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––– 2002 –––<br />

<strong>föpäd</strong>.<br />

<strong>net</strong><br />

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<strong>Katrin</strong> <strong>Steglich</strong><br />

Diagnose „Fragiles-X Syndrom“ -<br />

Nutzen für die schulische<br />

Förderung


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Quellenangabe für diese Veröffentlichung:<br />

<strong>Steglich</strong>, <strong>Katrin</strong>: Diagnose „Fragiles-X Syndrom“ - Nutzen für die schulische Förderung.<br />

Online im Inter<strong>net</strong>: URL: http://www.foepaed.<strong>net</strong>/volltexte/steglich/fragiles-x.pdf.


Inhaltsverzeichnis I<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Darstellungsverzeichnis V<br />

Einleitung 1<br />

1 Wesen der Förderpädagogik 5<br />

1.1 Begriff 5<br />

1.2 Ziele und Aufgaben 6<br />

1.2.1 Ziele 6<br />

1.2.2 Aufgaben 7<br />

1.3 Interdisziplinarität 9<br />

1.3.1 Medizin 10<br />

1.3.2 Psychologie 11<br />

1.3.3 Soziologie 11<br />

1.3.4 Philosophie 11<br />

1.3.5 Rechtswissenschaften 12<br />

1.3.6 Allgemeine Pädagogik 12<br />

2 Aufgaben, Ziele und Formen der Diagnostik 13<br />

2.1 Begriffsbestimmung Diagnostik im Allgemeinen 13<br />

2.2 Medizinische Diagnostik 13<br />

2.3 Förderdiagnostik 13<br />

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2.3.1 Begriff und Wesen 13<br />

2.3.2 Methoden 15<br />

2.3.3 Formen 16


Inhaltsverzeichnis II<br />

3 Zusammenhang zwischen der medizinischen Diagnose und der<br />

Förderpädagogik 21<br />

4 Das Fragile-X Syndrom 27<br />

4.1 Begriff, Geschichte, Häufigkeit 27<br />

4.1.1 Begriffsbestimmung 27<br />

4.1.2 Entdeckung und Geschichte des Fragilen-X Syndroms 27<br />

4.1.3 Häufigkeit 29<br />

4.2 Ge<strong>net</strong>ik und Vererbung 30<br />

4.2.1 Ge<strong>net</strong>ische Grundlagen 31<br />

4.2.2 Molekularge<strong>net</strong>ische Erklärungen 32<br />

4.2.3 Vererbung 35<br />

4.3 Symptome 37<br />

4.3.1 Körperliche Merkmale 38<br />

4.3.2 Charakteristiken der Entwicklungsverzögerung/mentale Retardierung 38<br />

4.3.2.1 Wahrnehmung 38<br />

4.3.2.2 Kognition 39<br />

4.3.2.3 Sprechvermögen und Sprache 41<br />

4.3.3 Verhaltensmuster 42<br />

4.3.4 Mädchen mit Fragilem-X Syndrom 44<br />

4.4 Identifikation und Diagnostik 45<br />

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4.4.1 Identifikation – Anamnese »Score« 45<br />

4.4.2 Diagnostik 47<br />

4.4.2.1 Pränatale Diagnostik 47<br />

4.4.2.2 Postnatale Diagnostik 51


Inhaltsverzeichnis III<br />

4.5 Medizinische, therapeutische und pädagogische Maßnahmen 56<br />

4.5.1 Medizinische Maßnahmen 57<br />

4.5.1.1 Medikamentöse Therapieunterstützung 57<br />

4.5.1.2 Gentherapie 59<br />

4.5.2 Therapien 59<br />

4.5.2.1 Frühförderung 59<br />

4.5.2.2 Sprachtherapie 61<br />

4.5.2.3 Sensorische Integrationstherapie (Ergotherapie) 62<br />

4.5.2.4 Familientherapie 63<br />

4.5.3 Pädagogische Intervention 65<br />

5 Nutzen der medizinischen Diagnose »Fragiles-X Syndroms« 68<br />

5.1 Diagnose eines Syndroms 68<br />

5.1.1 Begriffsbestimmung Syndrom 68<br />

5.1.2 Interkorrelation der Symptome 68<br />

5.1.3 Therapeutische Relevanz 69<br />

5.1.4 Vorteile und Nachteile der Diagnose »Syndrom« 70<br />

5.2 Nutzen der Diagnose »Fragiles-X Syndrom« 71<br />

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5.2.1 Vorteile 71<br />

5.2.1.1 Nutzen der Diagnose für die Eltern 72<br />

5.2.1.2 Häufigkeit 73<br />

5.2.1.3 Ätiologiespezifische Intervention 74<br />

5.2.1.4 Erblichkeit 74<br />

5.2.1.5 Vorhandensein vorrangig medizinischer oder medizin-<br />

verwandter Literatur 74<br />

5.2.1.6 Klassifikation 75<br />

5.2.1.7 Kommunikation über einen einfachen Code 75<br />

5.2.2 Nachteile 75<br />

5.2.2.1 Symptomergänzung bzw. Symptomvernachlässigung 75<br />

5.2.2.2 Etikettierung und Stigmatisierung 76


Inhaltsverzeichnis IV<br />

6 Praktischer Teil – Fragebogen 77<br />

6.1 Motivation und Fragestellung 77<br />

6.2 Planung der Befragung 77<br />

6.2.1 Inhalt und Aufbau des Fragebogens 77<br />

6.2.2 Überar<strong>bei</strong>tung des Fragebogens 81<br />

6.2.3 Fragebogen 83<br />

6.3 Durchführung der Befragung 88<br />

6.4 Quantitative Auswertung der Befragung 89<br />

6.4.1 Angaben der Befragten 89<br />

6.4.2 Allgemeine Angaben zur Diagnose 93<br />

6.4.3 Speziellen Fragen zum Fragilen-X Syndrom 97<br />

6.5 Zusammenhänge zwischen einzelnen Fragen 103<br />

6.5.1 Zusammenhang zwischen Diagnose und Förderung<br />

& Nutzen der Diagnose in Bezug auf die Gestaltung der Förderung 103<br />

6.5.2 Zusammenhang zwischen Diagnose und Förderung (allgemein)<br />

& zwischen der gesicherten Diagnose Fragiles-X Syndrom und<br />

der Förderung eines Kindes 104<br />

7 Zusammenfassung 106<br />

Quellenverzeichnis VII<br />

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Darstellungsverzeichnisse V<br />

Darstellungsverzeichnisse<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

ABBILDUNG 1: Förderpädagogik im Dialog mit anderen Wissenschaften 10<br />

ABBILDUNG 2: Schematische Darstellung eines X-Chromosoms 32<br />

ABBILDUNG 3: Besonderheiten <strong>bei</strong> der Vererbung des Fragilen-X Syndroms 37<br />

ABBILDUNG 4: Chromosomen in zytoge<strong>net</strong>ischer Darstellung 51<br />

Graphikverzeichnis<br />

GRAPHIK 1: Geschlecht der Stichprobe 89<br />

GRAPHIK 2: Alter der Stichprobe 90<br />

GRAPHIK 3: Informationsgewinnung über zukünftige SchülerInnen 94<br />

GRAPHIK 4: Zusammenhang zwischen Diagnose und Förderung 95<br />

GRAPHIK 5: Angaben über SchülerInnen mit einer geistigen Behinderung<br />

unbekannter bzw. sehr allgemein gehaltener Diagnose<br />

GRAPHIK 6: Nutzen der Diagnose in Bezug auf die Gestaltung der<br />

Förderung<br />

GRAPHIK 7: Bekanntheitsgrad des Fragilen-X Syndroms 98<br />

GRAPHIK 8: Wissensstand über das Fragile-X Syndrom 99<br />

GRAPHIK 9: Zusammenhang zwischen der gesicherten Diagnose<br />

„Fragiles-X Syndrom und der Förderung eines Kindes<br />

GRAPHIK 10: Gewünschte bzw. genutzte Quellen zur Wissensvertiefung<br />

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über das Fragile-X Syndrom<br />

96<br />

97<br />

100<br />

101


Darstellungsverzeichnisse VI<br />

Tabellenverzeichnis<br />

TABELLE 1: Scoring-System für das Fragilen-X Syndrom 46<br />

TABELLE 2: Übersicht pränatale Untersuchungsmethoden des Fragilen-X<br />

Syndroms nach A. Müller<br />

TABELLE 3: Übersicht zu den Untersuchungsmethoden der postnatalen<br />

Diagnose des Fragilen-X Syndroms (nach A. Müller)<br />

TABELLE 4: Therapiemöglichkeiten zur symptomatischen Behandlung<br />

<strong>bei</strong>m Fragilen-X Syndrom nach Hantke.<br />

TABELLE 5: Vorteile und Nachteile der Diagnose Fragiles-X Syndrom 76<br />

TABELLE 6: Geschlecht der Stichprobe 89<br />

TABELLE 7: Alter der Stichprobe 90<br />

TABELLE 8: Angaben zur Ausbildung der Stichprobe 91<br />

TABELLE 9: Klassenstufen 92<br />

TABELLE 10: LehrerInnenform 92<br />

TABELLE 11: Informationsgewinnung über zukünftige SchülerInnen 93<br />

TABELLE 12: Zusammenhang zwischen Diagnose und Förderung 94<br />

TABELLE 13: Angaben über SchülerInnen mit einer geistigen Behinderung<br />

mit unbekannter bzw. sehr allgemein gehaltenen Diagnose<br />

TABELLE 14: Nutzen der Diagnose in Bezug auf die Gestaltung der<br />

Förderung<br />

TABELLE 15: Bekanntheitsgrad des Fragilen-X Syndroms 97<br />

TABELLE 16: Wissensstand über das Fragile-X Syndrom 98<br />

TABELLE 17: Zusammenhang zwischen der konkreten Diagnose „Fragiles-<br />

X Syndrom“ und der Förderung<br />

TABELLE 18: Gewünschte bzw. genutzte Quellen zur Wissensvertiefung<br />

über das Fragile-X Syndrom<br />

TABELLE 19: Zusammenhang zwischen Frage 2 und Frage 4 103<br />

TABELLE 20: Zusammenhang zwischen Frage 2 und Frage 7 105<br />

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49<br />

55<br />

60<br />

95<br />

96<br />

99<br />

100


Einleitung 1<br />

Einleitung<br />

Praktische Erfahrungen mit Kindern mit Fragilem-X Syndrom weckten mein Interesse,<br />

mehr über dieses Syndrom zu erfahren. Bei meiner Literaturrecherche wurde ich neben<br />

pädagogischer Literatur auf eine Reihe von medizinischen Werken aufmerksam. Ich<br />

stellte mir nun die Frage, in welchem Verhältnis Pädagogik und Medizin stehen.<br />

Da sich die Pädagogik über ein weites Feld erstreckt, sollen die Ausführungen einge-<br />

grenzt werden, indem ausschließlich die Förderpädagogik betrachtet wird. Die Förder-<br />

pädagogik ist eine Disziplin, die sich übergreifend mit der Erziehung von Menschen mit<br />

Behinderungen auseinandersetzt. Um ihre Beziehung zur Medizin darstellen zu können,<br />

ist es ebenfalls notwendig, die Betrachtung des medizinischen Aspektes auf die Diagno-<br />

se zu beschränken. Die Analyse der menschlichen Gene stellt einen entscheidenden<br />

Durchbruch in der Medizin dar. Anfang der neunziger Jahre wurde auch der Bereich, in<br />

dem sich das FMR 1 Gen (fragile X mental retardtion gene 1) befindet, analysiert. Die<br />

Wissenschaft stellte fest, dass die Ausprägungen des Fragilen-X Syndroms durch eine<br />

Veränderung diese Gens verursacht werden. Erst durch diesen medizinischen Fortschritt<br />

ist eine eindeutige Diagnose des Syndroms möglich.<br />

Das Fragile-X Syndrom ist die zweithäufigste Ursache für geistige Behinde-<br />

rung nach dem Down-Syndrom. Es wird durch eine Genmutation des X-<br />

Chromosoms hervorgerufen. Die Symptome des Syndroms können sich<br />

durch körperliche Merkmale, Entwicklungsverzögerungen und Verhal-<br />

tensauffälligkeiten äußern. Die Ausprägungen reichen von Lernbehinderun-<br />

gen bis zu schweren geistigen Behinderungen.<br />

Während meines Literaturstudiums wurde ich mit der Tatsache konfrontiert, dass viele<br />

Personen, die das veränderte Gen tragen, noch nicht diagnostiziert sind. Es ist daher zu<br />

vermuten, dass eine hohe Zahl an Kindern mit einer geistigen Behinderung allgemeiner<br />

bzw. unbekannter Diagnose das Syndrom als Ursache ihrer Behinderung aufweisen. Die<br />

Häufigkeit und der geringe Bekanntheitsgrad waren für mich ausschlaggebend, mich<br />

mit dem Nutzen der medizinischen Diagnose für die schulische Förderung auseinander<br />

zu setzen.<br />

Aus Gesprächen mit DozentInnen und StudentInnen der Universität Leipzig sowie mit<br />

LehrerInnen an Schulen für geistig Behinderte kristallisierten sich zwei gegensätzliche<br />

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Einleitung 2<br />

Pole in Bezug auf den Nutzen der medizinischen Diagnose für die Pädagogik heraus.<br />

Diese möchte ich im Folgenden kurz darstellen:<br />

1. Die Kenntnis der medizinischen Diagnose einer Behinderung birgt die Gefahr in<br />

sich, dem Kind Eigenschaften zuzuschreiben, die es nicht besitzt bzw. Sympto-<br />

me zu vernachlässigen, die es aufweist. Aus diesem Grund ist es vorteilhaft, sich<br />

über die individuellen Ausprägungen einer Behinderung ein eigenes Bild zu<br />

erstellen.<br />

2. Die Kenntnis der medizinischen Diagnose ist für die schulische Förderung von<br />

Nutzen, weil die Lehrkraft durch eine vertiefende theoretische Auseinanderset-<br />

zung mit den Ausprägungen einer Behinderung die Förderung optimieren kann.<br />

Die vorliegende Ar<strong>bei</strong>t verfolgt die Zielstellung, den Nutzen der medizinischen Diagno-<br />

se Fragiles-X Syndrom für die schulische Förderung zu untersuchen. Da<strong>bei</strong> soll folgen-<br />

de Fragestellung beantwortet werden:<br />

Kann ein geistig behindertes Kind mit der bekannten Behinderungsursache<br />

Fragiles-X Syndrom besser gefördert werden als ein Kind, <strong>bei</strong>m dem das<br />

Fragile-X Syndrom als Ursache für eine geistige Behinderung noch nicht<br />

diagnostiziert wurde?<br />

Die Erkenntnisse sollen durch einen Prozess hergeleitet werden, der, ausgehend vom<br />

Nutzen der Diagnose allgemein, spezielle Ausführungen zum Nutzen der Diagnose Fra-<br />

giles-X Syndrom ermöglicht.<br />

Dazu ist es notwendig, den Bereich der Förderpädagogik und der Diagnostik einzugren-<br />

zen und einen Zusammenhang zwischen <strong>bei</strong>den aufzuzeigen<br />

Theoretische Auseinandersetzungen auf dem Gebiet der Förderpädagogik erstrecken<br />

sich über ein weites Feld. Deshalb sollen Ausführungen, die für die Beantwortung der<br />

Fragestellung notwendig sind, im ersten Kapitel vorgestellt werden. Da<strong>bei</strong> wird das<br />

Wesen der Förderpädagogik charakterisiert, indem auf den Begriff, Aufgaben und Ziele<br />

und die Interdisziplinarität eingegangen wird.<br />

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Einleitung 3<br />

Der Begriff Diagnostik findet sowohl in der Wissenschaft als auch in der Wirtschaft<br />

Anwendung. Deshalb ist es erforderlich, die Aufgaben, Ziele und Formen der Diagnos-<br />

tik im Rahmen der Fragestellung zu erläutern. Kapitel zwei beschäftigt sich mit Ausfüh-<br />

rungen zur Diagnostik allgemein. Diesen folgen spezielle Charakterisierungen der<br />

medizinischen Diagnostik und der Förderdiagnostik.<br />

Auf der Grundlage der ersten zwei Kapitel soll im dritten Kapitel der Nutzen der medi-<br />

zinischen Diagnose für die schulische Förderung erörtert werden. Dazu werden Aussa-<br />

gen verschiedener AutorInnen der Förderpädagogik gegenübergestellt und verglichen.<br />

Um den Nutzen der Diagnose Fragiles-X Syndrom erläutern zu können, ist es zuerst<br />

notwendig, das Syndrom detailliert vorzustellen.<br />

Dazu werden im vierten Kapitel Ausführungen zum Begriff, zur Geschichte und zur<br />

Häufigkeit des Syndroms gegeben. Die Themen Ge<strong>net</strong>ik und Vererbung sowie Symp-<br />

tome des Fragilen-X Syndroms stellen die Basis für die Auseinandersetzung mit der<br />

Identifikation und Diagnostik und mit medizinischen, therapeutischen und pädagogi-<br />

schen Maßnahmen dar.<br />

Der Nutzen der Diagnose Fragiles-X Syndrom wird im fünften Kapitel thematisiert.<br />

Da<strong>bei</strong> wird in einem ersten allgemeinen Abschnitt die Bedeutung der Diagnose eines<br />

Syndroms erläutert. Im weiteren Verlauf werden die Vor- und Nachteile der Diagnose<br />

Fragiles-X Syndrom aufgezeigt und näher beschrieben. Da<strong>bei</strong> werden u.a. Ausführun-<br />

gen zum Nutzen der Diagnose für die Eltern und für die schulische Förderung darge-<br />

stellt. Auf die Nachteile einer Diagnose wird im Anschluss hingewiesen.<br />

Für die theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema führte ich ein sorgfältiges<br />

Quellen- und Literaturstudium durch. Dafür verwendete ich sowohl pädagogische als<br />

auch medizinische Literatur. Da die Erkenntnisse der Medizin ein sehr junges<br />

Forschungsgebiet darstellen, kann der Aktualitätsgrad als hoch eingeschätzt werden.<br />

Die verwendete Literatur verdeutlicht den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft.<br />

Bei der Literaturrecherche über das Fragile-X Syndrom stellte die ausführliche Litera-<br />

turliste der Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V. eine große Hilfe dar. Diese <strong>bei</strong>nhal-<br />

tet Quellen, die sich mit dem Syndrom aus der Sicht der Pädagogik und der Medizin<br />

beschäftigt. Da<strong>bei</strong> nutzte ich neben veröffentlichten Quellen auch unveröffentlichte<br />

Ar<strong>bei</strong>ten (pädagogische Abschlussar<strong>bei</strong>ten).<br />

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Einleitung 4<br />

Nach der theoretischen Abhandlung der Fragestellung soll in einem praktischen Teil ein<br />

Bezug zwischen Theorie und Praxis hergestellt werden. Dazu befragte ich Lehrkräfte an<br />

Schulen für geistig Behinderte in Leipzig, welchen Nutzen die Diagnose Fragiles-X<br />

Syndrom für die schulische Förderung darstellt. Die befragten Personen äußerten sich<br />

zu allgemeinen Angaben der Diagnose und zu speziellen Fragen zum Fragilen-X<br />

Syndrom. Das sechste Kapitel <strong>bei</strong>nhaltet den praktischen Teil der vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t.<br />

Es gibt Auskunft über die Motivation und Fragestellung der Untersuchung. Des<br />

Weiteren werden die Planung, Durchführung und quantitative Auswertung des Frage-<br />

bogens erläutert. In einem letzten Schritt werden Zusammenhänge zwischen einzelnen<br />

Fragen hergestellt.<br />

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Das Wesen der Förderpädagogik 5<br />

1 Wesen der Förderpädagogik<br />

1.1 Begriff<br />

Förderpädagogik ist eine Disziplin, die sich übergreifend mit der Erziehung von Men-<br />

schen mit Behinderungen auseinandersetzt (vgl. Fröhlich, 1997, 167). Die Personen-<br />

gruppe „Menschen mit Behinderungen“ wird wie folgt beschrieben: psychisch – kogni-<br />

tiv oder auch physisch behinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene,<br />

die in ihrer geistigen, emotionalen, sozialen, möglicherweise auch motorischen und<br />

sensomotorischen Entfaltung beeinträchtigt, gestört oder behindert sind“ (Bundschuh,<br />

1999, 37).<br />

Für meine Ausführungen möchte ich die Bezeichnung Förderpädagogik verwenden. Im<br />

deutschsprachigen Raum existieren dafür unterschiedliche Namen, wie z.B. Sonderpä-<br />

dagogik, Pädagogik der Behinderten, Behindertenpädagogik, Rehabilitationspädagogik,<br />

Heilpädagogik und Integrationspädagogik (vgl. Fröhlich, 1997, 167). Die Förderpäda-<br />

gogik als Wissenschaft beschäftigt sich mit grundsätzlichen Fragen der Förderung und<br />

der Fördersysteme. Des Weiteren geht sie wissenschaftstheoretischen, historischen, phi-<br />

losophischen und ethischen Fragestellungen nach. In diesem Rahmen erscheint es<br />

FRÖHLICH (1997) als sinnvoll, von sonderpädagogischen (förderpädagogischen) Fach-<br />

richtungen zu sprechen, die sich spezifischer mit den besonderen Bedürfnissen betroffe-<br />

ner Kinder, Jugendlicher und Erwachsener auseinandersetzen können (vgl. a.a.O., 169).<br />

In der Bundesrepublik Deutschland richtet sich die Unterteilung traditionellerweise<br />

nach den Behinderungsarten. Diese werden nach symptomatologisch - phänomenologi-<br />

schen Gesichtspunkten unterschieden in:<br />

- Geistigbehindertenpädagogik,<br />

- Körperbehindertenpädagogik, (gelegentlich einschließlich Krankenpädagogik),<br />

- Lernbehindertenpädagogik,<br />

- Schwerst- (bzw. Intensiv-)behindertenpädagogik (gelegentlich auch Mehrfach-<br />

behindertenpädagogik),<br />

- Sinnesgeschädigtenpädagogik (Sehbehinderten-, Blindenpädagogik; Schwerhö-<br />

rigen-, Gehörlosenpädagogik),<br />

- Sprachbehindertenpädagogik und<br />

- Verhaltensgestörtenpädagogik (vgl. ebd.; Kobi, 1993, 136ff.).<br />

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Das Wesen der Förderpädagogik 6<br />

Zu den Bereichen der Förderpädagogik gehören die Frühförderung, die schulische För-<br />

derpädagogik und die Erwachsenenbildung (vgl. Fröhlich, 1997, 169).<br />

1.2 Ziele und Aufgaben<br />

1.2.1 Ziele<br />

Das über allem stehende Ziel förderpädagogischer Tätigkeiten ist es, Menschen mit ei-<br />

ner Behinderung eine „Selbstverwirklichung in sozialer Integration“ (Fröhlich, 1997,<br />

169) zu ermöglichen. Soll die Förderpädagogik als ganzheitliche Pädagogik gesehen<br />

werden, muss sie ein „möglichst harmonisches Gleichgewicht“ (ebd.) zwischen den<br />

individuellen Bedürfnissen des Menschen mit Behinderung und den gesellschaftlichen<br />

Bedürfnissen anstreben. Ihr Ziel besteht nicht darin, Menschen mit Behinderung an die<br />

Normen der Gesellschaft anzupassen. Andererseits kann sich die Persönlichkeit dieser<br />

Menschen erst dann entwickeln, wenn sie durch soziale Integration, persönliche Bezie-<br />

hungen und gesellschaftliche Akzeptanz unterstützt wird (vgl. ebd.).<br />

Die Förderpädagogik ar<strong>bei</strong>tet nach dem Konzept der Entwicklungsförderung. Dieses<br />

<strong>bei</strong>nhaltet, dass die vorbestimmte Entwicklung eines Menschen durch pädagogischen<br />

Einfluss nicht vom Weg abgebracht werden kann (vgl. a.a.O., 169f.). Das Konzept der<br />

Entwicklungsförderung versteht sich „… vielmehr als eine ganzheitliche Unterstützung<br />

all der Möglichkeiten, die einem Menschen zur Verfügung stehen“ (a.a.O., 170.). Zu<br />

den Aufgaben der Fachkräfte (PädagogInnen, ErzieherInnen, TherapeutInnen usw.)<br />

gehört deshalb, das Schaffen von optimalen Bedingungen. Erst dadurch wird dem Kind,<br />

Jugendlichen bzw. Erwachsenen mit Behinderung der aktive Umgang mit der dingli-<br />

chen und menschlichen Umwelt nach seinen Möglichkeiten eröff<strong>net</strong>.<br />

Der Mensch als „Akteur seiner Entwicklung“ (ebd.) stellt den Mittelpunkt der Entwick-<br />

lungsförderung dar. Da<strong>bei</strong> versteht sich die Förderung zum einen im Respektieren des<br />

Menschen mit seiner Behinderung und zum anderen in der Unterstützung „mit allem<br />

fachlich Notwendigen“ (ebd.). Damit wird dem Menschen mit Behinderung ein Leben<br />

mit seiner Beeinträchtigung und nicht gegen seine Beeinträchtigung ermöglicht (vgl.<br />

ebd.).<br />

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Das Wesen der Förderpädagogik 7<br />

1.2.2 Aufgaben<br />

Die Aufgaben der Förderpädagogik lassen sich in verschiedene Teilfelder strukturieren.<br />

Die Unterscheidung der Aufgaben bezieht sich:<br />

- auf die Entwicklung bzw. den Lebenslauf des Individuums[,]<br />

- auf Methoden des pädagogischen Handelns[,]<br />

- auf normative oder programmatische Inhalte[,]<br />

- auf die verschiedenen Adressaten und den sozialen Kontext[,]<br />

- auf bestimmte Lebensorte und<br />

- auf bestimmte Behinderungsarten … (Speck, 1985, 134).<br />

Da sich das Thema meiner wissenschaftlichen Ar<strong>bei</strong>t mit dem Nutzen der Diagnose für<br />

die schulische Förderung auseinandersetzt, möchte ich im folgenden die Methodenbe-<br />

zogenen Aufgaben der Förderpädagogik vorstellen. Diese lassen sich nach SPECK (1985)<br />

in sechs Unterpunkte gliedern:<br />

1. Erziehung im engeren Sinn<br />

Erziehung von Menschen mit einer Behinderung ist „…primär und im ganzen gesehen<br />

Erziehung und zwar Erziehung unter speziellen Erfordernissen…“ (Speck, 1985, 138).<br />

Die speziellen Bedingungen lassen sich aufgrund der vorliegenden Behinderung be-<br />

gründen. Die Erziehung ist darauf ausgerichtet, den Menschen mit einer Behinderung zu<br />

unterstützen, Schwierigkeiten zu lösen, sein Leben innerhalb der Gesellschaft zu begrei-<br />

fen, aufzubauen und zu meistern. Die Erziehung stellt eine komplexe und ganzheitliche<br />

Aufgabe dar, die sich über einen längeren zeitlichen Rahmen erstreckt (vgl. a.a.O., 139).<br />

2. Unterricht<br />

Unter Unterricht versteht man, „planmäßiges Lehren verschiedener Lehrgehalte in be-<br />

stimmten Zeitabschnitten“ (Speck, 1985, 139). Unterricht wird in erster Linie in der<br />

Schule und von einer Lehrkraft durchgeführt. Da<strong>bei</strong> wird nicht nur Wissen vermittelt,<br />

sondern wesentlich zur Erziehung <strong>bei</strong>getragen. Menschen mit einer Behinderung benö-<br />

tigen speziellen Unterricht, welcher die im Lehrplan festgelegten Lehrziele mit Hilfe<br />

von Differenzierung und speziellen Methoden, die sich aus der Behinderung und der<br />

Individualität der/s SchülerIn ergeben, erar<strong>bei</strong>tet (vgl. a.a.O., 140).<br />

3. Beurteilung<br />

Mit Hilfe von Beurteilungen soll ein Mensch mit Behinderung „da abgeholt werden, wo<br />

er gerade steht“.<br />

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Das Wesen der Förderpädagogik 8<br />

Da<strong>bei</strong> soll ein Zugang zu seiner Wirklichkeit, zu seiner gegenwärtigen Situation mit<br />

Hilfe verschiedener Verfahren wie z.B. mit offenen Beobachtungen und standardisierten<br />

Tests gefunden werden. Nur wenn die erziehende Person die Situation des Menschen<br />

mit Behinderung richtig einschätzen kann, kann sie ihre erzieherischen und pädagogi-<br />

schen Aufgaben erfüllen. Die Termini für diese beurteilenden Tätigkeiten reichen von<br />

„Beurteilung“ über „Einschätzung“, „Diagnostik“ bis zu „Förderdiagnostik“ (vgl.<br />

ebd.). Aufgaben, Ziele und Formen der Diagnostik werden im zweiten Kapitel näher<br />

thematisiert.<br />

4. Therapie<br />

Unter Therapie versteht man im Sinne der Förderpädagogik eines spezielle Erziehung<br />

aufgrund „…besonderer Probleme des Erziehens und Unterrichtens…“ (Speck, 1985,<br />

141). Da<strong>bei</strong> ist der Ursprung der Therapie in der Medizin zu sehen (vgl. ebd.).<br />

Ihre Aufgabe besteht darin, Fähigkeiten und Fertigkeiten anzubahnen und Folgebeein-<br />

trächtigungen einer Behinderung zu lindern bzw. vorzubeugen.<br />

Förderpädagogisches Handeln wird durch den Einbezug von Therapien unterstützt (vgl.<br />

ebd.). Dazu zählen z.B. Sprachtherapie, Verhaltenstherapie, Ergotherapie.<br />

5. Beratung<br />

Die Beratung innerhalb der Förderpädagogik findet in der Regel durch Gespräche statt,<br />

an denen eine Fachkraft mit förderpädagogischem Wissen und eine oder mehere ratsu-<br />

chende Personen teilnehmen. Ratsuchende können z.B. sein: ein Mensch mit einer Be-<br />

hinderung bzw. dessen Angehörige oder Instanzen, wie Behörden oder Träger. Ein Be-<br />

ratungsgespräch ermöglicht Auskünfte, Erklärungen, Informationen, Handlungsempfeh-<br />

lungen oder Entscheidungshilfen. Eine Beratung der Eltern kann z.B. Entscheidungen<br />

über die Schullaufbahn des Kindes, Methoden/Hilfen, Hilfeinstitutionen oder die erzie-<br />

herische Ratlosigkeit thematisieren (vgl. Speck, 1985, 141f.).<br />

6. Pflege<br />

Laut SPECK (1985) ist Pflege eine Aufgabe, die stets auch Elemente der Erziehung be-<br />

inhaltet. Erziehung wiederum ist eine so komplexe Aufgabe, dass Pflegemaßnahmen<br />

einen Teil davon darstellen. Besonders <strong>bei</strong> Menschen mit schwerer Behinderung steht<br />

die Pflege und Erziehung in einem bedeutenden Zusammenhang (vgl. a.a.O., 142).<br />

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Das Wesen der Förderpädagogik 9<br />

Zu den Aufgaben der Pflege gehören:<br />

- Hilfe <strong>bei</strong> körperlicher Pflege, z.B. Nahrungsaufnahme, Körperpflege,<br />

- Maßnahmen der Aufsicht und der Anleitung, wie Vorbeugung <strong>bei</strong> gefährli-<br />

chen Situationen und<br />

- mit der Pflege verbundene Erziehungsaufgaben, z.B. Erlernen von Selbst-<br />

ständigkeit (vgl. ebd.).<br />

„Pflegeaufgaben haben sich am Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe zu orientieren, d.h. am<br />

Prinzip der weitestmöglichen Autonomie“ (ebd.). Bei der Pflege sollte der pflegenden<br />

Person immer bewusst sein, dem zu pflegenden Menschen mit einer Behinderung die<br />

Hilfe zur Selbsthilfe zu garantieren und das Recht auf Selbstbestimmung zu erhalten.<br />

1.3 Interdisziplinarität<br />

Die Förderpädagogik allein kann nicht auf alle Fragen und Probleme Antworten und<br />

Lösungen finden. Dazu ist sie auf den Dialog mit anderen Wissenschaften angewiesen<br />

(vgl. Fornefeld, 2000, 22; Die Autorin bezieht sich in ihrem Artikel ausschließlich auf<br />

die Geistigbehindertenpädagogik, diese stellt ein Teilgebiet der Förderpädagogik dar,<br />

weshalb ich ihre Aussagen auf die Förderpädagogik allgemein übertrage. K.S.). Die<br />

Zusammenar<strong>bei</strong>t mit anderen Wissenschaften bringt u.a. den Vorteil mit sich, auf Ge-<br />

bieten wie der Frühförderung oder <strong>bei</strong> der Integration von Menschen mit Behinderung<br />

gemeinsame interdisziplinäre Handlungsfelder zu entwickeln. Durch die Interdisziplina-<br />

rität wird außerdem ein Wissenstransfer gewährleistet, „der heutzutage notwendig ist,<br />

um Menschen mit [geistiger] Behinderung ein Leben lang adäquat zu begleiten“ (a.a.O.,<br />

24).<br />

Bei der Entwicklung von (neuen) Konzepten und Theorien nutzt die Förderpädagogik<br />

Forschungsergebnisse anderer Wissenschaften z.B. aus dem Bereich der Medizin,<br />

Psychologie, Soziologie und Philosophie. Die Erkenntnisse der genannten Gebiete<br />

werden mit Gedanken der Pädagogik in Verbindung gebracht und somit interdisziplinär<br />

genutzt (vgl. a.a.O., 24f.).<br />

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Das Wesen der Förderpädagogik 10<br />

1.3.1 Medizin<br />

Abbildung 1: Förderpädagogik im Dialog mit anderen Wissenschaften<br />

Quelle: vgl. Fornefeld, 2000, 23.<br />

Der menschliche Körper wird aus medizinischer Sicht als ein naturwissenschaftliches<br />

Funktionsmodell betrachtet. Treten Störungen auf, werden <strong>bei</strong> Aussichten auf Heilung<br />

oder Besserung, Maßnahmen zu deren Behebung ergriffen. Mit technischen Worten<br />

ausgedrückt bedeutet das, liegt eine Teilfunktionsstörung vor, wird diese <strong>bei</strong> Aussicht<br />

auf Erfolg, repariert (vgl. Strasser, 1997, 64).<br />

Die Aufgabe der Medizin im Zusammenhang mit geistiger Behinderung wird von<br />

NEUHÄUSER/STEINHAUSEN (1999) wie folgt definiert:<br />

Ziel der ärztlichen Untersuchung eines geistig behinderten Menschen ist es, Ursachen<br />

und Entstehungsgeschichte (Ätiologie und Pathogenese) der vorhandenen<br />

Funktionsstörungen aufzuklären. Das gelingt trotz aller Bemühungen nicht immer;<br />

es kommt deshalb auch darauf an, in Art einer „Bestandsaufnahme“ Stärken und<br />

Schwächen zu bestimmen (Mehrfachbehinderung) und organisch-biologische und<br />

psycho-soziale Grundlagen für erforderliche Behandlungsmaßnahmen zu schaffen.<br />

Durch frühzeitiges Erkennen einer Behinderung kann manchen ihrer Folgen wirksam<br />

begeg<strong>net</strong> werden“ (Neuhäuser/Steinhausen, 1999, 82).<br />

Die Medizin ist dafür verantwortlich, Ursachen und Entstehungsgeschichte geistiger<br />

Behinderung zu klären. Da<strong>bei</strong> soll sie zum einen die Diagnose stellen und zum anderen<br />

Therapiemöglichkeiten, Medikamente, Hilfsmittel, Physio- oder Psychotherapie verord-<br />

nen (vgl. Fronefeld, 2000, 23). Sie beschäftigt sich mit der Erforschung neuer Krank-<br />

heitsbilder, die als Konsequenz eine geistige Behinderung nach sich ziehen und hilft,<br />

notwendige Maßnahmen zur Behandlung der Symptome zu erforschen (vgl. a.a.O., 23.).<br />

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Das Wesen der Förderpädagogik 11<br />

STRASSER (1997) nennt Maßnahmen, die sich aus einer medizinischen Diagnose erge-<br />

ben:<br />

- spez. [sic] pflegerische Maßnahmen, evt. auch als Förderpflege[,]<br />

- Diät, spezieller Lebenswandel (z.B. Verzicht auf Suchtmittel)[,]<br />

- medizinisch-therapeutische Bewegungstherapie (Physiotherapie)[,]<br />

- spezielle Hilfsmittel zur Erleichterung der Haltung oder Bewegung…[,]<br />

- spezielle Hilfsmittel zu Verbesserung der Wahrnehmung und der Kommunikation<br />

…[,]<br />

- besondere Hygiene oder Gestaltung des Tagesablaufes (z.B. <strong>bei</strong> Epilepsie)[,]<br />

- die Chemotherapie (Medikamente) [und]<br />

- chirurgische Massnahmen [sic] (Strasser, 1997, 66f.).<br />

Die Medizin ar<strong>bei</strong>tet (heute) ebenfalls interdisziplinär, indem sie <strong>bei</strong> der Anamnese<br />

Größen der Psychologie und Soziologie beachtet. Außerdem stellt die medizinische<br />

Wissenschaft Klassifikationen der verschiedenen Erscheinungsbilder auf, um deren Fül-<br />

le zu ordnen und zu systematisieren (vgl. auch Kap. 2.2.3) (vgl. Fornefeld, 2000, 51;<br />

Kobi, 1996, 44).<br />

1.3.2 Psychologie<br />

Die Psychologie thematisiert innerpsychische und zwischenmenschliche Prozesse und<br />

geht Fragen zur Wahrnehmung, zum menschlichen Denken und Handeln sowie zu<br />

Emotionen und Stimmungen nach. Störungen in diesen Bereichen geht sie auf den<br />

