinschaft“ hatte begriffen,dass den Juden „nichts Gutes“widerfuhr. Friedrich Kellners Tagebüchernun belegen eindrücklich, wasman alles wann und wo in Erfahrungbringen konnte.Auf ganzer Linie gescheitert war derVersuch des Regimes, den Mord an denBehinderten und unheilbar Kranken zuvertuschen. Seit Herbst 1939 tötetenÄrzte und Pfleger in sechs über das gesamteReichsgebiet verteilten Mordzentrenbis Ende August 1941 mindestens70.000 Menschen in Gaskammernund äscherten ihre Leichen anschließendein. Nördlich von Wiesbaden, inder Heil- und Pflegeanstalt Hadamar,wurden innerhalb weniger Monate vonDezember 1940 bis zum Frühjahr 1941rund 10.000 Patienten umgebracht, wasdie Menschen der Umgebung sehr baldwussten. Dieses Wissen verbreitete sichüber die Region hinaus.Spätestens im Juni 1941 hörte FriedrichKellner davon. Am 10. Junischreibt er: „In letzter Zeit mehren sichdie Anzeigen über Todesfälle in der HeilundPflegeanstalt in Hadamar. Es hatden Anschein, daß unheilbare Pflegebefohlenein diese Anstalt gebracht werden.Auchsoll eine Anlage zur Einäscherungeingebaut worden sein.“ In den folgendenWochen erreichen Kellner weitereInformationen, die sich schließlichEnde Juli 1941 zur Gewissheit verdichten,dass in Hadamar und andernortsUngeheuerliches vor sich geht: „Die‘Heil- und Pflegeanstalten’ sind zuMordzentralen geworden. Wie ich erfahre,hatte eine Familie ihren geistig erkranktenSohn aus einer derartigenAnstalt in ihr Haus zurückgeholt. Nacheiniger Zeit erhielt diese Familie von derAnstalt eine Nachricht des Inhalts, daßihr Sohn verstorben sei und die Ascheihnen zugestellt! Das Büro hatte vergessen,den Namen auf der Todesliste zustreichen. Auf diese Weise ist die beabsichtigtevorsätzliche Tötung ans Tageslichtgekommen.“Zur selben Zeit, unmittelbar nachdem Überfall auf die Sowjetunion, erreichtdie Verfolgung der Juden eineneue Eskalationsstufe. In Polen undden besetzten sowjetischen Gebietenbeginnt der Holocaust - HunderttausendeMenschen werden erschossen.Das Wissen von diesen Morden dringtbald schon ins Reich, bis in die Provinz.So auch zu Kellner, der am 28.Oktober 1941 schreibt: „Ein in Urlaubbefindlicher Soldat berichtet als Augenzeugefürchterliche Grausamkeiten indem besetzten Gebiet in Polen. Er hatgesehen, wie nackte Juden u. Jüdinnen,die vor einem langen, tiefen Grabenaufgestellt wurden, auf Befehl der SSvon Ukrainern in den Hinterkopfgeschossen wurden u. in den Grabenfielen. Der Graben wurde dann zugeschaufelt.Aus den Gräben drangen oftnoch Schreie!!“Für Kellner gibt es da nur eins: diekonsequente Verfolgung der Täter.


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 23Auch die breite Masse der Bevölkerungwill er nicht aus der Verantwortungentlassen: „Es gibt keine Strafe, diehart genug wäre, bei diesen Nazi-Bestienangewendet zu werden. Natürlich müssenbei der Vergeltung auch wieder dieUnschuldigen mitleiden. 99 Prozent derdeutschen Bevölkerung tragen mittelbaroder unmittelbar die Schuld an denheutigen Zuständen.“In den folgenden Wochen und Monatenverfolgt er das Schicksal der Juden,etwa Deportationen aus Frankfurtund Kassel. Was im Herbst und Winter1941 vielleicht noch eine Ahnung gewesensein mag, ist im Mai 1942 für ihnschreckliche Gewissheit: Die Maßnahmenund Massaker haben System undzielen auf die vollständige Ermordungder Juden ab. Die verordnete Streichungvon Lebensmittelzulagen fürschwangere Jüdinnen und Polinnenkommentiert er lakonisch: „Das kannwohl unter das Kapitel ‘Ausrottung derJuden und Polen’ gebracht werden.