Mitteilungen zum Archivwesen - Nordelbisches Kirchenarchiv
Mitteilungen zum Archivwesen - Nordelbisches Kirchenarchiv
Mitteilungen zum Archivwesen - Nordelbisches Kirchenarchiv
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NORDELBISCHE EVANGELISCHE-LUTHERISCHE KIRCHE<br />
<strong>Mitteilungen</strong><br />
<strong>zum</strong> <strong>Archivwesen</strong><br />
in der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche<br />
Heft 37
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Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche /<br />
<strong>Nordelbisches</strong> <strong>Kirchenarchiv</strong><br />
<strong>Mitteilungen</strong> <strong>zum</strong> <strong>Archivwesen</strong><br />
in der Nordelbischen Ev.- Luth. Kirche<br />
Dezember 2007<br />
37
IMPRESSUM<br />
Dezember 2007<br />
Herausgegeben vom<br />
Nordelbischen <strong>Kirchenarchiv</strong><br />
Postanschrift:<br />
Postfach 34 49, 24033 Kiel<br />
Tel. (04 31) 64 98 6-0<br />
Fax (04 31) 68 08 36<br />
E-mail: archiv.nka@nordelbien.de<br />
Internet: www.nordelbisches-kirchenarchiv.de<br />
Verantwortlich: Ulrich Stenzel<br />
Die Verantwortung für namentlich gekennzeichnete Beiträge liegt bei den Autoren.<br />
Die Wahl der Rechtschreibung liegt ebenfalls bei den Autoren.<br />
Druck: Hansadruck, Hansastraße 48, Kiel<br />
Lesesaal des Nordelbischen <strong>Kirchenarchiv</strong>s:<br />
Winterbeker Weg 51, 24114 Kiel<br />
Öffnungszeiten:<br />
Mo.-Do. 9.00-15.00 Uhr<br />
Fr. 9.00-13.00 Uhr<br />
und nach Vereinbarung
Inhalt<br />
Vorrede .............................................................................................................. 4<br />
Protokoll der Jahrestagung der nordelbischen Archivpfl egerinnen und Archivpfl eger<br />
am 24. Oktober 2007 im Gemeindehaus, Am Markt, in Garding ........................... 5<br />
Personenstandrechtsreformgesetz - Konsequenzen für die<br />
Familienforschung?<br />
Von Ulrich Stenzel .......................................................................................... 10<br />
Angehende Prediger bereits im Archiv? Die Archivbestände der nordelbischen<br />
Predigerseminare im Nordelbischen <strong>Kirchenarchiv</strong>.<br />
Von Ulrich Stenzel .......................................................................................... 14<br />
Lehrer und Schreibmeister Reimer Ernst Trede<br />
Von Jürgen Hering .......................................................................................... 17<br />
Stets im Einsatz für seine Kirche - Archivpfl eger Jürgen Hering<br />
Von Peter Bahr und Ulrich Stenzel ................................................................. 20<br />
Altäre im Dienste der NS-Ideologie. Nachforschungen über den<br />
Altar in der Petrus-Kirche in Kiel-Wik<br />
Von Peter Nickel ............................................................................................. 24<br />
Termine. Hinweise .......................................................................................... 36
Vorrede<br />
Die Kirche hat die Aufgabe, das Evangelium zu verkünden.<br />
Dies hat immer wieder wandelnde Ausprägungen erfahren – man braucht bloß<br />
an die Kirchenschismen und innerkirchlichen Auseinandersetzungen zu erinnern.<br />
Die Kirchengeschichtsschreibung braucht hierfür die Quellen in verschiedenster<br />
Form, um diese Pro zesse beschreiben und interpretieren zu können. Gelegentlich<br />
fi nden sich neue Quellen, die eine Auseinandersetzung in ein neues<br />
Licht rücken. So fanden sich vor einiger Zeit unverhofft im Vatikanischen Archiv<br />
Schriftstücke zu dem Prozess gegen den Templerorden, der Anfang des<br />
13. Jh. der Ketzerei bezichtigt worden war. Die neu gefundenen Schriftstücke<br />
wiesen der Zeitungsmeldung zufolge darauf hin, dass der Ketzervorwurf bereits<br />
in den Verhören des Großmeister Jakob von Molay fallen gelassen wurde<br />
– eine wichtige Nuance!<br />
Doch was fi ndet sich eigentlich von der Wortverkündung auf der Ebene der<br />
Kirchengemeinden? Das Wesentliche ist ja doch die Anrufung Gottes und die<br />
Beschäftigung mit Gottes Wort im Gottesdienst und in den verschiedenen Kreisen.<br />
Davon bleibt meist herzlich wenig als schriftliche Quelle nach. Eher geht<br />
es dann doch um sehr profane Dinge wie Geld, Stellenbesetzung und Kirchenbau.<br />
Da muss dann zwischen den Zeilen gelesen werden, um zu erkennen, ob<br />
sich dahinter eine bestimmte Auffassung verbirgt.<br />
Mithin stellen wir also mit der Sicherung der kirchlichen Quellen die Grundlage<br />
her, dass andere herausfi nden, wie die Kirche die Wortverkündung organisierte.<br />
Und das ist schon eine ganze Menge!<br />
Viel Vergnügen beim Lesen!<br />
Ulrich Stenzel<br />
4 <strong>Mitteilungen</strong> 37
Protokoll der Jahrestagung der nordelbischen<br />
Archivpfl e gerinnen und Archivpfl eger am 24. Oktober 2007<br />
im Gemeindehaus, Am Markt, in Garding<br />
Anwesend aus den Kirchenkreisen und kirchlichen Archiven:<br />
Herr Bergmeier Ev. Zentrum Rissen<br />
Herr Bodin KKRe Eiderstedt, Husum-Bredstedt, Südtondern<br />
Herr Dr. Faltings Ferring Stiftung<br />
Frau Fey KKR Neumünster<br />
Herr Grützner KKR Rendsburg<br />
Herr Dr. Harder KKR Norderdithmarschen<br />
Herr Hering KKR Oldenburg<br />
Herr Jannen Ferring Stiftung<br />
Herr Knickrehm KG Bad Bramstedt<br />
Herr H. O. Kühl KKR Rendsburg<br />
Herr Helmut Kühl KKR Süderdithmarschen<br />
Herr Kuhlemann KKR Rantzau<br />
Frau Lenz-Maahs Stadtarchiv Friedrichstadt<br />
Frau Lüdtke KKR Eiderstedt<br />
Frau Maienfeld Ferring Stiftung<br />
Herr Paasch KKR Alt-Hamburg<br />
Herr Panten KKR Südtondern<br />
Herr Ramm KBA Münsterdorf<br />
Herr Voß KKR Eutin<br />
Herr H. P. Voss KKR Rendsburg<br />
Herr Unbehaun KKR Eiderstedt<br />
Frau Pastorin Zabel, Andacht<br />
Frau Gutierrez-Franke, Standesamt Eiderstedt<br />
Für das Nordelbische <strong>Kirchenarchiv</strong>:<br />
Frau Dr. Göhres<br />
Herr Bahr<br />
Herr Kämpfer<br />
Herr Kirschke<br />
Herr Küchenmeister<br />
Herr Stenzel<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 5
1. Begrüßung und Vorstellung der Teilnehmer<br />
(Frau Dr. Göhres, NEK-Archiv)<br />
Mit einer Andacht durch Pastorin Zabel, die in einem kleinen Rundgang<br />
Geschichte und christliche Sinngebung der Kirchenarchitektur<br />
der Gardinger Kirche aufzeigte, nahm die Tagung ihren Anfang. Anschließend<br />
begrüßte Frau Dr. Göhres die nordelbischen Archivpfl egerinnen<br />
und Archivpfl eger im Tagungssaal des Gemeindehauses, in<br />
unmittelbarer Nachbarschaft <strong>zum</strong> Geburtshaus von Theodor Mommsen,<br />
stellte Tagungsprogramm, Referenten und Themen vor und dankte<br />
Frau Lüdtke und Herrn Unbehaun sowie dem Kirchenkreis für die<br />
Gastfreundschaft und Ausrichtung der Tagung.<br />
2. Fusion in Nordfriesland – was wird mit dem Archiv?<br />
(Herr Bodin)<br />
Als Verwaltungsleiter der drei Kirchenkreise Husum-Bredstedt, Eiderstedt<br />
und Südtondern bzw. des künftigen Kirchenkreises Nordfriesland<br />
gab Herr Bodin einen Ausblick auf die voraussichtliche Verwaltungsstruktur<br />
des neuen vereinigten Kirchenkreises. Als zentraler Standort<br />
für die Kirchenkreisverwaltung ist Breklum, und zwar das Christian-<br />
Jensen-Kolleg vorgesehen. Mit der Ausschreibung für den Bau eines<br />
neuen Verwaltungsgebäudes ist in den nächsten Wochen zu rechnen;<br />
bis Ende nächsten Jahres ist der Einzug geplant. Als Archivstandort ist<br />
nicht zwingend Breklum vorgesehen, viel spricht für Garding, doch<br />
aller Voraussicht nach nicht im jetzigen Archivgebäude. Eine defi nitive<br />
Entscheidung ist erst in einigen Monaten zu erwarten. Da der Abgabewillen<br />
der Kirchengemeinden, was deren Archivbestände betrifft,<br />
noch nicht sehr ausgeprägt ist, wird das Archiv nicht ganz so schnell<br />
seine volle Betriebsgröße erreichen. Ergänzend wies Frau Dr. Göhres<br />
auf die unterschiedliche Lagerungs- und Verzeichnungssituation<br />
in den drei Kirchenkreisen hin. Hier wie anderorts wird zusätzliche<br />
Überzeugungsarbeit notwendig sein, um eine Zentralisierung des Archivguts<br />
im jeweiligen Kirchenkreisarchiv zu erreichen. Das Nordelbische<br />
<strong>Kirchenarchiv</strong> unterstützt nach wie vor die Regionalisierung<br />
des nordelbischen <strong>Kirchenarchiv</strong>wesens. Um sorgfältig und langfristig<br />
6 <strong>Mitteilungen</strong> 37
planen zu können, sollte das NEK-Archiv rechtzeitig von anstehenden<br />
Ausbauplaungen benachrichtigt werden.<br />
3. Kirchenbücher?<br />
(Frau Gutierrez Franke, Standesamt Eiderstedt / Herr Stenzel, NEK-<br />
Archiv)<br />
Frau Gutierrez Franke berichtete von der Arbeit mit Anfragen von Familienforschern<br />
und betonte, dass es keine verbindlichen Vorschriften<br />
zur Handhabung der Anfragen gebe. So würden die Standesämter<br />
die Notwendigkeit, solche Anfragen zu beantworten, unterschiedlich<br />
handhaben. In Eiderstedt habe man im Schnitt vier Anfragen pro Monat,<br />
so dass alle zu bearbeiten seien, wobei die Tagesgeschäfte Vorrang<br />
hätten.<br />
Herr Stenzel erläuterte die Novelle <strong>zum</strong> Personenstandsgesetz und<br />
die Änderungen, die sich auf die Familienforschung auswirken. Insbesondere<br />
werden die Personenstandsbücher ab dem Jahre 2009 nach<br />
Ablauf bestimmter Fristen zugänglich sein. Die Konsequenzen für die<br />
Kir chenbücher werden wohl dahin gehen, dass sie ebenfalls nach Ablauf<br />
dieser Fristen vorgelegt werden können. Dies muss noch von den<br />