Grund. Die Psychologie setzt sich mit dem Zusammenhang von geistiger Behinderung<br />

und psychischen Erkrankungen sowie mit der Entwicklung von Therapien, mit deren<br />

Hilfe Lern- und Entwicklungsstörungen behoben werden können, auseinander. Sie dis-<br />

kutiert die Rolle der Eltern und der professionellen Helfer (vgl. Fornefeld, 2000, 23).<br />

1.3.3 Soziologie<br />

Die Soziologie erklärt in ihrer Interdisziplinarität zur Förderpädagogik den wechselsei-<br />

tigen Zusammenhang von geistiger Behinderung und Gesellschaft. Sie thematisiert vor<br />

allem die Einstellung der Gesellschaft zu Menschen mit einer Behinderung. Da<strong>bei</strong> setzt<br />

sie sich mit Themen wie Integration, Stigmatisierung, Institutionalisierung und mit der<br />

Rolle der Eltern und Geschwister auseinander (vgl. Fornefeld, 2000, 23).<br />

1.3.4 Philosophie<br />

„Die Philosophie betrachtet die Bedeutung des Behindert-Seins unter ethischen Aspek-<br />

ten“ (Fornefeld, 2000, 24). Sie beschäftigt sich einerseits mit existenzialistischen Fragen<br />

(z.B. Sinn und Wert des Lebens) und andererseits mit der Erörterung moralischer Fra-<br />

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Das Wesen der Förderpädagogik 12<br />

gen (Erziehung). Die Philosophie setzt sich gemeinsam mit der Allgemeinen Pädagogik,<br />

der Sonder- und Integrationspädagogik mit anthropologischen Grundüberlegungen aus-<br />

einander. Ihre Erkenntnisse liefern Grundlagen, um die Geistigbehindertenpädagogik<br />

als Wissenschaft zu begründen (vgl. ebd.).<br />

1.3.5 Rechtswissenschaften<br />

In Bezug zur Förderpädagogik betrachten die Rechtwissenschaften die gesetzlichen und<br />

rechtlichen Situationen von Menschen mit geistiger Behinderung. Dazu gehören Geset-<br />

ze, Rechte, Pflichten und Regeln zum Schutz und zur Fürsorge für Menschen mit geisti-<br />

ger Behinderung (vgl. Fornefeld, 2000, 24).<br />

1.3.6 Allgemeine Pädagogik<br />

Die Allgemeine Pädagogik gehört wie die Geistigbehindertenpädagogik zur Erzie-<br />

hungswissenschaft, weshalb zwischen <strong>bei</strong>den eine enge Verknüpfung besteht. Bis in die<br />

80er Jahre wollten sich Allgemeine Pädagogik und Geistigbehindertenpädagogik als<br />

getrennte Wissenschaften verstanden wissen. Seit den 90er Jahren ist jedoch zu beo-<br />

bachten, dass sich <strong>bei</strong>de wieder annähern und gemeinsame Ursprünge entdecken und<br />

nutzen. (vgl. Fornefeld, 2000, 24). Es ist vor allem herauszustellen, dass sich die All-<br />

gemeine Pädagogik und andere heilpädagogische Fachrichtungen Hinweise für eine<br />

individualisierte und differenzierte Erziehung aus dem Bereich der Geistigbehinderten-<br />

pädagogik holen können (vgl. ebd.).<br />

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Aufgaben, Ziele und Formen der Diagnostik 13<br />

2 Aufgaben, Ziele und Formen der Diagnostik<br />

2.1 Begriffsbestimmung Diagnostik im Allgemeinen<br />

Diagnostik geht auf den griechischen Begriff „diágnosis“ zurück und bedeutet „unter-<br />

scheidende Beurteilung oder Erkenntnis“. Das dazugehörende Verb „diagignoskein“<br />

wird mit den Worten „durch und durch erkennen und beurteilen“ übersetzt (vgl. Stras-<br />

ser, 1997, 13).<br />

Der Begriff „Diagnostik“ wird in vielen Bereichen, wie in der Medizin, Psychiatrie,<br />

Persönlichkeitspsychologie, aber auch in der Technik und Informatik verwendet. Zum<br />

Beispiel findet der Begriff in der Industrie <strong>bei</strong> der Suche nach Fehlern aufgrund eines<br />

Nichtfunktionierens Anwendung. Eine Form, die sich mit dem Menschen auseinander-<br />

setzt, ist die Persönlichkeitsdiagnostik. Sie ord<strong>net</strong> diesen aufgrund bestimmter Eigen-<br />

schaften und Verhaltensweisen bestimmten Zustandsbildern, Syndromen, Persönlich-<br />

keitstypologien oder Krankheitsbildern zu (vgl. a.a.O., 14). Spezielle Formen sollen im<br />

Folgenden beschrieben werden.<br />

2.2 Medizinische Diagnostik<br />

Im Bereich der Medizin beschäftigt sich die Diagnostik mit dem Erkennen von Krank-<br />

heiten. BUNDSCHUH (1999) formuliert die Bedeutung ganz allgemein als „…die Er-<br />

kenntnis der Beschaffenheit eines psychischen oder physischen Zustandes aufgrund von<br />

Symptomen“ (Bundschuh, 1999, 34). Da<strong>bei</strong> handelt es sich immer nur um den Befund<br />

eines aktuellen Zustandes, d.h. es werden keine Eigenschaften bestimmt, die von allge-<br />

meinem überdauernden Charakter sind (vgl. ebd.).<br />

2.3 Förderdiagnostik<br />

2.3.1 Begriff und Wesen<br />

Im Bereich der Förderpädagogik wird die Diagnostik unterschiedlich betitelt. So findet<br />

man Bezeichnungen wie „Sonderpädagogische Diagnostik“, „Förderungsdiagnostik“<br />

oder kürzer „Förderdiagnostik“ (vgl. Strasser, 1997, 13), aber auch „Prozessdiagnostik“<br />

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Aufgaben, Ziele und Formen der Diagnostik 14<br />

oder „behandlungsorientierte Diagnostik“ (vgl. Fornefeld, 2000, 59). Im Folgenden<br />

möchte ich den Ausdruck „Förderdiagnostik“ verwenden.<br />

Die Funktion der Förderdiagnostik hat sich im Laufe der Zeit ebenfalls verändert.<br />

Nachdem sich in der Förderpädagogik die Sichtweise manifestierte, dass eine Behinde-<br />

rung einem Prozess unterliegt, richtet sich der Blick der Diagnostik nicht nur auf die<br />

Defizite und Störungen einer Person, sondern stärker auf die Fähigkeiten und Leis-<br />

tungsmöglichkeiten eines Menschen mit Behinderung. Da<strong>bei</strong> wird ebenfalls das soziale<br />

Umfeld betrachtet, sodass man heute von einer Diagnostik sprechen kann, die die Per-<br />

son und ihr gesamtes Umfeld einbezieht (vgl. Fornefeld, 2000, 59). FORNEFELD (2000)<br />

beschreibt Diagnostik folgendermaßen:<br />

Sonder- und heilpädagogische Diagnostik bezieht sich auf alle Persönlichkeitsbereiche<br />

und versteht sich heute als Prozess- oder Förderdiagnostik, als eine „behandlungsorientierte<br />

Diagnostik“ (ebd.) [Hervorhebung im Original].<br />

In der Förderpädagogik wird die diagnostische Informationsbeschaffung für die Vorbe-<br />

reitung und Auswahl von pädagogischen Maßnahmen genutzt. Des Weiteren dient sie<br />

aber auch der Steuerung, Kontrolle und Bewertung pädagogischer Handlungen. Dia-<br />

gnostik findet nicht mehr nur ausschließlich im Testzimmer des Psychologen statt. Die-<br />

se Prozesse spielen <strong>bei</strong> allen Tätigkeiten der Lehrkräfte, ErzieherInnen und Therapeu-<br />

tInnen eine Rolle (vgl. Strasser, 1997, 14). Eine pädagogische Maßnahme ist „…immer<br />

auch ein Versuch des Erkennens und Verstehens, besitzt also einen diagnostischen An-<br />

teil“ (ebd.). Das heißt, dass <strong>bei</strong> jeder Intervention die Fähigkeiten, Leistungsmöglichkei-<br />

ten aber auch die Defizite und Störungen in die Planung einbezogen, <strong>bei</strong> der Durchfüh-<br />

rung beachtet und <strong>bei</strong> der Reflexion analysiert werden. FORNEFELD (2000) bezeich<strong>net</strong><br />

die Beziehung zwischen Diagnostik und Förderung innerhalb der Förderpädagogik als<br />

ein wechselseitiges Verhältnis (vgl. Fornefeld, 2000, 60). Darunter versteht man, dass<br />

mit Hilfe der Diagnostik Fördermaßnahmen geplant und anschließend durchgeführt<br />

werden. Während der Intervention oder nach Abschluss dieser prüfen diagnostische<br />

Mittel die Wirkung der aufgestellten Maßnahmen. Daraus ergebende Konsequenzen<br />

können eine Korrektur bzw. ein Neuaufstellen von pädagogischen Handlungen sein.<br />

Den Ablauf dieses Prozesses kann man sich wie eine Spirale vorstellen.<br />

In Übereinstimmung mit STRASSER (1997) kann das Wesen der Diagnostik wie folgt<br />

zusammengefasst werden:<br />

Der Begriff der Diagnostik umfasst demnach alle Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche,<br />

in denen Daten oder Informationen zum Zwecke von Entscheidungshilfen systematisch<br />

eingeholt und verwertet werden (Strasser, 1997, 14).<br />

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Aufgaben, Ziele und Formen der Diagnostik 15<br />

2.3.2 Methoden<br />

Die Methoden zur förderdiagnostischen Informationsgewinnung nach BUNDSCHUH<br />

(1999) sollen nur aufgezählt werden. Da<strong>bei</strong> wird jedoch ein Punkt – die Anamnese –<br />

herausgenommen und näher betrachtet.<br />

BUNDSCHUH (1999) unterscheidet folgende Methoden:<br />

1. Informationsgespräche: anamnestisches Gespräch, Explorationsgespräch,<br />

2. Verhaltensbeobachtungen: untersuchungsbegleitend, unterrichtsbegleitend,<br />

in alltäglichen Situationen,<br />

3. Verfahren zur Diagnose kognitiven Verhaltens – Intelligenztests: Individual-<br />

verfahren, Gruppenverfahren,<br />

4. Schulleistungstests: für die sonderpädagogische Diagnostik spezifische Ver-<br />

fahren, Verfahren mit förderdiagnostischer Bedeutung,<br />

5. Methoden zur Beobachtung und Überprüfung verschiedener Bereiche: teils<br />

als Tests, teils mehr als Verhaltensbeobachtung,<br />

6. Sonstige Verfahren mit förderdiagnostischer Bedeutung (vgl. Bundschuh,<br />

1999, 118).<br />

Mit Hilfe der Anamnese kann die Lebensgeschichte der zu untersuchenden Person er-<br />

mittelt und erhellt werden (vgl. a.a.O., 121). Dazu werden Fremd- und Eigenanamnese<br />

eingesetzt. Darunter versteht man eine Befragung von Eltern, LehrerInnen, Bezugsper-<br />

sonen und der Person selbst. Außerdem erhält der Diagnostiker Informationen aus der<br />

(vorliegenden) Schülerunterlage und zum Teil aus dem Einsatz von Testverfahren (z.B.<br />

zur Angst, Motivation, Wahrnehmung, …) (vgl. a.a.O., 42). Diese Daten gelten als ob-<br />

jektiv (vgl. a.a.O., 121). Die Anamnese enthält Hinweise zu:<br />

- medizinischen Daten, wie dem Erscheinungsbild der Behinderung, damit<br />

zugleich der Erforschung der Ursachen einer Behinderung,<br />

- psychologischen Daten, wie der Lebensgeschichte, der Betrachtung der Behin-<br />

derung im Hinblick auf das soziale Umfeld, der materiellen Umwelt sowie öko-<br />

nomischen Bedingungen und<br />

- Daten über die Entwicklung, wie den Geburtsverlauf, die vorschulische Phase,<br />

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den Schulbesuch,… (vgl. a.a.O., 36; 42).


Aufgaben, Ziele und Formen der Diagnostik 16<br />

Bei den medizinischen Daten greift die/der FörderpädagogIn auf Untersuchungsbefunde<br />

der Medizin zurück. Diese geben Aufschluss über die Ätiologie. Da<strong>bei</strong> können ärztliche<br />

Diagnosen z.B. aufgrund der Feststellung organisch bedingter Störungen Anhaltspunkte<br />

für die Erklärung von Verhaltensauffälligkeiten geben. Ferner können Ärzte auf Sinnes-<br />

beeinträchtigungen hinweisen, die von Seiten der Medizin und Pädagogik entsprechen-<br />

de Aktivitäten verlangen (vgl. a.a.O., 42). Bereits in einem Gutachten der Kultusminis-<br />

terkonferenz von 1960 wurde die Aufgabe des Arztes in Bezug auf die Pädagogik fest-<br />

gehalten. Darin hieß es, dass sich die Diagnose des Mediziners auf den allgemeinen<br />

Gesundheitszustand, auf mögliche organische Ursachen einer Beeinträchtigung, insbe-<br />

sondere auf Sinnesdefekte der zu untersuchenden Person bezieht. Die Tätigkeit des Arz-<br />

tes ist mit der Diagnose nicht abgeschlossen, sie <strong>bei</strong>nhaltet ebenfalls die Behandlung der<br />

festgestellten organischen Beeinträchtigungen. Die Zuweisung an eine Förderschule<br />

liegt nicht im Ermessen der Medizin. Sie kann auch nicht aus deren Daten abgelesen<br />

werden (vgl. ebd.).<br />

Auf den Stellungswert und den Nutzen der medizinischen Angaben für die Förderpäda-<br />

gogik soll im dritten Kapitel eingegangen werden.<br />

2.3.3 Formen<br />

Ziel und Absicht einer Diagnostik können sehr unterschiedlich sein, weshalb man nach<br />

KOBI (1996) verschiedene Formen differenziert. Er bezeich<strong>net</strong> die im Folgenden ge-<br />

nannten Diagnostiken als die Wichtigsten, die seiner Meinung nach gleichzeitig die<br />

Schwerpunkte der Förderpädagogik darstellen (vgl. Kobi, 1996, 44). Die diagnostischen<br />

Zielsetzungen sollen im Folgenden dargelegt und zum Teil mit Beispielen verdeutlicht<br />

werden.<br />

Bei der deskriptiven Diagnostik handelt es sich um eine beschreibende Form, die sich<br />

bemüht, einen Problemkreis möglichst genau und umfassend darzustellen (vgl. Kobi,<br />

1996, 44). Anhand dieser Beschreibung können Definitionen aufgestellt werden, die<br />

dann die Kommunikation über einen gemeinsamen Sprachgegenstand erleichtern. „Es<br />

soll sichergestellt werden, dass verschiedene Beobachter dieselben Phänomene als<br />

problemzugehörig … ins Auge fassen und in etwa vom selben Erscheinungsbild spre-<br />

chen“ (ebd.). Da<strong>bei</strong> besitzt eine Definition konventionellen Charakter, d.h. man kann<br />

ihr entweder zustimmen oder sie ablehnen und durch eine neue ersetzen (vgl. ebd.).<br />

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Aufgaben, Ziele und Formen der Diagnostik 17<br />

Die deskriptive Diagnostik beschäftigt sich nicht mit Ursachen und Therapiemöglich-<br />

keiten (vgl. ebd.).<br />

Die Klassifizierungs-Diagnostik verfolgt das Ziel, die große Anzahl an verschiedenen<br />

Erscheinungsbildern zu ordnen und zu systematisieren (vgl. Kobi, 1996, 44). Diese<br />

Form der Diagnostik dient der Abgrenzung, indem sie u.a. nach bestimmten Erschei-<br />

nungsformen, Krankheitsbildern, dem Zeitpunkt der Schädigung oder nach Ursachen<br />

klassifiziert (vgl. ebd.; Strasser, 1997, 14).<br />

KOBI (1996) unterteilt folgende Klassifikationen:<br />

- phänomenologisch (erscheinungsbildlich) nach bestimmten Leitsymptomen (Beispiel:<br />

Interdentaler Sigmatismus)[,]<br />

- topologisch, d.h. nach bestimmten Erscheinungsorten und Fähigkeitsbereichen<br />

(Beispiel: Hemiplegie; …)[,]<br />

- chronologisch, d.h. nach bestimmten Zeitpunkten (Beispiel: Autismus infantum;<br />

…)[,]<br />

- ätiologisch (ursächlich, kausal) nach zugrundeliegenden Ursachen (Beispiel:<br />

…Trisomie-21)[,]<br />

- normativ, d.h. aufgrund der Abweichung von bestimmten Normen und Erwartungen<br />

(Beispiel: Infantilismus; …)[,]<br />

- methodisch, d.h. nach bestimmten erzieherischen, unterrichtlichen, pädagogischtherapeutischen<br />

Gesichtspunkten und Organisationsmustern (Beispiel:<br />

…Hilfsschüler)[,]<br />

- quantitativ , d.h. nach bestimmten Schweregraden (Beispiel: Debilität-<br />

Imbezillität- Idiotie) [und]<br />

- dialogisch: im pädagogischen Alltag wird häufig auch Art und Umfang des persönlichen<br />

Betroffenseins zum Klassifizierungsmassstab [sic], so etwa wenn die<br />

Rede ist von „Sorgenkindern“, „Schwererziehbaren“, etc. (Kobi, 1996, 45).<br />

Die in Deutschland gängigen Klassifikationen in Einrichtungen für Menschen mit einer<br />

geistigen und mehrfachen Behinderung sind laut STRASSER (1997):<br />

Klassifikation der Intelligenzminderung nach WHO (World Health Organization):<br />

- Leichte Intelligenzminderung (IQ 50-69),<br />

- Mittelgradige Intelligenzminderung (IQ 35-49),<br />

- Schwere Intelligenzminderung (IQ 20-34),<br />

- Schwerste Intelligenzminderung (IQ >20) (vgl. Strasser, 1997, 17).<br />

Deutsche (schulische) Klassifikation nach SPECK (1974):<br />

- Übergangsformen (zur Lernbehinderung),<br />

- Durchschnittsformen geistiger Behinderung,<br />

- Intensivformen, auch schwerste Behinderung genannt (vgl. a.a.O., 18).<br />

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Aufgaben, Ziele und Formen der Diagnostik 18<br />

NEUHÄUSER/STEINHAUSEN (1999) klassifizieren geistige Behinderung nach chronologi-<br />

schen Gesichtspunkten. Sie ordnen klinische Syndrome nach ihrer Entstehungsphase<br />

ein und ergänzen diese Klassifikation durch eine Auflistung spezieller psychopatholo-<br />

gischer Störungen (= zusätzliche Störungen).<br />

Bei den klinischen Syndromen unterscheiden sie nach den Entstehungsformen:<br />

- pränatal,<br />

- perinatal und<br />

- postnatal.<br />

Die eigene Kategorie „zusätzliche Störungen“ enthält Formen wie zerebrale Anfälle,<br />

zerebrale Bewegungsstörungen, Perzeptionsstörungen und Demenz (vgl. Speck, 1993,<br />

45f.).<br />

Klassifikationen haben sowohl Vor- als auch Nachteile. Gegenüber Fachstellen, Trä-<br />

gern und anderen unterstützenden Einrichtungen zeigen sie „…eine grobe Orientierung<br />

über die Möglichkeiten, Grenzen und den Betreuungsbedarf eines Menschen mit einer<br />

geistigen Behinderung…“ (Strasser, 1997, 19). Klassifikationen können aber auch<br />

negativ genutzt werden, indem sie Menschen einer bestimmen Kategorie zuordnen und<br />

damit Verallgemeinerungen aussprechen und somit die Individualität vernachlässigen.<br />

STRASSER (1997) kritisiert, dass in Deutschland die gebräuchlichsten Klassifikationen<br />

an Angeboten von Institutionen wie Schule und Ar<strong>bei</strong>t orientiert sind und damit Men-<br />

schen mit einer Behinderung bestimmen Gruppen zugeord<strong>net</strong> werden (vgl. ebd.).<br />

Ziel der Funktionalen Diagnostik ist es, Zusammenhänge und sich einander bedingende<br />

Größen aufzudecken. Diese Form der Diagnostik analysiert die vorhandenen oder<br />

geschaffenen Bedingungen, die ein bestimmtes Auftreten oder Verhalten (vermehrt)<br />

hervorrufen bzw. nicht hervorrufen (vgl. Kobi, 1996, 45) lassen. Da<strong>bei</strong> werden<br />

Zusammenhänge, Beziehungen und Vergesellschaftungen aufgezeigt.<br />

Ihre Aufgabe ist es nicht, Gesetzmäßigkeiten nach ursächlichen Gesichtspunkten oder<br />

Kausal-Erklärungen aufzustellen (vgl. ebd.).<br />

Die Kausal-Diagnostik forscht nach Ursachen-Komplexen und Ursachen-Ketten, die zu<br />

einer bestimmen Krankheit oder Behinderung führen (vgl. Strasser, 1997, 14; Kobi,<br />

1996, 46). Ihr Ziel ist einerseits, Ursache – Wirkung – Erklärungen zu finden. Anderer-<br />

seits verfolgt sie das weitläufigere Ziel, Kausalfaktoren beeinflussen zu können, um<br />

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Aufgaben, Ziele und Formen der Diagnostik 19<br />

damit eine „…bestimmte Wirkung ‚beliebig‘ (nach Art, Ausmass [sic], Zeitpunkt, also:<br />

gesteuert) eintreten zu lassen“ (ebd.) [Hervorhebung im Original].<br />

Für den medizinischen Bereich stellt eine erfolgreiche Kausaltherapie ein Idealziel dar.<br />

Im Bereich der Förderpädagogik wird diese Form der Therapie nur selten erreicht, weil<br />

die Ursache einer Behinderung entweder unbekannt oder nicht beeinflussbar ist. In der<br />

Förderpädagogik ist somit die Funktionale Diagnostik im Vergleich zur Kausal-<br />

Diagnostik bedeutender (vgl. ebd.).<br />

Mit Hilfe der Selektions- und Platzierungsdiagnostik können „Wegweisung von und<br />

Zuweisung zu bestimmten Angeboten“ (Strasser, 1997, 14) begründet werden. Die<br />

Diagnostik ord<strong>net</strong> aufgrund von bestimmten Eigenschaften, Erziehungs- oder Lernbe-<br />

dingungen eines Menschen diesen einem Schultypus bzw. Ausbildungstypus zu. . KOBI<br />

(1996) spricht von einer „…Einweisung einer Personen in ein vorgegebenes Funktions-<br />

raster, in ein bestimmtes Anforderungsprofil“ (Kobi, 1996, 48). Selektions-Diagnostik<br />

entscheidet nach dem Entweder-Oder-Prinzip: passt / passt nicht; tauglich / untauglich<br />

(vgl. ebd.).<br />

Anhand dieser Diagnostik können Platzierungen (Allokationen) begründet werden. Die<br />

Selektions- und Platzierungsdiagnostik wird in Beziehung zur Geistigbehindertenpäda-<br />

gogik als Entscheidungsgrundlage verwendet. Mit Hilfe der gesammelten Informatio-<br />

nen können die diagnostizierenden Personen eine Zuweisung zu einer Förderschule, zu<br />

einer bestimmten Klasse innerhalb der Förderschule oder in eine geschützte Werkstatt<br />

oder Beschäftigungsstätte rechtfertigen (vgl. Strasser, 1997, 16).<br />

Die Rechtmäßigkeit dieser Diagnostik wurde lange Zeit mit der Annahme bestätigt,<br />

„dass menschliches Verhalten durch endogene Persönlichkeitsmerkmale bestimmt und<br />

diese mehr oder weniger stabil seien“ (Strasser, 1997, 16).<br />

Die Typisierungsdiagnostik ist mit der zuletzt genannten Selektions- und Klassifizie-<br />

rungsdiagnostik verwandt. Im förderpädagogischen Bereich verfolgt sie das Ziel,<br />

homogene Gruppen zusammenzusetzen, d.h. Personen mit gleichen Merkmalen einer<br />

Gruppe zuzuordnen (vgl. Kobi, 1996, 49; Strasser, 1997, 14). Die Typisierungsdiagnos-<br />

tik bringt aber Gefahren mit sich, die KOBI (1996) wie folgt definiert:<br />

Bei der Typisierungs-Diagnostik ist allerdings … die Gefahr eines sogenannten<br />

labelings (Etikettierung) und die Gleichsetzung der Person mit der Diagnose und<br />

der daraus folgenden Vorurteilsbildungen [sic] besonders gross [sic] (Kobi, 1996,<br />

49).<br />

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Aufgaben, Ziele und Formen der Diagnostik 20<br />

KOBI (1996) spricht des Weiteren davon, dass die Förderpädagogik ein ganzes Jahr-<br />

hundert die falsche Auffassung verfolgte, aus „…ärztlichen Diagnosen (medizinische<br />

Krankheits- und Behinderungsvorstellungen) …‚entsprechende‘ pädagogische Zielset-<br />

zungen, Methoden und Institutionen ableiten“ (ebd.) zu können. Im Gegensatz dazu<br />

betont er, dass die Auswahl einer pädagogischen Intervention von der Art und dem<br />

Grad der Lern- und Lehrfähigkeit abhängig ist (vgl. ebd.).<br />

Die Bildbarkeits- bzw. Förder(ungs)-Diagnostik geht davon aus, dass ein Kind mit<br />

einer Behinderung Veränderungen in seiner Entwicklung und seinem Lernen aufgrund<br />

seiner verschiedenen Fähigkeitsbereiche erreichen kann (vgl. Kobi, 1996, 52). Sie ver-<br />

folgt in Zusammenar<strong>bei</strong>t mit den hier aufgeführten Diagnoseverfahren das Ziel, Bil-<br />

dungsmöglichkeiten in Bezug auf Erziehung und Unterricht zu entwickeln und zu nut-<br />

zen. Ihr Vorgehen ist da<strong>bei</strong> subjektorientiert, d.h. aus realen, fassbaren Situationen<br />

werden individuelle kurz- und mittelfristige Interventionen und Therapien entwickelt<br />

(vgl. ebd.).<br />

Die Normalisierungs- und Integrations-Diagnostik beschäftigt sich mit Inhalten der<br />

„Entnormung und Entproblematisierung“ (Kobi, 1996, 54) sowie mit Fragen der Integ-<br />

rationsfähigkeit und Integrationswilligkeit. Da<strong>bei</strong> bezieht sich der Begriff „Normalisie-<br />

rung“ nicht auf therapeutische Maßnahmen im Sinne von Reparatur oder Ursachenbe-<br />

handlung, sondern auf „…die Herstellung eines psychosozialen Gleichgewichts …<br />

innerhalb eines Behindertenzustandes (a.a.O., 55).<br />

Bei dieser Form der Diagnose geht es nicht um eine Analyse eines Problems, sondern<br />

um die Lebensgestaltung eines Menschen mit Behinderung mit all seinen unveränder-<br />

baren Merkmalen. KOBI (1996) definiert Normalisierung wie folgt:<br />

Normalisierung heisst [sic]: Das als solches abnorm Bleibende in die aus unserer<br />

Sicht normalen Lebensverhältnisse integrieren, den Behinderten jenseits aller Veränderungen<br />

Anteil nehmen lassen und ein gemeinsames Schicksal gestalten (ebd.).<br />

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Zusammenhang zwischen der medizinischen Diagnose und der Förderpädagogik 21<br />

3 Zusammenhang zwischen der medizinischen Diagnose und der<br />

Förderpädagogik<br />

Jede förderpädagogische Tätigkeit enthält diagnostische Anteile, weil jede Maßnahme<br />

aus Inhalten des Erkennens und Verstehens besteht. Einen Teil der Förderdiagnostik<br />

stellt die Anamnese dar, die u.a. über medizinische Informationen einer Behinderung<br />

Auskunft gibt (vgl. Kap. 2.3.2). In diesem Kapitel soll hinterfragt werden, welchen Nut-<br />

zen die Kenntnis der medizinischen Diagnose für die Förderpädagogik bringt. Da<strong>bei</strong><br />

sollen zuerst Bedingungen genannt werden, <strong>bei</strong> denen das Wissen über die medizini-<br />

schen Diagnose eine Voraussetzung für das pädagogische Handeln darstellt. Anschlie-<br />

ßend werden Aussagen einiger AutorInnen der (Förder-)Pädagogik zur Thematik aufge-<br />

führt und interpretiert werden.<br />

STRASSER (1997) hebt hervor, dass Mittel und Maßnahmen, die aus einer medizinischen<br />

Diagnose resultieren, keine pädagogischen Maßnahmen sind (vgl. Strasser, 1997, 66).<br />

Ärztliche Handlungen dienen der Überprüfung des Gesundheitszustandes, der Erfor-<br />

schung der Ätiologie einer Behinderung, der Kontrolle der Sinnestätigkeit u.a. Die<br />

Behandlung organischer Störungen liegt im Ermessen der Mediziner, nicht der Pädago-<br />

gInnen. Im Wirkungsbereich von PädagogInnen sind jedoch <strong>bei</strong> bestimmten Bedingun-<br />

gen die Kenntnisse über medizinische Aussagen und Maßnahmen von Bedeutung. Das<br />

heißt, <strong>bei</strong>m Vorliegen der im folgenden genannten Bedingungen stellt das Wissen um<br />

Angaben der Medizin eine Vorraussetzung pädagogischen Handelns dar. Zu den Bedin-<br />

gungen zählen:<br />

- progressive Behinderungen, z.B. progressive Muskeldystrophie; Behinderungen,<br />

die Sekundärschädigungen nach sich ziehen, z.B. cerebrale Lähmungen mit<br />

drohenden Gelenkdeformationen,<br />

- Behinderungen, deren weiterer Verlauf in seinen Ausprägungen durch medizi-<br />

nisch-therapeutische Maßnahmen gelindert oder vorgebeugt werden kann, z.B.<br />

fortschreitende Demenz oder Hüftluxation,<br />

- vererbbare Behinderungen, die eine/n PädagogIn die Sorgen und Ängste der El-<br />

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tern besser verstehen lassen (vgl. Strasser, 1997, 66).


Zusammenhang zwischen der medizinischen Diagnose und der Förderpädagogik 22<br />

Zusammengefasst kann gesagt werden, dass das Wissen um die medizinische Diagnose<br />

<strong>bei</strong> fortschreitenden Behinderungen, Behinderungen deren weiterer Verlauf in seinen<br />

Ausprägungen durch Maßnahmen gelindert oder vorgebeugt werden kann oder vererb-<br />

bare Behinderungen eine Notwendigkeit für pädagogisches Handeln darstellt.<br />

Die Medizin setzt sich in ihrer Diagnostik mit der Beschaffenheit des körperlichen und<br />

seelischen Zustandes auseinander. Da<strong>bei</strong> wird jedoch nur der aktuelle Zustand betrach-<br />

tet (vgl. Kap. 2.2). In welchem Zusammenhang steht die Kenntnis der medizinischen<br />

Diagnose zum Nutzen für die Förderpädagogik? Kann diese Diagnose im Bereich des<br />

Lehrens und Lernens als sinnvoll betrachtet werden? Diese Fragen sollen nun mit Hilfe<br />

der Aussagen einiger (Förder-)PädagogInnen geklärt werden, wo<strong>bei</strong> die Auswahl kei-<br />

nen Anpruch auf Vollständigkeit erhebt. Dazu möchte ich Zitate von vier AutorInnen<br />

interpretieren.<br />

Laut NEUHÄUSER (1982) kann das Ausmaß einer Behinderung und ihre entwicklungs-<br />

bedingte Veränderung besser verstanden werden, wenn der/dem PädagogIn die medizi-<br />

nische Diagnose bekannt ist. Er geht davon aus, dass dieses Wissen eine Voraussetzung<br />

für den Einsatz von zielgerichteten Fördermaßnahmen darstellt. NEUHÄUSER (1982)<br />

schreibt:<br />

Die Frage nach der Ursache einer Behinderung ist nicht nur medizinisch bedeutsam,<br />

sie berührt oft auch unmittelbar das sonderpädagogische Bemühen. Es sollte<br />

ja nicht nur eine Ätiologie, die Ursache einer Behinderung bekannt sein, es muß<br />

auch versucht werden, die spezielle Form der Ausprägung und ihre Veränderung<br />

im Ablauf der Entwicklung besser zu verstehen; nur dann können geeig<strong>net</strong>e Fördermaßnahmen<br />

zielgerichtet eingesetzt werden (Neuhäuser, 1982, 152).<br />

FORNEFELD (2000) betont die Interdisziplinarität der Geistigbehindertenpädagogik und<br />

zeigt, dass der Blick auf die medizinische Ursache einer Behinderung eine mögliche<br />

Richtung unter anderen ist. Sie stellt heraus, dass ätiologische Kenntnisse einer Behin-<br />

derung einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von Förder- und Erzie-<br />

hungsmaßnahmen haben, die jedoch nicht überzubewerten sind. Mit folgendem Zitat<br />

soll die Aussage der Autorin bestätigt werden:<br />

Die Ursachen der Schädigung und Beeinträchtigung eines Menschen zu kennen, ist<br />

für den Entwurf geeig<strong>net</strong>er Förder- und Erziehungsmaßnahmen sowie für alle Entscheidungen<br />

und Handlungen, die der Integration dienen, wichtig. Im pädagogischen<br />

Prozess spielen die Ursachen eine untergeord<strong>net</strong>e Rolle, doch das Wissen um<br />

sie ist von Bedeutung und darf nicht außer Acht gelassen werden (Fronefeld, 2000,<br />

55).<br />

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Zusammenhang zwischen der medizinischen Diagnose und der Förderpädagogik 23<br />

STRASSER (1997) fordert im Rahmen einer Förderdiagnostik, medizinische Diagnosen<br />

als Zusatzinformation zu nutzen. Diese sollten aber nur unter Vorbehalt in die pädago-<br />

gische Ar<strong>bei</strong>t einfließen, weil sich daraus Gefahren wie Etikettierung oder Stigmatisie-<br />

rung ergeben können. Mit STRASSERs (1997) Worten bedeutet dies:<br />

Eine Förderdiagnostik <strong>bei</strong> Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit einer geistigen<br />

oder mehrfachen Behinderung kommt ohne Zusatzinformationen aus der medizinischen<br />

Diagnostik nicht aus, auch wenn sie nur mit Vorsicht in die Planung<br />

übernommen werden sollte [, weil sie] …stark etikettierende und stigmatisierende<br />

Wirkung mit sich bringen … [können] (Strasser, 1997, 64).<br />

Im folgenden Abschnitt soll in einem kleinen Exkurs erklärt werden, was unter Etiket-<br />

tierung und Stigmatisierung zu verstehen ist.<br />

Etikettierung:<br />

Bezeichnung für den Sachverhalt, dass soziale Kontrollinstanzen, besonders die<br />

Träger der Verbrechenskontrolle (Polizei, Justiz), Menschen, die mit ihnen in<br />

Berührung kommen, negative Merkmale zuschreiben, so dass sich die sozialen<br />

Chancen der so Etikettierten verringern (Hünermann, 2002).<br />

Stigmatisierung:<br />

Charakterisierung einer Person durch gesellschaftlich oder gruppenspezifisch negativ<br />

bewertete Merkmale. So wird z. B. eine Person stigmatisiert, wenn man sie als<br />

Vorbestraften, Sozialhilfeempfänger u.a. etikettiert (ebd.)<br />

Im Bereich der Förderpädagogik bedeutet Etikettierung und Stigmatisierung die Gefahr,<br />

dass Menschen mit Behinderung das Etikett ihrer Behinderung auferlegt bekommen.<br />

Daraus kann sich die Nichtbeachtung der individuellen Ausprägung der Behinderung<br />

einer Person ergeben. Jede Behinderung ist in ihrem Ausmaß individuell, weil jede Per-<br />

son durch komplexe individuelle Faktoren beeinflusst wird. Das Etikett, Mensch mit<br />

Behinderung, beachtet nicht die Individualität, sondern weist dieser (negative) verall-<br />

gemeinerte Eigenschaften auf, die nicht zwingend zutreffen müssen. Damit wird das<br />

Bild der Behinderung in eine falsche Richtung verzerrt.<br />

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Zusammenhang zwischen der medizinischen Diagnose und der Förderpädagogik 24<br />

SPECK (1993) bezieht sich in seiner Aussage nicht direkt auf den Nutzen der Diagnose,<br />

sondern auf die Individualität eines Menschen mit einer geistigen Behinderung. Er<br />

vertritt die Meinung, dass die Ausprägung einer Behinderung stets von mehreren Fakto-<br />

ren abhängig ist. Die beeinflussenden Größen sind sowohl endogener als auch exogener<br />

Art. SPECK (1993) wählt zur Verdeutlichung seines Standpunktes folgende Worte:<br />

Nur kurz – weil selbstverständlich – sei … angemerkt, daß die individuelle Form<br />

einer geistigen Behinderung nicht das direkte und bloße Ergebnis einer bestimmten<br />

körperlichen (neuronalen) Schädigung darstellt sondern aus einem komplexen<br />

Wirkzusammenhang „endogener“ und „exogener“, somatischer und sozialer Faktoren<br />

hervorgeht – so hart und irreversibel die zugrundeliegende organische oder genische<br />

[sic] Schädigung auch sein mag (Speck, 1993, 47).<br />

In Bezug auf den Nutzen der medizinischen Diagnose kann daraus der Schluss gezogen<br />

werden, dass für die pädagogische Ar<strong>bei</strong>t sowohl Kenntnisse aus dem Gebiet der Medi-<br />

zin (=somatische Faktoren) als auch die Analyse des Umfeldes (=soziale Faktoren) eine<br />

