ein unmoralisches Angebot? - Åbo Akademi

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13.07.2015 Aufrufe

Menschen sollen nicht verdammt werden, die Liebe stellt für sie eine absolute, rettende Kraftdar. Die Rettung Arttus ist an der Tatsache zu erkennen, dass er seine Schaffenskraft durchdie Liebe wieder findet. Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, macht Nieminen dieRettung auch an einer zweiten Stelle deutlich: er macht aus seinem Ich-Erzähler Toivo Puttiauch einen aktiven Teil der Geschichte. Dieser erklärt sich, um die beiden Liebenden zuretten, am Ende zum Gesandten des Teufels, indem er ihre Liebe und den Pakt Väätäläs in dieÖffentlichkeit bringt und somit gegen die Paktbedingung des Mäzens bricht. NieminensAuffassung von Rettung und Verdammnis hat zwar mit Leben und Tod – auch mit ewigemLeben und Tod – zu tun, aber nicht in einer gewohnt-christlichen Art, sondern durch einneues, bahnbrechendes Verständnis von Zeit und Raum. Die Grenzen der Zeit und des Raumskann nur die Liebe brechen. Somit hat die Liebe eine alles rettende und heilende Kraft, diealle bösen Mächte besiegen kann. Die Rettung ist möglich, da die Mauer der Zeit und desTodes durch die Kraft der Liebe durchbrochen wird.Paavo Rintalas Faustus formuliert den Unterschied zwischen dem unmoralischen Verhalteneines Faust in der Zeit der Historia und einer Faust-Gestalt der Gegenwart am deutlichstenund bringt die Entwicklung der moralischen Wertung eines Teufelsbündlers zu einemvorläufigen Kulminationspunkt. In seinem Roman ist Faust nicht der eigentlicheunmoralische Held. Er hat zwar seinen Begleiter Stravinski oder Gobo vonGallenabsonderung um sich und ist mit diesem verbündet, aber im Endeffekt ist seinePartnerschaft mit ihm nicht böse. Der Spieß wird bei Rintala umgedreht: Der Mensch – jedervon uns also – ist selbst für den Teufel zu böse geworden. Der Mensch der Gegenwart istfähig, all das nun allein zu erledigen, wofür er früher des Teufels bedurfte und warum es inder Geschichte immer wieder Teufelsbündler gab. Er ist Herr über die wissenschaftliche,politische und wirtschaftliche Entwicklung und hat im Zuge des Fortschrittsrausches bereitsjegliche Grenzen zwischen gut und böse überschritten. Dies bedeutet, dass der Mensch denTeufel überflüssig gemacht hat: Wenn der Mensch böse genug ist, hat ihm der Teufel nichtsmehr anzubieten. Schließlich führt dies in Rintalas Roman dazu, dass der Teufel und derfaustische Ich-Erzähler gemeinsam versuchen müssen, den Menschen wieder zur Buße undReue anzumahnen. Der Satan ist in Konkurs geraten, wie Rintala es formuliert. Der Menschhat den Teufel in Bösheit überholt und ihn nutzlos gemacht. Somit hat er aber auch an derBalance in der Welt gerüttelt und kann diese „böse“ Entwicklung nicht mehr anhalten. Faustund Stravinski müssen gemeinsam die Menschheit retten – um gleichsam auch den Teufel zu296

etten. Wenn die Gegenpole aus der Welt verschwinden, verschwindet auch die Heilbringende Balance, und das wollen beide Seiten nicht.Eine paradoxe Entwicklung, die jedoch im Anbetracht der tatsächlichen wissenschaftlichenFortschritte der letzten Jahre keine undenkbare Variante der Faustsage ist. Der „Stein derWeisen“, nach dem viele Faust-Repräsentanten gegriffen haben, ist längst gefunden und wirdnun mit allen Kräften missbraucht, „Pseudofaustia“ verbreitet sich, jeder glaubt sich zu allemfähig zu sein, es gibt keine Grenzen mehr. Faust, einst der Teufelsbündler, der in der Hölleschmoren sollte, ist ein Retter der Menschheit geworden.Interessant aus der christlichen Perspektive ist auch die Schlusswendung: Faust undStravinski wollen die Entwicklung auf der Welt auch vor Gott und Satan selbst verheimlichenund eine „große Illusion“ erzeugen, um die einstigen wirklichen Mächte zu täuschen. Siesollen sich von dem Geschehen auf der Erde am besten fern halten, da sind nun Faust undStravinski am Steuer. Die Grundsteine der christlichen Religion sind außer Kraft gesetzt, dieMenschheit ist böser als Satan und Faust muss sie, gemeinsam mit Stravinski, retten.Die Faustsage hat in den vergangenen 450 Jahren einen sehr weiten Bogen gespannt.War der Teufelspakt einunmoralisches Angebot”?In den Anfängen der Sage kommen keine Zweifel auf - der Faust der Historia war definitivals eine unmoralische Gestalt gemeint; er schwelgte geradezu in Todsünden. Sein Ende warunter dieser Voraussetzung angemessen für einen Teufelsbündler: Zerstückelung undHöllenfahrt.Seit der Historia spielt aber die christlich bedingte Moral eine immer weniger bedeutsameRolle; zuweilen verschwinden die traditionellen Moralbegriffe sogar gänzlich, bzw. siewerden nicht mehr in ihren Originalbedeutungen verwendet, sondern umgedeutet. ‚Gut’ und‚böse’ werden zu Vertretern zweier Sinneszustände und vertreten nicht mehr die„himmlische” bzw. „höllische” Seite. Aus dem Begriff ‚Moral’ ist im Laufe der Sagenbildungstatt eines religiös bedingten Begriffes ein gesellschaftlicher Begriff geworden; Faust wird inden letzten hier behandelten Werken zu einer gesellschaftlich unmoralischen Gestalt. Er kannsich – statt mit der Religion und den religiösen Vorschriften am Anfang der Faust-Tradition –mit dem herrschenden Gesellschaftssystem nicht identifizieren, sondern will seinen eigenenAuffassungen folgen, heutzutage vielleicht vergleichbar mit politisch verfolgten297