Juristen des Nordelbischen Kirchenamts geklärt werden.<br />
Mittagspause<br />
4. Besichtigung des Kirchenkreisarchivs<br />
(Herr Unbehaun, Kirchenkreisarchiv Garding)<br />
Nach dem Mittagessen gingen die Teilnehmer <strong>zum</strong> Kirchenkreisarchiv,<br />
das im 1. Stock eines Gebäudes untergebracht ist, in dem die<br />
nach Husum verlegte Kirchenkreisverwaltung ihren Raum hatte. Dort<br />
ist genügend Platz für die Besucher, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.<br />
Dank einer Deckenverstärkung konnten im 1. Stock Rollregalanlage<br />
neingebaut werden. In Eiderstedt sind sämtliche Archive der Kirchengemeinden<br />
im Kirchenkreisarchiv verwahrt. Die Benutzung der Kirchenbücher<br />
aller Kirchengemeinden geschieht mittels Mikrofi ches.<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 7
5. Bewertung und Kassation<br />
(Herr Kirschke, NEK-Archiv)<br />
Bewertung und Kassation (Vernichtung) des archivreifen Schriftguts<br />
einer Kirchengemeinde oder sonstigen kirchlichen Einrichtung stehen<br />
am Anfang jeder archivischen Ordnungsarbeit. Archivgesetz, Kassationsordnung<br />
und Regelung des Nordelbischen <strong>Kirchenarchiv</strong>s über die<br />
selbständige Vernichtung von allgemeinem Verwaltungsschriftgut in<br />
der jeweils gültigen Fassung sind die unverzichtbaren Hilfsmittel bei<br />
dieser Arbeit. Die ‚Regelung …’ ermöglicht es auch den Archivpfl egerinnen<br />
und Archivpfl egern vor Ort, einen beträchtlichen Teil des anfallenden<br />
Schriftguts nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist selbständig<br />
zu Kassation freizugeben.<br />
Anhand einer Liste der in einer Gemeinderegistratur anfallenden Aktentypen<br />
bzw Akteninhalte wurde beispielhaft und ausschnittweise<br />
kurz gezeigt, welches Schriftgut selbständig kassiert werden kann.<br />
6. ‚Aktuelle Fragestunde’, Abschlussbesprechung<br />
Das Nordelbische <strong>Kirchenarchiv</strong> versucht, das oft nachgefragte Informationsheft<br />
Nr. 1 ‚Kirchenbuchämter’ auf dem laufenden zu halten<br />
und bittet alle im Kirchenbuchwesen tätigen Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter Änderungen und Korrekturen zu melden.<br />
Herr H.-P. Voss bietet im Namen des Kirchenkreises Süderdithmarschen<br />
einen gebrauchten Reader-Printer <strong>zum</strong> Verkauf an (Preisvorstellung<br />
2000 €).<br />
Frau Dr. Göhres weist auf den Schleswig-Holsteinischen Archivtag<br />
am 27./28. Mai 2008 in Rendsburg im Nordkolleg hin.<br />
Herr Stenzel stellt die geänderten Formulare ‚Benutzungsantrag’ und<br />
‚Leihvertrag’ vor und erläutert die Änderungen. Bei Anfragen zur<br />
Ausleihe von Archivalien sollte die Beratung des NEK-Archivs früh<br />
eingeholt werden, um die Modalitäten beizeiten absprechen zu können.<br />
Ebenso sollte der Leihvertrag rechtzeitig dem Archiv zugeschickt<br />
werden.<br />
Für den ’Archivnachmittag’ des Nordelbischen <strong>Kirchenarchiv</strong>s werden<br />
ansprechende Themen gesucht.<br />
8 <strong>Mitteilungen</strong> 37
Die Ausstellung ‚Kirche - Christen - Juden’ wird – durch einen Mecklenburger<br />
Teil ergänzt – zur Zeit in Schwerin gezeigt (bis 2.12.2007).<br />
Aus dem Kreis der Teilnehmer wird berichtet, dass ein kostenlos von<br />
den Mormonen zur Verfügung gestelltes EDV-Programm zur Familienforschung<br />
beim Update die im Programm gesammelten Daten ‚abruft’.<br />
Als Ort für die nächste Jahrestagung der Archivpfl egerinnen und<br />
Archivpfl e ger ist im Jahre 2008 Elmshorn mit einer Einladung des<br />
Kirchenkreises Rantzau vorgesehen.<br />
Michael Kirschke, NEK-Archiv<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 9
Personenstandrechtsreformgesetz -<br />
Konsequenzen für die Familienforschung?<br />
In der letzten Ausgabe der <strong>Mitteilungen</strong> wurde bereits auf das neu beschlossene<br />
Gesetz <strong>zum</strong> Personenstandsrecht hingewiesen 1 .<br />
Zur Erläuterung ist es angebracht, die Geschichte des Personenstandsrechts kurz<br />
darzulegen. Es ist ein Ergebnis des so genannten Kulturkampfes 1873/1874,<br />
den der preußische und Reichskanzler Otto von Bismarck gegen die röm.-kathol.<br />
Kirche in Deutschland führte. Zuvor waren die Kirchenbücher wie selbstverständlich<br />
vom Staat mit genutzt worden, um die Aufgaben im Bereich des<br />
Einwohnermeldewesens, Militärwesens, Finanz- und Gesundheitswesens erfüllen<br />
zu können.<br />
Mit der Einführung der Zivilehe und der staatlichen Personenstandsregistrierung<br />
in Preußen 1874 wurden erstmals ‚weltliche’ Standesämter eingerichtet.<br />
Mit dem Reichspersonenstandsgesetz wurden die Bestimmungen für Preußen<br />
<strong>zum</strong> 1. Januar 1876 auf das ganze Reich ausgedehnt. Im neuen Bürgerlichen<br />
Gesetzbuch (BGB) von 1900 wurden die Bestimmungen zur Eheschließung in<br />
den §§ 1302 ff. präzisiert.<br />
Ein einschneidender Wechsel erfolgte 1938, als ein neues Personenstandsgesetz<br />
verabschiedet wurde, das den Gedanken des Rasseprinzips einführte.<br />
Jü dische Partner galten nunmehr als ein „Ehehindernis“. Zugleich wurde das<br />
„Fa mi lienbuch“ eingeführt, das durch die Zusammenfassung der Eheschließung,<br />
der Eintragungen der Kinder und andere familienpolitische Aspekte die<br />
Familienzusammenhänge besser kenntlich machen sollte. Es ist nicht mit dem<br />
bekannteren ‚Stammbuch’ zu verwechseln. Das Familienbuch blieb stets beim<br />
Standesamt, während das Stammbuch bei der Eheschließung an das frisch getraute<br />
Ehepaar ausgegeben wurde.<br />
Nach 1945 galt es in mehreren Besatzungszonen fort. Damit fällt es verfassungsrechtlich<br />
in die Kategorie der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74<br />
Abs. 1 Nr. 2 Grundgesetz) und ist nach Art. 125 Nr. 1 des Grundgesetzes automatisch<br />
Bundesrecht. Der Rassegedanke wurde erst 1951 aus dem Personenstandsgesetz<br />
entfernt. 1946 wurde ein Ehegesetz beschlossen, das die entsprechenden<br />
§§ aus dem BGB aufnahm, die im BGB aufgehoben wurden. 1957<br />
erfolgte eine Novellierung des PStG: Das „Familienbuch“ wurde neu gestaltet.<br />
Außerdem zog es nun mit der Familie mit (zuvor fester Führungsort und Buch-<br />
1 <strong>Mitteilungen</strong> <strong>zum</strong> <strong>Archivwesen</strong> in der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche, Heft 36 (Mai 2007), S.<br />
37.<br />
10 <strong>Mitteilungen</strong> 37
form, jetzt wechselnder Führungsort und Karteiblätter). Die weiteren kleineren<br />
Änderungen waren Folge von meist kindschafts- und familienrechtlichen Reformen.<br />
In den 90er Jahren wurden die Forderungen nach einer grundsätzlichen Überarbeitung<br />
des Gesetzes lauter. Doch mussten die bereits begonnen Arbeiten für<br />
eine Novellierung 1996 zugunsten anderer Gesetzesvorhaben zurückgestellt<br />
werden. Nach der Wiederaufnahme der Arbeiten 2002 gingen die Arbeiten recht<br />
zügig voran, so dass es im November 2006 als „Gesetz zur Reform des Personenstandsrechts“<br />
(Personenstandsrechtsreformgesetz – PStRG) angenommen<br />
und am 23.2. 2007 im Bundesgesetzblatt verkündet werden konnte.<br />
An den Beratungen waren neben anderen Organisationen die ev.-luth. und die<br />
röm.-kathol. Kirchen, die Bundesvereinigung der genealogischen Verbände<br />
e.V. und die Archivverwaltungen des Bundes und der Länder beteiligt.<br />
Für die Standesämter bedeutet das Gesetz vor allem die Umstellung der Personenstandsbücher<br />
auf die EDV. Daher spricht der Gesetzgeber nicht mehr von<br />
Büchern, sondern von Registern. Diese Bestimmung greift theoretisch schon<br />
ab 2009. Jedoch ist den Standesämtern eine Übergangsfrist bis 2013 eingeräumt<br />
worden. Dabei ist den Ländern frei gestellt worden, wie weit zurück die<br />
Bücher nachträglich in die elektronische Form überführt werden sollen. Dem<br />
Vernehmen nach sind die Voraussetzungen von Land zu Land, von Kommune<br />
zu Kommune sehr unterschiedlich, so dass die Übergänge sich sehr variabel<br />
gestalten werden.<br />
Das bereits erwähnte Familienbuch wird abgeschafft. Die Erfahrungen hatten<br />
gezeigt, dass es in der Bevölkerung unbekannt geblieben war und der Nutzwert<br />
gering blieb. Zudem musste es bei jedem Umzug verschickt werden, so dass<br />
jedes Jahr von etwa 20 Mio. existierenden Familienbüchern sich ein großer Teil<br />
auf dem Postweg befand. Mit der Abschaffung würden also erhebliche Kosten<br />
gespart.<br />
Die Umstellung der Bücher auf EDV-Register und die Aufnahme der neuen<br />
Formen des gemeinsamen Zusammenlebens führten auch zu neuen Bezeichnungen<br />
der Register. So wird man ab 2009 folgende Register fi nden: Geburtenregister,<br />
Eheregister, Lebenspartnerschaftsregister und Sterberegister.<br />
Damit wird ein für Archive und Kirchenbuchämter zentraler Punkt erreicht. Bis<br />
2009 sind die Personenstandsbücher dauerhaft bei den Standesämtern aufzubewahren<br />
und zu führen. Mit dem neuen Gesetz ändern sich die Fristen und der<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 11
Status der Bücher und Register.<br />
Den Standesämtern obliegt die Fortführung der Bücher bzw. der Register. Fortführung<br />
bedeutet die Aktualisierung oder Ergänzung der Einträge. Der entsprechende<br />
Eintrag wird aktualisiert, etwa wegen einer Scheidung oder einer<br />
Namensänderung. Diese Aufgabe bestand bislang dauernd. Nach der neuen<br />
Regelung sind die Bücher und Register nur noch für eine befristete Zeit fortzuführen.<br />
Sie sind nach dem Typus unterschiedlich:<br />
Eheregister 80 Jahre<br />
