GastbeitragDie Beschleunigung aller Lebensbereiche hat zunehmend negative ökonomische,soziale und ökologische Auswirkungen. Mit Fehlerkosten, Stressoder Luftverschmutzung durch Transportmittel seien nur einige genannt.Um diesem Trend entgegen zu wirken, wird der Ruf nach einer Entschleunigungvon Konsum- und Produktionsprozessen immer lauter. War der Begriff„Entschleunigung“ bis vor wenigen Jahren noch nicht bekannt, wurde erdurch Themenbeiträge in den Medien wie z. B. im STERN oder in DIE ZEITin den letzten Jahren einem breiten Publikum nahe gebracht. Im angloamerikanischenSprachgebrauch gibt es die ”Quiet Life Hypothesis“, inItalien wurde eine Slowfood-Bewegung und in Österreich der „Verein zurVerzögerung der Zeit“ gegründet.26 Ernst & Young <strong>CCaSS</strong> <strong>News</strong>, Ausgabe 13 | Frühjahr 2010
Entschleunigung –eine GegenbewegungProf. Dr.Edeltraud GüntherProf. Dr. Marco Lehmann-WaffenschmidtTechnische Universität DresdenFaculty of Business and EconomicsEnvironmental Management andAccounting Germanybu@mailbox.tu-dresden.deOhne Zweifel ist der Faktor Zeit bei Produktivitätund Wettbewerbsvorteilen entscheidendfür Unternehmen. Allerdingsführt kontinuierliche, oder sogar gesteigerte,Beschleunigung zu einem „Beschleunigungsparadox“.Dies kommt dadurchzum Ausdruck, dass z. B. Lebenszyklen zukurz werden, um die Forschungs- und Entwicklungskostenwieder einzuspielen. Auchim Konsum kann sich dieses Phänomenentfalten: Viele Konsumprozesse erfordernZeit, und so kämpfen Wettbewerber nichtnur um Marktanteile, sondern auch umihren Anteil am Zeitbudget ihrer Kunden.Ein Zeitbudget, das aus Arbeit und mit Konsumverbundener oder unverbundenerFreizeit besteht. Ein signifikanter Teil derKonsumenten nimmt die beschleunigten Lebenszyklenz. B. für Computer oder Handysimmer mehr als Belastung wahr anstattals Erleichterung. Geschwindigkeit kann alsounser Glück bedrohen.Entschleunigung scheint der adäquate Begrifffür eine Gegenbewegung zu sein.Doch wollen wir Menschen überhaupt einentschleunigtes Leben und kann Entschleunigungein Paradigma im Managementwerden? Oder folgen wir dem Satz vonMohandas K. Gandhi: “There is a sufficiencyin the world for man‘s need, but not forman‘s greed”?Dieser Frage gingen die Autoren in mehrerenexperimentellen Studien nach, in denenUrsachen und Folgen der Beschleunigungin Wirtschaft und Gesellschaft und möglicheVorteile einer Entschleunigung als neuemLebensstil untersucht wurden. Entscheidendfür eine Umsetzung der Idee einer Entschleunigungist die Antwort auf die Frage:Besteht in der Gesellschaft tatsächlich einePräferenz für Entschleunigung, und kanndiese überhaupt gemessen werden? SindMenschen bereit, für eine entschleunigteForm des Lebens finanzielle Einbußen hinzunehmen,besteht eine Zahlungsbereitschaftfür Entschleunigung? Um diese Fragezu untersuchen, wurden in einer komparatistischenUntersuchung („cross-cultural“)Laborexperimente an der Technischen UniversitätDresden und an der University ofVirginia, USA, mit Studenten durchgeführt.Die Zahlungsbereitschaft wurde mit Hilfeeiner Auktion gemessen. Die Probandenkonnten für drei Varianten von Denksportaufgabenbieten, wobei der Schweregradder Fragen identisch war und lediglich dieAnzahl der Fragen variierte. Wer bei der initialenAuktion kein Angebot abgab, erhieltdie Fragen in vollem Umfang. Wer Geld bot,hatte die Chance, in der Auktion mit denanderen Probanden einen der beiden reduziertenFragenkataloge zu erhalten. EineLeistungsprämie erhielten die Studenten imUmfang der richtig beantworteten Fragenund der Zeitdauer, die sie benötigten. Sobestand einerseits ein Anreiz, möglichst vieleFragen in möglichst kurzer Zeit zu beantworten,andererseits war aber auch dieQualität der Antworten von Bedeutung. Inallen Experimentdurchläufen konnte eineZahlungsbereitschaft der Probanden fürentschleunigtes Arbeiten festgestellt werden.Im Vergleich zwischen deutschen undamerikanischen Probanden wiesen die Ergebnisseeine etwas höhere Zahlungsbereitschaftfür Entschleunigung der Amerikanerim Vergleich zu den Deutschen auf.Es zeigt sich also, die Menschen strebeneine entschleunigte Lebensform an undsind dafür auch bereit, weniger zu verdienenbzw. höhere Preise dafür zu zahlen. ■Ernst & Young <strong>CCaSS</strong> <strong>News</strong>, Ausgabe 13 | Frühjahr 2010 27