ein unmoralisches Angebot? - Åbo Akademi

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13.07.2015 Aufrufe

dem Guten und dem Bösen. Sein Handeln ist zuweilen gut, er ist reumütig und will den Paktzurückgeben, zuweilen wiederum will er seinen Pakt sogar erneuern, um die vereinbartePaktdauer auszunutzen. So gesehen ist Fausts Verhalten wie das eines jeden Menschen – ertut Gutes aber fällt auch immer wieder. Er ist kein ausgesprochen unmoralischer und „böser“Mensch.Folglich ist auch Fausts Ende mehrdeutig: Er stirbt eines „grausamen Todes“, wie auch imdeutschen Volksbuch. Die Leiche wird zerstückelt und es klebt Blut an den Wänden. Es gibtjedoch einen Zusatz, der im deutschen Volksbuch fehlt: der Geistliche begleitet Faust auch zudem letzten gemeinsamen Abend im Gasthaus und bleibt dort auch über Nacht, sieht also, wieFausts Leben ein Ende nimmt. Der Geistliche tritt jedoch hervor und spricht die Worte dermöglichen Erlösung: „Du, mördare, har dödat hans kropp; med det finns blott en, som kannförderfwa kropp och själ i helfwete, och den är icke du!“ 861 Der Geistliche weist darauf hin,dass letzten Endes Gott noch über den Teufel steht und über das Schicksal des Menschenentscheidet.Die christliche Moral spielt in diesem schwedischen Volksbuch insofern eine Rolle, als dasssie den Rahmen für die Handlung liefert. Der Kampf zwischen dem Guten und dem Bösenwird jedoch weniger absolut ausgetragen als im deutschen Volksbuch – ein Pakt mit demTeufel ist nicht notwendigerweise ein Grund zur Verdammnis, die letzte Entscheidungüberlässt man Gott selbst. 862 Somit ist der Teufel als keine allmächtige Kraft anzusehen,sondern Gott untergeordnet. Indem der Geistliche bereits im Laufe der Erzählung so viel aufFausts Leben eingewirkt hat, ist es durchaus vorstellbar, dass er für ihn gerade dadurch denWeg zur Erlösung „vorbereitet“ hat. Dafür spräche auch sein Kommentar am Ende. FaustsVerhalten ist zwar nicht moralisch „richtig“, aber es ist auch nicht verdorben genug, umbedingungslos zur Verdammnis zu führen.Carl Kastmans Sagan om Doktor Henrik Faust ist darauf ausgelegt, Goethes Faust ineinfacher Form wiederzugeben. Jedoch wird hier, um Goethes „komplizierte“, philosophischeGedankengänge „dem Volk“ zugänglich zu machen, mehr von den allgemeinen religiösenVorstellungen hinein genommen. Dies entspricht Kastmans erzieherischer Funktion: Er willbetonen, dass letztendlich Gott über Leben und Tod entscheidet, egal ob der Mensch861 S. 100, Übers.: ”Da sagte der Geistliche: ’Du, Mörder, hast seinen Körper getötet; aber es gibt nur einen, derKörper und Seele in der Hölle verderben lassen kann, und das bist nicht du!’ “862 Dies entspricht der Gesamttendenz in den nordischen Teufelsbündlergeschichten. Nur selten wird jemand indie Verdammnis geschickt, es gibt fast immer einen Ausweg, oder der Teufel wird als so einfältig dargestellt,dass man aus seinen Fängen mit etwas List und Tücke problemlos fliehen kann.292

dazwischen zu wirken versucht oder nicht. Bedenkt man das Publikum, dem das Werkzugedacht war, ist dieser Zusatz sicher angemessen, Goethes Gedankengut spiegelt er nichtwider. Daher ist eine moralische Wertung hier gewissermaßen nur aus „zweiter Hand“möglich: nacherzählt wird das Drama Goethes, aber interpretiert wird es wie es Kastmanschristlicher Glaube und seine Rolle als „Lehrer der Nation“ vorschreibt. Zu Goethes christlichbetrachtet „außermoralisches“ Faust-Werk wird eine christliche Moral hinzugefügt und somitdie Grundlage für die Rettung Fausts geändert. Die Rettung ist leichter, aus Gnade geschehenzu lassen, wenn Gott in dem Geschehen eine größere Rolle spielt.In den literarischen Bearbeitungen im Norden verhält es sich mit Fausts Ende ähnlich wie inden volkstümlicheren Bearbeitungen. Carl-August Bolanders Kandidat Faust alschronologisch erster (1923, Folgeroman Mannen från Nasaret 1925) nimmt denprotestantisch-christlichen Glauben und die damit verbundenen Normen und Regeln alsAnfangskriterien auf. In diesem System wächst Göran Lindblad auf, der bereits in sehr jungenJahren diese strikten Regeln und Verboten nicht akzeptiert. Ebenso kann er nicht verstehen,warum man vor einem, wie alle sagen, „guten Gott“, so viel Angst haben muss, dass man vorihm in die Knie gehen muss. Wie kann der „gute Vater“ im Himmel so beängstigend sein,dass auch Erwachsene ihn fürchten? Der Widerspruch, den Göran zwischen dem „gutenVater“ und „fürchterlichen Richter“ sieht, treibt ihn dazu, seine Wahrheit anderswo zusuchen, nicht in der beklemmenden, beängstigend-religiösen Atmosphäre. Er bekennt sich zueinem „Antikrist“, den er zwar noch nicht kennt, der für ihn jedoch mehr ist, als der „weißeChristus“, da er sich traut, gegen etwas zu kämpfen.Göran wird seit seinem ersten Studium von einem Schatten verfolgt, der im Roman ähnlichbeschrieben ist, wie der Dozent Schleppfuß bei Thomas Mann. Dieser Schatten nennt ihnKandidat Faust und hat zu unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedliche Funktionen.Göran nennt ihn seine eigene Unruhe, die ihn dazu bewegt, immerfort weiter nach derWahrheit zu suchen. Der Schatten treibt Göran, lässt ihn niemals zur Ruhe kommen. BisGöran am Ende entdeckt, was, oder eher wer seine Unruhe ist. Er findet in seinem Schatten,den er zuweilen bereits „seinen Mefisto“ nennt, Jesus Christus selbst.Wie geht das überein mit unserem üblichen Verständnis von gut und böse? Christus giltnatürlich für den Menschen als „gut“. Für Göran jedoch ist er böse, denn er hat ihn all dieJahre getrieben, ihm Unruhe geschaffen. Christus ist gewissermaßen jemand, um mit GoethesWorten zu sprechen, sie jedoch etwas verdrehend: „der stets das Gute will und stets das Böse293