Rolle spielen. Jeder Mensch lebt in einem komplexen Umfeld und wird von endogenen<br />

und exogenen Faktoren beeinflusst. Unter endogenen Faktoren versteht man Eigen-<br />

schaften eines Menschen, die aus seinem Inneren resultieren, z.B. aus einem organi-<br />

schen Defekt, der zu einer Behinderung führt. Diese werden durch die Medizin näher<br />

beleuchtet. Exogene (äußere) Faktoren sind diejenigen, die im Zusammenhang mit dem<br />

sozialen Umfeld stehen. Bei jeder pädagogischen Tätigkeit sollten nicht nur Einfluss-<br />

größen des Individuums selbst, sondern immer auch soziale Gegebenheiten betrachtet<br />

werden (=Wesen der Förderdiagnostik, vgl. Kap. 2.3).<br />

KOBI (1993) widmet sich in seinem Buch „Grundfragen der Heilpädagogik“ in einem<br />

Kapitel der ätiologischen Frage. Er betont, dass der Ursachenfrage in der Förderpäda-<br />

gogik eine untergeord<strong>net</strong>e Rolle <strong>bei</strong>gemessen werden muss. Bei der Förderpädagogik<br />

stehen nicht die Ursachen der Behinderung im Vordergrund, „sondern die psycho-<br />

sozialen Erzeugnisse innerhalb des Behinderungszustandes (vgl. Kobi, 1993, 277).<br />

Die Ursachenfrage ist für die Heilpädagogik … von untergeord<strong>net</strong>er Bedeutung. …<br />

Das Was? und das Wie? sind wichtiger als das Warum? (ebd.)<br />

Die Förderpädagogik beschäftigt sich also mit den Einflussgrößen, die auf eine Behin-<br />

derung einwirken. Da<strong>bei</strong> versucht sie ein „optimales Arrangement zwischen (Primär-)<br />

Ursachen und (phänomenologischer) Manifestation herzustellen“ (ebd.). Darunter ver-<br />

steht man, dass die Förderpädagogik die Ursachen einer Behinderung zwar im Blick<br />

hat, das Erscheinungsbild allerdings eine wichtigere Rolle spielt, weil eine Behinderung<br />

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Zusammenhang zwischen der medizinischen Diagnose und der Förderpädagogik 25<br />

von komplexen somatischen und sozialen Faktoren abhängig ist. Kobi (1993) erwähnt<br />

ebenfalls, dass Pädagogik „Zukunfts-, nicht Vergangenheitsbewältigung“ (a.a.O., 278)<br />

ist. Unter dieser Aussage kann verstanden werden, dass die Ursachen einer Behinderung<br />

durch förderpädagogische Maßnahmen nicht rückgängig gemacht werden können. Die<br />

Entwicklung eines Menschen mit Behinderung kann jedoch durch die Förderpädagogik<br />

unterstützt werden.<br />

Vergleich der Aussagen<br />

Zwischen der Kenntnis der medizinischen Diagnose und dem Nutzen für die Förderpä-<br />

dagogik wird von allen fünf AutorInnen ein Zusammenhang gesehen. Diese Aussage<br />

kann auf folgende Begründungen zurückgeführt werden:<br />

- ein besseres Verständnis der Behinderung und deren entwicklungsbedingten<br />

Veränderungen,<br />

- die Interdisziplinarität der Förderpädagogik zu anderen Wissenschaften, hier<br />

speziell zur Medizin,<br />

- den Fakt der Notwendigkeit,<br />

- die Betrachtung einer Behinderung aus einem komplexen Wirkzusammenhang<br />

und<br />

- den Fakt der (vorausgesetzten, jedoch) untergeord<strong>net</strong>en Bedeutung.<br />

NEUHÄUSER, FORNEFELD und STRASSER erwähnen, dass die medizinische Diagnose<br />

Einfluss auf die Entwicklung von Fördermaßnahmen hat. Während NEUHÄUSER und<br />

FORNEFELD die Kenntnis als Voraussetzung, als entscheidend deklarieren, weist STRAS-<br />

SER aufgrund der Gefahr von Etikettierung und Stigmatisierung darauf hin, diese nur<br />

mit Vorsicht zu übernehmen. Ein möglicher Grund kann in dem Erkennen von<br />

erwünschten, aber nicht vorhandenen Eigenschaften liegen, die zu einer Verzerrung des<br />

Bildes über den Menschen mit Behinderung führt.<br />

SPECK und KOBI heben in ihren Aussage das Wesen der Förderdiagnostik hervor, indem<br />

sie betonten, dass im Bereich der Förderpädagogik u.a. medizinische und soziale Fakto-<br />

ren zu betrachten sind.<br />

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Zusammenhang zwischen der medizinischen Diagnose und der Förderpädagogik 26<br />

Innerhalb der Förderpädagogik und besonders der Förderdiagnostik kann die Ursachen-<br />

kenntnis einer Behinderung als Nutzen für die Pädagogik angesehen werden. Die För-<br />

derdiagnostik versteht sich als ein Prozess, der den Menschen mit Behinderung und sein<br />

gesamtes Umfeld (somatische und soziale Faktoren) betrachtet. Ein/e PädagogIn oder<br />

ErzieherIn kann den Menschen jedoch nur dann unterstützen und fördern, wenn sie/er<br />

einen Zugang zu seiner Wirklichkeit, zu seiner gegenwärtigen Situation gefunden hat.<br />

Erst dann können geeig<strong>net</strong>e Fördermaßnahmen abgeleitet werden. Der Zugang wird<br />

über die Diagnostik erreicht, welche die medizinische Diagnose (Anamnese) als einen<br />

Bestandteil <strong>bei</strong>nhaltet.<br />

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Das Fragile-X Syndrom 27<br />

4 Das Fragile-X Syndrom<br />

4.1 Begriff, Geschichte, Häufigkeit<br />

Zu Beginn der Darstellung des Syndroms wird eine allgemeine Begriffsbestimmung<br />

gegeben. Anschließend folgt ein geschichtlicher Überblick zur Entdeckung und Erfor-<br />

schung des Fragilen-X Syndrom. Da die Aussagen zur Häufigkeit des Fragilen-X Syn-<br />

droms unterschiedlich diskutiert werden, sollen die Angaben verschiedener AutorInnen<br />

aufzeigt und begründet werden.<br />

4.1.1 Begriffsbestimmung<br />

Das Fragile-X Syndrom ist die häufigste Ursache erblich bedingter geistiger Behinde-<br />

rung. Der Name Fragiles-X Syndrom stammt aus dem lateinischen - frangere = zer-<br />

brechlich - und bezieht sich auf „…eine brüchige Stelle am langen Arm des X-<br />

Chromosoms“ (Sarimski, 1997, 113). Die Ursache des Syndroms ist in einer Genmuta-<br />

tion auf dem X-Chromosom zu suchen. Die X-Chromosomen sind u.a. für die Ge-<br />

schlechtsbildung verantwortlich (Mädchen XX, Jungen XY). Da es sich um einen ge-<br />

schlechtsgebundenen Erbgang handelt, zeigen betroffene Jungen in der Regel schwerere<br />

Symptome als Mädchen.<br />

Der Name »Syndrom« verdeutlicht, dass die phänotypischen Ausprägungen durch eine<br />

Gruppe von Symptomen meist einheitlicher Ursache hervorgerufen werden. (vgl.<br />

Pschyrembel, 1998, 1534) „Das klinische Hauptmerkmal … stellt die geistige Behinde-<br />

rung dar. Der Schweregrad reicht von Lernbehinderung bis zu schwerer geistiger Be-<br />

hinderung“ (Froster, 1997, 31). Weitere Symptome sind Sprach- und Sprechstörungen<br />

sowie Sprachanomalien, ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten und gering ausgeprägte<br />

körperliche Merkmale (vgl. Froster, 1997, 31; Zankl/Schorderet, 2001).<br />

4.1.2 Entdeckung und Geschichte<br />

Alles begann damit, dass PENROSE 1938 in einer Studie über Menschen mit geistiger<br />

Behinderung in Colchester (England) herausfand, dass männliche Personen häufiger<br />

geistig behindert sind als weibliche (vgl. Froster, 1997, 25). Damit konnte aufgezeigt<br />

werden, dass es geschlechtsgebundene vererbte Formen geistiger Behinderung gibt (vgl.<br />

ebd.).<br />

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Das Fragile-X Syndrom 28<br />

In den 40er Jahren führten MARTIN und BELL Stammbaumuntersuchungen durch. Die<br />

<strong>bei</strong>den englischen Ärzte beschrieben das Syndrom in seiner Symptomatik zum ersten<br />

Mal. 1943 stellten sie einen Stammbaum vor, <strong>bei</strong> dem ausschließlich <strong>bei</strong> männlichen<br />

Familienangehörigen Merkmale wie geistige Behinderung, große Ohren, langes schma-<br />

les Gesicht, großes hervorstehendes Kinn, großer Hoden und Sprachauffälligkeiten auf-<br />

traten. Infolgedessen wurde dieser Phänotyp (Merkmalbild) als Martin-Bell-Syndrom<br />

oder Martin-Bell-Phänotyp bezeich<strong>net</strong>. Weitere Studien, wie <strong>bei</strong> der Allan-Herdon-<br />

Dudley Familie (1944) und von DUNN in den 60er Jahren, bestätigten die Beobachtun-<br />

gen von MARTIN und BELL (Sarimski, 1997, 113; Dittmann, 1998, 230; Froster, 1997,<br />

26).<br />

1969 entdeckte LUBS <strong>bei</strong> zwei in gleicher Weise betroffenen Brüdern, dass <strong>bei</strong> <strong>bei</strong>den<br />

eine brüchige Stelle am langen Arm des X-Chromosoms zytoge<strong>net</strong>isch nachgewiesen<br />

werden konnte. Die auffällige Stelle wurde zunächst als Marker-X-Chromosom be-<br />

zeich<strong>net</strong> und mit der Behinderung in Zusammenhang gebracht, weshalb sich insbeson-<br />

dere im deutschen Sprachraum der Name Marker-X Syndrom eingeprägt hat. Mit Hilfe<br />

der Nachweismethode von LUBS konnte ab Mitte der 70er Jahre die Erforschung der<br />

fragilen Stelle vorangetrieben werden. Vor allem die Ar<strong>bei</strong>tsgruppe um TURNER trug in<br />

den Jahren 1972-1975 zur Aufklärung des Fragilen-X Syndroms <strong>bei</strong>. Es stellte sich je-<br />

doch heraus, dass die fragile Stelle am X-Chromosom nicht immer nachgewiesen wer-<br />

den konnte. 1977 gelang es SUTHERLAND die besonderen Bedingungen zur Darstellung<br />

der Brüchigkeit am X-Chromosom zu erforschen. Er stellte fest, dass unter Verwendung<br />

eines folsäurearmen Mediums die fragile Stelle <strong>bei</strong> betroffenen Männern zuverlässig<br />

aufgezeigt werden konnte. 1982 wies man <strong>bei</strong> den noch lebenden Familienangehörigen<br />

des Martin-Bell-Stammbaumes das Fragile-X Syndrom zytoge<strong>net</strong>isch nach und bestä-<br />

tigte somit die damaligen Beobachtungen (vgl. Froster, 1997, 26f; Hagedorn-Greiwe,<br />

1998, 12). Dennoch gab es keinen wirklich sicheren Nachweis, da minimale Abwei-<br />

chungen in der Zusammensetzung des Kulturmediums reichten, um zu falschen Aussa-<br />

gen über das Vorliegen des Syndroms zu gelangen (vgl. Froster, 1997, 28). Deshalb war<br />

die Forschung auch weiterhin bemüht, neue und eindeutige Nachweismethoden zu fin-<br />

den.<br />

1992 gelang es drei unabhängig voneinander forschenden Ar<strong>bei</strong>tsgruppen genauere Un-<br />

tersuchungen im Bereich des Genortes, der für das Fragile-X Syndrom verantwortlich<br />

ist, zu analysieren. Ab diesem Zeitpunkt konnte eine spezifische Veränderung des<br />

FMR1 Gens (fragile X mental retardtion gene 1) durch molekularge<strong>net</strong>ische Methoden<br />

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Das Fragile-X Syndrom 29<br />

aufgezeigt werden. Mit Hilfe dieser Untersuchungen können Genveränderungen diag-<br />

nostiziert und Überträgerinnen und Überträger des Fragilen-X Syndroms nachgewiesen<br />

werden (vgl. Froster, 1997, 29; Dittmann, 1998, 231).<br />

4.1.3 Häufigkeit<br />

Das Fragile-X Syndrom ist die zweithäufigste ge<strong>net</strong>isch bedingte Ursache für geistige<br />

Behinderung nach dem Down-Syndrom. Wird der Faktor der Vererbung betrachtet,<br />

kann man sogar von der häufigsten Ursache für geistige Behinderung sprechen. Das<br />

Syndrom liegt nach ZANKL/SCHORDERET (2001) <strong>bei</strong> 2-3% aller Fälle geistiger Behinde-<br />

rung vor (vgl. Zankl/Schorderet, 2001). Die Häufigkeitsangaben schwanken und sollen<br />

auf Angaben von fünf AutorInnen beschränkt werden. Die angegebenen Daten erheben<br />

keine Anspruch auf Vollständigkeit.<br />

ZANKL/SCHORDERET (2001) schätzen eine Prävalenz von<br />

1:1200 <strong>bei</strong>m männlichen Geschlecht und<br />

1:2500 <strong>bei</strong>m weiblichen Geschlecht (vgl. ebd.).<br />

DITTMANN (1998) bezieht sich auf die AMERICAN ACADEMY OF PEDIATRICS und spricht<br />

von einer Häufigkeit von<br />

1:1.250 bis 1:2.500 <strong>bei</strong> Jungen und<br />

1:1.600 bis 1:5.000 <strong>bei</strong> Mädchen.<br />

Er räumt jedoch ein, dass sich die meisten Angaben auf ein Verhältnis von 1:1.000 bis<br />

1:2.000/2.600 beziehen (vgl. Dittmann, 1998, 233).<br />

Die INTERESSENGEMEINSCHAFT FRAGILES-X E.V. (2000) beruft sich auf Literatur und<br />

nennt Angaben von<br />

1:1.250 bis 1:6500 für Jungen.<br />

Jungen sind zweimal häufiger betroffen als Mädchen. Außerdem zeigen betroffene Jun-<br />

gen schwerere Symptome als betroffene Mädchen. Diese <strong>bei</strong>den Effekte – größere Häu-<br />

figkeit und schwerere Symptome – sind auf den X-chromosomalen Erbgang des Fragi-<br />

len-X Syndroms zurückzuführen (vgl. Hantke, 2000a, 1).<br />

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Das Fragile-X Syndrom 30<br />

In der englischsprachigen Literatur von SPIRIDIGLIOZZI ET AL. (1994) wird eine Häufig-<br />

keit von<br />

1:1000 für männliche Personen und<br />

1:500 für weibliche Personen angenommen<br />

(vgl. Spiridigliozzi et al., 1994, 4).<br />

SARIMSKI (1997) greift auf Daten von THAKE ET AL. zurück und gibt eine Häufigkeit<br />

von<br />

1:2000 bis 1:5000 <strong>bei</strong> neugeborenen Kindern an.<br />

SARIMSKI (1997) nimmt jedoch an, dass die reale Anzahl viel höher einzuschätzen ist,<br />

da viele Personen mit Fragilem-X Syndrom noch nicht diagnostiziert sind. Er stützt sich<br />

da<strong>bei</strong> auf Screening-Untersuchungen von THAKE ET AL. (1987) in Institutionen für<br />

Menschen mit Behinderung, <strong>bei</strong> denen <strong>bei</strong> 8 Prozent der Personen mit einer Behinde-<br />

rung unbekannter Ursache das Fragile-X Syndrom nachgewiesen werden konnte. Des-<br />

wegen geht er davon aus, dass auch an Schulen für Lern- und Geistigbehinderte <strong>bei</strong> ei-<br />

ner großen Zahl der SchülerInnen mit einer Behinderung unbekannter Ätiologie diese<br />

Genmutation aufgezeigt werden kann.<br />

Es muß daher angenommen werden, daß sich unter denjenigen Schülern an Lern-<br />

und Geistigbehindertenschulen, die als Kinder mit „mentaler Behinderung unbekannter<br />

Genese“ bisher nicht befriedigend diagnostiziert wurden, eine große Zahl<br />

bisher unbekannter Jungen und Mädchen mit fra(X)-Syndrom befindet (Sarimski,<br />

1994, 202).<br />

4.2 Ge<strong>net</strong>ik und Vererbung<br />

Biologische Zusammenhänge des Fragilen-X Syndroms können erst verstanden werden,<br />

wenn ge<strong>net</strong>ische Grundlagen geklärt sind. Dazu gehören allgemeine Angaben über<br />

Chromosomen, Ausführungen zu Geschlechtschromosomen sowie eine Aufzählung von<br />

Faktoren, welche eine Behinderung hervorrufen können. Molekularge<strong>net</strong>ische Erklä-<br />

rungen ermöglichen, die Ursache des Syndroms zu verstehen und Schlussfolgerungen<br />

über unterschiedliche Formen des Gendefekts und deren Ausprägungen zu ziehen. Als<br />

abschließender Punkt wird das Vererbungsschema des Fragilen-X Syndroms vorgestellt<br />

und auf Besonderheiten hingewiesen.<br />

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Das Fragile-X Syndrom 31<br />

4.1.2 Ge<strong>net</strong>ische Grundlagen<br />

In den Chromosomen des menschlichen Zellkerns liegt die ge<strong>net</strong>ische Information ver-<br />

borgen. Ein Chromosom besteht aus Desoxyribonukleinsäure (DNA) und Proteinen. Die<br />

DNA setzt sich aus den vier verschiedenen Basen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin<br />

zusammen. Einen Abschnitt auf der DNA bezeich<strong>net</strong> man als Gen. Ein Gen enthält die<br />

Information zum Aufbau eines Proteins, das für die Ausprägung eines bestimmten<br />

Merkmals verantwortlich ist. 60 000 bis 100 000 Gene bilden das menschliche Genom.<br />

Das ge<strong>net</strong>ische Material wird an die Nachkommen weitervererbt. Es verändert sich<br />

normalerweise nicht, es wird nur jeweils neu zusammengestellt. Im Normalfall besitzt<br />

jede Zelle 46 homologe Chromosomen, die sich <strong>bei</strong> der Befruchtung aus 23 Chromo-<br />

somen der Mutter und 23 Chromosomen des Vaters zusammensetzen. Man unterschei-<br />

det zwischen Autosomen (Körperchromosomen), wovon jede menschliche Zelle 22<br />

gleiche Paare besitzt, und Gonosomen (Geschlechtschromosomen), wovon jeder Zell-<br />

kern nur ein Paar aufweist. Die Gonosomen unterteilt man in das X- und das Y-<br />

Chromosom, die sich in Größe und Aufbau unterscheiden. Die weiblichen Gonosomen<br />

bestehen aus zwei X-Chromosomen, die männlichen Gonosomen setzen sich aus einem<br />

X- und einem Y-Chromosom zusammen (vgl. Goebell, 1995, 20; 26). Das menschliche<br />

Y-Chromosom ist zwei Drittel kleiner als das X-Chromosom und „…scheint, abgesehen<br />

von seiner Bedeutung für die Bestimmung des männlichen Geschlechts, ge<strong>net</strong>isch nicht<br />

aktiv zu sein“ (Hantke, 2000a, 6).<br />

Die meisten Gene, die auf dem X-Chromosom liegen, finden auf dem Y-Chromosom<br />

kein identisches Gegenstück (vgl. Hantke, 2000a, 6). Bestimmte Behinderungen, die auf<br />

Genveränderungen des X-Chromosoms zurückzuführen sind, führen <strong>bei</strong> Männern eher<br />

zu Ausprägungen als <strong>bei</strong> Frauen (vgl. Neuhäuser, 1999, 144). Diese werden als »ge-<br />

schlechtsbezogene Behinderungen« (vgl. Dittmann, 1998, 230) bezeich<strong>net</strong>. Damit lässt<br />

sich auch das auffällige Geschlechtsverhältnis innerhalb der Gruppe, die als geistig be-<br />

hindert beschrieben werden, erklären. Es gleicht nicht der üblichen Verteilung <strong>bei</strong><br />

Nichtbehinderten, da das männliche Geschlecht im Verhältnis erheblich höher vertreten<br />

ist, als das weibliche. Es entspricht laut DITTMANN einer Aufteilung von m : w = 55-60 :<br />

45-40 Prozent (vgl. a.a.O., 229).<br />

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Das Fragile-X Syndrom 32<br />

Veränderungen des Erbmaterials werden durch Mutationen hervorgerufen. Sie lassen<br />

sich in drei Gruppen unterteilen:<br />

1. Numerische Chromosomenaberrationen (Veränderungen der Chromosomenzahl,<br />

z.B. Trisomie 21 - Down-Syndrom),<br />

2. Strukturelle Chromosomenmutationen (Veränderung der Struktur des Chromo-<br />

soms, z.B. Monosomie 5p - Katzenschrei-Syndrom) und<br />

3. Genmutationen (Veränderung eines Gens, z.B. Fragiles-X Syndrom)<br />

(vgl. Goebell, 1995, 20).<br />

4.2.2 Molekularge<strong>net</strong>ische Erklärungen<br />

Mit Hilfe von molekularge<strong>net</strong>ischen Untersuchungen kann eine spezifische Verände-<br />

rung des FMR 1 Gens, das sich auf dem langen Arm des X-Chromosoms (Region<br />

xq27.3) befindet, nachgewiesen werden. Diese ist für die Ausprägen des Fragilen-X<br />

Syndroms verantwortlich. Bei der Veränderung handelt es sich um eine vor dem FMR 1<br />

Gen erhöhte Wiederholung (Repeats) des Basentripletts CGG. Bei Menschen mit un-<br />

verändertem Genmaterial liegen die CGG Repeats zwischen fünf und 40 (vgl. Sarimski,<br />

1997, 114; Hantke, 2000a, 2).<br />

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Abbildung 2: Schematische Darstellung eines X-Chromosoms.<br />

Quelle: Froster, 1997, 29.


Das Fragile-X Syndrom 33<br />

Bei verändertem Genmaterial unterscheidet man zwischen Formen, die eine Grauzone<br />

darstellen, Prämutationen, Vollmutationen und einigen Mosaikformen.<br />

Der Bereich von 40 bis 60 Wiederholungen wird als Grauzone bezeich<strong>net</strong> (vgl. Hantke,<br />

2000a, 2).<br />

Bei 60 bis 200 CGG Repeats spricht man von einer Prämutation, die phänotypisch nicht<br />

zum Tragen kommt und keinen Einfluss auf die geistige Entwicklung hat. Personen mit<br />

dieser Form gelten als Überträger des Fragilen-X Syndroms (vgl. Hantke, 2000a, 2;<br />

Sarimski, 1997, 114; Hagedorn-Greiwe, 1998, 12).<br />

Laut aktuellem Forschungsstand gilt, dass sich die Anzahl der Repeats nur <strong>bei</strong> einer<br />

Weitergabe mütterlicherseits verändert. Das heißt, dass das Risiko einer Geburt eines<br />

vom Fragilem-X Syndrom betroffenen Kindes <strong>bei</strong> einer Mutter mit einem prämutierten<br />

Gen relativ hoch ist.(vgl. Müller, 1998, 12).<br />

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Prämutation zu einer Vollmutation expandiert, steht<br />

mit der Repeatgröße im Zusammenhang. Von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit spricht<br />

man <strong>bei</strong> 50 bis 100 CGG-Repeats. Bei über 100 Repeats kommt es fast immer zur Aus-<br />

bildung des Fragilen-X Syndroms (vgl. a.a.O., 13). „Ein klinisch gesunder Vater mit<br />

einer Prämutation, hat … nach derzeitigem Ermessen kein merkliches Risiko, daß eine<br />

Tochter ein Fragiles-X-Syndrom haben könnte“ (a.a.O., 12).<br />

Mehr als 200, in Extremfällen weit über 1000 Basentripletts, führen zum „Abschalten“<br />

des FMR 1 Gens. Diese Form wird als Vollmutation bezeich<strong>net</strong>. Die erhöhte Anzahl der<br />

Wiederholungen führt zur Brüchigkeit des Chromosoms an dieser Stelle. Da<strong>bei</strong> handelt<br />

es sich aber um keinen echten Bruch, sondern um eine Unterbrechung der normalen<br />

Chromosomenstruktur, die erst unter dem Mikroskop erkennbar wird (vgl. Hantke,<br />

2000a, 2f.; Sarimski, 1997, 114).<br />

Die Ausprägung des Fragilen-X Syndroms steht mit der Anzahl der Basentriplettwie-<br />

derholungen in keinem Zusammenhang. Das Gen wird laut MÜLLER <strong>bei</strong> 1500 Wieder-<br />

holungen ebenso abgeschaltet, wie <strong>bei</strong> einer Größe von 900. Der klinische Verlauf ist<br />

von der Funktion des FMR 1 Gens abhängig. Bei einer sehr kleinen Vollmutation kann<br />

ein geringer Teil an X-Chromosomen noch aktiv sein. Dieser Teil übernimmt „Rest-<br />

funktionen“, die die Ausprägung des Fragilen-X Syndroms mildern können.(vgl. Mül-<br />

ler, 1998, 13).<br />

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Das Fragile-X Syndrom 34<br />

Mit der molekularge<strong>net</strong>ischen Analyse des FMR 1 Gens ab 1991 erkannte man, dass<br />

neben den erhöhten CGG Repeats der Grad der Methylisierung für eine Inaktivierung<br />

des Gens verantwortlich ist. Durch die Anlagerung von Methylgruppen kann das FMR 1<br />

Gen nicht abgelesen und das von ihm produzierte Protein (FMRP) nicht aufgebaut wer-<br />

den. Dieses Protein gleicht in seinem Aufbau keinem anderen, weshalb sich seine mög-<br />

liche Aufgabe nicht bestimmen lässt. Man weiß jedoch, dass Hirnzellen das FMRP her-<br />

stellen und vermutet eine Beteiligung des Proteins an der Ausreifung des Nervensys-<br />

tems. Des Weiteren fand man heraus, dass FMRP mRNS (Messenger Ribonukleinsäure)<br />

binden kann. „Die mRNS ist wesentlich an der „Übersetzung“ (Translatation[sic]) des<br />

ge<strong>net</strong>ischen Codes der DNS zur Produktion von Proteinen beteiligt“ (Hantke, 2000a, 3).<br />

Eine Vollmutation führt <strong>bei</strong> Jungen immer zum Vollbild des Fragilen-X Syndroms.<br />

Mädchen, die ein gesundes und ein mutiertes X-Chromosom besitzen, zeigen in 30%<br />

der Fälle klinische Auffälligkeiten. „Die Ursache hierfür ist nicht sicher bekannt. Es<br />

werden Zusammenhänge mit der Inaktivierung eines X-Chromosoms gesehen“ (Hage-<br />

dorn-Greiwe, 1998, 13). Da <strong>bei</strong> Mädchen nur ein X-Chromosom ge<strong>net</strong>isch aktiv ist,<br />

zeigen sich <strong>bei</strong> einer Inaktivierung des gesunden Geschlechtschromosoms die typischen<br />

Symptome. Bei Inaktivierung des mutierten Chromosoms zeigen sich keine Auffällig-<br />

keiten. Welches X-Chromosom aktiviert ist, wird zufällig bestimmt (vgl. ebd.).<br />

Von Mosaikformen spricht man, wenn in einem Teil der Zellen vollmutierte und im<br />

anderen Teil prämutierte FMR 1 Gene nachgewiesen werden können. Darüber lassen<br />

sich die unterschiedlichen Schweregrade der Behinderung erklären, die auf das Verhält-<br />

nis von prämutierten FMR 1 Genen, die das FMRP produzieren können, und<br />

vollmutierten Genen zurückzuführen sind. Eine genauere Beschreibung dieser Form ist<br />

aufgrund fehlender Forschungsergebnisse noch nicht möglich (vgl. Sarimski, 1997, 114;<br />

Scholle, 1998, 4).<br />

In seltenen Fällen wird das Fragile-X Syndrom nicht durch eine molekularge<strong>net</strong>ische<br />

Veränderung, d.h. eine Prä- bzw. Vollmutation, hervorgerufen. Die Betroffenen zeigen<br />

jedoch die phänotypischen Merkmale, wie Personen mit den bereits beschriebenen For-<br />

men. In diesen Fällen liegt die Ursache für das Fragile-X Syndrom in einer Deletion<br />

oder Punktmutation (vgl. Hagedorn-Greiwe, 1998, 13).<br />

Von Deletion spricht man, wenn ein Gen oder Teile davon fehlen. Speziell für das Fra-<br />

gile-X Syndrom bedeutet das, das Fehlen des gesamte FMR 1 Gen oder Teilen davon.<br />

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Das Fragile-X Syndrom 35<br />

Der Verlust kann durch eine Vollmutation und einer daraus resultierenden extremen<br />

Instabilität des Genabschnitts hervorgerufen worden sein. In einigen Fällen ist eine<br />

Genveränderung auch auf ein zufälliges Ereignis <strong>bei</strong> der Zellteilung zurückzuführen<br />

(vgl. Müller, 1998, 13).<br />

Punktmutationen sind laut MÜLLER (1998) „…ganz seltene kleine Druckfehler inner-<br />

halb des FMR-1 Genes [sic]…“ (ebd.). Diese Genveränderung kann durchaus das Voll-<br />

bild des Fragilen-X Syndroms hervorrufen (vgl. a.a.O., 12f.).<br />

4.2.3 Vererbung<br />

Das Fragile-X Syndrom wird X-chromosomal rezessiv vererbt, folgt aber nicht dem<br />

klassischen Schema. Es zeich<strong>net</strong> sich durch einige Besonderheiten aus. Um diese erläu-<br />

tern zu können, soll zuvor kurz die klassisch X-chromosomal rezessive Vererbung er-<br />

klärt werden.<br />

Der Begriff »rezessiv« bedeutet, dass das Gen nur dann phänotypisch zum Tragen<br />

kommt, wenn <strong>bei</strong>de Chromosomen des Chromosomenpaars betroffen sind.<br />

»X-chromosomal« bezieht sich auf das Geschlechtschromosom X, welches Frauen<br />

(XX) zweimal und Männer (XY) nur einmal besitzen. Weibliche Nachkommen sind <strong>bei</strong><br />

einem X-chromosomalen rezessiven Erbgang nur phänotypisch betroffen, wenn <strong>bei</strong>de<br />

X-Chromosomen eine Mutation <strong>bei</strong>nhalten. Liegt eine Veränderung auf nur einem X-<br />

Chromosom vor, so kann eine Frau die Ausprägung der Genveränderung durch ihr<br />

zweites gesundes X-Chromosom kompensieren. Diese Frau stellt allerdings eine Über-<br />

trägerin des veränderten Gens dar. Weil Männer nur ein X-Chromosom besitzen, prägt<br />

sich <strong>bei</strong> ihnen ein mutiertes Gen, welches rezessiv vererbt wird, immer phänotypisch<br />

aus (vgl. Goebell, 1995, 21f.).<br />

Bei der Vererbung des Fragilen-X Syndroms zeigen sich zwei Besonderheiten:<br />

- Männer können ebenfalls Überträger des Fragilen-X Syndroms sein, obwohl sie<br />

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phänotypisch unauffällig sind. Ausschlaggebend dafür ist, dass das veränderte<br />

X-Chromosom in der Form einer Prämutation vorliegt, die nicht zur Erkrankung<br />

führt. Laut Angaben von BLACK „…zeigen…20% der Genträger keine Auswir-<br />

kungen“ (a.a.O., 23). Es können jedoch keine genauen Angaben über betroffene


Das Fragile-X Syndrom 36<br />

Männer gemacht werden, da diese aufgrund ihres unauffälligen Phänotyps selten<br />

auf einen Überträgerstatus geprüft werden.<br />

- Männer mit einem prämutierten X-Chromosom geben dieses an alle ihre Töchter<br />

weiter, die nicht erkranken, aber Überträgerinnen werden. Ca. 30 Prozent dieser<br />

Überträgerinnen können Symptome, wie Lernschwäche oder Minderbegabung<br />

zeigen (vgl. Hantke, 2000a, 9).<br />

Man geht davon aus, dass das Fragile-X Syndrom möglicherweise nur als Prämutation<br />

an die Nachkommen weitergegeben wird, weil in den Eizellen und Spermien von Be-<br />

troffenen ausschließlich Prämutationen nachgewiesen werden konnten. Demnach wird<br />

erst durch ein Ereignis nach der Befruchtung (post-zygotisch) aus einer Prä- eine Voll-<br />

mutation, d.h. durch ein plötzliches Anwachsen des Basentripletts CGG entsteht eine<br />

Vollmutation mit phänotypischen Auffälligkeiten (vgl. Goebell, 1995, 23f.).<br />

Das Vererbungsmodell des Fragilen-X Syndroms zeigt, dass eine Prämutation „…eine<br />

Generation über weibliche Überträger durchlaufen muß, bevor es zur Ausprägung ge-<br />

langt“ (a.a.O., 24). Liegt <strong>bei</strong> einer Person eine Vollmutation vor, muss die Mutter im-<br />

mer den Status einer Überträgerin haben.<br />

Aufgrund der verschiedenen Formen des Fragilen-X Syndroms mit z.T. phänotypisch<br />

unauffälligen oder geringfügigen Symptomen wird eine gesicherte und rechtzeitige<br />

Feststellung des Syndroms erschwert. Ge<strong>net</strong>ische Veränderungen des X-Chromosoms<br />

können über mehrere Generationen verborgen bleiben und erst <strong>bei</strong> einem Nachkommen<br />

mit einer Vollmutation entdeckt werden. Dieser Effekt wird auch als SHERMAN – PARA-<br />

DOX bezeich<strong>net</strong>. Das bedeutet, dass die Ausprägung des Fragilen-X Syndroms in den<br />

Brüdern und Enkeln eines männlichen Überträgers unterschiedlich sind, obwohl die<br />

Mütter dieser <strong>bei</strong>den Generationen Überträgerinnen und somit phänotypisch gleich sind.<br />

Brüder eines männlichen Überträgers weisen das Syndrom zu 18% und Enkel zu 74%<br />

auf (vgl. a.a.O., 21ff., Hantke, 2000a, 10ff.)<br />

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Das Fragile-X Syndrom 37<br />

Abbildung 3: Besonderheiten <strong>bei</strong> der Vererbung des Fragilen-X Syndroms.<br />

Ein phänotypisch unauffälliger Mann ist Überträger des Syndroms (M2a und M2b). Das<br />

Syndrom prägt sich erst nach dem Überspringen einer Generation weiblicher Überträger<br />

voll aus (M2b � W3d � W4, M4c und M2a � W3a � M4a bzw. M2a � W3b � M4b).<br />

Sherman Paradox (unterschiedliche Ausprägung des Syndroms von der zweiten zur vierten<br />

Generation, M2 Prämutation, M4 Vollmutation). Quelle: Hantke, 2000a, 10.<br />

4.3 Symptome<br />

Personen mit Fragilem-X Syndrom (in Vollmutation) zeigen oft einige (typische) Sym-<br />

ptome. Diese lassen sich nach HANTKE (2000) in folgende Untergruppen gliedern: kör-<br />

perliche Merkmale, Entwicklungsverzögerung/mentale Retardierung in verschiedenen<br />

Ausprägungen und Verhaltensauffälligkeiten (vgl. Hantke, 2000c, 97 ).<br />

Die genannten Merkmale können einen Hinweis auf das Fragile-X Syndrom geben, sie<br />

sind aber nicht verpflichtend. Das heißt, dass das Vorliegen bzw. das Fehlen einzelner<br />

oder aller Merkmale das Fragile-X Syndrom nicht eindeutig belegt bzw. ausschließt<br />

(vgl. Hantke, 2000a, 11).<br />

Einige AutorInnen wie z.B. SPIRIDIGLIOZZI ET AL. (1994) beziehen sich in ihren Ausfüh-<br />

rungen nur auf Jungen mit Fragilem-X Syndrom. Mögliche Gründe können in der höhe-<br />

ren Häufigkeit und der schwereren Symptomatik <strong>bei</strong> Jungen liegen. Die aufgeführten<br />

Symptome können ebenso <strong>bei</strong> Mädchen auftreten. Besonderheiten und Ausmaß werden<br />

zu einem späteren Zeitpunkt genauer thematisiert.<br />

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Das Fragile-X Syndrom 38<br />

4.3.1 Körperliche Merkmale<br />

Die Anzahl der körperlichen Merkmale variiert je nach Individuum. Es treten jedoch<br />

immer wieder „syndromspezifische Stigmata“ (Dittmann, 1998, 235) auf, die ein mögli-<br />

ches Indiz für das Fragile-X Syndrom darstellen. Dazu gehören:<br />

- ein erhöhtes Geburtsgewicht,<br />

- <strong>bei</strong> Säuglingen ein vergrößerter Kopfumfang, der Umfang des Kopfes liegt spä-<br />

ter (im Laufe der Entwicklung) im Normbereich,<br />

- eine längliche Gesichtsform mit breitem Kinn, großen, häufig abstehenden<br />

Ohren und gelegentlichen Ohrmuschelfehlbildungen,<br />

- ein schwacher Muskeltonus (Hypotonie),<br />

- überstreckbare Gelenke,<br />

- ein vergrößertes Hodenvolumen (Makrochie), oft schon vor der Pubertät,<br />

- Plattfüße,<br />

- Hautleisten- und Hautfurchenbesonderheiten sowie<br />

- eine Neigung zu Anfällen <strong>bei</strong> 10 bis 20% der Jungen, die sich auf eine Hirnfunk-<br />

tionsstörung aufgrund von neurologisch nachgewiesenen Symptomen begründen<br />

lässt (vgl. a.a.O., 234f.; Neuhäuser, 1999, 144; Hantke, 2000a, 11; Spiridigliozzi<br />

et al., 1994, 5).<br />

4.3.2 Charakteristiken der Entwicklungsverzögerung / mentale Retardierung<br />

Beim Vorliegen einer Vollmutation erkennen die Eltern bereits sehr früh, dass die Ge-<br />

samtentwicklung ihres Kindes deutlich verzögert abläuft. Zu den Bereichen, in denen<br />

typische Symptome des Fragilen-X Syndroms beobachtet werden können, gehören die<br />

