ein unmoralisches Angebot? - Ã bo Akademi
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gewisser mystischer Einschlag […] merklich war, der ehemals wohl als Hang zur Zaubereiverdächtigt worden wäre.“ (DF, 20) Diese kleinen Versuche hat der Vater im Beisein derganzen Familie getrieben, auch Adrian hat diese „Wunderwerke“ beobachten können. In derHistoria ist Faust ebenfalls „eines Bauwern Sohn gewest“ (Historia, S. 13), aber er war selbstder „Spekulierer“ (S. 14), nicht sein Vater.Adrian selbst sei ein „gelerniger und geschwinder Kopf“ (DF, 45) 508 gewesen, der bereits injungen Jahren durch sein schnelles Auffassungsvermögen auffiel. Er habe sehr früh dieEmpfehlung seines Lehrers bekommen, eine höhere Schule in der Stadt zu besuchen. Dort hatihn sein Onkel, der Geigenbauer Nikolaus Leverkühn aufgenommen, analog zu dem Vetter inder Historia, der „jn als ein Kindt auffname“ 509 . Bei ihm hat Adrian seine erstenmusikalischen Erfahrungen gemacht, die er selbst allerdings eher belustigend als ernsthaftaufgefasst hat, ebenso wie bereits die Experimente seines Vaters.„Faustisch“ mutet auch die Tatsache an, dass Adrian Leverkühn zunächst Theologie studierenwollte. In der Faust-Tradition ist das Theologiestudium des Faust sehr häufig vertreten. Unteranderem in der Historia, bei dem „Christlich Meynenden“ und vor allem bei Goethe hat FaustTheologie studiert. Umso tiefer wirkt dann der „Abfall“ vom Glauben in den Pakt mit demTeufel.Zusätzlich gibt es in Manns Roman einzelne zitatartige Nennungen von Begebenheiten, dieentweder in der Historia oder bei Goethe vorkommen; genannt seien hier beispielsweise„Feld- und Waldspaziergänge […] in jener Osterzeit“ (DF, 116) als Antwort auf denGoetheschen Osterspaziergang oder „der ewig Strebende unter den Völkern“ (DF, 160) alsHinweis auf das „Wer immer strebend sich bemüht / Den können wir erlösen“ in GoethesFaust (Vers 11936f). Ein deutliches Zitat ist natürlich auch die Benennung des letzten WerkesLeverkühns, D. Fausti Weheklag, das ein direkter Hinweis auf die Überschrift des 66.Kapitels der Historia ist: „Doctor Fausti Weheklag von der Hellen / vnd jrervnaußsprechlichen Pein vnd Quaal.“ 510Der äußere Rahmen für die Faust-Handlung, die Zugehörigkeit zu der Faust-Tradition ist alsohier durch kennzeichnende Zitate gegeben. Wie verbindet sich nun dieser Roman inhaltlichmit den Faust-Werken der vergangenen Jahrhunderte? Was ist der gemeinsame Nennerzwischen den erkenntnisdurstigen – wie beispielsweise in der Historia und in Goethes Faust -508 In der Historia heißt es, Faust sei „eins gantz gelernigen vnd geschwinden Kopffs“ ( S.14) gewesen.509 Historia, S. 13. In der Historia nahm allerdings der Vetter Faust auf, damit dieser überhaupt zur Schule gehenkonnte. Fausts Eltern waren arm, sein Vetter aber „ein Bürger / vnd wol vermögens gewest […] dann dieweil erohne Erben war / nam er diesen Faustum zu einem Kind vnd Erben auff / ließ jhn auch in die Schul gehen“.510 Historia, S. 117.148
oder sich nach Glück, Ruhm oder Liebe sehnenden Wissenschaftlern – wie unter anderem inden Puppenspielen und in Klingers Faust - und dem eher schüchtern wirkenden,„weltscheuen“ (DF, 178) Komponisten? Es ist der Wille, etwas Neues zu schaffen oder zuerfahren. Dieser Wille führt sowohl in der älteren Faust-Tradition als auch in Thomas MannsRoman zu dem Versuch, dieses Neue, bislang Unergründliche mit teuflischer Hilfe zustandezu bringen. Hieraus erfolgt der Pakt mit dem Teufel.Die Teufelsauffassung unterscheidet sich natürlich im 20. Jahrhundert sehr von der dervergangenen Jahrhunderte. Es ist nahezu unmöglich, den Teufel als leibhaftige Person zubetrachten, der einem Menschen „erscheinen“ kann – wenn an einen Teufel überhauptgeglaubt werden kann, dann höchstens in der Form eines „Prinzips des Bösen“, vor allem aberin der Form des „inneren Teufels“. 511Adrian Leverkühn stammt aus einem protestantischen Haus in Kaisersaschern, einem fiktivenOrt in Thüringen, der für alles Altdeutsche, für traditionelle bürgerliche Verhältnisse steht. ImProtestantismus, vor allem aber im Luthertum, das ja in Thüringen tief verwurzelt ist, ist derGlaube an einen durchaus auch leibhaftigen, zumindest aber „lebendigen“ Teufel langeerhalten geblieben. Dadurch, dass Luther sein berühmtes Tintenfass auf den Teufel geworfenhaben soll, hat die Personifizierung des Bösen immer eine aktive Rolle in der lutherischenReligion gespielt. Auch Adrian scheint sich diesen personifizierten Teufel zumindestvorgestellt haben und hat ihn schließlich auch als