Lebenspartnerschaftsregister 80 Jahre<br />
Geburtenregister 110 Jahre<br />
Sterberegister 30 Jahre<br />
Nach Ablauf der Fortführungsfrist verlieren die Bücher und die Register die<br />
standesamtliche Beweiskraft. Zuvor kann das Standesamt noch Personenstandsurkunden<br />
ausstellen. Nach Fristablauf gibt es nur noch Nachweise. Damit wären<br />
die Auszüge aus den Kirchenbüchern und die Auszüge aus den standesamtlichen<br />
Büchern und Registern gleichgestellt.<br />
Zu beachten ist, dass die Bücher und Register danach nicht vernichtet werden<br />
dürfen. Vielmehr bestimmt das Gesetz ausdrücklich, dass die Bücher und<br />
Register dauerhaft aufzubewahren sind 2 . Unabhängig davon, wo die Bücher<br />
und Register künftig bleiben, gelten die archivrechtlichen Bestimmungen des<br />
jeweiligen Landes. Die Standesämter können sie dem zuständigen Archiv anbieten.<br />
Dabei hat der Gesetzgeber offen gelassen, ob sie dem kommunalen oder<br />
dem Landesarchiv anzubieten sind. Mit diesem Punkt müssen sich noch die<br />
Kommunalarchive befassen, da das unter Umständen einen erheblichen Platzbedarf<br />
in den Archiven nach sich zieht 3 .<br />
Schließlich ist die Benutzung bei rechtlichem und berechtigtem Interesse erleichtert<br />
worden. Auch hier kommt <strong>zum</strong> Tragen, dass nach Ablauf der Fortführungsfristen<br />
die archivrechtlichen Bestimmungen gelten.<br />
Was bedeutet das nun für die Kirchenbuchämter und Archive?<br />
Zweifelsfrei müssen die Kirchen hinsichtlich der Kirchenbücher das staatliche<br />
Personenstandsrecht beachten. Die Konkretisierung des neuen PStG für den<br />
kirchlichen Bereich steht noch aus. Es kann jedoch festgehalten werden, dass<br />
2 Für Sammelakten, die die Vorgänge zu den jeweiligen Eintragungen enthalten, besteht nur eine<br />
begrenzte Aufbewahrungsfrist.<br />
3 Dies wird auch Thema des Schleswig-Holsteinischen Archivtags am 27./28.5.2008 in Rendsburg<br />
sein.<br />
12 <strong>Mitteilungen</strong> 37
die Kirchenbücher nach 1875 nicht mehr die Beweiskraft der Personenstandsbücher<br />
hatten. Ab 2009 gilt dieser Befund nun auch für die staatlichen Personenstandsbücher<br />
und -register, wenn die Fortführungsfristen abgelaufen sind.<br />
Damit wären die Kirchenbücher und die staatlichen Personenstandsbücher und<br />
-register in Beweiskraft und Aussagekraft gleichgestellt. Somit könnten auch<br />
Kirchenbücher nach 1875 unter Beachtung der Fristen vorgelegt werden.<br />
Konkret hieße das, dass im Jahre 2009 ein Ehebuch von 1928, ein Geburtenbuch<br />
von 1898 und ein Sterbebuch von 1978 benutzt werden können.<br />
Dies muss allerdings noch in kirchenrechtlicher Hinsicht überprüft werden,<br />
doch wage ich die Behauptung, dass dieses Ergebnis Bestand hat. Die archivrechtlichen<br />
Bestimmungen der Länder werden sich insoweit auf die Bestimmungen<br />
zur Vorlage der Kirchenbücher auswirken, als der Kreis der Personen,<br />
die die Kirchenbücher benutzen dürfen, sich vergrößert und die Fristen wie<br />
erwähnt Geltung fi nden.<br />
Davon abgesehen müssen sich auch die kirchlichen Meldeämter auf die Neuerung<br />
einstellen, wenn die Standesämter ihre Daten elektronisch übermitteln<br />
wollen.<br />
Ulrich Stenzel, NEK-Archiv<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 13
Angehende Prediger bereits im Archiv?<br />
Die Archivbestände der nordelbischen Predigerseminare im<br />
Nordelbischen <strong>Kirchenarchiv</strong><br />
Predigerseminar - da denken die meisten nur an jenes in Preetz. Im Frühjahr<br />
2007 musste es seine Pforten für immer schließen. Die Ausbildung der Pastorinnen<br />
und Pastoren wurde nach Ratzeburg verlagert, um eine engere Zusammenarbeit<br />
mit dem Pastoralkolleg zu ermöglichen. Dadurch sollte auch Geld<br />
gespart werden. Doch auch rationale Argumente können schlecht über die<br />
Wehmut hinweghelfen, die manchen in den letzten Tagen beschlichen hat. Immerhin<br />
hatten Institution und Haus mehr als 100 Jahre auf dem Buckel gehabt.<br />
1896 wurde es eröffnet und sogleich bezogen 1 . Es reichte für den Bedarf in der<br />
schleswig-holsteinischen Landeskirche. Damit bildete sich ein Kristallisationspunkt<br />
der Pastorenschaft heraus, der auch den Umbruch in die nordelbische<br />
Zeit überstand. Und dann reichte es noch aus. Gewiss wurde angebaut, umgebaut,<br />
erweitert – aber es genügte!<br />
Für den Übergang zur nordelbischen Zeit mussten freilich die Ausbildungsmodelle<br />
aus Schleswig-Holstein und Hamburg zusammengefügt werden. In Hamburg<br />
bestand kein Predigerseminar wie in Preetz, sondern die Ausbildung war<br />
den Hauptpastoren zugeordnet. Nunmehr wurde Preetz quasi das „Mutterhaus“<br />
aller Vikarinnen und Vikare. Neu waren die so genannten „Ausbildungsregionen“<br />
Hamburg, Schleswig, Kiel und Lübeck/Ahrensburg. Sie sind nicht zu verwechseln<br />
mit den später eingerichteten Ausbildungszentren. In den 70er Jahren<br />
stieg die Zahl der Theologiestudentinnen und –studenten stark an. Daher wurden<br />
sukzessive in verschiedenen Regionen neue Prediger- und Studienseminare,<br />
wie sie offi ziell hießen, eröffnet: 1982 in Breklum, 1986 in Hamburg 2 und<br />
1991 in Pinneberg. Sie waren wie das Preetzer Seminar unselbständige Werke.<br />
Sie waren diesem nicht unterstellt. Um die Einheitlichkeit in der Ausbildung zu<br />
gewährleisten, wurde eine Seminarkonferenz eingerichtet. Die Sonderstellung<br />
des Preetzer Seminars kam dadurch <strong>zum</strong> Ausdruck, dass sein Direktor den Vor-<br />
1 Zur Geschichte vgl.: 100 Jahre Predigerseminar Preetz. Eine Festschrift. Hrsg. v. Gothart<br />
Magaard und Gerhard Ulrich. Kiel: Lutherische Verlagsgesellschaft, 1996. Künftig zitiert als:<br />
100 Jahre.<br />
2 Hamburg wurde offi ziell als Prediger- und Studienseminar der NEK - Ausbildungszentrum<br />
Hamburg bezeichnet.<br />
14 <strong>Mitteilungen</strong> 37
sitz in der Seminarkonferenz innehatte 3 .<br />
Doch allen war nur eine kurze Zeit beschieden. Alle drei neuen mussten ihre<br />
Tore in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre schließen (Pinneberg 1996, Breklum<br />
1998 und Hamburg 1999) – ein Ausdruck für den starken Rückgang der<br />
Theologiestudentinnen und –studenten, der auch auf die Sparmaßnahmen in<br />
der Nordelbischen Kirche zurückzuführen war. Dabei ist zu berücksichtigen,<br />
dass das Prediger- und Studienseminar in Pinneberg ausdrücklich eine Übergangslösung<br />
war, um einen Überhang an Studierenden auf der Warteliste abzubauen<br />
4 . Hingegen waren die Seminare in Breklum und Hamburg auch als eine<br />
regionalpolitische Lösung zu verstehen, die dem Schwergewicht an der Ostküste<br />
ein Gegengewicht entgegensetzen sollte. Auch wurde damit angestrebt, die<br />
Vikarinnen und Vikare so stärker in die Region einbinden zu können.<br />
Im 19. Jahrhundert bestanden zunächst keine Predigerseminare in Schleswig-<br />
Holstein. Nach der Besetzung des Landes durch die österreichischen und preußischen<br />
Truppen 1864 wurde für das Herzogtum Schleswig von den Geistlichen<br />
ein besonderer Nachweis gefordert, dass sie die dänische Sprache beherrschten.<br />
1870 verfügte der preußische ‚Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten’<br />
die Einrichtung eines Predigerseminars in Hadersleben,<br />
das die Kandidaten auf ihr Wirken in dänischsprachigen Bereichen vorbereiten<br />
sollte. Dazu wurden auch die homiletischen, katechetischen und liturgischen<br />
Übungen veranstaltet.<br />
Doch genügte das dem späteren Generalsuperintendenten Theodor Kaftan nicht.<br />
In seiner Zeit als Regierungs- und Schulrat in Schleswig forderte er 1883 die<br />
Einrichtung eines Predigerseminars, das die examinierten Theologiestudenten<br />
auf die Praxis in den Gemeinden vorbereite. Doch erst in seinem Amt als Generalsuperintendent<br />
ab 1886 konnte er seine Pläne so energisch vorantreiben, dass<br />
1896 das Preetzer Predigerseminar eröffnet werden konnte 5 .<br />
Ohne ein Predigerseminar auszukommen, erscheint heute einfach undenkbar.<br />
Zwar ging es immer darum, wie das Wort Gottes verkündet werden solle, aber<br />
die Gestalt hat sich immer wieder geändert. Dies lässt sich gut an dem Archiv-<br />
3 Rechtsverordnung über die Prediger- und Studienseminare der Nordelbischen Evangelisch-<br />
Lutherischen Kirche (undatiert). Gesetz- und Verordnungsblatt der NEK, 1993, S. 13.<br />
4 Magaard, Gothart, Das „Preetzer Modell“. Skizze seiner Entwicklung. In: 100 Jahre, S. 63 - 84,<br />
hier S. 81.<br />
5 Jürgensen, Claus, 100 Jahre Predigerseminar Preetz. Von den Anfängen bis <strong>zum</strong> 2. Weltkrieg.<br />
In: 100 Jahre, S. 12 – 18.<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 15
gut erkennen, das seinen Weg in das Nordelbische <strong>Kirchenarchiv</strong> gefunden hat.<br />
Den größten Brocken stellt natürlich die Ablieferung des Preetzer Seminars<br />
dar. Mit 15 lfd.m. und 967 Nummern ( = Archivalien) hat es eine beachtliche<br />
Menge an Informationen zur Geschichte der Institution, des Hauses und der<br />
Kurse zu bieten. Das Archivgut wurde 1992 abgeliefert und bis 1996 erschlossen.<br />
Eine erste Nachlieferung erfolgte 2000, die umgehend verzeichnet wurde.<br />
Die dritte Abgabe erfolgte anlässlich der Schließung im Frühjahr 2007, soweit<br />
nicht Akten nach Ratzeburg mitgenommen werden sollten. Diese ist noch nicht<br />
erschlossen.<br />
Die Ablieferungen der jüngeren Predigerseminare sind natürlich nicht so umfangreich,<br />