Wahrnehmung, die Kognition einschließlich Formen geistiger Behinderung, die Ent-<br />

wicklung der Sprache und die Motorik.<br />

4.3.2.1 Wahrnehmung<br />

Jungen mit Fragilem-X Syndrom neigen zu taktiler Abwehr. Sie begegnen Berührungen<br />

mit Abweisungen und abwehrenden Verhaltensweisen. Taktile Tätigkeiten wie im<br />

Sandspielen und Gestalten mit Fingermalfarben lehnen sie ab. Einige reagieren sehr<br />

sensibel auf Licht und Geräusche, in diesem Fall spricht man von sensorischer Abwehr.<br />

Aufgrund von Gleichgewichtsstörungen bevorzugen es Jungen mit Fragilem-X Syn-<br />

drom mit <strong>bei</strong>den Beinen auf dem Boden zu stehen. Damit lässt sich auch begründen,<br />

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Das Fragile-X Syndrom 39<br />

warum diese Kinder Angst haben, sich an hohen Plätzen, wie z.B. auf dem Kletterge-<br />

rüst, aufzuhalten. Ferner haben Jungen mit Fragilem-X Syndrom Probleme, wichtige<br />

und unwichtige sensorische Information zu unterscheiden, z.B. den verbalen Ausfüh-<br />

rungen der Lehrkraft folgen, wenn gleichzeitig ein Ventilator läuft (vgl. Spiridigliozzi et<br />

al., 1994, 6).<br />

4.3.2.2 Kognition<br />

Die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten unterliegt laut SARIMSKI (1997) starken<br />

Differenzen, von leichter bis schwerer Behinderung (vgl. Sarimski, 1997, 115). Beim<br />

Fragilen-X Syndrom liegt eine sogenannte decellierte Entwicklung vor.<br />

Dies bedeutet, in den ersten Monaten/Jahren ist eine gute mentale Entwicklung zu<br />

beobachten, die dann jedoch, anders als <strong>bei</strong> einem normalen mentalen Verlauf, auf<br />

einem relativ niedrigen Entwicklungslevel stagniert (Hantke, 2000b, 4).<br />

SARIMSKI (1997) kommentiert von u.a. den Autoren HODAPP ET AL (1990) und FISCH ET<br />

AL. Verlaufsbeobachtungen über Jugendliche mit Fragilem-X Syndrom. Diese Studien<br />

belegen, dass sich ab dem 15. Lebensjahr das Entwicklungstempo gegenüber dem Kin-<br />

desalter verlangsamt. Die Autoren zeigen, dass die Testwerte um 5-6 IQ-Werte statis-<br />

tisch signifikant abfallen. Aus diesem niedrigen Wert ergibt sich eine entsprechend<br />

niedrige Relevanz für die Praxis (vgl. Sarimski, 1997, 116). Laut DITTMANN (1998)<br />

liegt eine „…vermeintliche Minderung des Intelligenzquotienten…" (Hantke, 2000b, 4)<br />

bereits ab dem 10. bis 12. Lebensjahr vor. DITTMANN spricht von einem „vermeintli-<br />

chen“ Abfall der Intelligenz, da organische Schäden ausgeschlossen werden können.<br />

Gründe lassen sich auf testspezifische Faktoren zurückführen. Der Aufbau von Intelli-<br />

genztests sieht mit zunehmenden Alter verhältnismäßig mehr Aufgaben vor, die<br />

abstraktes Denken und die Fähigkeit zum Problemlösen untersuchen. Diese steigenden<br />

Intelligenzansprüche können von Betroffenen mit Fragilem-X Syndrom aufgrund der<br />

stagnierenden mentalen Entwicklung nicht gelöst werden. Die Testergebnisse fallen<br />

niedriger aus, was somit zu einer angeblichen Minderung des IQ führt. Prinzipiell sind<br />

Vergleichsaussagen von Intelligenztests aufgrund ihrer unterschiedlichen Aufgaben-<br />

struktur und der unterschiedlichen Altersgruppen fragwürdig (vgl. ebd.; Sarimski,<br />

1997,116).<br />

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Das Fragile-X Syndrom 40<br />

Personen mit Fragilem-X Syndrom zeigen in ihrer kognitiven Entwicklung besondere<br />

Stärken und Schwächen.<br />

Zu den Stärken gehören u.a.:<br />

- Aufgaben, die den Wortschatz bzw. den Wortschatzumfang betreffen,<br />

- Anforderungen, <strong>bei</strong> denen die Lesefertigkeit gefragt ist,<br />

- visuelle Zuordnung von Bildern,<br />

- stark ausgeprägtes Langzeitgedächtnis, z.B. <strong>bei</strong>m Wiedererkennen von Bildern,<br />

- starke visuelle Gedächtnisfähigkeiten, z.B. können Jungen mit Fragilem-X Syn-<br />

drom den Weg zu einem bestimmen Ort beschreiben, auch wenn sie diesen nur<br />

einmal aufgesucht haben,<br />

- Informationen simultan (gleichzeitig) zu verar<strong>bei</strong>ten, im Gegensatz zu sequen-<br />

tiell (aufeinanderfolgend),<br />

- gute Nachahmungsfähigkeit im Bereich der Sprache (Da unerwünschte Wörter<br />

und Sätze ebenfalls nachgeahmt werden, sind gute verbale Vorbilder notwen-<br />

dig.) (vgl. a.a.O., 116f.; Spiridigliozzi et al., 1994, 7; Hantke, 2000b, 4).<br />

Im kognitiven Profil werden <strong>bei</strong> Personen mit Fragilem-X Syndrom folgende Punkte als<br />

Schwächen angegeben:<br />

- Fertigkeiten <strong>bei</strong> Denk- und Problemlösungen,<br />

- Aufgaben, die abstraktes Denken erfordern,<br />

- in ad-hoc-Situationen zu antworten,<br />

- höhere sprachliche Funktionen,<br />

- Aufgaben, die mathematisches Denken und Rechnen erfordern,<br />

- Kurzzeitgedächtnis,<br />

- Zahlengedächtnis,<br />

- Aufgaben, die motorische und feinmotorische Fertigkeiten betonen, z.B. Ausfül-<br />

len von Ar<strong>bei</strong>tsblättern, Abschreiben von der Tafel),<br />

- Anforderungen, die konzentrierte Aufmerksamkeit verlangen,<br />

- Aufgaben, die sequentielle Verar<strong>bei</strong>tungsprozesse verlangen, z.B. Nachahmen<br />

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von Handbewegungen (vgl. a.a.O., 5; Spiridigliozzi et al., 1994, 7f.; Sarimski,<br />

1997, 117f).


Das Fragile-X Syndrom 41<br />

Das Vorliegen einer geistigen Behinderung ist <strong>bei</strong> einer Vollmutation des FMR 1 Gens<br />

häufig, aber nicht zwingend. „Vielfach sind alle Intelligenzleistungen deutlich gemin-<br />

dert, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß“ (Neuhäuser, 1999, 144). Laut einer Stu-<br />

die von WILSON ET AL. (1994) sind ca. 80% der Jungen und 20% der Mädchen mit Fra-<br />

gilem-X Syndrom geistig behindert (vgl. Goebell, 1995, 37f.).<br />

HANTKE (2000) betont, dass die Beobachtung der kindlichen Entwicklung durch die<br />

Eltern auf der einen Seite eine Selbstverständlichkeit auf der anderen Seite Vorausset-<br />

zung für gegebenenfalls weitere Untersuchungen ist.<br />

Mögliche Beobachtungen sind z.B.:<br />

- Desinteresse des Kindes an Umwelteindrücken,<br />

- Fehlen jeglicher kindlicher Neugier,<br />

- fehlende oder eingeschränkte Empfänglichkeit für optische, akustische und sen-<br />

sorische Reize sowie<br />

- erhebliche grob- und feinmotorische Defizite (vgl. Hantke, 2000a, 12).<br />

4.3.2.3 Sprechvermögen und Sprache<br />

Ein weiteres häufiges Indiz zeigt sich in einer stark verminderten oder verzögerten<br />

Sprachentwicklung. Auch hier können die Ausprägungen sehr unterschiedlich sein. Wie<br />

bereits erwähnt, zählt der Bereich des Wortschatzes zu den kognitiven Stärken einer<br />

Person mit Fragilem-X Syndrom. Da<strong>bei</strong> muss man allerdings zwischen einem gut aus-<br />

gebauten Sprachverständnis und Schwierigkeiten in der Artikulation unterscheiden.<br />

Vielfach stellt das Verstehen eines Inhaltes eine relative Stärke dar, die Beantwortung<br />

einer direkten Frage ist jedoch mit Schwierigkeiten verbunden. Aufgrund der vermin-<br />

derten Artikulationsfähigkeit verwenden Betroffene häufig nur wenige Worte in ein-<br />

fachster Satzbildung (3-Wort-Satz).<br />

Kinder und Jugendliche mit Fragilem-X Syndrom ahmen oft das nach, was sie hören.<br />

Aus diesem Grund profitieren sie vom Zusammensein mit anderen, die gute Sprachfer-<br />

tigkeiten besitzen. Dem gegenüber können sie mit „zuviel“ Sprache auch überfordert<br />

werden. Deswegen sollten verbale Anweisungen kurz und präzise gestaltet sein.<br />

SARIMSKI (1997) charakterisiert besondere Sprech- und Sprachmerkmale, wie<br />

- Artikulationsprobleme, z.B. Schwierigkeiten <strong>bei</strong> der Verkettung unterschiedli-<br />

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cher Silben,


Das Fragile-X Syndrom 42<br />

- Auffälligkeiten des Tempos, u.a. Schnelligkeit und ungleichmäßiger Rhythmus<br />

und<br />

- Impulsivität der Äußerungen (vgl. Sarimski, 1997, 119).<br />

Insgesamt spricht man ab dem Schulalter von einer polternden Sprechweise (vgl. ebd.).<br />

Innerhalb der verminderten/verzögerten Sprachentwicklung zeigt sich ein spezielles<br />

Symptom: die Echolalie. Diese äußert sich durch das Wiederholen von Worten und Sät-<br />

zen, die der Betroffene von Familienmitgliedern aber auch im übertragenen Sinn aus<br />

dem Radio, Fernsehen usw. hört.<br />

Einige Betroffene tendieren zu verbalen Perseverationen. Sie wiederholen dasselbe<br />

Wort bzw. denselben Satz, dasselbe Thema, was nicht mit Echolalie zu verwechseln ist.<br />

Bei der Echolalie wird gerade Gehörtes wiederholt. Verbale Perseverationen beziehen<br />

sich immer auf dieselben verbalen Äußerungen (vgl. a.a.O., 119f.; Hantke, 2000a, 11f.;<br />

Spiridigliozzi et al., 1994, 6f).<br />

20% aller Kinder mit Fragilem-X Syndrom vermeiden den Blickkontakt, wenn sie di-<br />

rekt angesprochen werden. (vgl. Sarimski, 1997, 120). COHEN ET AL. (1989) fanden <strong>bei</strong><br />

minutiösen Analysen heraus, dass diese Kinder den Gesprächspartner sehr wohl<br />

wahrnehmen. Sie schauen ihn allerdings nur an, wenn dieser wegschaut. „Es wirkt, als<br />

ob der direkte Blickkontakt für sie unangenehm sei …“ (ebd.).<br />

4.3.3 Verhaltensmuster<br />

Personen mit Fragilem-X Syndrom beobachten und speichern gleichbleibende Abläufe<br />

sehr gut. Diese Fähigkeit ermöglicht ihnen ein Lernen durch praktisches Nachahmen.<br />

Ihre lebenspraktische Selbstständigkeit ist gut ausgeprägt. Diese Eigenschaften kommen<br />

ihnen <strong>bei</strong> der sozialen Integration zu Nutzen. Es muss jedoch beachtet werden, dass die<br />

sozial-adaptiven Fähigkeiten bis zum zehnten Lebensjahr stetig zunehmen und danach<br />

stagnieren. Es bildet sich ein sogenanntes Entwicklungsplateau, wie ich es bereits im<br />

Kapitel „Kognition“ (Kap. 4.3.2.2) erläutert habe. Aufgaben der Pädagogen, Eltern u.a.<br />

sind deshalb die Aufrechterhaltung der sozialen Fähigkeiten, um eine größtmögliche<br />

Integration im Freizeit- und Ar<strong>bei</strong>tsbereich zu gewährleisten (vgl. Sarimski, 1997,<br />

121f.).<br />

Nach den Erfahrungen betroffener Eltern sind Verhaltensauffälligkeiten, die mit<br />

dem Fragilen-X Syndrom in Zusammenhang gebracht werden, diesem Defekt eher<br />

zuzuordnen als körperliche Merkmale (Hantke, 2000a, 11).<br />

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Das Fragile-X Syndrom 43<br />

Dieses Zitat belegt die Bedeutung, sich mit Verhaltensauffälligkeiten auseinander zu-<br />

setzen. Auch <strong>bei</strong> den Verhaltensauffälligkeiten gilt eine variable und individuelle Aus-<br />

prägung der Symptome. Kennzeichen sind u.a.:<br />

- extreme Hyperaktivität, wie z.B. auf der Stelle hüpfen, zielloses hin- und herlau-<br />

fen und zappeln,<br />

- geringe Konzentrationsfähigkeit,<br />

- ungewöhnliche Handbewegungen, wie Handwedeln oder in die Hände klat-<br />

schen,<br />

- Aggressivität gegenüber anderen und sich selbst, z.B. Schlagen und Hand<strong>bei</strong>ßen,<br />

- extreme Angstzustände, vorwiegend in ungewohnten (Stress-) Situationen bzw.<br />

Wut oder andere Verhaltensprobleme <strong>bei</strong> unterwarteten Ereignissen,<br />

- soziale Scheu, z.B. Vermeiden von direktem Blickkontakt,<br />

- Perseverationen, d.h. beharrliche Wiederholungen von Bewegungen oder<br />

sprachlichen Äußerungen,<br />

- aufgrund geringer sozialer Fähigkeiten, Probleme Freundschaften einzugehen<br />

und zu bewahren (vgl. a.a.O., 11f.; Sarimski, 1997, 121ff.; Spiridigliozzi et al.,<br />

1994, 5).<br />

Äußerungen, die im Zusammenhang mit Autismus stehen, variieren je nach AutorInnen.<br />

SCHOLLE (1998) [die sich auf Angaben der Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V. be-<br />

zieht] und NEUHÄUSER (1999) vertreten die Meinung, dass eine kleine Minderheit von<br />

Betroffenen autistische Symptome zeigt. Kennzeichen sind u.a.:<br />

- mangelnder Blickkontakt,<br />

- Neigung zu Bewegungsstereotypien,<br />

- autoaggressive Handlungen,<br />

- sprachliche Perseveration,<br />

- Hyperaktivität,<br />

- Unachtsamkeit auf Schmerzen und Gefahren und<br />

- extreme Reaktionen auf Veränderungen der Umgebung oder von Abläufen (vgl.<br />

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Scholle, 1998, 10; Neuhäuser, 1999, 144).


Das Fragile-X Syndrom 44<br />

SPIRIDIGLIOZZI ET AL. (1994) meinen, dass „…eine Verbindung zwischen dem Fragilen-<br />

X-Syndrom und Verhaltenszügen, die man häufig <strong>bei</strong> Personen mit Autismus sieht“<br />

(Spiridigliozzi et al., 1994, 5) besteht. Die AutorInnen geben an, dass bis zu 16% der<br />

männlichen Autisten das Fragile-X Syndrom aufweisen. Die Angaben variieren aller-<br />

dings zwischen fünf und 54% (vgl. ebd.).<br />

4.3.4 Mädchen mit Fragilem-X Syndrom<br />

Ungefähr ein Drittel der Genträgerinnen sind [sic] geistigbehindert oder lernbehindert,<br />

ein Drittel ist nichtbehindert, hat aber Schwierigkeiten im mathematischen Bereich<br />

und weist Aufmerksamkeitsdefizite auf, und ein weiteres Drittel zeigt keine<br />

Auswirkung der fra(X)-Mutation … (Goebell, 1995, 42).<br />

Weibliche Personen mit einer Vollmutation des Fragilen-X Syndroms haben im Schnitt<br />

weniger Probleme als männliche. Im Bereich der kognitiven Entwicklung weisen sie<br />

ähnliche Stärken und Schwächen wie Jungen auf (vgl. Sarimski, 1997, 18). Überträge-<br />

rinnen können auf der einen Seite Intelligenzminderungen und auffallende Gesichtszüge<br />

aufweisen, auf der anderen Seite können aber auch keine Merkmale des Fragilen-X<br />

Syndroms beobachtet werden (vgl. Neuhäuser, 1999, 145). Aus diesem Grund sind viele<br />

bis heute nicht diagnostiziert (vgl. Spiridigliozzi et al., 1994, 8).<br />

Die Ausprägung des Fragilen-X Syndroms beschränkt sich <strong>bei</strong> Einzelnen auf geringe<br />

Verhaltens- und soziale Probleme, wie z.B. Schüchternheit. Bei anderen zeigen sich<br />

charakteristische Merkmale wie Lern- und Verhaltensprobleme.<br />

Erste Auffälligkeiten, die von vielen Eltern bestätigt werden, sind <strong>bei</strong> betroffenen Mäd-<br />

chen Defizite im mathematischen Bereich sowie Probleme <strong>bei</strong> Aufgaben, die ein räum-<br />

liches Verständnis erfordern. Rechenschwächen stellen nicht die einzigen schulischen<br />

Probleme dar. Hinzu kommen u.a. Schwierigkeiten im Deutschunterricht – hier vor al-<br />

lem <strong>bei</strong> der Rechtschreibung und <strong>bei</strong> der Gestaltung von Aufsätzen – und <strong>bei</strong> den<br />

Fremdsprachen – hier besonders in der Grammatik.<br />

Weitere Verhaltensmerkmale sind Konzentrationsstörungen oder Mangel an Aufmerk-<br />

samkeit, Schwierigkeiten <strong>bei</strong> feinmotorischen Anforderungen sowie leichte Sprech- und<br />

Sprachauffälligkeiten. Außerdem können <strong>bei</strong> einigen Mädchen Hyperaktivität und/oder<br />

autistische Verhaltensweisen oder depressive Symptome nachgewiesen werden (vgl.<br />

a.a.O., 5ff.; Hantke, 2000a, 11).<br />

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Das Fragile-X Syndrom 45<br />

4.4 Identifikation und Diagnostik<br />

Das Fragile-X Syndrom kann von Nichtmedizinern, wie Eltern und PädagogInnen iden-<br />

tifiziert und von Medizinern mit verschiedenen Methoden diagnostiziert werden.<br />

In diesem Abschnitt wird u.a. beschrieben, welche Möglichkeiten medizinischen Laien<br />

zur Verfügung stehen, Auffälligkeiten zu erkennen oder einen Verdacht auf das Vorlie-<br />

gen des Syndroms zu äußern. Die medizinischen Nachweismethoden gliedern sich in<br />

prä- und postnatale Diagnostik. Unter pränataler Diagnostik versteht man den Nachweis<br />

ge<strong>net</strong>ischer Defekte am Ungeborenen. Eine Übersicht zu den pränatalen Untersu-<br />

chungsmethoden von MÜLLER (2000) wird verschiedene Verfahren näher erläutern. Die<br />

postnatale Diagnostik <strong>bei</strong>nhaltet Methoden, die nach der Geburt eingesetzt werden, um<br />

das Syndrom nachzuweisen. Dafür stehen einerseits ge<strong>net</strong>ische Untersuchungen (zyto-<br />

ge<strong>net</strong>isch, molekularge<strong>net</strong>isch) zur Verfügung, andererseits kann auch in einigen Fällen<br />

mit Hilfe eines Eiweißtests eine Diagnose bestätigt werden. Eine Übersicht zu den<br />

postnatalen Untersuchungsmethoden von MÜLLER (2000) wird einen Vergleich der Ver-<br />

fahren ermöglichen.<br />

4.4.1 Identifikation - Anamnese »Score«<br />

Unter Identifikation versteht man das Erkennen von Auffälligkeiten durch Bezugsper-<br />

sonen bzw. das Äußern eines Verdachts auf ein mögliches Vorliegen des Fragilen-X<br />

Syndroms durch PädagogInnen und BetreuerInnen aufgrund von Beobachtungen (vgl.<br />

Brothaus, 2000, 39 ; Hantke, 20001, 13).<br />

Der „schwierigste“ und deshalb auch wichtigste Teil der Diagnostik des Fragilen-X<br />

Syndroms ist die Erkennung von Auffälligkeiten durch Bezugspersonen, z.B. Eltern,<br />

Verwandte, Kindertagestätten-Betreuer, und behandelnde Ärzte (Hantke,<br />

2000a, 13).<br />

Zu diesen Auffälligkeiten zählen die bereits beschriebenen Symptome wie körperliche<br />

Merkmale, Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen (vgl. ebd.). Das<br />

Beobachten charakteristischer Merkmale kann ein Indiz für das Vorhandensein des Fra-<br />

gilen-X Syndroms sein. Dieser Verdacht sollte immer durch medizinische Methoden<br />

geprüft werden. HANTKE (2000) vertritt die Meinung, dass eine frühzeitige Diagnose<br />

hilft, die Entwicklung des Kindes durch individuelle Therapiemaßnahmen zu unterstüt-<br />

zen (vgl. ebd.).<br />

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Das Fragile-X Syndrom 46<br />

Da medizinische Nachweismethoden zeit- und kostenintensiv sind, sollte <strong>bei</strong> Verdacht<br />

auf das Fragile-X Syndrom an erster Stelle immer eine sorgfältige und fundierte Anam-<br />

nese stehen (vgl. Hantke, 2000c, 98; Krämer, 2000, 9). Um diese Erhebung zu unter-<br />

stützen, entwickelte 1996 eine amerikanische Ar<strong>bei</strong>tsgruppe einen einfachen »Score«<br />

(Tabelle 1). Darunter versteht man eine Tabelle, in der sechs klinische Charakteristiken<br />

des Fragilen-X Syndroms aufgeführt sind. Das Vorhandensein der verschiedenen Sym-<br />

ptome wird mit null bis zwei Punkten bewertet und zusammengezählt. (vgl. Hantke,<br />

2000a, 19; Müller, 1999, 12).<br />

Score<br />

Kriterium 0 1 2<br />

Mentale Retardierung IQ > 85 IQ 70 – 85 IQ < 70<br />

positive Familienanamnese<br />

1<br />

keine Frau(en) in der mütterlichen<br />

Linie mit<br />

psychiatrischen<br />

Auffälligkeiten<br />

X-gebundene mentale<br />

Retardierung in<br />

der mütterlichen<br />

Linie<br />

„verlängertes“ Gesicht nicht vorhanden angedeutet vorhanden<br />

große oder abstehende<br />

Ohren<br />

fehlendes Konzentrationsvermögen,<br />

Hyperaktivität<br />

autistische Verhaltensweisen<br />

2<br />

nicht vorhanden angedeutet vorhanden<br />

nicht vorhanden Hyperaktivität Vollbild<br />

nicht vorhanden nur eine typische<br />

Verhaltensweise<br />

mehrere typische<br />

Verhaltensweisen<br />

1 positive Familienanamnese für mentale Retardierung und/oder psychiatrischen Erkrankungen<br />

2 z.B. sich wiederholende Sprache (Perseverationen), Händeklatschen, fehlender Augenkontakt,<br />

Berührungsangst<br />

Tabelle 1: Scoring-System für das Fragile-X Syndrom (nach: The Journal of Pediatrics, Oct. 96,<br />

p. 611 – 614). Quelle: Hantke, 2000a, 19.<br />

Die Aussagekraft des »Score« ist laut HANTKE (2000) „relativ zuverlässig“ (ebd.). Die<br />

amerikanische Ar<strong>bei</strong>tsgruppe stellte <strong>bei</strong> der Entwicklung dieser Tabelle fest, dass alle<br />

Personen mit Fragilem-X Syndrom mindestens fünf Punkte (im Durchschnitt acht) auf-<br />

wiesen. Sie konnten ebenfalls aufzeigen, dass 60 Prozent der Personen, die kein Fragi-<br />

les-X Syndrom hatten, nur vier oder weniger Punkte hatten. Aus diesem Grund wird die<br />

Richtzahl fünf als Hinweis zur weiterführenden Diagnostik mit molekularge<strong>net</strong>ischen<br />

Methoden angesehen (vgl. ebd.; Müller, 1999, 12).<br />

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Das Fragile-X Syndrom 47<br />

In den vergangnen Jahren konnte das Fragile-X Syndrom konnte <strong>bei</strong> betroffenen Kin-<br />

dern im Durchschnitt deutlich früher diagnostiziert werden. Das Alter der Diagnosestel-<br />

lung liegt zur Zeit in der Spanne vom 1. bis zum 3. Lebensjahr (vgl. Krämer, 2000, 9).<br />

Mögliche Gründe liegen in der steigenden Anzahl von Publikationen und in der Ent-<br />

wicklung der medizinischen Möglichkeiten.<br />

4.4.2 Diagnostik<br />

Die Diagnose bezeich<strong>net</strong> den medizinischen Weg, mit deren Hilfe das Fragile-X Syn-<br />

drom nachgewiesen werden kann. Dafür stehen pränatale und postnatale Methoden zur<br />

Verfügung, die im Folgenden näher beschrieben werden sollen.<br />

4.4.2.1 Pränatale Diagnostik<br />

Die Methoden der pränatalen Diagnostik, besonders der pränatalen Präimplantationsdi-<br />

agnostik, weisen sowohl Vor- als auch Nachteile auf. Sie ermöglichen <strong>bei</strong>m Vorliegen<br />

ses Überträgerstatus eines Elternteils, d.h. dem Vorliegen einer Prämutation, den Nach-<br />

weis, ob an das Ungeborene der ge<strong>net</strong>ische Defekt des Fragilen-X Syndroms vererbt<br />

wird (vgl. Hantke, 2000c, 98).<br />

Skeptiker befürchten durch den Einsatz pränataler Diagnostik u.a. einen Selektionsmechanismus.<br />

Gleichwohl soll und muss jeder Familie das Recht auf Selbstbestimmung<br />

und Entscheidungsfreiheit auch in dieser Frage zugebilligt werden<br />

(ebd.).<br />

Wenn nach einer gründlichen Anamnese der Verdacht besteht bzw. wenn bekannt ist,<br />

dass <strong>bei</strong> der Frau eine Prämutation vorliegt, können ihr pränatale diagnostische Tests<br />

angeboten werden (vgl. Hagedorn-Greiwe, 1998, 13). Diese Methoden können eine<br />

Veränderung des Genmaterials bestätigen oder entlasten. Die Bestätigung eines Ver-<br />

dachts kann zum einen dazu führen, dass sich die Frau (die Familie) bewusst auf ein<br />

Kind mit besonderen Bedürfnissen einstellt und Vorbereitungen trifft. Auf der anderen<br />

Seite kann das Vorliegen des Fragilen-X Syndroms <strong>bei</strong>m Ungeborenen einen Schwan-<br />

gerschaftsabbruch zur Folge haben. Wie das oben angeführte Zitat von Hantke (2000)<br />

belegt, liegt die Entscheidung <strong>bei</strong> jeder Familie selbst.<br />

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Das Fragile-X Syndrom 48<br />

Zu den pränatalen Untersuchungsmethoden des Fragilen-X Syndroms gehören laut<br />

MÜLLER (2000) u.a.:<br />

- Chorionzottenbiopsie,<br />

- Amniocentese,<br />

- Fetalblutentnahme,<br />

- Präimplantationsdiagnostik und<br />

- Präfertilisationsdiagnostik<br />

(vgl. Krämer, 2000, 10).<br />

In der folgenden Übersicht von MÜLLER (2000) (vgl. Tabelle 2) werden die genannten<br />

Verfahren näher erläutert.<br />

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Das Fragile-X Syndrom 49<br />

Verfahren<br />

…<br />

Übersicht zu den pränatalen Untersuchungsmethoden des Fragilen-X Syndroms (nach A. MÜLLER (2000))<br />

Untersuchungs<br />

zeitpunkt<br />

Untersuchungsebene<br />

Chorionzottenbiopsie 11./12. SSW Zellen aus kindlichem<br />

Anteil des<br />

Mutterkuchens<br />

…<br />

Amniocentese 14.-16. SSW kindliche Zellen<br />

im Fruchtwasser<br />

…<br />

Fetalblutentnahme<br />

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ab ca. 20.<br />

SSW<br />

kindliche Blutzellen<br />

aus Nabelschnur<br />

Untersuchungsziel Ergebnis-Dauer Relevanz<br />

<strong>bei</strong> Fra-X<br />

Ausschluss von Chromosomenstörungen,<br />

Nachweis erblicher Veränderungen<br />

an DNA oder auf Proteinebene<br />

Ausschluss von Chromosomenstörungen,<br />

Nachweis erblicher Veränderungen<br />

an DNA oder auf Proteinebene<br />

Ausschluss von Chromosomen-<br />

störungen, Nachweis erblicher Veränderungen<br />

an DNA oder auf<br />

Proteinebene<br />

1 Woche (Chromosomen)<br />

1-3 Wochen<br />

(DNA)<br />

2 Woche (Chromosomen)<br />

3-5 Wochen<br />

(DNA)<br />

1 Woche (Chromosomen)<br />

+++<br />

+<br />

Untersuchungs-<br />

risiko<br />

0,5-1%<br />

0,3-0,5%<br />

(+) 3-5%


Das Fragile-X Syndrom 50<br />

Verfahren<br />

Präimplantantationsdiagnostik <br />

Präfertilisationsdiagnostik <br />

Untersuchungszeitpunkt<br />

3 Tage nach<br />

der in vitro<br />

Befruchtung<br />

zum Zeitpunkt<br />

der in vitro<br />

Befruchtung<br />

noch vor der<br />

Verschmelzung<br />

der Kerne<br />

von Samen und<br />

Eizelle<br />

Untersuchungs-<br />

ebene<br />

1-2 embryonale<br />

Zellen<br />

1. Pollkörperchen,<br />

evtl. 2. Pollkörperchen<br />

Untersuchungsziel Ergebnis-Dauer Relevanz<br />

<strong>bei</strong> Fra-X<br />

bekannte familiäre Chromosomenveränderungen<br />

oder ge<strong>net</strong>ische<br />

Veränderungen<br />

bekannte familiäre Chromosomenveränderungen<br />

oder ge<strong>net</strong>ische<br />

Veränderungen<br />

Nur <strong>bei</strong> der Mutter vorhandene<br />

Veränderungen können untersucht<br />

werden!!<br />

Untersuchungs-<br />

risiko<br />

ca. 1 Tag ++ 90%/Embryo<br />

80%/zurückversetztem<br />

Embryo<br />

Restrisiko!<br />

ca. 1 Tag + > 90%/gewonnener<br />

Eizelle,<br />

80%/zurückversetztem<br />

Embryo<br />

Restrisiko!<br />

Die Präimplantationsdiagnostik ist in Deutschland derzeit juristisch nicht erlaubt. Die hohen Zahlen unter der Rubrik „Untersuchungsrisiko“<br />

erklären sich daraus, dass natürlicherweise nur ein kleiner Teil gewonnener Embryonen zurückgesetzt werden kann und von diesem wiederum<br />

nur ein kleiner Teil auch anwächst. Daraus leitet sich ein durchschnittlich relativ hoher Aufwand für die Frau ab, bis es zu einer fortbestehenden<br />

Schwangerschaft kommt. Unter „Restrisiko“ versteht man, die in der aufwendigen Untersuchung begründete Sorge, der Untersuchungsbefund<br />

könnte in einem sehr seltenen Fall auch fehlerhaft sein, so dass immer noch eine bestätigende Pränataldiagnostik empfohlen wird. […]<br />

(Krämer, 2000, 10) [Hervorhebung im Original].<br />

Tabelle 2: Übersicht pränatale Untersuchungsmethoden des Fragilen-X Syndroms nach A. Müller. Quelle: Krämer, 2000, 10.<br />

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Das Fragile-X Syndrom 51<br />

Postnatale Diagnostik<br />

Postnatale (nachgeburtliche) Untersuchungsmethoden differenzieren sich noch einmal<br />

in ge<strong>net</strong>ische Diagnostikverfahren (zytoge<strong>net</strong>ische, molekularge<strong>net</strong>ische) und in eine<br />

Nachweismethode mit Hilfe eines Eiweißtests.<br />

Ge<strong>net</strong>ische Diagnostik<br />

Die medizinische Ursache des Fragilen-X Syndroms kann durch zwei verschiedene<br />

Tests ge<strong>net</strong>isch nachgewiesen werden. Dazu zählt zum einen die zytoge<strong>net</strong>ische Diag-<br />

nose und zum anderen die molekularge<strong>net</strong>ische Diagnose.<br />

Die zytoge<strong>net</strong>ische Untersuchung ist eine rein beschreibende Diagnostik. Sie liefert kei-<br />

ne Aussagen über den „Auslösemechanismus“ (Müller, 1998, 12) des Fragilen-X Syn-<br />

droms. Die brüchige Stelle des X-Chromosoms kann durch eine besondere Färbung und<br />

Kultivierung der Zellen in einem folsäurefreien Medium unter dem Mikroskop sichtbar<br />

gemacht werden. Aus diesem Grund spricht man <strong>bei</strong> diesem Verfahren auch von Chro-<br />

mosomenanalyse oder Chromosomendarstellung (vgl. Goebell, 1995, 31; Hagedorn-<br />

Greiwe, 1998, 12).<br />

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Abbildung 4: Chromosomen in zytoge<strong>net</strong>ischer Darstellung. Der Pfeil<br />

kennzeich<strong>net</strong> das Fragile X-Chromosom. Quelle: Froster, 1997, 99.


Das Fragile-X Syndrom 52<br />

Zytoge<strong>net</strong>ische Untersuchungen laufen nach folgendem Muster ab:<br />

- Blutentnahme, <strong>bei</strong> der spezielle Bedingungen eingehalten werden müssen,<br />

- Analyse der Chromosomen in einem folsäurearmen Medium,<br />

- mikroskopische Auswertung der zytoge<strong>net</strong>ischen Präparate und<br />

- Nachweis der Genmutation in einigen Zellen (vgl. Hantke, 2000a, 20).<br />

Die Chromosomenanalyse stellt eine sehr aufwendige Methode dar. Sie liefert <strong>bei</strong><br />

unauffälligen Anlageträgerinnen keine sicheren Ergebnisse. Die Ursache dafür liegt in<br />

der Inaktivierung eines der <strong>bei</strong>den X-Chromosomen der Frau (vgl. a.a.O., 19). Ist das<br />

genveränderte X-Chromosom nicht aktiviert, kann kein bzw. nur sehr selten ein zytoge-<br />

<strong>net</strong>ischer Nachweis über die Abweichung des Chromosoms erbracht werden (vgl. Krä-<br />

mer, 2000, 8). Heute wird diese Methode selten zur Bestätigung eines Verdachtes<br />

angewendet, da molekularge<strong>net</strong>ische Untersuchungsmethoden aussagekräftiger und<br />

weniger aufwendig sind (vgl. ebd.). Mit Hilfe der zytoge<strong>net</strong>ischen Diagnostik können<br />

andere chromosomale Abweichungen nachgewiesen werden (vgl. Hantke, 2000a, 20).<br />

Sie findet z.B. <strong>bei</strong> einer nicht eindeutigen Verdachtsdiagnose, also <strong>bei</strong>m Vorliegen einer<br />

geistigen Behinderung unklarer Ursache oder einem Fehlbildungskomplex unbekannter<br />

Genese Anwendung (vgl. Krämer, 2000, 8).<br />

Molekularge<strong>net</strong>ische Untersuchungen wurden erst Anfang der neunziger Jahre mit der<br />

Entdeckung des FMR 1 Gens möglich. Ab diesem Zeitpunkt konnte man die spezifi-<br />

schen molekularge<strong>net</strong>ischen Veränderungen, die das fragile-X Syndrom hervorrufen,<br />

nachweisen (vgl. Hagedorn-Greiwe, 1998, 12).<br />

Folgende Methoden gehören in den Bereich der Molekularge<strong>net</strong>ik:<br />

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o Southern-Blot: „direkter Nachweis der CGG-Repeatexpansionen … durch<br />

gezieltes Zerschneiden der DNA, Auftrennung der Fragmente nach der<br />

Größe und spezifisches Anfärben der Fragmente, die das Repeat enthalten“<br />

(nach A. Müller in Krämer, 2000, 9) und<br />

o PCR-Methodik (Polymerase-Chain-Reaction = Polymerase-Kettenreaktion):<br />

Vermehrung und Untersuchung von geringen DNA-Mengen (vgl. Krämer,<br />

2000, 8).


