ein unmoralisches Angebot? - Åbo Akademi

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2. Das Faustbuch des Christlich MeynendenDas Faustbuch des Christlich Meynenden 106 ist eines der letzten Faust-Werke aus der Gattung„Volksbücher”. Es ist im Jahre 1725 erschienen. Der „christlich meynende” Autor desBüchleins ist, wie der Autor der Historia, unbekannt geblieben. Dem Autor der Historia ginges darum, Faust dadurch einen Lebenslauf zu geben, dass er die verschiedensten Sagen undSchwänke in eine seiner Auffassung nach chronologische Reihenfolge brachte, und dieseTeile anschließend durch den Teufelspakt verband. Der „Christlich Meynende” wolltedagegen den Volksbuchstoff, der nach der Historia u.a. durch Widmann und Pfitzer 107 einenenormen Umfang erhalten hatte, in einer radikal verkürzten Form jedem zugänglich machen.Das Werk des „Christlich Meynenden” umfasst etwa 30 Seiten und konzentriert sich auf dasWesentlichste: auf die Beschwörung des Teufels, auf den Pakt, auf Fausts Reue undschreckliches Ende. Einige Fragen Fausts an den Geist Mephistopheles sowie einige„lächerliche Possen” 108 werden dargestellt. Ebenso wird die Liebschaft mit Helena kurzbeschrieben. Diese Berichte sind jedoch nicht besonders tiefgründig durchgeführt.Das Faustbuch des Christlich Meynenden zielte nicht mehr darauf, den Leser davor zuwarnen, mit dem Teufel zu paktieren. Es war auch jetzt nicht „besser” als im 16. Jahrhundert,einen Teufelspakt zu schließen, aber er wurde auch nicht mit der Kraft und mit demEnthusiasmus bekämpft wie das noch in der Historia geschah. Vielmehr wird dem Leser hierrelativ nüchtern und „unparteiisch” eine Geschichte von einem Teufelsbündler erzählt. DerLauf der Dinge wird mit einem christlich betonten Erzählton dargestellt, aber letzten Endes istdas Ende ein wenig offener gelassen als in den älteren Volksbüchern. „Das Faustbuch desChristlich Meynenden [trägt] insgesamt wesentlich zu einer säkularen ‚Normalisierung’ derFaustfigur bei.” 109 Dem Autor geht es in erster Linie darum, die Geschichte in einemhandlichen Umfang wiederzugeben. Der Autor selbst sagt zu seinem Werk in der Vorrede:106 Sowohl die Variante „Meynende” als auch „Meinende” treten auf in den verschiedenen Ausgaben. Da„Meynende” überwiegend auftritt, benutze ich diese Form. Allerdings zitiere ich den Text dieses Faustbuchsnach der Ausgabe in „Faust. Eine Anthologie.”, wo wiederum „Meinende” verwendet wird.107 Georg Rudolf Widmanns Faustbuch erschien im Jahre 1599 und umfaßte 671 Seiten. Nicolaus PfitzersFaustbuch erschien im Jahre 1674 und war ebenso umfangreich. Diese Faustbücher waren Erweiterungen der„Historia” und enthielten zusätzlich „Erinnerungen” (Widmann) oder „Anmerckungen” (Pfitzer), die ausBibelstellen, „kommentierten Nachweisen” oder „Fundstellen aus klassischen Autoren” bestanden. (Siehe hierzuauch Wohlers: Die Volksbücher vom Doctor Faust: 1587-1725. In: Möbus (Hg.): Faust. Annäherung an einenMythos. S.61.) Widmanns Faustbuch aus dem Jahr 1599 war mir nicht zugänglich, sondern nur die von Pfitzerbearbeitete Fassung aus dem Jahr 1674.108 Faustbuch des Christlich Meinenden. In: Faust. Eine Anthologie. S. 172.109 Lubkoll: „und wär’s ein Augenblick...” S. 73.40

