ein unmoralisches Angebot? - Åbo Akademi

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13.07.2015 Aufrufe

Dies ist die Grundproblematik in beinahe jedem der hier behandelten Faust-Werke: der Wille,Grenzen zu überschreiten, die kein Mensch zuvor überschritten hat, egal was die Folgen solcheines Unternehmens sein mögen. Verschiedene Autoren haben das Thema unterschiedlichbearbeitet, je nach der literarischen und gesellschaftlichen Epoche, in der sie lebten undwirkten. Unterschiede ergeben sich gerade auch in der Betrachtung der von mir ausgesuchtenLänder: Das Verhalten, das in einem Land höchst bedenklich, sogar verdammungswürdig ist,ist es in einem anderen Land nicht unbedingt. Die Grenzen, die dem Menschen gesetztwerden, dürfen vielerorts keineswegs überschritten werden, woanders darf man seine Grenzendurchaus austesten, ohne dass dies direkt ein Grund für eine Höllenfahrt wäre.Der Autor des Volksbuches, der Historia, folgte sehr strikt den protestantisch-christlichenMoralvorstellungen. 831 Sein Ziel war, das Buch „zum schrecklichen Beyspiel /abscheuwlichen Exempel / vnd treuwherziger Warnung” 832 für die Menschen zu schreiben.Faust und sein Teufelspakt waren geradezu ein Paradebeispiel für ein - christlich betrachtet -unmoralisches Verhalten. Die Historia wurde jedoch nicht ausschließlich ein Mahnbuch, denndurch den Einfluss der Renaissance hatte man gelernt, ein „Universaltalent” zu schätzen,selbst wenn dieser sein Talent auf den „falschen” Wissenschaftszweigen auszuüben pflegte. 833Wie gut das „einfache Volk“ jedoch ein Universaltalent schätzen konnte oder überhauptwusste, was ein solcher Talent ist, ist nicht mehr nachvollziehbar. Für das primäreZielpublikum seiner Zeit bleibt die Historia ein warnendes Exempel.831 Hartmut Rudolph: Das Faustbuch im kirchengeschichtlichen Zusammenhang, S. 42: „Philologischer Spürundgermanistischer Scharfsinn haben zu der Erkenntnis geführt, daß die Faustsage sowie das Faustbuch selbstGewächse auf protestantischem, genauer: lutherischem Boden sind. Dies läßt sich kaum widerlegen; allenfallsüber die diversen Begründungen der These lässt sich streiten. Schon rein äußere Indizien, wie die Zweizahl derSakramente, die Papstpolemik, die theologische Wertung des Ehestandes (gegen den Zölibat) oder der Teufel inGestalt eines grauen Mönches, dulden keinen Zweifel. Dasselbe gilt für mannigfache lutherischeTraditionsstücke, die in der Faustsage wie im Faustbuch rezipiert und verarbeitet wurden, besonders dieTischreden Luthers […].“832 Historia, Titelblatt, S. 3.833 Luther selbst hatte, wie Hartmut Rudolph feststellt (Das Faustbuch im kirchengeschichtlichenZusammenhang, in: Baron / Auernheimer (Hrsg,): Das Faustbuch von 1587, S. 50), „Vernunft undNaturerkenntnis in die Profanität weltlichen, d.h. weder das Heil noch die Verdammung des Menschen vor Gottberührenden Erkenntnisstreben entlassen“. In der Schrift „Von weltlicher Obrigkeit“ (1523, hier wird der Textaus dem Internet zitiert, zu lesen unter: http://www.luther.glaubensstimme.de/luther37.html ) stellt Luther fest:„Das alles hat auch David schon lange vorher mit einem kurzen feinen Spruch zusammengefasst, wenn er Ps115,16 sagt: ‚Den Himmel hat er dem Herrn des Himmels gegeben, aber die Erde hat er den Menschenkinderngegeben.’ D.h. über das, was auf Erden ist und zum zeitlichen, irdischen Reich gehört, hat ein Mensch wohlGewalt von Gott; aber was zum Himmel und zum ewigen Reich gehört, das steht allein unter dem himmlischenHerrn.“ Die Dinge, die mit unserem irdischen Leben zu tun haben, also auch die Naturwissenschaften, die ebendas „irdische“ untersuchen und zu erklären versuchen, sind also dem Menschen überlassen, allein im „Ewigen“soll der Mensch Gott die Macht lassen. Die „Verteufelung faustischen Erkenntnis- und Machtstrebens“(Rudolph, S. 50) ist somit nicht als streng lutherisch anzusehen, sondern hat ihre Wurzeln weiter zurück, immittelalterlichen Katholizismus. Zauberei jedoch, deren Faust oft beschuldigt wurde, gehörte auch für Luther zuden schwersten Sünden, da dort ohne göttliche Hilfe Wunder gewirkt wurde.278