Das Fragile-X Syndrom 53<br />

Heute stellen diese Untersuchungen die gängigsten und aussagekräftigsten Methoden<br />

zur Erkennung des Fragilen-X Syndroms dar. Molekularge<strong>net</strong>ische Untersuchungsme-<br />

thoden geben zum einen Aufschluss über die ge<strong>net</strong>ische Veränderung von Betroffenen,<br />

zum anderen dienen sie der frühzeitigen Abklärung eines Überträgerstatus von Famili-<br />

enangehörigen. Der Nachweis von Prämutationen stellt einen entscheidenden Vorteil<br />

gegenüber der zytoge<strong>net</strong>ischen Untersuchung dar. Des Weiteren können mit dieser<br />

Methode Aussagen über den Methylisierungsgrad gemacht werden. KRÄMER (2000)<br />

fasst die Vorteile der molekularge<strong>net</strong>ischen Untersuchungen wie folgt zusammen:<br />

Außer der zuverlässigen Bestätigung der X-chromosomalen Veränderung mit einer<br />

Angabe der CGG-Repeat-Anzahl, können mit diesen Methoden auch weitergehende<br />

Aussagen, wie z.B. des Methylisierungsgrades in der fraglichen Region ermittelt<br />

werden (Krämer, 2000, 8).<br />

Nach der Entwicklung und Anwendung molekularge<strong>net</strong>ischer Untersuchungsmethoden<br />

musste man die Angaben zur Häufigkeit des Fragilen-X Syndroms verringern. Man<br />

hatte festgestellt, dass <strong>bei</strong> einigen Personen zwar eine brüchige Stelle am langen Arm<br />

des X-Chromosoms existiert, dass die Wiederholungen des Basentrippletts CGG aber<br />

im normalen Bereich liegen. Daraus ergibt sich heute laut MÜLLER (1998) eine Häufig-<br />

keit von 1:1500-2500 für Jungen und Männer (vgl. Müller, 1998, 12).<br />

Eiweißtest<br />

1995 entwickelte die Abteilung klinische Ge<strong>net</strong>ik der Akademischen Klinik Rotterdam<br />

unter der Leitung von Dr. WILLEMSEN „…einen diagnostischen Test …, womit die<br />

An- oder Abwesenheit von FMRP in Blutzellen nachgewiesen werden kann“ (Willem-<br />

sen, 1999, 10). FMRP ist das vom FMR 1 Gen produzierte Protein. Je nachdem, ob das<br />

FMR 1 Gen an- oder abgeschaltet ist, befindet sich in den Zellen FMRP. Mit Hilfe des<br />

Eiweißtests kann das Vorhandensein bzw. das Nichtvorhandensein des Proteins über-<br />

prüft werden. In diesem Test wird die Folge des ge<strong>net</strong>ischen Defekts untersucht, nicht<br />

die ge<strong>net</strong>ische Veränderung selbst (vgl. Krämer, 2000, 9). Für diesen Test ist eine Blut-<br />

entnahme erforderlich. Zellen, die das FMRP enthalten, nehmen eine rote Farbe an, Zel-<br />

len ohne FMRP bleiben farblos.<br />

Als ein Nachteil des Eiweißtests und auch der DNA-Tests ist die Blutabnahme zu nen-<br />

nen, der viele Personen, besonders Kinder mit ängstlich gegenüber stehen.. Ein weiterer<br />

Nachteil ist, dass mit dieser Untersuchungsmethode nur Männer mit Fragilem-X Syn-<br />

drom aufgespürt werden können (vgl. Willemsen, 1999, 10).<br />

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Das Fragile-X Syndrom 54<br />

Aus den genannten Gründen suchten die Mitar<strong>bei</strong>ter der Klinik nach einem anderen<br />

Weg, den Eiweißtest durchzuführen. Sie fanden heraus, dass dies durch einen Haarwur-<br />

zeltest ersetzt werden kann.<br />

Haarwurzeln haben die Vorteile, dass<br />

- sie leicht zu bekommen sind,<br />

- sie durch nicht medizinisches Personal gewonnen werden können,<br />

- es keine Nachblutungen gibt,<br />

- sie per Post an das Laboratorium geschickt werden können und<br />

- dass sie aus einer Mutterzelle bestehen, die denselben embryonalen<br />

Ursprung haben, wie die Nervenzellen des Gehirns (vgl. Willemsen, 1999,<br />

10).<br />

Nachteilig am (neuen) Eiweißtest ist, dass können nur Männern und Frauen mit Fragi-<br />

lem-X Syndrom mit einer Vollmutation diagnostiziert werden. Da nur <strong>bei</strong> einer Vollmu-<br />

tation das FMR 1 Gen abgeschaltet und damit kein FMRP gebildet wird, <strong>bei</strong> einer Prä-<br />

mutation das Protein des FMR 1 Gens jedoch noch produziert wird, kann mit einem<br />

Eiweißtest immer nur eine Vollmutation nachgewiesen werden. (vgl. a.a.O., 11; Krä-<br />

mer, 2000, 9).<br />

Die postnatalen Untersuchungen können mit einer Übersicht von A. MÜLLER (2000)<br />

wie folgt gegenübergestellt werden (vgl. Tabelle 3):<br />

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Das Fragile-X Syndrom 55<br />

Übersicht zu den postnatale Untersuchungsmethoden des Fragilen-X Syndroms (nach A. MÜLLER(2000))<br />

Cytoge<strong>net</strong>ik [sic] (Chromosomenanalyse) Molekularge<strong>net</strong>ik (Southern-Blot / PCR) Nachweis der Proteinexpression<br />

Prinzip Nachweis der brüchigen Stelle im Bereich<br />

Xq27.3 unter besonderen Zellkulturbedingungen<br />

Vorteile • Untersuchung geht über Fra-X-<br />

Diagnostik hinaus<br />

Nachteile • nicht so spezifisch (FraXA-FraXE)<br />

[„mildere“ Formen, K.S.]<br />

• Prämutationen werden nicht erkannt<br />

• zeitaufwendig<br />

• Seltenere [sic] molekulare Defekte werden<br />

nicht dargestellt<br />

direkter Nachweis der CGG-Repeatexpansionen,<br />

teilweise auch der Deletionen<br />

durch gezieltes Zerschneiden der DNA, Auftrennen<br />

der Fragmente nach der Größe und<br />

spezifisches Anfärben der Fragmente, die das<br />

Repeat enthalten (Southern-Blot)<br />

spezifische, selektive, extreme Vermehrung<br />

eines kleinen DNA-Abschnittes, der den<br />

Repeat enthält (PCR)<br />

• Repeatexpansionen und viele Deletionen<br />

werden erkannt<br />

• Prämutationsträger werden erfasst<br />

• Methylierungsmuster kann untersucht<br />

werden<br />

• relativ aufwendige Technik<br />

• zeitaufwendig<br />

• nur bedingte Rückschlüsse auf die Genexpression<br />

möglich<br />

direkter Nachweis der Proteinexpression<br />

• kosteneffizient<br />

• zeitsparend<br />

• verschiedene Gewebe können getestet<br />

werden<br />

• auch andere molekulare Defekte werden<br />

teilweise erfasst<br />

• Prämutationsträger werden nicht erfasst<br />

Tabelle 3: Übersicht zu den Untersuchungsmethoden der postnatalen Diagnose des Fragilen-X Syndroms (nach A. Müller). Quelle: Krämer, 2000, 9.<br />

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Das Fragile-X Syndrom 56<br />

4.5 Medizinische, therapeutische und pädagogische Maßnahmen<br />

Bei der Planung von Interventionsmaßnahmen sind bestimmte Haupteigenschaften von<br />

Kindern und Jugendlichen mit Fragilem-X Syndrom zu beachten, die zuerst noch ein-<br />

mal erwähnt werden sollen. Einzelne Interventionsmöglichkeiten aus den Bereichen<br />

Medizin, Therapie und Pädagogik folgen den Darstellungen.<br />

Das Fragile-X Syndrom kann gegenwärtig noch nicht ursächlich geheilt werden. Es<br />

besteht die Möglichkeit, bestimmte Symptome durch gezielte medizinische Maßnah-<br />

men, Therapien und pädagogische Förderungen zu behandeln (vgl. Hantke, 2000c, 99).<br />

Dazu ist jedoch ein multidisziplinäres Vorgehen notwendig (vgl. Hagerman, 1997, 46).<br />

Die unterschiedlichen Ansätze der Medizin, Therapie und Pädagogik können sich ge-<br />

genseitig beeinflussen, wie im folgenden Beispiel konstruiert werden soll. Eine medi-<br />

kamentöse Behandlung eines Kindes kann sich positiv auf die Konzentrationsfähigkeit<br />

auswirken. Ein konzentrierteres Verhalten <strong>bei</strong>m Lernen ermöglicht höhere Fortschritte<br />

im schulischen Bereich. Medizin und Pädagogik stehen in einem synergistischen<br />

Verhältnis (vgl. ebd.).<br />

HANTKE (2000) betont, dass jede Intervention nach den individuellen Fähigkeiten und<br />

Bedürfnissen der/s Betroffenen ausgewählt und durchgeführt werden muss. Es soll<br />

weiterhin darauf geachtet werden, dass die Maßnahme keine Überforderung darstellt,<br />

denn auch hier gilt „Klasse statt Masse“ (Hantke, 2000c, 99). Er weist darauf hin, dass<br />

jede Therapie oder Handlung, die die betroffene Person in ihrer Selbstbestätigung be-<br />

stärkt, die positivsten Fortschritte zeigt (vgl. ebd.).<br />

Um die Interventionsmaßnahmen besser verstehen zu können, sollen zu Beginn charak-<br />

teristische Merkmale von Personen mit Fragilem-X Syndrom überblicksmäßig genannt<br />

werden. Da<strong>bei</strong> greife ich auf Ausführungen von GOEBELL (1995) zurück, der sich<br />

wiederum auf SCHARFENAKER, HICKMANN und BRADEN (1991)bezieht. Folgende<br />

Eigenschaften kennzeichnen Personen mit Fragilem-X Syndrom:<br />

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- Hypersensitivität auf visuelle, auditive, olfaktorische und taktile Reize,<br />

- Schwierigkeiten <strong>bei</strong> der Bewegungsplanung und Sequenzierung,<br />

- Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität und Impulsivität,<br />

- Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Übergang von einer Aktivität zur nächsten,<br />

- Schwierigkeiten <strong>bei</strong> sozialer Interaktion,<br />

- Kommunikationsschwierigkeiten: Perseveration von Phrasen, Sätzen und<br />

Themen und<br />

- kognitive Defizite im Bereich der geistigen Behinderung oder Lernbehinderung<br />

(Goebell, 1995, 64).


Das Fragile-X Syndrom 57<br />

4.5.1 Medizinische Maßnahmen<br />

In diesem Abschnitt sollen medizinische Maßnahmen zur Behandlung des Fragilen-X<br />

Syndroms vorgestellt werden. Dazu werden zum einen die Form der medikamentösen<br />

Therapieunterstützungen und zum anderen die Gentherapie erläutert.<br />

4.5.1.1 Medikamentöse Therapieunterstützung<br />

Zur „medikamentösen Therapieunterstützung“ (Hantke, 2000c, 99) gibt es geteilte<br />

Meinungen und kontroverse Diskussionen, die von HANTKE (2000) nicht näher erläutert<br />

werden (vgl. ebd.; Hantke, 2000a, 26).<br />

Gleichwohl gibt es Ansätze und Erfahrungen, wo Medikamente positiven Einfluss<br />

auf einzelne Symptome des Fragilen-X Syndroms auszuüben scheinen und damit<br />

klassische Therapieformen aber auch die pädagogische Erziehung unterstützen<br />

(ebd.).<br />

Mögliche medizinische Maßnahmen möchte ich in Bezug auf HAGERMAN (1997)<br />

nennen und kurz erläutern. HAGERMAN (1997) unterteilt die Behandlung und Therapie-<br />

möglichkeiten <strong>bei</strong> Fragilem-X Syndrom nach Lebensabschnitten in die frühe Kindheit,<br />

das Schulalter und die Adoleszenz (vgl. Hagerman, 1997, 46ff.).<br />

Frühe Kindheit (medizinische Probleme):<br />

- Wiederholte Mittelohrentzündungen werden mit Antibiotika behandelt.<br />

- Ein gastroösophagealer Reflux, (Gaster = anat. Magen, Ösophagus = anat. Spei-<br />

seröhre, Reflux = lat. Rückfluss; vgl. Pschyrembel, 1998, 548; 1779; 1356),<br />

führt zu wiederholtem Erbrechen. Daraus folgende Maßnahmen sind im Vera-<br />

breichen von dickflüssiger oder fester Nahrung und dem Aufsetzen des Kindes<br />

nach den Mahlzeiten zu schlussfolgern. Gelegentlich ist eine medikamentöse<br />

Behandlung, sehr selten eine chirurgische Behandlung notwendig.<br />

- Aufgrund einer Bindegewebsschwäche besteht ein erhöhtes Risiko für das Auf-<br />

treten von Hernien (Leistenbrüche) und Gelenkdislokationen (dislocation = engl.<br />

Lageveränderung; vgl. Pschyrembel, 1998, 355).<br />

- Atemstillstand und plötzlicher Kindstod treten mit größerer Häufigkeit auf.<br />

- 15-20 Prozent der Kinder mit Fragilem-X Syndrom haben Krampfanfälle, die<br />

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mit Antiepileptika behandelt werden. Besonders häufig treten Absencen mit<br />

unwillkürlichen Bewegungen von Armen und Beinen oder generalisierte<br />

Krämpfe auf.


Das Fragile-X Syndrom 58<br />

- Bei Stimmungsschwankungen, Wutanfällen und aggressivem Verhalten werden<br />

Stimmungsstabilisatoren verabreicht.<br />

- Bei Schlafstörungen können ebenfalls medikamentöse Mittel eingesetzt werden<br />

(vgl. Hagerman, 1997, 46ff.).<br />

In den frühen achtziger Jahren verabreichten Ärzte als erste (erforschte) Behandlungs-<br />

methode Folsäure. Die Wirksamkeit ist bis heute nicht eindeutig bewiesen. Etwa die<br />

Hälfte aller Eltern, deren Kinder Folsäure einnahmen, waren der Meinung, dass die<br />

Symptome der Hyperaktivität, Verhaltensauffälligkeiten oder Sprachprobleme gemil-<br />

dert wurden (vgl. a.a.O., 48).<br />

Schulalter<br />

Mögliche Probleme während der Schulzeit sind Konzentrationsstörungen und Hyperak-<br />

tivität.<br />

- Stimulierende Medikamente können eine positive Wirkung auf die Aufmerk-<br />

samkeit und die Konzentration ausüben.<br />

- Beruhigende Medikamente dagegen wirken <strong>bei</strong> Überreizung und Hyperaktivität<br />

Adoleszenz<br />

(vgl. a.a.O., 48ff.).<br />

Bei Jugendlichen zeigt sich, dass sich einige Probleme, wie die Hyperaktivität und<br />

Wutanfälle verhindern. Vereinzelt werden die Aggressionen aber gravierender.<br />

- Gemütslabilität, Depressionen, Angstzustände, zwanghaftes Verhalten oder<br />

Panikattacken können mit Stimmungsstabilisatoren behandelt werden.<br />

- Zeigen Stimmungsstabilisatoren keinen Einfluss auf aggressives Verhalten,<br />

können psychische Stabilisatoren (antipsychotische Medikamente) verabreicht<br />

werden (vgl. a.a.O., 50f.).<br />

HANTKE (2000) betont, dass jede Entscheidung zur Einnahme und zur Wahl eines<br />

pharmazeutischen Mittels jedem Einzelnen selbst überlassen werden muss. Da<strong>bei</strong> ist es<br />

ausnahmslos zwingend, sich in eine intensive ärztliche Kontrolle zu begeben (vgl.<br />

Hantke, 2000c, 99).<br />

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Das Fragile-X Syndrom 59<br />

4.5.1.2 Gentherapie<br />

Die Gentherapie ist ein sehr junges Gebiet der Medizin. Mit ihr soll es möglich werden,<br />

Erkrankungen, die nicht oder nur schwer behandelbar sind, zu therapieren. Bei einer<br />

Gentherapie werden Krankheiten durch das Einführen von Genen in den menschlichen<br />

Körper behandelt (vgl. Hantke, 2000a, 27). Bei dieser Form werden Gene in die Kör-<br />

perzellen eingeführt, weshalb man von einer „somatischen Gentherapie“ spricht. Im<br />

Unterschied dazu werden <strong>bei</strong> einer „Keimbahntherapie“ die Erbinformationen, die von<br />

den Eltern auf die Kinder weitervererbt werden, verändert. Gegenwärtig finden aus-<br />

schließlich Forschungen zur somatischen Gentherapie statt (vgl. Hergersberg, 1999, 14).<br />

Medizinische Untersuchungen in Bezug auf eine Gentherapie des Fragilen-X Syndroms<br />

gehen dahin, dass FMR 1 Gen in Körperzellen, z.B. in Gehirnzellen, einzuführen und<br />

somit die Produktion des FMR 1 Proteins zu steigern. Aufgabe medizinischer For-<br />

schungen ist es, die genaue Rolle des FMRP zu analysieren und herauszufinden, inwie-<br />

weit „… sich das Fehlen des FMR1-Proteins auf die Struktur und Funktion von Gehirn-<br />

zellen auswirkt“ (ebd.) (vgl. auch Kap. 4.2.2).<br />

Eine Alternative zur somatischen Gentherapie stellt die Aktivierung von vorhandenen<br />

FMR 1 Genen dar. Da bekannt ist, dass die Methylisierung in Zusammenhang mit der<br />

Ausprägung des Fragilen-X Syndroms steht, gehen die Forschungen dahin, eine Methy-<br />

lisierung des Gens abzuwenden bzw. rückgängig zu machen (vgl. a.a.O., 16).<br />

Zur Zeit werden auf diesem jungen Forschungsgebiet zahlreiche Strategien erprobt, um<br />

Therapiemöglichkeiten zu finden, die auf den Verlauf einer geistigen Behinderung<br />

einwirken. Genaue Angaben über die Entwicklung dieser Therapieform in den nächsten<br />

Jahre sind zur Zeit noch nicht möglich(vgl. a.a.O., 17; Hantke, 2000a, 27).<br />

4.5.2 Therapien<br />

In diesem Abschnitt sollen die verschiedenen Therapieformen Frühförderung, Sprach-<br />

therapie, Sensorische Integrationsbehandlung (Ergotherapie) und Familientherapie vor-<br />

gestellt werden.<br />

4.5.2.1 Frühförderung<br />

Die Frühförderung bietet Unterstützung für Familien mit Kindern bis zu sechs Jahren,<br />

die in ihrer Entwicklung verzögert, von Behinderung bedroht oder behindert sind (vgl.<br />

Brothaus, 2000, 46). Da<strong>bei</strong> versteht sich Frühförderung als ein System, welches ganz-<br />

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Das Fragile-X Syndrom 60<br />

heitlich und interdisziplinär vorgeht. Therapeuten, Pädagogen, Psychologen und Medi-<br />

ziner ar<strong>bei</strong>ten miteinander und bieten Diagnostik, Therapie, pädagogische Förderung<br />

und unterstützende Dienste für die Eltern an (vgl. ebd.). Über allem steht das Anliegen,<br />

„…dem Kind von Anfang an die bestmöglichen Chancen für seine Entwicklung zu ge-<br />

ben“ (Hantke, 2000a, 25).<br />

Wichtige Ziele, <strong>bei</strong> denen immer die individuellen Interessen des Kindes beachtet wer-<br />

den sollten, sind:<br />

- Förderung von Wahrnehmung, Bewegung, Interaktion, Kommunikation und<br />

Sprache[,]<br />

- Vermittlung von Kompensationstechniken[,]<br />

- Entwicklung lebenspraktischer Fähigkeiten[,]<br />

- Unterstützung in der sozialen Entwicklung[,]<br />

- Toleranztraining gegenüber ungewohnten Situationen (Hantke, 2000a, 25).<br />

Da<strong>bei</strong> eingesetzte therapeutische Formen sind u.a. die Sprachtherapie, die sensorische<br />

Integrationstherapie und Krankengymnastik. HANTKE (2000) stellte für die Zeitschrift<br />

KINDERÄRZTLICHE PRAXIS eine Tabelle mit Therapieangeboten zusammen.<br />

Symptom Therapiemöglichkeiten (Beispiele)<br />

muskuläre Hypotonie Krankengymnastik, therapeutisches Reiten, Schwimmen<br />

Hyperaktivität Ergotherapie/SI-Therapie [Sensorische Integrationstherapie,<br />

K.S.], Montessori-Therapie, Yoga<br />

(Auto-) Aggressivität Psychotherapie<br />

Reizunempfindlichkeit (optisch,<br />

akustisch, sensorisch)<br />

SI-Therapie, Musiktherapie, Maltherapie<br />

grob- und feinmotorische Defizite Krankengymnastik, Montessori-Therapie, therapeutisches<br />

Reiten, Schwimmen u.ä.<br />

geistige Behinderung jede geeig<strong>net</strong>e Fördermöglichkeit, z.B. Logopädie (auch<br />

mit PC- Unterstützung) und andere spezialisierte Lernförderungsmaßnahmen<br />

Tabelle 4: Therapiemöglichkeiten zur symptomatischen Behandlung <strong>bei</strong>m Fragilen-X Syndrom<br />

nach Hantke. Quelle: Hantke, 2000c, 99.<br />

Die genannten Therapieformen und pädagogischen Fördermöglichkeiten beziehen sich<br />

nicht nur auf den Lebensabschnitt der frühen Kindheit. Sie finden teilweise auch im<br />

Erwachsenenalter Anwendung. Nähere Erläuterungen werden im Laufe dieses Kapitels<br />

aufgezeigt.<br />

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Das Fragile-X Syndrom 61<br />

Bei jeglichen Interventionen ist eine Beratung und Unterstützung der Eltern unerläss-<br />

lich. Zum „Elterntraining“ (Hagerman, 1997, 47) gehören:<br />

- das Aufzeigen von Kontaktangeboten mit anderen betroffenen Eltern,<br />

- das Vermitteln von Verständnis für die Leistungsfähigkeit des Kindes,<br />

- das Verständnis für eine übersichtliche und (möglichst) dauerhafte Anordnung<br />

der Umgebung des Kindes,<br />

- eine Vermeidung von sensorischer Reizüberflutung und<br />

- das Erlernen und Einsetzen von Beruhigungstechniken (vgl. Brothaus, 2000, 47;<br />

Goebell, 1995, 86).<br />

In der frühen Kindheit können Kinder mit Fragilem-X Syndrom vom Zusammensein<br />

mit nichtbehinderten Kindern profitieren. Ihre guten sozialen Fähigkeiten und das gut<br />

ausgebildete Nachahmungslernen können auf diese Weise in einem integrativen<br />

Kindergarten oder einer ähnlichen integrativen Einrichtung gesteigert werden (vgl. ebd.;<br />

Hagerman, 1997, 47).<br />

Laut BROTHAUS (2000) gehört die Beratung der Eltern hinsichtlich der ungewöhnlichen<br />

Vererbung (vgl. Kap. 4.2.3) und somit die Vermittlung an eine ge<strong>net</strong>ische Beratungs-<br />

stelle ebenso zu den Aufgaben der Frühförderung (vgl. Brothaus, 2000, 48). Auf die<br />

Familientherapie wird im Kap. 4.5.2.4 eingegangen.<br />

4.5.2.2 Sprachtherapie<br />

Zu Beginn möchte ich an die charakteristischen Merkmale des Sprechvermögens und<br />

der Sprache von Personen mit Fragilem-X Syndrom erinnern. Innerhalb der Sprache<br />

gehört der Wortschatz zu den kognitiven Stärken einer Person mit Fragilem-X<br />

Syndrom. Da<strong>bei</strong> muss man allerdings zwischen einem gut ausgebauten Sprachverständ-<br />

nis und den Schwierigkeiten in der Artikulation unterscheiden (vgl. Spiridigliozzi, 1994,<br />

6f). SARIMSKI (1997) charakterisiert besondere Sprech- und Sprachmerkmale - wie<br />

Artikulationsprobleme, Auffälligkeiten des Tempos, Impulsivität der Äußerungen und<br />

Perseverationen (vgl. Sarimksi, 1997, 119).<br />

Die Sprachtherapie setzt sich zum einen mit der Sprache selber und zum anderen mit<br />

allgemeinen Kommunikationsfähigkeiten auseinander (vgl. Goebell, 1995, 74). Da<strong>bei</strong><br />

sollten Themen aus den Interessengebieten des Kindes gewählt werden, die nicht nur<br />

auditiv (durch Sprechen), sondern auch visuell (durch Fotos, Bilder, etc.) angeboten<br />

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Das Fragile-X Syndrom 62<br />

werden. Kommunikationsversuche des Kindes sollten in jeder Hinsicht positiv verstärkt<br />

werden (vgl. Hantke, 2000a, 26; Brothaus, 2000, 51).<br />

Personen mit Fragilem-X Syndrom profitieren im Bereich der Sprache ebenfalls von<br />

ihrer guten Imitationsfähigkeit. Kinder und Jugendliche sollten deswegen neben einer<br />

Einzeltherapie eine integrative Sprachtherapie besuchen. In Gruppen mit Personen,<br />

deren kommunikative Fähigkeiten höher entwickelt sind, lernen Kinder mit Fragilem-X<br />

Syndrom durch Nachahmen die Sprache (vgl. a.a.O., 52; Spiridigliozzi, 1994, 6f).<br />

Defizite im Bereich des Mundraumes können durch orale Erkundungsspiele therapeu-<br />

tisch behandelt werden. Dazu werden dem Kind Lebensmittel unterschiedlicher<br />

Geschmacksrichtungen und Konsistenz (Kaugummi, Eis u.ä.) bzw. die Verwendung<br />

von Trinkhalmen für Getränke angeboten (vgl. Hantke, 2000a, 26).<br />

Da Personen mit Fragilem-X Syndrom Schwierigkeiten in der Artikulation haben, ver-<br />

wenden sie oft Perseverationen (Wiederholungen von Worten und Sätzen), um die<br />

Kommunikation aufrecht zu erhalten. In Gesprächssituationen mit Frage und Antwort<br />

kann Betroffenen die Kommunikation erleichtert werden, indem ihnen eine erhöhte<br />

Denkzeit zugebilligt, ein direkter Blickkontakt vermieden und gleichzeitig eine motori-<br />

sche Aktivität angeboten wird (vgl. ebd.). Dem Gesprächspartner muss das Gefühl ver-<br />

mittelt werden, die Kommunikation auch nach einer längeren Pause fortsetzen zu kön-<br />

nen. Da<strong>bei</strong> ist es hilfreich, wenn Gesprächs<strong>bei</strong>träge oder Fragen korrekt formuliert<br />

werden, um so dem Betroffenen eine Formulierungs- bzw. Orientierungshilfe anzubie-<br />

ten (vgl. Brothaus, 2000, 53f.).<br />

Auffälligkeiten im Sprachrhythmus können durch ein korrektes Vorgeben von Tempo<br />

und Rhythmus oder aber durch den Einsatz von Bewegungen oder Instrumenten unter-<br />

stützt werden. Es hat sich als hilfreich erwiesen, Personen mit Sprachauffälligkeiten ein<br />

auditives Feedback zu geben. Darunter versteht man das Aufzeichnen eines Gesprächs<br />

auf einen Tonträger. Das Abspielen des Gesagten bietet die Möglichkeit, eine Selbst-<br />

kontrolle durchzuführen (vgl. a.a.O., 53).<br />

4.5.2.3 Sensorische Integrationstherapie (Ergotherapie)<br />

Sensorische Integration bedeutet, die Verar<strong>bei</strong>tung von Sinnesreizen im Zentralen<br />

Nervensystem (vgl. Brothaus, 2000, 55). Beeinträchtigungen der sensorischen Integrati-<br />

on führen <strong>bei</strong> Betroffenen zu Informationsdefiziten über sich selbst und über ihre<br />

Umwelt. Personen mit Fragilem-X Syndrom sind gegenüber taktilen und auditiven Rei-<br />

zen besonders empfindsam. Eine Überstimulierung kann „… zu extremen Verhal-<br />

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Das Fragile-X Syndrom 63<br />

tensauffälligkeiten…“ (Hantke, 2000a, 25), Überaktivität, Ablenkbarkeit, Sprachent-<br />

wicklungsverzögerungen, Auffälligkeiten im Muskeltonus und in der Koordination füh-<br />

ren (vgl. Brothaus, 2000, 55).<br />

Diese verstärkte Sensitivität gegenüber äußeren Reizen zusammen mit der Schwierigkeit,<br />

von außen kommende oder exzessive Reize wirkungsvoll abzuwehren,<br />

kann zu einer Überstimulierung und dem klinischen Bild eines Wutanfalls in Geschäften<br />

und beengenden sozialen Situationen führen (Hagerman, 1997, 47).<br />

Die sensorische Integrationstherapie, die innerhalb einer Beschäftigungstherapie (Ergo-<br />

therapie) durchgeführt wird, beschäftigt sich mit der Verar<strong>bei</strong>tung von Reizen und mit<br />

Verhaltensauffälligkeiten, die aus einer Überstimulierung resultieren. Sie wurde Anfang<br />

der siebziger Jahre von AYRES entwickelt (vgl. Hantke, 2000a, 26; Brothaus, 2000, 55).<br />

Die Therapie soll es dem Betroffenen ermöglichen, Reize wahrzunehmen und zu dosie-<br />

ren. Da<strong>bei</strong> werden besonders die Tiefenwahrnehmung und der Tastsinn angesprochen.<br />

Angewandte Beruhigungsstrategien sind:<br />

- Ausübung von festem Druck auf die Muskeln, Gelenke und Haut (Festhaltetherapie)[,]<br />

- körperliche Ar<strong>bei</strong>t, Betätigung[,]<br />

- rhythmische Bewegungen, Musik und Atemübungen […] (Hantke, 2000a,<br />

26).<br />

GOEBELL (1995) bezieht sich auf SCHARFENAKER, HICKMAN und BRADEN (1991), die<br />

die Ziele der sensorischen Integrationstherapie wie folgt zusammenfassen:<br />

- Verminderung der Hypersensivität auf visuelle, auditive, olfaktorische und<br />

taktile Stimuli, sensorische Abwehr[,]<br />

- Vergrößerung der Toleranz gegenüber Veränderungen der Routine und der<br />

Umgebung[,]<br />

- Verminderung von bestimmten Verhaltensweisen, wie Hand<strong>bei</strong>ßen, an der<br />

Kleidung kauen und Objekte in den Mund stecken[,]<br />

- Verminderung von rituellen Verhaltensweisen[,]<br />

- Verbesserung der grob- und feinmotorischen Fähigkeiten [und]<br />

- Verbesserung der Bewegungsplanung (Goebell, 1995, 83).<br />

4.5.2.4 Familientherapie<br />

Familien, besonders jene, in denen mehrere Personen mit Fragilem-X Syndrom leben,<br />

„…sind extremen Belastungen… psychischer, emotionaler und körperlicher Art… aus-<br />

gesetzt“ (Hantke, 2000c, 100). Laut HANTKE (2000) muss das Angebot an therapeuti-<br />

schen Maßnahmen ausschließlich für Betroffene als „zu kurz gesprungen“ (ebd.)<br />

bezeich<strong>net</strong> werden. Pflegerische, pädagogische und therapeutische Maßnahmen nehmen<br />

häufig einen wesentlichen Teil des Tages ein und stellen somit eine „…gravierende<br />

Änderung des ‚normalen‘ Familienlebens“ dar (ebd.) [Hervorhebung im Original].<br />

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Das Fragile-X Syndrom 64<br />

Maßnahmen zur Erhaltung der „Leistungsfähigkeit“ einer Familie sind laut HANTKE<br />

(2000):<br />

- die Bereitstellung familienentlastender (sozialer) Dienste [FED, K.S.], z.B.<br />

Einzelfallbetreuer[,]<br />

- die Bereitstellung hinreichender Pflegeleistungen (materiell, finanziell)…[,]<br />

- die Bereitstellung gleichermaßen therapeutisch und integrativ sinnvoller<br />

Hilfsmittel (Beispiel Therapietandem …) [,]<br />

- Befürwortung/Gewährung besonderer Maßnahmen, … die … zu einer<br />

Verbesserung der behandelten Symptomatik bzw. zur Entlastung … der<br />

Familie führen[und]<br />

- Verfügbarkeit hinreichend qualifizierter Pädagogen (rechtzeitige Erkennung<br />

und richtiger Umgang mit Teilleistungsschwächen; sonderpädagogische<br />

Anforderungen/Qualifizierung von Pädagogen) und ausgerüsteter<br />

Ausbildungsplätze (Hantke, 2000c, 100).<br />

Ein weiterer wichtiger Punkt der Familientherapie stellt die z.T. erhebliche psychische<br />

Belastung der Mütter von Kindern mit Fragilem-X Syndrom dar. Die Belastung resul-<br />

tiert aus<br />

- …der häufig selbstauferlegten Stigmatisierung als Überträgerin einer<br />

Erbkrankheit …,<br />

- … massiven Schuldgefühlen (‚ich trage Schuld an der Behinderung meines<br />

Kindes‘) sowie<br />

- einer massiven Verunsicherung hinsichtlich zukünftiger Familienplanung<br />

(‚kann ich gesunde Kinder haben?‘)(ebd.).<br />

HAGERMAN (1997) betont, dass nach einer bestätigenden Diagnose einer Person mit<br />

Fragilem-X Syndrom die anderen Familienmitglieder innerhalb einer ge<strong>net</strong>ischen Bera-<br />

tung ebenfalls identifiziert werden müssen. Da sich das Syndrom in seinen Ausprägun-<br />

gen in einem breiten Spektrum bewegt, gibt es „…Personen, die geistig normal sind,<br />

aber emotionale oder psychiatrische Probleme haben, und gleichermaßen Individuen<br />

mit verschieden stark ausgeprägten Lernstörungen und geistiger Behinderung“ (Hager-<br />

man, 1997, 46). Die Behandlung der Symptome <strong>bei</strong>der Gruppen gestaltet sich für die<br />

Familien in gleicher Gewichtung (vgl. ebd.).<br />

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Das Fragile-X Syndrom 65<br />

4.5.3 Pädagogische Intervention<br />

Eine Zusammensetzung von bestimmten Entwicklungs- und Verhaltensmerkmalen, die<br />

<strong>bei</strong> Personen mit einem ge<strong>net</strong>ischen Syndrom häufiger als <strong>bei</strong> Personen ohne eine<br />

solche Genveränderung auftritt, bezeich<strong>net</strong> man laut SARIMSKI/STENGEL-RUTKOWSKI<br />

(1998) als einen Verhaltensphänotyp (vgl. Sarimski/Stengel-Rutkowski, 1998, 1).<br />

Kinder mit Fragilem-X Syndrom weisen „Probleme der Aufmerksamkeitssteuerung,<br />

Reizverar<strong>bei</strong>tung und Selbstorganisation zielgerichteter Handlungen sowie Übererreg-<br />

barkeit <strong>bei</strong> sozialen Anforderungen…“ (ebd.) auf. Die genannten Merkmale stellen den<br />

Verhaltensphänotyp des Fragilen-X Syndroms dar und verlangen besondere Herausfor-<br />

derungen von ErzieherInnen und PädagogInnen. Bei der Ar<strong>bei</strong>t mit Kindern mit Fragi-<br />

lem-X Syndrom muss die Individualität eines jeden Kindes beachtet werden. Darunter<br />

versteht man u.a. auch, dass Entwicklungs- und Verhaltensmerkmale nicht zwingend<br />

und nicht zu einem bestimmten Entwicklungsabschnitt auftreten müssen (vgl. ebd.).<br />

Innerhalb der pädagogischen Intervention ist die Tatsache besonders wichtig, dass das<br />

Verhalten Änderungen unterliegt, die durch pädagogische und psychologische Mög-<br />

lichkeiten hervorgerufen werden können. Bestimmte physiologische Reaktionen und die<br />

Vulnerabilität (Verletzlichkeit) auf Reize der Umwelt sind Folge der Genveränderung<br />

des X-Chromosoms. Das Verhalten eines Kindes ist von ge<strong>net</strong>ischen Besonderheiten<br />

unabhängig. Verhalten wird durch Lernprozesse und durch den Einklang von eigenen<br />

Bedürfnissen und Umweltbedingungen hervorgerufen. Die Aufgabe von Eltern und<br />

PädagogInnen ist es, dem Kind eine optimale Entwicklung und somit die Integration in<br />

„…das normale soziale Leben…“ (ebd.) zu gewährleisten.<br />

Um eine effektive pädagogische Förderung durchführen zu können, ist es notwendig,<br />

die spezifischen Stärken und Schwächen eines Kindes zu kennen. So wird eine indivi-<br />

duelle Förderung nach den Fähigkeiten und Fertigkeiten und nach den Bedürfnissen des<br />

Kindes gewährleistet (vgl. Hantke, 2000a, 28).<br />

Kinder mit Fragilem-X Syndrom zeigen in ihrer mentalen Entwicklung eine große<br />

Bandbreite, die von Lernbehinderung bis schwerer geistiger Behinderung reicht. Päda-<br />

gogInnen müssen deshalb beachten, dass die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten in<br />

einem bestimmten Alter stagniert, dass eine sogenannte decellierte Entwicklung vorlie-<br />

gen kann. Beim Fragilem-X Syndrom lassen sich anders als <strong>bei</strong> anderen Syndromen<br />

Stärken und Schwächen der Kinder feststellen. Zu den Stärken gehören u.a. der Wort-<br />

schatz und das visuelle Lernen, zu den Schwächen das abstrakte Denken und höhere<br />

sprachliche Funktionen (vgl. Kap. 4.3) (vgl. a.a.O., 29).<br />

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Das Fragile-X Syndrom 66<br />

Bei Kindern mit Fragilem-X Syndrom können PädagogInnen und ErzieherInnen auf<br />

folgende Voraussetzungen zurückgreifen:<br />

- auf eine hohe Bereitschaft in den Bereichen des Lernens, des Handelns und<br />

der Kommunikation,<br />

- auf gute Fähigkeiten innerhalb der sprachlichen Auffassung und des Aus-<br />

drucks und<br />

- auf gute Ergebnisse <strong>bei</strong> Aufgaben mit visuellen Zuordnungen (vgl.<br />

Sarimski/Stengel-Rutkowski, 1998, 1).<br />

Bei der Planung und Durchführung pädagogischer Maßnahmen sind die besonderen<br />

Bedürfnisse von Kindern mit Fragilem-X Syndrom zu beachten. Dazu zählen:<br />

- eine klar angeord<strong>net</strong>e Gestaltung des Unterrichts,<br />

- ein Wechsel zwischen konzentrierten Ar<strong>bei</strong>tsphasen und Bewegungsaktivitä-<br />

ten und<br />

- die Bewältigung von komplexen Aufgaben nach ritualisierten Abläufen (vgl.<br />

ebd.).<br />

Im Mittelpunkt der pädagogischen Förderung sollte immer die Motivation der Stärken<br />

stehen. Gründe dafür liegen u.a. darin, dass Gedächtnisleistungen – die für das Lernen<br />

eine Voraussetzung darstellen - stark von den Interessen und von der Motivation abhän-<br />

gen. Das sichere Gefühl des Kindes, etwas besonders gut zu können, fördert den Lerner-<br />

folg (vgl. Hantke, 2000a, 29).<br />

Eine wichtige Rolle in der Förderung spielen auch eine angstfreie Atmosphäre, ein ritu-<br />

alisierter Tagesablauf in vertrauter Umgebung und angemessene Leistungsanforderun-<br />

gen und Leistungserwartungen (vgl. Dittmann, 1998, 245). Da Kinder mit Fragilem-X<br />

Syndrom in unbekannten Situationen Angst und verändertes Verhalten zeigen, sollte<br />

innerhalb des gegliederten Tagesablaufs eine Sequenz enthalten sein, die das Kind mit<br />

neuen Situationen konfrontiert. Den PädagogInnen stehen zum Umgang mit unbekann-<br />

ten Ereignissen verschiedene Unterrichtsmethoden zur Verfügung. Laut HANTKE (2000)<br />

können folgende Möglichkeiten genutzt werden:<br />

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- Ausstattung der pädagogischen Einrichtungen mit unterschiedlichen Wasserhähnen<br />

und/oder Treppen[,]<br />

- Gestaltung des Schulhofs mit Bewegungsangeboten und unterschiedlichen<br />

Materialien (Seil, auf dem balanciert werden kann; Slalom-Parcour; unterschiedlicher<br />

Bodenbelag der Wege u.ä.) (Hantke, 2000b, 5).