“Die Abrechnung mit dem NS-Regimemuss gründlich und unerbittlich seinIm September 1942 erfasst der Mordapparatauch Kellners unmittelbareUmgebung. Aus Laubach werden zweijüdische Familien deportiert. SeinemEntsetzen und Zorn macht Kellner inseinem Tagebuch Luft: „In den letztenTagen sind die Juden unseres Bezirksabtransportiert worden.Von hier warenes die Familien Strauß u. Heinemann.Von gut unterrichteter Seite hörte ich,daß sämtliche Juden nach Polen gebrachtu. dort von SS-Formationen ermordetwürden. Diese Grausamkeit istfurchtbar. Solche Schandtaten werdennie aus dem Buche der Menschheit getilgtwerden können. Unsere Mörderregierunghat den Namen ‘Deutschland’für alle Zeiten besudelt. Für einen anständigenDeutschen ist es unfaßbar,daß niemand dem Treiben der Hitler-Banditen Einhalt gebietet.“Solche Verbrechen, das stand fürKellner unverrückbar fest, musstengeahndet werden, die Abrechnung mitdem NS-Regime musste gründlich undunerbittlich sein. Hiervon hatte er einerecht genaue Vorstellung. Wohl nichtzufällig stellte er im Sommer 1941, alsihn die Nachrichten der Massenverbrechenerreichten, einen ersten Katalogan Maßnahmen dazu auf: Auflösungder NSDAP, Anklage der NS-Verbrechen, Inhaftierung beziehungsweiseÜberwachung der Parteifunktionäre.Außerdem seien Sühneleistungen,sei die Wiedergutmachung„sofort in Angriff zu nehmen“, und dieVerwaltungsführung habe auf unbescholteneBürger überzugehen, vornehmlichrückkehrende Emigranten.Immerhin: Für ihn selber erfülltesich dieser Wunsch. Er wurde nachJahren der Kaltstellung befördert undbekam sogar eine „Wiedergutmachung“.Eine kurze Zeit lang war erder stellvertretende Bürgermeistervon Laubach. 1970 starb FriedrichKellner - ein ganz normaler Deutscherund unbestechlicher Chronist einergnadenlosen Zeit.Markus Roth istHistoriker, stellvertretenderLeiter derArbeitsstelle Holocaustliteraturan derUniversität Gießenund wissenschaftlicherMitarbeiterdes Herder-Institutsin Marburg.


24 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erNeugewählter VorstandAlexander Wolf tritt Nachfolge von Diethardt Stamm anUwe Hartwig aus Ober-Mörlen(Wetteraukreis/Hessen) wurde bei derMitgliederversammlung der <strong>Lagergemeinschaft</strong><strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreisder <strong>Auschwitz</strong>er für zwei weitereJahre in seinem Amt als Vorsitzenderbestätigt. Zum neuen stellvertretendenVorsitzenden wurde der Dipolm-Betriebswirt Alexander Wolf ausWiesbaden gewählt.Er tritt die Nachfolge von DiethardtStamm (Münzenberg) an, der „ein gefühlteshalbes Jahrhundert“ zunächstals Beisitzer und ab 1999 als 2. Vorsitzenderamtierte. Stamm kandidiertenicht mehr, da er künftig immer wiederfür mehrere Wochen und teilweise auchMonate im Ausland tätig sein wird unddeshalb nur sehr eingeschränkt im Vorstandmitarbeiten könnte. Er werdeaber weiterhin als Ansprechpartner fürVereinsangelegenheiten zur Verfügungstehen,bekräftigte er der Versammlung.Alexander Wolf ist seit 1985 Mitglieddes Freundeskreises der <strong>Auschwitz</strong>er,nachdemer den Vereinsgründerund ehemaligen <strong>Auschwitz</strong>-HäftlingHermann Reineck (1919 - 1995) beiDiethardt Stamm 2007 mit Noach Flug,Vorsitzenderdes Internat.<strong>Auschwitz</strong>-Komitees.Uwe Hartwig mit dem <strong>Auschwitz</strong>-HäftlingJozef Paczynski, den LagerkommandantHöss als seinen Friseur bestimmte.einer Ausstellung kennengelernt hatte.Komplettiert wird der geschäftsführendenVorstand der <strong>Lagergemeinschaft</strong><strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der<strong>Auschwitz</strong>er durch den wiedergewähltenKassierer Matthias Tiessen (Frankfurt/Main).Neu als Beisitzer wurde NeithardDahlen (Butzbach) gewählt. WieDiethardt Stamm zählt er zwar nichtzum direkten Kreis der Vereinsgründer,wurde jedoch kurz nach Gründung Endeder 1970er Jahre Mitglied und war inden 1980er Jahren stark engagiert.Nachdem er die letzten Jahren lediglichpassives Mitglied war, wird er sich nunwieder stärker in die Vereinsarbeit einbringen.Als Beisitzer bestätigt wurden beider Versammlung Angelika Berghofer-Sierra (Frankfurt/Main), WolfgangGehrke (Gedern),Gerhard Herr (Wetzlar),Hans Hirschmann (Bad Vilbel),Martina Hörber (Mühlheim am Main)und Ulrich Vogel (Neu-Isenburg).


