Max Bill - gta fh heidelberg
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<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>_ „Homo Universalis“<br />
von<br />
Carsten a. Büttner<br />
Oktober 2007
die vorliegende studienarbeit wurde im<br />
fachbereich architektur der srh-hochschule <strong>heidelberg</strong>,<br />
lehrgebiet geschichte und theorie der architektur,<br />
als leistungsnachweis im prüfungsfach baugeschichte II<br />
von dr. dipl.ing. architekt upw nagel betreut.<br />
www.<strong>gta</strong>-<strong>fh</strong>-<strong>heidelberg</strong>-de.
Inhaltsverzeichnis_ Homo Universalis<br />
1. Einleitung 2<br />
2. Wer ist <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> 3<br />
2.1 Kurzbiografie 4<br />
2.2 Der Mensch 5<br />
2.3 Der Künstler 9<br />
2.4 Der Architekt 15<br />
3. <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> bis zum Bauhaus 19<br />
4. <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> nach dem Bauhaus als Künstler 28<br />
5. <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> nach dem Bauhaus als Architekt 55<br />
6. Schlusswort 131<br />
7. Literaturverzeichnis 132<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> neber seinem Portrait von Andy Warhol<br />
1
1_ Einleitung<br />
In der folgenden schriftlichen Ausarbeitung geht es um einen Mann, der die<br />
Kunst stets als sein Hobby ansah und in erster Linie die Berufsbezeichnung des<br />
Architekten für sich beanspruchte.<br />
Ungewöhnlicherweise hat er in seiner Architekturlaufbahn jedoch nur einige<br />
wenige Projekte realisieren können, während er mit seinem künstlerischen<br />
Hobby, der Malerei und der Plastik Weltruhm erlangte und unzählige Ehrungen<br />
und Preise erhielt.<br />
Doch jene Tätigkeitsfelder sollten im Verlauf seines Lebens noch durch<br />
unzählige andere Aktivitäten in der Gestaltung, der Politik und Pädagogik<br />
bereichert werden.<br />
In allem was <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> tat, spürte man stets die Anwesenheit von großer Hingabe<br />
und Leidenschaft und den Willen, etwas Besonderes und Einzigartiges zu<br />
erschaffen.<br />
<strong>Bill</strong> war bestrebt seine Umwelt zu gestalten und sie positiv mit seinen Talenten<br />
zu beeinflussen. Dies tat er sowohl in der Praxis wie auch in der Theorie.<br />
Nachfolgend soll zu erst die Person <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> durchleuchtet und eine<br />
Differenzierung zwischen dem Künstler und dem Architekten vollzogen werden.<br />
Darauf wird sein schöpferischer Werdegang thematisiert und die wichtigsten<br />
Stationen und Werke seiner Karriere aufgezeigt. Aufgrund der Mannigfaltigkeit<br />
seines Wirkens, wird dieses in die zwei Bereiche Architektur und Kunst<br />
aufgeteilt.<br />
2
2_ Wer ist <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>?<br />
Die meisten Künstler unserer Zeit sind nur mit einer einzigen Begabung<br />
bekannt geworden und haben internationale Anerkennung erhalten.<br />
Wenige haben dagegen mit zwei künstlerischen Begabungen weltweite<br />
Aufmerksamkeit erreicht. <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> dagegen ist nicht nur ein weltweit bekannter<br />
Schweizer Maler, Plastiker, Architekt und Schriftsteller, sondern außerdem auch<br />
Designer, Typograph, Ausstellungsgestalter, Bühnengestalter, Hochschulgründer,<br />
Politiker, Kunsthistoriker, Kunstpädagoge und Umweltgestalter, dem<br />
für sein Werk und Wirken bedeutende Ehrungen und Auszeichnungen zu teil<br />
wurden. 1<br />
„Die Schweiz ist nicht eben als das Land bekannt, das der Welt die großen<br />
Universalkünstler der Renaissance geschenkt hätte. Doch sofern Vielseitigkeit<br />
und Genialität Kriterien für diese ehrende Bezeichnung sein sollten, revanchiert<br />
sie sich im 20. Jahrhundert mit <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>.<br />
Doch vielleicht lässt sich, bei aller gebotener Vorsicht und allen historisch<br />
bedingten Unterschieden, doch auch eine tiefer gehende Verwandtschaft <strong>Bill</strong>s<br />
mit den Ahnen unserer Ästhetik, wie Leon Battista Alberti oder<br />
Leonardo da Vinci, erkennen. Es verbindet sie die Vorstellung von einer<br />
objektiven Schönheit des Kunstwerkes, die sich gründet auf einem<br />
wissenschaftlich abgeleiteten Formenkanon und auf die Versöhnung von Gefühl<br />
und Vernunft.“ 2<br />
Aufgrund seiner malerischen Qualitäten wurde er dreimal zu der schon damals<br />
angesehenen und trendsetzenden Documenta in Kassel eingeladen und wegen<br />
seiner skulpturalen Meisterleistungen überreichte man ihm in Tokyo den<br />
„preamium imperiale“, den Nobelpreis der Kunst. <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> wurde der große<br />
Preis der Kunstbiennale in Sao Paulo verliehen und seine äußere und innere<br />
Formgebung der Hochschule für Gestaltung in Ulm setzte in der Architektur<br />
Zeichen, und sein Ulmer Hocker, der in Zusammenarbeit mit Hans Gugelot<br />
entstand, sowie diverse Uhren wurden zu Design- Klassikern. 3<br />
„<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> war ein „Homo Universalis“ der Kunst.“ 4<br />
1 Thomas Buchsteiner, Vorwort, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Bildhauer, Architekt,…s.15, 2005<br />
2 Christoph Vitali, Zum Geleit, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>- Retrospektive s.7, 1987<br />
3 Thomas Buchsteiner, Vorwort, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Bildhauer, Architekt,…s.15, 2005<br />
4 Thomas Buchsteiner, Vorwort, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Bildhauer, Architekt,…s.15, 2005<br />
3
2.1_ Kurzbiographie<br />
1908 Geboren in Winterthur am 22. Dezember, Bürger von Moosseedorf (Bern)<br />
1924 - 27 Ausbildung zum Silberschmied an der Kunstgewerbeschule Zürich<br />
1927 - 28 Studium am Bauhaus, Hochschule für Gestaltung, Dessau<br />
ab1929 Übersiedlung nach Zürich.<br />
Tätig als freischaffender Architekt, Maler, Plastiker, Grafiker<br />
Grafische Ausstattungen von Bauten mit Vertretern des Neuen Bauens<br />
1931 Heirat mit der diplomierten Konzert-Cellistin und Fotografin Bina Spoerri<br />
1932/33 Bau seines Wohn- und Atelierhauses in Zürich- Höngg<br />
1932- 36 Beteiligung an deb Aktivitäten der Pariser Gruppe „abstraction création“<br />
1937 Beitritt zur „Allianz“, Vereinigung moderner Schweizer Künstler<br />
1942 Geburt des Sohnes Jakob<br />
1944/45 Lehrauftrag für Formlehre an der Kunstgewerbeschule Zürich<br />
Beginn der Tätigkeit als Produktdesigner<br />
1951 Grand Prix für Plastik der Bienale von São Paulo<br />
Großer Preis der Triennale di Milano<br />
1951 - 56 Mitbegründer und Architekt der Hochschule für Gestaltung, Ulm;<br />
ab 1952 Rektor und Leiter der Abteilung Architektur und Produktform<br />
1959 Beitritt zum BSA (Bund Schweizer Architekten)<br />
1961 - 64 Chefarchitekt des Sektors "Bilden und Gestalten" der schweizerischen<br />
Landesausstellung Lausanne, 1964<br />
1961 - 68 Mitglied des Gemeinderates von Zürich<br />
1964 Ehrenmitglied des American Institute of Architects<br />
1967/68 Bau seines Wohn- und Atelierhauses in Zumikon<br />
1967 - 71 Mitglied des schweizerischen Nationalrates<br />
1967 - 74 Professor an der staatlichen Hochschule für bildende Künste, Hamburg,<br />
Lehrstuhl für Umweltgestaltung<br />
1968 Kunstpreis der Stadt Zürich<br />
1972 Wahl zum Mitglied der Akademie der Künste, Berlin<br />
1979 Kulturpreis der Stadt Winterthur<br />
Mitglied des Vorstandes des Vereins Bauhaus- Archiv in Berlin<br />
Grosses Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland<br />
1982 Kaiserring der Stadt Goslar<br />
Belgischer Kronen- Orden<br />
1988 Tod von Binia <strong>Bill</strong><br />
1989 Piepenbrock- Preis für Plastik, Osnabrück<br />
1990 Helmut- Kraft- Preis für bildende Künste, Stuttgart<br />
1991 Ehrenurkunde der 19. internationalen Grafik-Biennale, ljubljana<br />
Heirat mit der Kunsthistorikerin Dr. Angela Thomas<br />
1993 Grand Prix d’honneur der 20. internationalen Grafik- Biennale, ljubljana<br />
1994 Dr. sc. tech. h.c. der eidgenössischen technischen Hochschule Zürich<br />
1994 Am 9. Dezember stirbt <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> in Zürich<br />
4
2.2_ Der Mensch<br />
In einem Journal wurde einmal die Schlagzeile veröffentlicht:<br />
„<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>- Der Karajan der bildenden Kunst.“<br />
Ein Mensch, der <strong>Bill</strong> nicht persönlich und ihn nur aus der erscheinenden Presse<br />
kannte, hatte oft ein falsches Bild vermittelt bekommen. Sein Wesen war frei<br />
von Arroganz, vielmehr Wärme, Klugheit, Witz, viel Weisheit und Charme<br />
sprühte seinem Gegenüber stets entgegen. Eine große Faszination ging von<br />
seiner Persönlichkeit aus. „Ein Mann, den man lieb haben musste.“<br />
Jedoch war er sehr verschwiegen und ausfragen ließ er sich erst recht nicht.<br />
Von <strong>Bill</strong> etwas zu erfahren setztes kluges und geschicktes Fragen voraus. 1<br />
„<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> ist ganz anders, als man ihn sich vorstellte auf Grund seines Werkes.“<br />
Als Mensch war <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> eher sehr unzugänglich. Und doch war er sehr direkt<br />
und angriffig in seinen Meinungen. Er verschanzte sich in immer höher<br />
werdenden Bergen von Büchern und Zeitschriften und Katalogen.<br />
„Er ließ sich mit Aufträgen und Aufgaben überhäufen, obwohl er wusste,<br />
auch wen er sich im momentanen Optimismus nicht eingestehen wollte,<br />
dass er nie alle zur rechten Zeit wird ausführen können.<br />
Zeit hatte er nie, und doch verlor er sich in stundenlangen Gesprächen mit Leuten,<br />
sehr oft jungen, denen es gelang, bis zu ihm vorzudringen und deren Fragen<br />
ihn immer interessierten. Am Telefon war er nicht zu sprechen, wenn die<br />
verzweifelten Terminmahner sich meldeten, und wenn es ihm zuviel wurde,<br />
dann ging er weg. Vom Büro nach Hause oder von zuhause ins Büro.“ 2<br />
1<br />
Michael Grüning, max <strong>Bill</strong>- zum 80.Geburtstag- Begegnung mit <strong>Bill</strong> s.8f, 1988<br />
2<br />
Margit Weinberg Staber, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>- Leben und Sprache s.22, 1989<br />
5
Im Büro erledigte <strong>Bill</strong> die architektonischen Aufträge, die Sekretariatsarbeiten<br />
und die publizistische Arbeit, zuhause in seinem Atelier, malte er und dachte<br />
sich seine Plastiken aus.<br />
Die künstlerische Arbeit ist für ihn nicht nur Hobby und Freiheitsraum, in dem er<br />
unabhängig von äußeren Ansprüchen seine eigenen Entscheidungen treffen<br />
konnte, sonder sie war auch Erholung von der Hektik des von ihm selbst<br />
heraufbeschworenen Alltagbetriebes und wenn er malte, dann war er für nichts<br />
anderes zu sprechen. Er verreiste, möglichst ohne zu hinterlassen, wo man ihn<br />
finden könnte und wann er zurückkäme.<br />
„Wenn jemand wirklich etwas von mir will, so pflegte er zu sagen, dann<br />
kann er warten oder kommt wieder.<br />
Jeden, der einmal mit <strong>Bill</strong> zu tun hatte, ein Buch oder einen Film über ihn<br />
machte, einen Artikel über ihn schreiben wollte, eine Ausstellung seines<br />
Werkes zu organisieren hatte, für die er dann in allerletzter Sekunde einen<br />
perfekten Katalog hervorzauberte, den erstaunt diese scheinbar<br />
unüberbrückbare Kluft zwischen Werk und Persönlichkeit.<br />
Es sieht so aus, als ob sich diese Gegensätze bedingen würden.“ 3<br />
„Es war interessant, <strong>Bill</strong> als öffentliche Person zu beobachten.<br />
3 Margit Weinberg Staber, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>- Leben und Sprache s.24, 1989<br />
6
Der Rummel um seine Person war ihm peinlich und die Aufmerksamkeit, die<br />
man ihm entgegenbrachte machte ihn fast verlegen, änderte aber nichts an<br />
seinem Verhalten. Auch vor Senatoren und Staatssekretären redete er wie<br />
immer freundlich, klar, mit manchmal respektloser Selbstverständlichkeit, die im<br />
vergnügen bereitete.“ 4<br />
Seine Frau, Binia <strong>Bill</strong>, „Eine stille Schönheit, die sich nie in den Vordergrund<br />
drängte, jedoch da war, wenn <strong>Bill</strong> oder seinen Bildern eine Gefahr drohte.“ 5 ,<br />
wurde am 18. August 1904 in Zürich geboren.<br />
Die geborene Spoerri wuchs als jüngste von drei Töchtern des Ferdinand Jakob<br />
und der Ida Spoerri- Gross in Zürich- Fluntern auf. Ab 1916 nahm sie<br />
Cellounterricht in Zürich und schloß 1925/26 die Celloausbildung in Paris an<br />
der „ecole normale de musique“ mit dem Konzertdiplom ab. 1930 besuchte sie<br />
an der Itten- Schule die Fotoklassen von Lucia Moholy und arbeitete<br />
anschließend als Fotografin. Am 22. Januar 1931 heiratet sie <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> in Zürich.<br />
Seit dem beteiligte sie sich als Fotografin an den Arbeiten von ihrem Mann,<br />
publizierte jedoch auch selber in diversen Zeitschriften.<br />
Um 1940 gab sie den Fotografinnen-Beruf auf und machte nur noch Aufnahmen<br />
für <strong>Bill</strong> und ihre Familie. 6<br />
Vermutlich gab es auch keinen Menschen, der diesen Künstler und sein<br />
Werk besser kannte. Sechsundfünfzig Ehejahre sind vermutlich die beste<br />
Schule des Sehens und Fühlens. <strong>Bill</strong> wusste das auch, reagierte auf Vorschläge<br />
seiner Frau sofort. Verstehen und Verständnis wurden oft nur mit einer<br />
Geste signalisiert. Bina <strong>Bill</strong> arbeitete viele Jahre als Fotografin. Man spürte das.<br />
Ihr optisches Empfinden und die unverbrauchte visuelle Kultur wurden<br />
auch bei Ausstellungen <strong>Bill</strong>s als schöpferischen Beitrag eingebracht.<br />
Dabei lehnte sie es ab über sich zu sprechen, gestand jedoch, ihre<br />
Fotoapparate seit Jahrzehnten nicht berührt zu haben .<br />
Eine geopferte Karriere?<br />
Kaum. Wer diese Frau beobachtete, ihre Entscheidungen hörte<br />
und verstand, der weiß, dass es ohne diesen Hintergrund kaum<br />
einen so vielseitigen, mit sprühender Vitalität schaffenden <strong>Bill</strong> gegeben hätte. 7<br />
4 Michael Grüning, zum 80.Geburtstag- Begegnung mit <strong>Bill</strong> s.11, 1988<br />
5 Michael Grüning, zum 80.Geburtstag- Begegnung mit <strong>Bill</strong> s.12, 1988<br />
6 Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.105, 1997<br />
7 Michael Grüning, zum 80.Geburtstag- Begegnung mit <strong>Bill</strong> s.12, 1988<br />
7
2.3_ Der Künstler<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> gilt als universaler Künstler unserer Zeit, der sich seiner Verantwortung<br />
gegenüber der Gesellschaft in seinem gestaltenden Handeln stets bewusst war.<br />
Sein Ziel war es die Umwelt zu beeinflussen und zu gestalten und Ordnung in<br />
das alltägliche Chaos zu bringen. 1<br />
<strong>Bill</strong> hat wie kein anderer Zeitgenosse die moderne Kunst während<br />
7.Jahrzehnten so stark beeinflusst und mitgeprägt. 2<br />
Er wusste früh was er wollte, als knapp 30jähriger grenzt er sich von der<br />
abstrakten Kunst ab und entwickelt die konkrete Kunst.<br />
Eine Kunstrichtung, die sich aus dem Konstruktivismus heraus entwickelt hat.<br />
In seinen Werken verdeutlichte er, dass seine Kunst weitgehend aus einer<br />
mathematischen Denkweise heraus entstanden ist.<br />
„Mathematik und Rationalität sind dabei Hilfsmittel der Gestaltung.“ 3<br />
Der Theoretiker <strong>Bill</strong> hat es einmal so formuliert:<br />
„Kunst braucht Gefühl und Denken und Kunst kann das Denken vermitteln in<br />
einer Weise, dass der Gedanke direkt wahrnehmbare Information ist.<br />
Die Kunst hat einen ganz bestimmten Sinn und einen ganz bestimmten Zweck<br />
zu erfüllen. Es ist eine geistige Funktion.“ 4<br />
1 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
2 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
3 Ingrid La Plante, Dokumentarfilm- Ein Portrait, 1988<br />
4 Ingrid La Plante, Dokumentarfilm- Ein Portrait, 1988<br />
9
<strong>Bill</strong> ist heute der Hauptvertreter der Konkreten Kunst.<br />
<strong>Bill</strong> übernahm diesen Begriff von Theo van Doesburg, dem Begründer der<br />
Zeitschrift „de stijl“ in Holland, an der auch Piet Mondrian und Georges<br />
Vantongerloo seit Beginn mitgearbeitet hatten. 5<br />
Im Katalog der Ausstellung „Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik“<br />
formulierte <strong>Bill</strong> 1936 die Prinzipien der konkreten Kunst als Präzisierung der von<br />
Theo van Doesburg publizierten Ideen in der ersten und einzigen Nummer der<br />
Zeitschrift „art concret“ (1930).<br />
<strong>Bill</strong> revidierte seinen Text als Einleitung zum Katalog der Wanderausstellung in<br />
Deutschland 1949, Züricher Konkrete Kunst und publizierte folgende Definition:<br />
„Konkrete Kunst nennen wir jene Kunstwerke, die aufgrund ihrer ureigenen<br />
Mittel und Gesetzmäßigkeiten, ohne äußerliche Anlehnung an Naturerschein-<br />
ungen oder deren Transformierung, also nicht durch Abstraktion, entstanden sind.<br />
Konkrete Kunst ist in ihrer Eigenart selbstständig, sie ist der Ausdruck des<br />
menschlichen Geistes, für den menschlichen Geist bestimmt, und sie sei von<br />
jener Schärfe, Eindeutigkeit und Vollkommenheit, wie dies von Werken des<br />
menschlichen Geistes erwartet werden muss.<br />
Konkrete Malerei und Plastik ist die Gestaltung von optisch Wahrnehmbarem.<br />
Ihre Gestaltungsmittel sind die Farben, der Raum, das Licht und die Bewegung.<br />
Durch die Formung dieser Elemente entstehen neue Realitäten.<br />
Vorher nur in der Vorstellung bestehende Abstrakte Ideen werden in konkrete<br />
Form sichtbar gemacht. Konkrete Kunst ist in ihrer letzten Konsequenz der reine<br />
Ausdruck von harmonischem Maß und Gesetz. Sie ordnet Systeme und gibt mit<br />
künstlerischen Mitteln diesen Ordnungen das Leben. Sie ist real und geistig<br />
unnaturalistisch und dennoch naturnah. Sie erstrebt das universelle und pflegt<br />
dennoch das Einmalige. Sie drängt das individualistische zurück, zugunsten des<br />
Individuums.“ 6<br />
Nicht mehr Abbild der Wirklichkeit sollte die Kunst sein, sondern eine neue<br />
Wirklichkeit aus Farben und Formen und Volumen erzeugen, die eben jenen<br />
Modellcharakter der ungetrübten reinen Ordnung hatte, den auch <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong><br />
anstrebte. Als ordnendes Mittel zur Verwirklichung seiner Ideen, die sich in der<br />
Malerei auf Farbstimmungen, Farbveränderungen, Farbkontraste und<br />
Farbverläufe bezogen, in der Plastik auf die Abläufe offener und geschlossener<br />
Formen, Formdurchdringungen und -spiegelungen, diente <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> die<br />
Geometrie. Sie lieferte überprüfbare Strukturen, die der Ordnung des<br />
Bildgedankens dienten. Einer der wichtigsten Aufsätze von <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> hieß<br />
„die mathematische Denkweise in der Kunst unserer Zeit“.<br />
5<br />
vgl. Margit Weinberg Staber, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>- Leben und Sprache s.28,1988<br />
6<br />
vgl. Willy Rotzler, Helmhaus, anlässlich des 75. Geburtstages…, Stichworte zu <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> s.18f, 1983<br />
10
Aus diesem Text ging aber auch hervor, dass er keineswegs an die<br />
„Berechenbarkeit“ der Kunst glaubte.<br />
„Ihre Wirkung setzt dort ein, wo das Denken in Farbe und Raum den<br />
Ordnungsrahmen sprenge, an das Empfindungsvermögen und die<br />
Erkenntnismöglichkeit des Betrachters appelliere.“<br />
In diesem Kontext nannte <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> das Kunstwerk „einen Gegenstand für den<br />
geistigen Gebrauch“. 7<br />
Konstruktion in Schwarz 1939<br />
Konstruktion aus 30 gleichen Elementen 1938/ 1939<br />
7 vgl. Margit Weinberg Staber, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>- Leben und Sprache s.28, 1988, S. 28<br />
11
Die verschiedenen Felder, in denen sich <strong>Bill</strong> betätigte, lassen sich nicht ohne<br />
weiteres aufeinander beziehen, so verlockend die Suche nach Analogien auch<br />
sein mag. Zwar finden sich reizvolle Verschiebungen von Formen zwischen den<br />
künstlerischen Disziplinen, doch hat <strong>Bill</strong> nie interdisziplinär gearbeitet.<br />
Für jede künstlerische Gattung, für jedes Betätigungsfeld galten ihm eigene<br />
Gesetz, an die er sich streng hielt. 8<br />
Diesbezüglich ist aufwendig bei <strong>Bill</strong>, den Maler gegen den Plastiker<br />
auszuspielen und zu vergleichen. In beiden Bereichen arbeitete <strong>Bill</strong> mit eben<br />
soviel Engagement wie Professionalität.<br />
„In der Malerei ist er an den Ordnungen von Linien und Flächen und vor allem<br />
an der Rolle und Wirkung der Farbe im gewählten kompositorischen<br />
System interessiert.“ 9<br />
Außerdem bestand er bei der Malerei auf die Wichtigkeit und Aussagekraft des<br />
präzis gewählten Formats. In gemalten Bildern, so sagte er selbst, lege er<br />
immer wert auf den Maßstab, auf das Verhältnis von Mensch zu Objekt. 10<br />
„In der Plastik ist <strong>Bill</strong> mehr noch als in der Malerei daran interessiert, wie ein<br />
Gegenstand als Niederschlag seiner gestalterischen Überlegungen<br />
und Handlungsweisen greifbare Realität wird und wie er von der Realität, in<br />
die hinein er gestellt ist, beeinflusst wird, umgekehrt aber seinerseits auf diese<br />
Realität Einfluss nimmt.“ 11<br />
In der Plastik betonte er die Größenfreiheit seiner Skulpturen, so dass er diese<br />
je nach Standort, in verschiedenen Dimensionen und Materialien lieferte. 12<br />
Das gilt ebenso für die nach dem Prinzip des Möbius-Bandes entwickelten<br />
Einflächen, die eine besondere Leistung des phantasiereichen Form-Erfinders<br />
<strong>Bill</strong> darstellten. Und es galt schließlich für die gitterartigen Raumskulpturen und<br />
die der Architektur zugewandten balkenförmigen Raumstrukturen. 13<br />
Die Theorie, die Begründung und Erklärung seiner Werke, war für <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> stets<br />
von großer Bedeutung, wie die praktische Arbeit selbst.<br />
8<br />
vgl. Marion Ackermann, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> und die Malerei, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Bildhauer, Architekt,… s.156, 2005<br />
9<br />
Margit Weinberg Staber, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>- Leben und Sprache s.28, 1988, S. 28<br />
10 vgl. Marion Ackermann, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> und die Malerei, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Bildhauer, Architekt,… s.156, 2005<br />
11 Margit Weinberg Staber, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>- Leben und Sprache s.28, 1988, S. 28<br />
12 vgl. Marion Ackermann, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> und die Malerei,<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Bildhauer, Architekt,… s.156, 2005<br />
13 vgl. Willy Rotzler, Helmhaus, anlässlich des 75. Geburtstages…, Stichworte zu <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> s.14, 1983<br />
12
Demzufolge war das eine war ohne das andere nicht denkbar.<br />
Bei allen seinen gestalterischen Werken, stellte er eine „allgemeine Theorie der<br />
Gestaltung auf, basierend auf dem Funktionsbegriff“:<br />
Der Beziehung zwischen Mensch und Ding, und der morphologischen Methode:<br />
Der Lehre von der Schritt um Schritt erarbeiteten möglichen und für den<br />
speziellen Fall besten Lösung. Er fragt: Wie braucht man Gegenstände, wofür<br />
nützen sie, nützen sie überhaupt?“ 14<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> hat sich stets dafür eingesetzt, dass sein eigenes Werk und seine<br />
theoretischen Überlegungen an die Öffentlichkeit kamen und umfassend<br />