aber auch sie bieten reichhaltiges Material zur Geschichte und zu<br />
den Kursen. Die entsprechenden Zahlen lauten für Breklum: 6 lfd.m. und 253<br />
Nummern, für Pinneberg: 1 lfd.m. und 29 Nummern, für Hamburg: 3 lfd.m.<br />
und 66 Nummern. Das Schriftgut aus Breklum wurde kurz nach der Schließung<br />
1998 übernommen und 2007 erschlossen. Jenes aus Pinneberg gelangte<br />
bereits 1996 in das <strong>Kirchenarchiv</strong> und wurde sofort erschlossen. Die Abgabe<br />
aus Hamburg schließlich kam 2000 nach Kiel und wurde 2002 verzeichnet. In<br />
allen Beständen kann man mittels einer Datenbank recherchieren. Es liegen<br />
aber auch die klassischen gedruckten Findbücher vor.<br />
Meist wird der Interessierte zu dem Jubiläumsband greifen, der 1996 von Gothard<br />
Magaard und Gerhard Ulrich herausgegeben wurde. Für viele Aspekte<br />
und Fragen wird es reichen. Aber es werden sich immer wieder Einzelfragen<br />
ergeben, zu denen dann die Akten im Archiv die vertiefenden Antworten liefern<br />
können. Die Akten enthalten nicht nur Protokolle über Besprechungen und<br />
Sammlungen zur Geschichte, besonders in Preetz, sondern auch die Unterlagen<br />
zur Organisation und Durchführung der Vikarkurse. Anhand eines Vergleichs<br />
lassen sich auch die Veränderungen in der Ausbildung ablesen. Darum ist es<br />
wichtig, dass das unscheinbare Schriftgut auch aus der jüngsten Zeit der Nachwelt<br />
erhalten bleibt. Erst in der Kombination des bereits vorhandenen Wissens<br />
mit den Detailinformationen ergeben sich neue Erkenntnnisse.<br />
Ulrich Stenzel, NEK-Archiv<br />
16 <strong>Mitteilungen</strong> 37
Lehrer und Schreibmeister Reimer Ernst Trede<br />
Im Turmraum unserer Stadtkirche zu Neustadt liegt auf dem Boden vor der Tür<br />
zur Kirche ein Grab- und Gedenkstein für Reimer Ernst Trede. Wer war dieser<br />
Mann, der in unserer Kirche seine Grabstelle fand?<br />
Gemäß dem Taufregister von Grube ist er dort am 26. September 1719 getauft<br />
worden. Dem Sterberegister von Neustadt kann man entnehmen, dass er 76jährig<br />
an einer ‚aufzehrenden Brustkrankheit’ am 3. Dezember 1795 starb. Hinterlassen<br />
hat er seine Ehefrau Dorothea Friederica, geb. Ebben, mit der er sechs<br />
Kinder gezeugt hat. Sie ist ebenfalls 1719 geboren und starb am 13. Dezember<br />
1807. Trede übte den Beruf eines Lehrers in Neustadt aus. In den Berichten<br />
über ihn wird er immer als Lehrer und Schreibmeister bezeichnet. Wir können<br />
heute noch nachvollziehen, wo Trede mit seiner Familie gewohnt hat. Bis zu<br />
der Zeit vor dem letzten großen Stadtbrand - also l817 - befand sich zwischen<br />
der Nordseite der Kirche und dem Marktplatz eine Häuserreihe. In der Nordwestecke<br />
stand die vormalige Gertrudenkapelle. Östlich daneben fi nden wir<br />
noch 1792 des „Schreibmeisters Dienstwohnung“ (ausdrücklich so bezeichnet)<br />
mit dem Schulgebäude. In seiner Eigenschaft als Schreibmeister hat Trede auf<br />
jeden Fall viel Gutes für Neustadt und seine Kirchengemeinde geleistet. Das<br />
Wichtigste war wohl die Zusammenstellung des Inventariums der Kirchengemeinde<br />
von 1792.<br />
Wie kam es dazu, mögen wir uns fragen. Nun, es war ganz natürlich. Der damalige<br />
Pastor Johann Christian Lau (1728-1794) erhielt eine Mitteilung: „Es sei<br />
des Königs allerhöchster Wille und Befehl, dass ein ordentliches Inventarium<br />
über sämtliche der Kirche zustehende Güter allhier verfertigt werden solle, damit<br />
dasselbe bei der bevorstehenden Kirchenvisitation exhibieret (vorgezeigt)<br />
werden könne.“ So ist, wie könnte es anders sein, der Schreibmeister Trede<br />
für ein Douceur (Geldgeschenk) mit dieser Aufgabe beauftragt worden. Für<br />
mich ist dieses Inventarium in der schönen verschnörkelten Handschrift ein<br />
Kunstwerk, gleichzeitig für den Historiker eine Fundgrube über die Gebräuche<br />
und Gegenstände der Kirche aus der damaligen Zeit. Um z.B. die Geschichte<br />
unserer Orgel zu erforschen, ist das Inventarium erst in jüngster Zeit herangezogen<br />
worden.<br />
Trede hat aber weitere Aufträge für die Kirchengemeinde ausgeführt. So ver-<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 17
fasste er eine Ordnung über die damals noch vorhandenen Grabstellen auf dem<br />
Kirchhof (rund um die Kirche) und hat einen Grabplan erstellt. Übrigens ist die<br />
letzte Beisetzung 1818 auf diesem Friedhof erfolgt.<br />
Weiter hat er dem Pastor Johann Hinrich Schulz (1756-1837) sehr geholfen, als<br />
dieser ein Buch über „Ursachen und Verfall der Stadt Neustadt“ verfasste. Die<br />
darin veröffentlichten Berechnungen über den Neustädter Schiffbau stammen<br />
von Trede. Pastor Schulz sagte über Trede nach dessen Tod: „Dieser selige<br />
Mann dachte schon über ein halbes Jahrhundert in Neustadt. Beinahe alle Bürger<br />
waren seine Schüler. Da ein, ich möchte sagen, enormes Gedächtnis, vorhanden<br />
mit sehr gesunder Beurteilungskraft, ihm zu Gebot stand, so kann man<br />
sich mit ziemlicher Gewissheit auf seine Angaben verlassen, um so mehr, da er<br />
beim Kauf und Verkauf der Schiffe die Feder mitgeführt und also in die Karte<br />
gesehen hat. Dieser mir unvergessliche Mann zeichnet sich in seinem Fach auf<br />
eine ganz vorzügliche Art und Weise aus.“<br />
Auch der Konsistorialrat und Pastor Peter Christian Olfsen (1764-1854) berichtet,<br />
dass ihm der selige Schreibmeister Reimer Ernst Trede eine alte Abschrift<br />
der Inschrift am Kirchturm <strong>zum</strong> Andenken geschenkt habe. Dieser alten Abschrift<br />
haben wir zu verdanken, dass wir heute wissen, was auf der verwitterten<br />
Sandsteininschrift zu lesen war. Nämlich in der deutschen Übersetzung des lateinischen<br />
Textes: „Im Jahre des Herrn 1244 ist diese Stadt gegründet worden.<br />
Im Jahre des Herrn 1334 am Tage Petri Stuhlfeier ist dieser Turm begonnen<br />
worden. Kirchgeschworener war Johannes Butenschone.“<br />
Wie bereits gesagt, der Grabstein von Reimer Ernst Trede liegt im Fußboden<br />
unserer Kirche in der Vorhalle unter dem Turm. Die relativ dunkle Turmhalle<br />
macht es schwer, besonders bei geschlossener Außentür, den Text auf diesem<br />
Gedenkstein zu entziffern.<br />
Der Kirchenvorstand hat daher beschlossen, den Grabstein aufzunehmen, um<br />
ihn dann an der Turmwand aufstellen zu lassen.<br />
Der Schreibmeister und Lehrer Reimer Ernst Trede hat sich um die Stadt und<br />
Kirchengemeinde verdient gemacht und soll nun besser in das Blickfeld der<br />
Öffentlichkeit gestellt werden.<br />
18 <strong>Mitteilungen</strong> 37
Quellen:<br />
Taufregister Grube 1719<br />
Sterberegister Neustadt 1795, Nr. 39 u. 1807<br />
Archiv der Kirchengemeinde Neustadt in Holstein, Nr. 23: Inventarium der<br />
Kirchengemeinde Neustadt von 1792<br />
Stadt und Heimat 1935, Nr. 8<br />
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<strong>Mitteilungen</strong> 37 19
Stets im Einsatz für die Kirche -<br />
Archivpfl eger Jürgen Hering<br />
Mann der Kirche – Archivpfl eger mit Bugenhagenmedaille geehrt!<br />
Am Freitag, den 2.11.2007, wurde in Neustadt in Holstein der langjährige<br />
Verwaltungsleiter Jürgen Hering für seine Verdienste um die Kirche von Bischöfi n<br />
Bärbel Warttenberg-Potter mit der Bugenhagen-Medaille ausgezeichnet.<br />
So könnte die Schlagzeile lauten, mit der das Porträt des Archivpfl egers im<br />
Kirchenkreis Oldenburg eingeleitet würde. Doch ist es fraglich, ob man Jürgen<br />
Hering damit gerecht werden würde. Gewiss ist er stolz auf diese höchste Auszeichnung<br />
der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche. Aber es ist bezeichnend, dass<br />
er in seinen Dankesworten sie „stellvertretend für alle ehrenamtlich Tätigen“<br />
annimmt. Verdient hat er sie allemal. Die Liste seiner Tätigkeit in der Kirche<br />
ist lang.<br />
Doch so ein Leben war ihm nicht an der Wiege<br />
gesungen worden. Der Vater hatte nach dem Ersten<br />
Weltkrieg Zahnmedizin studiert und wollte<br />
sich in der Infl ationszeit einen sicheren Broterwerb<br />
schaffen. So kam er auf die Idee, in die<br />
Niederlande zu gehen und sich dort selbstständig<br />
zu machen. Dafür musste er zunächst Holländisch<br />
lernen und dann in den Niederlanden seine zahnärztliche<br />
Prüfung in der neuen Sprache vollständig wiederholen. Alsdann ließ<br />
er sich 1924 in Groningen nieder. Den Kindern pfl egte er später zu erzählen,<br />
dass er sich diese Ecke ausgesucht hatte, weil sie noch am nächsten zur deutschen<br />
Heimat war. Dort wird Jürgen am 22. Oktober 1934 geboren. Er verlebt<br />
seine Kindheit dort, relativ unbeschwert auch nach dem Einmarsch der Deutschen<br />
1940. Das Verhältnis der Zahnarztfamilie zu den Holländern ist gut, es<br />
wird gegenseitige Hilfe geleistet.<br />
Dann aber zieht sich die Wehrmacht 1944 zurück und ordnet an, dass alle<br />
Reichs deutschen sofort in das Reich ziehen müssten. So muss die Mutter mit<br />
fünf Kindern, davon das Jüngste mit wenigen Monaten, sich vom Vater trennen<br />
und nach Mecklenburg auf ein Gut eines Onkels gehen. Der Vater wird noch<br />
zur Wehrmacht eingezogen, muss die ordnungsgemäße Frontbegradigung mit-<br />
20 <strong>Mitteilungen</strong> 37
machen und kommt in die Kriegsgefangenschaft. Noch vor der endgültigen<br />
Niederlage Deutschlands bricht die Familie mit Fahrrädern auf, um nach Holstein<br />
zu gelangen. Die Fahrräder erweisen sich auf den überfüllten Straßen als<br />
ein Vorteil. Während Autos und Pferdewagen kaum vorwärtskommen, können<br />