Die moralischen Ansätze wurden in der Historia mit unterstützenden Bibelstellen versehen,damit der Leser sich davon überzeugen konnte, dass ein solches Verhalten, wie das Fausts,wirklich „böse” war 834 . Der Teufelspakt an sich wurde definitiv als unmoralisch bewertet, undfolgerichtig endete Fausts Leben in einer grausamen Art und Weise – er wurde zerstückelt –,und seine Endstation war die Hölle.Das Faustbuch des Christlich Meynenden ist zwar noch christlich geprägt, betont aber dieVerwerflichkeit und „Sündhaftigkeit” eines Teufelspaktes nicht mehr in dem Maße, wie esder Autor der Historia getan hat. Er gibt lediglich das wieder, was die Sage über Faustenthält, stellt aber Einiges in Frage, verhält sich skeptisch der Sage gegenüber. Die Absicht istnicht mehr, vor dem Bösen zu warnen. Vielmehr wird dem Leser die Wahl überlassen, was erfür richtig oder falsch hält, und ob er überhaupt an die Geschehnisse der Faust-Sage glaubt.Zudem wird in diesem Werk die Suche nach Glück als Fausts Beweggrund für den Paktdargestellt, nicht das Verlangen nach übermenschlicher Erkenntnis. Es stellt sich hier also dieFrage, ob ein Streben nach Glück überhaupt als unmoralisch bewertet werden kann?Schließlich versucht jeder – wie Faust – glücklich zu werden, jedoch nicht mit Hilfe desTeufels. Wäre es möglich gewesen, dass der Zweck hier die Mittel geheiligt hätte?Der Autor dieses Faustbuches nennt sich einen „Christlich Meynenden”. Er geht von denchristlichen Werten und vor allem von dem biblischen Sprachgebrauch aus, aber er lässteigene Ansichten zu. Letztlich soll der Leser hier entscheiden, ob Fausts Leben nun moralischoder unmoralisch ist. Der Autor „meint” es also nicht streng „christlich”, seine Absicht istnicht mehr, eine strenge Warnung, sondern eine relativ nüchterne Beschreibung einer Sage, anderen Richtigkeit man sowieso Zweifel hegen sollte, zu schreiben. Hier spielt bereits dieFrühaufklärung eine wichtige Rolle: die moralischen Regeln und Gesetze lockern sich,wodurch die Kirche langsam ihre Stellung als eine zentrale gesellschaftlich-moralischeInstitution verliert.Das Puppenspiel Der weltberühmte Doktor Faust bewertet den Pakt zunächst als unmoralisch,bringt dies aber keineswegs streng zum Ausdruck. Die christlich-moralischen Aspekte sinddaran zu erkennen, dass Faust wegen des Paktes und wegen seiner Taten gerichtet wird und indie Hölle muss. Dass die Puppenspiele trotzdem nicht zu moralisierenden Predigten werden,ist der Verdienst einer „lustigen Figur”. Alles, was Faust widerfährt, erlebt diese Figur834 Siehe hierzu Historia, u.a. S. 11: “Wie Paulus Galat. 5. sagt: ...”; S. 12: “Jacob. 4. Seit Gott vnterthänig /widerstehet dem Teuffel / so fleuhet er von euch / nähet euch zu Gott / so nähet er sich zu euch.”279

