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ein unmoralisches Angebot? - Åbo Akademi

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Faust hat den Teufelspakt geschlossen, um absolute Wahrheit zu erfahren und um nicht mehrzweifeln zu müssen. Mephistopheles hat ihm jedoch im Laufe der Handlung nichts über dieWahrheit sagen können. Er bietet Faust Frauen an, die er lieben soll, er erzeugt in Faust <strong>ein</strong>enso bitteren Hass, dass dieser schließlich <strong>ein</strong>en Mord begeht. Er lenkt Faust von s<strong>ein</strong>emursprünglichen Wunsch ab, absolute Wahrheit zu erfahren.Die „Wahrheit” bei Lenau – wie bereits bei Chamisso – ist, dass die menschliche Erkenntnisbeschränkt ist, dass der Mensch k<strong>ein</strong>e metaphysische Erkenntnis erzielen kann. 857Mephistopheles hat im Prinzip ebenfalls nur den Rang <strong>ein</strong>es mit Faust gleichgesetztenMenschen, er hat nichts Übermenschliches an sich. Somit hat er selbst k<strong>ein</strong>e Macht über <strong>ein</strong>eabsolute Erkenntnis, er kann nicht als gleichberechtigter Gegner Gottes fungieren. Also kanner auch nicht als Richter über Himmel und Hölle wirken. Ein christlich-moralisches Urteilkann auch aus diesem Grunde bei Lenau nicht vorliegen.Daraus ergeben sich in diesem Werk zwei Deutungsmöglichkeiten: Im ersten Falle gilt Faustals verloren, da er sich dem Bösen verschrieben hat, und da es k<strong>ein</strong>e rettenden <strong>Angebot</strong>e gibt,mangels <strong>ein</strong>es Vertreters der göttlichen Seite. Andererseits, wenn Mephistopheles auch nurden Rang <strong>ein</strong>es normalen Menschen hat, und Faust gegenüber die absolute Wahrheit sowiesonicht verraten kann, kann er auch nicht über Leben und Tod oder über das, was nach dem Todgeschieht, entscheiden. In diesem Fall ist die zweite Deutungsmöglichkeit, die sich aus demWortlaut Mephistopheles’ am Ende ergibt („Nur d<strong>ein</strong>e Flucht ist Traum und d<strong>ein</strong>e Rettung“,V. 3417), vielleicht doch nicht ganz falsch. Faust stellt sich vor, das ganze Geschehen nurgeträumt zu haben, „träumt“ sich das Messer ins Herz und flüchtet so aus Mephistopheles’Machtbereich.Die Idee <strong>ein</strong>es letztendlich rettenden Traums hatte bereits Lessing in s<strong>ein</strong>em kl<strong>ein</strong>en Faust-Fragment gehabt. S<strong>ein</strong>e Idee der Rettung bestand jedoch darin, dass die gesamte Episode alsPaktpartner des Teufels als explizite Warnung für Faust dienen sollte, sich in s<strong>ein</strong>em großenWissensdurst vor teuflischer Hilfestellung aller Art zu hüten. Dass Faust sich bei Lenau in<strong>ein</strong>en Traumzustand versetzen möchte, um dem Geschehen und s<strong>ein</strong>em bevorstehendenSchicksal zu entgehen, wirkt jedoch eher wie <strong>ein</strong>e Verzweiflungstat, nirgends kommtgöttliche Gnade zur Erlösung her, die letzten Worte spricht Mephistopheles („Nun hab ichdich und halte dich umschlungen“). Andererseits, wer soll sonst die letzten Worte sprechen?Im ganzen Gedicht tritt, wie wir bereits festgestellt haben, k<strong>ein</strong> guter Geist auf, der in dasGeschehen <strong>ein</strong>greift. Es wäre folglich unmotiviert, nun am Ende <strong>ein</strong>en solchen ersch<strong>ein</strong>en zu857 Chamisso: Faust, S. 413: „Zweifel ist menschlichen Wissens Grenze”.287

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