MieterEcho Nr.350 Oktober 2011 - Berliner MieterGemeinschaft eV
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W O H N E N I N T E R N A T I O N A l<br />
Que se vayan todos! – alle sollen gehen!<br />
Wohnungsnot und neoliberale stadtplanung in argentinien zehn Jahre nach<br />
dem „argentinazo“ Hermann Werle<br />
im dezember 2001 jagte eine breite Bewegung innerhalb von zwei Wochen vier Präsidenten aus ihrem amt. argentinien erlebte<br />
mit dem „argentinazo“ einen aufstand auf dem gipfel einer sich lange anbahnenden Krise. nicht zufällig stellt der „argentinazo“<br />
auch für soziale Bewegungen in europa einen wichtigen Bezugspunkt dar. schließlich brachte die argentinische Bevölkerung mit<br />
dem unmissverständlichen „Que se vayan todos!“ deutlich zum ausdruck, was viele Menschen in europa auch heute auf die straßen<br />
treibt: der völlige vertrauensverlust in die herrschende Politik.<br />
Das Wandbild in Buenos Aires erinnert an den Aufstand vom Dezember 2001 während der letzten großen Wirtschaftskrise in Argentinien und die lautstarken „Cacerolazos“.<br />
„Cacerolazo“nennt man in Argentinien eine Demonstration, bei der Demonstrant/innen auf mitgebrachten Töpfen und Pfannen Lärm erzeugen. Der Name kommt von „Cacerola“<br />
(spanisch: Topf). Das Lärmen mit leeren Töpfen soll oft auch ausdrücken, dass diese leer sind und es nicht genug zu Essen gibt. Foto: Thialfi /Wikipedia<br />
In zahllosen selbst organisierten Nachbarschaftsversammlungen<br />
wurde seinerzeit über<br />
die Zukunft Argentiniens debattiert. Viele Fabriken<br />
wurden besetzt, die zum Teil noch<br />
heute als „Fábricas sin Patrón” bestehen, als<br />
Fabriken ohne Chef und unter Selbstverwaltung<br />
durch die Arbeiter. Was der Bewegung<br />
indes nicht gelang, war die Formierung einer<br />
gemeinsamen politischen Kraft zur Durchsetzung<br />
weitergehender Veränderungen. Viele<br />
Probleme warten somit bis heute auf ihre<br />
Lösung. In den letzten Jahren ist neben der<br />
hohen Arbeitslosigkeit und dem maroden<br />
Gesundheitssystem vor allem die Frage der<br />
Wohnungsversorgung in den Mittelpunkt gerückt.<br />
Immer wieder kommt es zu Besetzungen<br />
wie im Dezember letzten Jahres in<br />
Buenos Aires, als 1.500 Familien einen Park<br />
okkupierten, oder wie im August, als in der<br />
nördlichen Provinz Jujuy Hunderte Familien<br />
mit der Forderung nach würdigen Wohnverhältnissen<br />
verschiedene Grundstücke besetz-<br />
ten und ihre Camps errichteten. In beiden<br />
Fällen kam es zu heftigen Auseinandersetzungen<br />
und waren Tote zu beklagen.<br />
Die folgenden Beiträge berichten über die<br />
Hintergründe der Besetzungen, die akute<br />
Wohnungsnot, die desaströse Stadtplanung<br />
sowie die Politik, die der Boden- und Immobilienspekulation<br />
alle Türen öffnete. Sie beleuchten<br />
zudem die fruchtbare Zusammenarbeit<br />
und enge Kooperationen zwischen der<br />
Universität und den sozialen Bewegungen.<br />
ME 350 / <strong>Oktober</strong> <strong>2011</strong>