INSA Inventar der neueren Schweizer Architektur 1850 ... - DigiBern
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399 Bern<br />
wurde auch sonst unbeliebt. «Ehre dem Stein»<br />
hiess das Motto, mit dem 1897 die Ingenieure<br />
Robert Moser und Gustav Mantel den Wettbewerb<br />
für eine Lorrainebrücke in Bern gewannen.<br />
Bei dem 1910 für die gleiche Brücke veranstalteten<br />
zweiten Wettbewerb setzte Robert Moser im<br />
Preisgericht die Erstprämiierung des Projektes<br />
<strong>der</strong> Basler Firma Albert Buss durch, das sich mit<br />
dem Motto «Von Fels zu Fels» empfahl 135 .<br />
Im Vorfeld des Kornhausbrückenbaus war 1892<br />
von <strong>der</strong> Berner Arbeiterunion gefor<strong>der</strong>t worden,<br />
dass <strong>der</strong> Stein auch aus Gründen <strong>der</strong> Arbeitsbeschaffung<br />
zu bevorzugen sei 136 .1913 entstand mit<br />
<strong>der</strong> Haienbrücke eine Konstruktion, die zwar den<br />
Stein ehrte, doch nur dem Scheine nach: sie begeht<br />
aus armiertem Beton. Das gleiche Material,<br />
das die Wie<strong>der</strong>aufnahme <strong>der</strong> Steinbrückenform<br />
en ermöglichte, verdrängte endgültig den<br />
Haustein. Die Haienbrücke ist dem Betonklassizismus<br />
von Emil Mörschs 1908 erbauter Gmün<strong>der</strong>tobelbrücke<br />
bei Teufen AR verpflichtet. Dagegen<br />
hatte schon 1905 <strong>der</strong> Ingenieur Robert<br />
Maillart für den Berner Schönausteg eine Form<br />
v °rgeschlagen, die unübersehbar das Gepräge<br />
des Eisenbetons aufwies - einen schnittigen<br />
^reigelenkbogen mit Kastenquerschnitt. Die unkonventionelle<br />
Form fand keinen Anklang; «aus<br />
Schönheitsrücksichten» zog man ein Kettenbrükkenprojekt<br />
vor. Dieser Typus war zwar während<br />
seiner Blütezeit 1857 von Gustav Gränicher für<br />
den Altenbergsteg verwendet worden, bei <strong>der</strong> Planung<br />
<strong>der</strong> Nydeggbrücke hatte man aber nichts<br />
v °n ihm wissen wollen 137 .<br />
Durch diesen und an<strong>der</strong>e Misserfolge gewitzt,<br />
suchte Maillart sich dem Geschmack <strong>der</strong> Auftraggeber<br />
anzupassen. Das Projekt, das er 1910<br />
zusammen mit den Berner Architekten Walter<br />
J°ss und Hans Klauser für den Lorrainebrücken-<br />
Wettbewerb eingab (Abb. 72), hielt sich ans Vorbild<br />
von Carlo Bernardo Moscas Nydeggbrükkenprojekt<br />
von 1836; und die Brücke, die Mauert<br />
schliesslich 1928-1929 zusammen mit den Architekten<br />
Klauser & Streit ausführte, wirkt wie<br />
eine vergrösserte Fassung <strong>der</strong> bestehenden Nydeggbrücke.<br />
Neue Massstäbe setzte erst <strong>der</strong><br />
J937-1941 von Adolf Bühler erbaute, über einen<br />
Kilometer lange Eisenbahnviadukt, die weitest-<br />
Sespannte viergleisige Eisenbahnbrücke Europas<br />
Wgl- Bahnareal)"*.<br />
Mit <strong>der</strong> Lorrainebrücke schien die Zeit des Nyde<br />
ggbrückenbaus wie<strong>der</strong>gekehrt; die Steinstadt<br />
schien das Eisen «verdaut» zu haben. Aber die<br />
Hochbrücken hatten die Situation <strong>der</strong> Altstadt<br />