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 25Die ersten zehn Minuten mit Hermann ReineckUnsere neuen Vorstandsmitglieder stellen sich vorAlexander Wolf in Krakau im Gespräch mit dem ehemlaigenKZ-Gefangenen Karol KowalskiIch kann mich noch gutdaran erinnern, als ich aneinem kalten aber sonnigenJanuartag im Jahre1985 in Frankfurt am Mainam Karmeliterkloster vorbeigegangenbin und denHinweis auf eine Ausstellungmit Fotos und Dokumentenüber <strong>Auschwitz</strong>gelesen habe. Da ich schonviel über den deutschenFaschismus gelesen undmich auch während meinesStudiums damit befasste,war es für mich klar, dieAusstellung anzusehen. Es dauerte keinezehn Minuten und ich war Mitgliedder <strong>Lagergemeinschaft</strong> Ausschwitz -Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er.Offenbar hatte mich jemand beobachtet,als ich wieder einmal bei meinerFreundin mit all meinem Wissen glänzenwollte, ihr von Büchern wie WieslavKielars Anus Mundi, DanutaCzechs „Kalendarium“, Eugen Kogons„Der SS-Staat“ usw. usf. erzählte. Dastand er dann hinter mir und hörte mirzu, unser Gründer Hermann Reineck.Er sprach mich an: „Sie wissen aberschon viel über die Geschichte derKonzentrationslager, aber ich glaube,dass Sie von mir noch viel mehr erfahrenkönnen.“ Es dauerte auch hiernicht lange und Hermann Reineck zoguns in den Bann mit seinen Erzählungenüber seine schlimmen Erfahrungenin <strong>Auschwitz</strong> als Häftling. „Achja“, sagte er dann zwischendurch, „bevorwir es vergessen, hier bitte nochunterschreiben. Wir brauchen informiertejunge Leute.“ Das waren diezehn Minuten, die ich in meinem Lebennie vergessen werde. Wir bliebendann noch sehr lange in der Ausstellungwährend Hermann einer Gruppedie einzelnen Tafeln und Exponate erläuterte.Viele von uns, die ihn noch kennenlernen konnten, werden mir beipflichten,welch beeindruckende Persönlichkeitener und seine Frau gewesensind. Sie hielten den anfangs kleinenKreis von Gleichgesinnten zusammen,gründeten den Verein und ließenihn als gemeinnützig anerkennen.Jetzt, nach vielen Jahren, bin ichselbst im Vorstand der LGA um dasErbe von beiden weiterzugeben. Dabeimöchte ich meinen Schwerpunktauf die Studienfahrten und auf dieGewinnung jüngerer Menschen für


26 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erdie Arbeit in der LGA legen.Intensiv will ich auch Kontakte mitfrüheren KZ- und NS-Häftlingen aufnehmenund pflegen. Hier ist es mir beider Studienfahrt im Frühjahr diesesJahres gelungen einen Zeitzeugen zugewinnen, mit dem die LGA nochnicht nähere in Kontakt war. Mit einemweiteren Überlenden aus dem GhettoLodz bin ich ebenfalls in Verbindung.Für die nächste Studienreise im April2012 können wir jedenfalls einen vonbeiden schon in der InternationalenBegegnungsstätte in Oswiecim zu seinenErfahrungen in <strong>Auschwitz</strong> undSachsenhausen hören.Große Freude bereitete mir auchdie Gruppe der Studierenden, die beider jüngsten Studienfahrt im Herbstmit dabei war und die sich insbesondersfür das Thema Monowitz/IG-Farben interessiert. Während unsererStudienreise im Oktober <strong>2011</strong> gab eseinen regen Austausch und auch entsprechendeBesichtigungen vor Ort.Ich jedenfalls kann nach <strong>Auschwitz</strong>nicht mehr ohne Widerstand leben gegenBestrebunen, nach denen endlichein Schlussstrich zu diesen Verbrechengegen die Menschheit gezogen werdensoll. Es ist auch die Verantwortungmeiner Generation, dass nicht vergessenwird und dass alles Wissen und Erfahrenevon uns der jüngeren Generationweitgegeben und unsere Erinnerungskulturwachgehalten und in dieZukunft weitergetragen werden.Alexander WolfMeine Empfindungen zu <strong>Auschwitz</strong><strong>Auschwitz</strong> - Ein Wort von ungeheurnegativer Faszination. Eine Faszinationdes Schreckens, des wechselseitigen(nicht) Wissenwollens.Seit meiner Kindheit begleitetemich dieses Gefühl. Das Verstehenwollen,was steckt dahinter, wie konnte esdazu kommen? Und das Wichtigste:Hätte ich selbst Täter sein können?Die Antworten darauf waren niezufrieden stellend. 