Das Fragile-X Syndrom 67<br />

Kindern mit Fragilem-X Syndrom sollten verstärkt visuelle Lernmöglichkeiten angebo-<br />

ten werden, da sie auditive Informationen in einem geringeren Grad speichern können.<br />

LehrerInnen sollten deshalb öfter mit Bildmaterial z.B. in Form von Fotos, Videos oder<br />

Zeichnungen ar<strong>bei</strong>ten (vgl. Hantke, 2000a, 30; Dittmann, 1998, 246).<br />

Bei Kindern mit Fragilem-X Syndrom ist aufgrund der Übersensibilität (vgl. I Kap. 3)<br />

darauf zu achten, dass die dargebotenen Reize in möglichst allen Lebensbereichen redu-<br />

ziert werden. Der Klassenraum für diese Kinder sollte eine geringe Ausstattung und<br />

Größe aufweisen (vgl. Hantke, 2000a, 30). Das häusliche Umfeld sollte ebenfalls durch<br />

kleine und gering ausgestaltete Räume und „…möglichst wenig Reizbeeinflussung, z.B.<br />

durch Fernsehen, Musik“ (ebd.)geprägt sein.<br />

Im Bereich der Kommunikation versuchen Betroffene durch ständiges Wiederholen von<br />

Fragen (Perseverationen) ein Gespräch anzubahnen bzw. aufrechtzuerhalten. Aufgabe<br />

der PädagogInnen ist es, durch Gesprächsangebote, Orientierungshilfen und Akzeptanz<br />

längerer Wartezeiten <strong>bei</strong> Frage- und Antwortsituationen die Kommunikation aufrecht zu<br />

erhalten (vgl. ebd.).<br />

HANTKE (2000) fasst mit folgenden Punkten „…wesentliche Elemente der Pädagogik<br />

für Betroffene des Fragilen-X Syndroms…“ (ebd.) zusammen:<br />

- Schaffen einer angstfreien Atmosphäre!!![,]<br />

- ritualisierter Tagesablauf!!![,]<br />

- Bewegungsfreiräume schaffen[,]<br />

- mit Handlungsinhalten betrauen, da<strong>bei</strong> wenig verbale Aktionen<br />

-<br />

(Handlungsorientierung)[,]<br />

Tolerierung von Blickkontaktvermeidung[,]<br />

- Stärken in den Mittelpunkt stellen[,]<br />

- visuelles Lernen[,]<br />

- konstante Umgebungssituation [und]<br />

- Beachtung (versteckter) physiologischer Probleme (HNO-Probleme/ Hören,<br />

Sehprobleme) [Gewichtung im Original] (Hantke, 2000a, 30).<br />

Ausführlichere Darlegungen zur pädagogischen Intervention <strong>bei</strong> Kindern und Jugendli-<br />

chen mit Fragilem-X Syndrom sind <strong>bei</strong> GLOEBELL (1995), BROTHAUS (2000) und<br />

SPIRIDIGLIOZZI (1994) nachzulesen.<br />

Als besondere Formen der Pädagogik seien die Montessori-Pädagogik und das Konzept<br />

von Frau Prof. STENGEL-RUTKOWSKI „Dialog statt Defekt“ zu erwähnen, auf die aber<br />

nicht näher eingegangen werden soll.<br />

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Nutzen der medizinischen Diagnose »Fragiles-X Syndrom« 68<br />

5 Nutzen der medizinischen Diagnose »Fragiles-X Syndrom«<br />

5.1 Diagnose eines Syndroms<br />

5.1.1 Begriffsbestimmung Syndrom<br />

Unter einem Syndrom versteht man laut PSCHYREMBEL (1998) eine<br />

Gruppe von Krankheitszeichen, die für ein best. [sic] Krankheitsbild (Phänotypus)<br />

mit meist einheitlicher Ätiologie aber unbekannter Pathogenese charakteristisch<br />

sind (Pschyrembel, 1998, 1534).<br />

Syndrome können neben rein medizinischen Problemen auch Symptome wie Verhal-<br />

tensauffälligkeiten <strong>bei</strong>nhalten. Als Beispiele nennt BURGMAYER (1993) in ihrem Beitrag<br />

„‚Syndrome‛ als Behandlungsgegenstand“ das fetale Alkoholsyndrom und das Lesch-<br />

Nyhan-Syndrom (eine Störung des Nucleinsäurestoffwechsels) (vgl. Burgmayer, 1993,<br />

107). Sie hebt hervor, dass die Symptome [=Krankheitszeichen, K.S.], die zu einem<br />

Syndrom gehören, „…eine gemeinsame diagnostizierbare Ursache haben“ (ebd.) [Her-<br />

vorhebung im Original].<br />

Bei der Verwendung der Diagnose »Syndrom« müssen laut BURGMAYER (1993) drei<br />

Gesichtspunkte beachtet werden:<br />

1. Interkorrelation der Symptome,<br />

2. Therapeutische Relevanz,<br />

3. Vor- und Nachteile der Diagnose »Syndrom«. (vgl. a.a.O., 109).<br />

Da sich die Autorin in ihrem Beitrag auf das »Minimale Hirndysfunktions-Syndrom«<br />

bezieht, möchte ich allgemeine Aussagen ableiten und auf das Fragile-X Syndrom<br />

übertragen.<br />

5.1.2 Interkorrelation der Symptome<br />

Unter einer Interkorrelation der Symptome versteht man einen einander wechselseitig<br />

erfordernden und bedingenden Zusammenhang zwischen den beobachtbaren Sympto-<br />

men und der Bezeichnung des Syndroms. Das heißt: Tritt eine bestimmte Anzahl an<br />

Symptomen überhäufig gemeinsam auf? und Sind die beobachteten Symptome charak-<br />

teristische Kennzeichen des Syndroms? (vgl. Burgmayer, 1993, 107).<br />

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Nutzen der medizinischen Diagnose »Fragiles-X Syndrom« 69<br />

Ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Symptomen – mentale Retardierung; posi-<br />

tive Familienanamnese; „verlängertes“ Gesicht; große oder abstehende Ohren; fehlen-<br />

des Konzentrationsvermögen, Hyperaktivität; autistische Verhaltensweisen - und der<br />

Bezeichnung Fragiles-X Syndrom kann als signifikant angesehen werden. Das heißt,<br />

dass die genannten Symptome ein charakteristisches Merkmal des Syndroms sind.<br />

Diese Behauptung kann mit dem 1996 entwickelten »Score« begründet werden, der<br />

diese sechs klinischen Charakteristiken des Fragilen-X Syndroms <strong>bei</strong>nhaltet. Die Zuver-<br />

lässigkeit des »Score« mit einer Richtzahl von fünf Punkten ist gegeben, weil alle Per-<br />

sonen mit Fragilem-X Syndrom mindestens fünf Punkte (im Durchschnitt acht) aufwei-<br />

sen (vgl. ebd.; Müller, 1999, 12) (vgl. Kap. 4.4.1).<br />

5.1.3 Therapeutische Relevanz<br />

Therapeutische Relevanz bedeutet das Ableiten von Handlungsstrategien aus der Diag-<br />

nose. Laut BURGMAYER (1993) zieht die Diagnose »Syndrom« immer ein therapeuti-<br />

sches Handeln nach sich. Eine Behandlung des Syndroms mit therapeutischen Mitteln<br />

kann allerdings auch dazu führen, dass die Diagnose »Syndrom« gar nicht gestellt bzw.<br />

widerrufen wird (vgl. Burgmayer, 1993, 109).<br />

Die Autorin bemerkt ebenfalls, dass die Diagnose der Klassifizierung (vgl. Kap. 2.3.3)<br />

und dem Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten dient. Sie betont, dass sich aus einer<br />

Klassifikation eines Syndroms keine fassbaren Therapiemöglichkeiten ableiten lassen,<br />

weil ein Begriff keine Darstellung eines konkreten Verhaltens <strong>bei</strong>nhaltet. D.h. „je einfa-<br />

cher wir klassifizieren, um so weniger konkrete therapeutische Handlungsweisungen<br />

lassen sich aus der Diagnose ableiten“ (Burgmayer, 1993, 109).Im Gegensatz dazu<br />

geben Diagnosen mit detaillierten und operationalen Beschreibungen gute Ansätze für<br />

therapeutische Handlungen. BURGMAYER (1993) unterstreicht den Begriff »Beschrei-<br />

bung«, weil nicht das Wissen der Ursache einer Störung allein Auskunft über geeig<strong>net</strong>e<br />

Therapiemaßnahmen gibt, sondern erst detaillierte Beschreibungen Ausgangspunkte für<br />

Maßnahmen aufzeigen können (vgl. ebd.).<br />

Die Diagnose »Fragiles-X Syndrom« ist therapierelevant in dem Sinne, dass aufgrund<br />

typischer Symptome und charakteristischer Stärken und Schwächen (vgl. Kap. 4.3) eine<br />

spezifische Förderung bzw. spezielle Therapiemöglichkeiten (vgl. Kap. 4.5) abgeleitet<br />

werden können.<br />

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Nutzen der medizinischen Diagnose »Fragiles-X Syndrom« 70<br />

5.1.4 Vorteile und Nachteile der Diagnose »Syndrom«<br />

Eine Diagnose hat den Vorteil ein Erscheinungsbild einer vertrauten Kategorie zuzu-<br />

weisen und eine Behinderung bzw. Krankheit von anderen abzugrenzen (Prinzip der<br />

Klassifizierung). Eine konkrete Diagnose bringt den Nutzen mit sich, die Kommunika-<br />

tion unter Personen eines Faches zu vereinfachen. Angehörige einer bestimmten Be-<br />

rufsgruppe (in diesem Sinne Mediziner, Therapeuten, Pädagogen u.a.) verfügen über ein<br />

ähnliches Grundwissen (und differenziertes Fachwissen) in Bezug auf Menschen mit<br />

Behinderung. „Die Vorkenntnisse über das jeweilige Syndrom machen es möglich, die<br />

weiterzugebende Information auf einen einfachen Code zu beschränken“ (Burgmayer,<br />

1993, 110).<br />

Als ein Nachteil der Diagnose »Syndrom« ist die Gefahr der „Symptomergänzung“<br />

bzw. „Symptomvernachlässigung“ zu nennen. Darunter versteht man „…die Verzerrung<br />

des Befundes in Richtung des vorgegebenen Syndrom-Bildes“ (ebd.). Symptomergän-<br />

zungen bzw. Syndromvernachlässigungen äußern sich durch Unterstellung bestimmter<br />

Eigenschaften oder durch Verallgemeinerungen.<br />

Die Vorteile Klassifizierung und Kommunikationserleichterung können problemlos für<br />

die Diagnose »Fragiles-X Syndrom« übernommen werden.<br />

Kinder mit Fragilem-X Syndrom zeigen typische Symptome. Das Fehlen bzw. das<br />

Vorhandensein eines Symptoms ist jedoch kein eindeutiges Indiz für das Vorliegen des<br />

Syndroms. Eine Symptomergänzung bzw. Symptomvernachlässigung kann sich darauf<br />

belaufen, dass dem Kind bestimmte Symptome des Fragilen-X Syndroms zugeord<strong>net</strong><br />

(ergänzt) werden bzw. Symptome vernachlässigt werden.<br />

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Nutzen der medizinischen Diagnose »Fragiles-X Syndrom« 71<br />

5.2 Nutzen der Diagnose »Fragiles-X Syndrom«<br />

Im diesem Abschnitt möchte ich auf den Nutzen der medizinischen Diagnose<br />

Fragiles-X Syndrom eingehen. Da ein Kind in einem sozialen Umfeld aufwächst und da<br />

die Eltern entscheidend zur Förderung ihres Kindes <strong>bei</strong>tragen, ist es notwendig sowohl<br />

den Nutzen der Diagnose für die schulische Förderung als auch für die Eltern zu thema-<br />

tisieren.<br />

Im deutschen Sprachraum habe ich dazu keine Primärliteratur gefunden, weshalb ich<br />

mich auf GOEBELL (1995) beziehe, der wiederum auf englischsprachige Literatur von<br />

GIBB (1992) zurückgreift.<br />

5.2.1 Vorteile<br />

GOEBELL (1995)vertritt die Meinung, dass Kinder, <strong>bei</strong> denen das Fragile-X Syndrom<br />

noch nicht diagnostiziert ist, pädagogisch genauso gut gefördert werden, wie Kinder,<br />

<strong>bei</strong> denen das Syndrom bereits diagnostiziert wurde.<br />

Es kann davon ausgegangen werden, daß die besten Schulen, obwohl die meisten<br />

Kinder mit fra(X)-Syndrom noch nicht identifiziert sind, wahrscheinlich jetzt schon<br />

die Betroffenen in adäquater Weise fördern (Goebell, 1995, 62).<br />

Warum die medizinische Diagnose «Fragiles-X Syndrom» trotzdem nützlich ist , be-<br />

gründet er wie bereits erwähnt mit Ausführungen von Gibb (1992).<br />

Gibb (1992) nennt fünf Gründe, die für eine gesicherte Diagnose sprechen:<br />

1. Eltern,<br />

2. Häufigkeit,<br />

3. Ätiologiespezifische Intervention,<br />

4. Erblichkeit und<br />

5. Vorhandensein von vorrangig medizinischer Literatur zum Thema Fragiles-X<br />

Syndrom (vgl. Goebell, 1995, 62).<br />

Die einzelnen Punkte möchte ich im folgenden noch näher erläutern.<br />

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Nutzen der medizinischen Diagnose »Fragiles-X Syndrom« 72<br />

5.2.1.1 Nutzen der Diagnose für die Eltern<br />

Die Eltern eines Kindes mit Fragilem-X Syndrom haben das Bedürfnis, über die Behin-<br />

derung und über die Ursachen der Behinderung aufgeklärt zu werden. Einen entschei-<br />

denden Punkt stellt da<strong>bei</strong> die Mitteilung und Erläuterung der Diagnose dar. Inwieweit<br />

eine Diagnose als Hilfe oder als Belastung aufgefasst werden kann, wird im Folgenden<br />

geklärt.<br />

Mitteilung und Erläuterung einer Diagnose<br />

Die Art und Weise, wie den Eltern die Diagnose „Behinderung“ ihres Kindes mitgeteilt<br />

und erläutert wird, trägt unmittelbar zum „…Gelingen oder Scheitern …[der] ‚Behand-<br />

lung‘(in welcher Form auch immer)…“ (Kobi, 1996, 66) <strong>bei</strong>. Die Mitteilung muss<br />

fachlich (d.h. psychologisch / förderpädagogisch) und in einem entsprechenden zeitli-<br />

chen Rahmen erfolgen. Die mitteilende Person muss die Diagnose sorgfältig erläutern<br />

und da<strong>bei</strong> Fern- und Nahziele sowie Maßnahmen zum Erreichen dieser aufzeigen. Eine<br />

neutrale Position der mitteilenden Person ermöglicht eine persönliche Einstellung der<br />

Eltern gegenüber der Behinderung (vgl. ebd.).<br />

Da die Diagnose „Behinderung“ <strong>bei</strong> den meisten Eltern einen mehr oder minder starken<br />

Schock verursacht und da die Verar<strong>bei</strong>tung dieser Information über verschiedene Ab-<br />

wehrmechanismen erfolgt, dürfen Eltern in diesem Verar<strong>bei</strong>tungsprozess nicht allein<br />

gelassen werden. „Die Mitteilung und Erläuterung einer Diagnose ist nicht ein einmalig<br />

zu vollziehender Akt, sondern ein Prozess“ (ebd.), in dem auch gelegentlich wiederho-<br />

lende Erklärungen notwendig sind (vgl. ebd.).<br />

Diagnose als Hilfe<br />

Ein Diagnose kann als Klärungshilfe fungieren – „man weiss [sic] endlich woran man<br />

ist“ (Kobi, 1996, 65).<br />

Die Unsicherheit hinsichtlich der Verursachung der mentalen Retardation führt <strong>bei</strong><br />

Familien mit Kindern mit Entwicklungsverzögerungen dazu, daß sie ständig auf<br />

der Suche sind, die potentielle Ätiologie der mentalen Retardation zu erfahren um<br />

Heilungschancen eröff<strong>net</strong> zu bekommen. So reisen sie von einem Spezialisten zum<br />

anderen, ständig in der Hoffnung, das Bestmögliche für ihr Kind zu erreichen und<br />

eine mögliche Aufklärung zu erhalten (Dittmann, 1998, 228).<br />

Für Eltern, aber auch für Pädagogen ist der Informationsgehalt einer Diagnose größer,<br />

wenn von einem möglichst konkreten Erscheinungsbild die Rede ist. In diesem Sinne<br />

wird geistige Behinderung an sich nicht als „Krankheit“ angesehen. Ein Kind mit einer<br />

geistigen Behinderung ist aufgrund der Behinderung nicht krank. Unterscheidungen von<br />

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Nutzen der medizinischen Diagnose »Fragiles-X Syndrom« 73<br />

Kindern in Bezug auf geistig behindert und „gesund“ sind abzulehnen (vgl. Speck,<br />

1993, 45). Eine konkrete Bezeichnung der Ursache einer Behinderung ermöglicht den<br />

Eltern, mit anderen betroffenen Eltern in Kontakt zu treten und Erfahrungen auszutau-<br />

schen. Sie erhalten somit die Möglichkeit, die Probleme ihres Kindes als Probleme einer<br />

größeren Gruppe von Kindern zu erkennen. Ein Austausch mit Eltern anderer betroffe-<br />

ner Kinder kann Hilfestellungen für die Bewältigung in allen Lebenssituationen geben<br />

(vgl. Jantzen, 1998, 354).<br />

Diagnose als Belastung<br />

Aufgrund der Diagnose können Eltern aber auch in ein Trauma versetzt werden oder die<br />

Erwartungshaltung aufbauen, dass sich die Behinderung von selbst auflöst / erfüllt (self-<br />

fulfilling prophecy). Beide Einstellungen – Trauma und Selbsterfüllung – haben einen<br />

oft jahrelang störenden Einfluss auf die therapeutischen und pädagogischen Tätigkeiten,<br />

wie Beratung, Behandlung, Schulung, Elternar<strong>bei</strong>t und sämtliche Integrationsbemühun-<br />

gen (vgl. Kobi, 1996, 65).<br />

Unter Umständen können Diagnosefehler auftreten. KOBI (1996) versteht darunter<br />

„einen falschen Umgang mit Diagnosen“ (Kobi, 1996, 66). Diagnosefehler sind nicht<br />

mit Fehldiagnosen = falsche Diagnosen gleichzusetzen. Zu Diagnosefehlern zählen:<br />

„zur Unzeit abgegebene, zu knappe, missverständlich / missverstandene, aber auch<br />

verschwiegene Diagnosen…“ (ebd.). Sich daraus ergebende Konsequenzen können viel<br />

Unheil anrichten und/oder Ursache für eine sekundäre Traumatisierung sein. KOBI<br />

(1996) fordert deshalb, Diagnosen „…nicht nur auf ihre Richtigkeit, sondern auch auf<br />

ihre Rechtmäßigkeit und Angemessenheit hin zu hinterfragen (ebd.).<br />

5.2.1.2 Häufigkeit<br />

Die hohe Häufigkeit des Fragilen-X Syndroms spricht dafür, dass <strong>bei</strong> einer Vielzahl von<br />

Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung unbekannter Ursache das Fragile-<br />

X Syndrom vorliegen könnte (vgl. Kap. 4.1.3). ZANKL/SCHORDERET (2001) fordern,<br />

dass <strong>bei</strong> einer Evaluierung eines Kindes mit geistiger Behinderung unbekannter Genese<br />

eine Untersuchung auf das Fragile-X Syndrom in Erwägung gezogen werden sollte (vgl.<br />

Zankle/Schorderet, 2001). Das Fragile-X Syndrom ist „… die häufigste Ursache einer<br />

ererbten geistigen Behinderung. Es findet sich in 2-3% aller Fälle geistiger Behinde-<br />

rung“ (ebd.). Je bekannter das Fragile-X Syndrom wird, umso mehr Kinder mit einer<br />

geistigen Behinderung unbekannter Ursache können diagnostiziert werden. Die steigen-<br />

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Nutzen der medizinischen Diagnose »Fragiles-X Syndrom« 74<br />

de Zahl der Diagnosen trägt entscheidend dazu <strong>bei</strong>, den Bekanntheitsgrad des Fragilen-<br />

X Syndroms zu erhöhen und nichtdiagnostizierte Kinder zu diagnostizieren.<br />

5.2.1.3 Ätiologiespezifische Intervention<br />

Personen mit Fragilem-X Syndrom besitzen spezifische Eigenschaften (vgl. Kap. 4.3).<br />

Das heißt, dass <strong>bei</strong>m Fragilen-X Syndrom anders als <strong>bei</strong> anderen Syndromen Stärken<br />

und Schwächen der Kinder feststellen lassen. Aus diesem Grund können ätiologiespezi-<br />

fische Interventionsmöglichkeiten aufgestellt werden. Darunter versteht man grundle-<br />

gende pädagogische Prinzipien, wie z.B. verstärktes visuelles Lernen, nachahmendes<br />

Lernen, Einbezug des Langzeitgedächtnisses und konkrete therapeutische Förderungen,<br />

wie z.B. die sensorische Integrationstherapie und Sprachtherapie (vgl. Kap. 4.5).<br />

5.2.1.4 Erblichkeit<br />

Der Fakt der Erblichkeit des Fragilen-X Syndroms (vgl. Kap. 4.2.3) ist für die Eltern in<br />

Bezug auf die weitere Familienplanung von besonderem Interesse. In ge<strong>net</strong>ischen Bera-<br />

tungsstellen können sich die Eltern über die Vererbung und über mögliche Vorsorgeun-<br />

tersuchungen informieren.<br />

5.2.1.5 Vorhandensein vorrangig medizinischer oder medizinverwandter Literatur<br />

Der fünfte Punkt muss angesichts des steigenden Bekanntheitsgrades leicht korrigiert<br />

werden. Die INTERESSENGEMEINSCHAFT FRAGILES-X E.V. bietet über das Syndrom eine<br />

umfangreiche Literaturliste. Diese enthält Werke und Beiträge, die sich mit dem Thema<br />

auf medizinischer aber auch auf pädagogischer Basis auseinandersetzen. Als Vertreter<br />

der Medizin sind z.B. die AutorInnen FROSTER und NEUHÄUSER zu nennen. Die stei-<br />

gende Anzahl der pädagogischen Literatur ist vor allem auf SARIMSKI, DITTMANN und<br />

HANKTE zurückzuführen. Aufgrund von Auseinandersetzungen mit diesem Thema an<br />

pädagogischen Hochschulen (Abschlussar<strong>bei</strong>ten von GOEBELL, BROTHAUS, SCHOLLE<br />

u.a.) und aufgrund von Übersetzungen aus dem englischsprachigen Raum (z.B. Über-<br />

setzung der Broschüre von SPIRIDIGLIOZZI durch PESCHK) nehmen pädagogische Bei-<br />

träge ebenfalls zu. Des Weiteren existiert über das Syndrom eine extra Zeitschrift:<br />

„FraX Info“. Mitgliederzeitschrift der Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V.<br />

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Nutzen der medizinischen Diagnose »Fragiles-X Syndrom« 75<br />

Weitere Vorteile lassen sich aus dem Kapitel „Vor- und Nachteile der Diagnose »Syn-<br />

drom«“ (vgl. Kap5.1.4) ableiten.<br />

5.2.1.6 Klassifikation<br />

Eine konkrete Diagnose ermöglicht eine Klassifizierung der Behinderung. Wurde <strong>bei</strong><br />

einem Kind das Fragile-X Syndrom diagnostiziert, kann die Beeinträchti-<br />

gung/Behinderung einer vertrauten Kategorie zugeord<strong>net</strong> werden. Die Symptome des<br />

Fragilen-X Syndroms können z.B. ätiologisch, d.h. nach ihrer Ursache auf eine Genmu-<br />

tation zurückgeführt werden. Je einfacher klassifiziert wird, umso weniger lassen sich<br />

konkrete Fördermaßnahmen ableiten.<br />

Die Zuordnung der Behinderung zu einer bestimmten Gruppe spielt jedoch eine unter-<br />

geord<strong>net</strong>e Rolle.<br />

5.2.1.7 Kommunikation über einen einfachen Code<br />

Eine konkrete Diagnose erleichtert die Kommunikation unter den Eltern, Medizinern,<br />

PädagogInnen, TherapeutInnen u.a. Bestimmte Informationen können zu einem einfa-<br />

chen Code zusammengefasst werden. Dieser setzt jedoch Vorkenntnisse des Gegenüber<br />

voraus. Eine alleinige Beschränkung der Person auf die Bezeichnung ihre Behinderung<br />

bürgt aber Gefahren in sich, die im Folgenden (vgl. Kap. 5.2.2) erläutert werden.<br />

5.2.2 Nachteile<br />

Über die Nachteile der Diagnose Fragiles-X Syndrom habe ich keine konkrete Literatur<br />

finden können. Deshalb möchte ich an dieser Stelle die Nachteile der Diagnose eines<br />

Syndroms auf das Fragile-X Syndrom übertragen und allgemeinen Gefahren einer<br />

Diagnose erläutern.<br />

5.2.2.1 Symptomergänzung bzw. Symptomvernachlässigung<br />

Die Diagnose Fragiles-X Syndrom kann die Gefahr in sich bürgen, das die Ausprägun-<br />

gen des Syndroms in die Richtung des vorgegebenen Syndrombildes verzerrt werden.<br />

Das heißt, dass z.B. einem Kind Symptome zugeschrieben werden, die es nicht besitzt,<br />

die aber aufgrund der Diagnose vorhanden sein können. Auf der anderen Seite können<br />

auch Symptome vernachlässigt werden, weil sie nicht in das Bild des Syndroms passen<br />

(vgl. Kap. 5.1.4).<br />

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Nutzen der medizinischen Diagnose »Fragiles-X Syndrom« 76<br />

5.2.2.2 Etikettierung und Stigmatisierung<br />

Mit einer konkreten Diagnose besteht die Gefahr, dass eine Person aufgrund einer Be-<br />

hinderung etikettiert und stigmatisiert wird. Das bedeutet, dass nicht mehr der Individu-<br />

alität Rechnung getragen wird, sondern dass dem Menschen Eigenschaften zugeschrie-<br />

ben werden, die er nicht besitzt. Als Folge daraus kann seine Entwicklung einschränkt<br />

und negativ beeinflusst werden (vgl. Kap. 3).<br />

Nachteilige Diagnosen können verhindert werden, wenn das Wesen der Förderpädago-<br />

gik beachtet wird (vgl. Kap. 1). Darin heißt es, dass ein Mensch mit Behinderung in<br />

seiner Individualität und unter dem Einfluss somatischer und sozialer Faktoren betrach-<br />

tet wird. Der Mensch gilt als Akteur seiner Entwicklung. Die richtige Beurtei-<br />

lung/Diagnostik ermöglicht eine Förderung nach den individuellen Bedürfnissen. Die<br />

Punkte individuelle Diagnostik und individuelle Förderung sollten vermeiden, dass<br />

einem Menschen mit Behinderung nicht vorhandene Symptome auferlegt, vorhandene<br />

Symptome vernachlässigt oder ein Etikett angehaftet werden kann.<br />

Die folgende Tabelle stellt die Vorteile und Nachteile der Diagnose Fragiles-X Syn-<br />

drom gegenüber:<br />

Vorteile Nachteile<br />

- Diagnose als Hilfe für die Eltern<br />

- Häufigkeit des Syndroms<br />

- Ätiologiespezifische Intervention<br />

- Erblichkeit des Syndroms<br />

- Klassifikation<br />

- Kommunikation über einen einfachen<br />

Code<br />

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- Diagnose als Belastung für die Eltern<br />

- Symptomergänzung bzw. Symptom-<br />

vernachlässigung<br />

- Etikettierung & Stigmatisierung<br />

Tabelle 5: Vorteile und Nachteile der Diagnose Fragiles-X Syndrom


Praktischer Teil - Fragebogen 77<br />

6 Praktischer Teil - Fragebogen<br />

6.1 Motivation und Zielstellung<br />

Um die theoretischen Ausführungen auf ihre Relevanz in der Praxis zu überprüfen,<br />

entschloss ich mich mit Hilfe einer Befragung den Bezug zwischen Theorie und Praxis<br />

herzustellen. In der Theorie existieren zwei gegensätzliche Meinungen, zum einen die<br />

Diagnose hat Einfluss auf die Förderung und zum anderen die Diagnose hat keinen<br />

Einfluss auf die Förderung. Aus diesem Grund entwarf ich einen Fragebogen zum<br />

Thema: Diagnose – „Fragiles-X Syndrom“. Nutzen für die schulische Förderung.<br />

Mit Hilfe des Fragebogens soll reflektiert werden, in wie weit Erkenntnisprozesse der<br />

Wissenschaft (Medizin) in der Praxis Anwendung finden. Dazu sollen Sichtweisen von<br />

Lehrkräften an Schulen für geistig Behinderte den Stellenwert der medizinischen Diag-<br />

nose für die schulische Förderung wiederspiegeln.<br />

Als Ziel der Untersuchung kann folgende allgemeine Fragestellung festgehalten wer-<br />

den:<br />

Welchen Zusammenhang sehen LehrerInnen an Schulen für geistig Behinderte<br />

zwischen der Kenntnis der Diagnose „Fragiles-X Syndrom“ und dem Nutzen für<br />

die schulische Förderung?<br />

6.2 Planung der Befragung<br />

Ich habe mich für die Forschungsmethode des Fragebogens entschieden, um die Theorie<br />

und Praxis gegenüber zu stellen und um unterschiedliche Meinungen festhalten zu<br />

können. Die erhaltenen Antworten der Lehrkräfte stellen einen Indikator für die Sicht-<br />

weisen in der Praxis dar.<br />

6.2.1 Inhalt und Aufbau des Fragebogens<br />

Der Fragebogen baut sich aus einem Einleitungstext und einem Fragenkomplex auf.<br />

Auf dem Deckblatt werden Erklärungen zu meinen Anliegen und zum Fragilen-X Syn-<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 78<br />

drom gegeben. Der inhaltliche Bereich teilt sich in drei Gruppen, wo<strong>bei</strong> jeder Teil<br />

mehrere Fragen zu einem Thema umfasst.<br />

Der erste Komplex erfragt „Angaben der Befragten“, der Zweite enthält „Allgemeine<br />

Fragen zur Diagnose“. Im dritten Bereich werden „Spezielle Fragen zum Fragilen-X<br />

Syndrom“ gestellt.<br />

Angaben der Befragten<br />

Die Angaben der Befragten sollen einen möglichst neutralen Beginn der Befragung<br />

darstellen. Die Angaben dienen dazu, die befragten Lehrkräfte an die Fragesituation zu<br />

gewöhnen. Dazu werden einfache Fragen verwendet.<br />

Der Bereich <strong>bei</strong>nhaltet allgemeine Daten zur Person, wie Geschlecht, Alter und Ausbil-<br />

dung sowie Angaben zur Person als Lehrkraft, z.B. Aussagen über Klassenstufen und<br />

die Funktion als Lehrkraft.<br />

Innerhalb des Komplexes werden direkte Fragen verwendet. Die Sachverhalte werden<br />

mit Hilfe verschiedener Frageformen gestellt. Dazu gehören:<br />

- offene (z.B. Aussagen zur Ausbildung),<br />

- halbgeschlossene (wie Daten zur Klassenstufe oder Funktion als LehrerIn),<br />

- geschlossene (z.B. Angabe zum Alter) und<br />

- Alternativ – Fragen (wie Aussagen zum Geschlecht).<br />

Allgemeine Angaben zur Diagnose<br />

Dieser Teil <strong>bei</strong>nhaltet allgemeine Fragen zum Umgang mit der Diagnose in Bezug auf<br />

die schulische Förderung. Dazu werden vier direkte Frage gestellt.<br />

Die erste Frage wurde als halbgeschlossene Einleitungsfrage konstruiert. Sie besitzt die<br />

Funktion, die Lehrkräfte auf den Komplex einzustimmen. Weiterhin verfolgt sie die<br />

Absicht, die Vorgehensweisen der PädagogInnen zur Informationsgewinnung über neue<br />

SchülerInnen zu erfragen. Die verschiedenen Möglichkeiten zum Kennen Lernen eines<br />

Kindes werden den Befragten in Items angeboten. Dazu gehören:<br />

- Einsicht der Unterlagen eines Kindes, d.h. bereits erstellten Daten von Medizi-<br />

nerInnen und Lehrkräften zu nutzen,<br />

- Beobachtungen, d.h. ausschließlich selbst gesammelte Daten zu verwenden und<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 79<br />

- sich durch eine Kombination aus vorhandenen und eigenen Informationen ein<br />

Bild zu erstellen .<br />

Zusätzliche Quellen wie Gespräche mit Eltern und anderen Erziehungsberechtigten und<br />

die Einsicht der Förderpläne vergangener Schuljahre stellen eine Ergänzung zum Sach-<br />

verhalt dar. Da die Befragten auf diesem Gebiet Experten sind, wurde durch das Item<br />

„sonstiges“ das Angebot unterbreitet, die Angaben zur Vorgehensweise zu ergänzen.<br />

Die zweite Frage wurde als Alternativfrage angelegt. Sie soll die Sichtweise der Lehr-<br />

kräfte im Umgang mit Diagnosen verdeutlichen. Da<strong>bei</strong> können die LehrerInnen der<br />

Frage nach einem Zusammenhang zwischen der in den Unterlagen angegebene Diagno-<br />

se und der Auswirkung/ dem Einfluss auf die Förderung zustimmen bzw. diese ableh-<br />

nen. Personen, die sich über eine Beziehung <strong>bei</strong>der Faktoren unschlüssig sind, haben<br />

durch die Angabe „Weiß nicht“ die Möglichkeit, dieses auszudrücken.<br />

Die dritte Frage ist eine Alternativfrage. Sie hat die Funktion einen Fakt zu ergründen.<br />

Die Lehrkräfte sollen sich darüber äußern, ob sie ein Kind mit einer geistigen Behinde-<br />

rung unbekannter bzw. allgemein gehaltener Diagnose unterrichten. Dafür stehen den<br />

befragten Personen die Items Zustimmung, Ablehnung und Unschlüssigkeit zur Verfü-<br />

gung.<br />

Diejenigen, die dem Sachverhalt zustimmen, werden herausgefiltert (Filterfrage), um<br />

eine Untergruppe zu bilden. Sie erhalten im Folgenden (Frage 4) eine spezielle Frage<br />

zur Unterrichtung eines Kindes mit einer geistigen Behinderung unbekannter bzw.<br />

allgemein gehaltener Diagnose.<br />

LehrerInnen, die ausschließlich Kinder mit einer geistigen Behinderung bekannter<br />

Diagnose unterrichten bzw. Befragte, die sich über diesen Sachverhalt unschlüssig sind,<br />

überspringen diese Frage. Für diese Personen ist die Beantwortung des zweiten Kom-<br />

plexes mit der dritten Frage abgeschlossen.<br />

Die vierte Frage soll als Folgefrage zum vorhergehenden Aspekt verstanden werden.<br />

Sie wird ausschließlich von Befragten beantwortet, die angaben, ein Kind mit einer<br />

geistigen Behinderung unbekannter bzw. allgemein gehaltener Diagnose zu unterrich-<br />

ten. Aussagen über die Gestaltung der Förderung eines Kindes mit einer geistigen Be-<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 80<br />

hinderung unbekannter bzw. allgemein gehaltener Diagnose können aus vorgegebenen<br />