Erscheinung in Italien gesehen. Für ihnpersönlich gab es den „leibhaftigen“ Teufel also, er glaubte an ihn.Der Erzähler Zeitblom ist aber – entsprechend der zeitgemäßen Auffassung – humanistischveranlagt und von einer Existenz eines sichtbaren Teufels folglich keineswegs überzeugt.Dies kommt unter Anderem im Kapitel XXV zum Ausdruck, in der Einleitung zu dem vonZeitblom wiedergegebenen Gespräch zwischen Leverkühn und dem Teufel:Ein Dialog? Ist es in Wahrheit ein solcher? Ich müßte wahnsinnig sein, es zu glauben.Und darum kann ich auch nicht glauben, daß er in tiefster Seele für wirklich hielt, waser sah und hörte: während er es hörte und sah und nachher, als er es zu Papier brachte,- ungeachtet der Zynismen, mit denen der Gesprächspartner ihn von seinem objektivenVorhandensein zu überzeugen suchte. Gab es ihn aber nicht, den Besucher – und ichentsetze mich vor dem Zugeständnis, das darin liegt, auch nur konditionell und alsMöglichkeit seine Realität zuzulassen! – so ist es grausig zu denken, daß auch jeneZynismen, Verhöhnungen und Spiegelfechtereien aus der eigenen Seele desHeimgesuchten kamen... (DF, 298)511 Diese Art von „innerem Teufel“ war ja bereits bei Chamisso vertreten; spätestens seit der Aufklärung wäreein leibhaftiger Teufel kaum noch vorstellbar gewesen.149
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oder sich nach Glück, Ruhm oder Liebe sehnenden Wissenschaftlern – wie unter anderem inden Puppenspielen und in Klingers Faust - und dem eher schüchtern wirkenden,„weltscheuen“ (DF, 178) Komponisten? Es ist der Wille, etwas Neues zu schaffen oder zuerfahren. Dieser Wille führt sowohl in der älteren Faust-Tradition als auch in Thomas MannsRoman zu dem Versuch, dieses Neue, bislang Unergründliche mit teuflischer Hilfe zustandezu bringen. Hieraus erfolgt der Pakt mit dem Teufel.Die Teufelsauffassung unterscheidet sich natürlich im 20. Jahrhundert sehr von der dervergangenen Jahrhunderte. Es ist nahezu unmöglich, den Teufel als leibhaftige Person zubetrachten, der <strong>ein</strong>em Menschen „ersch<strong>ein</strong>en“ kann – wenn an <strong>ein</strong>en Teufel überhauptgeglaubt werden kann, dann höchstens in der Form <strong>ein</strong>es „Prinzips des Bösen“, vor allem aberin der Form des „inneren Teufels“. 511Adrian Leverkühn stammt aus <strong>ein</strong>em protestantischen Haus in Kaisersaschern, <strong>ein</strong>em fiktivenOrt in Thüringen, der für alles Altdeutsche, für traditionelle bürgerliche Verhältnisse steht. ImProtestantismus, vor allem aber im Luthertum, das ja in Thüringen tief verwurzelt ist, ist derGlaube an <strong>ein</strong>en durchaus auch leibhaftigen, zumindest aber „lebendigen“ Teufel langeerhalten geblieben. Dadurch, dass Luther s<strong>ein</strong> berühmtes Tintenfass auf den Teufel geworfenhaben soll, hat die Personifizierung des Bösen immer <strong>ein</strong>e aktive Rolle in der lutherischenReligion gespielt. Auch Adrian sch<strong>ein</strong>t sich diesen personifizierten Teufel zumindestvorgestellt haben und hat ihn schließlich auch als Ersch<strong>ein</strong>ung in Italien gesehen. Für ihnpersönlich gab es den „leibhaftigen“ Teufel also, er glaubte an ihn.Der Erzähler Zeitblom ist aber – entsprechend der zeitgemäßen Auffassung – humanistischveranlagt und von <strong>ein</strong>er Existenz <strong>ein</strong>es sichtbaren Teufels folglich k<strong>ein</strong>eswegs überzeugt.Dies kommt unter Anderem im Kapitel XXV zum Ausdruck, in der Einleitung zu dem vonZeitblom wiedergegebenen Gespräch zwischen Leverkühn und dem Teufel:Ein Dialog? Ist es in Wahrheit <strong>ein</strong> solcher? Ich müßte wahnsinnig s<strong>ein</strong>, es zu glauben.Und darum kann ich auch nicht glauben, daß er in tiefster Seele für wirklich hielt, waser sah und hörte: während er es hörte und sah und nachher, als er es zu Papier brachte,- ungeachtet der Zynismen, mit denen der Gesprächspartner ihn von s<strong>ein</strong>em objektivenVorhandens<strong>ein</strong> zu überzeugen suchte. Gab es ihn aber nicht, den Besucher – und ichentsetze mich vor dem Zugeständnis, das darin liegt, auch nur konditionell und alsMöglichkeit s<strong>ein</strong>e Realität zuzulassen! – so ist es grausig zu denken, daß auch jeneZynismen, Verhöhnungen und Spiegelfechtereien aus der eigenen Seele desHeimgesuchten kamen... (DF, 298)511 Diese Art von „innerem Teufel“ war ja bereits bei Chamisso vertreten; spätestens seit der Aufklärung wäre<strong>ein</strong> leibhaftiger Teufel kaum noch vorstellbar gewesen.149