1979 auf einer derersten Ausstellungen der <strong>Lagergemeinschaft</strong>lernte ich Hermann Reineck undAnni Rossmann kennen und trat demnoch sehr jungen Verein bei. In der Folgeengagierte ich mich für einige Jahreintensiv für <strong>Auschwitz</strong> und war fast täglichmit Hermann und Anni zusammen.So erhielt ich viele Antworten,auch auf noch nicht gestellte Fragen.In den Jahren 1981 und 1982,während des Kriegsrechtes in Polen,organisierten wir zwei große medizinischeHilfstransporte für das Gabriela-Narutowicza-Szpital. Dabei lernte ichauch das Konzentrations- und Vernichtungslager<strong>Auschwitz</strong> unter der persönlichenFührung von Hermann, also auserster Hand, kennen. Ich ließ micherschüttern. - Zum Beispiel im Stehbunker.Ein Raum mit einer Grundflächevon weniger als einem Quadratmeterund zum Hineinkrabbeln einerÖffnung vom Boden bis zu einer Höhevon rund 40 Zentimetern. In diesenStrafbunker wurden vier Häftlingehineingezwungen, die nach drei Tagentot waren.Würde ich das aushalten? Ich krabbeltein den Stehbunker, aber länger alseine Minute ging es nicht.Die persönlicheErschütterung, das Schreckens-


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 27ausmaß ungefähr zu erkennen, machtenicht nur betroffen, sondern beantwortetemir selbst auch - in der Konsequenzdes Hinterfragens - die Frage, obich selbst hätte Täter sein können. Leider,leider muss ich das bejahen!Das Auseinanderfallen des östlichenMachtblocks und die immer nochzukünftig - gewünschte,aber historischnotwendige - enge Freundschaft derDeutschen mit Polen und das allgemeineInteresse der Weltöffentlichkeitam Holocaust, haben eine Entwicklungbeg¸nstigt,dass die Deutschen mit<strong>Auschwitz</strong> nun doch mit der gebotenenAufmerksamkeit und Rücksichtnahmeund hoffentlich auch in der gebotenenWürde umgehen werden.Hermann Reineck sagte einmal:„In<strong>Auschwitz</strong> starben die Besten“. Ermeinte damit die Besten von uns Allen.Die Besten von Deutschland, die Be-Neithard Dahlen, seit Herbst dieses Jahreswieder aktiv in der Vereinsarbeit.sten von Europa, die Besten der Welt.Es waren also nicht irgendwelche AN-DEREN, sondern es war unsere „Elite“!Und wir haben immer noch nichtden eigenen Verlust begriffen.Neithard DahlenDie Seele der DingeÉva Fahidis Buch liegt nun auch in deutscher Übersetzung vorZum Thema <strong>Auschwitz</strong> gibt es vielLiteratur, sowohl wissenschaftliche Abhandlungenals auch Berichte über Einzelschicksale.Sie sind immer wiederwichtig, weil sie trotz des Unfassbaren,was einem Menschen widerfahrenkann, die Chance bieten, die Abläufeder Mordmaschinerie des Dritten Reichesnachzuvollziehen. Das einzelneSchicksal lässt auch den weniger informiertenLesern und Leserinnen das verbrecherischeSystem deutlich werden,ohne dass sie mit der Summe der Verbrechenverständnislos alleine gelassenwerden. <strong>Auschwitz</strong> als Ganzes nachzuvollziehenoder gar im Detail zu verstehen,ist fast unmöglich. Deshalb sind dieBerichte von Menschen darüber,was siepersönlich erfahren haben, wichtig fürdie Nachgeborenen.Eine solche persönliche Darstellungliegt nun von der Ungarin Éva Pusztaivor, die auf Deutsch unter ihrem GeburtsnamenÉva Fahidi und dem Titel„Die Seele der Dinge“ veröffentlichtwurde. Éva lernten wir bei einer Tagungdes Internationalen <strong>Auschwitz</strong>-Komiteeskennen. Da sie schon seit ihrerKindheit sehr gut Deutsch spricht, ludenwir sie 2008 ein und vermittelten inder Wetterau mehrere Gespräche mitSchulklassen. Des Weiteren sprach sie