Items (geschlossene Frage) gewählt werden.<br />

Die vierte Frage kann mit der zweiten Frage in Beziehung gesetzt werden. Während die<br />

zweite Frage eine allgemeine Aussage über den Nutzen der Diagnose für die Förderung<br />

erlaubt, setzt sich die vierte Frage speziell mit der Gestaltung der Förderung in Bezug<br />

auf die Kenntnis bzw. Unkenntnis der Diagnose auseinander. Frage zwei gibt Auskunft<br />

über einen vorhandenen bzw. nicht vorhandenen Einfluss der Diagnose auf die Förde-<br />

rung. Frage vier untersucht die Beziehung der Diagnostik zur Förderung.<br />

Spezielle Fragen zum Fragilen-X Syndrom<br />

Der dritte Teil <strong>bei</strong>nhaltet spezielle Fragen zum Fragilen-X Syndrom. Da<strong>bei</strong> werden<br />

direkte Fragen zum Bekanntheitsgrad und über den Wissensstand des Syndroms ge-<br />

stellt. Außerdem werden der Einfluss der Diagnose Fragiles-X Syndrom auf die schuli-<br />

sche Förderung und Quellen zur Wissensvertiefung über das Syndrom thematisiert.<br />

Die fünfte Frage gibt Auskunft über den Bekanntheitsgrad des Fragilen-X Syndroms <strong>bei</strong><br />

LehrerInnen an Schulen für geistig Behinderte. In ihrer Form ist die Frage eine Alterna-<br />

tivfrage, d.h. es gibt zwei Antwortmöglichkeiten – Zustimmung oder Ablehnung.<br />

Personen, die bereits etwas über das Syndrom gehört zu haben, werden innerhalb der<br />

Frage nach ihrer Bezugsquelle gefragt. Außerdem werden diese Lehrkräfte zu einer<br />

Untergruppe zusammengefasst, um im Folgenden spezielle Fragen zum Syndrom zu<br />

beantworten (Filterfrage).<br />

Befragte, die das Fragile-X Syndrom nicht kennen, werden zur Frage acht verwiesen.<br />

Die sechste Frage bezieht sich nur auf Personen, die bereits etwas über das Fragile-X<br />

Syndrom gehört haben. Diese geschlossene Folgefrage thematisiert den Wissensstand<br />

über das Syndrom. Die Befragten haben die Möglichkeit, ihr Wissen auf einer Skala<br />

von sehr gut über gut, Überblickswissen bis zu sehr gering einzuordnen.<br />

In Anschluss an Frage sechs folgt eine Überleitung in Form einer Konfrontation. Darin<br />

heißt es, dass viele Personen mit Fragilem-X Syndrom noch nicht diagnostiziert sind, so<br />

dass die Angaben über die offizielle Häufigkeit nur als Schätzungen genutzt werden<br />

können. Mit der Überleitung wurde beabsichtigt, den Befragten zu verdeutlichen, dass<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 81<br />

Kinder mit diesem Syndrom in der Schule für geistig Behinderte häufiger vertreten sind,<br />

als angenommen, weil viele Betroffene nicht diagnostiziert sind.<br />

Frage sieben setzt sich mit dem Nutzen der Diagnose Fragiles-X Syndrom für die schu-<br />

lische Förderung auseinander. Diese Frage wurde als Alternativfrage gestaltet. Die<br />

Lehrkräfte können die Frage: „Sind Sie der Meinung, dass ein geistig behindertes Kind<br />

mit der Behinderungsursache Fragiles-X Syndrom besser gefördert werden kann, als ein<br />

Kind mit geistiger Behinderung <strong>bei</strong> dem das Fragile-X Syndrom als Ursache noch nicht<br />

diagnostiziert wurde?“ entweder mit Zustimmung, Ablehnung oder Unschlüssigkeit<br />

beantworten.<br />

Bei dieser Frage, die sich speziell mit dem Nutzen der Diagnose Fragiles-X Syndrom<br />

für die schulische Förderung auseinandersetzt, ist ein Vergleich mit der zweiten Frage<br />

möglich. Diese <strong>bei</strong>nhaltet eine allgemeine Aussage über den Zusammenhang von Diag-<br />

nose und Förderung.<br />

Die achte Frage stellt eine halbgeschlossene Frage dar, welche die Absicht verfolgt,<br />

gewünschte bzw. genutzte Quellen zur Wissensvertiefung über das Fragile-X Syndrom<br />

in Erfahrung zu bringen. Da die befragten Lehrkräfte auf diesem Gebiet als Experten<br />

gelten, wird die Möglichkeit offen gelassen, weitere Bezugsquellen zu hinzuzufügen.<br />

Die neunte Frage verfolgt die Absicht, die Quellenangaben zur Vertiefung des Wissens<br />

über das Fragile-X Syndrom zu konkretisieren. Dazu wurden die Angaben auf die litera-<br />

rischen Werke beschränkt, weil diese meiner Meinung nach die am häufigsten benutzen<br />

Quellen darstellen. Die befragten Personen konnten auf diese offene Frage allgemeine<br />

bzw. konkrete Angaben zu Büchern und Zeitschriften vermerken.<br />

6.2.2 Überar<strong>bei</strong>tung des Fragebogens<br />

Die endgültige Fassung des Fragebogens ist auf einen Prozess zurückzuführen. Da<strong>bei</strong><br />

halfen mir außenstehende Personen und Vereine (Expertenrating), die ich im Folgenden<br />

aufzählen möchte:<br />

- Frau Professorin H. Adam und Frau Dr. S. Wachsmuth als Betreuerinnen meiner<br />

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Examensar<strong>bei</strong>t,


Praktischer Teil - Fragebogen 82<br />

- Herr Nötzold als Angehöriger des Regionalschulamtes und somit als Vertreter<br />

der Praxis,<br />

- die Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V. als Experte des Fragilen-X Syn-<br />

droms und<br />

- Studierende des gleichen Semesters im Studiengang Lehramt an Förderschulen.<br />

Nach Rücksprache mit den genannten Personen wurde der Fragebogen mehrmals über-<br />

ar<strong>bei</strong>tet. Die Änderungen beliefen sich auf Umgestaltungen im Aufbau, Ergänzungen<br />

bzw. Streichungen, Konkretisierungen bzw. Verallgemeinerungen von Formulierungen.<br />

6.2.3 Fragebogen<br />

Auf den folgenden Seiten befindet sich ein blanko Fragebogen<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 83<br />

Fragebogen zur Examensar<strong>bei</strong>t:<br />

Mein Name ist <strong>Katrin</strong> <strong>Steglich</strong>. Ich studiere an der Universität Leipzig Lehramt an<br />

Förderschulen im 8. Semester. Zur Zeit schreibe ich meine Examensar<strong>bei</strong>t zu dem<br />

Thema<br />

Diagnose – „Fragiles-X Syndrom“.<br />

Nutzen für die schulische Förderung<br />

Mit Hilfe meiner Abschlussar<strong>bei</strong>t möchte ich in Erfahrung bringen, welchen Einfluss<br />

die Diagnose „Fragiles X-Syndrom“ auf die schulische Förderung eines Kindes hat.<br />

Ich möchte Sie bitten, den Fragebogen innerhalb von 14 Tagen zu beantworten und<br />

Ihrer Schulleiterin bzw. Ihrem Schulleiter zurückzugeben.<br />

Fragiles-X Syndrom<br />

Das Fragile X-Syndrom ist eine der häufigsten erblich bedingten Ursachen für unter-<br />

schiedlich stark ausgeprägte Minderbegabung. Man nimmt an, dass ungefähr jeder<br />

4000. das Gen für das Syndrom trägt. Es ist durch eine große Spannbreite von Ent-<br />

wicklungsproblemen, Lernstörungen und Verhaltensauffälligkeiten geprägt.<br />

Fragil (lat.) bedeutet zerbrechlich und ist auf eine Schädigung des X-Chromosoms<br />

(Geschlechtschromosoms) zurückzuführen. Mädchen sind meist nur wenig oder gar<br />

nicht betroffen, da die Vererbung geschlechtsabhängig erfolgt.<br />

Hinweis: Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, die Angaben und Fragen in der vorgegebenen<br />

Reihenfolge zu beantworten, sich zu jedem Punkt zu äußern und Ihre Aussagen möglichst<br />

spontan zu geben.<br />

Die Anonymität Ihrer Daten wird gewährleistet. Die Angaben werden nur im Rahmen<br />

meiner Examensar<strong>bei</strong>t genutzt.<br />

www.foepaed.<strong>net</strong>


Praktischer Teil - Fragebogen 84<br />

I Angaben der/des Befragten<br />

Geschlecht: ٱ weiblich ٱ männlich<br />

Alter: ____ Jahre<br />

Ausbildung: ________________________________________<br />

ausgeübte Tätigkeit: ________________________________________<br />

In welcher Schule unterrichten Sie?<br />

In welcher Klassenstufe unterrichten Sie?<br />

(Mehrfachnennungen möglich)<br />

In welcher Form sind Sie als LehrerIn tätig?<br />

(Mehrfachnennungen möglich)<br />

II Allgemeine Fragen zur Diagnose<br />

Frage 1<br />

________________________________________<br />

(Schule)<br />

________________________________________<br />

(Ort)<br />

ٱ Unterstufe ٱ Mittelstufe<br />

ٱ Oberstufe ٱ Werkstufe<br />

ٱ sonstige: _______________________________<br />

ٱ KlassenlehrerIn ٱ FachlehrerIn<br />

ٱ sonstiges: _______________________________<br />

Sie unterrichten ab Beginn eines Schuljahres eine neue Klasse. Wie informieren<br />

Sie sich über Ihre zukünftigen SchülerInnen?<br />

(Mehrfachnennungen möglich)<br />

www.foepaed.<strong>net</strong><br />

ٱ ausschließlich über Einsicht in die SchülerInnenunterlagen (u.a. mit In-<br />

formationen zur Schuleingangsdiagnostik, vom Kinderarzt)<br />

ٱ ausschließlich durch Beobachtungen des Kindes<br />

ٱ sowohl durch Einsicht der Unterlagen als auch über Beobachtungen<br />

ٱ durch Gespräche mit den Eltern und anderen Erziehungsberechtigten<br />

ٱ aus Förderplänen der vergangenen Schuljahre (falls bereits vorhanden)<br />

ٱ sonstiges: ________________________________________________


Praktischer Teil - Fragebogen 85<br />

Frage 2<br />

Meinen Sie, dass die in den Unterlagen des Kindes angegebene Diagnose der Behinde-<br />

rung Auswirkungen auf die Förderung des Kindes hat?<br />

Frage 3<br />

ٱ ja<br />

ٱ nein<br />

ٱ weiß nicht<br />

Unterrichten Sie ein Kind mit geistiger Behinderung, <strong>bei</strong> dem die medizinische Ursache<br />

für die Behinderung unbekannt bzw. sehr allgemein gehalten ist?<br />

Frage 4<br />

ٱ ja ٱ nein ٱ weiß nicht<br />

(weiter mit Frage 4) (weiter mit Frage 5) (weiter mit Frage 5)<br />

Wie gestaltet sich die Förderung eines Kindes mit geistiger Behinderung, <strong>bei</strong><br />

dem die medizinische Ursache für die Behinderung unbekannt bzw. sehr allge-<br />

mein gehalten ist? (Mehrfachnennungen möglich)<br />

www.foepaed.<strong>net</strong><br />

ٱ wie <strong>bei</strong> einem Kind mit der Diagnose geistige Behinderung bekannter<br />

Ursache<br />

ٱ einfacher als <strong>bei</strong> einem Kind mit der Diagnose geistige Behinderung bekannter<br />

Ursache<br />

ٱ komplizierter als <strong>bei</strong> einem Kind mit der Diagnose geistige Behinderung<br />

bekannter Ursache<br />

ٱ umfassender als <strong>bei</strong> einem Kind mit der Diagnose geistige Behinderung<br />

bekannter Ursache


Praktischer Teil - Fragebogen 86<br />

III Spezielle Fragen zum Fragilen-X Syndrom<br />

Frage 5<br />

Haben Sie schon einmal etwas über das Fragile-X Syndrom gehört?<br />

Frage 6<br />

ٱ ja, woher? _________________________________________________<br />

ٱ nein<br />

(weiter mit Frage 8)<br />

Wie schätzen Sie Ihren Wissensstand über das Fragilen-X Syndrom ein?<br />

ٱ sehr gut<br />

ٱ gut<br />

ٱ Überblickswissen<br />

ٱ sehr gering<br />

Laut Angaben des Infoblattes der Interessengesellschaft Fragiles-X e.V. liegt die Häu-<br />

figkeit des Fragilen-X Syndroms ungefähr <strong>bei</strong> 1:4000.<br />

„Es muss angenommen werden, daß viele betroffene Kinder und Erwachsene nicht<br />

diagnostiziert sind …“ (zit. Sarimski, 1997, 113f.), so dass eine Häufigkeit von 1:1000<br />

bis 1:2000/2600 geschätzt wird (vgl. Dittmann, 1998, 233)<br />

Frage 7<br />

Sind Sie der Meinung, dass ein geistig behindertes Kind mit der Behinderungsursache<br />

Fragiles-X Syndrom besser gefördert werden kann, als ein Kind mit geistiger Behinde-<br />

rung <strong>bei</strong> dem das Fragile-X Syndrom als Ursache noch nicht diagnostiziert wurde?<br />

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ٱ ja<br />

ٱ nein<br />

ٱ weiß nicht


Praktischer Teil - Fragebogen 87<br />

Frage 8<br />

Welche Quellen würden Sie nutzen bzw. haben Sie genutzt, um ihr Wissen über<br />

das Fragile-X Syndrom zu vertiefen? (Mehrfachnennungen möglich)<br />

Frage 9<br />

ٱ Literatur (wie Bücher, Zeitschriften, …)<br />

ٱ Fernsehen, Radio<br />

ٱ Inter<strong>net</strong><br />

ٱ Gespräche mit Eltern betroffener Kinder<br />

ٱ Gespräche mit Kollegen<br />

ٱ Gespräche mit Medizinern<br />

ٱ Informationsveranstaltungen /Tagungen<br />

ٱ thematische Fortbildung<br />

ٱ Konsultation des Regionalschulamtes (RSA)<br />

ٱ sonstiges: __________________________________________________<br />

In welchen literarischen Werken (Bücher, Zeitschriften) sollte Ihrer Meinung nach ein<br />

Beitrag über das Fragile-X Syndrom stehen?<br />

Quellen:<br />

Bücher: (allgemeine Angaben z.B. Übersichtswerke der Geistigbehindertenpädagogik oder<br />

konkrete Angaben mit Autor und/oder Titel)<br />

___________________________________________________________<br />

___________________________________________________________<br />

___________________________________________________________<br />

Zeitschriften: (Titel)<br />

___________________________________________________________<br />

___________________________________________________________<br />

Vielen Dank für Ihre Mitar<strong>bei</strong>t!<br />

DITTMANN, WERNER: Häufig vorkommend – kaum bekannt: Das Fragile-X-Syndrom.<br />

In: Angerhofer, Ute, Dittmann Werner (Hrsg.): Lernbehindertenpädagogik. Neuwied; Berlin: Luchterhand,<br />

1998<br />

SARIMSKI, Klaus: Entwicklungspsychologie ge<strong>net</strong>ischer Syndrome. Göttingen u.a.: Hogrefe, Verlag für<br />

Psychologie, 1997<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 88<br />

6.3 Durchführung der Befragung<br />

Innerhalb einer Woche brachte ich je zehn Fragebögen an sieben Schulen für geistig<br />

Behinderte in Leipzig. Zu einem zuvor vereinbarten Termin erläuterte ich der/m Schul-<br />

leiterIn das Anliegen meines Fragebogens und bat sie/ihn je einen Bogen an zehn zufäl-<br />

lig ausgewählte LehrerInnen zu geben. Jede Schule erhielt außerdem drei Informations-<br />

blätter über das Syndrom, welche von der Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V. he-<br />

rausgegeben wurden. Meine dahinter liegende Absicht war es, dass sich die Lehrkräfte,<br />

die das Syndrom nicht kannten, sowohl über das Fragile-X Syndrom als auch über erste<br />

Quellen zur Wissensvertiefung informieren konnten.<br />

Auf dem Deckblatt des Fragebogen hatte ich die LehrerInnen gebeten, diesen innerhalb<br />

von 14 Tagen auszufüllen und an die/den SchulleiterIn zurückzugeben. Deswegen<br />

vereinbarte ich in drei Wochen einen Termin, um die Bögen persönlich abzuholen.<br />

Zur vereinbarten Frist nahm ich die ausgefüllten Fragebögen in Empfang. Wiederum<br />

eine Woche später erkundigte ich mich nach eventuell nachgereichten Bögen. Bei eine<br />

Zusage holte ich die restlichen Fragebögen zu einem zuvor festgelegten Zeitpunkt ab.<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 89<br />

6.4 Quantitative Auswertung der Befragung<br />

Der Fragebogen wurde in Form einer Stichprobenverteilung an Lehrkräfte in Schulen<br />

für Geistigbehinderte in Leipzig verteilt. Da<strong>bei</strong> wurden 70 Bögen ausgegeben. 50 Bö-<br />

gen standen zur Auswertung zur Verfügung. Daraus ergibt sich eine Rücklaufquote von<br />

71 Prozent.<br />

6.4.1 Angaben der Befragten<br />

Geschlecht<br />

Geschlecht Anzahl Prozent<br />

weiblich 44 88<br />

männlich 5 10<br />

ohne Angabe 1 2<br />

Tabelle 6: Geschlecht der Stichprobe<br />

Von den 50 befragten Personen sind 88 Prozent weiblich und 10 Prozent männlich.<br />

Zwei Prozent der Stichprobe machten keine Angaben zum Geschlecht.<br />

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10%<br />

2%<br />

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�������������������������<br />

�����������������������������������������������������������������������<br />

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�������������������������<br />

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�����������������������������������������������������������������������<br />

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�������������������������<br />

�����������������������������������������������������������������������<br />

�������������������������<br />

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�����������������������������������������������������������������������<br />

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�����������������������������������������������������������������������<br />

�����������������������������������������������������������������������<br />

�����������������������������������������������������������������������<br />

�����������������������������������������������������������������������<br />

88%<br />

Graphik 1: Geschlecht der Stichprobe<br />

���<br />

weiblich<br />

��� ���<br />

��� männlich<br />

ohne Angabe


Praktischer Teil - Fragebogen 90<br />

Alter<br />

Alter in Jahren Anzahl der<br />

Personen<br />

Prozent<br />

20 - 30 7 14<br />

31 - 40 13 26<br />

41 - 50 16 32<br />

51 - 60 9 18<br />

ohne Angabe 5 10<br />

Tabelle 7: Alter der Stichprobe<br />

Die befragten Personen sind zwischen 25 und 59 Jahren alt. Das Durchschnittsalter<br />

beträgt 40 Jahre. Die mit 32 Prozent am häufigsten vertretene Altersgruppe stellt die<br />

Kategorie der 41 bis 50jähigen dar. Personen zwischen 31 und 40 Jahren sind zu 26<br />

Prozent und zwischen 51 und 60 Jahren zu 18 Prozent vertreten. Die Gruppe der 20 bis<br />

30jährigen stellt mit 14 Prozent die am geringsten vertretene Kategorie in der Alters-<br />

klassifikation dar. Zehn Prozent der Befragten machten keine Angaben zum Alter.<br />

Anzahl<br />

18<br />

16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

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7<br />

13<br />

16<br />

20 - 30 31 - 40 41 - 50 51 - 60 ohne Angabe<br />

Alter<br />

Graphik 2: Alter der Stichprobe<br />

9<br />

5


Praktischer Teil - Fragebogen 91<br />

Ausbildung<br />

Die Angaben zur Ausbildung lassen sich in drei Kategorien teilen. Dazu zählen abge-<br />

schlossene Ausbildungen, Zusatzqualifikationen, und gegenwärtige Ausbildungen.<br />

Differenziertere Aussagen werden in der folgenden Tabelle aufgeführt.<br />

abgeschlossene Ausbildung:<br />

- Diplom (FachlehrerIn, LehrerIn, Betriebswirt mit pädagogischem<br />

Abschluss, PädagogIn für Sehgeschädigte, SportlehrerIn,<br />

RehabilitationspädagogIn),<br />

- Erzieher (mit Lehrbefähigung),<br />

- Fachschule Institut für Lehrerbildung,<br />

- FörderschulleherIn,<br />

- GrundschullehrerIn,<br />

- HeilpädagogIn,<br />

- LUK (LehrerIn unterer Klassen),<br />

- Pädagogische Fachschule,<br />

- RehabilitationspädagogIn,<br />

- unbefristete Lehrerlaubnis<br />

Zusatzqualifikationen: - förderpädagogischer Abschluss,<br />

- Ausbildung in förderpädagogischen Fachrichtungen<br />

gegenwärtige Ausbildung:<br />

keine Angaben<br />

Ausgeübte Tätigkeit<br />

ReferendarIn (2. Ausbildungsabschnitt),<br />

- StudentIn für das Lehramt an Förderschulen<br />

Tabelle 8: Angaben zur Ausbildung der Stichprobe<br />

Die gegenwärtig ausgeübte Tätigkeit erfolgt in der Funktion als LehrerIn, ReferendarIn<br />

und StudentIn. Als zusätzliche Tätigkeit wurde von einem Teil der befragten Personen<br />

das Amt der (stellvertretenden) Schulleiterin bzw. des (stellvertretenden) Schulleiters<br />

angegeben.<br />

Befragte Schulen<br />

In der Befragung wurden sieben Schulen für geistig Behinderte in Leipzig einbezogen.<br />

Dazu zählen:<br />

- das Diakonische Werk Innere Mission Leipzig e.V. Förderschule „Werner<br />

Vogel“ (Schule in freier Trägerschaft),<br />

- die Förderschule für geistig und körperlich Behinderte Schloß Schönefeld e.V.<br />

(Schule in freier Trägerschaft),<br />

- die Christopherus-Schule,<br />

- die Lindenhofschule,<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 92<br />

- die Martinschule,<br />

- die Schule Rosenweg und<br />

- die Schule Thonberg.<br />

Da<strong>bei</strong> handelt es sich um staatliche Schulen und Schulen in freier Trägerschaft.<br />

Klassenstufe(n)<br />

Klassenstufe Anzahl Prozent<br />

Unterstufe 10 20<br />

Mittelstufe 21 42<br />

Oberstufe 24 48<br />

Werkstufe 25 50<br />

sonstiges: Einzelförderung<br />

(Mehrfachnennungen möglich)<br />

Tabelle 9: Klassenstufen<br />

Die befragten Personen sind in verschiedenen Klassenstufen tätig. 50 Prozent ar<strong>bei</strong>ten<br />

in der Werkstufe, 48 Prozent in der Oberstufe, 42 Prozent in der Mittelstufe und 20<br />

Prozent in der Unterstufe. Als Ergänzung ist der Bereich der Einzelförderung zu nen-<br />

nen.<br />

LehrerInnenformen<br />

Form Anzahl Prozent<br />

KlassenlehrerIn 36 72<br />

FachlehrerIn 17 34<br />

sonstiges: Diagnostik-LehrerIn,<br />

MentorIn<br />

ReferendarIn<br />

StudentIn<br />

(Mehrfachnennungen möglich)<br />

Tabelle 10: LehrerInnenformen<br />

72 Prozent der Befragten sind als KlassenlehrerIn, 34 Prozent als FachlehrerIn tätig. Als<br />

weitere Formen sind Diagnostik-LehrerIn, MentorIn, ReferendarIn und StudentIn auf-<br />

zuführen.<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 93<br />

6.4.2 Allgemeine Fragen zur Diagnose<br />

Informationsgewinnung über zukünftige SchülerInnen (Frage 1)<br />

Vorgehensweise Anzahl Prozent<br />

ausschließlich durch Einsicht in die SchülerInnenunterlagen<br />

0 0<br />

ausschließlich durch Beobachtungen 1 2<br />

Einsicht der Unterlagen und Beobachtungen 48 96<br />

Gespräche mit Eltern und anderen Erziehungsberechtigten<br />

42 84<br />

Nutzung von Förderplänen vergangener Schuljahre<br />

35 70<br />

sonstiges* 9 18<br />

Enthaltung<br />

*sonstiges:<br />

1 2<br />

- Verwendung ärztliche Unterlagen;<br />

- Nutzung von Nachschlagewerken über bestimmte Behinderungsarten;<br />

- Beobachtungen im Kindergarten (wenn möglich);<br />

- Kontakte mit vorherigen und gegenwärtigen Fördereinrichtungen, z.B. Therapeuten,<br />

Psychologen, Logopäden, Ergotherapeuten;<br />

- Gespräche mit Kollegen vergangener Schuljahre<br />

(Mehrfachnennungen möglich)<br />

Tabelle 11: Informationsgewinnung über zukünftige SchülerInnen<br />

Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass die eindeutige Mehrheit (96 Prozent entspricht 48<br />

Personen) durch Einsicht der Unterlagen und durch Beobachtungen Informationen über<br />

zukünftige SchülerInnen gewinnen. Des Weiteren ziehen 84 Prozent Gespräche mit den<br />

Eltern und anderen Erziehungsberechtigten und 70 Prozent Förderpläne der vergange-<br />

nen Schuljahre in den Prozess des Kennen Lernens neuer SchülerInnen mit ein. Neun<br />

Personen gaben weitere Vorgehensweisen an. Dazu zählen:<br />

- Verwendung ärztlicher Unterlagen,<br />

- Nutzung von Nachschlagewerken über bestimmte Behinderungsarten,<br />

- Beobachtungen im Kindergarten (wenn möglich),<br />

- Kontakte mit vorherigen und gegenwärtigen Fördereinrichtungen, z.B. Thera-<br />

peuten, Psychologen, Logopäden, Ergotherapeuten,<br />

- Gespräche mit Kollegen vergangener Schuljahre.<br />

Eine Person gab an, sich ausschließlich über Beobachtungen über neue SchülerInnen zu<br />

informieren. Eine weitere Person enthielt sich der Antwort.<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 94<br />

Anzahl der Antworten<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

0<br />

ausschließlich durch<br />

Einsicht der<br />

SchülerInnenunterlagen<br />

1<br />

ausschließlich durch<br />

Beobachtungen<br />

48<br />

Einsicht der Unterlagen<br />

& Beobachtungen<br />

42<br />

Gespräche mit den<br />

Eltern u.a. Erziehungsberechtigten<br />

35<br />

Nutzung von Förderplänen<br />

vergangener<br />

Schuljahre<br />

9<br />

sonstiges<br />

Graphik 3: Informationsgewinnung über zukünftige SchülerInnen<br />

Zusammenhang zwischen Diagnose und Förderung (Frage 2)<br />

Sichtweise Anzahl Prozent<br />

Ja 38 76<br />

Nein 9 18<br />

Weiß nicht 1 2<br />

Enthaltung 2 4<br />

Tabelle 12: Zusammenhang zwischen Diagnose und Förderung<br />

Die Mehrheit der Befragten (76 Prozent entspricht 38 Personen) meinen, dass die in den<br />

Unterlagen eines Kindes angegebene Diagnose einer Behinderung Einfluss auf die<br />

Förderung hat. 18 Prozent sehen zwischen der Diagnose und der Förderung keinen<br />

Zusammenhang. Eine Person ist sich über die Beziehung von Diagnostik und Förderung<br />

unschlüssig („Weiß nicht“). Zwei Befragte enthielten sich der Stimme.<br />

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1<br />

Enthaltung


Praktischer Teil - Fragebogen 95<br />

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������������<br />

������������<br />

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18%<br />

2% 4%<br />

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������������<br />

�������������������������������<br />

������������<br />

�������������������������������<br />

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������������<br />

�������������������������������<br />

������������<br />

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��������������������������������������������������������������<br />

��������������������������������������������������������������<br />

76%<br />

��������������������������������������������������������������<br />

Graphik 4: Zusammenhang zwischen Diagnose und Förderung<br />

����<br />

���� Ja<br />

���� Nein<br />

Weiß nicht<br />

Enthaltung<br />

Angaben über SchülerInnen mit einer geistigen Behinderung mit unbekannter bzw. sehr<br />

allgemeingehaltener Diagnose (Frage 3)<br />

Entscheidung Anzahl Prozent<br />

Ja 43 86<br />

Nein 6 12<br />

Weiß nicht 1 2<br />

Tabelle 13: Angaben über SchülerInnen mit einer geistigen Behinderung<br />

mit unbekannter bzw. sehr allgemein gehaltenen Diagnose<br />

Die Frage „Unterrichten Sie ein Kind mit geistiger Behinderung, <strong>bei</strong> dem die medizini-<br />

sche Ursache für die Behinderung unbekannt bzw. sehr allgemein gehalten ist?“ beant-<br />

worteten 86 Prozent der Befragten mit Zustimmung (Ja) und 12 Prozent mit Ablehnung<br />

(Nein). Eine Person war sich über den Sachverhalt unschlüssig.<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 96<br />

12%<br />

2%<br />

����������������������������������������������������������������������������<br />

������������������������������<br />

������������������������������<br />

����������������������������������������������������������������������������<br />

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����������������������������������������������������������������������������<br />

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����������������������������������������������������������������������������<br />

����������������������������������������������������������������������������<br />

����������������������������������������������������������������������������<br />

86%<br />

����<br />

Ja<br />

����<br />

Nein<br />

Weiß nicht<br />

Graphik 5: Angaben über SchülerInnen mit einer geistigen Behinderung<br />

unbekannter bzw. sehr allgemein gehaltener Diagnose<br />

Nutzen der Diagnose in Bezug auf die Gestaltung der Förderung (Frage 4)<br />

Sichtweise Anzahl Prozent<br />

wie, wenn bekannt 24 56<br />

einfacher 0 0<br />

komplizierter 7 16<br />

umfassender 16 37<br />

Enthaltung 4 9<br />

(Mehrfachnennungen möglich)<br />

Tabelle 14: Nutzen der Diagnose in Bezug auf die Gestaltung der Förderung<br />

Die folgende Frage beantworteten ausschließlich die Lehrkräfte, welche zuvor ausge-<br />

sagten, dass sie ein Kind mit geistiger Behinderung unbekannter bzw. allgemein gehal-<br />

tener Diagnose unterrichten. Dazu zählen 43 Personen, was einem Prozentsatz von 86<br />

zur Gesamtzahl der Befragten entspricht.<br />

Interessant ist ,dass 56 Prozent der Befragten meinen, dass sich die Förderung eines<br />

Kindes mit einer Behinderung unbekannter bzw. allgemein gehaltener Diagnose wie die<br />

Förderung eines Kindes mit geistiger Behinderung bekannter Diagnose gestaltet. 37<br />

Prozent schätzen die Förderung als umfassender und 16 Prozent als komplizierter ein.<br />

Die Aussage, dass sich die Förderung eines Kindes mit einer geistigen Behinderung<br />

unbekannter bzw. allgemein gehaltener Diagnose einfacher gestaltet, wurde nicht ge-<br />

wählt. 9 Prozent der Lehrkräfte enthielten sich zu diesem Sachverhalt.<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 97<br />

Prozent<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

56<br />

wie, wenn<br />

bekannt<br />

0<br />

16<br />

einfacher komplizierter umfassender Enthaltung<br />

Graphik 6: Nutzen der Diagnose in Bezug auf die Gestaltung der Förderung<br />

6.4.3 Spezielle Fragen zum Fragilen-X Syndrom<br />

Bekanntheitsgrad des Fragilen-X Syndroms (Frage 5)<br />

Entscheidung Anzahl Prozent<br />

Ja* 22 44<br />

Nein 26 52<br />

Enthaltung 2 4<br />

*wenn ja, woher:<br />

- Medien,<br />

- Gesprächen,<br />

- Studium<br />

Tabelle 15: Bekanntheitsgrad des Fragilen-X Syndroms<br />

22 Personen (44 Prozent) gaben an, schon etwas über das Fragile-X Syndrom gehört<br />

haben. Folgende Angaben führten die Befragten als Informationsquelle an:<br />

- Medien in Form von:<br />

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o Literatur - allgemein und konkret z.B. aus Übersichten über Ursachen<br />

von Behinderungen,<br />

o Fachzeitschriften, z.B. Zeitschrift für Heilpädagogik,<br />

o Angaben aus dem Inter<strong>net</strong>,<br />

37<br />

9


Praktischer Teil - Fragebogen 98<br />

o Fernsehberichten,<br />

o Informationsblättern;<br />

- Gespräche u.a. aus dem allgemeinen Sprachgebrauch in Schulen für Geistigbe-<br />

hinderte und<br />

- Studium:<br />

o Grundständiges Studium Förderpädagogik,<br />

o Berufsbegleitende Weiterbildung (BBW) in Geistigbehindertenpädago-<br />

gik.<br />

52 Prozent der Lehrkräfte hatten bis zum Zeitpunkt der Befragung nichts über das Syn-<br />

drom gehört. 4 Prozent der Personen stimmten dem Sachverhalt der Frage weder zu<br />

noch lehnten sie ihn ab (=Enthaltung).<br />

52%<br />

4%<br />

������������������������������������������������������<br />

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���������������������������������������������������������������������������<br />

������������������������������������������������������<br />

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���������������������������������������������������������������������������<br />

������������������������������������������������������<br />

���������������������������������������������������������������������������<br />

���������������������������������������������������������������������������<br />

���������������������������������������������������������������������������<br />

������������������������������������������������������<br />

����������������������������������<br />

����������������������������������<br />

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���������������������������������������������������������������������������<br />

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��������������������������������������������������������������������������� ����������������������������������<br />

�������������������������������������������������������������������������������������������������������������<br />

���������������������������������������������������������������������������<br />

44%<br />

Graphik 7: Bekanntheitsgrad des Fragilen-X Syndroms<br />

Wissensstand über das Fragile-X Syndrom (Frage 6)<br />

Wissensstand Anzahl Prozent<br />

sehr gut 1 5<br />

gut 1 5<br />

Überblickswissen 13 59<br />

sehr gering 7 32<br />

Tabelle 16: Wissensstand über das Fragile-X Syndrom<br />

����<br />

Bekannt<br />

���� ����<br />

����<br />

Unbekannt<br />

Enthaltung<br />

Die folgende Frage beantworteten ausschließlich die Lehrkräfte, welche zuvor angege-<br />

ben hatten, dass sie bereits etwas über das Fragile-X Syndrom gehört hatten. Dazu<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 99<br />

zählen 22 Personen, was einem Prozentrang von 44 zur Gesamtzahl der Befragten<br />

entspricht.<br />

Aus der Tabelle wird ersichtlich dass, 59 Prozent der Befragten angaben, Überblicks-<br />

wissen über das Fragile-X Syndrom zu besitzen. 32 Prozent schätzen ihren Wissens-<br />

stand über das Syndrom als sehr gering ein. Je eine Person gab an, sehr gute bzw. gute<br />

Kenntnisse über das Fragile-X Syndrom zu haben.<br />

Prozent<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

5<br />

Wissensstand über das fragile-X Syndrom<br />

5<br />

sehr gut gut Überblickswissen sehr gering<br />

Graphik 8: Wissensstand über das Fragile-X Syndrom<br />

Zusammenhang zwischen der konkreten Diagnose »Fragiles-X Syndrom« und der<br />

Förderung (Frage 7)<br />

Zusammenhang Anzahl Prozent<br />

Ja 8 36<br />

Nein 12 55<br />

Weiß nicht 2 9<br />

Tabelle 17: Zusammenhang zwischen der konkreten Diagnose<br />

„Fragiles-X Syndrom“ und der Förderung<br />

Ausschließlich die Antworten der Befragten, die angaben, etwas über das Fragile-X<br />

Syndrom gehört zu haben, wurde in die Auswertung einbezogen. Das heißt, dass sich<br />

von 50 Personen 22 zum Sachverhalt äußerten.<br />

Interessant ist, dass 55 Prozent angaben, dass ein geistig behindertes Kind mit der Diag-<br />

nose Fragiles-X Syndrom nicht besser gefördert werden kann als ein Kind mit einer<br />

geistigen Behinderung, <strong>bei</strong> dem das Fragile-X Syndrom als Ursache noch nicht diagnos-<br />

www.foepaed.<strong>net</strong><br />

59<br />

32


Praktischer Teil - Fragebogen 100<br />

tiziert wurde. 36 Prozent sind der Meinung, dass die Diagnose Fragiles-X Syndrom<br />

Einfluss auf die Förderung eines Kindes hat. 2 Personen waren sich über diesen Sach-<br />

verhalt unschlüssig.<br />

Prozent<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

36<br />

55<br />

Zusammenhang kein Zusammenhang Weiß nicht<br />

Graphik 9: Zusammenhang zwischen der gesicherten Diagnose<br />

„Fragiles-X Syndrom“ und der Förderung eines Kindes<br />

Gewünschte bzw. genutzte Quellen zur Wissensvertiefung über das Fragile-X Syndrom<br />

(Frage 8)<br />

Quellen Anzahl Prozent<br />

Literatur 44 88<br />

Fernsehen, Radio 12 24<br />

Inter<strong>net</strong> 24 48<br />

Gespräche mit Eltern betroffener Kinder 35 70<br />

Gespräche mit Kollegen 35 70<br />

Gespräche mit Medizinern 18 36<br />

Informationsveranstaltungen/Tagungen 14 28<br />

Thematische Fortbildung 32 64<br />

Konsultation des Regionalschulamtes 1 2<br />

(Mehrfachnennungen möglich)<br />

Tabelle 18: Gewünschte bzw. genutzte Quellen zur Wissensvertiefung über das Fragile-X Syndrom<br />

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9


Praktischer Teil - Fragebogen 101<br />

Die Angaben der Befragten über gewünschte bzw. genutzte Quellen zur Wissensvertie-<br />

fung über das Fragile-X Syndrom lassen sich in folgende Reihenfolge bringen:<br />

