Die Stadt ist belagert von Weihnachtsmännern,vorsorglich gereinigt von Punkern und Pennern,im letzten Waschgang weichgespült,dass auch jeder die Reinheit der Liebe erfühlt.Und weiche Flocken aus künstlichem Schneeumsäuseln verträumt dein Portemonnaie.Und draußen, wo wirklich die Kälte wohnt,wo sich das Christkindgesäusel nicht lohnt,drunten in den Asylen und Heimenbeginnt wieder das alljährliche Schleimen.Ja, ja, da warten sie dann, die Alten und Armen,auf das behördliche Weihnachtserbarmen,.Und obwohl sie eigentlich gar nichts mehr glauben,haben sie immer noch leuchtende Augen.Und weiße, gepflegte Politikerhändebeschwören betörend das baldige Endeeiner Not, die schon lang nicht mehr nötig ist,doch beim Fortgeh’n schon wieder jeder vergisst.Und wie nebenbei wird dann noch angetragen,am Wahltag das richtige Kreuzchen zu schlagen,damit die wirklich großen Weihnachtsgabenbei denen bleiben, die sie immer schon haben.Und eisige Flocken aus rußigem Schneebrennen weiter Löcher ins Portemonnaie.Und sie warten und warten, die Alten und Armen,auf wirkliche Hilfe, auch echtes Erbarmen,und obwohl sie eigentlich gar nichts mehr glauben,haben wie immer noch leuchtende Augen.Es ist wieder so weit, es weihnachtet sehr,und wir tragen an unsren Geschenken so schwer,und wir sind ja so jung und so irre gut draufund helfen schon mal jemand vom Boden auf.Und das muss doch genügen, wir zahlen ja Steuernund wählen doch Männer, die stets was beteuern,und während wir denen alles glauben,schleicht sich der Glanz aus unseren Augen.Und es bläht sich und füllt sich das Portemonnaie,und in die Taschen der Ärmsten rieselt der Schnee.Konstantin Wecker30
Die Schöne im Wald<strong>eV</strong>on Arno SurminskiEr begegnete ihr auf einem Waldspaziergang.Hoch und hell der Himmel,flutende Wärme, duftendes Moos, vonfern sangen Vögel. Sie stand amRande einer Lichtung, umgeben vonBrombeerranken.„Zu <strong>Weihnachten</strong> müsste man dich indie Stube holen“, sagte er und schlugsich durchs Gestrüpp, um sie näheranzuschauen.Sie fühlte sich weich an, sah silbergrauaus und überragte ihn um einenMeter.„Du bist wirklich schön, zu <strong>Weihnachten</strong>werde ich dich holen“, sagte erund wunderte sich, warum er insommerlicher Hitze an <strong>Weihnachten</strong>denken konnte.Auf dem Heimweg fiel ihm ein, dass ernoch nie einen Weihnachtsbaum besessenhatte. Er lebte seit Jahren allein,seine Wohnung war nicht großgenug, um sie mit einer drei Meterhohen Tanne zu teilen. Ja, wenn erKinder hätte, Kinder brauchen so etwas.Er erinnerte sich blass der Weihnachtsfesteseiner Kindertage, diestets mit Tannenbaum gefeiert wordenwaren. Nun genügten ihm dieLichterketten in den Einkaufsstraßen,die glitzernden Bäume vor den Kaufhäusernund der eintönige Singsangder Weihnachtslieder neben den Registrierkassen.Seitdem er allein lebte,empfand er <strong>Weihnachten</strong> als eingraues, düsteres Fest, an dem nurandere ihre Freude hatten.Aber nun, mitten im Sommer, dieseTanne. Er besuchte sie immer wieder,sah sie wachsen und kleine Zapfentreiben, die wie Schmuck an denZweigen baumelten. Sie erschien ihmvollkommen wie kein anderer Baum.Weder kahle Stellen waren zu entdeckennoch vertrocknete Ästchen.„Es gibt nur wenige Bäume, die dirgleichen“, sagte er zu ihr, und es kamihm vor, als nicke sie zustimmend.„Ich werde achtgeben müssen, dassdich nicht andere holen, weil du soschön bist. Schon im November werdeich dich schlagen.“Er stellte sich vor, sie zu schmücken.Engelshaar in die Zweige, weiße Wattebäuscheans Kleid, auf die Spitzewollte er eine goldene Krone setzen.„Dann wirst du noch schöner aussehen.“Eines Tages entdeckte er in den oberenZweigen ein Nest, sehr hoch, sodass er nicht hineinschauen konnte.Also setzte er sich ins Gras und wartete.Ein kleiner grauer Vogel erschien,hüpfte aufgeregt von Ast zuAst, piepte hilflos und schlüpfteschließlich in das Nest. Ein gelberSchnabel und der Federbusch desKopfes schauten heraus.„Dir gefällt die Tanne wohl auch“, sagteer zu dem Vogel.Das Tier war ihm fremd. So grau undunscheinbar, so zitternd zerbrechlich.Die Bücher, die er befragte, sagtenwenig über kleine graue Vögel, die inTannenbäumen nisteten. Als die Jungenschlüpften, wurde es lebhaft inseiner Tanne. Sie sperrten ihre Mäulerauf und schrien, es war ein Kommen,Gehen und Rascheln in den Zweigen.Als die Kleinen sich aus dem Nest31