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INSA Inventar der neueren Schweizer Architektur 1850 ... - DigiBern

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Bern<br />

Abb. 73 Aufrichtefest für den 1889-1893 vollendeten Münsterturm.<br />

In <strong>der</strong> zweiten Reihe, dritter links vom Turmmodell,<br />

<strong>der</strong> bauleitende Architekt August Müller, rechts von ihm <strong>der</strong><br />

spätere Münsterbaumeister Karl In<strong>der</strong>mühle.<br />

Der För<strong>der</strong>er des 1849 vor dem Münster aufgestellten<br />

Erlachdenkmals, Theodor von Hallwyl,<br />

rief in einem Gedicht zur Vollendung des Münsterturms<br />

auf, und ein Parlamentarier empfahl<br />

dem Bund, den Turmausbau als Gegenleistung<br />

für den Bau des Bundeshauses zu übernehmen.<br />

Aber die bürgerlichen Altertumsfreunde wollten<br />

nichts von solchen Vorschlägen wissen. Sie hatten<br />

sich um den vom Abbruch bedrohten Christoffelturm<br />

geschart. Die Vollendung des Münsterturms<br />

erwies sich nämlich als Lieblingsidee<br />

gerade jener Kreise, die den Torturm beseitigen<br />

wollten 143 . Als weiteres «Verkehrshin<strong>der</strong>nis»<br />

galt ihnen <strong>der</strong> Heintzsche Chorlettner im Münster.<br />

Seine Zerstörung ging <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>legung des<br />

Christoffelturms voraus; 1864 musste er <strong>der</strong> Tribüne<br />

des eidgenössischen Sängerfestes weichen.<br />

Unter diesen Umständen mochten sich die Liebhaber<br />

des alten Bern auch nicht für den Vollendungsvorschlag<br />

des Modellbauers Julius Leemann<br />

erwärmen, obwohl es den Beifall Johann<br />

Rudolf Rahns gefunden hatte 144 .<br />

So kam es, dass in Bern nicht <strong>der</strong> Münsterturm<br />

zum Anlass für das erste grössere Werk <strong>der</strong> Neugotik<br />

wurde, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Bau <strong>der</strong> katholischen<br />

Diasporakirche St. Peter und Paul {Rathausgasse<br />

Nr. 2) 145 . Sie wurde 1858-1864 neben dem Rathaus<br />

erbaut; Bauunternehmer war Karl Emanuel<br />

Müller, <strong>der</strong> die Nydeggbrücke ausgeführt hatte<br />

und <strong>der</strong> inzwischen Landammann von Uri geworden<br />

war. Das Projekt stammte von den Architekten<br />

Pierre-Joseph Ed. Deperthes und H.<br />

Marchai aus Reims; es war aus einem Wettbewerb<br />

hervorgegangen. Selbst ein Gotikgegner<br />

wie <strong>der</strong> im Preisgericht sitzende Gottfried Semper<br />

konnte dem französischen Entwurf die Achtung<br />

nicht versagen. Die Metapher vom goti­<br />

400<br />

schen Bau-Organismus war hier so ernst genommen,<br />

dass sich die neugotischen Entwürfe des<br />

Aargauers Caspar Joseph Jeuch und des Berners<br />

Theodor Zeerle<strong>der</strong> wie Spielzeugbauten neben<br />

einem Saurierskelett ausnahmen. Es blieb aber<br />

Kantonsbaumeister Friedrich Salvisberg, dem<br />

Gegner Zeerle<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Christoffelturmfehde,<br />

vorbehalten, ein Exempel für die veraltete Stilauffassung<br />

zu geben. 1865 überzog er das Rathaus,<br />

das dicht neben dem «stilechten» Neubau<br />

stand, mit neugotischem «Zuckerbäckerwerk»<br />

und zog damit den Hohn Rahns auf sich {Rathausplatz<br />

Nr. 2) 146 .<br />

Mit ihren frühgotischen Formen demonstrierte<br />

die neue Kirche, dass die Gotik ein katholischer<br />

Stil und ein französisches Gewächs sei, und sie<br />

kompromittierte damit das Münster, das man zudem<br />

verdächtigte, aus einer Verfallszeit zu stammen.<br />

Der Germanist und Kulturhistoriker Ferdinand<br />

Vetter, Freigeist wie <strong>der</strong> Neugotiker Eugene-Emmanuel<br />

Viollet-le-Duc, wusste die Spätgotik<br />

des Münsters aufzuwerten, indem er sie als<br />

bürgerlich-städtische - und damit auch schweizerische<br />

- Antwort auf die französische Kathedralgotik<br />

deutete. 1878 rief er in einem Vortrag<br />

über Das Berner Münster in Vergangenheit, Gegenwart<br />

und Zukunft dazu auf, die Leistungen<br />

Abb. 74 Titelblatt <strong>der</strong> 1894 veröffentlichten Festschrift zur<br />

Vollendung des Münsterturms. Nach Fe<strong>der</strong>zeichnung von<br />

Christian Bühler, Konservator <strong>der</strong> eidg. Kunstsammlung, 1893.

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