die Radfahrer zwischen den Wagen hindurchkurven. Schließlich gelangen sie<br />
nach Gut Beusloe. Das Gut hat für die Eltern besondere Bedeutung, weil sie<br />
sich hier kennen gelernt haben. Der Vater stammt aus Lütjenburg, die Mutter<br />
aus Hamburg. Jürgen kann hier helfen, die Milch nach Neustadt zu fahren.<br />
Schließlich kommt der Vater nach Neustadt, nachdem er sich zuerst in Eutin<br />
niederlassen wollte. Hier kann er seinen Beruf als Zahnarzt wieder aufnehmen.<br />
Als der ‚Flüchtlingszahnarzt’ ist er bald etabliert und kann nicht zuletzt dank<br />
der Unterstützung durch die ‚Flüchtlingsfi scher’ überleben.<br />
Allmählich normalisiert sich das Leben. Herr Hering schätzt sich glücklich,<br />
dass er diese Zeit, die nicht nur aufregend war, sondern auch schrecklich, mit<br />
Bewusstsein erlebt hat. So hat er für das Leben Lehren gezogen, und unter<br />
Anderem ist die Sparsamkeit eine wichtiges Prinzip geworden. 1953 beginnt er<br />
eine Ausbildung als Bankkaufmann bei der Neustädter Volksbank. Schon bald<br />
nach der Ausbildung wird er stellvertretender Filialleiter der Volksbank in den<br />
einzelnen Zweigstellen.<br />
Sein Interesse für die Kirche beginnt früh. So beteiligt er sich als Mitarbeiter<br />
der Kindergottesdienste für 15 Jahre. In der Laudatio wurde hervorgehoben,<br />
dass Herr Hering über 50 Jahre in der Kantorei seiner Kirchengemeinde gesungen<br />
hat, wie er auch wohl kaum einen Gottesdienst ausgelassen hat. Ebenso<br />
bemerkenswert ist die weitere Aufzählung seiner Verdienste, die zeigen, dass<br />
er sich mit Freude den selbst gewählten Pfl ichten widmet: Protokollführer im<br />
Kirchenvorstand seit 1965, Mitglied der Propstei- bzw. Kirchenkreis-Synode<br />
seit 1959, Vorstandsmitglied im Hospital <strong>zum</strong> Heiligen Geist und des Lienaustifts<br />
seit 1980, Vorstandsmitglied in weiteren gemeinnützigen Vereinen.<br />
Seine Frau fi ndet er auch in der Kirche, die Tochter des Propsten Wassner. 1960<br />
fi ndet die Verlobung statt, 1962 die Hochzeit. Drei Kinder werden ihnen geboren.<br />
Aber erst 1970 wird Herr Hering auch berufl ich in der Kirche tätig. Zunächst<br />
wird er Rendant in der Kirchengemeinde, drei Jahre später Verwaltungsleiter<br />
für den Kirchenkreis Oldenburg. Auch hier zeigt sich wieder das umsichtige<br />
Verhalten. Er tritt erst in den kirchlichen Dienst ein, als sein Schwiegervater<br />
im Ruhestand ist, um Gerüchten und Unterstellungen von Protektion entgegenzutreten.<br />
Damit sind wir bei den Fragen <strong>zum</strong> Sparen und zur bevorstehenden<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 21
Fusion der Kirchenkreise. Als vehementer Gegner der Reformen bezieht er klar<br />
Stellung: Sein Kirchenkreis habe bis heute die kleinste und sparsamste Verwaltung.<br />
1972 bestand sie aus drei Mitarbeitern, heute seien es neun – immer noch<br />
erheblich weniger als in anderen Kirchenkreisen. In Oldenburg könne nicht<br />
mehr gespart werden. Er sieht mit Sorge den Verlust der Identität – vor allem<br />
wenn das Gefühl hinzutrete, dass man draufzahle. Ebenso bewertet er kritisch<br />
die Diskussion zur Nordkirche. Die geografi schen Räume werden immer größer,<br />
und eine echte Ersparnis sei nicht zu sehen. Gerade an der Frage zu den<br />
Pröpsten entzündet sich ja die Kritik, dass ein Sparwille nicht mehr aus<strong>zum</strong>achen<br />
sei. Er ist immer noch stolz darauf, dass er die Rücklagen für den Kirchenkreis<br />
deutlich ausgebaut hat, so dass der Kirchenkreis heute in den mageren<br />
Jahren noch davon zehre.<br />
Seit 1998 befi ndet er sich im Ruhestand. Aber die Aufzählung seiner Engagements<br />
macht deutlich, dass er immer noch aktiv ist und sich aus seinen Pfl ichten<br />
nicht zurückzieht. Mit seiner Frau unternimmt er noch Reisen, die sie bis nach<br />
Costa Rica geführt haben.<br />
Wo nun ist die Heimat? Jetzt ist es Neustadt, aber ein gutes Stück auch Holland,<br />
wo er die Kinderjahre verbracht hat. Und zu einem kleinen Teil auch das Gut<br />
Neu-Stuer bei Plau in Mecklenburg, das im Krieg eine Zufl ucht war. Als Kind<br />
hatte er zu Friedenszeiten seine Ferien auf Neu-Stuer verbracht. Dort erwachte<br />
in ihm der Wunsch, Landwirt zu werden. Seine Eltern aber hatten ihn zur Banklehre<br />
gebracht, weil sie meinten, dass er die schwere körperliche Arbeit wohl<br />
nicht verkrafte. Als Ausgleich gärtnert er mit Leidenschaft und verbringt in seinem<br />
Garten viel Zeit. Ja, das Haus, an dem hängt auch wieder eine Geschichte.<br />
Als die Familie als Flüchtlingsfamilie in eine Wohnung am Heisterbusch eingewiesen<br />
war, hatte die Mutter Kontakt mit den Besitzern des Hauses. Der Mann<br />
steckt ihr heimlich Obst und Gemüse zu, seine Frau darf es nicht wissen. Später<br />
kaufen die Eltern das Haus – als Altersruhesitz, bis dann Sohn Jürgen es übernimmt<br />
(und natürlich die Finanzierung klärt). Als das frischgebackene Ehepaar<br />
einzieht, ist es noch eng. Ganz Neustadt war Anfang der 60er Jahre noch voll<br />
mit Flüchtlingen, die irgendwie untergebracht werden mussten. So konnten sie<br />
nur im Erdgeschoss wohnen, das Obergeschoss war von Flüchtlingen belegt.<br />
Der Wohnungsbau greift in dieser Ecke relativ spät.<br />
Doch fi ndet dieses Gespräch nicht zu dritt statt. Seine Frau beteiligt sich auch<br />
an dem Gespräch, aber nicht nur um zu ergänzen. Sie erzählt auch von dem<br />
eigenen Leben. Als Tochter des Pastors Wassner wurde sie in Gravenstein (Grå-<br />
22 <strong>Mitteilungen</strong> 37
sten) geboren. Der Vater kam 1940 auf eine neue Pfarrstelle nach Neustadt in<br />
Holstein, um dort als Pastor und später als Propst bis <strong>zum</strong> Ruhestand zu wirken.<br />
Sie hat eine Ausbildung als Fremdsprachenkorrespondentin gemacht und in<br />
Hamburg gelebt. Mit wenig Begeisterung lässt sie sich darauf<br />
ein, mit ihrem Mann in Neustadt zu wohnen. Hamburg<br />
hatte sie begeistert. Auch hatte sie im Laufe einiger Jahre als<br />
Aupair-Mädchen in die weite Welt hinausgeschnuppert und<br />
tat sich schwer damit, in ein Provinznest zurückzukehren.<br />
Inzwischen ist sie froh darüber, in einer doch recht ländlichen<br />
Stadt zu leben, auch wenn es nicht immer die heile Welt ist. So haben die<br />
Ehepartner beide einen gewissermaßen internationalen Hintergrund. Musik ist<br />
für sie wichtig. Als die Kinder aus dem Gröbsten waren, machte sie eine Ausbildung<br />
als Organistin und legte in Neumünster das C-Examen ab. Heute noch<br />
wirkt sie Chorleiterin und spielt vertretungsweise die Orgel.<br />
Wie aber kam Herr Hering <strong>zum</strong> Archiv? Nicht etwa, weil er als Verwaltungsleiter<br />
dafür zuständig war, sondern weil er schon immer geschichtlich interessiert<br />
war. Die ersten Anregungen kamen von seiner Großmutter, die lebhaft<br />
und anschaulich Geschichten auch aus der Familiengeschichte erzählen konnte.<br />
Lebhaft beschreibt er, wie er zu ihren Füßen saß und alles aufschrieb, damit<br />
die Geschichten nicht verlorengehen. Später trat das Interesse der Neustädter<br />
Heimatgeschichte hinzu, des Raumes, in dem er inzwischen verwurzelt ist.<br />
Schon recht früh holte er aus Kiel den Archivar Dr. Lauckner, der helfen sollte,<br />
das Archiv der Kirchengemeinde Neustadt zu ordnen. Auch das gehört zur<br />
Laudatio, dass er sich um die Sicherung der Archive des Kirchenkreises und<br />
der Kirchengemeinde verdient gemacht hat. Seinem Veto ist es nicht zuletzt zu<br />
verdanken, dass die Kirchengemeinden für die Erschließung der Archive einen<br />
Zuschuss erhielten.<br />
Aber auch die nettesten Runden müssen einmal ein Ende fi nden. So bleibt <strong>zum</strong><br />
Schluss die übliche Frage, was er auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Na,<br />
als erstes: die Frau! Das lassen wir mal durchgehen. Dann folgen Bibliothek<br />
und Archiv! Seine Frau denkt da etwas praktischer: Mann, Boot (damit man<br />
mal wegfahren kann) und die Musikinstrumente. Musik ist auch eine Leidenschaft<br />
im Hause Hering.<br />
Aber das ist eine neue Geschichte. Jetzt müssen wir wirklich fahren!<br />
Peter Bahr, Ulrich Stenzel<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 23
Stets im Einsatz für die Kirche -<br />
Archivpfl eger Jürgen Hering<br />
Mann der Kirche – Archivpfl eger mit Bugenhagenmedaille geehrt!<br />
Am Freitag, den 2.11.2007, wurde in Neustadt in Holstein der langjährige<br />
Verwaltungsleiter Jürgen Hering für seine Verdienste um die Kirche von Bischöfi n<br />
Bärbel Warttenberg-Potter mit der Bugenhagen-Medaille ausgezeichnet.<br />
So könnte die Schlagzeile lauten, mit der das Porträt des Archivpfl egers im<br />
Kirchenkreis Oldenburg eingeleitet würde. Doch ist es fraglich, ob man Jürgen<br />
Hering damit gerecht werden würde. Gewiss ist er stolz auf diese höchste Auszeichnung<br />
der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche. Aber es ist bezeichnend, dass<br />
er in seinen Dankesworten sie „stellvertretend für alle ehrenamtlich Tätigen“<br />
annimmt. Verdient hat er sie allemal. Die Liste seiner Tätigkeit in der Kirche<br />
ist lang.<br />
Doch so ein Leben war ihm nicht an der Wiege<br />
gesungen worden. Der Vater hatte nach dem Ersten<br />
Weltkrieg Zahnmedizin studiert und wollte<br />
sich in der Infl ationszeit einen sicheren Broterwerb<br />
schaffen. So kam er auf die Idee, in die<br />
Niederlande zu gehen und sich dort selbstständig<br />
zu machen. Dafür musste er zunächst Holländisch<br />
lernen und dann in den Niederlanden seine zahnärztliche<br />