publiziert wurden. 15<br />
„Er will seine Ideen in die Umwelt fortsetzten, denn er will die Umwelt<br />
verändern. Um zu verändern, muss man sich mitteilen.“ 16<br />
Es gab unter den modernen Künstlern wenige, die sich ebenso intensiv mit der<br />
Gestaltung eines „vergänglichen Gegenstandes für den Haushalt“<br />
auseinandergesetzt haben, wie mit der „Gestaltung eines rein persönlichen<br />
Ausdrucks“. Zu viele waren der Realisierung der Probleme des sozialen und<br />
kulturellen Lebens abgewandt und gleichsam verachteten sie die Gestaltung<br />
von nützlichen Dingen. 17<br />
„<strong>Bill</strong> dagegen ist sowohl als Maler und Plastiker, wie als Gestalter<br />
der heutigen Formkultur voll der Gegenwart zugewandt, und seine<br />
14<br />
vgl. Margit Weinberg Staber, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>- Leben und Sprache s.29, 1988<br />
15<br />
vgl. Margit Weinberg Staber, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>- Leben und Sprache s.30, 1988<br />
16<br />
Margit Weinberg Staber, Autonomes Objekt oder Symbolträger? zum 80. Geburtstag, s.88, 1988<br />
17<br />
vgl. Richard P. Lohse, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>- Einheit der Gestaltungsprinzipien s.25ff, 1958<br />
13
unerkannte Bereitschaft, die Umwelt zu verändern und diese bedacht<br />
einzurichten und bewohnbar zu machen, ist typisch für ihn.[…]<br />
In keinem Fall stellt sich die Frage, ob es sich geistig lohnt.<br />
Ob das Objekt für den Tagesgebrauch bestimmt ist oder für<br />
den sogenannten ästhetische Gebrauch, beide Probleme stellen<br />
den gleichwertigen Anlass dar, einen Beweis vernunftvoller Gestaltung<br />
zu geben. So wird die Aufgabe deutlich, welche <strong>Bill</strong> sich als Künstler setzt,<br />
gestaltete Ordnungen in der Umgebung des Menschen zu schaffen.“<br />
Es hat in <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>s künstlerischen Schaffen noch nie einen Abschnitt gegeben,<br />
der länger als sieben Jahre angedauert hat und die Ausstellungen der letzten<br />
Jahre dokumentierten den Rhythmus seines Wachstums und seinen Wandel<br />
mit der Zeit, in der sich immer wieder verändernden Umwelt.<br />
„Bemerkenswert war, dass Altes nicht veraltet, längst Geschaffenes nicht<br />
abgenützt aussah.“ 18<br />
Sein Denken und Gestalten hat sich nie zu einem starren und monotonen<br />
System verhärtet. Stets nahm er sich das Recht auf Veränderungen und<br />
Erneuerungen, die aus neuen Einsichten und Eindrücken entsprangen.<br />
<strong>Bill</strong> bewies damit, dass konkrete Kunst unendlich viele Möglichkeiten und<br />
Variationen in sich verborgen hält. 19<br />
18 vgl. Will Grohmann, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>- Tendenz zur Synthese s.20f, 1958<br />
19 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
14
2.4_ Der Architekt<br />
„<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> hat sich Zeit seines Lebens mit dem Beruf des Architekten<br />
identifiziert.“ 1<br />
Er versteht sich zu aller erst als Architekt, der in seiner Freizeit Kunst macht. 2<br />
Das architektonische Werk <strong>Bill</strong>s war bestimmt nicht unüberblickbar, aber es<br />
nahm neben den weitaus bekannteren Tätigkeiten einen erstaunlichen breiten<br />
Platz ein. 3<br />
Sein gebautes Werk jedoch stieß, mit Ausnahme vielleicht der Hochschule für<br />
Gestaltung in Ulm, auf weit weniger Resonanz als seine Malerei, grafischen<br />
Arbeiten oder Skulpturen.<br />
Als Architekt hatte <strong>Bill</strong> die größten Erfolge im Ausstellungsbau und in der Ausstellungstechnik.<br />
Hohe Anerkennung errang er damit auf den „Triennalen“ in<br />
Mailand und der Landesaustellung in Stuttgart. 4<br />
1 Karin Gimmi, Architektur als Kunst, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Bildhauer, Architekt,… s. 60, 2005<br />
2 Ingrid La Plante, Dokumentarfilm- Ein Portrait, 1988<br />
3 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 257, 1991<br />
4 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.7, 1997<br />
15
Während die von <strong>Bill</strong> geprägten Begriffe „Konkrete Kunst“ oder „mathematische<br />
Denkweise“ seiner Kunst zu einer prägnanten Identität verhalfen und bis heute<br />
als Etikett gar Markenzeichen wirken, fehlte etwas entsprechendes für die<br />
Architektur. Dies gilt umso mehr, als sich die Qualität von <strong>Bill</strong>s Bauten nicht auf<br />
den ersten Blick erschließt. Die Architektur ist bewusst weder modisch angelegt<br />
noch gefällig gestaltet. 5<br />
Die Grundlagen seiner Architekturauffassung basierten auf dem Zusammenspiel<br />
mediterraner Architektursprache und dem Einsatz von neuen<br />
technischen Baumethoden der 20.Jahre. 6 <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> formulierte es einmal so:<br />
„Ich war entschlossen, nicht spektakuläre Bauten zu machen, sondern mich zu<br />
bemühen, wirtschaftlich vernünftig zu bleiben und keinerlei unnötige Ausgaben<br />
zu verursachen.“ 7<br />
Seit seinem ersten Haus, welches <strong>Bill</strong> 1932/33 baute war er stets bestrebt, den<br />
Bauvorgang durch die Verwendung von vorfabrizierten und standardisierten<br />
Bauelementen zu vereinfachen. 8<br />
„Mit der ökonomischen Verwendung der Produktionsfaktoren hatte<br />
sich der junge <strong>Bill</strong> schon während seiner Ausbildungszeit am Bauhaus<br />
auseinandergesetzt. […]<br />
Die Organisation des Bauablaufes und die Prinzipien der Vorfabrikation,<br />
wie sie in der Siedlung Törten in Dessau von Gropius und am Stahlhaus<br />
von Georg Muche und Richard Paulick zur Anwendung kamen, hinterließen<br />
auf ihn nachhaltige Eindrücke, deren prägende Wirkung sich zeit<br />
seines architektonischen Schaffens niederschlug.“ 9<br />
Dieses moralische Prinzip führte zwangsläufig zu einer Ästhetik des Nützlichen,<br />
das als besonders anspruchslos verschrien war.<br />
<strong>Bill</strong> forderte von architektonischen Projekten eine 100% Beachtung funktioneller<br />
und ökonomischer Bedingungen, an die er sich in jedem seiner Vorschläge und<br />
Realisierungen hielt. 10<br />
5 vgl. Karin Gimmi, Architektur als Kunst, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Bildhauer, Architekt,… s. 60, 2005<br />
6 vgl. Du- Europäische Kunstzeitschrift- Vom Bauhaus bis Ulm s.14, Juni-Ausgabe1976<br />
7 Du- Europäische Kunstzeitschrift- Vom Bauhaus bis Ulm s.14, Juni-Ausgabe1976<br />
8 Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.7, 1997<br />
9 Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.25, 1997<br />
10 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 258, 1991<br />
16
Dieser Puritanismus bewirkte, dass <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> sich auch immer wieder der<br />
Herstellung von Gebrauchsobjekten zuwandte, sowohl theoretisch als auch<br />
praktisch.<br />
„Ich habe den Beruf des Architekten immer als Koordinationstätigkeit aufgefasst<br />
und das bedeutet doch, sich mit dem ganzen Umfeld des Bauens und<br />
Gestaltens zu befassen.“ 11<br />
Bei der Entwicklung jener Gebrauchsobjekte waren seine technischen<br />
Kenntnisse, die er in einer Ausbildung zum Silberschmied erworben hatte von<br />
großem Wert.<br />
„Ich befürworte auch heute noch die handwerkliche Ausbildung für alle<br />
gestalterischen Berufe. Trotz der Bejahung neuester Techniken, Materialien<br />
und Methoden habe ich auch heute noch ein ungebrochenes Verhältnis zum<br />
Handwerk und bin überzeugt davon, dass dieses in vielen Fällen jeder anderen<br />
Herstellungsmethode vorzuziehen ist, ja, dass ohne das Handwerk überhaupt<br />
eine industrielle Produktion unmöglich wäre.“ 12<br />
<strong>Bill</strong>s künstlerische Konzeption schein nach 1931 bereits derart gefestigt zu sein,<br />
dass er auch in seinem architektonischen Erstlingswerk nicht dem<br />
11<br />
Werner Krüger, zum 80. Geburtstag, Interview- Erbe der Bauhaus-Traditon s.111, 1988<br />
12<br />
Du- Europäische Kunstzeitschrift- Vom Bauhaus bis Ulm s.14, Juni-Ausgabe 1976<br />
17
verführerischen Einfluss Le Corbusier verfiel, der sein erstes großes Vorbild war<br />
und sein Interesse an der Architektur geweckt hatte. 13<br />
„Le Corbusier hat mich in der Tat auf den Geschmack gebracht.“ 14<br />
Aufgrund seiner kritischen Auseinandersetzung gelangte er schnell zu einer<br />
eigenständigen architektonischen Gestaltlösung.<br />
<strong>Bill</strong> gestaltete also nicht im Sinne eines oberflächlichen Systems sondern<br />
suchte die für den konkreten Fall angemessene, in Aufgabe und Ort verankerte,<br />
einzigartige Gestalt. Trotz allem blieb er in seiner frühen Bauphase stets<br />
offenen für äußere Anregungen, welche in seinem Spätwerk nach und nach<br />
verstummten. Diesbezüglich ist es erstaunlich zu beobachten, dass <strong>Bill</strong> in<br />
kontinuierlicher Tätigkeit, die sich über einen Zeitraum von mehr als einem<br />
halben Jahrhundert erstreckte, stets resistent gegenüber jeder Modeströmung<br />
war. 15<br />
Im Prinzip dreht sich bei <strong>Bill</strong> alles um den einfachen Behälter:<br />
Stand anfänglich eher dessen innere Unterteilung im Vordergrund, so waren es<br />
später die Möglichkeiten seiner Kombinierbarkeit. 16<br />
„Meine Architektur war immer sehr trocken, vielleicht kommt es deswegen, weil<br />
ich immer sehr ökonomisch gedacht habe.“ 17<br />
13 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.15, 1997<br />
14 Werner Krüger, zum 80. Geburtstag, Interview- Erbe der Bauhaus-Traditon s.111, 1988<br />
15 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 257, 1991<br />
16 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 258, 1991<br />
17 vgl. „Artrium“- Architekturzeitschrift, Prinzip der Ordnung s.100, 1989<br />
18
3_ <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> bis zum Bauhaus<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> wurde 1908 am 22.Dezember in Winterthur geboren.<br />
Er wächst als der Ältere von zwei Söhnen des Alfred Erwin und der Marie <strong>Bill</strong>-<br />
Geiger in Winterthur auf. 1 Er kommt aus einer sehr künstlerischen Familie, die<br />
bereits sehr früh <strong>Bill</strong>s Talent entdeckte. Seine Onkel waren anerkannte Maler<br />
und förderten zusammen mit der Mutter sein frühes Interesse an der Kunst.<br />
Künstlerisch vorgeprägt besucht er von 1924 bis 1927 die Kunstgewerbeschule<br />
Zürich und begab sich in die Abteilung Silberschmiede. 2<br />
In dieser Zeit fand der damals 17jährige <strong>Bill</strong> bei einer Studienreise nach Paris<br />
auf der „exposition Internationale des arts décoratifs“, im Jahr 1925 ersten<br />
Kontakt mit den neuesten Entwicklungen von Architektur und Kunst.<br />
Die Haupteindrücke, an die er sich stets erinnerte, sind der „pavillon de l´ esprit<br />
nouveau“ von Le Corbusier und der russische Pavillon von Melnikoff.<br />
1 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> 1932/33 s. 105, 1997<br />
2 vgl. Du- Europäische Kunstzeitschrift- Autonome Gegenstände… s.58, Juni-Ausgabe1976<br />
19
Pavillon von Le Corbusier<br />
russischer Pavillon von Melnikoff.<br />
Diese Eindrücke hatten auf seinen weiteren Werdegang einen nachhaltigen<br />
Einfluss, zusammen mit einem Vortrag, den Le Corbusier 1926 in Zürich hielt,<br />
in dem dieser die ästhetischen und die sozialen Grundlagen seiner Architektur<br />
darlegte. 3 Die Auseinandersetzung mit Le Corbusier wurde bestimmend für den<br />
weiteren Weg, den der junge <strong>Bill</strong> anstrebte.<br />
„Entscheidend wurde dann das Erscheinen der ersten Nummer der Zeitschrift<br />
´Bauhaus´ zur Eröffnung des neuen Hochschulgebäudes von Walter Gropius in<br />
Dessau; und schließlich das Wettbewerbsprojekt für den neuen<br />
Völkerbundpalast in Genf, mit dem Hannes Mayer und Hans Wittwer einen<br />
dritten Preis errangen.“ 4<br />
3 vgl. Du- Europäische Kunstzeitschrift- Vom Bauhaus bis Ulm s.12, Juni-Ausgabe1976<br />
4 Du- Europäische Kunstzeitschrift- Vom Bauhaus bis Ulm s.12, Juni-Ausgabe1976<br />
20
Völkerbundpalast in Genf<br />
Sein Interesse und Ehrgeiz, die fast beendete Silberschmiedlehre<br />
abzuschließen schwand. Und so war es eine „glückliche Situation“, so <strong>Bill</strong>, als<br />
er einmal nach der Fastnacht noch halbgeschminkt zu spät in den Unterricht<br />
kam, schmiss ihn der Direktor kurzerhand von der Schule.<br />
„Das war für mich kein großer Schreck, da ich mir sowieso schon<br />
vorgenommen hatte ans Bauhaus zu gehen.“ 5<br />
Diesbezüglich machte sich <strong>Bill</strong>s Vater große Sorgen, der ihn damals darauf<br />
aufmerksam machte, was er nun ohne abgeschlossene Lehre tun wolle.<br />
Selbstsicher äußerte er seinen Wunsch ans Bauhaus nach Dessau zu gehen<br />
und unterbreitete seinem Vater das Angebot, dass er die Hälfte der anfallenden<br />
Kosten zahlen würde. Der Grund dieser Entscheidung lag darin, dass <strong>Bill</strong> mit 17<br />
Jahren an einem großen Plakatwettbewerb für das 100 jährige Jubiläum des<br />
Schweizer Schokoladenherstellers Suchard gewonnen hatte, den es zu dieser<br />
Zeit gab und er eine beachtliche Summe bekommen hatte. 6<br />
Anfang 1927 bewarb er sich um die Aufnahme am Bauhaus in Dessau, in der<br />
Absicht, dort Architektur zu studieren. 7 Es war damals ein großes Erlebnis, als<br />
er in Dessau ankam. Er sah dort ein Gebäude, „wie man so was überhaupt<br />
noch nie gesehen hat“. 8<br />
„Ich Erinnere mich noch lebhaft an jenen Morgen, als vor der Einfahrt zum Bahnhof<br />
Dessau die Front des Bauhausgebäudes unvermittelt gegenüberstand. Etwas<br />
nie gesehenes: weiße Wände und grosse dunkle Glasfassaden, dazu im<br />
5 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
6 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> 1932/33 s. 105, 1997<br />
7 vgl. Du- Europäische Kunstzeitschrift- Vom Bauhaus bis Ulm s.12, Juni-Ausgabe 1976<br />
8 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
21
Vordergrund das Studentenhaus mit den Balkontüren als mennigrote Akzente.“ 9<br />
Ansicht des Bauhausgebäudes von Südost<br />
„In Dessau hatte er die Immatrikulationsnummer 15“.<br />
Ihm behagte die Atmosphäre am Bauhaus, auch die Menschen“. 10<br />
Dort waren bis zu 120 Studenten von überall her. „Man hörte und sah vom<br />
Bauhaus und man ist hingegangen, um dort mitzuwirken. […] weil es ein<br />
Experiment war. […] Am Bauhaus glaubten wir ja, wir seien die ersten<br />
Menschen und wollten die ganze Welt neu erschaffen. Wir waren in diesem<br />
Bauhaus wie in einem Kloster mit einer eigenen Religion. Was wir zu Gesicht<br />
bekommen haben als Kontakt nach außen waren ein paar Zeitschriften. […]<br />
Das war unsere Zusatznahrung.“ 11<br />
Zunächst war er in der obligatorischen Grundlehre, die ein jeder absolvieren<br />
musste. In die Architekturabteilung konnte er jedoch nicht, weil diese damals<br />
im Aufbau war und lediglich Studenten beitreten durften, die eine Art Studium<br />
oder Lehre auf dem Gebiet des Bauens absolviert hatten. Da er eine mehr oder<br />
9 vgl. Du- Europäische Kunstzeitschrift- Vom Bauhaus bis Ulm s.12, Juni-Ausgabe 1976<br />
10 Michael Grüning, zum 80.Geburtstag- Begegnung mit <strong>Bill</strong> s.10, 1988<br />
11 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
22
weniger abgeschlossene Silberschmiedausbildung hatte, musste <strong>Bill</strong> nicht die<br />
gesamte Grundlehre besuchen und versuchte sich zu mindestens an diversen<br />
baufachlichen Vorlesungen zu beteiligen. In der Folge besuchte er Kurse für<br />
Statik und Baukonstruktion und setzte sich überwiegend mit Architektur<br />
auseinander. 12 In dieser Zeit bearbeitete er mit seinem Schweizer Kommilitonen<br />
Hans Fischli, der vor dem Eintritt ins Bauhaus eine Lehre als Bauzeichner<br />
abgeschlossen hatte, einen Wettbewerb für ein Quartierzentrum mit<br />
Kindergarten in Zürich- Wiedikon, welcher 1928 von beiden eingereicht wurde. 13<br />
Zu den hauptsächlichen Merkmalen dieses Projektes zählten die<br />
nutzungsbedingte Gliederung der Baumassen und deren fabrikmäßiges<br />
Aussehen. Zur optimalen Belichtung der Unterrichtsräume sollten mehrere<br />
Baukörper mit Sheddächern eingedeckt werden.<br />
Aus dem sich herausbildenden stilistischen Repertoire des Neuen Bauens<br />
stammten außerdem die Bandfenster, die in den Fünf Punkten zu einer neuen<br />
Architektur die Alfred Roth im Namen Le Corbusier gerade ein Jahr zuvor<br />
publiziert hatten, als vierter Punkt proklamiert wurden. 14<br />
Dieses architektonische Projekt ist das einzige Bekannte, an dem <strong>Bill</strong> während<br />
der Bauhauszeit gezeichnet hat. 15<br />
Hans Fischli und <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>_ Quartierzentrum und Kindergarten, Zürich- Wiedikon, 1928, Werrbewerbsprojekt<br />
12 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
13 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 212, 1991<br />
14 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 212, 1991<br />
15 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 213, 1991<br />
23
Aufgrund seiner Silberschmiedausbildung wurde er in die Metallabteilung<br />
geschleust, die von dem damals noch jungen ungarischen konstruktiven<br />
Künstler Moholy- Nagy geleitet wurde. Diese verließ er jedoch nach kurzer Zeit<br />
und brachte sich in der Bühnenabteilung ein, wo er verantwortlich war für die<br />
Aufführungen und die Kostümplanung. Zudem gesellte er sich zu der<br />
Bauhauskapelle, in der er auch aktiv mitspielte. 16<br />
Doch auch danach, während seines insgesamt zweijährigen Aufenthaltes in<br />
Dessau, war er nie in der von Hannes Meyer geleiteten Bauabteilung tätig. 17<br />
<strong>Bill</strong> war damals noch keine zwanzig Jahre alt, als er Klee, Kandinsky, Moholy-<br />
Nagy, Schlemmer, Albers und natürlich Gropius und Hannes Meyer<br />
kennengelernt hatte.<br />
16 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
17 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 212, 1991<br />
24
Er besuchte die freien Kunstateliers von Paul Klee und Wassily Kandinsky und<br />
begann Bilder zu malen. Die Kunst hatte ihn immer interessiert, „weil es<br />
gewisse Dinge gibt, die man nur mit der Malerei machen kann“. 18<br />
„Das Prinzip des Bauhausunterrichtes, vor allem die elementare Werklehre von<br />
Josef Albers, wo jeder tun konnte, was er wollte, es jedoch nachher vor<br />
der Öffentlichkeit begründen und zur Diskussion stellen musste, lag mir besonders.<br />
Ich hatte hier einen Platz gefunden, wo alles tun in Frage gestellt werden durfte,<br />
ja musste. Ergänzend zu diesen Experimenten kamen dann die elementaren<br />
Gestaltungslehren von Wassily Kandinsky, Paul Klee, Moholy- Nagy und schließlich<br />
die technischen Fächer, wo insbesondere der Mathematiker Köhn vom<br />
Einsteininstitut Berlin auch den Statikkurs auf begeisternde Art leitete. So<br />
griffen Theorie, Experiment und Praxis direkt ineinander, und dies in<br />
einer Gemeinschaft von Studierenden und Meistern, wie sie seither kaum mehr<br />
zustande kam.“ 19<br />
„Wahrscheinlich wäre es falsch zu behaupten, allein die Bauhaus-Doktrin hätte<br />
meinen weiteren Werdegang bestimmt. Aber sicher haben die zwei Jahre, die ich<br />
am Bauhaus war, manche Erfahrungen gebracht. Und ein Ziel gefestigt, dass mir<br />
vorher schon vorschwebte, das jedoch noch keinen Mittelpunkt gefunden hatte.<br />
Das Baushaus wurde für mich zu diesem Mittelpunkt in seiner Überschneidung<br />
der Disziplinen und in der Bestärkung , dass wir für alles Gestaltende Tun<br />
persönlich die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft zu tragen haben oder,<br />
wie die spätere Formulierung lautete, die gesamte von uns zu schaffende Umwelt,<br />
vom Löffel bis zur Stadt, mit den sozialen Gegebenheiten in Einklang gebracht<br />
werden muss, wobei diese selbst mitzugestalten sind.“ 20<br />
Während des ersten Jahres belegte er den vorgeschriebenen Vorkurs bei<br />
Kandinsky. In der Klasse fertigten die Studenten analytische Zeichnungen und<br />
Kompositionen an, so dass aus den verschiedenartigsten Gegenständen eine<br />
Art Stillleben aufgebaut wurde. Der Kurs bestand nur aus Theorie und der<br />
18<br />
vgl. Michael Grüning, zum 80.Geburtstag- Begegnung mit <strong>Bill</strong> s.10, 1988<br />
19<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Vom Bauhaus bis Ulm, zum 80. Geburtstag s. 88, 1987;<br />
Du- Europäische Kunstzeitschrift- Vom Bauhaus bis Ulm s.12f, Juni-Ausgabe1976<br />
20<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Vom Bauhaus bis Ulm, zum 80. Geburtstag s. 89, 1987<br />
Du- Europäische Kunstzeitschrift- Vom Bauhaus bis Ulm s.13, Juni-Ausgabe1976<br />
25
Strukturanalyse von irgendetwas, Möbel oder Objekte, auf einen Tisch<br />
zusammengestellt. 21<br />
In seinem zweiten Jahr, mit knapp zwanzig Jahren belegte <strong>Bill</strong> die freie<br />
Malklasse, die kein offizieller Bauhauskurs und freiwillig war. Kandinsky<br />
unterrichtet die freie Malklasse in seinem Atelier im Bauhaus. Man konnte<br />
malen was man wollte und traf sich einmal in der Woche, um darüber zu<br />
sprechen, was man sah. Kandinsky gab immer stets gute Ratschläge und<br />
machte Bildanalysen. Gleichzeitig belegte er auch die Malklasse von Klee, die<br />
wesentlich größer war und die bei Klee zu hause in seinem Atelier stattfand. 22<br />
„Zu dieser Zeit stand er noch stark unter dem Einfluss von Paul Klee. […] <strong>Max</strong><br />
<strong>Bill</strong> konnte sich mit seinem Professor im Schweizer Dialekt unterhalten und so<br />
in der fremde eine verbindende kleine Sprachinsel bilden.“ 23 Man zeigte Klee<br />
seine Werke und er studierte sie und fragte nach dem Sinn und Zweck und ob<br />
dieser gleichsam erfüllt wurde. Danach zeigte Klee seine eigenen Werke, was<br />
für die Studierenden stets sehr instruktiv war, indem er darüber erzählte. 24<br />
Auch zu einem anderen seiner ehemaligen Bauhaus-Meister, zu Josef Albers,<br />
hatte <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> zeitlebens einen freundschaftlichen, brieflichen und direkten<br />
Kontakt bewahrt. Im Vorkurs bei Albers lernte <strong>Bill</strong>, wie man unvoreingenommen<br />
und frei an ein Problem heranging, wie man das jeweilige Problem löste und<br />
wie man darauf die gefundene, kreative Problemlösung vor anderen<br />
verteidigte. 25<br />
„Die Anregungen die von Albers ausgingen, aktivierten bei <strong>Bill</strong> den Willen, ein<br />
Produkt, sei es ein Bild, eine Skulptur oder ein Designobjekt, nicht<br />
ungerechtfertigt vor ein Publikum, in die Gesellschaft, hinausgehen zu lassen,<br />
sondern dafür Verantwortung zu übernehmen. In dieser Hinsicht wurde <strong>Bill</strong> in<br />
seiner ethisch-ästhetischen Haltung stark von Albers geprägt.“ 26<br />
21 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
22 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
23 Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 118, 2004<br />
24 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
25 vgl. Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 118, 2004<br />
26 Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 119, 2004<br />
26
Das 1919 vom Architekten Gropius in Weimar eröffnete staatliche Bauhaus ist<br />
in die Geschichte eingegangen als „exemplarisches Institut für die Heranbildung<br />
von Gestaltern“. 27<br />
„Was das Bauhaus in der Praxis lehrte, war die Gleichberechtigung aller Arten<br />
schöpferischer Arbeit und ihr logisches ineinandergreifen innerhalb der modernen<br />
Weltordnung […].<br />
Unser Ehrgeiz ging dahin, den schöpferischen Künstler aus seiner Weltfremdheit<br />
aufzurütteln und seine Beziehung zur realen Werkwelt wiederherzustellen, sowie<br />
gleichzeitig die starre, fast ausschließlich materielle Einstellung des<br />