So habe [ich] [...] bloß die von ihm erzählten Fata zusammengetragen, damit ich demVerlangen einiger, welche seine Lebensbeschreibung nur in etlichen Bogen zu habengewünschet, ein Genügen tun möge. 110Zudem ist die Vorrede im Gegensatz zu dem „christlichen Leser” in der Historia in dieserVersion an den „unparteiischen Leser” gerichtet. 111 Die Verwerflichkeit eines Bündnisses mitdem Teufel aus der christlichen Sicht kommt nur an einigen Stellen zum Ausdruck, wiebeispielsweise:Faust aber ergriff ein Federmesser, öffnete an der linken Hand ein Äderchen undschrieb mit seinem Blute und eigener Hand diese höchst verdammliche Obligation 112Wäre es ihm ein rechter Ernst und nicht eine Kains- oder Judasreue gewesen, so würdeer dem H. Geist besser gefolget und den neuen Versuchungen des Teufels stärkernWiderstand getan haben, als daß Faust sich wieder von neuem dem Satan ergeben unddie andere teufelische Obligation mit seinem Blute schreiben dürfen... 113Und weil der himmlische Vater allen Menschen Jesum Christum zu einemrechtlichen Beistande gegeben, der uns von Sünde, Tod, Teufel und Hölleerlöset und bei seinem himmlischen Vater mit unabläßlichem Seufzen vertrete, sogehöre er [Faust] auch unter diese Zahl. [...] Faust hingegen kehrte den Schluß um undglaubte, er hätte es zu grob gemacht, Gott könnte nicht in Ansehung seinerGerechtigkeit alles mit barmherzigen Augen ansehen. 114Trotzdem nennt sich der Autor den „Christlich Meynenden” 115 . Woran kann man aber die„Christlichkeit” des Textes erkennen, wenn nicht an biblischen Lehren und Warnungen? LautHucke (1992) ist die Bezeichnung „Christlich Meynend” als irreführend zu bezeichnen:...so vertritt der auktoriale Erzähler einen ‘würdigen Theologaster’, der nicht mehr vordem Teufelsbündnis warnen muß, sondern vor okkulten, rückständigen Formen desAberglaubens. Seine Apostrophierung als ‘Christlich Meynender’ ist derartirreführend, daß sie geradezu als Teil einer verkaufswirksamen Strategie bezeichnetwerden muß. 116Tatsächlich geht es bei der Bezeichnung „Christlich Meynend” um die Form der schriftlichenDarstellung. Der Autor benutzt viele Ausdrücke aus dem christlichen Wortschatz, wie u.a.110 „Christlich Meynender”, Vorrede, S. 163-164.111 Siehe hierzu auch Lubkoll: „und wär’s ein Augenblick...” S. 69: „Das traditionelle theologisch-moralischeAnliegen der Faustbücher verankert der ‚Christlich Meynende’ zwar noch in seinem Pseudonym; seineigentliches Interesse richtet sich jedoch darauf, dem ‚unpartheyischen Leser’ die Geschichte vom Doktor Faustzur kritischen Prüfung vorzulegen.”112 „Christlich Meynender”, S. 167. Hervorhebung M. S-S.113 ebd., S. 176. Hervorhebung M. S-S.114 ebd., S. 183-184. Hervorhebung M. S-S.115 Nach GRIMMs „Deutschem Wörterbuch” bedeutet „meinen” (Bedeutung 1.): „im sinne haben, mit etwasdurch wort, bild, geberde u.s.w. geäuszertem bezeichnen, andeuten, sagen wollen”. Wenn nun etwas christlichgemeint wird, hat der Autor also Christliches „im Sinne”, er „will” etwas Christliches „sagen” oder „andeuten”.Es geht dem Autor also darum, dass er die christlichen Begriffe „im Sinne hat”, dass er mit diesen aber auchetwas Anderes bezeichnen will. (Im Folgenden wird dies verdeutlicht.)116 Hucke: Figuren der Unruhe. S. 101.41