- Literatur mit 88 Prozent,<br />

- Gespräche mit Eltern betroffener Kinder mit 70 Prozent,<br />

- Gespräche mit Kollegen mit 70 Prozent,<br />

- Thematische Fortbildungen mit 64 Prozent,<br />

- Informationen aus dem Inter<strong>net</strong> mit 48 Prozent,<br />

- Gespräche mit Medizinern mit 36 Prozent,<br />

- Informationsveranstaltungen/Tagungen mit 28 Prozent,<br />

- Informationen aus dem Fernsehen bzw. Radio mit 24 Prozent und<br />

- Konsultation des Regionalschulamtes mit 2 Prozent.<br />

Prozent<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

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88<br />

Literatur<br />

24<br />

Fernsehen, Radio<br />

48<br />

Inter<strong>net</strong><br />

70<br />

Gespräche mit Eltern<br />

betroffener Kinder<br />

70<br />

Gespräche mit<br />

Kollegen<br />

36<br />

Gespräche mit<br />

Medizinern<br />

28<br />

Informationsveranstaltungen/Tagungen<br />

Graphik 10: Gewünschte bzw. genutzte Quellen zur<br />

Wissensvertiefung über das Fragile-X Syndrom<br />

64<br />

thematische<br />

Fortbildunga<br />

2<br />

Konsultation des<br />

Regionalschulamtes


Praktischer Teil - Fragebogen 102<br />

Quellenangaben über das Fragile-X Syndrom am Beispiel literarischer Werke (Frage 9)<br />

Die Angaben der befragten Lehrkräfte lassen sich in der Kategorie Bücher in folgende<br />

Gruppen teilen:<br />

fachübergreifende Werke:<br />

- pädagogisch-psychologische Literatur,<br />

- pädagogisch-medizinische Literatur<br />

medizinische Werke:<br />

- medizinisches Wörterbuch (Pschyrembel),<br />

- Sammlung über häufig auftretende Behinderungen z.B. über »Chronisch Kran-<br />

ke«<br />

- andere medizinische Literatur<br />

Förderpädagogische Werke:<br />

- Heilpädagogisches Grundwissen,<br />

- Einführung in förderpädagogische Fachrichtungen (geistige Behinderungen,<br />

Lernbehinderungen, Verhaltensstörungen)<br />

- Übersichtswerke zur Geistigbehindertenpädagogik, z.B. BACH: „Geistigbehin-<br />

dertenpädagogik“<br />

- Nachschlagewerke zur Geistigbehindertenpädagogik<br />

Allgemeine Angabe:<br />

- Buchangebot in den Buchhandlungen,<br />

- Fachbücher,<br />

- Fachliteratur,<br />

- jährliche Angebotskataloge der Schulbuchverlage<br />

Konkrete Angaben:<br />

- ohne Autor: „Mit Lernstörungen muss gerech<strong>net</strong> werden“.<br />

In der Kategorie Zeitschriften können die Antworten der Befragten in folgende Unter-<br />

punkte gegliedert werden:<br />

- Lehrerzeitschriften,<br />

- Elternzeitschriften,<br />

- medizinische Zeitschriften,<br />

- „Extra“ Zeitschrift (ähnlich wie <strong>bei</strong> der Spielmeyer-Vogt-Krankheit),<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 103<br />

- Förderpädagogische Zeitschriften:<br />

o „Förderschulmagazin“,<br />

o „Geistige Behinderung“,<br />

o „Lernen konkret“,<br />

o „Psychologie heute“,<br />

o „Sonderpädagogik“,<br />

o „Zeitschrift für Heilpädagogik“,<br />

o Schriftenreihe Lebenshilfe.<br />

6.5 Zusammenhänge zwischen einzelnen Fragen<br />

6.5.1 Zusammenhang zwischen Diagnose und Förderung & Nutzen der Diagnose in<br />

Bezug auf die Gestaltung der Förderung<br />

Die vierte Frage kann mit der zweiten Frage in Beziehung gesetzt werden. Während die<br />

zweite Frage eine allgemeine Aussage über den Nutzen der Diagnose für die Förderung<br />

erlaubt, setzt sich die vierte Frage speziell mit dem Aufwand zur Gestaltung von För-<br />

dermaßnahmen auseinander.<br />

Frage zwei gibt Auskunft über einen vorhandenen bzw. nicht vorhandenen Einfluss der<br />

Diagnose auf die Förderung. Frage vier untersucht die Relation der Diagnostik zur<br />

Förderung.<br />

Zusammenhang zwischen Frage 2 und Frage 4 Anzahl Prozent<br />

Diagnose hat Einfluss auf die Förderung &<br />

die Förderung eines Kindes mit einer geistigen Behinderung<br />

unbekannter Diagnose gestaltet sich komplizierter bzw. umfassender<br />

17 34<br />

Diagnose hat keinen Einfluss auf die Förderung &<br />

die Förderung eines Kindes mit einer geistigen Behinderung<br />

unbekannter Diagnose gestaltet wie die Förderung eines Kindes<br />

mit bekannter Diagnose<br />

3 6<br />

Diagnose hat Einfluss auf die Förderung &<br />

die Förderung eines Kindes mit einer geistigen Behinderung<br />

unbekannter Diagnose gestaltet wie die Förderung eines Kindes<br />

mit bekannter Diagnose<br />

17 34<br />

Diagnose hat keinen Einfluss auf die Förderung &<br />

die Förderung eines Kindes mit einer geistigen Behinderung<br />

unbekannter Diagnose gestaltet sich komplizierter bzw. umfassender<br />

3 6<br />

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Tabelle 19: Zusammenhang zwischen Frage 2 und Frage 4


Praktischer Teil - Fragebogen 104<br />

34 Prozent der Befragten gaben an, dass die in den Unterlagen des Kindes angegebene<br />

Diagnose einer Behinderung Einfluss auf die Förderung hat und dass sich die Förderung<br />

eines Kindes mit einer geistigen Behinderung unbekannter Ursache komplizierter bzw.<br />

umfassender gestaltet.<br />

Weitere 34 Prozent der befragten Lehrkräfte gaben an, dass die in den Unterlagen eines<br />

Kindes angegebene Diagnose im Zusammenhang mit der Förderung steht. Die Förde-<br />

rung eines Kindes mit einer geistigen Behinderung unbekannter Diagnose gestaltet sich<br />

nicht zwingend aufwendiger als <strong>bei</strong> einem Kind mit einer geistigen Behinderung mit<br />

bekannter Diagnose. Es besteht zwar die Möglichkeit, dass die Fördermaßnahmen für<br />

ein diagnostiziertes Kind aufgrund der Diagnose optimierter eingesetzt werden können.<br />

Diese Tatsache lässt aber nicht den Schluss zu, dass sich die Förderung eines nicht<br />

diagnostizierten Kindes aufwendiger gestaltet.<br />

6 Prozent der befragten Personen vertraten die Meinung, dass die in den Unterlagen<br />

eines Kindes angegebene Diagnose keinen Einfluss auf die Förderung hat und dass sich<br />

die Förderung eines Kindes mit einer geistigen Behinderung unbekannter Ursachen, wie<br />

die Förderung eines Kindes mit geistiger Behinderung bekannter Ursache gestaltet.<br />

Weitere 6 Prozent der befragten LehrerInnen vertraten die Meinung, dass die in den<br />

Unterlagen eines Kindes angegebene Diagnose keinen Einfluss auf die Förderung hat,<br />

dass sich die Förderung eines Kindes mit einer geistigen Behinderung unbekannter<br />

Ursache jedoch komplizierter bzw. umfassender gestaltet. Diese Aussage stellt einen<br />

Widerspruch dar.<br />

6.5.2 Zusammenhang zwischen Diagnose und Förderung (allgemein) & zwischen der<br />

gesicherten Diagnose Fragiles-X Syndrom und der Förderung eines Kindes<br />

Im Folgenden soll ergründet werden, in wie weit sich die Aussagen der zweiten Frage<br />

mit den Aussagen der siebenten Frage vergleichen lassen.<br />

Die zweite Frage setzt sich mit allgemeinen Aussagen über den Zusammenhang von<br />

Diagnose und Förderung auseinander. Die siebente Frage beschäftigt sich speziell mit<br />

dem Nutzen der Diagnose Fragiles-X Syndrom auf die schulische Förderung.<br />

Für den Vergleich wurden ausschließlich Daten von Personen verwendet, die angaben,<br />

etwas über das Fragile-X Syndrom gehört zu haben. Das entspricht 44 Prozent der<br />

Gesamtbefragten.<br />

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Praktischer Teil - Fragebogen 105<br />

Zusammenhang zwischen Frage 2 und Frage 7 Anzahl Prozent<br />

Diagnose und Förderung beeinflussen sich &<br />

Diagnose Fragiles-X Syndrom hat Einfluss auf<br />

Förderung<br />

Diagnose und Förderung beeinflussen sich nicht &<br />

Diagnose Fragiles-X Syndrom hat keinen Einfluss<br />

auf Förderung<br />

Diagnose und Förderung beeinflussen sich &<br />

Diagnose Fragiles-X Syndrom hat keinen Einfluss<br />

auf Förderung<br />

Diagnose und Förderung beeinflussen sich nicht &<br />

Diagnose Fragiles-X Syndrom hat Einfluss auf<br />

Förderung<br />

Tabelle 20: Zusammenhang zwischen Frage 2 und Frage 7<br />

8 36<br />

4 18<br />

6 27<br />

0 -<br />

36 Prozent der Befragten gaben an, dass sie zwischen der Diagnose und der Förderung<br />

und zwischen der Diagnose Fragiles-X Syndrom und der daraus folgenden Förderung<br />

einen Zusammenhang sehen.<br />

27 Prozent gaben an, dass die Diagnose Einfluss auf die Förderung hat. Die unterschied-<br />

lichen Ausprägungen und die vielfältigen Symptome des Fragilen-X Syndroms lassen<br />

die Lehrkräfte zu dem Schluss kommen, dass die medizinische Diagnose keinen Ein-<br />

fluss auf ihr pädagogischen Handeln ausübt.<br />

18 Prozent der Befragten vertraten die Meinung, dass die Diagnose gleich welcher Art<br />

keinen Einfluss auf die Förderung hat.<br />

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Zusammenfassung 106<br />

Zusammenfassung<br />

Die vorliegende Ar<strong>bei</strong>t beschäftigte sich mit dem Nutzen der Diagnose Fragiles-X Syn-<br />

drom für die schulische Förderung. Dazu wurde einleitend die Frage gestellt:<br />

Kann ein geistig behindertes Kind mit der bekannten Behinderungsursache<br />

Fragiles-X Syndrom besser gefördert werden als ein Kind, <strong>bei</strong>m dem das<br />

Fragile-X Syndrom als Ursache für eine geistige Behinderung noch nicht<br />

diagnostiziert wurde?<br />

Die Antwort auf diese Frage soll durch einen Prozess gefunden werden, der auf eine<br />

theoretische Auseinandersetzung und einen praktischen Bezug zurückgreift. Die Ergeb-<br />

nisse der Theorie sollen mit Meinungen der Praxis verglichen werden. Dazu führte ich<br />

eine Befragung der Lehrkräfte an Schulen für geistig Behinderte in Leipzig durch. Die<br />

Stichprobe kann wie folgt charakterisiert werden:<br />

- Die Mehrheit der befragten Personen ist weiblich.<br />

- Das Durchschnittsalter liegt <strong>bei</strong> 40 Jahren.<br />

- Die Ausbildung der befragten Lehrkräfte kann in die Kategorien abgeschlossene<br />

Ausbildung (z.B. Diplom oder LehrerIn für Förderschulen, Grundschulen oder<br />

untere Klassen), Zusatzqualifikationen (wie förderpädagogischer Abschluss) und<br />

gegenwärtige Ausbildung untergliedert werden.<br />

Für eine detaillierte Beantwortung der Fragestellung war es vorher notwendig, die<br />

Begriffe „Förderpädagogik“ und „Diagnostik“ einzugrenzen.<br />

Die Förderpädagogik soll im Rahmen dieser Ar<strong>bei</strong>t als eine interdisziplinäre Wissen-<br />

schaft verstanden werden, die sich übergreifend mit der Erziehung von Menschen mit<br />

Behinderung auseinandersetzt. Ihr Ziel ist es, Menschen mit Behinderung in die soziale<br />

Gesellschaft zu integrieren und ihnen somit eine Selbstverwirklichung zu ermöglichen.<br />

Die Integration soll durch die Umsetzung des Prinzips der Entwicklungsförderung ver-<br />

wirklicht werden. Darin heißt es, dass die dem Menschen mit Behinderung zur Verfü-<br />

gung stehenden Kompetenzen durch eine ganzheitliche Unterstützung aktiviert werden.<br />

Der Mensch mit Behinderung ist der Akteur seiner Entwicklung. Aufgabe des Erzie-<br />

henden ist es, optimale Bedingungen zu schaffen.<br />

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Zusammenfassung 107<br />

Eine Aufgabe der Förderpädagogik stellt die schulische Förderung dar. Darunter sind<br />

Aspekte wie Erziehung, Unterrichtung, Beurteilung, Therapie, Beratung und Pflege zu<br />

zählen.<br />

Der Begriff „Diagnostik“ wird in der Wissenschaft und Wirtschaft vielfältig verwendet.<br />

Für die Beantwortung der Fragestellung war es notwendig, Charakteristiken der medizi-<br />

nischen und der förderpädagogischen Diagnostik aufzuzeigen. Die Diagnostik der<br />

Medizin beschäftigt sich mit dem Erkennen von Symptomen, die auf psychische oder<br />

physische Störungen hinweisen können. Sie nimmt ausschließlich den gegenwärtigen<br />

Entwicklungsstand in ihr Blickfeld. Die förderpädagogische Diagnostik, auch Förder-<br />

diagnostik genannt, betrachtet den Menschen in seinem gesamten Entwicklungsumfeld.<br />

Da<strong>bei</strong> dienen diagnostische Informationen zur Vorbereitung und Auswahl, aber auch<br />

zur Steuerung, Kontrolle und Bewertung pädagogischer Maßnahmen. Somit können<br />

jeder pädagogischen Handlung diagnostische Anteile zugesprochen werden, weil jede<br />

Handlung einen Prozess des Erkennens und Verstehens darstellt. Diagnostische Infor-<br />

mationen können durch verschiedene Methoden gewonnen werden. Dazu zählen z.B.<br />

Informationsgespräche, Beobachtungen und diagnostische Tests.<br />

Zunächst sollen die Aussagen der Theorie und Praxis zum Nutzen der Diagnose allge-<br />

mein gegenübergestellt werden.<br />

Zwischen der Kenntnis der medizinischen Diagnose und dem Nutzen für die Förderpä-<br />

dagogik wird von der theoretischen Seite ein Zusammenhang gesehen, weil dadurch ein<br />

besseres Verständnis der Behinderung und deren entwicklungsbedingten Veränderun-<br />

gen erreicht werden kann. Des Weiteren stellt die Kenntnis der Diagnose eine Voraus-<br />

setzung dar, der jedoch untergeord<strong>net</strong>e Bedeutung zugesprochen wird. Bei progressiven<br />

Behinderungen, Behinderungen deren Ausprägungen im weiteren Verlauf durch Maß-<br />

nahmen gelindert oder vorgebeugt werden können oder vererbbaren Behinderungen<br />

stellt das Wissen um die Diagnose eine Notwendigkeit für pädagogisches Handeln dar.<br />

Die Kenntnis der Ursachen ist eine Voraussetzung für das Erstellen von Fördermaß-<br />

nahmen. Sie birgt aber auch die Gefahr der Etikettierung und Stigmatisierung in sich<br />

und sollte deswegen mit Vorsicht übernommen werden.<br />

In der Praxis gab die eindeutige Mehrheit der Befragten an, sich durch die Einsicht der<br />

Unterlagen und durch Beobachtungen über zukünftige SchülerInnen zu informieren. Als<br />

weiter wichtige Quellen wurden Gespräche mit den Eltern und anderen Erziehungsbe-<br />

rechtigten und die Verwendung von Förderplänen vergangener Schuljahre genannt. Ich<br />

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Zusammenfassung 108<br />

konnte ebenfalls feststellen, dass 86 Prozent der befragten Lehrkräfte ein Kind mit einer<br />

geistigen Behinderung unbekannter bzw. sehr allgemein gehaltenen Diagnose unterrich-<br />

ten. Die Mehrzahl der Befragten, die ein Kind mit einer geistigen Behinderung unbe-<br />

kannter bzw. allgemein gehaltener Diagnose unterrichten, gaben an, dass die in den Un-<br />

terlagen des Kindes angegebene Diagnose einer Behinderung Einfluss auf die Förde-<br />

rung hat. Die Gestaltung der Förderung eines Kindes mit einer geistigen Behinderung<br />

allgemein gehaltener bzw. unbekannter Ursache schätzen sie zum einen als komplizier-<br />

ter bzw. umfassender zum anderen jedoch als nicht zwingend aufwendiger ein.<br />

Theorie und Praxis stimmen darin überein, dass sie in der Kenntnis der medizinischen<br />

Diagnose einen Nutzen für die schulische Förderung sehen.<br />

In der Theorie wird die Meinung verdeutlicht, dass die Diagnose eine Voraussetzung<br />

zur Erstellung von Fördermaßnahmen ist. Die Praxis zeigt auf, dass die Gestaltung der<br />

Förderung eines Kindes mit einer geistigen Behinderung unbekannter Ursache kompli-<br />

zierter bzw. umfassender aber nicht zwingend aufwendiger sein kann. Somit kann fest-<br />

gehalten werden, dass die Kenntnis der Diagnose für die schulische Förderung von Nut-<br />

zen ist. Für die pädagogischen Tätigkeiten ist das Wissen um die Ursachen einer Behin-<br />

derung jedoch von untergeord<strong>net</strong>er Bedeutung.<br />

Nach den Aussagen zur Diagnose allgemein wurde im Anschluss der Nutzen der Diag-<br />

nose Fragiles-X Syndrom thematisiert. Dazu war es notwendig, das Syndrom vorzustel-<br />

len.<br />

Das Fragile-X Syndrom ist die zweithäufigste Ursache für geistige Behinderung nach<br />

dem Down-Syndrom. Das Syndrom wird durch eine Genmutation des X-Chromosoms<br />

hervorgerufen. Der Fakt, dass das Syndrom x-chromosomal vererbt wird, erklärt, dass<br />

Jungen häufiger betroffen sind bzw. ausgeprägtere Symptome aufweisen als Mädchen.<br />

Die Genveränderung ist auf eine vor dem FMR 1 Gen (fragile X mental retardtion gene<br />

1) liegende Wiederholung des Basentripletts CGG zurückzuführen, die in Form einer<br />

Vollmutation (= mehr als 200 Wiederholungen) zum Abschalten des Gens führt. Das<br />

FMR 1 Gen besitzt die Aufgabe, ein bestimmtes Protein (FMRP) zu bilden. Als Aufga-<br />

be des Proteins wird eine Beteiligung an der Ausreifung der Nervenzellen vermutet. Je<br />

nach dem Verhältnis von aktiven und inaktiven FMR 1 Genen können die unterschied-<br />

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Zusammenfassung 109<br />

lichen Schweregrade des Fragilen-X Syndroms erklärt werden. Die Ausprägungen des<br />

Syndroms reichen von Lernbehinderungen bis zu schweren geistigen Behinderungen.<br />

Personen mit Fragilem-X Syndrom zeigen spezifische Symptome. Dazu zählen körper-<br />

liche Merkmale, Entwicklungsverzögerung/mentale Retardierung in verschiedenen<br />

Ausprägungen und Verhaltensauffälligkeiten. Kinder mit Fragilem-X Syndrom weisen<br />

in ihrer kognitiven Entwicklung spezifische Stärken und Schwächen auf. Zu den Stär-<br />

ken gehören u.a. Wortschatz und Wortschatzumfang; Lesefertigkeiten, visuelle Zuord-<br />

nungen, ein stark ausgeprägtes Langzeitgedächtnis und gute Nachahmungsfähigkeit. Als<br />

Schwäche kann u.a. die Bewältigung von Aufgaben gesehen werden, die abstraktes<br />

Denken, höhere sprachliche Funktionen und/oder konzentrierte Aufmerksamkeit ver-<br />

langen. Verhaltensauffälligkeiten äußern sich u.a. durch extreme Hyperaktivität, geringe<br />

Konzentrationsfähigkeit, Aggressivität gegenüber anderen und sich selbst, extreme<br />

Angstzustände, vorwiegend in ungewohnten (Stress-) Situationen und soziale Scheu.<br />

Beim Fragilen-X Syndrom lassen sich anders als <strong>bei</strong> anderen Syndromen Stärken und<br />

Schwächen der Kinder feststellen. Aus den Charakteristiken des Fragilen-X Syndroms<br />

lassen sich dann pädagogische Konsequenzen ableiten. Dazu zählen z.B. die Beachtung<br />

dieser spezifischen Stärken und Schwächen eines Kindes. Des Weitern sollten <strong>bei</strong> der<br />

Planung von Unterricht einer angstfreien Atmosphäre, einen ritualisierten Tagesablauf<br />

und angemessene Leistungsanforderungen geachtet werden. Pädagogische Maßnahmen<br />

sollten Lernvoraussetzungen wie verstärktes visuelles Lernen und besondere Lernbe-<br />

dingungen wie Übersensibilität und die eingeschränkte Kommunikation in der Planung<br />

und Durchführung beachten.<br />

Im Folgenden werden die Aussagen der Theorie und Praxis zu Speziellen Fragen zum<br />

Fragilen-X Syndrom verglichen.<br />

In der theoretischen Auseinandersetzung zum Nutzen der Diagnose Fragiles-X Syndrom<br />

habe ich lediglich einen Aufsatz gefunden, dessen Quelle auf englischsprachige Litera-<br />

tur zurückzuführen ist. Ergänzend wende ich die Aussagen zur Diagnose allgemein auf<br />

die Thematik Fragiles-X Syndrom an.<br />

Die Kenntnis der Diagnose Fragiles-X Syndrom erlaubt es, eine ätiologiespezifische<br />

Förderung zu planen und durchzuführen. Außerdem kann durch eine konkrete Diagnose<br />

die Kommunikation der PädagogInnen, TherpeutInnen, Eltern usw. durch die Verwen-<br />

dung eines einfachen Codes erleichtert werden. Das Syndrom lässt sich ferner einer<br />

bestimmten Klassifikation zuordnen. Da<strong>bei</strong> wird z.B. nach den Ursachen und nach dem<br />

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Zusammenfassung 110<br />

Erscheinungsbild unterschieden, die dadurch ein tieferes Verständnis der Lehrkraft für<br />

die Ausprägungen des Syndroms ermöglichen können. Von Seiten der (schulischen)<br />

Förderung spricht die Häufigkeit des Syndroms dafür, dass Kinder mit einer geistigen<br />

Behinderung unbekannter bzw. allgemein gehaltener Diagnose auf das Syndrom diag-<br />

nostiziert werden. Eine Diagnose birgt jedoch die Gefahr in sich, dem Kind nicht vor-<br />

handene Symptome zuzuschreiben bzw. vorhandene Symptome zu vernachlässigen.<br />

Gegen eine konkrete Diagnose sprechen auch Probleme wie Etikettierung und Stigmati-<br />

sierung.<br />

Eine konkrete Diagnose kann für die Eltern zum einen eine Hilfe sein, weil sie dadurch<br />

über die Behinderung bzw. die Ursache der Behinderung ihres Kindes aufgeklärt wer-<br />

den. Auf der anderen Seite können die Eltern durch eine Behinderung ihres Kindes in<br />

ein Trauma versetzt werden bzw. die Vorstellung aufbauen, dass sich die Behinderung<br />

von selbst auflöst. Beide Einstellungen – Trauma und Selbstauflösung der Behinderung<br />

– können sich negativ auf die Entwicklung des Kindes auswirken. Bei der weiteren Fa-<br />

milienplanung ist es für die Eltern besonders wichtig, zu erfahren, dass das Fragile-X<br />

Syndrom auf den Fakt der Vererbung zurückzuführen ist.<br />

Im praktischen Teil antwortete die Hälfte der befragten Personen, vor der Erhebung<br />

noch nicht auf das Fragile-X Syndrom aufmerksam geworden zu sein. 44 Prozent der<br />

Befragten gaben an, aus den Medien, aus Gespräche oder aus dem Studium etwas über<br />

das Syndrom gehört zu haben. Die folgenden Aussagen beziehen sich ausschließlich auf<br />

die Personen, die angaben bereits etwas über das Syndrom gehört zu haben.<br />

Die Mehrheit der Befragten schätzten ihren Wissensstand über das Syndrom als Über-<br />

blickwissen bzw. als sehr gering ein.<br />

36 Prozent der Befragten gaben an, dass sie zwischen der Diagnose und der Förderung<br />

und zwischen der Diagnose Fragiles-X Syndrom und der daraus folgenden Förderung<br />

einen Zusammenhang sehen. 27 Prozent vertraten den Standpunkt, dass die Diagnose<br />

Einfluss auf die Förderung hat. Die unterschiedlichen Ausprägungen und die vielfälti-<br />

gen Symptome des Fragilen-X Syndroms lassen die Lehrkräfte jedoch zu dem Schluss<br />

kommen, dass die medizinische Diagnose keinen Einfluss auf ihr pädagogischen Han-<br />

deln hat.<br />

Die Mehrheit der (Gesamt)Befragten gaben an, Literatur zur Wissensvertiefung über<br />

das Syndrom nutzen zu wollen bzw. genutzt zu haben. Danach wurden Gespräche mit<br />

Eltern betroffener Kinder bzw. mit Kollegen und die Nutzung des Inter<strong>net</strong>s als ge-<br />

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Zusammenfassung 111<br />

wünschte bzw. genutzte Quellen zur Wissensvertiefung genannt. Als spezielle Quellen<br />

zur Wissensvertiefung wurden literarische Werke wie fachübergreifende Literatur (z.B.<br />

pädagogisch-medizinische Literatur), förderpädagogische Literatur bzw. Förderpädago-<br />

gische, Lehrer- oder Elternzeitschriften aufgeführt.<br />

Im Theorieteil wird die Diagnose Fragiles-X Syndrom hauptsächlich als vorteilhaft an-<br />

gesehen. Als Vorteile werden Aussagen wie Ermöglichung einer ätiologiespezifischen<br />

Förderung, Kommunikationserleichterung, Klassifizierung und Klärungshilfe für Eltern<br />

angegeben. Für die widersprechende Seite vom Nutzen einer Diagnose können (nur) die<br />

Nachteile einer allgemeinen Diagnose wie Etikettierung, Stigmatisierung, Symptomer-<br />

gänzung und Symptomvernachlässigung angeführt werden.<br />

Die praktische Seite zeigte auf, dass die Hälfte der Befragten das Syndrom nicht ken-<br />

nen. Die befragten Lehrkräfte, die angaben etwas über das Fragile-X Syndrom gehört zu<br />

haben, gaben zu rund einem Drittel an, dass die Diagnose Einfluss auf die Förderung<br />

hat. Ein Viertel der Befragten gaben an, dass die Diagnose keinen Einfluss auf die Ges-<br />

taltung der Förderung hat, weil die Ausprägung unterschiedlich und die Symptome viel-<br />

fältig sind.<br />

Die zu Beginn aufgestellte Frage kann nicht eindeutig beantwortet werden. Die theoreti-<br />

schen Auseinandersetzungen mit dem Thema ergaben, dass die Diagnose für die schuli-<br />

sche Förderung von Bedeutung ist, dass sie jedoch eine untergeord<strong>net</strong>e Rolle spielt.<br />

Die Befragung der Lehrkräfte spiegelt unterschiedliche Auffassungen zum Thema wi-<br />

der. Ein Teil der Lehrkräfte vertritt den Standpunkt, dass die Diagnose Fragiles-X Syn-<br />

drom Nutzen für die schulische Förderung hat. Der andere Teil bekräftigt, dass auf-<br />

grund der unterschiedlichen Ausprägungen und vielfältigen Symptome des Fragilen-X<br />

Syndroms für das förderpädagogische Handeln eine konkrete Diagnose nicht von Nut-<br />

zen ist.<br />

Abschließend kann somit geschlussfolgert werden, dass sowohl Kinder <strong>bei</strong> denen das<br />

Fragile-X Syndrom diagnostiziert wurde als auch Kinder, die das veränderte Gen tra-<br />

gen, die jedoch nicht diagnostiziert sind, optimal gefördert werden können.<br />

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Quellenverzeichnis VII<br />

Quellenverzeichnis<br />

Selbstständig erschienene Quellen<br />

BUNDSCHUH, KONRAD: Einführung in die sonderpädagogische Diagnostik. München<br />

u.a.: E. Reinhardt, 1999 5 .<br />

FORNEFELD, BARBARA: Einführung in die Geistigbehindertenpädagogik. Mit 5 Tabel-<br />

len und Übungsaufgaben. München u.a.: E. Reinhardt, 2000.<br />

FROSTER, URSULA G. (HRSG.): Das Fragile-X-Syndrom. München: MMV Medizin-<br />

Verlag, 1997.<br />

KOBI, EMIL E.: Diagnostik in der heilpädagogischen Ar<strong>bei</strong>t. Mit einem Beitrag von<br />

Eduard Bonderer. Luzern: Ed. Schweizerische Zentralstelle für Heilpädagogik,<br />

1996 3 .<br />

KOBI, EMIL E.: Grundfragen der Heilpädagogik. Eine Einführung in heilpädagogisches<br />

Denken. Bern u.a.: Verlag Paul Haupt, 1993 5 .<br />

KROMREY, HELMUT: Empirische Sozialforschung. Modelle und Methoden der Daten-<br />

erhebung und Datenauswertung. Opladen: Leske + Budrich, 1995 7 .<br />

NEUHÄUSER, GERHARD/STEINHAUSEN, HANS-CHRISTOPH (HRSG):Geistige Behinde-<br />

rung. Grundlagen, klinische Syndrome, Behandlung und Rehabilitation. Stuttgart<br />

u.a.: Kohlhammer, 1999 2 .<br />

NEUHÄUSER, GERHARD: Ge<strong>net</strong>ische Aspekte der Behinderung. Einführung für pädago-<br />

gische, medizinische und verwandte Berufe. Berlin: Carl Marhold Verlagsbuch-<br />

handlung, 1982.<br />

SARIMSKI, KLAUS: Entwicklungspsychologie ge<strong>net</strong>ischer Syndrome. Göttingen u.a.:<br />

www.foepaed.<strong>net</strong><br />

Hogrefe, Verlag für Psychologie, 1997.


Quellenverzeichnis VIII<br />

SPECK, OTTO: Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Erziehung. Ein heilpäda-<br />

gogisches Lehrbuch. München u.a.: E. Reinhardt, 1993 7 .<br />

SPIRIDIGLIOZZI, GAIL A. ET AL.: Die Erziehung von Jungen mit Fragilem-X-Syndrom.<br />

Ein Leitfaden für Eltern, Ärzte und Therapeuten. Übers. von Dieter Peschk.<br />

Durham: Duke University Medical Center, 2000. [Orig.: Education Boys with<br />

Fragile X Syndrom. 1994].<br />

STRASSER, URS: Wahrnehmen, Verstehen, Handeln. Förderdiagnostik für Menschen<br />

mit einer geistigen Behinderung. Luzern: Ed. Schweizerische Zentralstelle für<br />

Heilpädagogik, 1997 3 .<br />

PSCHYREMBEL Klinisches Wörterbuch. Berlin: de Gruyter, 1998 258 .<br />

Unselbstständig erschienene Quellen<br />

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(Hrsg.): Frühdiagnostik und Frühtherapie. Psychologische Behandlung von ent-<br />

wicklungs- und verhaltensgestörten Kindern. München u.a.: Psychologie-<br />

Verlags-Union, 1993 2 . 107 – 112.<br />

DITTMANN, WERNER: „Häufig vorkommend – kaum bekannt: Das Fragile-X-<br />

Syndrom“. In: Angerhoefer, Ute/Dittmann, Werner (Hrsg.): Lernbehindertenpä-<br />

dagogik: eine institutionalisierte Pädagogik im Wandel. Neuwied u.a.: Luchter-<br />

hand, 1998. 228 – 250.<br />

FRÖHLICH, ANDREAS: „Sonderpädagogik“. In: Hansen, Gerd/Stein, Roland (Hrsg.):<br />

Sonderpädagogik konkret. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen. Bad Heilbrunn:<br />

Verlag Julius Klinkhardt, 1997 2 , 167 – 170.<br />

HAGEDORN-GREIWE: „Aktueller Stand der Forschung und Pränataldiagnostik. Vortrag<br />

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über das Fragile X-Syndrom auf der 4-Jahrestagung der Interessengemein-<br />

schaft“. In: Frax-Info-Mitgliederzeitung Ausgabe 2 März 1998, 12f.


Quellenverzeichnis IX<br />

HAGERMAN, RANDI: „Behandlung und Therapiemöglichkeiten”. Übers. von Ursula G.<br />

Froster. In: Froster, Ursula G. (Hrsg.): Das Fragile-X-Syndrom. München:<br />

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HANTKE, UWE: „Das Fragile-X-Syndrom. Eine Herausforderung für Betroffene, Medi-<br />

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HANTKE, UWE: „Treffen der Regionalgruppe Schleswig-Holstein in Bad Segeberg.<br />

Universitätsprofessoren aus Lübeck und Rostock referierten zum Fragilen-X-<br />

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HERGERSBERG, MARTIN: „Chancen und Grenzen der Gentherapie. Wie realistisch sind<br />

die Aussichten für eine Gentherapie <strong>bei</strong> familiärer geistiger Behinderung?“ In:<br />

Frax-Info-Mitgliederzeitung Ausgabe 5 Oktober 1999, 14ff.<br />

JANTZEN, WOLFGANG: „Vom Nutzen der Syndromanalyse am Beispiel des Rett-<br />

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KRÄMER, BIRGIT: „Untersuchungsmethoden zur Diagnose des Fragilen-X-Syndroms.<br />

Zusammenfassung einiger Schwerpunkte der Vortrags von Andreas Müller<br />

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schaft Fragiles-X e.V.“. In: Frax-Info-Mitgliederzeitung Ausgabe 7 Dezember<br />

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Syndroms – 1. Teil. Auszüge aus dem auf der Jahrestagung der Interessenge-<br />

meinschaft Fragiles-X e.V. in Ehringerfeld im Oktober 1997 gehaltenem Vor-<br />

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MÜLLER, ANDREAS: „Molekularge<strong>net</strong>ische und klinische Aspekte des Fragilen-X-<br />

www.foepaed.<strong>net</strong><br />

Syndroms – Teil II. Auszüge aus dem auf der Jahrestagung 1997 gehaltenen<br />

Vortrag“. In: Frax-Info-Mitgliederzeitung Ausgabe 4 März 1999, 12ff.


Quellenverzeichnis X<br />

NEUHÄUSER, GERHARD: „Klinische Syndrome“. In: Neuhäuser, Gerhard/Steinhausen,<br />

Hans-Christian (Hrsg.): Geistige Behinderung. Grundlagen, klinische Syndrome,<br />

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SARIMSKI, KLAUS/STENGEL-RUTKOWSKI, SABINE: „Das Fragile-X-Syndrom als päda-<br />

gogische Herausforderung“. Veröffentlicht von IG Fragiles-X e.V. 1998, 1-2.<br />

SPECK, OTTO: „Aufgabenfelder der Erziehung von Behinderten”. In: Bleidick, Ulrich<br />

(Hrsg.) Handbuch der Sonderpädagogik. Theorie der Behindertenpädagogik.<br />

Berlin: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, 1985. 129 – 151.<br />

WILLEMSEN, ROB: „Für Sie gelesen* - Untersuchung mit Haarwurzeln, die den traditi-<br />

onellen Eiweißtest durch eine Blutprobe ersetzen kann“. Übers. von Anika<br />

Kolata. In: Frax-Info-Mitgliederzeitung Ausgabe 5 Oktober 1999, 10f.<br />

unveröffentlichte Quellen<br />

BROTHAUS, KLAUS: „Möglichkeiten der Förderung <strong>bei</strong> Kindern und Jugendlichen mit<br />

Fragilem-X-Syndrom“. Schriftliche Hausar<strong>bei</strong>t im Rahmen der Ersten Staatsprü-<br />

fung für das Lehramt für Sonderpädagogik. Dortmund, 2000.<br />

GOEBELL, CARSTEN: „Das Fragile-X-Syndrom <strong>bei</strong> geistiger Behinderung: Diagnose,<br />

pädagogische Relevanz und Interventionsmöglichkeiten“. Schriftliche Hausar-<br />

<strong>bei</strong>t im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt für Sonderpädagogik.<br />

Dortmund, 1995.<br />

SCHOLLE, KAROLA: „Das Fragile-X-Syndrom – Vorschläge für sonderpädagogische<br />

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Förderung anhand eines Einzelfalls“. Schriftliche Hausar<strong>bei</strong>t zur ersten Staats-<br />

prüfung für das Lehramt an öffentlichen Schulen. Lilienthal, 1998.


Quellenverzeichnis XI<br />

Programm<br />

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Inter<strong>net</strong><br />

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HÜNERMANN, CHRISTOPH (2002): „Stigmatisierung“. URL:<br />

http://www20.wissen.de/xt/default.do [Stand: 19.06.02].<br />

HÜNERMANN, CHRISTOPH (2002):“Etikettierung“. URL:<br />

http://www20.wissen.de/xt/default.do [Stand: 19.06.02].<br />

ZANKL, A./SCHORDERET, D. (2001): „Geistige Behinderung. Evaluierung eines Kindes<br />

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mit geistiger Behinderung“. URL:<br />

http://www.ssp.hin.ch/paediatrica/vol10/n6/retard/index-ge.htm<br />

[Stand: 01.05.02].

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