ein unmoralisches Angebot? - Åbo Akademi

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13.07.2015 Aufrufe

Warum ist also gerade Faust für uns heute noch so faszinierend, da wir doch modernere,kompliziertere Probleme zu bewältigen haben, da die Wissenschaften längst einenWissensstand erreicht haben, der über den Stand des ursprünglichen Faust hinweg reicht?Faust ist eine zeitlose Gestalt, ein ewig Suchender und sich Sehnender, der niemals zur Ruhezu kommen scheint. Immer wieder inspiriert er, immer wieder reizt er, immer wieder ist erGegenstand der Forschung. Zeitlos macht ihn seine Menschlichkeit, die zur„Übermenschlichkeit“ werden möchte. Jeder Mensch möchte mehr erreichen im Leben, als esihm zunächst möglich erscheinen mag. Jeder möchte seine Grenzen testen, zuerst imTrotzalter, dann in der Pubertät, und viele lässt dieses Streben auch im Erwachsenenalternicht in Ruhe. Faust hat dieses nur allzumenschliche Bemühen, weiterzukommen undGrenzen zu überschreiten, zu seinem Lebensziel gemacht. Er möchte, nein, er will etwasGrößeres und Besseres erreichen. Das, was ihn von uns „normalen“ Menschen unterscheidet,ist die Tatsache, dass Faust bereit ist, für sein Begehren jeden Preis zu bezahlen. Er ist bereit,seine Seele zu verkaufen, um die Erkenntnisse und Erfahrungen zu bekommen, nach denen ersich sehnt. Denken wir religiös, sehen wir darin sogleich einen Bruch mit Gott, eine Sünde.Dies war auch zu der Anfangszeit der Entstehung der Faustsage – in der Reformationszeit, inder auch der historische Faust gelebt haben soll – so: Einer, der sein „Seelenheil“ bereit waraufzugeben, hatte in der übelsten Art und Weise gesündigt und verdiente eine göttliche Strafe.In der heutigen Zeit misst man der Religion im Allgemeinen keine so große Bedeutung zu wienoch vor einigen hundert Jahren. Die Kirche scheint hauptsächlich etwas für die traditionellenchristlichen Feiertage zu sein, an Gott glaubt man am stärksten in Zeiten der Not. Judit Hetyeibeschreibt diese Entwicklung treffend: „Das Bild des abstrakten Gottes verblasst, seineExistenz wird sogar immer mehr in Frage gestellt, im Mittelpunkt des Interesses steht dasErfassen und die Ausnutzung der die Welt regierenden Gesetzlichkeiten.“ 1 In dermaterialisierten Welt gelten andere Werte als früher, Gott als Institution verliert schrittweiseseine alleinige Macht und an seine Stelle treten die Interessen der Menschen. DiesenInteressen wird gefolgt, teilweise ohne Rücksicht auf Verluste. Ohne eine moralische Instanz,die über allem steht, gehen auch viele der gemeinsamen gesellschaftlichen Richtlinienverloren, denn keiner fühlt sich verpflichtet, sich nach solchen alten, „veralteten“Vorschriften, wie denen der christlichen Kirchen, zu richten.1 Hetyei: Der Teufelsbündner Faust als Verführter im 20. Jahrhundert. S. 15.8

Ein Beispiel eines von der Kirche propagierten Wertes ist die Moral. Die christliche Moralrichtet sich nach verschiedenen Geboten aus der Bibel, vor allem nach den Zehn Geboten ausdem zweiten Buch Mose. 2 Generell ist die Moral – auch die christliche – das Verständnis voneinem allgemein guten und sittlichen Verhalten 3 in der Gesellschaft, in den zehn Gebotenbeispielsweise unter „Du sollst nicht töten“, „Du sollst nicht stehlen“ oder „Du sollst nichtfalsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“ zum Ausdruck gebracht. In den christlichenGeboten kommen noch Regeln zum Christentum hinzu, wie beispielsweise das erste Gebot:„Ich bin der Herr, dein Gott, […] Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“. Wennjedoch die Tradition, aus der diese Regeln, Vorschriften und Normen stammen, langsam indie Vergessenheit gerät, und immer weniger Menschen sich an diese Normen halten, waspassiert dann?An dieser Stelle knüpft meine Untersuchung an. Sie hinterfragt, inwiefern das VerhaltenFausts, sein Pakt mit dem Teufel und die Taten nach dem Pakt in verschiedenen Zeitenmoralisch gedeutet worden sind. Wird Faust wegen seines Verhaltens gerichtet und verdammtoder besteht für ihn Hoffnung auf Rettung? Welche Gründe sind ausschlaggebend fürVerdammnis, welche für Rettung? Gibt es Unterschiede in der moralischen Auswertung einesTeufelspaktes zwischen einerseits Deutschland und andererseits Finnland und Schweden?In dieser Arbeit werde ich den Teufelspakt und dessen moralische Wertung in einerumfassenden Auswahl verschiedener Faust-Werke aus drei Ländern genauer untersuchen, umAntworten auf die oben gestellten Fragen zu finden.2 2 Mose 20, 2-17. Zitiert wird die Bibel hier nach der Ausgabe „Die Bibel. Nach der Übersetzung martinLuthers. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984. Deutsche Bibelgesellschaft. Stuttgart 1985.3 Das “historische Wörterbuch der Philosophie” definiert das Stichwort “Moral” folgendermaßen:- Gesamtheit der akzeptierten und durch Tradierung stabilisierten Verhaltensnormen einer Gesellschaft- von allen Mitgliedern einer kohärenten Gruppe geteilte[r] Konsens[...], der aufgrund von Tradition ein festesVerhaltensmuster ausbildet.9