28 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erÉva vor dem Eingangsgebäude von Birkenau. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2002am 9. November bei einer Gedenkveranstaltungin Butzbach (siehe Mitteilungsblatt2/2008).Ihr Buch schafft nun erneut Betroffenheitund zeigt viele neue Gesichtspunkte.Da geht es nicht um eine Aneinanderreihungvon Berichten überGräueltaten, die sind eher „beiläufig“erwähnt; aber man bekommt einenEinblick „in die Seele der Dinge“. Die„Dinge“ sind die mit wenig Dramatikdargestellten Erlebnisse. Zum Beispielauf dem riesigen Appellplatzes in <strong>Auschwitz</strong>,wo man nicht nur „einfach so“stundenlang steht, sondern „splitternackt“.Undwas das bedeutet,stellt einganzer Absatz mit persönlichen Gefühlendar.Der Leser ist schlagartig betroffen,ein Stück erschlagen und - erversteht etwas. Diese „Kleinigkeiten“in dem Buch sind es, die den Leser immerwieder denken lassen: Was wäre,wenn das mir passiert wäre?Da kommt Éva nach den Naziverbrechenund dem Kriegsende zurück indas Haus,in dem sie geboren wurde,undfliegt dort dank der nun kommunistischenMacht raus. Jetzt kommen Nachbarnins Spiel, die noch Bilder oder Gegenständehaben, die die ermordetenAngehörigen von Évas Familie zumindestberührt haben. Die Beschreibungeines solchen Gegenstandes, seiner Bedeutungund der „Seele“,die er nun hat,lässt mitfühlen, teilhaben und ein Stückwieder verstehen. Deshalb ist das Buchmit der Vielzahl solcher Berichte etwasBesonderes und Einmaliges.Hinzu kommt, dass wichtige Stationenin Évas Lebensweg vor, währendund nach dem II.Weltkrieg in Ungarn,aber auch in Deutschland, aufgezeigtwerden.Als von <strong>Auschwitz</strong> nach Stadtallendorfin Nordhessen deportierteZwangsarbeiterin berichtet sie auchüber den Umgang der Deutschen mit„ihrem“ Schicksal in den1990er Jahren,als Éva aufgrund einer Einladung an


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 291990 beim ersten Nachkriegsbesuch in Allendorfden Ort ihrer Peiniger zurückkehrte.Da kommt die Aufarbeitungder Nazi-Zeit inDeutschland gut weg - sehr imUnterschied zu der in Ungarn.Éva berichtet von ihrerwunderschönen und unbeschwertenJugend, als sie sowohlin der Stadt als auch inder Puszta lebte. Und dannfolgt immer abrupt „so etwas“:„In der Morgendämmerungdes 1. Juli 1944 auf der Rampevon <strong>Auschwitz</strong>-Birkenau warmeine Jugend vorbei.Alles wurdemit einer Handbewegung zunichte gemacht,mitder Handbewegung,durch dieMengele mich auf die eine, meine Elternund meine Schwester auf die andere Seiteschickte.“Die vielen Erinnerungen an eineschöne und behütete Kindheit werdenimmer wieder überlagert von den Tatender Nazis.Wenn sie von ihrem „Leben vor<strong>Auschwitz</strong>“ berichtet, erfährt man vieleDetails aus der Familiegeschichte, derFahidis „väterlicherseits“ - vom Onkelbis zum Großvater Abraham und seinenBrüdern, wie auch „mütterlicherseits“von der Familie Weisz. Liebevollesmischt sich mit kritischenPersonenbeschreibungen und paralleldazu Darstellungen mitten aus dem Lebenim Dorf und in der Kleinstadt. Manerfährt viel vom Leben der Juden inUngarn. Man fühlt sich beim Lesen einbisschen dabei, lernt viel über dasJudentum in Ungarn und findet vielesidyllisch - wie aus dem „richtigen“ Leben.Und dann, mitten in der Idylle undeher kurz beschrieben,die Konfrontationmit dem Tod, dem Tod der geradeüber das Buch kennen gelernten Personenund dem Tod in <strong>Auschwitz</strong>.Und dann gibt es noch eingeflochteneErlebnisse aus der Gegenwart: Alsca. 50 Jahre nach dem Krieg für eineEntschädigung ein Totenschein benötigtwird, kann er nicht ausgestellt werden,weil der Todesfall - in <strong>Auschwitz</strong> - nichtamtlich registriert wurde. Aber wenigstensbescheinigt die Gemeinde, dassder Großvater „abtransportiert“ wurdeund nicht mehr zurückkam.In diesem Buch ist <strong>Auschwitz</strong>einThema neben anderen Themen aus demLeben „der <strong>Auschwitz</strong>er“. Und diesmacht das Buch zu etwas Besonderem,das durch seine unüblichen Perspektivenverstehen hilft. Es ist ein Buch, dasviele Emotionen weckt und sowohl fürLeute, die sich schon lange mit <strong>Auschwitz</strong>beschäftigen, als auch für jungeMenschen,die sich erstmals für den Massenmordder Nazis an Stätten wie <strong>Auschwitz</strong>in Polen interessieren, geeignetist.Diethardt StammÉva Fahidi: Die Seele der Dinge,Lukas Verlag Berlin <strong>2011</strong>, ISBN 978-3-86732-098-6 16,90 Euro