Geschäftsmannes zu lockern und zu vermenschlichen[…].“<br />
Diese Bemerkung und die hinter ihnen stehende Auffassung von der<br />
„fundamentalen Einheit allen Gestaltens im Hinblick auf das Leben selbst“<br />
wie Gropius weitersagte, passen beinahe maßgeschneidert auf das<br />
künstlerische Schaffen und die gestalterischen Grundideen von <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. 28<br />
Demzufolge wird er oft als einer der letzten Erben der Bauhaus-Idee<br />
bezeichnet. <strong>Bill</strong> formulierte jenes Erbe auf folgende Weise:<br />
„Die Bauhaus-Leute sprechen alle- selbst nach der langen Zeit seit der Schließung<br />
des Bauhauses- immer noch die gleiche Sprache. Das war damals eine elementare<br />
Auseinandersetzung mit den Problemen, es waren hervorragende Lehrkräfte dort<br />
und wir haben uns so zusammengerauft, dass wir gelernt haben, wie man an<br />
jedes Problem neu herangeht. Eine Reihe von Bauhausleuten ist auch heute<br />
noch tätig. Ich bin vielleicht derjenige, der die Bauhaus-Probleme in einer Person<br />
zusammengefasst hat, indem er der Vielseitigste ist. Das Erbe des Bauhauses<br />
lässt sich auf einen kurzen Nenner bringen: Es ist die Verbindung von sozialistischem<br />
Programm und ästhetischen Problemlösungen.“ 29<br />
Walter Gropius gab ein Beispiel, wie man konsequent einen Weg beschritt, bei<br />
dem Kunst nicht allein der persönliche Ausdruck des einzelnen war, sondern<br />
Ausdruck der Funktion und der Zeit. 30<br />
27 vgl. Willy Rotzler, Helmhaus, anlässlich des 75. Geburtstages…, Stichworte zu <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> s.10, 1983<br />
28 vgl. Willy Rotzler, Helmhaus, anlässlich des 75. Geburtstages…, Stichworte zu <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> s.10, 1983<br />
29 vgl. Werner Krüger, zum 80.Geburtstag, Interview- Erbe der Bauhaustradition s.111, 1988<br />
30 vgl. Michael Grüning, zum 80.Geburtstag- Begegnung mit <strong>Bill</strong> s.11, 1988<br />
27
4_ <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> nach dem Bauhaus als Künstler<br />
Selbstporträts <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>s von 1927,1926 und 1927<br />
„Ich male seit meiner Kindheit.<br />
Das erste Ölbild malte ich, als mir mein Pate und Onkel Adolf Weibel<br />
seinen alten Malkasten schenkte. Zusammen mit seinem Schwager,<br />
meinem Onkel Ernst Geiger, beides anerkannte Maler, und meiner Mutter,<br />
war er die Persönlichkeit, die meine Lust am Malen förderte.<br />
Doch erst am Bauhaus überkam mich das erste Mal die „ maladie de la peinture“<br />
und ich hatte einige Mühe, meinem Prinzip treu zu bleiben, die Malerei als<br />
Hobby und keinesfalls als Beruf weiterzuführen.<br />
In den frühen 30er Jahren habe ich dann meinen selbstständigen<br />
Weg gefunden.“ 1<br />
1929 kehrte <strong>Bill</strong> nach nur 2 Jahren Studium ohne Diplomabschluss in die<br />
Schweiz zurück. Im Jahr 1930 reiste <strong>Bill</strong> in Gesellschaft des Architekten Ernst<br />
F. Buckhardt, einem Neffen des bekannten Schweizer Bildhauers Carl<br />
Buckhardt, nach Paris. Während dieses Aufenthaltes stieß er zufällig auf eine<br />
Broschüre der Gruppe ac (art concret), die von Theo van Doesburg als<br />
Erstausgabe vorgestellt wurde.<br />
Für <strong>Bill</strong> wird dieser Fund intellektuelle Auswirkungen haben, hinsichtlich seiner<br />
eigenen Begriffsdefinition der „konkrete Kunst“ einig Jahre später.<br />
„Das Bauhaus war für mich sehr wichtig, doch nicht so wichtig,<br />
wie heute behauptet wird.<br />
Für meinen Weg war viel bedeutender, was danach passierte.<br />
Meine Zeit hier in Zürich und natürlich Paris:<br />
Die Gruppe abstraction- création, Begegnungen mit Vantongerloo, Arp,<br />
<strong>Max</strong> Ernst, Giacometti oder Einsichten in das Werk Brancusis, die<br />
Auseinandersetzung mit Mondrian und Doesburg, der Weg zur konkreten Kunst.“ 2<br />
1 vgl. Du- Europäische Kunstzeitschrift- Autonome Gegenstände… s.58, Juni-Ausgabe1976<br />
2 Michael Grüning, zum 80.Geburtstag- Begegnung mit <strong>Bill</strong> s.10, 1988<br />
28
<strong>Bill</strong> hatte eine umfangreiche Auswahl eigener Aquarelle nach Paris<br />
mitgenommen, die er während seiner Studienzeit am Bauhaus in Dessau<br />
(1927/28) und danach in Zürich (1929 bis Anfang 1930) gemalt hatte.<br />
Er beabsichtigte seine Arbeiten in einer Pariser Galerie unterzubringen und<br />
suchte die bedeutendste Galeristin Jeanne Bucher auf.<br />
Diese wies jedoch die Zeichnungen zurück mit den Worten:<br />
„Wir alle lieben Paul Klee.“<br />
Sie hielt ihm vor, dass er sich in seinen Zeichnungen von dem Werk Paul Klees<br />
distanzieren solle und forderte ihn gleichzeitig auf mit seinem Talent etwas<br />
Unabhängiges und Neues zu erarbeiten und er möge dann in einem Jahr mit<br />
neuen Werkresultaten wieder zu ihr kommen.<br />
Der Rechenschieber 1927 Tiefer Gesang 1928 Nr. 20 Komposition II 1931<br />
Der junge <strong>Bill</strong> war sehr enttäuscht, da er voller Hoffnung nach Paris gekommen<br />
war. Doch war es genau die richtige Empfehlung einer erfahrenen Galeristin.<br />
Nach dem für ihn lehrreichen Schock fand er sehr rasch seinen Weg zu unabhängigen<br />
Arbeiten und zu seinem eigenen, unabhängigen Stil 3 und gelangt<br />
1931 zur konkreten Bildauffassung. 4<br />
„Mein eigenes künstlerisches Konzept stand seit 1931 fest.<br />
Nach einigem hin und her zur Zeit des Bauhauses, unter den verschiedenen<br />
Einflüssen von großen Meistern wie Kandinsky, Klee, Moholy- Nagy, Schlemmer,<br />
hatte ich meinen Weg gefunden und musste diesen unterbauen, ein Prozess, der<br />
sich anfangs der 30er Jahre zu klären begann mit den ersten Plastiken und dem<br />
Beginn von geometrischen Variationen.“ 5<br />
3<br />
vgl. Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 119, 2004<br />
4<br />
vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
29
Aus der Ausstellung „abstraction création“ in Paris 1933, Plastiken von <strong>Bill</strong>, Vantongerloo und Béothy<br />
Räumliche Komposition Nr.9 1928 Variationen 1934<br />
5 vgl. Du- Europäische Kunstzeitschrift- Autonome Gegenstände… s.22, Juni-Ausgabe1976<br />
30
Wellenrelief 1931/1932 Lange Plastik 1933<br />
<strong>Bill</strong> wurde am 22. Dezember 1933 25 Jahre alt und stellte bereits im selben<br />
Monat erstmals in Paris bei der wichtigen internationalen Künstlergruppe<br />
„abstraction création“ aus, die 1931 dort gegründet wurde.<br />
Die ursprünglichen Gründungsmitglieder waren Theo van Doesburg, Antoine<br />
Pevsner, Naum Gabo, Auguste Herbin und Georges Vantongerloo.<br />
Ziel von „Abstraction-Création“ war es, ein Forum für die Abstrakte Kunst zu<br />
schaffen. Dazu gehörten gemeinsame Ausstellungen, Lesungen, und<br />
Diskussionsrunden, Öffentlichkeitsarbeit und Publikationen. Die Gruppe wurde<br />
zum geistigen und organisatorischen Zentrum und Sammelpunkt für die<br />
Anliegen der Vertreter der konkreten, konstruktivistischen und geometrischen<br />
Kunstrichtungen. 6<br />
Während dieses Aufenthaltes in Paris begegnete <strong>Bill</strong> den älteren Kollegen<br />
Georges Vantongerloo und Piet Mondrian.<br />
Mit dem 22 Jahre älteren Vantongerloo blieb er zeit seines Lebens<br />
freundschaftlich in Kontakt und besuchte ihn in der Folge des öfteren in Paris<br />
und unterhielt mit ihm eine rege Brieffreundschaft. 7<br />
6<br />
vgl. Giulio Carlo Argan, Georges Vantongerloo, ein Zeuge unserer Zeit s.11, 1986<br />
7<br />
vgl. Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 119, 2004<br />
31
Die Kommunikation zwischen den beiden war anfangs schwierig gewesen,<br />
doch Binia <strong>Bill</strong> dürfte zumindest anfänglich einiges zur Verständigung<br />
beigetragen haben, da sie vor der Ehe in Paris studiert hatte. 8<br />
Georges Vantongerloo wurde 1886 in Antwerpen geboren und starb 1965 in<br />
Paris. Er war ein belgischer Maler, Bildhauer und Architekt und galt als einer<br />
der wichtigsten Vertreter der abstrakten Malerei in Europa und wandte sich<br />
1917 der Gegenstandslosigkeit zu und war neben den holländischen Malern<br />
Piet Mondrian, Theo van Doesburg, Bart van der Leck Unterzeichner des ersten<br />
Manifestes und Mitbegründer der Künstlergruppe De Stijl. Ihr Anliegen war es,<br />
sich vollständig von den Darstellungsgrundsätzen der traditionellen Kunst<br />
abzuwenden und eine neue, völlig abstrakte Formensprache zu erarbeiten, die<br />
auf der Variation von wenigen elementaren Prinzipien der bildnerischen<br />
Gestaltung (waagerecht/senkrecht, groß/klein, hell/dunkel und den<br />
Grundfarben) beruhte. 9 Im Gegensatz zu Mondrian, der einen strengen<br />
Bildaufbau forderte und allein Rechtecke, das heißt Horizontale und Vertikale<br />
als zulässig erklärte, und van Doesburg, der auch Diagonalen in seine<br />
Kompositionen einbrachte, wich Vantongerloo schon bald von dieser strengen<br />
Konzeption ab und bezog andere geometrische Formen wie Kreise, Ovale und<br />
Bogenlinien ein. Darüber hinaus verwendete er außer den Primärfarben auch<br />
8<br />
vgl. Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> und Vaantongerloo s. 33, 2005<br />
9<br />
vgl. <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Georges Vantongerloo, 100 Jahre s.15, 1986<br />
32
Mischfarben. „Der Symbolgehalt des rechten Winkel war für ihn eine dieser<br />
Möglichkeiten, aber niemals eine absolute und nicht zu relativierende<br />
Lösung.“ 10<br />
Groupe y= -ax2 + bx + cy= -2ax + b 1931 Lignes et intervalles 1937 Courbes 1937<br />
Damit entfernte er sich von den puristischen De Stijl- Künstlern und verließ die<br />
Gruppe schon 1921. 11 Zeit seines Schaffens beschäftigte er sich mit dem<br />
Phänomen des Raumes. „Ein gewisses Raumgefühl hat mich immer fasziniert“<br />
und für ihn stand nicht das Herstellen wollen eines Kunstwerkes im<br />
Vordergrund, sonder vielmehr das präsentieren seines Denkens in Farbe und<br />
Raum.<br />
Costruction … 1929 Variation … 1929 Groupe … 1931<br />
Vantongerloo „war der einzige, vielleicht der erste bildende Künstler unserer<br />
Zeit, der sich mit der mathematischen Denkweise als Grundlage seiner<br />
bildnerischen Aussagen befasste.“ 12<br />
10 Margit Weinberg-Staber, Georges Vantongerloo, Mathematik, Natur und Kunst s.23, 1986<br />
11 vgl. <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Georges Vantongerloo, 100 Jahre s.15, 1986<br />
12 <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Georges Vantongerloo, 100 Jahre s.15, 1986<br />
33
Diesbezüglich kann er als Erfinder einer mathematischen Denkweise in der<br />
modernen Kunst bezeichnet werden und er wendete sie an, um die Natur auf<br />
eine neuartige Weise zu betrachten und zu verstehen. 13<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> war sein engster Freund und bewunderte ihn als bedeutender Künstler<br />
der Gegenwart, der mancherorts jedoch unbekannt war und unterschätzt<br />
wurde. <strong>Bill</strong> formulierte es einmal so:<br />
„Der Beitrag, den Vantongerloo an die Entwicklung der Kunst geleistet hat, ist<br />
heute noch nicht abzusehen.“ 14<br />
Die freundschaftliche Verbundenheit zu Vantongerloo und dessen Einfluss auf<br />
ihn spiegelt sich in der Folge in einer vorübergehenden Schaffensphase<br />
wieder, in der <strong>Bill</strong> stilistisch in einigen Bildkompositionen wie auch bei<br />
Skulpturen sich deutlich ihm angenähert hatte.<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>_ Weitung 1944- 1946 G. Vantongerloo_ Rapports de courbes 1938<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>_ Sechseck im Raum mit gl. Seitenlängen 1947 & Spirale 1944-48 G. Vantongerloo_ Noyau 1946<br />
13 vgl. Margit Weinberg-Staber, Georges Vantongerloo, Mathematik, Natur und Kunst s.24, 1986<br />
14 vgl. <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Georges Vantongerloo, 100 Jahre s.15, 1986<br />
34
Nach dessen Tod wird <strong>Bill</strong> der Verwalter des Nachlasses der Werke<br />
Vantongerloos, der neben vielen Werken auch dessen Archiv geerbt hatte. 15<br />
1936 stellte <strong>Bill</strong> erstmals im Kunsthaus Zürich in der von Siegfried Giedion und<br />
Leo Leuppi vorbereiteten Ausstellung „Zeitprobleme der Schweizer Malerei und<br />
Plastik“ aus und erheilt zusätzlich den Auftrag für die Plakat- und Kataloggestaltung.<br />
In diesem Katalog veröffentlichte <strong>Bill</strong> seinen ersten theoretischen<br />
Text und formulierte die Prinzipien der konkreten Kunst.<br />
Aus der Ausstellung „Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik , Kunsthaus Zürich 1936<br />
Konstruktion mit schwebenden Kubus 1935/ 1936 Schwarze Plastik 1934<br />
15 vgl. Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> und Vaantongerloo s. 32, 2005<br />
35
Konstruktion 1934 Zweiteilige Konstruktion 1934<br />
Dabei berief er sich auf jenen Text von Theo van Doesburg, den dieser kurz vor<br />
seinem Tod 1930 in der Broschüre art concret herausgegeben hatte.<br />
„Da van Doesburg, laut <strong>Bill</strong>, „etwas unklar“ dargestellt habe, was er unter<br />
konkreter Kunst verstand, suchte <strong>Bill</strong> in seinem Einführungstext in die<br />
Zeitprobleme der Schweizer Malerei und Plastik-Ausstellung, die Bezeichnung<br />
genauer zu erfassen und als Standardbegriff zu definieren.“ 16<br />
In dieser wichtigen Ausstellung konnte <strong>Bill</strong> eine umfangreiche Darbietung<br />
seiner logisch-einsichtig entwickelten, eigenständigen Werkresultate, der frühen<br />
30er Jahre erstmals öffentlich zeigen.<br />
<strong>Bill</strong> hatte in der Ausstellung “Zeitprobleme…“ großen Erfolg verzeichnen können<br />
und obwohl er konstruktive Ansätze vertrat war damit sein Ruf noch nicht derart<br />
gefestigt, dass man den jungen Künstler schon zur Teilnahme an der<br />
Ausstellung „Konstruktivisten“ 1937 in Basel aufgefordert hätte, was <strong>Bill</strong><br />
verständlicherweise bedauerte. 17<br />
1936 beginnt <strong>Bill</strong> von ähnlichen Motiven in der Musik angeregt die Serie von<br />
Lithografien zu entwickeln mit dem Titel „15 Variationen über ein Thema“, die<br />
er bereits 1938 in Paris veröffentlichte.<br />
Er zeigt, dass innerhalb enggezogener Grenzen sich aus einer Grundidee<br />
verschiedene Variationen entwickeln lassen.<br />
16 vgl. Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 122, 2004<br />
17 vgl. Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 123, 2004<br />
36
<strong>Bill</strong> bewies damit, dass konkrete Kunst unendlich viele Möglichkeiten in sich<br />
birgt. 18<br />
„Meine ´fünfzehn Variationen über ein Thema´ sind entstanden in den<br />
Jahren 1936-38. Den Entschluss, diese […] zu veröffentlichen, fasste<br />
ich aus der Erkenntnis heraus, dass sich viele Kunstfreunde nicht klar sind<br />
über die Entstehung von Kunstwerken und über deren inneren und äußeren<br />
Aufbau.[…] Diese Methode der Verwandlung und Umkleidung einer Grundidee,<br />
eines Themas, in bestimmte, verschiedenartige und abgeleitete Ausdrucksformen<br />
wird auf dem Gebiet der konkreten Kunst […] angewandt.“ 19<br />
Das Thema<br />
Variation 1 Variation 2 Variation 3<br />
18 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
19 <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, fünfzehn Variationen über ein Thema , 1938<br />
37
Variation 4 Variation 5 Variation 6<br />
Variation 7 Variation 8 Variation 9<br />
Variation 10 Variation 11 Variation 12<br />
Variation 13 Variation 14 Variation 15<br />
38
In Zürich gründete 1937 Leo Leuppi die Allianz, Vereinigung moderner<br />
Schweizer Künstler, der <strong>Bill</strong> beitrat. 20<br />
Von nun an laufen in dem von <strong>Bill</strong> verwendeten Formenrepertoire verschiedene<br />
Ausdrucksmittel nebeneinander und er wies damit in seinen Werken eine<br />
derartige Vielfalt an Gestaltungsideen auf, wie kein anderer konkreter Künstler.<br />
Seine Ausdrucksmittel markierten zugleich einen chronologischen Ablauf:<br />
-streng flächenhaft geometrische Bilder<br />
-rhythmische Vergitterungen<br />
-reine Felderkompositionen<br />
-Liniengemälde (linear, amorphe, rund,…)<br />
-Kreis- und Bogenkonstruktionen<br />
-Schachbrettbilder<br />
-Wechsel mit anderen Systemen<br />
-Übereck gestellte Formate, die einer Komposition zusätzlich Spannung<br />
verliehen. 21<br />
2 Gruppen aus Doppelfarben 1958-62 Horizontal- Vertikal- Diagonal- Rhythmus 1942<br />
Konstruktion auf der Formnel a2 + b2 = c2 1937<br />
20 Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 124, 2004<br />
21 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
39
Ruhig 1948/1949 Sechs gleichlange Linien 1947<br />
Betonung einer Spirale 1947 Unbegrenzt und Begrenzt 1947<br />
Konstruktion aus 2 Kreisbögen 1942<br />
40
Bunte Akzente 1946 1- 6 in drei Farben zu weiß und schwarz 1985-1987<br />
Einheit aus flächengleichen Farben 1972 Strahlung von 4 gleichen Farbquanten 1972/73<br />
Rotation um sich ausdehnendes weiß 1971-1978, 1981<br />
41
Im Sommer 1939 konnte <strong>Bill</strong> mit seinem Künstlerfreund Vantongerloo einige<br />
Tage gemeinsam in La Sarraz verbringen, wenige Monate bevor ihre<br />
Verbindung wegen des 2.Weltkrieges erst gestört, dann ganz gekappt wurde.<br />
Am 1. September 1939 griffen die Nazis Polen an und der zweite Weltkrieg<br />
begann unmittelbar. In der Schweiz folgte die Mobilmachung und auch <strong>Bill</strong><br />
musste zischen 1939 und 1944 mehrmals für längere Zeit Militärdienst leisten.<br />
Er lehnte für sich eine militärische Karriere ab, denn er fühlte sich mit seinen<br />
Fähigkeiten bei der Armee fehl am Platz.<br />
Als der Ausgang des Krieges bevorstand, und das Interesse an allgemein noch<br />
wenig Bekanntem wuchs, beauftragte der Kunstverein Basel 1944 <strong>Bill</strong>, in der<br />
Kunsthalle eine Ausstellung zu organisieren. Diese konkrete Kunstausstellung<br />
sollte die erste sein, die den Kriegsumständen entsprechend jene Kunstrichtung<br />
international dokumentierte, die als einzige ganz offensichtlich während des<br />
Kriegs in der Schweiz weiterentwickelt wurde. 22<br />
Blick in die Ausstellung „Konkrete Kunst“ mit Bildern und Skulpturen von <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Kunsthalle Basel 1944<br />
22 Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 126, 2004<br />
42
Der Direktor der Kunstgewerbeschule Zürich, Johannes Itten, erkundigte sich<br />
1944 bei <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, ob er an der kunstgewerblichen Abteilung „Formlehre“<br />
unterrichten wolle. <strong>Bill</strong> sagte zu und baute den Unterrichtsstoff in der Folge<br />
systematisch aus. Doch sein Angagement in der Kunstgewerbeschule sollte<br />
nicht lange anhalten. 23 Als der Zweite Weltkrieg vorbei war und damit die<br />
Möglichkeit bestand wieder ins Ausland zu reisen besuchte dieser seinen<br />
Freund Vantongerloo in Paris.<br />
„Mit dem Kriegsende und dem Aufenthalt in Paris bei Vantongerloo begann<br />
für <strong>Bill</strong> eine neue Werkepoche. In dieser Zeit hatte sich <strong>Bill</strong>s Interesse an den<br />
täglichen Gebrauchsgütern intensiviert. Er war der Auffassung, man müsse<br />
angesichts der Materialknappheit ökonomisch vorgehen und mit dem wenigen<br />
Material, das nach dem Kriege zur Verfügung stand, die besten Gegen-<br />
stände herstellen. Diese Vorstellung galt für ihn ebenso für das Bauen und<br />
bekam besonderen Wert im Zusammenhang mit dem, was in zerstörten Gebieten,<br />
an Orten, in denen Gebrauchsgegenstände fehlten, nach dem Kriege<br />
geschehen sollte.“ 24<br />
1947 entstand für die Züricher kantonale Gewerbeausstellung die Kontinuität,<br />
ausgeführt aus armiertem Kalkputz, 3 Meter hoch, auf Veranlassung des<br />
Architekten Hans Fischli. Die Aufstellung am Züricher Arboreturm konnte <strong>Bill</strong><br />
selbst bestimmen. Es war das erste mal, dass eine solche Plastik in öffentlicher<br />
Umgebung stand. Die Reaktion der Bevölkerung war sehr positiv.<br />
1948 wurde sie jedoch zerstört. 25<br />
„In der Kontinuität habe ich versucht, eine seit langen in mir schwebende Idee<br />
zu realisieren, die Darstellung eines unendlichen Raumes in unendlicher<br />
Bewegung. […] das in der Mathematik bekannte Möbiusband.“ 26<br />
Die Vorstudie der Kontinuität entwickelte <strong>Bill</strong> bereits 1937 mit der Skulptur<br />
´Unendliche Schleife´.<br />
23 vgl. Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 132, 2004<br />
24 Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 134, 2004<br />
25 Du- Europäische Kunstzeitschrift- Vom Bauhaus bis Ulm s.52, Juni-Ausgabe1976<br />
26 <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Die Unendlichkeit als plastisches Thema, 1954<br />
43
Unendliche Schleife 1937<br />
Kontinuität 1947<br />
44
Eine Weiterentwicklung des topologischen Phänomens, dem Möbiusband,<br />
vollzog <strong>Bill</strong> 1947/48 mit der ´unendlichen Schleife´ aus einem Kreisring, der aus<br />
vergoldetem Messing war. <strong>Bill</strong>s Einflächen bestehen aus einer genau<br />
definierten Fläche, z.B. einem Kreisring oder einem Quadrat, wie auch das<br />
Objekt ´Viereckfläche im Raum mit gleichen Seitenlängen´ von 1952.<br />
In diesen Fällen hat es <strong>Bill</strong> geschafft, die Eigenschaften vom Möbiusband auf<br />
eine neue und noch einfachere Weise herzustellen.<br />
Fläche im Raum von einer Linie begrenzt Unendliche Schleife aus einem Kreisring II<br />
1952-70 1947/48<br />
<strong>Bill</strong> schrieb ein Buch über Wiederaufbau, welches zu Verbindungen führte, bei<br />
denen <strong>Bill</strong>s Kreativität gefragt war. So entstanden Kontakte zu Italien und<br />
Deutschland, die Möglichkeiten aufzeigten zur Mithilfe. <strong>Bill</strong> hatte schließlich<br />
1948 einen Auftrag der amerikanischen Besatzungsbehörden bekommen,<br />
verschiedene deutsche Hochschulen und Kulturinstitute in Süddeutschland zu<br />
besuchen, um über den Zustand dieser Institute einen Bericht zu erarbeiten.<br />
Der Auftrag führte ihn nach Ulm, wo er mit dem Kreis um die dortige<br />
Volkshochschule und deren Leiterin, Inge Scholl, in Kontakt kam.<br />
Der Kontakt zu Ulm intensivierte sich und sie waren sehr interessiert an der<br />
Umweltproblemen der Nachkriegszeit, woraus dann in weiterer<br />
Zusammenarbeit das Projekt einer Geschwister- Scholl- Hochschule entstand.<br />
Durch <strong>Bill</strong>s aktive Mitwirkung wurde daraus das inhaltlich neu definierte Projekt<br />
45
einer Hochschule für Gestaltung, die <strong>Bill</strong> als Architekt in Ulm realisierte und<br />
deren erster Rektor wurde. 27<br />
Gegen Ende des Jahres 1951 erhielt <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> mit der Plastik „dreiteilige Einheit“<br />
den 1.Preis der ersten Biennale in Sao Paulo, Brasilien. Sein Einfluss auf die<br />
Arbeiten und Werke lateinamerikanischer Künstler wuchs. Nun hinterließ er, als<br />
umjubelter Gast, seine konkreten Spuren in Lateinamerika.<br />
Sein Leben als Künstler wurde zusehends internationaler. 28<br />
Dreiteilige Einheit 1951<br />
<strong>Bill</strong> war in der Folge dreimal Teilnehmer an der Documenta in Kassel<br />
1955,1959 und 1964.<br />
Documenta Kassel 1955<br />
27 Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 135, 2004<br />
28 Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 136, 2004<br />
46
1957 trat er als Rektor in Ulm zurück und ließ sich wieder in Zürich nieder.<br />
Dort begann er sich vermehrt auch mit den Ideen und dem Herkommen der<br />
Objekte unserer Umwelt, dem entstehen der Formen und mit ihrem Gehalt zu<br />
beschäftigen. Dies auch, um daran eigenes suchen nach Qualität und Konstanz<br />
zu überprüfen. Daraus entstand eine Ansammlung von Gebrauchsgegenständen,<br />
Objekten magischen und mythischen Ursprungs.<br />