Prüfung in der neuen Sprache vollständig wiederholen. Alsdann ließ<br />
er sich 1924 in Groningen nieder. Den Kindern pfl egte er später zu erzählen,<br />
dass er sich diese Ecke ausgesucht hatte, weil sie noch am nächsten zur deutschen<br />
Heimat war. Dort wird Jürgen am 22. Oktober 1934 geboren. Er verlebt<br />
seine Kindheit dort, relativ unbeschwert auch nach dem Einmarsch der Deutschen<br />
1940. Das Verhältnis der Zahnarztfamilie zu den Holländern ist gut, es<br />
wird gegenseitige Hilfe geleistet.<br />
Dann aber zieht sich die Wehrmacht 1944 zurück und ordnet an, dass alle<br />
Reichs deutschen sofort in das Reich ziehen müssten. So muss die Mutter mit<br />
fünf Kindern, davon das Jüngste mit wenigen Monaten, sich vom Vater trennen<br />
und nach Mecklenburg auf ein Gut eines Onkels gehen. Der Vater wird noch<br />
zur Wehrmacht eingezogen, muss die ordnungsgemäße Frontbegradigung mit-<br />
20 <strong>Mitteilungen</strong> 37
Wer war Otto Flath?<br />
Flath wurde 1906 in einem kleinen Dorf in der Ukraine geboren, wohin seine<br />
Vorfahren aus Württemberg ausgewandert waren. Nach den Kriegs- und Revolutionswirren<br />
1918 wurde seine Familie vertrieben und Flath kam mit seinen<br />
Eltern 1919 im Alter von 12 Jahren nach Kiel. Während der Zeit der Weltwirtschaftskrise<br />
lebte die Familie in großer Not, doch Flath erhielt ein vierjähriges<br />
Stipendium an der Kieler Kunst- und Gewerbeschule, der heutigen Muthesius-<br />
Kunsthochschule. Hier wurde er als Holzbildhauer ausgebildet.<br />
Anfang der 30er Jahre lernte Flath das etwa zehn Jahre ältere Ehepaar Willy<br />
und Ellen Burmester kennen, er ein Seeoffi zier und Hobbymaler, sie eine glühende<br />
Anhängerin des Nationalsozialismus mit geradezu mystischen Zügen.<br />
Trotz des nicht so bedeutenden Altersunterschiedes sah Flath in beiden Vater<br />
und Mutter, sich selbst als ihren Sohn, und die drei lebten bis <strong>zum</strong> Tode der<br />
Burmesters (1977 und 1978) als Familie zusammen.<br />
1936 zogen das Ehepaar Burmester und Flath von Kiel nach Bad Segeberg um<br />
und kauften 1938 für 14.000 RM von der Stadt eine Villa. 1 Diese hatte vormals<br />
dem „Israelitisch-humanitären Frauenverein zu Hamburg“ gehört und war 1936<br />
wie aller jüdischer Besitz enteignet worden. Die Steinplatte mit dem Namen<br />
„Sidonie-Werner-Heim“ nahmen Burmeister und Flath von der Vorderfront des<br />
Hauses ab, zersägten sie und bauten daraus einen Tisch, der heute noch in der<br />
Küche steht. Der Name ist nach oben gekehrt und zu zwei Dritteln zu lesen.<br />
In dieser Zeit, in den Jahren 1938 bis 1939, hatte Flath seine ersten großen<br />
Erfolge. Während überall in Deutschland die Werke Ernst Barlachs abgebaut,<br />
konfi sziert und oft vernichtet wurden, erhielt Flath Auftrag über Auftrag und<br />
konnte seine Altäre und Skulpturen an viele Kirchen und Privatleute verkaufen.<br />
Auch der Auftrag für den neuen Altar in der Petruskirche, der evangelischen<br />
Garnisonskirche in Kiel-Wik, erging in diesen Jahren.<br />
Nach 1945 war Otto Flath weiterhin sehr erfolgreich und hatte einen großen<br />
Verehrerkreis. Viele Kirchengemeinden und Schulklassen besuchten sein Atelier<br />
und die weitläufi gen Ausstellungshallen, die durch die Unterstützung von<br />
privaten Förderern zwischen 1948 und 1973 entstanden. 1978 wurde die Flath-<br />
Stiftung gegründet, an die testamentarisch der gesamte Nachlass fi el.<br />
Große Ehrungen blieben nicht aus: 1971 wird Flath Ehrenbürger der Stadt Bad<br />
Segeberg, 1978, also noch zu Lebzeiten, erhält eine Straße seinen Namen und<br />
1981 verleiht der damalige Bundespräsident Karl Carstens Otto Flath das Bun-<br />
1 Heute ist es die Kunsthalle Otto Flath, Bismarckallee 5, 2379 Bad Segeberg.<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 25
desverdienstkreuz am Bande.<br />
Nach seinem Tod 1987, einen Tag nach seinem 81. Geburtstag, wird es still<br />
um sein Werk, und heute verirren sich nur vereinzelte Besucher in die riesigen<br />
Hallen, in denen man allein und verloren den erdrückenden Figurengruppen<br />
gegenübersteht.<br />
Mehrere Gemeinden haben nach 1945 Werke Flaths zurückgegeben, und in einigen<br />
Kirchen sind die Altäre aus dem Kirchenzentrum herausgenommen und<br />
ins Abseits gestellt worden.<br />
Wie kam es zu dem Auftrag, in der Petrus-Kirche den alten Altar durch einen<br />
neuen zu ersetzen? Zwei Briefe Flaths an Burmester geben über die äußeren<br />
Umstände Aufschluss 2 :<br />
Am 15.11.1938 schreibt er: „Morgen Bußtag wollte ich wieder mal meine<br />
Mutter im Krankenhaus besuchen. Fahre vom Bahnhof nach Wik zur Kirche,<br />
werde mal sehen, wie die Kirche aussieht und versuchen, Pfarrer Sontag zu<br />
sprechen.“<br />
Und zwei Tage später, am 17.11.1938, berichtet er ausführlich über diesen Besuch:<br />
„Am Vormittag war ich in der Marinekirche <strong>zum</strong> Gottesdienst, war gut<br />
besetzt, auch eine ganze Reihe Offi ziere in Uniform. … Der Oberpfarrer Sontag<br />
machte es wirklich gut und eindringlich, so dass mancher etwas mitgenommen<br />
hat. Hinterher war eine Abendmahlfeier, die ich mir angesehen und angehört<br />
habe, <strong>zum</strong> Schluss noch eine Kindstaufe, die kurz und schmerzlos und ohne<br />
Geschrei vorübergegangen ist, dann endlich kam ich an ihn heran – war sehr<br />
nett und freute sich. Wir besprachen den Inhalt der (unleserlich). Die Kirche<br />
soll einen neuen Altar haben und außerdem zwei Seitenfi guren. Der Altar, der<br />
dort ist, soll weggerissen werden. (Es ist eine hohe Mauer gemauert, in der<br />
Mitte ein Bild, das zwischen gut und böse ist) (Gekreuzigter). Das ganze sieht<br />
wie ein hoher Kamin aus. Sontag will in den nächsten Tagen zu dem zuständigen<br />
Admiral gehen und mit ihm die Sache besprechen, auch gleichzeitig das<br />
Geld dafür anfordern. Wenn es was wird, was ich stark hoffe, dann ist das eine<br />
schöne Aufgabe, auch geldlich kann etwas mehr herausbraten und wir können<br />
uns alle freuen. Es wird so ähnlich wie Lübecks „Lutherkirche“, in der Mitte<br />
ein Kreuz.“ 3<br />
Was kann man diesen Briefstellen entnehmen?<br />
„Oberpfarrer“ Sontag, später Propst in Bad Segeberg, erhält in beiden Brie-<br />
2 Diese Briefe und unzählige weitere Dokumente sind im Archiv der Flath-Stiftung aufbewahrt.<br />
3 Da Flath die Rechtschreibregeln sehr ungenau beherrscht und er sehr viele Fehler macht, ist<br />
der Text orthographisch korrigiert. Leider bleibt ein Schlüsselwort unentzifferbar.<br />
26 <strong>Mitteilungen</strong> 37
fen eine eindeutige Schlüsselstellung zugewiesen. Flath scheint ihn erst jetzt<br />
kennen zu lernen und ist von ihm sehr beeindruckt. Die selbstverständliche<br />
Namensnennung deutet darauf hin, dass Burmester, der Briefempfänger, weiß,<br />
wer Sontag ist. Dafür spricht auch, dass Sontag Marineseelsorger war, Kreuzerfahrten<br />
begleitete und dabei vielleicht den Marineoffi zier Burmester kennen<br />
lernte. Flath hält auch die Anwesenheit der Offi ziere in Uniform beim Gottesdienst<br />
für erwähnenswert.<br />
Geduldig lässt Flath Gottesdienst, Abendmahl und Taufe über sich ergehen und<br />
„macht sich dann an Sontag heran“. Dabei hat er Erfolg und beide kommen<br />
gleich ins Gespräch über konkrete Fragen. Die Flaths Ziehvater vermutlich zuzuschreibende<br />
Vermittlung und Empfehlung trugen also Früchte.<br />
Weitere Begegnungen zwischen Flath und Sontag in den folgenden Monaten<br />
werden auch in dem unveröffentlichten Lebensbericht des späteren Propstes<br />
Sontag festgehalten. 4<br />
Zum 12. Dezember 1938 schreibt er: „Am 12. Dezember bespreche ich mit dem<br />
Chef des Stabes einen Plan, der an mich herangetragen worden ist, aber auch<br />
ein offenes Ohr bei mir gefunden hat. Es geht um den Plan, in unserer Kirche<br />
einen von Flath zu schnitzenden Altar aufzustellen. Flath, der in Bad Segeberg<br />
lebende Künstler, war noch am 10. deswegen bei mir. Das vorhandene Altarbild<br />
soll dann im Konfi rmandensaal seinen Platz fi nden. – Am 27.2.39 ist er noch<br />
einmal in Kiel, um mit dem Festungskommandanten eine Besprechung wegen<br />
des Altars zu halten. Am 2. März besuche ich mit einer Gruppe zuständiger<br />
Herren der Marine einige Gemeinden in Holstein und Lübeck, wo sich Altäre<br />
Flaths befi nden. Das Ergebnis ist positiv. Das Ja ist gegeben. Nun muss man<br />
abwarten, was draus wird.“ 5<br />
Es ist also klar: Sontag war der Vermittler zwischen Gemeinde, Militärverwaltung<br />
und Flath. Der Plan für einen neuen Altar wurde an ihn „herangetragen“.<br />
Zwar erfahren wir nicht, durch wen das geschah, doch spricht vieles dafür, dass<br />
die Anregungen aus der Gemeinde kamen, wie frühere Eintragungen Sontags<br />
nahe legen.<br />
Sontag kommt 1932 <strong>zum</strong> ersten Mal nach Kiel und ihm ist alles fremd. Er<br />
beschreibt die Kirche und auch den Altar: „Über der großen Steinplatte des Altartischs<br />
erhebt sich das große Altargemälde: Der auferstandene Christus, der<br />
gleichsam auf die Gemeinde zuschreitet. Das Gemälde wird an beiden Seiten<br />
4 Für die freundliche Überlassung der Auszüge aus Propst Kurt Sontags Lebensbericht danke<br />
ich besonders herzlich seinen Sohn, Herrn Propst Jörgen Sontag.<br />
5 Mein Lebensbericht, S. 400.<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 27
gehalten von zwei gleich hohen Backsteinpfeilern, „Andachtsofen“ im Marinejargon<br />
genannt. Es ist fraglos eindrucksvoll, aber nicht erwärmend, … Später<br />