30 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erAusstellungMuseum der Stadt Butzbach(Wetteraukreis)17. April - 1. Juli 2012Bei dieser regionalen Präsentationder Ausstellung des Fritz Bauer Institutsund des Hessischen Rundfunksist unter anderem auch die <strong>Lagergemeinschaft</strong><strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreisder <strong>Auschwitz</strong>er Mitveranstalter.„Da mein Sohn außerordentlich begabt ist, wie auch sein Lehrer bestätigt, bitteich Sie, mir das Klavier des evakuierten Juden zu überlassen“: Mit dieser Bittetrat 1942 ein Offenbacher Bürger an sein Finanzamt heran. Zu dieser Zeit warendie Finanzämter bereits mit der so genannten Verwertung des Eigentums derDeportierten befasst, das seit der 1941 erlassenen 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetzdem „Reich verfiel“. Überall kam es zu öffentlich angekündigtenAuktionen aus jüdischem Besitz:Tischwäsche,Möbel,Kinderspielzeug,Geschirr,Lebensmittel wechselten den Besitzer. Viele schrieben an die Finanzämter, umsich das begehrte Klavier oder die schönere Wohnung zu sichern.Vorausgegangen waren ab 1933 zahlreiche Gesetze und Verordnungen,die aufdie Ausplünderung jüdischer Bürger zielten.Umgesetzt wurden sie von Beamtender Finanzbehörden in Kooperation mit weiteren Institutionen. In der Folge verdientedas „Deutsche Reich“ durch die Reichsfluchtsteuer an denen, die es in dieEmigration trieb, wie an denen, die blieben, weil ihnen das Geld für die Auswanderungfehlte oder weil sie ihre Heimat trotz allem nicht verlassen wollten.Die Ausstellung gibt einen Einblick in die Geschichte des legalisierten Raubs,in die Lebensgeschichten von Tätern und Opfern.Eröffnung:Dienstag, 17. April, 19 UhrAlte Turnhalle, August-Storch-Str. 7Öffnungszeiten:Dienstag bis Sonntagvon 10 - 12 und 14 - 17 UhrSamstagvormittag undMontag geschlossenEintritt freiFür Schulen öffnet die Ausstellung auchaußerhalb der ÖffnungszeitenZur Ausstellung werden Gruppenführungenzum Preis von 40 Euro angeboten.Anmelde- und Informationstelefon:(06033) 994-250 (Museum der StadtButzbach) wochentags: 8.30 Uhr - 12Uhr, 14 Uhr - 17 Uhr


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 31BegleitprogrammDienstag, 24 April, 19 Uhr - Museum der Stadt ButzbachEröffnung des Begleitprogramms: Es spricht Landrat Joachim Arnold„Zuflucht am Bosporus“.Der Friedberger Jurist Ernst Hirsch in Diensten AtatürksVortrag von Dr. Joachim MeißnerEine Veranstaltung der <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> und des WetteraukreisesFreitag, 4. Mai, 19 Uhr - Museum der Stadt Butzbach, Färbgasse 16... als aus Nachbarn Juden wurden - Ausgrenzung, Flucht und Verfolgung derJuden aus Butzbach und Umgebung 1933-1945Vortrag mit Lichtbildern von Dr. Dieter WolfEine Veranstaltung des Geschichtsvereins für Butzbach und UmgebungDienstag, 15. Mai, 19 Uhr - Museum der Stadt ButzbachEugen Herman-Friede, Schriftsteller und Zeitzeuge, liest aus:Abgetaucht! Als U-Boot im WiderstandFreitag, 25. Mai, 19 Uhr - Kino Butzbach, Rossbrunnenstr. 3„Der große Raub“ (Hessischer Rundfunk, 2002)Filmvorführung in Anwesenheit der FilmemacherHenning Burk und Dietrich Wagner mit anschließender DiskussionEinführung: Karl Starzacher, Hessischer Finanzminister a.D.Samstag, 2. Juni, ab 19 Uhr - Treffpunkt Schlosssporthalle ButzbachZweiter Stolpersteinlauf gegen das VergessenEine Veranstaltung des Butzbacher Bündnisses für Demokratie und Toleranz inZusammenarbeit mit dem Lauftreff Butzbach und der Sportjugend Hessen.Mittwoch, 13. Juni, 19 Uhr - Museum der Stadt ButzbachErlebniswelt Rechtsextremismus. Hintergründe/Strategien/InterventionVortrag von Dr. Reiner Becker, wissenschaftl. Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaftan der Universität Marburg, Landeskoordinator desberatungsNetzwerk hessen - Mobile Intervention gegen RechtsextremismusEine Veranstaltung der Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung zu LichDienstag, 26. Juni, 19 Uhr - Chorraum der Evangelischen Markuskirche„Alles, was sie haben, haben sie uns gestolen und geraubt durch jren Wucher“(Martin Luther, 1543): Zur Tradition und Wirkung eines VorurteilsVortrag von Prof. Frey, Uni FrankfurtEine Veranstaltung der Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung zu Lich und der EvangelischenMarkus-Kirchengemeinde Butzbach


32 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erNoach Flug ist totPräsident des Internationalen <strong>Auschwitz</strong>-Komitees gestorbenNoach FlugDie <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> -Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er und alleMitgliedsorganisationen des Internationalen<strong>Auschwitz</strong>-Komitees trauern umNoach Flug. Der Präsident des IAK - erwurde 2002 in dieses Amt gewählt - starbam 11. August in Jerusalem.Noach Flug war1925 in Lodz geborenworden. Mit seiner jüdischenFamilie wurde ernach der Besetzung Polensdurch die Wehrmachtins Getto und späternach <strong>Auschwitz</strong>deportiert.Befreit wurdeer am 6. Mai 1945 im Lager Ebensee inÖsterreich. Er wog nur noch 32 Kilo. Erging nach Warschau und studierte Ökonomie,1958 siedelte er mit seiner Familienach Jerusalem über und trat in dendiplomatischen Dienst des Staates Israel.„In seiner rastlosen Tätigkeit - auchals Präsident der Holocaust-Überlebendenin Israel - ging es ihm vor allem umdie Erinnerung an die Ermordeten unddie Lebensumstände der Überlebenden:die finanzielle Entschädigung für alleüberlebenden Sklavenarbeiter des DrittenReiches war für ihn nicht in ersterLinie eine finanzielle Frage, sondern einProblem, das sich aus der Würde undder Verletzlichkeit der betroffenen Menschensowie ihrem tiefen Wunsch nachGerechtigkeit ergab“, würdigte ihn dasPräsidium des IAK in einer Pressemitteilung.Weiter heißt es dort: „Antisemitismusund Rassismus zu bekämpfenund die Toleranz unter den Menschenzu fördern - das waren seine Triebfedern.Er sprach - gemeinsam mit seinerFrau Dorotha, die ebenfalls <strong>Auschwitz</strong>überlebt hat - mit Jugendlichen in allerWelt ohne Aggression und Bitternis..“Zum Tod vonImo Moszkowicz und Franz von HammersteinMit dem Tod von Imo Moszkowiczam 11.Januar dieses Jahres haben wir einesder frühesten Mitglieder der <strong>Lagergemeinschaft</strong>verloren. Er starb in Münchenim Alter von 85 Jahren. Er warHäftling in <strong>Auschwitz</strong>-Buna, seine Mutterund seine sechs Geschwister wurdenermordet. In einer Mail schrieb er uns,dass die Schmerzen der Erinnerung„von Gedanke zu Gedanken, von HerzschlagzuHerzschlag, immer bittererwerden“. Er hat sich diesen Schmerzenzum Trotz seinen Erinnerung gestelltund öffentlich darüber gesprochen undgeschrieben (siehe Mitteilungsblatt vomAugust 2008). Die Jüdische Allgemeineschrieb in ihrem Nachruf (13. Januar<strong>2011</strong>) „Imo Moszkowicz war ein deutscherJude - vor und nach <strong>Auschwitz</strong>.“Nach der Befreiung machte er alsSchauspieler und Regisseur auf derBühne wie im Fernsehen Karriere.Zu betrauern hatten wir zudem denTod unseres ebenfalls langjährigen MitgliedsFranz von Hammerstein. Er starbam 15. August im Alter von 90 Jahren.Der Buchenwald-Häftling gehörte 1957zu den Gründungsvätern der „AktionSühnezeichen“.