„Es hat mich interessiert, sie um mich zu haben, täglich, um ihre Einflüsse zu<br />
spüren und ihre Qualität und Wirkung zu prüfen.“ 29<br />
1947 tauchte erstmals die Thematik der Bildsäule in <strong>Bill</strong>s Werk auf.<br />
Die Bildsäule stellte die Malerei in Form einer Säule dar und vereinte als<br />
Bindeglied Malerei und Plastik.<br />
Bei der Weltausstellung 1967 in Montreal installierte <strong>Bill</strong> seine erste Bildsäule<br />
mit einer Höhe von 14 Meter und einem Durchmesser von 140cm. Er gestaltete<br />
diese als eine Art Windsäule, die sich bei Windbewegungen in farbige Elemente<br />
teilte. 1976-77 entstanden auf dem Gelände der Universität Ulm drei Bildsäulen,<br />
die jeweils aus einem Stahlskelett bestanden, welches mit Emailplatten<br />
verkleidet wurde. Die Höhen variierten zwischen 8, 12 und 16 Meter Höhe.<br />
Eine einzelne vergleichbare Plastik mit einer Höhe von 32m entstand in<br />
Stuttgart- Möringen vor der Daimler Benz- Zentrale und am Bauhaus- Archiv in<br />
Berlin 1979. Von 1978 bis 83 konnte <strong>Bill</strong> eine weitere Bildsäule (h= 20m) beim<br />
Klinikum München- Grosshadern errichten. 30<br />
29 Du- Europäische Kunstzeitschrift- Vom Bauhaus bis Ulm s.20, Juni-Ausgabe1976<br />
30 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
47
Windsäule in Montreal 1967 Uni Ulm 1976/ 77 Bauhaus- Archiv 1979<br />
1965/66 entstanden die Plastiken „Familie von 5 halben Kugeln“.<br />
„<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> liebte die Schwünge und die Schleifen, und er liebte die Kugel.<br />
Aus der Kugel und mit der Kugel wusste er mehr zu machen, als irgendjemand<br />
in seiner Generation.“ 31<br />
<strong>Bill</strong> wurde aufgefordert 1965, für das neue Gebäude des mathematischen<br />
Institutes der Universität Karlsruhe eine Plastik zu machen.<br />
„Der Bau aus vorfabrizierten Betonelementen hat ein Eigenleben, dem eine<br />
Plastik gegenüberzusetzen mir fast unmöglich erschien.<br />
Der Innenhof mit der Durchsicht nach beiden Seiten des Gebäudes schien mir<br />
ungeeignet für eine Plastik. So konzipierte ich die ´Familie von fünf halben<br />
Kugeln´, von denen nur drei im Innenhof des Baues stehen und je eine auf<br />
jeder Seite in Beziehung zum Aufgang der Freitreppen, ausgeführt in einem<br />
Kunststein aus weißem Zement mit hellem Steinmaterial und dem Durchmesser<br />
von 240cm“. 32<br />
31 Adolf <strong>Max</strong> Vogt, über <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>-Malerei und Plastik 1928-1968 s.5, 1968<br />
32 Du- Europäische Kunstzeitschrift- Vom Bauhaus bis Ulm s.53, Juni-Ausgabe1976<br />
48
Familie von 5 halben Kugeln 19657 1966<br />
Seit Jahren beschäftigte <strong>Bill</strong> sich mit dem Problem der benutzbaren Raum-<br />
Plastik. Bereits 1943 errichtete er eine temporäre Raumplastik in Zürich auf<br />
dem Hevetiaplatz. Eine Ausführung aus Granitblöcken entwickelte <strong>Bill</strong> 1969 für<br />
das Hakone- Park- Museum in Japan. Gleichzeitig konzipierte er 1975 eine<br />
Holzplastik „Pavillonskulptur II“ für die Skulptur- Ausstellung in Biel, die<br />
demontierbar ausgeführt wurde in Kubusformat von 315cm. 33<br />
33 Du- Europäische Kunstzeitschrift- Vom Bauhaus bis Ulm s.55, Juni-Ausgabe1976<br />
49
Seit vielen Jahren wurde beabsichtigt <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> mit der Ausführung einer Plastik<br />
an einem prominenten Standort der Stadt Zürich zu beauftragen.<br />
Anlässlich seines 70. Geburtstages wurde ihm der Auftrag übergeben für eine<br />
Neugestaltung einer Fußgängeranlage an der Bahnhofstrasse.<br />
<strong>Bill</strong> konzipierte von 1979 bis 1983 nach intensivem Studium der städtebaulichen<br />
Gegebenheiten eine plastische Raumstruktur in Form einer Pavillon-Struktur,<br />
die eine Kombination von Architektur und Plastik darstellte.<br />
Sie wurde auf einem rationalen, exakten Maßsystem entwickelt und weist das<br />
1-, 3-, 5-, 6-, 7-, 8- und 9fache des Grundmoduls von 42 cm (Sitzhöhe) auf.<br />
64 gleiche Elemente aus Schwarzwald Granit sind auf einer Grundfläche von<br />
22 x 6 m arrangiert. Trotz dieser mathematischen Fixierung ist sie jedoch<br />
plastisch und räumlich sehr lebendig und reich und es erschließen sich beim<br />
Begehen stets neue Weg- und Sichtbeziehungen. Ihre Proportionen sind<br />
sowohl zum Raum wie auch zum Menschen richtig. <strong>Bill</strong> hat mit seiner Plastik<br />
einen sozialen Freiraum und einen kulturellen Begegnungsort geschaffen. 34<br />
34 Adolf Wasserfallen, Platzgestaltung…s.39ff, 1984<br />
50
Von 1979 bis 1982 errichtete <strong>Bill</strong> in Ulm das Albert Einstein Monument aus<br />
ukrainischem Granit, an der Stelle des im Krieg zerstörten Geburtshauses von<br />
Einstein. Ähnlich wie bei der Pavillon- Struktur in Zürich verwendete <strong>Bill</strong> ein<br />
Grundmodul von 2 x 2 x 6 m und formte daraus eine Plastik.<br />
<strong>Bill</strong> beschränkte sich beim Entwurf auf die Begriffe Zeit, Raum und Mensch, weil<br />
Einsteins Theorien nicht darstellbar waren und konzipierte in einer einfachen<br />
52
Form den 24 Stunden Tag aus 24 gleichen Elementen, 12 stehende und 12<br />
liegende. 35<br />
1986 wird die zweite Fassung der Kontinuität aus gardischen Granit mit einer<br />
Höhe von ca. 5m in Frankfurt vor dem Hauptsitz der deutschen Bank enthüllt.<br />
„Die größte Granit-Plastik seit den alten Ägyptern.“<br />
Sie gilt als eindruckvollstes, monumentales Kunstwerk unserer Zeit und ist<br />
gleichsam ein Symbol von Erfindungsgabe, Zusammenarbeit, Ausdauer und ein<br />
Zeichen von bleibendem Wert für die Stadt. 36<br />
35 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
36 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 1<br />
53
In den darauffolgenden Jahren erhielt <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> unzählige Auszeichnungen,<br />
Ehrungen und Preise für sein Lebenswerk.<br />
54
5_ <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> nach dem Bauhaus als Architekt<br />
Sei es im Telefonbuch, sei es noch auf der Tür des letzten Ateliers in Zürich-<br />
Altstetten, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> nannte sich stets Architekt.<br />
Zeitlebens beharrte er auf dieser Berufsbezeichnung, obwohl der Ruhm, den er<br />
als Maler und Bildhauer in den letzten Jahrzehnten seines Lebens genoss, sein<br />
gebautes Werk ebenso vergessen ließ, wie die angewandten Arbeiten in der<br />
Typografie, Plakatkunst und Objektgestaltung. 1<br />
Als <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> Ende 1928 nach Zürich zurück kam, ohne Abschlussdiplom in der<br />
Tasche, nur mit der Vision einer neuen Architektur vor Augen, hatte er wenig<br />
Chancen, sich durchzusetzen 2 und so fing er an, sich als grafischer Gestalter<br />
anzubieten, darin war er Autodidakt, wie viele Gestalter seiner Zeit.<br />
Weder an der Kunstgewerbeschule noch am Bauhaus Dessau oder später hat<br />
er eine entsprechende Lehre besucht.<br />
Im Kreise des Neue Bauens hatte er Erfolg, weil er seine Ideen für Plakate und<br />
andere Drucksachen parallel zu den Ideen des Neuen Bauens entwickelte. 3<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> verstand sich zeitlebens als Architekt und firmte so auf seinen<br />
Briefbögen und Drucksachen:<br />
1<br />
vgl. Arthur Rüegg, Produktdesign s. 102, 2005<br />
2<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 212, 1991<br />
3 vgl. Gerd Fleischmann, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>: Typografie s. 244, 1991<br />
55
Wie er diese Aufgaben stilistisch zu lösen gedachte, geht aus einem kürzeren<br />
Text hervor, den er 1930 publizierte. Es heiß dort:<br />
„Jede Gestaltung, im Sinne unserer heutigen Lebensbedingungen, erfordert<br />
größtmöglichste Wirtschaftlichkeit. Größtenteils ist Klarheit das<br />
Wirtschaftlichste. Druckgestaltung ist Organisation von Satzbildern, die durch<br />
Lesbarkeit bedingt sind. Die Typisierung einer Drucksache ist eine<br />
Zweckmäßigkeitsforderung.“ 4<br />
Zusätzlich war <strong>Bill</strong> stets der Meinung, dass die typografische Gestaltung auch<br />
eine Bauaufgabe sei, wie er in dem kurzen Text 1937 erklärte:<br />
„Typografie ist die Gestaltung eines Raumes, welcher sich aus Funktionen und<br />
Materie ergibt. Die Bestimmung der Funktion, die Wahl der Materie, verbunden<br />
mit der Ordnung des Raumes, sind die Aufgaben des Typografen.“ 5<br />
Der schwarze Freitag an der New Yorker Börse am 25. Oktober 1929 und der<br />
beginn der Weltwirtschaftskrise trafen den 21. jährigen <strong>Bill</strong>, als er dabei war in<br />
Zürich ein Büro einzurichten. Bauaufträge gab es für den unbekannten<br />
Architekten ohne Ausbildung natürlich nicht.<br />
Seit 1930 gehörte <strong>Bill</strong> dem Schweizerischen Werkbund an und seit 1931 dem<br />
Schweizer Reklameverband. Zu seinen engen Freunden zählten die Leute vom<br />
Schweizerischen Werkbund und vor allem die Architekten Steiger und Moser.<br />
In der Folge etablierte <strong>Bill</strong> sich als gewissermaßen offizieller Grafiker der<br />
schweizerischen Architekturavantgarde, welches ihm zur intensiven Mitarbeit an<br />
Projekten des Neuen Bauens in der Schweiz verhalf. Für einige ihrer Bauten<br />
kreierte er die Beschriftung der Fassaden. 6<br />
Für das in Zürich von den Architekten Hubacher und Steiger erstellte Zett-Haus<br />
realisierte <strong>Bill</strong> seine erste große Anzeigenkampagne.<br />
Schriftzug und Logo der Anzeigekampagne<br />
4 vgl. Christoph Bignens, Zu <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> als Typograf s.39, 2001<br />
5 vgl. Gerd Fleischmann, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>: Typografie s. 245, 1991<br />
6 vgl. Gerd Fleischmann, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>: Typografie s. 245, 1991<br />
56
Zett-Haus, 6-teilige Anzeigenkampagne, Neue Züricher Zeitung 1931/32<br />
Für das Varietetheater Corso das der moderne Architekt Ernst Buckhardt 1934<br />
umbaute, entwarf <strong>Bill</strong> unter anderem die Fassadenbeschriftung aus<br />
Neonröhren.<br />
1934 Entwurf für Fassadenbeschriftung und Reinzeichnung des Schriftzuges<br />
57
Außerdem lieferte <strong>Bill</strong> noch Werbekonzepte, Reklamedrucksachen und<br />
Schriftentwürfe für die Siedlungen Neubühl in Wollishofen (1931), für das<br />
Verkaufslokal „Wohnbedarf“ (1930) und für das Lagerhaus der Firma<br />
Pestalozzi (1934).<br />
58
Zur gleichen Zeit gestaltete <strong>Bill</strong> verschiedene Ausstellungsstände von privaten<br />
Firmen. Alle diese Auftragsarbeiten sind nicht völlig loszulösen von den<br />
künstlerischen Werken, die <strong>Bill</strong> nebenher in seinem Atelier schuf.<br />
Diese Verwandtschaft offenbart sich etwa beim Ausstellungstand für die<br />
Bitumen-Firma „Cola“. Das Fass mit Bitumen wurde hier wie ein Kunstwerk auf<br />
einen Dreifuss gestellt und <strong>Bill</strong> interessierte sicherlich weniger für den Inhalt, als<br />
vielmehr für die gewellte Oberfläche seiner Verpackung. 7<br />
Ihre formale Erscheinung lebt von einer ähnlichen Spannung zwischen<br />
gewellter Oberfläche und runder Form, wie das 1932/33 entstandene Well-<br />
Relief, das ein frühes und programmatisches Beispiel konkreter Kunst war.<br />
Formenentwicklung in der angewandten Arbeit beeinflussten seine Malerei- und<br />
umgekehrt. So entstand 1931 das wohl bekannteste Plakat von <strong>Bill</strong><br />
„Negerkunst“ das ebenfalls Prallelen zu dem Wellrelief aufzeigte.<br />
Ausstellungsstand für die Bitumenfirma „Cola“ 1934 Plakat „Negerkunst“ 1931<br />
7 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 212f, 1991<br />
Wellrelief 1931/ 1932<br />
59
Typografie, grafische Gestaltung und publizistische Arbeit waren für <strong>Bill</strong> mittel<br />
zum Zweck. Gestaltung hieß für ihn, sich einzumischen. So kämpfte er für das<br />
Neue Bauen, das Neue Leben und die Gute Form im Sinne des Bauhauses und<br />
machte diesen neuen Lebensstil in der Öffentlichkeit mit seinen Plakaten,<br />
Prospekten und zahlreiche Anzeigen bekannt und begann ab 1928 über Kunst,<br />
Architektur und visuelle Gestaltung zu publizieren. 8<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>s großer Einfluss auf die visuelle Kultur der Schweiz hängt einerseits<br />
damit zusammen, dass er alle gestalterischen Disziplinen selber ausübte, und<br />
andererseits damit zusammen, dass er darüber hinaus auch noch die Theorien<br />
selber verfasste. Als sein Markenzeichen in seinen Arbeiten machte er die<br />
Kleinschreibung, die er im Bauhaus schätzen gelernt hatte und diese aufgrund<br />
des Bedürfnisses nach Vereinfachung von nun an anwendete. 9<br />
Seine Laufbahn als Architekt setzte er 1933 mit dem Entwurf seines eigenen<br />
Atelier- und Wohnhauses in Zürich- Höngg ein.<br />
„Hinter <strong>Bill</strong>s Architektur und Typografie steht die gleiche ästhetische Haltung.<br />
Sie ist erstens gekennzeichnet von einer großen Zurückhaltung im Gebrauch<br />
der formalen Mittel, zweitens von einer sorgfältigen Komposition der Flächen<br />
und Räume und drittens von gestalterischen Einfällen, die nie aufdringlich<br />
wirken.“ 10<br />
Um gegen die Finanzierungskrise im Wohnungsbau anzugehen, gründeten<br />
damals einige Interessierte, darunter auch <strong>Bill</strong>, eine Bausparkasse.<br />
„die Baukredit Zürich“. 11 Da er einen der ersten Bausparverträge abgeschlossen<br />
hatte, ermöglichte ihm dies verhältnismäßig bald einen Baukredit zu<br />
bekommen. Zusätzlich erhielten er und seine Frau Binia finanzielle<br />
Unterstützung seitens ihrer Eltern, die das Bauland in Höngg erworben hatten<br />
und somit die Errichtung des Hauses ermöglichten. Die beschränkten<br />
finanziellen Möglichkeiten führten zu einer präzisen und haushälterischen<br />
8 vgl. Gerd Fleischmann, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>: Typografie s. 245, 1991<br />
9 vgl. Christoph Bignens, Zu <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> als Typograf s.39, 2001<br />
10 vgl. Christoph Bignens, Zu <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> als Typograf s.39, 2001<br />
11 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.6, 1997<br />
60
Konzeption mit gezielt eingesetzten Mitteln in räumlicher, architektonischer und<br />
materieller Hinsicht. 12<br />
So entstand 1932/33 das erste von <strong>Bill</strong> entworfene und zugleich eigene Haus<br />
am äußeren Rand des Dorfes Höngg in Zürich.<br />
Blick vom südlichsten Ende des Ansicht von Nordwesten 1941<br />
abfallenden Grundstücks 1941<br />
<strong>Bill</strong> war bestrebt, den Bauvorgang durch die Verwendung von vorfabrizierten<br />
Bauelementen zu vereinfachen und konstruierte sein Haus aus stockwerkhohen<br />
Wandelementen. Im Gegensatz zur damals geläufigen Vorstellung der<br />
modernen Architektur hatte es ein kupfernes Satteldach und nur drei große und<br />
dazu einige kleine Fenster. Atelier, Wohn und Schlafraum waren auf zwei<br />
Stockwerken in einem Raum vereinigt. 13<br />
Mit dem Aufbau seiner Fassade reagiert <strong>Bill</strong> auf eine ebenso persönliche Weise<br />
auf äußere Einflüsse, wie bei deren geometrischer Proportionierung.<br />
Beim kompakten Baukörper des Atelierhaus, der nur mit wenigen, präzise<br />
gesetzten Öffnungen gegliedert war und verputzt und hellweiß gestrichen<br />
wurde, handelt es sich offensichtlich zunächst um einen Versuch <strong>Bill</strong>s, die<br />
„Compostion trés difficile“ Le Corbusiers auf seinen eigenen Bau anzuwenden.<br />
Gleichzeitig aber verzichtet <strong>Bill</strong> ganz offensichtlich auf die „Cinq points d`une<br />
architecture nouvelle“ von 1927, insbesondere was die Grammatik der Fenster<br />
und die Ausbildung des Daches betraf und suchte formale Themen für die<br />
12<br />
vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.7, 1997<br />
13<br />
vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.6, 1997<br />
61
Anordnung von Hohl und Voll, die seiner eigenen konkreten Kunst genauer<br />
entsprachen. 14 <strong>Bill</strong> schrieb sich mit seinem Satteldach auf den ersten Blick in<br />
eine schweizerische Bewegung ein, die eine Erneuerung oder<br />
selbstverständliche Weiterentwicklung traditioneller Bauformen anstrebte, wie<br />
auch der praktizierende <strong>Max</strong> Ernst Haefeli in dieser Zeit. Jedoch wird man den<br />
Verdacht nicht los, dass <strong>Bill</strong> die widerspruchslos entgegengenommene<br />
Dachvorschrift von Beginn an verwendete, um zu einer spezifischen Form zu<br />
gelangen unter Verwendung der Merkmale des Neuen Bauens, auch wenn<br />
diese zurückhaltend eingesetzt und den üblichen Bauvorschriften angepasst<br />
wurden. 15<br />
„Zusammenfassend lässt sich am Atelierhaus <strong>Bill</strong>s Fähigkeit belegen,<br />
Fundstücke, Vorschriften und äußere Einflüsse als Ausgangspunkt<br />
für die Formulierung der spezifischen Lösung zu nehmen. <strong>Bill</strong> gestaltet also<br />
nicht im Sinne eines oberflächlichen Systems sondern sucht die für den konkreten<br />
Fall eine angemessene, in Aufgabe und Ort verankerte, einzigartige Gestalt.<br />
<strong>Bill</strong>s künstlerische Konzeption scheint nach 1931 bereits derart gefestigt zu sein,<br />
dass er auch in seinem architektonischen Erstlingswerk nicht dem<br />
verführerischen Einfluss Le Corbusier verfällt, sondern augrund einer<br />
kritischen Auseinandersetzung zu einer eigenständigen Lösung gelangt.<br />
Allerdings bleibt er in dieser frühen Phase offener für äußere Anregungen, als im<br />
Spätwerk, wo die eigenen bildnerischen Themen immer mehr die a<br />
ausschließliche Aufmerksamkeit beanspruchen.“ 16<br />
Ein Blick auf die im Archiv von Architekt Robert Winkler aufgefundenen<br />
Werkpläne des Atelierhaus zeigte, dass der damals 24 jährige <strong>Bill</strong> sich ganz auf<br />
die konzeptionelle und formale Durcharbeitung seines Hauses beschränkte und<br />
die Detailplanung und Bauleitung dem in Avantgardekreisen bestens<br />
eingeführten Praktiker überließ. 17 Als logische Folge des sparsamen Umgangs<br />
mit den Räumen sollte das knapp dimensionierte Haus auch eine ökonomische<br />
Konstruktion erhalten. So wurde eine Konstruktionsmethode angewandt, die der<br />
Ingenieur Karl Kieser aus Zollikon nach 1930 entwickelt hatte.<br />
14<br />
vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.14, 1997<br />
15<br />
vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.14, 1997<br />
16<br />
Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.15, 1997<br />
17<br />
vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.16, 1997<br />
62
„Es handelt sich dabei im wesentlichen um Betonelemente von 20 cm Breite,<br />
283 cm Höhe und 7 cm Dicke, sogenannte Steinplanken, welche die<br />
Tragstruktur bildeten. Diese kassettierten Elemente wurden mit der glatten<br />
Seite nach außen versetzt und mit einer Dachpappe auf der Innenseite<br />
abgedeckt, so dass die Vertiefungen zu Luftkammern wurden.<br />
Den raumseitigen Abschluss bildete eine zementgebundene Holzfaserplatte.<br />
In den Zwischenraum von Dachpappe und Holzfaserplatte ist Bimssteinkies<br />
eingefüllt, um einen guten Isolationswert zu erreichen.“ 18<br />
18 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.16f, 1997<br />
63
Der Bauvorgang beanspruchte lediglich sieben Monate, von Oktober 1932 bis<br />
Mai 1933, obwohl das System nicht in reiner Form angewendet werden konnte,<br />
da Vorschriften die Zwischendecken nur aus Stahlbeton, als Pfeifferdecken<br />
zuließen und auch die Außenwände des Untergeschoßes betoniert sein<br />
mussten. Ansonsten wurde das konzipierte Satteldach als ein konventionelles<br />
Sparrendach ausgebildet und sämtliche Trennwände wurden gemauert. 19<br />
<strong>Bill</strong> schreibt sich mit der Wahl eines vorfabrizierten Bausystems also in die<br />
Bestrebung der internationalen Avantgarde ein, den Bauprozess zu<br />
rationalisieren, und zwar auf sehr ähnliche Weise wie beim Dessauer Beispiel<br />
der Bauhaussiedlung Törten, welche er genau kannte. 20<br />
<strong>Bill</strong> verzichtete dabei auf den Anspruch, eine ursächliche Abhängigkeit von<br />
konstruktiver Disposition und formalen Ausdruck wie Le Corbusier zu erzeugen.<br />
1932 scheint er sich jedenfalls darauf beschränkt zu haben seine von<br />
bildnerischen Vorstellungen geprägte Architekturvorstellung auf rationelle<br />
Weise umzusetzen.<br />
„Indem er mit einer extrem pragmatischen Haltung gerade die Unreinheit des<br />
Kieser- Systems für seine ästhetischen Absichten nutzte, demonstriert er ein<br />
weiteres mal seine Fähigkeit, Ungleichartiges, Gefundenes oder Vorgegebenes<br />
in sein Konzept einzuschmelzen- eine Haltung , welche die Konkrete Architektur<br />
charakterisiert.“ 21<br />
Das klare Volumen des Atelierhauses besticht durch die wohldurchdachte<br />
Komposition der offenen und geschlossenen Flächen.<br />
Jedoch verleiht erst die plastische Durchformung der Südansicht den<br />
unverwechselbaren Ausdruck. 22<br />
19 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.69, 1997<br />
20 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.18, 1997<br />
21 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.18, 1997<br />
22 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.26, 1997<br />
64
In der Vertikalen ist die Fassadenfläche in vier gleichmäßige breite Felder<br />
aufgeteilt. Dem Maß dieser Abschnitte entsprechen die großen Öffnungen des<br />
Obergeschosses, der Stützenabstand innerhalb der gartenseitigen Loggia und<br />
das öffnungsfreie westliche Feld. Die Position des Dachwasserabflussrohres<br />
grenzt diese geschlossene Fläche ab und betont die öffnungsfreie Fläche noch<br />
zusätzlich. Außerdem widerspiegelt sie die vollständige Orientierung des<br />
Arbeitsraum nach Norden. Einzig das kleine Fenster des Schreibplatzes spannt<br />
sich nicht über die ganze Breite eines der Felder und ist nicht in der Feldmitte<br />
angeordnet, sondern nach links verschoben. Diese leichte Verschiebung<br />
erzeugt zusammen mit den Balkonen, deren verschiedene Auskragungen mit<br />
der jeweiligen Zurücksetzung der Außenwand in Beziehung stehen. Horizontale<br />
Zusammengehörigkeiten, basierend auf der geschossweisen Einheit der<br />
Öffnungen, überlagern die vertikale Struktur. Der Offenheit der Loggia steht die<br />
Geschlossenheit des Erdgeschosses gegenüber, während die beiden<br />
Öffnungen im Wohngeschoss durch Balkone als verwandt charakterisiert<br />
werden können. 23 Analog zu diesem Prinzip der mehrdeutigen Lesbarkeit ist<br />
<strong>Bill</strong>s 1943 entstandenes Bild „Rhythmus in vier Quadraten“ organisiert.<br />
23 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 216f, 1991<br />
65
Innerhalb der auf vier Quadraten aufgebauten Ordnung sind die farbigen<br />
Elemente so stark miteinander verknüpft, dass eine neue dreiteilige<br />
Komposition entsteht. 24<br />
Aufgrund der Hanglage ergibt sich auf der Nordseite eine zweigeschossige<br />
Ansicht.<br />
Auf der gleichen vierfeldrigen Gliederung wie die Südansicht, ist die<br />
Nordansicht durch die Abfolge von geschlossenen, teilweise offenen und<br />
vollständigen durchbrochenen Feldern charakterisiert. Das zweigeschossige<br />
Atelierfenster aus Stahl, als Oberlicht auf dem Dach fortgesetzt, steht der<br />
Geschlossenheit der restlichen Abschnitte gegenüber, was seine Wirkung als<br />
transparentes Element erhöht. Um den geschlossenen Charakter der<br />
Mauerfläche nicht mehr als nötig aufzulösen, sind die kleineren Öffnungen für<br />
die beiden Geschosse zu kompakten Formen zusammengefasst.<br />
Das Dunkelkammerfenster und die Eingangstüre bilden eine liegende L- Form.<br />
Im Obergeschoss wird das Küchen- und Korridorfenster mit drei Quadraten zu<br />