höre ich, dass die meisten Besucher der Gottesdienste ähnliche Empfi ndungen<br />
haben. Die Eltern von Kindern erzählen mir, dass ihre Kinder im Kindergottesdienst<br />
nicht gern unter diesem Gemälde sitzen. Es ist ihnen zu gewaltig und<br />
bedrängt sie. Manchen Erwachsenen geht es ähnlich. Diese Äußerungen bestätigen<br />
später meinen ersten Eindruck.“ 6<br />
Der „Andachtsofen“, Flath spricht von einem „Kamin“, gefällt der Gemeinde<br />
nicht, und diesem Urteil schließen sich sowohl Sontag als auch Flath an.<br />
Die Korrespondenz zwischen den zuständigen Stellen für die geplanten Umbauten<br />
im Chorbereich der Petruskirche ist lückenlos erhalten. Sie ergänzt die<br />
Briefe Flaths und die Eintragungen Sontags und gibt über alle äußeren Umstände<br />
und vor allem über die Zusammenhänge mit dem damaligen Zeitgeist sehr<br />
genau Auskunft. 7<br />
Am 7.12.1938 richtet Sontag an das „Kommando der Marinestation der Ostsee<br />
Kiel“ ein Schreiben „Betr: Neugestaltung des Altarraums in der ev. Marinestandortkirche<br />
Kiel-Wik“. Nach einer negativen Beschreibung der Kirche („Sie<br />
ist ein Zweckbau, aber kein kultischer Raum“), die einen „ernüchternden“ Eindruck<br />
auf den Besucher macht, nennt Sontag sein Bestreben, „die Marinekirche<br />
den Marineangehörigen heimischer zu machen“, und kommt dann auf den<br />
Altarraum zu sprechen:<br />
„Der Mittelpunkt des Kirchenschiffes, der Altarraum, bedarf einer Umgestaltung.<br />
Das Altarbild wird von allen Gemeindemitgliedern, deren Meinung zu<br />
erfahren war, innerlich abgelehnt; es entspricht einem Zeitgeschmack, dem keine<br />
bleibende Bedeutung zukommt, und ist in seiner künstlerischen Gestaltung<br />
anfechtbar. Die hohen Steinaufbauen zu Seiten des Bildes erdrücken und wirken<br />
kalt. Aus dem ernsten Anliegen heraus, dass ein Kirchenraum einem Soldaten<br />
nicht durch derartige Fehllösungen entfremdet werden dürfe, und auch in<br />
der Überzeugung, dass eine andere Lösung die Arbeit der Marineseelsorge im<br />
Standort Kiel nur fördern kann, unterbreite ich nachstehenden Vorschlag:<br />
Das Altarbild wird entfernt und auf der Orgelempore der Kirche angebracht.<br />
Die Steinsäulen werden bis auf die Höhe der Unterkanten des Bildes gekürzt.<br />
Auf dem so gewonnenen Unterbau wird eine monumentale Holzplastik aufgestellt,<br />
die zu schaffen m.E. nur ein Künstler in Frage kommt! der in Bad Segeberg<br />
lebende und schaffende Bildschnitzer F l a t h, der schon verschiedene<br />
6 ebd. S. 277.<br />
7 Alle Zitate aus: <strong>Nordelbisches</strong> <strong>Kirchenarchiv</strong>, 26.01 (Evangelisches Stationspfarramt) Nr. 3.<br />
28 <strong>Mitteilungen</strong> 37
evgl. Kirchen (Holtenau, Bornhöved, Lutherkirche Lübeck, Katharinenkirche<br />
Lübeck, Schlammersdorf) mit größeren Holzbildwerken versehen hat. …“<br />
Auch das Honorar für Flath wird schon hier mit 5.000 RM angegeben. Sontag<br />
hat Erfolg, denn schon drei Wochen später, am 28.12.1938, reicht das Kieler<br />
Kommando den Antrag an das „Oberkommando der Kriegsmarine Berlin“ weiter.<br />
Das Schreiben übernimmt die meisten Passagen aus Sontags Antrag wörtlich<br />
und fügt noch verstärkend hinzu:<br />
„Die evgl. Standortkirche in Kiel bedarf im Innern – insbesondere im Altarraum<br />
– einer umfassenden Umänderung, da sie in ihrer Ausgestaltung und Ausschmückung<br />
den künstlerischen Auffassungen des Dritten Reiches und den an<br />
die Ausgestaltung einer Wehrmacht-Kirche zu stellenden Anforderungen nicht<br />
entspricht.“<br />
Am 4. August 1939 werden dann die Kosten für den recht umfangreichen Umbau<br />
des Chorraums berechnet. Zu dem Austausch des Altars und dem Abriss des<br />
gemauerten Aufbaus (“Andachtsofen“) kommt noch das Abschlagen des alten<br />
Putzes im Chor, die Anbringung eines hellen Edelputzes, eine neue Beleuchtung<br />
und vieles andere mehr. Ingesamt beträgt die Höhe des Kostenanschlags<br />
16.600.-RM, worin das Honorar von 5.000.- RM für Flath enthalten ist.<br />
Mit warmem Worten bittet Sontag am 20.10.1939 die Marinestandortverwaltung,<br />
den Kaufvertrag mit Flath beschleunigt abzuschließen, und hebt hervor:<br />
„Der Künstler hatte aus eigener Initiative das Altarwerk bereits in Angriff genommen<br />
und hat es schon vollendet; bei den für ein Kunstwerk nicht hohen Kosten<br />
kann man nur von einem starken Interesse und von großer Liebe zur Sache<br />
sprechen, wenn er, ohne Sicherheit zu haben, dies Wagnis auf sich nahm.“<br />
Am 14.11.1939 schließlich kündigt Flath die Überführung des Altarwerks für<br />
den 20.11.1939 an.<br />
Wenn demnach die Motive für den Abriss des alten Altars auf der Hand liegen<br />
und in der allgemeinen Ablehnung des Gesamtkunstwerks aus der Zeit des Jugendstils<br />
zu sehen sind, das den Anforderungen an eine „Wehrmacht-Kirche“<br />
nicht entspricht, so bleibt aber die Frage unbeantwortet: Was erwartet man von<br />
einem Altar, der „den künstlerischen Auffassungen des Dritten Reiches“ genügt?<br />
Gern möchte man wissen, was der Kirchenmann und sein Schnitzer miteinander<br />
hinsichtlich des Programms des geplanten Altarwerks besprachen, jedoch<br />
schreiben weder Flath noch Sontag darüber etwas. Nur sehr vage deutet Sontag<br />
in einem Schreiben an den „kirchlichen Kunstdienst“ in Berlin am 3. März<br />
1939 an: „Der Grundgedanke des geplanten Werkes ist der: Das menschliche<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 29
Leben unter das Kreuz zu stellen und in Beziehung zu der Botschaft des Kreuzes<br />
zu bringen.“<br />
Am 17.12.1939 ist der Altar aufgestellt und wird geweiht. Zwischen Auftrag<br />
und Fertigstellung liegen also der Beginn des Zweiten Weltkriegs und die brutale<br />
Unterwerfung Polens. Die sonntägliche Predigt zur Einweihung hält Marinedekan<br />
Sontag selbst. 8 Wieder wüsste man gern, was Sontag hier zu dem<br />
Werk seines Schützlings sagte, aber die Predigt ist bis heute unauffi ndbar geblieben.<br />
Jedoch drucken die „Kieler Neuesten Nachrichten“ am Montag darauf,<br />
also am 18.12.1939, einen Artikel „Ein neues Altarwerk von Otto Flath“. In der<br />
Zeit der Gleichschaltung der Presse ist davon auszugehen, dass der Artikel die<br />
offi zielle und „korrekte“ Bewertung des Altars wiedergibt.<br />
Die Kernstelle des Artikels lautet: „Flath hat auch bei diesem, seinem zehnten<br />
Altarwerk, ein überragendes schlichtes Kreuz in den Mittelpunkt gestellt als<br />
das geistliche Symbol. In den Gestalten, die der Künstler in je drei Gruppen<br />
rechts und links von Kreuz zusammengefasst hat, fi ndet sich die Gemeinde wieder.<br />
Es sind Menschen, die mitten im Leben, in der Arbeit und in den Nöten<br />
und Kämpfen ihres irdischen Daseins stehen; da ist der Bauer, der den Samen<br />
streut, da ist der Fischer, der sein Netz einholt, da ist der Seemann, der mit festem<br />
Blick voraus die Hand am Steuer hält, da sind die Frauen und Mütter, die<br />
verbunden sind durch das Band der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.<br />
Und alle diese Gruppen von Menschen haben ihren Genius, der hütend,<br />
beschützend, heiligend und erhebend über ihnen steht …“<br />
Wie sollte demnach der Altar von den Zeitungslesern verstanden werden? Zunächst<br />
wird auf das übermächtig hohe Kreuz verwiesen. Es ist leer, der leidende<br />
Christus ist verschwunden. Christus wird in dem gesamten Artikel kein einziges<br />
Mal erwähnt. Auch wenn es protestantische Altäre nur mit einem schlichten<br />
Kreuz gibt, so ist die Aussparung Christi im Vergleich mit dem alten Altar wohl<br />
anders zu lesen: Das Kreuz ist nicht Zeichen des Leidens und Opfertodes, sondern<br />
ausschließlich das Symbol des Sieges. Ohne Christus wird es mehrdeutig<br />
und kann auf ein anderes Kreuz verweisen: auf das Eiserne Kreuz, auf das zu<br />
Kriegsbeginn gestiftete Ritterkreuz und nicht zuletzt auf das Kreuz mit den vier<br />
Haken.<br />
Ferner stehen über den sechs Menschengruppen Frauenfi guren an den Stellen,<br />
8 Auch dies Ereignis hält Sontag fest: „Am 20. November wird der von Flath geschnitzte Altar<br />
angeliefert. Die Umänderungsarbeiten im Altarraum werden durchgeführt. Ein gewaltiger<br />
Schmutz! Küster Griem ist verzweifelt und sieht düster in die Zukunft. … Am 17. Dezember<br />
wird der Altar in einem feierlichen Gottesdienst der Gemeinde vorgestellt und in Gebrauch<br />
übernommen und damit „eingeweiht“ “ (ebd. S. 433 ff).<br />
30 <strong>Mitteilungen</strong> 37
wo nach den Sehgewohnheiten der christlichen Typologie der Betrachter Engel<br />
erwartet. Diese Frauenfi guren werden aber als schützende Genien bezeichnet,<br />
die an germanische Kampfjungfrauen erinnern.<br />
Es lässt sich zusammenfassen: Sowohl das Kreuz als auch die Genien entstammen<br />
zwar dem typologischen Programm eines christlichen Altars, doch werden<br />
sie aus dem christlichen Zusammenhang herausgelöst und können mit einem<br />
anderen Inhalt gefüllt werden. Im Einklang damit verwendet der Artikelschreiber<br />
kein einziges christlich geprägtes Wort.<br />
Wer sind schließlich die Menschen in den sechs Gruppen rechts und links vom<br />
Kreuz? In ihnen fi nde sich die Gemeinde, d.h. die Gemeinde der Petruskirche<br />
wieder. Der Artikelschreiber zählt Bauern, Fischer, Seeleute, Frauen und Mütter<br />
auf und übergeht seltsamerweise die Krieger rechts vom Kreuz.<br />
In allen späteren Beschreibungen des Altars wird diese Interpretation übernommen,<br />
und in dem letzten KN-Artikel heißt es, der Künstler habe „den Auftrag<br />