na chhaltig verän<strong>der</strong>t. Sie weiteten die Plattform<br />
<strong>der</strong> Stadt aus und hoben so die Trennlinie zwischen<br />
Felssockel und Mauerwerk hervor - die<br />
Stadt erschien nicht mehr als naturwüchsige<br />
Felsbekrönung, son<strong>der</strong>n als niedriger Aufsatz.<br />
Bisher hatte <strong>der</strong> Münsterturm, obwohl unvollendet,<br />
einen wirksamen Vertikalakzent dargestellt -<br />
nach dem Bau <strong>der</strong> Kirchenfeldbrücke mit ihren<br />
mächtigen «Gewölben» aus Eisenrippen wirkte<br />
er plötzlich unbedeutend. James Boswell hatte<br />
man bei seinem Besuch in Bern 1764 die Torsogestalt<br />
des Turms damit erklärt, dass <strong>der</strong> Architekt<br />
des vermessenen Bauwerks zu Tode gestürzt<br />
sei 139 . In Wirklichkeit hatte <strong>der</strong> Tod des Münsterbaumeisters<br />
Daniel Heintz im Jahre 1592<br />
zum Entschluss geführt, das ohnehin durch die<br />
Reformation verzögerte und durch statische Probleme<br />
belastete Unternehmen <strong>der</strong> Turmvollendung<br />
aufzugeben. Ganz wurde <strong>der</strong> Gedanke daran<br />
allerdings nie aufgegeben; eine 1796 angefertigte<br />
Zeichnung des damaligen Münsterwerkmeisters<br />
Nikiaus Sprüngli zeigt, «wie <strong>der</strong> Helm ...<br />
hat vollendet werden sollen» 140 . Aber es handelte<br />
sich dabei eher um eine rückwärts gewandte<br />
<strong>Architektur</strong>träumerei; das Werkmeisteramt diente<br />
nur noch als Ehrentitel für den verelendeten<br />
Barockarchitekten M1 .<br />
Zukunftsträchtiger war ein 1829 unternommener<br />
Vorstoss <strong>der</strong> städtischen Baukommission: ihre<br />
Anregung zur Turmvollendung bildete den Auftakt<br />
zu einer langen Reihe ähnlicher Projekte.<br />
Die Beschäftigung mit dem Münster stand zunächst<br />
im Bann <strong>der</strong> geplanten Vollendung des<br />
Kölner Doms, <strong>der</strong> zu einem deutschen Nationaldenkmal<br />
werden sollte. In einer 1835 vom Berner<br />
Künstlerverein herausgegebenen Schrift wurde<br />
daran erinnert, dass das Münster bis 1798 «ein<br />
Tempel des Ruhms für das seit seiner Gründung<br />
unbesiegte Bern» gewesen sei:<br />
«Hier waren vor Alters die Panner und Fahnen, welche in den<br />
heissen Tagen zu Laupen, Grandson, Murten den Feinden unserer<br />
Unabhängigkeit abgenommen wurden; hier werden noch<br />
die kostbaren Tapeten, welche das Gezelt Karls des Kühnen<br />
zierten, aufbewahrt. Hier in geweihter Erde, unter hochgewölbten<br />
Hallen, ruhen diejenigen, welchen unsere Vaterstadt den<br />
meisten Ruhm, die schönsten Stiftungen zu verdanken hat 142 .»<br />
Abb. 72 Bern. Modell für eine Lorrainebrücke. Wettbewerbsprojekt<br />
von Ingenieur Robert Maillart und den Architekten<br />
Joss & Klauser, 1910-1911. Nach verän<strong>der</strong>ten Plänen erbaut<br />
1928-1930 von Maillart und den Architekten Klauser & Streit.<br />
Hommage an den Steinbrückenbau des Klassizismus (Nydeggbrücke)<br />
mit mo<strong>der</strong>nster Technik (Betonqua<strong>der</strong>- und Eisenbetonkonstruktion).<br />
Aus: <strong>Schweizer</strong>ische Bauzeitung 58 (1911),<br />
bei S. 37.