einer liegenden Öffnung addiert. 25<br />
24 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.26, 1997<br />
66
Die beiden eher geschlossenen Schmalseiten zeigen kleine Fenster, die im<br />
wesentlichen die innere Raumaufteilung widerspiegeln. Der während des<br />
2.Weltkrieges angebaute westseitige Kamin ist von der Fassade losgelöst und<br />
durch eine T-Profilkonstruktion aus Stahl getragen. Die Gliederung der<br />
Kaminanlage weist unübersehbar eine Ähnlichkeit mit der kurz vorher (1939)<br />
entstandenen Plastik „Konstruktion“ auf. 26<br />
Der streng geometrische Aufbau kann, abgesehen von den Fassaden auch gut<br />
aus dem ursprünglichen Grundrissplan des Obergeschosses ersehen werden.<br />
Auch hier sind vier aneinanderreihte Felder zu erkennen, wobei deren Länge<br />
jeweils das Doppelte ihrer Breite misst. Der Wohn- und Schlafraum beansprucht<br />
zwei Felder, die sich zu einer offenen quadratischen Fläche fügen.<br />
Der davon benutzbare Teil reduziert sich allerdings auf eine L- förmige Fläche,<br />
da eine quadratische Fläche von der Größe eines halben Feldes ausgespart ist,<br />
um den Wohnbereich mit dem darunterliegenden Atelier räumlich zu verbinden.<br />
Die andere Hälfte der Grundrissfläche ist für Nutzflächen von Küche, Bad,<br />
Erschließung und Essplatz nach Mindestmassen unterteilt. Angesichts einer<br />
derart klar hervortretenden, konstruktiv aber nicht unbedingt erforderlichen<br />
geometrischen Gliederung darf man wohl mit Recht auf analoge bildnerische<br />
25 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.28, 1997<br />
26 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.30, 1997<br />
67
Gestaltungen <strong>Bill</strong>s hinweisen. Insbesondere scheint sich dafür das 10 Jahre<br />
später entstandene Bild „ Vierteiliger Rhythmus anzubieten. 27<br />
27 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.42, 1997<br />
68
Im Erdgeschoss beansprucht zwei Drittel der Erdgeschossfläche das Atelier.<br />
Das eigentliche Zentrum dieses Raumes ist der zweigeschossige Bereich mit<br />
dem ebenso hohen Atelierfenster aus Stahl. Das Atelier ist gemeinsamer<br />
Arbeitsort der jungen Eheleute, denn beide sind zu dieser Zeit freiberuflich<br />
tätig. <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> realisierte hier als Architekt, Maler, Plastiker und Grafiker seine<br />
Werke. Für ihre Tätigkeit als Fotografin benötigte Bina <strong>Bill</strong> die mit einer<br />
entsprechenden Möblierung ausgestatteten Dunkelkammer. 28<br />
Ein intensiver Bezug der Loggia zum südseitigen Außenraum kennzeichnet das<br />
Untergeschoss und diente als Ort der Erholung und bildete den Auftakt zum<br />
Garten. Somit stellt das Kellergeschoss einen separaten Aufenthaltsbereich<br />
dar, während die Wohnfunktionen auf dem obersten Geschoss konzentriert ist<br />
und räumlich mit dem Atelier im Erdgeschoss verbunden wird. 29<br />
28<br />
vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.38 1997<br />
29<br />
vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.34, 1997<br />
69
Anregungen für sein eigens Haus holte sich <strong>Bill</strong> unter anderem bei dem<br />
Atelierhaus, das van Doesburg nur zwei Jahre früher in Meudon bei Paris<br />
bauen lies. Der holländische Künstler löste sich mit diesem Entwurf von der<br />
dynamischen Raumkonzeption aus Scheiben und Platten. Die er Mitte der 20er<br />
zusammen mit van Eesteren entwickelt hatte. Stattdessen definierte er nun<br />
zwei klare Volumen, die um ein Geschoss gegeneinander versetzt sind.<br />
Sein primäres Gestaltungsinteresse lag nun in der geometrischen Gliederung<br />
respektive der Integration des Bauvolumens und entspricht in dieser<br />
Beziehnung dem Haus von <strong>Bill</strong>. 30<br />
Theo van Doesburg: Wohn- und Atelierhaus in Meudon, 1930<br />
Andere Beobachtungen am <strong>Bill</strong>- Haus mögen dagegen eher Bezüge zu Le<br />
Corbusier herstellen, der 1927 Einfamiliehäuser in der Weissenhofsiedlung in<br />
Stuttgart realisiert hatte. Es handelte sich in diesen beiden Fällen um kompakte<br />
geometrische Volumen, die je einen doppelgeschossigen Raum besaßen, der<br />
die beiden Hauptetagen verband. Des weiteren zeichneten sie sich durch eine<br />
auf entsprechende Weise gegliederte Fassade aus (was bei Le Corbusiers<br />
Häusern allerdings tatsächlich konstruktive Gründe hatte) und hatten je eine<br />
über die ganze Höhe des Hauses reichende Glaswand. 31<br />
30<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 217f, 1991<br />
31<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 220, 1991<br />
70
Le Corbusier: Zwei Wohnhäuser in der Weissenhof- Siedlung, Stuttgart, 1927<br />
Weitere Beispiele, die sogar <strong>Bill</strong> zum unmittelbaren Studium gedient haben<br />
könnten sind die Villenbauten von Hans Schmidt und Paul Artaria aus den<br />
späten zwanziger Jahren. Bezüglich der geometrischen Rigorosität übertreffen<br />
sie gar das Atelierhaus von van Doesburg. Eines der hervorragensten Projekte<br />
dieser beiden Basler Architekten, das Haus Huber in Riehen (1929). wurde zum<br />
Anlass genommen, die Konzeption Le Corbisiers, wie sie in Stuttgart<br />
demonstriert worden ist, zu verbessern. Das nahezu ausschließliche<br />
Gestaltungsthema des Riehener Hauses ist von der Montage vorfabrizierter<br />
Teile abgeleitet. Diesbezüglich hatte Schmidt schon 1926 im ausdrücklichen<br />
Widerspruch zu Le Corbusier in einem Artikel der von ihm mit<br />
herausgegebenen Avantgarde-Zeitschrift ABC die Meinung vertreten, dass die<br />
Technik das Spiel mit der Form lächerlich gemacht habe. Es scheint, als könnte<br />
das Höngger Haus von <strong>Bill</strong> genau aus der Perspektive dieser Korrektur an Le<br />
Corbusier verstanden werden. 32<br />
Paul Artaria, Hans Schmidt_ Hans Huber, Riehen bei Basel, 1929<br />
32 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 222, 1991<br />
71
Zusammenfassend kann <strong>Bill</strong>s erstes Haus als „ein Schlüsselwerk bezeichnet<br />
werden, weil es den einzigen Beleg dafür liefert, auf welche Weise die<br />
Architektur in die Einheit der künstlerischen Äußerungen <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>s damals<br />
eingebunden, respektive wieweit die Auffassung tatsächlich durch die damalige<br />
künstlerische Position geprägt war, aber auch umgekehrt wieweit über die<br />
architektonischen Experimente Einflüsse auf das bildnerische Werk selbst<br />
auszumachen sind.“ 33<br />
„Dieses Haus hatte nicht zur Folge, dass ich Aufträge bekommen hätte, andere<br />
bauen zu können.“ 34<br />
Es sollte mehr als Zehn Jahre dauern, bis <strong>Bill</strong> sein zweites Haus bauen konnte.<br />
In der Zwischenzeit stellten die Aufträge im Ausstellungssektor einen Ersatz,<br />
aber auch ein Versuchsfeld für neue räumliche Gestaltungen dar. 35 Den ersten<br />
internationalen bedeutenden Erfolg und einer der ersten und wichtigsten<br />
Beiträge zur modernen Architektur konnte er mit der Gestaltung des Schweizer<br />
Sektors an der Triennale von 1936 in Mailand feiern. Die exakt zur selben Zeit<br />
entwickelten Prinzipien einer konkreten Gestaltung sollten hier erstmals auf<br />
eine räumliche Situation übertragen werden.<br />
33<br />
vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.18 1997<br />
34<br />
Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
35 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 223, 1991<br />
72
Damit setzte sich <strong>Bill</strong> dem kulturpolitischen nicht risikolosen Versuch aus, mit<br />
den Mitteln der ungegenständlichen Kunst eine zeitgemäße Form der<br />
nationalen Selbstdarstellung zu schaffen. 36 Was für die Künstlerkarriere <strong>Bill</strong>s<br />
entscheidender war, war die Tatsache, dass der Triennale- Pavillon ihn in die<br />
Ränge der internationalen Avantgarde hob. Mit dem gekurvten Element, das<br />
gleichzeitig Vitrinenmöbel und Raumteiler war, schuf <strong>Bill</strong> ein einzigartiges<br />
Raumensemble. Neu daran war, dass er der Ausstellungsstruktur einen<br />
eigenen aussagekräftigen Wert beimaß und sie damit den Exponaten<br />
gleichstellte. 37 Der Auftrag an <strong>Bill</strong> erfolgte auf Grund eines Wettbewerbs, den<br />
der Schweizerische Werkbund (SWB) ausgeschrieben hatte.<br />
Zwar wurden Stimmen laut, die den Vorschlag <strong>Bill</strong>s als abschreckendes<br />
Beispiel einer Visitenkarte der Schweiz hinstellten, jedoch urteilten die nationale<br />
und internationale Fachpresse sehr positiv über den Beitrag. Von den<br />
Veranstaltern wurde <strong>Bill</strong> dafür sogar mit einem Grand Prix ausgezeichnet.<br />
Die Komplexität der Gestaltung findet sich nicht unbedingt in den gleichzeitig<br />
entstandenen Architekturprojekten wieder. 38<br />
1934 wurde <strong>Bill</strong> von Elsbeth Hodel- Spoerri, der Schwester seiner Frau<br />
beauftragt ein Gärtnerhaus mit Gewächshaus zu entwerfen. Das Gebäude<br />
sollte an einem Hang liegen unterhalb eines bereits bestehenden Hauses.<br />
<strong>Bill</strong> schlug seinen Klienten einem sich dem Tal zugewandten Haus vor an<br />
dessen Seite ein großes Gewächshaus angeschlossen war.<br />
36<br />
vgl. Karin Gimmi, Architektur als Kunst? s. 60, 2005<br />
37<br />
vgl. Karin Gimmi, Architektur als Kunst? s. 61, 2005<br />
38<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 223, 1991<br />
73
Parallel dem Hang verlief eine Art Betonsockel, der sowohl den Wohnraum als<br />
auch die Kellerwände des Gewächshauses bildete und auf diese Weise eine<br />
Verbindung aus beiden Gebäudeteilen herstellte. Das Obergeschoss des<br />
Gärtnerhauses bestand aus einer Holzrahmenkonstruktion mit einem<br />
auskragenden Flachdach.<br />
Grundriss<br />
Schnitt<br />
Während die bereits existierende Villa im oberen Bereich des Hangs<br />
unverändert blieb, wurde das Gärtnerhaus und das Gewächshaus in den 70er<br />
Jahren zerstört. In <strong>Bill</strong>s Entwurf sind zweifellos Elemente eingeflossen, die eine<br />
zentrale Rolle in der Gestaltung des Hauptwohnhauses oberhalb des<br />
Gärtnerhauses spielten, welches 10 Jahre zuvor errichtet wurde. Das ist nicht<br />
sonderlich überraschend, denn der Architekt des Haus Hodel war Hans<br />
74
Schmidt, einer der ersten Repräsentanten des Neuen Bauens, der von <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong><br />
sehr geschätzt wurde. Das Haus, welches zwischen 1924 und 25 mit einem<br />
geneigten Dach erstellt wurde, wirkte auf den ersten Blick jedoch sehr<br />
konventionell. Im Kontrast dagegen stand <strong>Bill</strong>s hölzerne Box, die ganz klar die<br />
formale Sprache des Neuen Bauens besaß. Die Fassade, die dem Tal<br />
zugeneigt war, wurde dominiert von dem oberen Geschoss mit dem großen<br />
Fenster und der darunterliegenden Loggia im Erdgeschoss. Die zwei Stützen<br />
der Loggia wurden so platziert, dass die Ecken frei waren und so ein insgesamt<br />
schwebender Charakter des Obergeschoßes entstand. Der Abstand zwischen<br />
den Achsmassen der Stützen bezog sich auf ein Grundraster, welches im<br />
gesamten Gebäude verwendet wurde. Fünf 105cm Einheiten in der Breite und<br />
sieben in der Tiefe. Vergleichbar zum Wohn- und Galleriehaus von <strong>Bill</strong> in<br />
Zürich- Höngg, das kurz zuvor fertig gestellt wurde, zeigte die Fassade des<br />
Haus Hodel eine raffinierte Gestaltung, indem die fünf Einheiten im<br />
Erdgeschoss in einem symmetrischen Verhältnis von 1:3:1 und im<br />
Obergeschoss in einem asymmetrischen Verhältnis von 2:2:1 arrangiert<br />
wurden. Das große Fenster an der Hauptfassade unterstrich äußerlich die<br />
Asymmetrie der Fassade, während es im Inneren des Wohnraumes zentral<br />
angeordnet war und die einzige Öffnung nach außen darstellt. Das Fenster<br />
bestand aus vier Rastereinheiten von je 105cm in der Breite, die verbleibende<br />
restliche Einheit von 105cm diente als Nische und Abstellraum. Der kleine<br />
Balkon ist eine Bezugnahme zum entworfenen Haupthaus von Schmidt. <strong>Bill</strong>s<br />
Haus sollte in dem Kontext einer Zeit gesehen werden, wo man sich bemühte<br />
Holz als heimisches Baumaterial für das Neue Bauen zu propagieren. 39<br />
<strong>Bill</strong> hatte sich zwischen 1936 und 1937 gleich an mehreren Züricher<br />
Bauwettbewerben beteiligt, so an dem für ein Konzert- und Kongressgebäude<br />
(1936), für die Seeufergestaltung (1937), für das Warenhaus Globus (1937) und<br />
für das Ausflugrestaurant auf der Waid (1937), erheilt jedoch nie einen Preis. 40<br />
39 vgl. „2G“- N.29/30, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Hodel gardener`s house, Riehen s. 70f, 2004<br />
40 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 226, 1991<br />
75
Das Gartenstadt Projekt für die Seeufergestaltung 1936 besetzt eine besondere<br />
Position in <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>s Arbeit, denn es war das erste und letzte Mal, dass <strong>Bill</strong> mit<br />
einer reinen Stadtbauplanung konfrontiert wurde. Der Hintergrund für diese<br />
Initiativen war die 1939 stattfindende Schweizer Nationalausstellung. Die<br />
Lösungsvorschläge für die Ufergestaltung sollten Promenaden, Bademöglichkeiten<br />
und Aussichtsterrassen enthalten, um so die Beziehung<br />
zwischen Stadt und See zu verstärken.<br />
<strong>Bill</strong>s Entwurf beschrieb eine Gartenstadt. Er fasste ins Auge bestehende alte<br />
Bauten zu entfernen und anstelle dessen neue moderne mit einem einheitlichen<br />
Vokabular gestaltete Gebäude neu zu errichten, welche über dem Boden<br />
schwebend nur auf Stützen stehen und Dachterrassen erhalten sollten. Die<br />
Nationalbank und die Konzerthalle sollten als einzige historische Gebäude<br />
bestehen bleiben. In <strong>Bill</strong>s Vorstellung gehörten die Quais zu dem<br />
Fußgängerbereich und sollten geringfügig terrassiert werden und verschieden<br />
Plätze und Rampen bilden, die direkt zum Wasser führten. Ein wichtiges<br />
Merkmal des Gartenstadtprojektes war ein auf dem Wasser schwimmendes<br />
öffentliches Schwimmbad aus Holz, welches vom Bürkliplatz aus gesehen sich<br />
76
weit auf dem See befinden sollte. Der Jury war es unmöglich den radikalen<br />
Vorschlag <strong>Bill</strong>s weiter zu unterstützen und schloss seinen Beitrag in der zweiten<br />
Runde aus. 41<br />
Ein weiteres Projekt entstand 1937 im Rahmen eines Wettbewerbes der Stadt<br />
Zürich mit dem Restaurant Neue Waid. Die Aufgabe beinhaltete eine<br />
Umgestaltung eines ländlichen Wirtshauses, welches 1830 erbaut wurde, in ein<br />
modernes zeitgemäßes Restaurant unter Berücksichtung der exponierten Lage<br />
und dem einzigartigen Blick auf die Stadt und den See.<br />
41 vgl. „2G“- N.29/30, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Zurich- the garden city on lake s. 78f, 2004<br />
77
Ob <strong>Bill</strong>s Vorschlag unter den 71 eingereichten Entwürfen in der engeren<br />
Auswahl war ist nicht gewiss. Verglichen zu dem Gewinnerentwurf, der sich an<br />
dem Stil eines traditionellen Wirtshauses orientierte, ist es wohl sehr deutlich<br />
das <strong>Bill</strong>s Entwurf scheinbar zu radikal und modern war und diesbezüglich keine<br />
Chance hatte. Sein Projekt bestand aus einem verlängerten Gebäude, welches<br />
sich zum Tal hin öffnete und sich in drei Bereiche gliedert. Ein<br />
zweigeschossiges hallenartiges Gebäude, ein geschlossener Terrassenflügel<br />
und ein Restaurant. Eine offene Terrasse wurde im Südwesten vor die drei<br />
geschlossenen Bereiche platziert, die im Westen durch einen großen<br />
Restaurantgarten ergänzt wurden. Auch die äußerst bemerkenswerte, sich<br />
schlängelnde Glasfassade, die es <strong>Bill</strong> ermöglichte sowohl einen<br />
ununterbrochenen Blick als auch schützende Essnischen anzubieten<br />
überzeugten die Jury nicht. 42<br />
1937 entstand der Entwurf für den Schweizer Pavillon, der internationalen<br />
Ausstellung in Paris 1937. <strong>Bill</strong>s Zeichnungen zeigten ein dreidimensionales<br />
Raster, in mitten ein System aus Boxen oder Würfeln verschiedener Farben<br />
sich befand.<br />
Zwei Jahre später fertigte er erneut einen Entwurf für den Schweizer Pavillon in<br />
New York für die Weltausstellung an. Der Wettbewerbsbeitrag war eine<br />
Weiterentwicklung des Entwurfs für den Pavillon 1937 in Paris. Jedoch wurde<br />
der Entwurf wieder nicht anerkannt und die Jury entschied sich auf direktem<br />
42 vgl. „2G“- N.29/30, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Restaurant Neue Waid, Zurich s. 82f, 2004<br />
78
Wege für den in der Schweiz geborenen Architekt William Lescaze, der schon<br />
längere Zeit in den Usa gelebt und erfolgreich gearbeitet hatte.<br />
Ein gestalterisches- und architektonisches Thema <strong>Bill</strong>s bestand in der<br />
Differenzierung von tragen und trennen und war besonders in einer äußerst<br />
konsequenten Weise beim Projekt des Schweizer Pavillons an der<br />
Weltausstellung in New York maßgebend.<br />
<strong>Bill</strong> schlug dafür ein großes nacktes Stahlskelett vor, in welches nach Belieben<br />
Raumzellen und Erschließungswege wie Organe hätten eingehängt werden<br />
sollen. Der Vorschlag erinnert an das skulpturale Raumgitter, das der<br />
Österreicher Friedrich Kiesler 1925 an der Pariser „expositon international d´art<br />
decoratif“ ausgestellt hatte. Zeitlich, aber auch formal näher noch stand ihm das<br />
Projekt für ein hängendes Haus, an dem der in Paris lebende Amerikaner Paul<br />
Nelson von 1936-38 arbeitete. Außerdem waren Raumgitter mit eingehängten<br />
Volumen und Flächen in den 30er Jahren zu Inkunabeln der modernen<br />
italienischen Ausstellungs-Architektur geworden. 43<br />
43 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 230, 1991<br />
79
Die Raumzellen beinhalteten jeweils individuelle Bereiche der Ausstellung. <strong>Bill</strong><br />
hat in diesem Zusammenhang besonderen Wert auf die Positionierung bzw.<br />
Ausrichtung der Volumen und deren Verbindung und Wegeführung<br />
untereinander gelegt. Betrachtet man die Pläne, so war das Erdgeschoss der 3<br />
geschossigen Struktur lediglich mit Glaswänden unterteilt und beherbergte<br />
einen Restaurantbereich. Die Ausstellungsräume des ersten Geschosses<br />
wurden mit einer Treppe in der westlichen Ecke des Komplexes erreicht. Man<br />
gelangte in eine erste Zelleneinheit, eine zweigeschossige Ausstellungshalle.<br />
<strong>Bill</strong>s besondere Fähigkeit lag darin, wie er ein Zirkulationssystem innerhalb<br />
eines dreidimensionalen Raums arrangierte, der aus geschlossen und offenen<br />
Räumen bestand. 44<br />
Aufgrund der sichtbar gemachten Differenz zwischen zwei Systemen innerhalb<br />
eines Bauwerkes besteht eine formale Analogie zum Bild „Horizontal- vertikaldiagonal-<br />
Rhythmus“, dessen Raster aus schwarzen Balken, die in<br />
eigengesetzlicher Aufeinanderfolge die Bildflächen gliedern, entspricht den<br />
linearen Elementen des architektonischen Traggerüsts.<br />
Horizontal- vertikal-diagonal- Rhythmus 1942<br />
„So wie in das Liniennetz des Bildes aber farbige Dreiecke eingefügt sind, die<br />
sich darin ebenfalls nach eigenen Gesetzen ausbreiten, so verhält es sich auch<br />
mit den raumbildenden Elementen der architektonischen Gestalt des<br />
Pavillons.“ 45<br />
44<br />
vgl. „2G“- N.29/30, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Swiss Pavilion, New York World´s Fair s.86f, 2004<br />
45<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 230f, 1991<br />
80
1938 reiste <strong>Bill</strong> für längere Zeit nach Paris und arbeitete im Atelier von Le<br />
Corbusier, um den dritten Band zu der von Willy Bösiger begonnenen Reihe<br />
des Gesamtwerkverzeichnisses der Architektur von Le Corbusier & P.<br />
Jeannerete 1934- 1938 zusammenzustellen. 46<br />
Eine weitere Gelegenheit bot sich 1942, als er mitten im Krieg den Auftrag für<br />
ein Wohnhaus im Bremgarten erhielt. Das heute zerstörte Haus war L- förmig<br />
angelegt, wobei es mit zwei Fassaden bündig auf einer quadratischen Ebene<br />
lag, die an einem sanft abfallenden Hang aufgeschüttet worden war.<br />
46 vgl. Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> und Georges Vantongerloo s. 32, 1991<br />
81
Durch den einen Arm des Grundrisses führte ein innerer Gang, von dem aus<br />
beiderseits Zimmer sowie der zweite Arm des L erschlossen wurden.<br />
Den inneren, gegen den Garten gerichteten Fassaden sowie den beiden<br />
Stirnseiten des L- förmigen Baukörpers war ein loggiaähnlicher Umgang<br />
vorgelagert. Die Stützen, die die Loggia gegen außen abgrenzten, waren nur<br />
roh bearbeitete Holzpfosten und mochten in dieser Form an Urhütten-Modelle<br />
erinnert haben. Für die dahinterliegenden Außenwände des Hauses kam ein<br />
industriell vorgefertigtes Bausystem „Durisol“ zur Anwendung, welches im<br />
wesentlichen aus 1.5 m langen und 0.5 m hohen Betonelementen bestand. 47<br />
47 vgl. „2G“- N.29/30, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Villiger House, Bremgarten s.92f, 2004<br />
82
Die Stützen der Holzkonstruktion, soweit sie mit den Durisol- Elementen oder<br />
mit den Inneneinrichtungen in Berührung kamen, waren auf einen<br />
quadratischen Querschnitt zugeschnitten.<br />
Zweifellos muss man die für das Haus getroffene Auswahl der Materialien im<br />
Rahmen kriegsbedingter Einschränkungen sehen. Die ausschließliche<br />
Verwendung von Rohstoffen, die in der Schweiz gewonnen werden konnten,<br />
führte jedoch keineswegs in der Verarbeitung zu einem kitschigstimmungsvollen<br />
Heimatstil. Vielmehr könnte es sogar als geistiger<br />
Landesverrat verstanden worden sein, dass <strong>Bill</strong> sich mit dem Entwurf auf die<br />
japanische Bautradition bezog, wie er einmal in einem Brief an Gropius<br />
gestand. Als japanische Merkmale sind etwa zu nennen: die Gartenanlage, die<br />
kleinteilige Proportionierung, die Offenheit des Gebäudes vor allem gegen den<br />
Garten hin sowie die Natursteine, in denen die äußeren Holzpfosten der Loggia<br />
verankert waren. Der Kontrast zwischen der industriell gefertigten Wand und<br />
den naturalisierenden Baumstämmen, die <strong>Bill</strong> davor pflanzen ließ, gibt ein<br />
Thema einer weiterführenden Vision an, die darin bestand handwerkliche und<br />
industrielle Konstruktionsmöglichkeiten in einem Bau zu vereinen. In dem<br />
kleinen Haus Bremgarten klang noch ein weiteres Thema an, das in einem<br />
engeren Sinne mit dem Wesen der architektonischen Problematik verbunden<br />
83
war und auch in verschiedenen anderen Projekten <strong>Bill</strong>s auftauchte, so auch bei<br />
dem Entwurf für den Schweizer Pavillon in New York. 48<br />
Der Ständerbau besteht in der Regel aus zwei verschiedenen,<br />
ineinandergreifenden Systemen. Dem System der tragenden und jenem der<br />
trennenden Teile. Auch beim Haus Bremgarten waren die beiden fast nahtlos<br />
ineinander verschränkt. Nur die unbehauenen Holzpfosten schienen aus dem<br />
Verband herauszutreten, um als tragende Teile eine gewisse, von der übrigen<br />
Konstruktion sich abhebende Unabhängigkeit zu signalisieren. 49<br />
„Das Wohnhaus in Bremgarten wie auch einige andere Entwürfe zeigten<br />
jedoch, das <strong>Bill</strong> eher auf ein Sichtbarmachen des gleichwertigen<br />
Nebeneinanders, als auf eine Hierarchisierung von tragenden und trennenden<br />
Systemen hin arbeitete.“ 50<br />
In den späten 40er Jahren verfolgte <strong>Bill</strong> das Thema der Ineinssetzung von Tragund<br />
Trennsystemen weiter, und zwar so, dass die Systeme sich stelleweise aus<br />
dem Verband herauslösten, um gerade dadurch ihre Ineinssetzung zu<br />
intensivieren. Natürlich war diese Thematik bei all jenen Projekten wichtig, bei<br />