Warum ist also gerade Faust für uns heute noch so faszinierend, da wir doch modernere,kompliziertere Probleme zu bewältigen haben, da die Wissenschaften längst <strong>ein</strong>enWissensstand erreicht haben, der über den Stand des ursprünglichen Faust hinweg reicht?Faust ist <strong>ein</strong>e zeitlose Gestalt, <strong>ein</strong> ewig Suchender und sich Sehnender, der niemals zur Ruhezu kommen sch<strong>ein</strong>t. Immer wieder inspiriert er, immer wieder reizt er, immer wieder ist erGegenstand der Forschung. Zeitlos macht ihn s<strong>ein</strong>e Menschlichkeit, die zur„Übermenschlichkeit“ werden möchte. Jeder Mensch möchte mehr erreichen im Leben, als esihm zunächst möglich ersch<strong>ein</strong>en mag. Jeder möchte s<strong>ein</strong>e Grenzen testen, zuerst imTrotzalter, dann in der Pubertät, und viele lässt dieses Streben auch im Erwachsenenalternicht in Ruhe. Faust hat dieses nur allzumenschliche Bemühen, weiterzukommen undGrenzen zu überschreiten, zu s<strong>ein</strong>em Lebensziel gemacht. Er möchte, n<strong>ein</strong>, er will etwasGrößeres und Besseres erreichen. Das, was ihn von uns „normalen“ Menschen unterscheidet,ist die Tatsache, dass Faust bereit ist, für s<strong>ein</strong> Begehren jeden Preis zu bezahlen. Er ist bereit,s<strong>ein</strong>e Seele zu verkaufen, um die Erkenntnisse und Erfahrungen zu bekommen, nach denen ersich sehnt. Denken wir religiös, sehen wir darin sogleich <strong>ein</strong>en Bruch mit Gott, <strong>ein</strong>e Sünde.Dies war auch zu der Anfangszeit der Entstehung der Faustsage – in der Reformationszeit, inder auch der historische Faust gelebt haben soll – so: Einer, der s<strong>ein</strong> „Seelenheil“ bereit waraufzugeben, hatte in der übelsten Art und Weise gesündigt und verdiente <strong>ein</strong>e göttliche Strafe.In der heutigen Zeit misst man der Religion im Allgem<strong>ein</strong>en k<strong>ein</strong>e so große Bedeutung zu wienoch vor <strong>ein</strong>igen hundert Jahren. Die Kirche sch<strong>ein</strong>t hauptsächlich etwas für die traditionellenchristlichen Feiertage zu s<strong>ein</strong>, an Gott glaubt man am stärksten in Zeiten der Not. Judit Hetyeibeschreibt diese Entwicklung treffend: „Das Bild des abstrakten Gottes verblasst, s<strong>ein</strong>eExistenz wird sogar immer mehr in Frage gestellt, im Mittelpunkt des Interesses steht dasErfassen und die Ausnutzung der die Welt regierenden Gesetzlichkeiten.“ 1 In dermaterialisierten Welt gelten andere Werte als früher, Gott als Institution verliert schrittweises<strong>ein</strong>e all<strong>ein</strong>ige Macht und an s<strong>ein</strong>e Stelle treten die Interessen der Menschen. DiesenInteressen wird gefolgt, teilweise ohne Rücksicht auf Verluste. Ohne <strong>ein</strong>e moralische Instanz,die über allem steht, gehen auch viele der gem<strong>ein</strong>samen gesellschaftlichen Richtlinienverloren, denn k<strong>ein</strong>er fühlt sich verpflichtet, sich nach solchen alten, „veralteten“Vorschriften, wie denen der christlichen Kirchen, zu richten.1 Hetyei: Der Teufelsbündner Faust als Verführter im 20. Jahrhundert. S. 15.8

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