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ein unmoralisches Angebot? - Åbo Akademi

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wenn wahre Gefühle in das Werk <strong>ein</strong>geflochten werden. Die Liebe ist Leverkühn ja seit derPaktbekräftigung verboten, aber die Klage, das Leid – als echtes, wirkliches Gefühl desMenschen – ist noch möglich. Dies belegt sogar der Teufel in s<strong>ein</strong>en Ausführungen über dasneue musikalische Werk:Die historische Bewegung des musikalischen Materials hat sich gegen das geschlosseneWerk gekehrt. Es schrumpft in der Zeit, es verschmäht die Ausdehnung der Zeit, die derRaum des musikalischen Werkes ist. Nicht aus Ohnmacht, nicht aus Unfähigkeit zurFormbildung. Sondern <strong>ein</strong> unerbittlicher Imperativ der Dichtigkeit, der das Überflüssigeverpönt, die Phrase negiert, das Ornament zerschlägt, richtet sich gegen die zeitlicheAusbreitung, die Lebensform des Werkes. Werk, Zeit und Sch<strong>ein</strong>, sie sind <strong>ein</strong>s, zusammenverfallen sie der Kritik. Sie erträgt Sch<strong>ein</strong> und Spiel nicht mehr, die Fiktion, dieSelbstherrlichkeit der Form, die die Leidenschaften, das Menschenleid zensuriert, inRollen aufteilt, in Bilder überträgt. Zulässig ist all<strong>ein</strong> noch der nicht fiktive, der nichtverspielte, der unverstellte und unverklärte Ausdruck des Leides in s<strong>ein</strong>em realenAugenblick. (DF, 323)Die Kritik „erträgt“ die „Selbstherrlichkeit der Form“ nicht mehr; nur noch der „unverstellteund unverklärte Ausdruck des Leides“ ist zulässig. Echte Kunst ist nur im Augenblick desLeides, der Klage möglich. Der Teufel bestätigt hier also die These, dass es etwas Anderes alsden Teufelspakt bedarf, um echte und wahre Kunst zu schaffen. Erst dann ist <strong>ein</strong> Künstlerwirklich schöpferisch-produktiv. Folgerichtig ist also das musikalische Schaffen Leverkühnsbis zum D. Fausti Weheklag zwar formal neu und schöpferisch, inhaltlich aber wird es erst indiesem Werk bedeutsam und aus dem Zusammenhang verständlich.Das musikalische Werk Leverkühns endet also in <strong>ein</strong>er Art „Erlösung“, in <strong>ein</strong>er wahrenmusikalischen Inspiration, die in der Klage Ausdruck findet. Der Teufelspakt all<strong>ein</strong> hat ihmzu diesem Ziel nicht geführt. Wie verhält es sich nun mit s<strong>ein</strong>em Leben? Welches Endeerwartet den Menschen Leverkühn nach dem Verfall in die Paralyse?Leverkühns religiöse Überzeugung war ursprünglich lutherisch, wurde aber imTheologiestudium von den eher zwielichtigen Dozenten ins Mittelalterlich-Katholischeverdreht. Daher äußerte er sich zu s<strong>ein</strong>er eigenen Rettung – konform der Auffassung in derHistoria – eher skeptisch:M<strong>ein</strong>e Sünde ist größer, denn daß sie mir könnte verziehen werden, und ich habe sie aufHöhest getrieben dadurch, daß m<strong>ein</strong> Kopf spekulierte, der zerknirschte Unglaube an dieMöglichkeit der Gnade und Verzeihung möchte das Allerreizendste s<strong>ein</strong> für die ewigeGüte, wo ich doch <strong>ein</strong>sehe, daß solche freche Berechnung das Erbarmen vollendsunmöglich macht. (DF, 662)Der für das Luthertum typische Begriff der Gnade betrachtete Leverkühn nicht fürwahrsch<strong>ein</strong>lich, da s<strong>ein</strong>e „Sünde […] größer“ sei. Er selbst zweifelte also daran, noch158

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