dazwischen zu wirken versucht oder nicht. Bedenkt man das Publikum, dem das Werkzugedacht war, ist dieser Zusatz sicher angemessen, Goethes Gedankengut spiegelt er nichtwider. Daher ist <strong>ein</strong>e moralische Wertung hier gewissermaßen nur aus „zweiter Hand“möglich: nacherzählt wird das Drama Goethes, aber interpretiert wird es wie es Kastmanschristlicher Glaube und s<strong>ein</strong>e Rolle als „Lehrer der Nation“ vorschreibt. Zu Goethes christlichbetrachtet „außermoralisches“ Faust-Werk wird <strong>ein</strong>e christliche Moral hinzugefügt und somitdie Grundlage für die Rettung Fausts geändert. Die Rettung ist leichter, aus Gnade geschehenzu lassen, wenn Gott in dem Geschehen <strong>ein</strong>e größere Rolle spielt.In den literarischen Bearbeitungen im Norden verhält es sich mit Fausts Ende ähnlich wie inden volkstümlicheren Bearbeitungen. Carl-August Bolanders Kandidat Faust alschronologisch erster (1923, Folgeroman Mannen från Nasaret 1925) nimmt denprotestantisch-christlichen Glauben und die damit verbundenen Normen und Regeln alsAnfangskriterien auf. In diesem System wächst Göran Lindblad auf, der bereits in sehr jungenJahren diese strikten Regeln und Verboten nicht akzeptiert. Ebenso kann er nicht verstehen,warum man vor <strong>ein</strong>em, wie alle sagen, „guten Gott“, so viel Angst haben muss, dass man vorihm in die Knie gehen muss. Wie kann der „gute Vater“ im Himmel so beängstigend s<strong>ein</strong>,dass auch Erwachsene ihn fürchten? Der Widerspruch, den Göran zwischen dem „gutenVater“ und „fürchterlichen Richter“ sieht, treibt ihn dazu, s<strong>ein</strong>e Wahrheit anderswo zusuchen, nicht in der beklemmenden, beängstigend-religiösen Atmosphäre. Er bekennt sich zu<strong>ein</strong>em „Antikrist“, den er zwar noch nicht kennt, der für ihn jedoch mehr ist, als der „weißeChristus“, da er sich traut, gegen etwas zu kämpfen.Göran wird seit s<strong>ein</strong>em ersten Studium von <strong>ein</strong>em Schatten verfolgt, der im Roman ähnlichbeschrieben ist, wie der Dozent Schleppfuß bei Thomas Mann. Dieser Schatten nennt ihnKandidat Faust und hat zu unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedliche Funktionen.Göran nennt ihn s<strong>ein</strong>e eigene Unruhe, die ihn dazu bewegt, immerfort weiter nach derWahrheit zu suchen. Der Schatten treibt Göran, lässt ihn niemals zur Ruhe kommen. BisGöran am Ende entdeckt, was, oder eher wer s<strong>ein</strong>e Unruhe ist. Er findet in s<strong>ein</strong>em Schatten,den er zuweilen bereits „s<strong>ein</strong>en Mefisto“ nennt, Jesus Christus selbst.Wie geht das über<strong>ein</strong> mit unserem üblichen Verständnis von gut und böse? Christus giltnatürlich für den Menschen als „gut“. Für Göran jedoch ist er böse, denn er hat ihn all dieJahre getrieben, ihm Unruhe geschaffen. Christus ist gewissermaßen jemand, um mit GoethesWorten zu sprechen, sie jedoch etwas verdrehend: „der stets das Gute will und stets das Böse293

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