So habe [ich] [...] bloß die von ihm erzählten Fata zusammengetragen, damit ich demVerlangen <strong>ein</strong>iger, welche s<strong>ein</strong>e Lebensbeschreibung nur in etlichen Bogen zu habengewünschet, <strong>ein</strong> Genügen tun möge. 110Zudem ist die Vorrede im Gegensatz zu dem „christlichen Leser” in der Historia in dieserVersion an den „unparteiischen Leser” gerichtet. 111 Die Verwerflichkeit <strong>ein</strong>es Bündnisses mitdem Teufel aus der christlichen Sicht kommt nur an <strong>ein</strong>igen Stellen zum Ausdruck, wiebeispielsweise:Faust aber ergriff <strong>ein</strong> Federmesser, öffnete an der linken Hand <strong>ein</strong> Äderchen undschrieb mit s<strong>ein</strong>em Blute und eigener Hand diese höchst verdammliche Obligation 112Wäre es ihm <strong>ein</strong> rechter Ernst und nicht <strong>ein</strong>e Kains- oder Judasreue gewesen, so würdeer dem H. Geist besser gefolget und den neuen Versuchungen des Teufels stärkernWiderstand getan haben, als daß Faust sich wieder von neuem dem Satan ergeben unddie andere teufelische Obligation mit s<strong>ein</strong>em Blute schreiben dürfen... 113Und weil der himmlische Vater allen Menschen Jesum Christum zu <strong>ein</strong>emrechtlichen Beistande gegeben, der uns von Sünde, Tod, Teufel und Hölleerlöset und bei s<strong>ein</strong>em himmlischen Vater mit unabläßlichem Seufzen vertrete, sogehöre er [Faust] auch unter diese Zahl. [...] Faust hingegen kehrte den Schluß um undglaubte, er hätte es zu grob gemacht, Gott könnte nicht in Ansehung s<strong>ein</strong>erGerechtigkeit alles mit barmherzigen Augen ansehen. 114Trotzdem nennt sich der Autor den „Christlich Meynenden” 115 . Woran kann man aber die„Christlichkeit” des Textes erkennen, wenn nicht an biblischen Lehren und Warnungen? LautHucke (1992) ist die Bezeichnung „Christlich Meynend” als irreführend zu bezeichnen:...so vertritt der auktoriale Erzähler <strong>ein</strong>en ‘würdigen Theologaster’, der nicht mehr vordem Teufelsbündnis warnen muß, sondern vor okkulten, rückständigen Formen desAberglaubens. S<strong>ein</strong>e Apostrophierung als ‘Christlich Meynender’ ist derartirreführend, daß sie geradezu als Teil <strong>ein</strong>er verkaufswirksamen Strategie bezeichnetwerden muß. 116Tatsächlich geht es bei der Bezeichnung „Christlich Meynend” um die Form der schriftlichenDarstellung. Der Autor benutzt viele Ausdrücke aus dem christlichen Wortschatz, wie u.a.110 „Christlich Meynender”, Vorrede, S. 163-164.111 Siehe hierzu auch Lubkoll: „und wär’s <strong>ein</strong> Augenblick...” S. 69: „Das traditionelle theologisch-moralischeAnliegen der Faustbücher verankert der ‚Christlich Meynende’ zwar noch in s<strong>ein</strong>em Pseudonym; s<strong>ein</strong>eigentliches Interesse richtet sich jedoch darauf, dem ‚unpartheyischen Leser’ die Geschichte vom Doktor Faustzur kritischen Prüfung vorzulegen.”112 „Christlich Meynender”, S. 167. Hervorhebung M. S-S.113 ebd., S. 176. Hervorhebung M. S-S.114 ebd., S. 183-184. Hervorhebung M. S-S.115 Nach GRIMMs „Deutschem Wörterbuch” bedeutet „m<strong>ein</strong>en” (Bedeutung 1.): „im sinne haben, mit etwasdurch wort, bild, geberde u.s.w. geäuszertem bezeichnen, andeuten, sagen wollen”. Wenn nun etwas christlichgem<strong>ein</strong>t wird, hat der Autor also Christliches „im Sinne”, er „will” etwas Christliches „sagen” oder „andeuten”.Es geht dem Autor also darum, dass er die christlichen Begriffe „im Sinne hat”, dass er mit diesen aber auchetwas Anderes bezeichnen will. (Im Folgenden wird dies verdeutlicht.)116 Hucke: Figuren der Unruhe. S. 101.41

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