Dies ist die Grundproblematik in b<strong>ein</strong>ahe jedem der hier behandelten Faust-Werke: der Wille,Grenzen zu überschreiten, die k<strong>ein</strong> Mensch zuvor überschritten hat, egal was die Folgen solch<strong>ein</strong>es Unternehmens s<strong>ein</strong> mögen. Verschiedene Autoren haben das Thema unterschiedlichbearbeitet, je nach der literarischen und gesellschaftlichen Epoche, in der sie lebten undwirkten. Unterschiede ergeben sich gerade auch in der Betrachtung der von mir ausgesuchtenLänder: Das Verhalten, das in <strong>ein</strong>em Land höchst bedenklich, sogar verdammungswürdig ist,ist es in <strong>ein</strong>em anderen Land nicht unbedingt. Die Grenzen, die dem Menschen gesetztwerden, dürfen vielerorts k<strong>ein</strong>eswegs überschritten werden, woanders darf man s<strong>ein</strong>e Grenzendurchaus austesten, ohne dass dies direkt <strong>ein</strong> Grund für <strong>ein</strong>e Höllenfahrt wäre.Der Autor des Volksbuches, der Historia, folgte sehr strikt den protestantisch-christlichenMoralvorstellungen. 831 S<strong>ein</strong> Ziel war, das Buch „zum schrecklichen Beyspiel /abscheuwlichen Exempel / vnd treuwherziger Warnung” 832 für die Menschen zu schreiben.Faust und s<strong>ein</strong> Teufelspakt waren geradezu <strong>ein</strong> Paradebeispiel für <strong>ein</strong> - christlich betrachtet -<strong>unmoralisches</strong> Verhalten. Die Historia wurde jedoch nicht ausschließlich <strong>ein</strong> Mahnbuch, denndurch den Einfluss der Renaissance hatte man gelernt, <strong>ein</strong> „Universaltalent” zu schätzen,selbst wenn dieser s<strong>ein</strong> Talent auf den „falschen” Wissenschaftszweigen auszuüben pflegte. 833Wie gut das „<strong>ein</strong>fache Volk“ jedoch <strong>ein</strong> Universaltalent schätzen konnte oder überhauptwusste, was <strong>ein</strong> solcher Talent ist, ist nicht mehr nachvollziehbar. Für das primäreZielpublikum s<strong>ein</strong>er Zeit bleibt die Historia <strong>ein</strong> warnendes Exempel.831 Hartmut Rudolph: Das Faustbuch im kirchengeschichtlichen Zusammenhang, S. 42: „Philologischer Spürundgermanistischer Scharfsinn haben zu der Erkenntnis geführt, daß die Faustsage sowie das Faustbuch selbstGewächse auf protestantischem, genauer: lutherischem Boden sind. Dies läßt sich kaum widerlegen; allenfallsüber die diversen Begründungen der These lässt sich streiten. Schon r<strong>ein</strong> äußere Indizien, wie die Zweizahl derSakramente, die Papstpolemik, die theologische Wertung des Ehestandes (gegen den Zölibat) oder der Teufel inGestalt <strong>ein</strong>es grauen Mönches, dulden k<strong>ein</strong>en Zweifel. Dasselbe gilt für mannigfache lutherischeTraditionsstücke, die in der Faustsage wie im Faustbuch rezipiert und verarbeitet wurden, besonders dieTischreden Luthers […].“832 Historia, Titelblatt, S. 3.833 Luther selbst hatte, wie Hartmut Rudolph feststellt (Das Faustbuch im kirchengeschichtlichenZusammenhang, in: Baron / Auernheimer (Hrsg,): Das Faustbuch von 1587, S. 50), „Vernunft undNaturerkenntnis in die Profanität weltlichen, d.h. weder das Heil noch die Verdammung des Menschen vor Gottberührenden Erkenntnisstreben entlassen“. In der Schrift „Von weltlicher Obrigkeit“ (1523, hier wird der Textaus dem Internet zitiert, zu lesen unter: http://www.luther.glaubensstimme.de/luther37.html ) stellt Luther fest:„Das alles hat auch David schon lange vorher mit <strong>ein</strong>em kurzen f<strong>ein</strong>en Spruch zusammengefasst, wenn er Ps115,16 sagt: ‚Den Himmel hat er dem Herrn des Himmels gegeben, aber die Erde hat er den Menschenkinderngegeben.’ D.h. über das, was auf Erden ist und zum zeitlichen, irdischen Reich gehört, hat <strong>ein</strong> Mensch wohlGewalt von Gott; aber was zum Himmel und zum ewigen Reich gehört, das steht all<strong>ein</strong> unter dem himmlischenHerrn.“ Die Dinge, die mit unserem irdischen Leben zu tun haben, also auch die Naturwissenschaften, die ebendas „irdische“ untersuchen und zu erklären versuchen, sind also dem Menschen überlassen, all<strong>ein</strong> im „Ewigen“soll der Mensch Gott die Macht lassen. Die „Verteufelung faustischen Erkenntnis- und Machtstrebens“(Rudolph, S. 50) ist somit nicht als streng lutherisch anzusehen, sondern hat ihre Wurzeln weiter zurück, immittelalterlichen Katholizismus. Zauberei jedoch, deren Faust oft beschuldigt wurde, gehörte auch für Luther zuden schwersten Sünden, da dort ohne göttliche Hilfe Wunder gewirkt wurde.278

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