<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 33Wir trauern um Alfred SchulzEr war Mitinitator des Härtefonds für vergessene NS-OpferAm 25. Juli dieses Jahres ist unserlangjähriger Vereinskamerad undFreund Alfred Schulz aus Reinbek beiHamburg verstorben. Er gehörte seitden Anfängen zur LGA und war wie soviele von uns durch Hermann und AnniReineck dazu gekommen. Sie hattenihn auch dazu bewogen in den Jahren1988 bis 1990 im Vorstand mitzuarbeiten.Dort hat er sehr engagiert mitgearbeitetund in einer kritischen Phase derVereinsgeschichte ganz entscheidendzum Erhalt und Fortbestand der LGAbeigetragen. Immer wieder hat er dieStrapazen der Reise von Kiel, wo erLandtagsabgeordneter und Vizepräsidentdes Landesparlaments war, bzw.von seinem Wohnort zu den Vorstandssitzungennach Frankfurt/Main auf sichgenommen.Ich selbst habe Alfred Mitte der1980er Jahre kennen und schätzen gelernt;gerne denke ich an Besuche vonihm und seiner Frau bei mir in Wetzlarbzw. meinerseits in Reinbek zurück.Seine umfangreichen politischen Beziehungenund sein gewinnendes undvermittelndes Wesen haben uns vieleTüren geöffnet bis in die höheren Kreiseder Bundespolitik. Dafür sei ihmnochmals herzlich gedankt.Gerne schließe ich mich der Würdigungdes Vorsitzenden der schleswigholsteinischenSPD-LandtagsfraktionRalf Stegner und des kirchenpolitischenSprechers derselben FraktionRolf Fischer an; sie sprechen mir ausdem Herzen:„Mit Alfred Schulz verlieren wir einenaufrechten und unermüdlichenStreiter für Minderheitenrechte undeinen Kämpfer für eine gerechte Welt.Erhat sich immer dafür eingesetzt,dass ausFremden Freunde werden und dassFlüchtlinge einen Platz in unsererGesellschaft finden. Er gehörte zu denen,die mit dem damaligen SozialministerGünther Jansen 1989 den Härtefondsfür die vergessenen NS-Opferinitiiert haben, dessen Beirat er jahrelangvorsaß. Bis vor kurzem hat er sichhier für Wiedergutmachungsansprücheeingesetzt.Alfred Schulz war Protestant undsteht als solcher in der Tradition vonKarl Barth und den großen religiösenSozialisten. Er war Gründungsmitglieddes Arbeitskreises ‘Kirche und SPD’und dessen langjäriger Vorsitzender -ein gesuchter Gesprächspartner auchauf Bundesebene.“Alfred Schulz war von Beruf Lehrer;von 1971 bis 1992 war er Mitglieddes schleswig-holsteinischen Landtags,1988 bis 1992 dessen Vizepräsident. Erwar zudem lange Jahre in Reinbek undim Kreistag von Stormarn kommunalpolitischaktiv. Er war Mitglied derSynode der Nordelbischen Kirche sowieMitglied im Sprecherkreis „Christenfür die Abrüstung“. Für sein Engagementwurde er mit der Bugenhagen-Medaille,der höchsten Auszeichnungder Nordelbischen Evangelisch-LutherischenKirche ausgezeichnet. Er warzudem Träger der Freiherr-vom-Stein-Medaille.Die Mitglieder der LGA trauernum ihn und werden ihn in guter Erinnerungbehalten. Unser Mitgefühl giltseiner Familie.Gerhard Herr


„Wer wird die nächste sein?“Zur Geschichte des Völkermords an den Roma und SintiVeranstaltung der <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der<strong>Auschwitz</strong>er anlässlich des 67. Jahrestages der Befreiung von <strong>Auschwitz</strong>Dienstag, 24. Januar 2012, 19.30 Uhr61118 Bad Vilbel, Kulturzentrum Alte Mühle, LohgasseDie Sintezza Anna Mettbach hat <strong>Auschwitz</strong> überlebtDie Schauspielerin Carolin Weber liest aus dem Buch„Wer wird die nächste sein?“ von Anna Mettbach/Josef BehringerDie AusstellungFrankfurt - <strong>Auschwitz</strong>ist zu sehen vom27. Januar - 28. Februar 2012in der Stadtbibliothek Bad Homburg, Dorotheenstraße 24Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 11 - 18 Uhr, samstags bis 14 UhrDie Ausstellung des Fördervereins Roma (Frankfurt) und des KünstlersBernd Rausch informiert exemplarisch am Beispiel von Frankfurt überdie Vernichtung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus. Der medialeBereich besteht aus vier Filmbeiträgen. Begleitmaterialien und Begleitveranstaltungen(Termine stehen noch nicht fest) vertiefen die visuelleund dokumentarische Präsentation.Legalisierter Raub -Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in HessenAusstellung des Hessischen Rundfunks und des Fritz-Bauer-Institus17. April 2012 - 1. Juli 2012Museum der Stadt Butzbach (Wetteraukreis), FärbgasseMit einer Veranstaltung der <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreisam Dienstag, 24.April, 19 Uhr (siehe S. 30 u. 31)(www.legalisierter-raub.hr-online.de oder www.fritz-bauer-institut.de)

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