denen ausfachende Durisol-Platten vorgesehen waren, wie beispielsweise beim<br />
nicht ausgeführten Haus für ein Künstlerehepaar in Ascona von 1949. 51<br />
Ehe <strong>Bill</strong> sich weiteren architektonischen Projekten zuwendete beteiligte er sich<br />
in der Folge an verschiedenen Ausstellungen, so zum Beispiel an der<br />
Wanderausstellung „Unsere Wohnung“ des Schweizerischen Werkbundes<br />
1943, wo <strong>Bill</strong> die gesamte Anordnung der Ausstellung arrangierte und selbst<br />
eine Abteilung gestaltete. Die Ausstellung sollte in erster Linie den Besucher zu<br />
einem sinnvollen und vorteilhaften Umgang mit der Wohnungsmöblierung<br />
anregen und diesem Beispiele und Möglichkeiten der ästhetischen<br />
Wohnraumgestaltung an die Hand geben. 52<br />
48<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 227f, 1991<br />
49<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 230, 1991<br />
50<br />
Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 231, 1991<br />
51<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 231, 1991<br />
52<br />
vgl. Streiff, Vorwort, Unsere Wohnung s. 3f, 1943<br />
84
Von <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> zusammengestelltes Wonzimmer<br />
1949 konnte <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> an der Basler Mustermesse eine von ihm erarbeitete<br />
Sonderschau des schweizerischen Werkbundes mit dem Titel die „Gute Form“<br />
eröffnen. Diese entstand aus der Diskussion heraus, die <strong>Bill</strong> zuvor mit einem<br />
Vortrag über Gestaltungsprobleme mit dem Titel „Schönheit als Funktion“<br />
entfachte. 53 <strong>Bill</strong> hatte sich schon früh mit den ästhetischen Fragen der<br />
Industrialisierungsmethoden befasst 54 und formulierte es einmal so:<br />
„Schönheit ist auch eine Funktion, die berücksichtigt werden muss, um aus<br />
jedem Objekt ein Kultur- Objekt zu machen.<br />
Unter einer guten Form verstehen wir eine natürliche, aus ihren funktionellen<br />
und technischen Voraussetzungen entwickelte Form eines Produktes, das<br />
seinen Zweck ganz entspricht und das gleichzeitig schön ist.“ 55<br />
Dabei wies er darau<strong>fh</strong>in das jedes Objekt einen Gebrauchszweck zu erfüllen<br />
hat und auch einem jeden Objekt ein unbestimmter Rest bleibt, der nach der<br />
Beantwortung der Frage der Gestaltung und Ästhetik verlangte. Der Direktor<br />
der schweizerischen Mustermesse interessierte sich sehr für <strong>Bill</strong>s Haltung und<br />
ermöglichte ihm die Gestaltung jener Ausstellung mit dem Titel die „Gute Form“.<br />
Der Begriff Gute Form wurde im Zusammenhang mit dem Funktionalismus<br />
gebraucht, um ein Design zu charakterisieren, das den Kriterien von hoher<br />
Nützlichkeit, Lebensdauer, Sicherheit, Ergonomie, Sparsamkeit, Sachlichkeit<br />
und Vernunft entsprach. Dabei war "gut", was sowohl funktionalen als auch<br />
53 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
54 vgl. Arthur Rüegg, Produktdesign s.102, 2005<br />
55 Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
85
ästhetischen Forderungen genügte und den Anspruch an zeitlose Gültigkeit<br />
dokumentierte. 56<br />
<strong>Bill</strong> installierte ein System aus miteinander verbundenen Holzrahmen, welches<br />
zu jeder beliebigen Figur zusammengefügt werden konnte und eine sich durch<br />
den Raum schlängelnde Figur bildete, auf dem weiße Ausstellungstafel<br />
angebracht wurden. Damit erreichte <strong>Bill</strong> das Ziel, mittels der Einrichtung eine<br />
Dynamisierung des an sich neutralen Raumes zu erzeugen, ähnlich wie bei der<br />
Triennale von 1936. Jede dieser Ausstellungsflächen war mit drei Fotografien<br />
von Beispielen der Guten Form bedruckt und einem dazugehörigen<br />
56 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
86
Erläuterungstext. Die Ausstellung thematisierte vier Bereiche der Formgebung,<br />
einerseits aus Natur, Wissenschaft, Kunst und Technologie und andererseits<br />
aus Bereichen, wie der Architektur, der nationalen Güterproduktion und der<br />
Auswahl guter Formen von Haushaltsgeräten und Transportsystemen. 57<br />
Mit der Ausstellung belegte und unterstrich <strong>Bill</strong> seine Haltung, dass Form ein<br />
Ergebnis aus dem Zusammenwirken von Material, Funktion und Schönheit<br />
sei. 58<br />
Für die Mailänder Triennale von 1951, an der die Schweiz einen wesentlich<br />
kleineren Raum als 1936 zugewiesen bekam, installierte <strong>Bill</strong> in einem<br />
abgedunkelten Raum verschiedene tischhohe, von innen beleuchtete<br />
Trommeln. Darin waren die thematisch gruppierten Exponate untergebracht.<br />
Den Besuchern bot sich die Möglichkeit, zwischen den Vitrinen wie zwischen<br />
Inseln frei hin und her zu kreuzen. 59<br />
57<br />
vgl. „2G“- N.29/30, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Die gute Form Exhibition s.98f, 2004<br />
58<br />
vgl. Ingrid La Plante, Dokumentarfilm- Ein Portrait, 1988<br />
59<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 244, 1991<br />
87
1947 bis 1948 beteiligte <strong>Bill</strong> sich an Studien für Hausentwicklungen in Israel.<br />
Das Projekt für industriell vorfabrizierte Häuser bezog sich direkt auf die<br />
Gründung des Staats Israel im Mai 1948 und die Kolonisation des neuen<br />
Landes in den folgenden Jahren. Die Initiative kam auf der einen Seite von<br />
Abraham Beer, einem Büromitglied in <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>s Architekturbüro, das 1947<br />
eröffnet wurde. Auf der anderen Seite von der Firma Durisol, die leichte<br />
Betonfertigelemente herstellte, die <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> beauftragte eine Studie über die<br />
Entwicklung von standardisierten vorfabrizierten minimal Häuser zu machen.<br />
Unter minimal verstand er Häuser zu entwickeln, die die ökonomischen<br />
Grenzen berücksichtigten, jedoch einen hohen Grad an häuslichem Komfort<br />
aufwiesen. In dem Israel Projekt beabsichtigte <strong>Bill</strong> erneut das Durioslsystem zu<br />
verwenden. Das Bauen mit standardisierten Elementen interessierte <strong>Bill</strong> sehr<br />
und befähigte ihn rational, ökonomisch und schön zu bauen, etwas was in<br />
seiner Architektenlaufbahn sehr wichtig für ihn war. <strong>Bill</strong> und Beer entwarfen drei<br />
Häuserserien. Typ A bot den absolut geringsten Wohnraum, Typ B war<br />
vergrößert durch eine Küche und Typ C hatte annähernd die Größe eines<br />
durchschnittlichen Reihenhauses. In allen drei Wohnungstypen wurde darauf<br />
geachtet, dass gute und schnelle Bewegungsräume bzw.- Abläufe möglich<br />
waren und das die verschiedenen häuslichen Funktionseinheiten voneinander<br />
klar getrennt waren. Das wichtigste Kriterium dieser Häuser bestand darin das<br />
man sie als Einzelhäuser, aber auch zu mehreren Hauseinheiten gruppieren<br />
konnte.<br />
88
In diesem Zusammenhang entstand 1945 nach dem Krieg das Buch<br />
„Wiederaufbau“, indem <strong>Bill</strong> verschiedenartige Baumethoden vorstellte, um rasch<br />
und im großen Ausmaß neue Wohnstätten zu errichten. <strong>Bill</strong> dokumentierte mit<br />
dem Buch die verschiedenen Tendenzen und Versuche im Ausland und<br />
schweizerische Beiträge für die erste Phase des Wideraufbaus und gab<br />
Anregungen für die Weiterentwicklung dieser Thematik. 60<br />
In den ersten Nachkriegsjahren hielt <strong>Bill</strong> diesbezüglich Vorlesungen und<br />
Vorträge über Wiederaufbau, Produktgestaltung und Kunst, vor allem in<br />
Deutschland, wie auch in Paris und Italien, an Hochschulen und auf<br />
Tagungen. 61<br />
Im Verlauf Ende der 40er Jahre entwickelte <strong>Bill</strong> die Interesse an täglichen<br />
Gebrauchsgüter und war der Auffassung, man müsse in anbetracht der<br />
Materialknappheit ökonomisch vorgehen und mit den wenigen Materialien, die<br />
nach dem Krieg zur Verfügung standen, die besten Gegenstände herstellen. 62<br />
Diese Vorstellung galt für ihn ebenso für das Bauen, als auch für die<br />
Herstellung von Gebrauchsgegenständen. In diesem Zusammenhang<br />
bezeichnete er sich nie als Designer und betonte diese Tatsache explizit 1967<br />
in einem Interview: „Ich bin nicht industrial designer. Als Architekt befasse ich<br />
mich mit der Gestaltung der Umwelt. Da bis ins kleinste Detail die meisten<br />
Gegenstände […] schlecht oder falsch gemacht sind, fühle ich mich hin und<br />
60 vgl. „2G“- N.29/30, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Housing development, Israel s.96f, 2004<br />
61 vgl. Du- Europäische Kunstzeitschrift- Autonome Gegenstände… s.15, Juni-Ausgabe1976<br />
62 vgl. Angela Thomas Schmid, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. Zeichnungen 30/40/50er-Jahre s. 134, 2004<br />
89
wieder verpflichtet und versucht, einen bestimmten Gegenstand neu zu<br />
überdenken und ihm eine seinem Zweck gerechte, brauchbare und schöne<br />
Form zu geben.“ 63<br />
Mit diesem Bewusstsein entwarf er 1944 für seinen ersten Industrieauftrag die<br />
„patria“- Schreibmaschine, die aufgrund ihrer neutralen und selbstverständlichen<br />
Form zum Inbegriff der Schreibmaschine geworden ist.<br />
1946 folgte die „indiphot“- Pendelleuchte und um 1950 entstanden dann eine<br />
grosse Anzahl von Holzmöbeln für die Wohnbedarf Ag, unter anderem die<br />
Dreibeinstühle von 1949 und eine Version des damals populären Nierentisches.<br />
1951 entstand für die Firma Junghans eine Küchenuhr mit Kurzzeitmesser, <strong>Bill</strong><br />
sollte in der Folge für jene Firma noch mehrer Uhren entwerfen, so auch eine<br />
Armbanduhr. 64<br />
63<br />
vgl. Arthur Rüegg, Produktdesign s.102, 2005<br />
64<br />
vgl. Arthur Rüegg, Produktdesign s.103, 2005<br />
90
1949 entstand der Hausentwurf für ein Künstlerpaar in Ascona, dass zu einem<br />
der vielen unrealisierten Projekte gehörte und große Ähnlichkeit hatte mit dem<br />
Haus in Bremgarten, da <strong>Bill</strong> auch hier mit dem Durisolsystem arbeitetet.<br />
91
Der Grundriss wurde in einer L- Form konzipiert mit einer Terrasse, die sich im<br />
Inneren des Gebäudekomplexes befand. Eine einzelne eingeschossige offene<br />
Halle wurde an die Seite des Gebäudes angeschlossen, so dass ein Hof<br />
entstand, der von drei Seiten umschlossen war. Der Eingang des Hauses<br />
befand sich an der äußeren Ecke des L, von dem man direkt in die Küche ging.<br />
Generell war der Haupteingang so lokalisiert, dass man direkt zu dem Hauptteil<br />
des Gebäudes in eine Art Eingangshalle vorstieß von dem man den<br />
Speiseraum und den Innenhof erreichte. Ein Musikraum bildete den größten<br />
Raum am Eingangsbereich des Hauses. Weiteres Merkmal des Entwurfs war<br />
die Außentreppe, die zu dem oberen Geschoß führte, welches als Galerie und<br />
Loggia diente und einen verschatteten Außenbereich bildete. Die Staffelung der<br />
drei Flügel des Hauses und die flachgeneigten Dächer ermöglichten eine gute<br />
Belichtung der unteren Geschosse. 65<br />
Bei einem weiteren Projekt 1949 entwarf <strong>Bill</strong> Wohntürme für ein Wohnquartier in<br />
Zürich und auch dabei spielte die Verbindung beziehungsweise die<br />
Unabhängigkeit von Tragen und Trennen eine große Rolle.<br />
65 vgl. „2G“- N.29/30, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, House for a pair artists, Ascona s.102f, 2004<br />
92
Die sichtbare Tragstruktur sollte aus schlanken Betonscheiben, die senkrecht<br />
zu Fassadenfläche stehen, errichtet werden. Auf der Höhe des<br />
Dachgeschosses hätten sie sich aus dem eigentlichen, kompakten Bauvolumen<br />
befreit und wären zudem durch horizontale Verbindungselemente zu einem<br />
Gerüst zusammen-gefasst worden. Erst durch diese Maßnahme wäre die<br />
Tragstruktur als eigenständiges plastisches Gebildes wahrnehmbar gewesen.<br />
Ähnliches kann von den trennenden Elementen gesagt werden. Bedingt durch<br />
die Stellung der tragenden Scheiben wären die vier Ecken des Wohnturms als<br />
Auskragungen konstruiert worden. Weil das Erdgeschoss zudem eine offene<br />
Halle bilden sollte, schienen die darüberliegenden Eckräume wie von oben<br />
heruntergehängte Raumzellen über dem Boden zu schweben. Unterstützt<br />
wurde dieser Effekt durch die in das Bauvolumen hineingesetzten Balkone. In<br />
diesem Zusammenhang kann man feststellen, dass in diesem Projekt die<br />
trennenden Elemente Gelegenheit erhalten, sich nicht bloß als Ausfachungen,<br />
sondern als aktive raumbildende Elemente bemerkbar zu machen.<br />
93
Die einzelnen Geschosse des Wohnturms bestanden aus jeweils zwei 2-Raum<br />
und 3-Raum- Apartments, die um einen Wohnraum organisiert waren, welcher<br />
in einen Balkon überging. 66<br />
1955 war die Differenz zwischen Trag- und Trennsystem noch ein weiteres Mal<br />
das grundlegende Gestaltungsthema beim errichteten Pavillon der Stadt Ulm an<br />
der Landesausstellung Baden- Württemberg in Stuttgart. Das umstrittene und<br />
nach der Ausstellung wieder abgebrochene Bauwerk bestand aus vier<br />
zusammengeschobenen Holzgestellen, deren Dachflächen je in Richtung einer<br />
Ecke geneigt waren. In ihrer Mitte ließ <strong>Bill</strong> einen offenen Patio frei, wo eine<br />
Kopie der Turmspitze des Ulmer Münsters aufgestellt wurde. An den<br />
Innenwänden hingen Photographien der Stadt Ulm, die von der wirklichen<br />
Turmspitze aus aufgenommen worden waren. Die Illusion eines<br />
Panoramablicks wurde zusätzlich gesteigert durch die Holzkonstruktion, die wie<br />
ein Gerüst um die Turmspitze aussah.<br />
66 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 231f, 1991<br />
94
Bereits 1949 sollte das billsche Thema „trennen- tragen“ mit dem Entwurf für<br />
einen Mehrzweckbau in Grenchen verdrängt werden, welcher ein neues<br />
formales Interesse <strong>Bill</strong>s signalisierte. Als Tragkonstruktion dieses<br />
Mehrzweckgebäudes waren neuerdings vor die Fassade gestellte Scheiben<br />
vorgesehen.<br />
Der Grundriss war ein einfaches Rechteck, das im Inneren bis auf wenige fest<br />
eingerichtete Serviceräume und wenige Tragelemente mit Hilfe von drei<br />
Schiebewänden hätte frei unterteilt werden können.<br />
95
Diese Differenzierung zwischen Tragen und Trennen ist jedoch kaum mehr<br />
herausgearbeitet, die Figuren, die beide Systeme erzeugen, sind plastisch<br />
kaum voneinander zu unterscheiden, sondern bleiben innerhalb der Gestalt<br />
nahezu neutral. Dafür aber zeigt der Aufriss, dass sich der ganze Komplex aus<br />
einem Konglomerat verschieden hoher Kuben zusammensetzte. Insofern<br />
kündigte das Grencher Projekt das neue Thema des Zusammenfügens von<br />
Behältern an. 67 Prägnanten schon waren die Beziehungen zwischen<br />
verschiedenen Baukörpern beim Wettbewerbsprojekt für die Kantonsschule<br />
Freudenberg in Zürich von 1949 gestaltet. <strong>Bill</strong> machte den Vorschlag, die<br />
beiden Enden eines achtgeschossigen, zweibündigen Scheibenhochhauses<br />
durch je einen Kranz von drei oder vier abgewinkelten, gleich hohen Türmen zu<br />
fassen. Jeder Turm hätte acht Klassenzimmer enthalten, die der Größe nach<br />
gestapelt und entsprechend auf der Vorderseite zurückversetzt worden wären.<br />
Horizontale Abdrehungen und vertikale Stufungen der Türme hätten<br />
solchermaßen dem an sich neutralen Scheibenhochhaus beidseitig einen Griff<br />
geformt. 68<br />
67<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 236f, 1991<br />
68<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 237f, 1991<br />
96
Das gestalterische Thema, das sich mit diesen beiden Entwürfen ankündigt,<br />
kann am besten anhand des Denkmals für einen unbekannten politischen<br />
Gefangenen erläutert werden, welches aus einem Wettbewerb 1952 in London<br />
hervorging und <strong>Bill</strong> zu einem dritten Preis verhalf.<br />
Das Gebilde bestand aus einer nach außen geschlossen wirkenden<br />
Gruppierung von 3 Kuben, in deren Mitte eine dreikantige Stahlstütze stand.<br />
Die Kuben wurden so angeordnet, dass mehrere Beziehungsstrukturen in die<br />
Gestalt hineingelesen werden konnten. 69<br />
Auch bei der Hochschule für Gestaltung sind ähnliche architektonische Behälter<br />
ins Terrain eingebettet und durch einen Verbindungsgang linear verbunden<br />
worden. 70 <strong>Bill</strong> hatte im Auftrag der amerikanischen Besatzungsbehörden 1948<br />
verschiedene deutsche Hochschulen und Kulturinstitute in Süddeutschland<br />
besucht zwecks Erarbeitung eines kritischen Berichtes über den Zustand dieser<br />
Institute. Der Auftragt führte ihn auch nach Ulm, wo er mit dem Kreis um die<br />
dortige Volkshochschule und deren Leiterin, Inge Scholl, in Kontakt kam.<br />
Inge Scholl war die Schwester der berühmten Geschwister Scholl Sophie und<br />
Hans Scholl, die wegen ihres Widerstands gegen die Naziherrschaft im Februar<br />
1944 hingerichtet wurden. 71 Die Hochschule der Gestaltung verdankte ihre<br />
Existenz (1953-68) den Bemühungen dreier unterschiedlich motivierter<br />
69<br />
vgl. „2G“- N.29/30, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Monument to the Unknown Political Prisoner s.144, 2004<br />
70<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s. 237, 1991<br />
71<br />
vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
97
Parteien. Mögen diese dabei auch je eigene Ziele verfolgt haben, so gab es<br />
doch einen kleinsten gemeinsamen Nenner: die Absicht nämlich, im<br />
Nachkriegs-Deutschland einen Neu-Anfang zu wagen oder zumindest ein<br />
symbolisches Zeichen gegen die langsam spürbar werdenden restaurativen<br />
Tendenzen zu setzen. Bei den Parteien handelte es sich um den Ulmer Kreis<br />
mit Inge Scholl und Otl Aicher, die amerikanischen Behörden bis hinauf zu<br />
ihrem ranghöchsten Vertreter John J. McCloy und schließlich <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>. 72<br />
Die Rolle von <strong>Bill</strong> entsprach zunächst der eines Beraters.<br />
Es gelang ihm jedoch in der Folge, ein Programm vorzulegen, das ethisch<br />
anspruchsvoll genug war, um die Ulmer anzusprechen, und das zugleich den<br />
Amerikanern politisch nützlich erschien. Unter den gegebenen Konstellationen<br />
witterte <strong>Bill</strong> die Chance, in Ulm seine Vorstellung einer Gestaltungsschule zu<br />
realisieren, die die Tradition der Kunstschul-Reform fortsetzen und außerdem<br />
verstärkt auf die Alltagskultur wirken würden.<br />
72 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.16, 1991<br />
98
Daraus entstand <strong>Bill</strong>s Vorschlag, anstatt einer geplanten erweiterten<br />
Volkshochschule den Versuch zu machen, die Bauhaus-Idee wieder<br />
aufzugreifen und eine Hochschule für Gestaltung zu gründen.<br />
Im Januar 1950 bekam <strong>Bill</strong> das Vertrauen von Inge Scholl ausgesprochen, dass<br />
sie <strong>Bill</strong>s Erfahrung sowohl als Architekt wie auch als pädagogischer Berater in<br />
Anspruch nehmen möchte. <strong>Bill</strong> wurde erstmals im Februar 1950 offiziell zu einer<br />
Besprechung der Ulmer Aufbaugruppe in Sachen Hochschul-Projekt<br />
eingeladen. Hauptthema der Besprechung war das Budget der geplanten<br />
Hochschule. Im Verlauf wurde <strong>Bill</strong> um detaillierte Informationen über die<br />
Organisation des Bauhauses gebeten, der es phantastisch gefunden hätte,<br />
wenn man, statt in organisatorischer, in programmatischer Hinsicht ans<br />
Bauhaus anknüpfen könnte und die Schule so strukturieren würde, als wenn<br />
das Bauhaus sich weiterentwickelt hätte. 73<br />
„Meine Vorstellung war es, dort weiterzufahren, wo das Bauhaus bei normaler<br />
Weiterentwicklung 1950 gestanden hätte, wenn es 1933 nicht geschlossen<br />
worden wäre und das 1000jährige Reich nicht jeden Fortschritt unterbunden<br />
hätte.“ 74<br />
Nach wie vor auch enthielt die Hochschule eine Mischung von Absichten,<br />
welche vom staatsbürgerlichen Unterricht bis hin zur Wirtschaftshilfe für Ulmer<br />
Unternehmen reichte. Obwohl <strong>Bill</strong> zusehends mehr Druck auf programmatische<br />
Klarheit und personelle Entscheidungen ausübte, änderte sich dies erst<br />
grundlegend Mitte 1950, wo die amerikanischen Behörden entschieden, dass<br />
man eine Hochschule für Politik nicht übernehmen könnte.<br />
In der Folge wurde <strong>Bill</strong> gefragt, ob er bereit wäre, den Aufbau und die Leitung<br />
der Schule zu übernehmen. Mit <strong>Bill</strong>s ebenso spontaner Zusage begann ein<br />
neues Kapitel in der Gründungsgeschichte der Ulmer Hochschule.<br />
„Ausschlaggebend waren jedoch für die auf künstlerischem Gebiet eher<br />
unbedarften amerikanischen Behörden weniger inhaltliche Bezüge zum<br />
Bauhaus, als vielmehr, dass Gropius und <strong>Bill</strong> eine Institution vertraten, die unter<br />
den Nazis geschlossen wurde und die nun wieder zurückzuholen einiges an<br />
73 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.33ff, 1991<br />
74 Du- Europäische Kunstzeitschrift- Autonome Gegenstände… s.18, Juni-Ausgabe1976<br />
99
politischem Prestige bedeuten und zur Nazi -Scholl- Geschichte ausgezeichnet<br />
passen würde.“ 75<br />
Die ab Mitte 1950 entstandenen Programme der geplanten Hochschule in Ulm<br />
eliminierten jene Ausbildungsfächer, die nichts mit Gestaltung zu tun hatten.<br />
Mit Walter Gropius nahm <strong>Bill</strong> unmittelbar Kontakt auf und bat ihn, ein Gutachten<br />
zu erstellen und dem Kuratorium beizutreten. Eine entsprechende Anfrage<br />
erhielt auch Henry van de Valde, der 1906 jene Kunstgewerbeschule in Weimar<br />
gegründet und bis 1914 geleitet hatte, die Gropius nach dem Ersten Weltkrieg<br />
übernahm und ins legendär gewordene Baushaus umwandelte.<br />
Das neue Expose´ trug schon Züge einer ersten <strong>Bill</strong>schen Nachbearbeitung.<br />
Das Gewicht der Ausbildung verlagerte sich deutlich in Richtung einer Schule<br />
für Gestaltung. Die beiden Pioniere der Kunstschulreform, Gropius und van de<br />
Velde, reagierten grundsätzlich positiv, zumindest äußerten sie keine<br />
Bedenken, ins Kuratorium berufen zu werden. Van de Velde im besonderen<br />
würdigte das Vorhaben „als etwas, das alles überbiete, was er oder Gropius<br />
zuvor versucht haben. Denn in Ulm würden, falls das Programm verwirklicht<br />
werden sollte, zum ersten Mal die produktivistischen Aspekte der Gestaltung zu<br />
Grundpfeilern einer gestalterischen Ausbildung gemacht.“<br />
Anders als van de Velde sah Gropius für die Ulmer Hochschule die Gefahr,<br />
dass politische Fächer die gestalterischen dominieren. In dieser Hinsicht mögen<br />
ihn persönliche Erfahrungen sensibilisiert haben. Nachdem Gropius im Jahre<br />
1925 das Bauhaus wegen politischen Verleumdungen von Weimar nach<br />
Dessau verlegt hatte, hielt er sich aus jeder politischen Auseinandersetzung<br />
heraus. Bevor sich Hannes Meyer als Nachfolger am 1.April 1928 in das<br />
gemachte Nest setzten durfte, musste er sich auf eben diesen politischen<br />
neutralen Kurs verpflichten. Gropius warf Meyer später Verrat vor, weil er sich<br />
nicht an sein Versprechen gehalten und dadurch das Bauhaus dem Untergang<br />
preisgegeben habe. Es war insofern nur konsequent , wenn Gropius nun auch<br />
den Ulmern empfahl, das vorgesehene Fächerangebot so zu strukturieren ,<br />
dass die gestalterischen Fächer an erster Stelle liegen.<br />
75 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.39f, 1991<br />
100
Als Vorbild verwies er auf das „New Bauhaus“ das von Laszlo Moholy- Nagy<br />
1937 in Chicago gegründete und 1944 ins Institute of Design verwandelt<br />
worden war. Dank Gropius und van de Velde gelang es <strong>Bill</strong> in der Folge<br />
tatsächlich, das Gewicht der gestalterischen Fächer zu erhöhen und die<br />
politisch-literarischen Abteilungen auszuschließen. 76<br />