etten. Wenn die Gegenpole aus der Welt verschwinden, verschwindet auch die Heilbringende Balance, und das wollen beide Seiten nicht.Eine paradoxe Entwicklung, die jedoch im Anbetracht der tatsächlichen wissenschaftlichenFortschritte der letzten Jahre k<strong>ein</strong>e undenkbare Variante der Faustsage ist. Der „St<strong>ein</strong> derWeisen“, nach dem viele Faust-Repräsentanten gegriffen haben, ist längst gefunden und wirdnun mit allen Kräften missbraucht, „Pseudofaustia“ verbreitet sich, jeder glaubt sich zu allemfähig zu s<strong>ein</strong>, es gibt k<strong>ein</strong>e Grenzen mehr. Faust, <strong>ein</strong>st der Teufelsbündler, der in der Hölleschmoren sollte, ist <strong>ein</strong> Retter der Menschheit geworden.Interessant aus der christlichen Perspektive ist auch die Schlusswendung: Faust undStravinski wollen die Entwicklung auf der Welt auch vor Gott und Satan selbst verheimlichenund <strong>ein</strong>e „große Illusion“ erzeugen, um die <strong>ein</strong>stigen wirklichen Mächte zu täuschen. Siesollen sich von dem Geschehen auf der Erde am besten fern halten, da sind nun Faust undStravinski am Steuer. Die Grundst<strong>ein</strong>e der christlichen Religion sind außer Kraft gesetzt, dieMenschheit ist böser als Satan und Faust muss sie, gem<strong>ein</strong>sam mit Stravinski, retten.Die Faustsage hat in den vergangenen 450 Jahren <strong>ein</strong>en sehr weiten Bogen gespannt.War der Teufelspakt <strong>ein</strong> „<strong>unmoralisches</strong> <strong>Angebot</strong>”?In den Anfängen der Sage kommen k<strong>ein</strong>e Zweifel auf - der Faust der Historia war definitivals <strong>ein</strong>e unmoralische Gestalt gem<strong>ein</strong>t; er schwelgte geradezu in Todsünden. S<strong>ein</strong> Ende warunter dieser Voraussetzung angemessen für <strong>ein</strong>en Teufelsbündler: Zerstückelung undHöllenfahrt.Seit der Historia spielt aber die christlich bedingte Moral <strong>ein</strong>e immer weniger bedeutsameRolle; zuweilen verschwinden die traditionellen Moralbegriffe sogar gänzlich, bzw. siewerden nicht mehr in ihren Originalbedeutungen verwendet, sondern umgedeutet. ‚Gut’ und‚böse’ werden zu Vertretern zweier Sinneszustände und vertreten nicht mehr die„himmlische” bzw. „höllische” Seite. Aus dem Begriff ‚Moral’ ist im Laufe der Sagenbildungstatt <strong>ein</strong>es religiös bedingten Begriffes <strong>ein</strong> gesellschaftlicher Begriff geworden; Faust wird inden letzten hier behandelten Werken zu <strong>ein</strong>er gesellschaftlich unmoralischen Gestalt. Er kannsich – statt mit der Religion und den religiösen Vorschriften am Anfang der Faust-Tradition –mit dem herrschenden Gesellschaftssystem nicht identifizieren, sondern will s<strong>ein</strong>en eigenenAuffassungen folgen, heutzutage vielleicht vergleichbar mit politisch verfolgten297

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