erhalten, die Berufe darzustellen, die zur Zeit der Erbauung der Kirche in der<br />
Wik ausgeübt wurden.“<br />
Wie stand es aber um die Berufe in der Wik? Schon zur Zeit der Erbauung der<br />
Kirche zu Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgten umfangreiche Neubauten im<br />
Zusammenhang mit den Tirpitzschen Flottenvorlagen. An den Ufern entstanden<br />
riesige Kaianlagen und auf einem Areal von 25 ha wurden Kasernen und<br />
das Anschar-Krankenhaus für die etwa 10.000 hier stationierten Marinesoldaten<br />
gebaut.<br />
Eine noch gewaltigere Zerstörungswelle des einstigen ländlichen Gebietes<br />
musste die Wik über sich ergehen lassen, als Hitler in Vorbereitung des Zweiten<br />
Weltkrieges Kiels Werften und Kriegshäfen vergrößerte und modernisierte. Die<br />
Wik wurde in eine einzige Bauwüste verwandelt, worüber die KN mit Wort und<br />
Bild halb wehmütig, vor allem aber stolz berichten:<br />
„Das Alte stürzt … Noch steht in der Wik das Strohdachhaus, aber schon ragt<br />
der Neubau über das alte Gebäude nebenan hinaus“ (11.3.1936)<br />
„Neue Sportplätze für die Kriegsmarine“ (21.4.1937)<br />
Und schließlich berichten die KN im selben Jahr in dem Artikel „Abschied von<br />
vertrauten Strohdachhäusern“ von dem Abriss des letzten Bauernhauses: „Wir<br />
machten diesem alten Gehöft dieser Tage noch einmal einen Besuch, … Acker<br />
und Gärten hinter dem Gehöft sind schon nicht mehr bestellt. … Es mag der Familie,<br />
die dort lebt, schwer gefallen sein, diese Scholle nun aufzugeben. Aber, so<br />
versichert uns einer der beiden Söhne Vater Wulfs, es erfüllt uns alle mit Stolz,<br />
dass der alte Platz, auf dem Jahrhunderte unser Geschlecht gelebt hat, nun um<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 31
deswegen geräumt werden muss, damit unsere Wehrmacht die Möglichkeit hat,<br />
sich für Volk und Vaterland auszudehnen, und dafür ist kein Opfer zu groß.“<br />
Die Behauptung, die Figurengruppen gäben die Gemeinde und die Berufe der<br />
Wik wieder, widerspricht der Realität schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts<br />
und vollends 1938, als Flath den Auftrag erhielt. 1939 gab es in der Wik weder<br />
Fischer noch Bauern.<br />
Was aber war der Sinn, um das Kreuz die genannten Berufsgruppen zu versammeln?<br />
Die Menschen spiegeln nicht die konkrete Gemeinde wider, sondern verbildlichen<br />
die von den Nationalsozialisten propagierte Volksgemeinschaft. Somit<br />
wird die Wirklichkeit nicht dargestellt, sondern sie wird verstellt.<br />
Und da ist Flath auf Linie: Ganz außen rechts und links stehen die Fischer und<br />
Bauern und die ausgewählten Plätze rechts und links neben dem Kreuz besetzen<br />
Soldaten und Seefahrer, die in einer Garnisonskirche unschwer als Marinesoldaten<br />
verstanden werden können. Augen, die an christliche Altäre gewöhnt<br />
sind, erkennen die Hierarchie und geben den mittleren Figuren nahe am Kreuz<br />
einen höheren Rang als denen außen am Rand.<br />
Damit spiegelt sich in dem Altar das nationalsozialistische Gesellschaftsbild:<br />
der Nährstand dient dem Wehrstand. Das ist die Botschaft des Altars von Otto<br />
Flath.<br />
32 <strong>Mitteilungen</strong> 37
Viele nationalsozialistische Maler arbeiten mit christlichen Sehgewohnheiten<br />
und benutzen häufi g den Pathoswert des Triptychons, des dreiteiligen Flügelaltars.<br />
Schon 1936 wird in einer Ausstellung der NS-Kulturgemeinde „Heroische<br />
Kunst“ in der städtischen Galerie in München ein Triptychon mit Soldaten gezeigt,<br />
und die NS-Interpreten sprechen von „Deutschem Altar“, „artgemäßer<br />
religiöser Symbolik“ und sehen die „Ersetzung des christlichen Kultes durch<br />
einen neuen Deutschen Kult“. 9<br />
Als erschreckendes Beispiel kann das Triptychon „Arbeiter, Bauern und Soldaten“<br />
des Malers Hans Schmitz-Wiedenbrück herangezogen werden, das in der<br />
Großen Deutschen Kunstausstellung 1941 in München gezeigt wurde: 10<br />
Kniend der Bergmann links, im Wasser watend der Bauer rechts, dagegen hoch<br />
aufgereckt als Stoßkeil die Vertreter der drei Waffengattungen in Angriffspose.<br />
Die Stelle Christi hat der Luftwaffenpilot eingenommen und aus dem christlichen<br />
Kreuz wird die Hakenkreuzfahne.<br />
Zugegeben: So plump ist Flaths Altar noch nicht. Gutwillige können ihn mit<br />
etwas Augenverdrehen und Gedankenverbiegung auch christlich lesen. Und<br />
dennoch lässt sich die Zugehörigkeit zu dem nationalsozialistischen Weltbild<br />
nicht übersehen.<br />
Vor diesem Altar fi nden heute noch Gottesdienste, Trauungen, Taufen und Konzerte<br />
statt. Die ermüdeten Augen der Gemeinde haben sich an ihn gewöhnt. Anders<br />
in der Nachbarkirche auf der anderen Seite des Kanals, der Dankeskirche<br />
in Kiel-Holtenau. Auch hier wurde 1936 der Altarbereich verändert. Man baute<br />
den neugotischen Altar mit dem gekreuzigten Christus ab und stellte an seiner<br />
Stelle ebenfalls einen Altar Otto Flaths auf. Sein Titel „Volk unterm Kreuz“<br />
spricht für sich. Die Parallelen zur Petrus-Kirche liegen auf der Hand. Aber<br />
9 Alle Zitate aus „Kunst im 3. Reich. Dokumente der Unterwerfung“. Katalog der Ausstellung<br />
im Frankfurter Kunstverein, 1974, S. 136.<br />
10 ebd. S. 138 ff. Hier fi ndet sich eine ausführliche Interpretation des Bildes.<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 33
heute ist der erhaltene ehemalige Altar wieder an seinen ursprünglichen Platz<br />
zurückgekehrt, während Flaths Holzstelen in die rechte Seitenempore beiseite<br />
gerückt wurden.<br />
Der ehemalige Altar der Petrus-Kirche galt lange Zeit als verschollen, bis eine<br />
ergreifende Odyssee bekannt wurde:<br />
In den 80er Jahren entdeckte der verstorbene Pastor Runge das Altarbild im<br />
Hei zungskeller der Kirche wieder. Durch unsachgemäße Aufbewahrung und<br />
Was sereinbrüche war das Gemälde aber so stark beschädigt, dass man es in<br />
seiner Ge samt heit nicht mehr restaurieren konnte. Daher ließ Pastor Runge den<br />
un ver sehrten Kopf herausschneiden und schenkte ihn einer Gemeindeschwester.<br />
Diese ließ das Bild rahmen und hängte es in ihrem Schlafzimmer auf. Auf<br />
Dauer muss es sie dort aber bedrückt haben, und sie brachte es in ein Schwesternheim<br />
in Breklum, wo es im Speisesaal hing. Durch Zufall fand es dort<br />
Pastor Zimmermann-Stock wieder, erkannte es und veranlasste seine Rückgabe<br />
an die Kirchengemeinde der Lukas-Kirche.<br />
Eine erschütternde Wiederauferstehung, die Hoffnung gibt, dass nicht alles zerstört<br />
werden kann.<br />
Peter Nickel, Kiel<br />
34 <strong>Mitteilungen</strong> 37
Für Unterstützung und mündliche Informationen danke ich:<br />
Frau Brigitte Probst für Text- und Bildgestaltung:<br />
Herrn Erwin Boldt, Stadtarchiv, Bad Segeberg<br />
Frau Irmgard Engel, Vorstandsmitglied des Fördervereins für die Petrus-Kirche<br />
Kiel-Wik e.V.<br />
Frau Karin Hädicke, Otto-Flath-Stiftung, Bad Segeberg<br />
Herrn Günter Gneiße, Küster i.R., Kiel<br />
Herrn Jörgen Sontag, Propst a.D., Kiel<br />
Frau Nina Seelbach, <strong>Nordelbisches</strong> <strong>Kirchenarchiv</strong>, Kiel<br />
Aufnahmen<br />
S. 24 Abdruck einer älteren Postkarte. Urheber unbek.<br />
S. 32 Ausschnitt aus einem Zeitungsartikel unbekannter Herkunft.<br />
S. 33 Entnommen aus: Berthold Hinz, Die Malerei im deutschen Faschismus.:<br />
Kunst und Kulturrevolution. München: Hanser-Verlag, o.J. Die Rechte<br />
an dem Bild waren nicht zu ermitteln.<br />
S. 34 Aufn. d. Verf.<br />
Wir haben uns bemüht, die Rechte an den Bildern zu ermitteln. Sollten begründete<br />
Rechte bestehen, bitten wir freundlichst um Mitteilung. D. Red.<br />
<strong>Mitteilungen</strong> 37 35
Termine<br />
Der nächste Schleswig-Holsteinische Archivtag fi ndet als zweitägige Veranstaltung<br />
im Mai 2008 in Rendsburg statt. Er wird <strong>zum</strong> ersten Mal als gemeinsame<br />
Veranstaltung des Landesarchivs Schleswig-Holstein und des Verbands<br />
schleswig-holsteinischer Kommunalarchivarinnen und -archivare e.V. durchgeführt.<br />
Tagungsort ist das Nordkolleg. Bislang sind drei Themenschwerpunkte<br />
geplant:<br />
- die Novelle des Personenstandsgesetzes und ihre Auswirkungen (vgl. Beitrag<br />
auf S. 10),<br />
- die Schülerarbeit in Archiven für Wettbewerbe wie die der Körber-Stiftung<br />
und<br />
- die Verwaltungsstrukturreformen und ihre Auswirkungen.<br />
Die Einladungen werden zu gegebener Zeit verteilt. Interessenten können im<br />
Stadtarchiv Kiel, im Landesarchiv Schleswig-Holstein oder im Nordelbischen<br />
<strong>Kirchenarchiv</strong> nachfragen.<br />
27./28.5.2008 Schleswig-Holsteinischer Archivtag in Rendsburg<br />
...und zu guter Letzt ein kleiner Bericht von einer Studienfahrt:<br />
Am 11. Oktober unternahm das Nordelbische <strong>Kirchenarchiv</strong> eine Studienfahrt<br />
<strong>zum</strong> Archiv der Zentralstelle der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des<br />
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik<br />
(BstU) - kurz bezeichnet als Stasi-Archiv -. Die Führung und die Erläuterungen<br />
durch eine sachkundige Person waren nicht zuletzt angesichts der jüngsten Kritik<br />
sehr interessant und hat die spezifi schen Aufgaben und Herausforderungen<br />
anschaulich gemacht.<br />
Es werden für Interessenten regelmäßig Führungen angeboten, über die man<br />
sich im Internet informieren kann: www.bstu.bund.de.<br />
36 <strong>Mitteilungen</strong> 37
MicroFormat:<br />
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