Der Ulmer plan wurde in der Folge vom amerikanischen Hochkommissar und<br />
seinen Beratern mit einer halben Million Euro gefördert, zu denen von<br />
deutscher Seite die gleiche Summe als Gegenpart aufgebracht werden musste.<br />
Dieser Gegenpart bestand, mit Ausnahme, jedoch meist aus Spenden an<br />
Material, Maschinen für Werkstätten, Bücher für die Bibliothek und allem was<br />
noch dazugerechnet werden konnte, um auf die nötige Summe zu kommen,<br />
einschließlich des Grundstückes, welches ehemaliges Eigentum der<br />
Wehrmacht war und weil damals eine solche nicht mehr und noch nicht wieder<br />
bestand, konnte ein großes Gelände auf dem Jurahügel „Oberer Kuhberg“ als<br />
Baugrund dienen. 1953 begannen die Bauarbeiten.<br />
Bauen hieß hier, möglichst viel zweckmäßigen Raum umschließen, der später<br />
noch besser ausgebaut werden konnte, und dazu noch Studenten- und<br />
Dozentenunterkünfte schaffen. 77<br />
„Man musste gewissermaßen jeden Nagel zweimal umdrehen, bevor<br />
man ihn verwendete. <strong>Bill</strong>iger und primitiver ging es nicht mehr, man war an der<br />
absolut untersten Grenze angelangt. Der einzige Spaß, der mir als Architekt blieb,<br />
war die Disposition der Anlage auf dem Gelände, die Harmonisierung der<br />
inneren Funktionen der Gebäudeteile, die sinnvolle Systematik der<br />
primitiven Konstruktion, dazu die Wahl von soliden und billigen Materialien….<br />
Für den Betrag der uns damals zur Verfügung stand, baut man heute ein<br />
besseres Landhaus.“ 78<br />
Während dem Bau begann man Objekte zu entwickeln, die man später in der<br />
Hochschule benötigte. Aus diesen Entwicklungen heraus entstand der<br />
berühmte „Ulmer Hocker“, aus einer Brettkonstruktion aus billigem Tannenoder<br />
Fichtenholz. Zur Stabilisierung der beiden Seitenstücke wurden<br />
zugeschnittene Besenstiele verwendet, die zudem ermöglichten, dass man den<br />
76 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.40ff, 1991<br />
77 vgl. Du- Europäische Kunstzeitschrift- Autonome Gegenstände… s.18, Juni-Ausgabe1976<br />
78 Du- Europäische Kunstzeitschrift- Autonome Gegenstände… s.19, Juni-Ausgabe1976<br />
101
Hocker tragen konnte. Jeder Student bekam einen Hocker, den er für die<br />
Vorlesungen, für die Mensa und seine Studentenwohnung benutzen musste.<br />
Der Stuhl war so proportioniert, dass man zwei verschiedene Sitzhöhen<br />
einnehmen konnte. 79<br />
Im Grunde verkörperte der Ulmer Hocker jene ungeheure Einfachheit, die auch<br />
das gesamte Hochschulgebäude prägte.<br />
<strong>Bill</strong> ließ sich beim Entwurf der Hochschulbauten von dem von Walther Gropius<br />
und seinem Büro TAC entwickelten Projekt für die Universität in Hua- Tung in<br />
China inspirieren.<br />
TAC_ Walter Gropius<br />
Zudem sah er seine Konzeption in enger Verwandtschaft mit dem Campus des<br />
Illinois Institute of Technology von Ludwig Mies van der Rohe aus dem Jahre<br />
1939 und dem 1938 errichteten Wintercamp „Taliesin- West“ in Arizona von<br />
79 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
102
Frank Lloyd Wright. Diese beiden Beispiele stehen für je eine der baulichen<br />
Strukturen, die die von <strong>Bill</strong> projektierten Anlage prägen. Analog zu den bauten<br />
Wrights fallen einem die prägnante volumetrische Gliederung und deren<br />
behutsame Einbettung ins Gelände auf und die Ausbildung eines Art Rückgrat<br />
der Anlage, welches die zufällig herumliegenden Behälter miteinander<br />
verbindet. Gleichzeitig aber wird an den Behältern der Hochschule Ulm jene<br />
Uniformität der bis aufs äußerste reduzierten Kuben eines Mies van der Rohe<br />
sichtbar.<br />
Mies van der Rohe<br />
Frank Lloyd Wright<br />
Eine Anlehnung <strong>Bill</strong>s an die ADGB- Bundesschule scheint konzeptionell auch<br />
zu bestehen, selbst wenn sich die Bauvolumen in Ulm dem Terrain<br />
anzuschmiegen scheinen, während jene der Bundesschule entlang eines<br />
steifen Verbindungsrohrs bloß aufgereiht sind. 80<br />
80 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.70ff, 1991<br />
103
Hannes Meyer<br />
Zweifellos hatten die finanziellen Umstände wesentlich dazu beigetragen, dass<br />
die baulichen Maßnahmen in jeder Beziehung auf das unbedingt Erforderliche<br />
beschränkt werden mussten. “So gesehen gehört es zum Entwurfsverfahren<br />
<strong>Bill</strong>s, dass aus den äußeren, unvermeidlichen Gegebenheiten eine innere<br />
formale Tugend entwickelt wird und so unentwirrbar das Pragmatische mit dem<br />
Formalen verstrickt ist. Auf diese Weise erhalten die die funktionellen<br />
Notwendigkeiten eine formale Rechtfertigung.“ 81<br />
Grundsätzlich sind alle Baukörper gleich aufgebaut. Das konstruktive<br />
Grundelement misst in de Regel 6 x 6 Meter. Es besteht aus vier Stützen und<br />
zwei Unterzügen, die in der Haupttragerichtung gespannt sind.<br />
Auf den Unterzügen ruht eine deckende Sekundärkonstruktion, bestehend aus<br />
vorfabrizierten Betonelementen. Außerdem ist die Wiederholung ähnlich<br />
gestalteter Fassadenelemente eines der herausstechendsten Merkmale der<br />
HFG. Für die Ausfachungen der Betonrahmen der Fassade entwickelte <strong>Bill</strong> ein<br />
geometrisches Schema. Jedes Feld setzt sich aus einem Brüstungs- und einem<br />
81 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.88, 1991<br />
104
Fensterelement zusammen. Übersetzt in andere Maßverhältnisse sind die<br />
allgemeinen Prinzipien der Fassadengliederung an jedem Bau der Anlage<br />
anzutreffen. Dies, wie auch die kubische Erscheinung der Boxen, deutet auf<br />
eine Bezugnahme auf die Bauten des Illinois Institute of Technology von van<br />
der Rohe hin. Kann man den Fassadenaufbau der Ulmer Bauten mit den IIT-<br />
Bauten in Beziehung bringen, so ist dies auf der Ebene der Gesamtanlage nicht<br />
mehr möglich. 82<br />
IIT- Bauten HFG- Bauten<br />
Statt als Elemente in eine rechtwinklige ausbalancierte Komposition eingefügt<br />
zu sein, liegen die verschiedenen großen Behälter der HFG wie zufällig<br />
hingewürfelt herum. Der monotone Ausdruck, den man von der gleichförmigen<br />
Gestaltung der Boxen her erwarten könnte, wird dadurch gebrochen, dass der<br />
Komplex unübersichtlich ist und jedem Standort aus eine überraschend neues<br />
Gesicht zeigt.<br />
82 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.89ff, 1991<br />
105
Das Erschließungsbauwerk der HFG bestand teils aus einem Tunnel, teils aus<br />
Scharnieren zwischen Baukuben, teils aus einem offenen Gang oder aus<br />
größeren gedeckten Bereichen, der die Gebäudeeinheiten Werkstatt- bzw.<br />
Schultrakt, Gemeinschaftszone und Studentenwohnheime miteinanderverband.<br />
Der räumliche Zusammenhang zwischen Boxen und Erschließungsbauwerk<br />
war besonders eindrücklich in den beiden größeren zentralen Bereichen der<br />
Anlage gestaltet. Der eine dieser Bereiche bot der ehemaligen<br />
Gemeinschaftszone Platz, während der andere als Verteiler zwischen<br />
Werkstatt- und Schultrakt lag. Die Gemeinschaftszone war das Herzstück der<br />
HFG und setzt sich aus dem Gangbereich und dessen trichterförmiger<br />
Erweiterung zwischen den Boxen für Küche und Mensa zusammen. Küche und<br />
Mensa liegen ineinander schief gegenüber und bilden die seitliche Fassung der<br />
Erweiterung, welche sich auf eine verglaste Tür hin verjüngt, die auf die<br />
Terrasse führt und den Blick über das Donautal und die Alpenkette freigibt. 83<br />
83 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.96ff, 1991<br />
Gemeinschaftszone<br />
106
Werkstatt- und Schultrakt<br />
Gemeinschaftszone (Küche/ Mensa) Studentenwohnheime<br />
Am 8. September 1953 erfolgte der erste Spatenstich für den Bau des HfG-<br />
Komplexes. Die HfG war dabei einer der ersten Stahlbeton-Skelett-Bauten<br />
Deutschlands mit großzügigen Werkstätten, Studentenwohnheim und Mensa.<br />
Der Innenausbau und auch die Möblierung waren auf den flexiblen Nutzen der<br />
Hochschule ausgelegt. Besonders imposant ist die wellenförmige Bar in der<br />
Mitte der Gemeinschaftszone, die als Kommunikationsbereich diente. 84<br />
84 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
107
Bei dem Ausbau der Hochschule ist diese Installation die Einzige, bei der man<br />
sich nicht auf das Nötigste beschränkte. Grundsätzlich wurden beim Ausbau<br />
ebenfalls billige Materialien ausgewählt, die sich gut mit dem Boden des<br />
Rohbaus vertrugen. Aus Sichtbeton wurden neben allen tragenden Teilen und<br />
Fassadenbrüstungen auch die Treppenwangen hergestellt. Naturlasiertes<br />
Fichtenholz diente für die Fensterrahmen, weiß gestrichene Backsteinmauern<br />
oder Fichtenholztafeln für die Konstruktion der inneren Trennwände,<br />
Asphaltplatten für den Boden, Terrazzo für die Treppenstufen. Eines der<br />
Prunkstücke der Installation stellte der von Walter Zeischegg konstruierte<br />
Beleuchtungskörper dar. Bestehend aus eine Aluminiumröhre und mit zwei<br />
Leuchtstoffröhren bestückt, wurde er im ganzen Haus zwischen die Unterzüge<br />
montiert. 85<br />
85 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.107ff, 1991<br />
108
Ab 1955 fand der Unterricht in den Räumen der HfG statt. Die offizielle<br />
Eröffnung des Schulgebäudes erfolgte am 2. Oktober 1955, auf der Walter<br />
Gropius die Eröffnungsrede hielt. Die Hochschule für Gestaltung bildete<br />
Fachkräfte aus für zwei entscheidende Aufgaben der technischen Zivilisation:<br />
die Gestaltung industrieller Produkte (Abteilung Produktgestaltung und<br />
Abteilung industrialisiertes Bauen); die Gestaltung bildhafter und sprachlicher<br />
Mitteilungen (Abteilung visuelle Kommunikation und Abteilung Information).<br />
Damit wurden Gestalter herangebildet für die Gebrauchs- und Produktionsgüterindustrie,<br />
sowie für die modernen Kommunikationsmittel Presse, Film,<br />
Funk, Werbung. Diese Gestalter mussten über die technologischen und<br />
wissenschaftlichen Fachkenntnisse verfügen, die für eine Mitwirkung in der<br />
heutigen Industrie erforderlich waren. Gleichzeitig mussten sie die kulturellen<br />
und gesellschaftlichen Konsequenzen ihrer Arbeit erfassen und<br />
berücksichtigen. 1955 trat <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> aus Gründen eines Richtungswechsels im<br />
pädagogischen Aufbau und den Lehrveranstaltungen der HfG als Rektor zurück<br />
und verließ 1957 die HfG aus denselben Gründen. <strong>Bill</strong> favorisierte ein<br />
Fortführen des Bauhaus-Modells, andere Dozenten wollten ein mehr an<br />
Wissenschaft und Theorie orientiertes Ausbildungsmodell. 86<br />
„Ich kam mir nach ein paar Jahren konstanter Spannung in Ulm vor wie ein<br />
Krieger auf dem Rückzug aus der Schlacht von Marignano, denn das Jahr 1951<br />
war voller Erfolg gewesen. Wenngleich das Ulmer Experiment als gescheitert<br />
betrachtet werden muss, denn die Hochschule wurde nach ständiger<br />
Verflachung schließlich aufgelöst, so sind von dort doch sehr viele Anregungen<br />
ausgegangen.“ 87<br />
Im Laufe des Jahres 1968 mussten die ersten Dozenten aufgrund der<br />
schwierigen finanziellen Lage entlassen und die Anzahl der<br />
Lehrveranstaltungen eingeschränkt werden. Die Geschwister- Scholl- Stiftung,<br />
der Träger der HfG, war hoch verschuldet. Die verbliebenen Dozenten<br />
verweigerten den Lehrbetrieb aus finanziellen und persönlichen Gründen. Im<br />
November stellte die Stiftung den Betrieb der HfG ein, nachdem das Kabinett<br />
86 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
87 Du- Europäische Kunstzeitschrift- Autonome Gegenstände… s.19, Juni-Ausgabe1976<br />
109
des Landtages die Zuschüsse für die HfG mit einem Sperrvermerk versehen<br />
hatte. Heute steht die HFG unter Denkmalschutz. 88<br />
Die Beziehung zwischen einfachen Behältern prägte auch den ebenfalls nicht<br />
ausgeführten Entwurf des Schweizer Pavillons an der Biennale Venedig aus<br />
dem Jahre 1951, der aus einem Wettbewerb hervorging. Das Ganze sollte aus<br />
vier Kuben, die sich bezüglich eines Achsenkreuzes ordnen, zusammengebaut<br />
werden.<br />
88 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
110
Einer der Kuben hätte als Eingangsfoyer dienen sollen, während die restlichen<br />
drei für Ausstellungszwecke vorgesehen waren. Der Hauptausstellungsraum<br />
war doppelt so hoch wie die übrigen Volumen. Des Weiteren sollte einer der<br />
niedrigen Behälter nicht überdeckt und als offener Gartenhof genutzt werden.<br />
Trotzdem lag die Quote der Oberkante seiner Umfassungsmauer genau auf der<br />
Höhe der Oberkante des Dachgesimses der benachbarten Behälter. Diese<br />
Konzeption wäre an sich nichts Besonderes gewesen, wenn nicht der Ort, an<br />
dem die vier Behälter zusammentrafen, auf eine ganz besondere Art<br />
ausgezeichnet werden sollte. Dem Projekt zufolge war an dieser Stelle nämlich<br />
eine freistehende Stütze vorgesehen, die den gemeinsamen Ort aller Behälter<br />
markieren sollte. In diesem Sinne wäre sie sowohl Bestandteil jedes Behälters<br />
gewesen, als auch die Vergegenständlichung des Mittelpunktes des<br />
Koordinatensystems, das die Anordnung im Ganzen regelte. 89<br />
Nachdem <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> dann 1957 seine Tätigkeit In Ulm definitiv aufgeben musste,<br />
kehrte er nach Zürich zurück, wo er sofort sein Architekturbüro wiedereröffnete.<br />
In dieser Zeit begann er sich auch vermehrt mit der nationalen Politik auseinanderzusetzen.<br />
„Ich war immer ein politischer Mensch und ich habe immer politisch gedacht.“<br />
Aufgrund der einschlägigen Erfahrung bei dem Aufbau der Hochschule für<br />
Gestaltung wurde er nach der Rückkehr in die Schweiz in den Gemeinderat<br />
Zürich gewählt. Dort arbeitete er schließlich mehrere Jahre mit besonderem<br />
Interesse für die verschiedensten Kommissionsarbeiten städtebaulicher und<br />
verkehrspolitischer Art. Es war für ihn stets wichtig in den täglichen Betrieb der<br />
Politik einzutauchen, weil er der Auffassung war nur so etwas an der Situation<br />
der Gesellschaft verändern zu können. Einige Jahre später wurde <strong>Bill</strong> dann<br />
auch in den Nationalrat gewählt, doch da seine Partei darauffolgend viele<br />
Stimmen verlor konnte er nicht mehr gewählt werden. 90<br />
89 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.237f, 1991<br />
90 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
111
Von nun an widmete er sich voll und ganz seinem künstlerischen und<br />
architektonischen Schaffen. Das Zusammenfügen verschiedener einfacher<br />
Behälter blieb einstweilen das vorherrschende gestalterische Thema in seiner<br />
Architektur. Die in früheren Projekten noch uniformen Kisten wurden allerdings<br />
in den folgenden Projekten vielfältiger gestaltet. 91<br />
Die großen Ausstellungshallen, die einen weiteren nicht realisierten Vorschlag<br />
<strong>Bill</strong>s für die landwirtschaftliche Ausstellung „Olma“ in St. Gallen bestückten,<br />
erhielten durch Maßstabssprünge zwischen aneinandergefügten Bauvolumen<br />
und durch differenziert gestaltete Dachlandschaften individuelle Züge.<br />
Außerdem ist die Verschiedenheit von Behältern bei gleichzeitiger<br />
Ineinssetzung in ein Ganzes eines der hervorstechenden Merkmale eines<br />
weiteren Projekts, das etwa zeitgleich für ein Wohn- und Geschäftshaus in<br />
Neuhausen am Rheinfall ausgearbeitet und realisiert wurde. Innerhalb von<br />
beinahe 30 Jahren, in denen sich <strong>Bill</strong> bis dahin schon mit Architektur beschäftigt<br />
hat, war dies erst das vierte Projekt, das zur Ausführung gelangte. 92<br />
Das Bauprogramm umfasste neben einigen Verkaufslokalen einen großen<br />
Kinosaal und fünf Wohnungen.<br />
91<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.240, 1991<br />
92<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.240, 1991<br />
112
Auf den ersten Blick mag die Lösung als Montage von zwei, entsprechend ihren<br />
Funktionen sehr unterschiedlich gestalteten Volumen erscheinen. Das Kino ist<br />
auf den hinteren Teil des Grundstückes in einer flachen, völlig geschlossenen,<br />
mit Eternit verkleideten Box untergebracht. Davor hebt sich über einem<br />
Sockelgeschoss das fünfgeschossige, in einem gebrochenen Weiß verputze<br />
Wohngebäude mit Dachaufbauten. Diesen Nutzungen lässt sich von außen an<br />
der Verteilung und Größe der Öffnungen, insbesondere der Balkone und<br />
Badezimmerfenster ablesen. Die beiden Bauvolumen werden durch den nach<br />
hinten verlängerten Sockelbau miteinander verbunden. Dieser ist gegen die<br />
Straßenseite hin mittels Glasfront und Vordach vom Wohnhaus abgesetzt.<br />
Seitlich treffen seine schwarz gestrichenen Betonwände auf die graue<br />
Eternitverkleidung der Kino-Box.<br />
Auch der Sockel besitzt eine Reihe typischer Merkmale, die ihn von den<br />
anderen beiden Volumen unterscheiden und die ebenso unverblümt wie direkt<br />
ausformuliert sind. Damit wird unterstrichen, dass das Ganze letztlich aus drei<br />
Teilen zusammengesetzt ist wobei gerade dem Sockel eine entscheidende<br />
Bedeutung zukommt. Von außen gesehen mag die Montage eher zufällig<br />
erscheinen, doch im Inneren übernimmt der Raum im Sockel die Rolle eines<br />
verbindenden Gelenks. Die gesamte Nutzfläche besteht einerseits aus einem<br />
Stauraum, von wo aus über großzügige Treppenanlagen das Kino erschlossen<br />
wird. Und aus dem Bereich unterhalb des Wohnhauses andererseits , welcher<br />
durch die Abfangkonstruktion geprägt ist und neben dem Foyer auch einige<br />
Läden Platz bietet. Der Kinoeingang durchstößt beide Schichten und fasst sie<br />
zu einer einzigen Gestalt zusammen. Insbesondere ist der Boden durchgängig<br />
mit Terrazzoplatten belegt, auf denen die Einbauten für Kasse und Garderobe<br />
zu schwimmen scheint. Wörtlich trifft die Metapher der Beweglichkeit auf die<br />
drehbare Garderobe zu, die <strong>Bill</strong> speziell für das Foyer entwickelt hat.<br />
113
Optisch fest im Boden verankert sind einzig die vier etwas abseits stehenden<br />
dunklen Zylinder, die wie der Boden aus Terrazzo hergestellt wurden.<br />
Sie unterstreichen damit die Funktion des Bodenbelages als eine plastische<br />
Qualität, die wesentlich dazu beiträgt, die beiden Bereiche zur Einheitlichkeit<br />
des Raumes zusammenzubinden. 93<br />
Für den Kinosaal entwickelte <strong>Bill</strong> eine ganz neue Bestuhlungsart, die so zu<br />
dieser zeit noch nicht gab.<br />
Das Herstellung und Konstruktion zu den von <strong>Bill</strong> stets beachteten<br />
Bedingungen des Bauens gehörten, ging exemplarisch aus den bereits<br />
realisierten Bauwerken deutlich hervor. 1964 hatte er sich dazu in einem Artikel<br />
zum Thema „Vorfabriziertes Bauen“ zudem ausdrücklich bekannt.<br />
Es wird angesichts seiner Projekte andererseits auch klar, dass die<br />
technischen Bedingungen keineswegs Architektur als künstlerische Disziplin<br />
von ihrem Platz verdrängen konnten. Allerdings zollen die Bauten, die <strong>Bill</strong> in den<br />
60er Jahren realisierte, dem Umstand Tribut, dass Architektur zu dieser Zeit über<br />
alle Massen auf technische Fortschritte fixiert war. In zwei Fällen begnügte er<br />
sich denn auch mit perfekt durchgestalteten, einfachen Kuben, in allen übrigen<br />
Fällen jedoch taucht zusätzlich ein gestalterisches Thema auf. Es geht darum,<br />
im systematischen Aufbau, wie er dem vorfabrizierten Bau eigen ist,<br />
formale Eigenschaften bewusst zu machen, die außerhalb der Kontrolle des<br />
Systems liegen.“ 94<br />
93<br />
vgl. „2G“- N.29/30, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Cinevox, Neuhausen s.156f, 2004<br />
94<br />
Hans Frei, Konkrete Architektur? s.244, 1991<br />
114
Das beste Beispiel, die Verbindung solcher heterogener Formqualitäten zu<br />
veranschauliche, ist der Entwurf für das nicht durchgeführte „Büchner Denkmal“<br />
in Darmstadt 1955.<br />
Dafür wollte <strong>Bill</strong> weißen, kubisch geschliffenen Marmor in eine amorphe,<br />
schwarze Masse aus Diabas- Gestein betten. Es wäre letztlich unentscheidbar<br />
geblieben, was diese Konstellation für das Innere bedeutete:<br />
Ist der Würfel intakt oder wird er von der schwarzem Massen zerfressen?<br />
<strong>Bill</strong> schrieb dazu:<br />
„Beides ist möglich, beides wahrscheinlich.<br />
Zwei Prinzipien durchdringen sich;<br />
Das der gewaltigen Naturkraft;<br />
Das der ordnenden Struktur.“<br />
So wie die Gestalt des Denkmalentwurfs als gespannte Durchdringung zweier<br />
Figuren geschildert wird, lässt sich auch bei architektonischen Projekten der<br />
Umgang mit seriellen Ordnungen zweifach, nämlich als gefasst oder aber als<br />
ungefasst, auslegen. 95<br />
95 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.245, 1991<br />
115
Erstmals finden sich Anzeichen einer Dialektik zwischen gefasster und<br />
ungefasster Form in den beiden Einfamilienhäusern in Odenthal- Erberich bei<br />
Köln, die beide in den Jahren 1960 und 1961 entstanden sind. 96<br />
Haus Boldt Haus Fleckhaus<br />
96 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.247, 1991<br />
116
Sie befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander und bilden<br />
aufgrund, der selben formalen Aspekte, wie die rauen Backsteine, die weiß<br />
gestrichenen Fensterrahmen und die sichtbar belassenen Betondecken, ein<br />
unverkennbares Ensemble. Allerdings ist die Art und Weise, wie diese Mittel<br />
eingesetzt und die Teile zusammengebaut wurden, bei beiden Häusern<br />
grundlegend verschieden.<br />
Das Haus Boldt stellt einen klar definierten, zweigeschossigen Kubus dar.<br />
Die Loggia im Erdgeschoss scheint dank eines Aushöhlens von Volumen oder<br />
als örtliche Dematerialisierung entstanden zu sein. Entsprechend ruht das<br />
Obergeschoss an dieser Stelle bloß auf einer Stahlstütze mit minimalem<br />
Querschnitt. Verstärkt wird dieser Effekt des Aushöhlens außerdem durch ein<br />
zur Loggia hin orientiertes Fenstern, dessen Scheiben an der Ecke ohne<br />
Rahmendirekt zusammenstoßen.<br />
Das Haus Fleckhans besitzt demgegenüber ein weit ausgedehnteres<br />
Erdgeschoss. Dafür wurde das darüberliegende Geschoss auf drei Seiten<br />
beträchtlich zurückgesetzt. Die überdeckten Loggien im Erdgeschoss sind nun<br />
nicht mehr Folge einer Reduzierung, sondern eines freien Zusammensetzspiels<br />
von Deckenplatten und vor- und zurückspringenden Wandscheiben. 97<br />
„Während also beim Haus Boldt der Quader eine ideale Leitfigur für die Form<br />
des Hause darstellt, von welcher alle weiteren gestalterische Maßnahmen<br />
abgeleitet sind, beziehen sich die gestalterischen Maßnahmen am Haus<br />
Fleckhaus auf kein formales Vor- oder Idealbild, sondern entwickeln sich<br />
ästhetisch unbestimmt, entsprechend den jeweiligen Erfordernissen und gemäß<br />
den durch die Mittel gegebenen Möglichkeiten.“<br />
Das Thema gefasst und ungefasst liegt hier in der Gegenüberstellung von zwei<br />
Bauten als en konzeptuelles Paar vor. Die beiden Häuser bilden somit nicht nur<br />
deswegen ein Ensemble, weil sie mit den gleichen Mitteln in unmittelbarer<br />
Nachbarschaft gebaut worden sind, sondern auch durch einen Dialog, wobei<br />
die Gestalt des einen Hauses als Widerrede zur Gestalt des anderen aufgefasst<br />
werden kann. 98<br />
97<br />
vgl. „2G“- N.29/30, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Fleckhaus House and Bold House, odenthal s.166f, 2004<br />
98<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.247, 1991<br />
117
Gleichzeitig mit den beiden Häusern in Odenthal- Erberich entstanden zwei<br />
Gewerbebauten in Dielsdorf und Leverkusen.<br />
In beiden Fällen handelt es sich um reine Bauquader, deren verschiedene<br />
Teilsysteme, von der Tragstruktur bis hin zur Fassadengliederung und den<br />
Außenwänden und zu den Installationen und der Innenausstattung, gänzlich<br />
durchstandardisiert und vorfabriziert worden sind und sich nahtlos in die<br />
kubische Grundform integrieren lassen. Bei dem Verwaltungsgebäude der<br />
Imbau- Spannbeton in Leverkusen war der Bau so konzipiert, dass das System,<br />
je nach den Bedürfnissen einer künftigen Bauherrschaft, länger, höher und<br />
breiter gemacht und als Verwaltungsbau oder für die Leichtindustrie verwendet<br />
werden konnte. Das System war so ausgedacht, dass das Gebäude vollständig<br />
montagefertig auf den Bauplatz kam und dort in kurzer zeit aufgebaut werden<br />
konnte. 99 Vor allem das Gebäude in Leverkusen ist symptomatisch für den unproblematischen<br />
Umgang mit technischen Möglichkeiten in den 60er Jahren.<br />
Andererseits entstand damit auch eine gewisse Spannungslosigkeit gar<br />
Ausdruckslosigkeit aus der resultierenden Gestalt. 100<br />
99<br />
vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.7, 1997<br />
100<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.248, 1991<br />
118
Im Rahmen der Schweizerischen Landesausstellung Expo 1964 in Lausanne<br />
erheilt <strong>Bill</strong> den, neben der HFG, wohl den wichtigsten Auftrag für die Gestaltung<br />
des Sektors 2b Bilden und Gestalten in seiner Architektenlaufbahn. 101<br />
101 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.248, 1991<br />
119
Von der Thematik des Ausstellungsgutes ausgehend errichtete <strong>Bill</strong> einen<br />
zweckmäßigen Bau für politische, erzieherische und architektonische Bereiche<br />
und bearbeitete Themen wie Landesplanung, Städtebau, Schule und<br />
Erziehung, Radio und Presse.<br />
<strong>Bill</strong> setzte erneut vorfabrizierten Bauteile ein und entwickelte ein besonders<br />
ökonomisches System, welches ihm erlaubte mit wenigen Elementen ein<br />
vielgestaltiges Gebäude zu errichten. 102<br />
Dabei ging er von einem Raster mit der Maschenweite von 5 Meter aus. Ein<br />
Regelfeld wurde durch vier Rohrstützen abgesteckt, an die auf Deckenhöhe<br />
Rinnenträger aus Stahlblech angeschraubt wurden. Das Dach bestand aus<br />
gefalteten Eternitelementen, die auf den Rinnenträgern auflagerten. Über die<br />
bloß regelhafte Anwendung des Bausystems hinaus war nichts von einer<br />
formalen Fassung des Ganzen zu spüren. In diesem Sinne stellt der <strong>Bill</strong>sche<br />
Expo-Pavillon ein offenes System dar, das aus seriell hergestellten Teilen<br />
bestand. Die Einheit des Ganzen beruht lediglich auf einer konstruktiven Logik,<br />
die sich nach Maßgabe der Bedürfnisse beliebig erweitern oder variieren ließ.<br />
Jedoch tauchten zwei Elemente auf, die sich im nord-westlichen Teil der Anlage<br />
befanden. Wie Fremdkörper nisteten sie in dem sonst regelmäßigen Muster des<br />
konstruktiven Gitters. Es handelt sich um einen quadratischen Hof der Künste,<br />
in dem 20 Plastiken verschiedener Kunstrichtungen ausgestellt waren und um<br />
eine dreifach abgestufte blechverkleidete Theater-Box.<br />
102 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
120
Im Gegensatz zu den Modulen handelt es sich um Figuren, die einzigartig<br />
waren und isoliert dastanden. Auffallend war des weiteren, dass der Hof und die<br />
Box je verschiedene, je gegensätzliche formale Qualitäten aufwiesen. Man<br />
könnte sie deshalb als ein konzeptuelles Paar bezeichnen, welches sich<br />
aufgrund der Komplementarität ihrer Eigenschaften anzog, vergleichbar wie bei<br />
den beiden Einfamilienhäusern in Odenthal- Erberich in Köln. 103<br />
Heute stehen vom ursprünglichen Sektor 2b der Expo nur noch das Theater,<br />
ein Teil des Hofes der Künste und einige Fragmente des Teppichs der<br />
konstruktiven Module.<br />
Vor der Expo arbeitete <strong>Bill</strong> mit dem Hausarchitekten Willy Roost von Radio<br />
Zürich an einem Projekt eines Radioerweiterungsbaus. Dieses sollte das letzte<br />
von <strong>Bill</strong> realisierte Projekt werden. Die Planungen begannen 1963 und wurden<br />
mit der Inbetriebnahme der zweiten Bauetappe 10 Jahre später abgeschlossen.<br />
In der Mitte eines städtischen dreiecksförmigen Grundstücks erhebt sich ohne<br />
Bezug zu einer der umgebenden Strassen, ein markantes achtgeschossiges<br />
Scheibenhochhaus. Vermittelns zu den Straßenseiten hin lagerten diesem<br />
verschiedene ein- bis zweigeschossige verwinkelte Bauvolumen vor.<br />
Dank dieser Anpass-Stücke gelang es auch, die bereits bestehenden<br />
Aufnahmestudios aus dem Jahre 1939 in die neue Situation zu integrieren.<br />
103 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.252f, 1991<br />
121
Die kubische Unversehrtheit des Scheibenhochhauses war durch eine strenge<br />
Gliederung unterstrichen. Die beiden Längsfassaden treten sich aus der Flucht<br />
hervor und wurden seitlich durch graue Betonschächte für Lifte und<br />
Treppenhäuser gerahmt. Des weiteren wurden sie durch ein vorspringendes<br />
Rahmenwerk in vertikale Streifen gliedert, die den horizontalen Brüstungs- und<br />
Fensterbändern die Waage hielten. „Die Anordnung macht so den Eindruck, als<br />
würde eine klar gefasste, geometrische Form in einer amorphen Masse<br />
stecken. Die Spannung des Büchner-Denkmals wird einem umso mehr<br />
bewusst, als die niedere Bebauung die durch die Strassen gegebene<br />
Blockstruktur aufnimmt, während sich das Scheibenhaus davon abhebt und<br />
ganz isoliert aus dem Stadtkuchen in den Himmel ragt.“ 104<br />
104 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.254f, 1991<br />
122
Während des Krieges hatte <strong>Bill</strong> an einer Monografie gearbeitet über den großen<br />
Schweizer Eisenbetonpionier Robert Maillart. Besonders seine eleganten<br />
neuartigen Brücken weckten <strong>Bill</strong>s Interesse. Es waren Realisationen, die sich<br />
von einem Kunstwerk oft nur selten unterschieden.<br />
<strong>Bill</strong> hegte stets den Wunsch beim Brückenbau mitwirken zu können und eines<br />
Tages fragte das Ingenieurbüro Ros an, ob er bereit sei konsultativ an einem<br />
Projekt mitzuwirken. Mit den Mitarbeitern Aschwand und Speck realisierte er<br />
1966/67 die Lavina- Tobel- Brücke in Graubünden bei Tamins.<br />
„Diese Brücke ist eine meiner glücklichsten Realisationen.<br />
Ich glaube, wenn ich heute noch wählen könnte, ich möchte möglichst viele<br />
Brücken bauen zusammen mit den kompetenten Fachleuten; denn hier ist das<br />
Nützliche mit dem technischen und mit der Umwelt in harmonischem<br />
Gleichgewicht.“ 105<br />
1965 wurde <strong>Bill</strong> für den Bau eines Zelttheaters für König Ubu von Alfred Jarry<br />
und der Ausstattung der Aufführung für die Züricher Werkbühne angagiert.<br />
1966 bekommt er einen weiteren Auftrag für eine Bühnengestaltung für die<br />
Oper „Zwischenfälle bei einer Notlandung“ von Boris Blacher in der Hamburger<br />
Staatsoper, wo er gleichförmige, drehbare Prismen auf der Bühne installierte. 106<br />
105 vgl. Du- Europäische Kunstzeitschrift- Autonome Gegenstände… s.66f, Juni-Ausgabe1976<br />
106 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
123
Zur Gruppe der Bauten mit dem Thema „gefasst- ungefasst“ gehört auch das<br />
zweite Atelier- und Wohnhaus, das <strong>Bill</strong> 1967/68 in Zumikon bei Zürich errichten<br />
ließ und an diesem er seine sachliche Architekturauffassung am freiesten<br />
entwickeln konnte. 107<br />
Die Gestaltung gliedert sich nach <strong>Bill</strong> in zwei grundsätzliche Bereiche.<br />
„Erstens in eine optimale Zweckerfüllung des Objektes als solches und<br />
zweitens in die Berücksichtigung der Beziehung des Hauses zu seiner<br />
Umgebung, der Integration in ein Ganzes. […] Es ist keine organische<br />
Integration des Gebäudes in die Landschaft im Sinne von Frank Lloyd Wright,<br />
sondern eine bewusste Eingliederung im Dienste einer Gleichsetzung von<br />
Architektur und Natur.“ 108<br />
107<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.253f, 1991<br />
108<br />
vgl. „Artrium“- Architekturzeitschrift, Prinzip der Ordnung s.100, 1989<br />
124
Von der hangseitigen Zufahrt herkommend ahnt man von dem großzügig<br />
angelegten Plan des Hauses wenig. Eine geschosshohe, langgezogene Wand<br />
mit Öffnungen für vier Garagentore begleitet den Zugang zum diskreten<br />
Haupteingang auf der Nord-Ostseite.<br />
Erst vom Garten her, auf der anderen Seite des Hauses stellt sich die wahre<br />
Dimension der Anlage heraus. Zwei Bauvolumen bilden einen nach Westen und<br />
zum Tal hin offenen L- förmigen Rahmen der tief in den abfallenden Hang<br />
hineingeschnitten ist. 109<br />
Er birgt zwischen den Schenkeln ein wildes Konglomerat aus kleineren Kuben,<br />
Terrassen und Loggien. Diese kleinteilige Gliederung zieht sich bis in den<br />
Garten hinein, allerdings verlaufen die abgetreppten Stütz- und Gartenmauern<br />
diagonal zur Ordnung des Hauses.<br />
„Die Zusammensetzung von L- förmigen Rahmen und kleinteiliger<br />
Kristallstruktur schaffen eine Spannung, die dem Aufbau des Büchnerdenkmals<br />
vergleichbar ist. In diesem Falle aber ist die Durchdringung nicht auf bloße<br />
Spekulationen angewiesen, sondern tatsächlich prüfbar.“ 110<br />
Um ein Höchstmaß an Wohn- und Lebensqualität zu schaffen, war <strong>Bill</strong> um eine<br />
Disposition der Räume bemüht, die sich allein aus dem Tagesablauf mit seinen<br />
Arbeitsgängen ergeben sollte. Der Ablauf der Räume und die gestalterische<br />
Rhythmisierung sind auf ihre Benutzbarkeit hin entworfen.<br />
109<br />
vgl. „2G“- N.29/30, <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Studio House <strong>Bill</strong>, Zumikon s.166f, 2004<br />
110<br />
vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.254, 1991<br />
125
Eingangsgeschoss Erdgeschoss<br />
Untergeschoss<br />
Eingangsgeschoss_<br />
1.Eingang, 2. Windfang, 3. Halle, 4. Garagen, 5. Studio, 6.Atelier, 7. Studio, 8. Bad/Wc,<br />
9. Gästezimmer, 10. Terrasse<br />
Erdgeschoss_<br />
1.Wohnzimmer, 2. Essplatz, 3. Küche, 4. Gaderobe, 5. Hof, 6.Waschküche, 7. Kammer,<br />
8. Gästezimmer, 9. Magazin, 10. Atelier, 11. Zimmer, 12. Garten<br />
Untergeschoss_<br />
1.Hofgarten, 2. Treibhaus, 3. Pflanzenlaube, 4. Loggia, 5. Maleratelier, 6. Magazin, 7.<br />
Luftschutzkeller, 8. Heizung, 9. Öltank, 10. Keller<br />
Vom verschotteten Eingangsbereich an der Strasse gelangt man vom oberen<br />
Geschoss über eine Treppe ins Erdgeschoss zum geräumigen 100qm großen<br />
Wohnraum, der als Dreh- und Angelpunkt dient und im inneren Winkel der<br />
beiden Schenkel liegt.<br />
126
Dieser erhält eine ganz besondere Dimension durch seine verschiedenen<br />
Deckehöhen und durch die zwei schlanken Säulen, welche die Lasten des<br />
Eingangsgeschosses über den niedrigen Deckenpartien aufnehmen. Um ihn<br />
Gruppieren sich andere Räume von unterschiedlicher Größe.<br />
Die hellbraunen, in verschiedenen Farbtönen schattierten Tonplatten des<br />
Bodens verbinden die Innenräume. Weil sie bis auf die Terrasse weiter<br />
gezogen werden, entsteht ein Dialog mit der Außenwelt und dem Garten.<br />
Der Garten ist sowohl von der Küche, vom Hof, vom Wohnbereich, der<br />
Dienstwohnung und vom Wohnraum her zugänglich. 111<br />
111 vgl. „Artrium“- Architekturzeitschrift, Prinzip der Ordnung s.100, 1989<br />
127
Zum Konzept seines Hauses notierte <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>:<br />
„Räume die man durchschreitet und körperlich erlebt, dass ist Architektur.<br />
Der zentrale Wohnraum- ein Spannungsfeld für Bilder und Objekte, setzt sich<br />
nach allen Seiten in andere Räume fort. Ringsherum geht der Innenraum in den<br />
Außenraum über.“ 112<br />
Das ursprüngliche Atelierhaus in Höngg überschrieb Bina <strong>Bill</strong> 1979 ihrem Sohn<br />
Jakob. Das Gebäude wurde darauffolgend im Herbst 1979 auf der Südseite<br />
erweitert, um genügend Platz zu bieten. Der von <strong>Bill</strong> an der Südseite geplante<br />
Anbau beinhaltete in der südwestlichen Ecke des Kellergeschosses ein Studio,<br />
die Loggia wurde zugunsten eines Geräteraums nach Süden verschoben. Das<br />
Erdgeschoss wurde mit drei Schlafzimmern ergänzt, wobei das ursprüngliche<br />
Schlafzimmer des Sohnes zu einem Bad umfunktioniert wurde. Das<br />
Obergeschoss vergrößerte sich um das Elternzimmer m Osten und eine<br />
Veranda vor dem Wohnraum, die direkten Zugang zu der in der südwestlichen<br />
Ecke gelegenen Terrasse bietet. Während Bad und Küche erneuert wurden, ist<br />
die Toilette noch im Originalzustand geblieben. Der als Stahlskelettbau<br />
konzipierte Anbau wurde mit einer vorgehängten Durisolelementfassade<br />
verkleidet, die er bereits bei dem Haus Villiger in Bremgarten (1942) und an<br />
dem Werksgebäude der Lichtdruck Ag in Dielsdorf (1960/61) angewendet hatte.<br />
An die Stelle der spannungsvollen Anordnung der geschlossenen und offenen<br />
112 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
128
Fassadenteile trat eine gerasterte Fassade, welche die ursprüngliche<br />
Vierteiligkeit nur noch erahnen ließ. Die Schwierigkeit des Anbaus lag in der<br />
Tatsache begründet, dass dem Atelierhaus kaum etwas zugefügt werden<br />
konnte, ohne eine starke Charakterveränderung herbeizuführen. 113<br />
Mit der angebauten Südfassade orientierte sich <strong>Bill</strong> formal an der Gestaltung<br />
der Südwestfassade seines neuen Atelier- und Wohnhauses in Zumikon.<br />
Auch hier erzeugte <strong>Bill</strong> eine gerasterte Fassadeneinteilung die klar die Vertikale<br />
betonte. Dieser vertikale Ausdruck wurde durch aneinandergereihte hochkant<br />
stehende Fensterbänder verstärkt. Ein Fensterband bestand je aus einem<br />
langen obenliegenden Fensterelement und einem darunterliegenden fast<br />
proportional kleineren Fensterelement, welches sich durch eine Horizontale von<br />
dem anderen trennte. Blickt man zurück auf die realisierten Projekte der<br />
vergangenen Jahrzehnte, so ist auffällig das sich <strong>Bill</strong> niemals einer Gestaltung<br />
zweimal bediente. Vielleicht fand <strong>Bill</strong> am Ende seines architektonischen<br />
Schaffens insgeheim ein gestalterisches Markenzeichen seiner Architektur,<br />
welches er vorher stets hat vermissen lassen und schloss damit endlich eine<br />
Lücke, die er in der Kunst und Plastik längst geschlossen hatte.<br />
113 vgl. Arthur Rüegg, Das Atelierhaus <strong>Bill</strong> 1932/33 s.81, 1997<br />
129
In den letzten Jahren seiner Arbeit hatte <strong>Bill</strong> weitere Aufträge für Bauten<br />
erhalten sowie an mehreren Wettbewerben teilgenommen.<br />
Pläne entstanden so unter anderem für die Erweiterung der Nationalgalerie<br />
1982 und das Baushaus-Archivs in Berlin. Mit Unterstützung von Giulio Argan,<br />
dem berühmten italienischen Kunsthistoriker und ehemaliger Bürgermeister<br />
Rom, ergriff er 1980 die Initiative für ein Museum für zeitgenössische Kunst in<br />
Florenz und fertigte seinen letzten dokumentierten Entwurf an. 114<br />
Ehe er sich voll und ganz seinem künstlerischen Schaffen hingeben sollte<br />
wurde <strong>Bill</strong> 1967 als Professor an die staatliche Hochschule für bildende Künste<br />
in Hamburg berufen, wo er bis 1974 den Lehrstuhl Umweltgestaltung leitete.<br />
Dieser war ein ganz neuer Lehrstuhl und befasste sich mit der Methodik, wie<br />
man mit dem Problem der Umweltgestaltung umging, die sich vom kleinsten bis<br />
zum größten Objekt inhaltlich erstreckte. Mit dieser Thematik beschäftigte <strong>Bill</strong><br />
sich schon zeit seines Schaffens, geprägt durch die Zeit am Bauhaus, schwebte<br />
ihm schon immer die „Gestaltung der gesamten Umwelt vom Löffel bis zur<br />
Stadt“ vor. 115<br />
114 vgl. Hans Frei, Konkrete Architektur? s.257, 1991<br />
115 vgl. Ernst Scheidegger, Dokumentarfilm- <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Plastiker, Architekt,… Teil 2<br />
130
6_ Schlusswort<br />
Die Auseinandersetzung und Konfrontation mit dem Mensch und noch viel mehr<br />
mit dem Künstler und Architekten <strong>Bill</strong> und dessen Werk ist zu Beginn für einen<br />
jungen Menschen, der gerade erst am Anfang steht erschlagend.<br />
Gleichsam fragt man sich, wie es sein kann dass eine einzige Person solch<br />
viele Talente in sich vereint und all jene in solch einer Perfektion ausübt.<br />
Mir ist bewusst geworden, dass Talent eine schöpferische Gabe ist, welches<br />
man einerseits geschenkt bekommt, andererseits ist es aber auch ein Zustand,<br />
der mit dem Bewusstsein wächst und irgendwann zur Entfaltung kommt.<br />
Jenes Talent muss man jedoch zu erst entdecken und fördern, vor allem muss<br />
man sich im Klaren darüber sein, wie man es konkret einsetzt und gebraucht.<br />
Es müssen zudem Wegbegleiter existieren, die einem den richtigen Weg<br />
weisen und einem zugleich die nötigen Impulse und Werkzeuge an die Hand<br />
geben, um richtig und individuell zu handeln. Betrachtet man den faszinierenden<br />
Werdegang <strong>Bill</strong>s, so erkennt man viele solcher Stationen in seinem<br />
Leben, die ihn richtungsweisend geprägt und ihn aktiv in seinem Bewusstsein<br />
gebildet haben. Wie ist es sonst zu erklären, dass ein Mensch mit solch einer<br />
Sicherheit und Gelassenheit zweimal ohne Abschluss eine Bildungsstätte<br />
verlässt und sich selbstbewusst den Gefahren des Alltages stellt.<br />
Bewundernswert ist der Ehrgeiz und Wille <strong>Bill</strong>s Veränderungen hervorzurufen<br />
und tiefgreifend und gestaltend in die Umwelt einzugreifen, mit dem großen Ziel<br />
diese positiv zu bereichern. Nun ist diese Aufgabenstellung nicht unbedingt die<br />
Einfachste und des öfteren musste <strong>Bill</strong> vor allem in der Architektur Niederlagen<br />
einstecken. Trotzdem hat er nie zurückgesteckt und stets an sich und sein<br />
großes Ziel geglaubt. Ein Zustand dem es nachzueifern gilt mit oder auch<br />
gerade ohne das Bewusstsein über den Besitz eines einzigartigen Talents.<br />
Der Weg ist das Ziel ….<br />
Carsten A. Büttner Oktober 2007<br />
131
7_Literaturverzeichnis_<br />
2G_ <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> Architect, N.29/30<br />
Text: Karin Gimmi<br />
Herausgeber: Editorial Gustavo Gili, Barcelona<br />
Artrium_ Haus & Wohnen International Nr.1 / 1998<br />
Text: Prinzip der Ordnung von Lore Keller<br />
Verlag: Novapress Ag, Schaf<strong>fh</strong>ausen<br />
Ascona Bau-Buch_ Kommentar<br />
Text: <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> als Typograf von Christoph Gignens<br />
Verlag: Antiquariat & Edition Peter Perrej, 2001, Zürich<br />
ISBN: 3-907639-00-6<br />
Das Atelierhaus <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> 1932/33<br />
Text: Arthur Rüegg<br />
Verlag: Niggli Ag, 1997, Zürich<br />
ISBN: 3-7212-0306-2<br />
Die gute Form<br />
Text: <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong><br />
Verlag: Buchdruckerei Winterthur Ag, 1957, Winterthur<br />
Herausgeber: Direktion der Schweizer Mustermesse in Basel<br />
DU_ Europäische Kunstzeitschrift Juni 1976<br />
Text: Zu diesem Heft<br />
Vom Bauhaus bis Ulm<br />
Die Magie der gestalteten<br />
Gegenstände, Autonome Gegenstände für den geistigen Gebrauch<br />
Bauen als Teil der gestalteten Umwelt<br />
Verlag: Conzett + Huber Ag, Zürich<br />
Ein Portrait_ <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong><br />
Dokumentarfilm von Ingrid La Plante<br />
Südwestfunk, Baden- Baden<br />
132
Georges Vantangerloo<br />
Text: Georges Vantongerloo, ein Zeuge unsere Zeit von G. C. Argan<br />
1986 Georges Vantongerloo 100 Jahre von <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong><br />
Betrachtungen Paris 1950 von G. Vantongerloo<br />
Eine Biographie von G. Vantongerloo<br />
Mathematik, Natur und Kunst von Margit Weinberg- Staber<br />
Einheit von Geist und Materie von Angela Thomas Jankowski<br />
Verlag: Fröhlich & Kaufmann, Berlin<br />
ISBN: 3-88331-944-9<br />
Konkrete Architektur_ Über <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> als Architekt<br />
Text: Hans Frei<br />
Verlag: Lars Müller, Baden<br />
ISBN: 3-906700-22-4<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>, Maler, Bildhauer, Architekt, Designer<br />
Text: Vorwort von Thomas Buchsteiner<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> und Georges Vantongerloo von Angela Thomas Schmid<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> und die HFG Ulm von Eugen Gomringer<br />
Architektur als Kunst von Karin Gimmi<br />
Produktdesign von Arthur Rüegg<br />
Das ästhetische der Geometrie von Karl Gerstner<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> und die Malerei von Marion Ackermann<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>: Typografie von Gerd Fleischmann<br />
Verlag: Hatje Cantz Verlag, 2005, Ostfildern<br />
Herausgeber: Thomas Buchsteiner, Otto Letzte<br />
ISBN: 3-7757-1641-6<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>_ Zeichnungen 30/40/50er Jahre<br />
Text: Zu <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> von Angela Thomas Schmid<br />
Herausgeber: J & P Fine Art, 2004, Zürich<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>_ Leben und Sprache<br />
Text: Margit Weinberg- Staber<br />
Kompliziertes einfach mach /Anstelle einer Biografie<br />
Herausgeber: Stiftung für konstruktive und konkrete Kunst Zürich, 1988<br />
133
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>_ zum 80. Geburtstag<br />
Text: Begegnung mit <strong>Bill</strong>/ Auskünfte über <strong>Bill</strong> von Michael Grüning<br />
Humanität als respektable Idee von <strong>Max</strong> Bense<br />
Mathematik, Vision, Intuition von Richard P. Lohse<br />
Fragen an <strong>Bill</strong>- Interviews_<br />
Autonomes Objekt oder Symbolträger? von Margit Staber<br />
Erbe der Bauhaus-Idee? von Werner Krüger<br />
Herausgeber: Zentrum für Kunstausstellungen der DDR, 1987<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>_ Maler, Plastiker, Architekt, Erzieher, Politiker<br />
Dokumentarfilm von Ernst Scheidegger Teil 1/2<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>_ Retrospektive, Skulpturen- Gemälde- Graphik 1928- 1987<br />
Text: Zum Geleit von Christoph Vitali<br />
Zum Werk von <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> von Eduard Hüttinger<br />
Verlag: Edition Cantz, Stuttgart<br />
Herausgeber: Schrin Kunsthalle Frankfurt, 1987<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>_ Helmhaus Zürich, anlässlich des 75. Geburtstages 1984<br />
Text: Zum Geleit von Dr. Thomas Wagner<br />
Stichworte zu <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>/ Aktennotiz von Dr. Willy Rotzler<br />
Platzgestaltung Bahnhofstrasse von Adolf Wasserfallen<br />
Veranstalter: Präsidialabteilung Zürich<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong>_ Malerei und Plastik 1928-1968<br />
Text: Über <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong> von Adolf <strong>Max</strong> Vogt<br />
Herausgeber: Kunsthalle Bern, 1968<br />
<strong>Max</strong> <strong>Bill</strong><br />
Text: <strong>Max</strong> Bense<br />
Tendenz zur Synthese von Will Grohmann<br />
Einheit der Gestaltungsprinzipien von Richard P. Lohse<br />
Verlag: Arthur Niggli, 1958<br />
Herausgeber: Eugen Gomringer<br />
Unsere Wohnung<br />
Text: Zur Ausstellung von Streiff<br />
Zur Einführung von H. Kienzle<br />
134
Herausgeber: Kunstgewerbemuseum Zürich, 1943<br />
Wiederaufbau<br />
Text: <strong>Max</strong> <strong>Bill</strong><br />
Herausgeber: Abteilung Außenhandel des schweizerischen Gewerbeverbandes, 1945<br />
Verlag: Verlag für Architektur Ag, Zürich<br />
135
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
Diese Arbeit möchte ich der heute Nacht verstorbenen Bekannten, Monika Spengler widmen.<br />
Auch sie folgte ihrem Weg zum Ziel…<br />
In Hochachtung, Carsten a. Büttner 29.10.2007<br />
136