INSA Inventar der neueren Schweizer Architektur 1850 ... - DigiBern
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Bern 396<br />
ren Stadt sichtbar: «Bern Anno 1950, Gasse B,<br />
Quadrat 27, laut durchgeführtem Baureglement<br />
§ 289 Anhang» - das Schreckbild einer kirchenlosen<br />
Zukunftsstadt mit fabrikartigen Mietkasernen<br />
auf eisernen «pilotis». Schon kurz nach dem<br />
Untergang des alten Bern hatte <strong>der</strong> Münsterdekan<br />
David Müslin Bern wie es war - ist - und<br />
seyn wird verglichen und befürchtet, dass im religionslosen<br />
Bern <strong>der</strong> Zukunft <strong>der</strong> einzige Trost<br />
das Grab sei. Allerdings prophezeite er damals<br />
den raschen Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> «einst so blühenden<br />
Hauptstadt» zu einer verödeten Landschaft, erkennbar<br />
höchstens noch an den unverwechselbaren<br />
Arkadengängen 121 .<br />
Rodt fürchtete nicht den Rückfall ins Dörfliche,<br />
son<strong>der</strong>n im Gegenteil dessen Austreibung unter<br />
dem Diktat des «rechten Winkels» und des Profits.<br />
Pugins geistiger Schüler, John Ruskin, hatte<br />
Bern schon 1858 als so «verdorben» erachtet,<br />
dass es keiner Beachtung wert sei m . Den Kronzeugen<br />
für die Rücksichtslosigkeit <strong>der</strong> Bauspekulanten,<br />
den 1865 abgebrochenen Christoffelturm,<br />
stellte Rodt in seinem Mappenwerk wenigstens<br />
bildlich wie<strong>der</strong> her. Die Vorkämpfer für<br />
die Neugestaltung des westlichen Teils <strong>der</strong> Altstadt,<br />
<strong>der</strong> <strong>der</strong> Turm zum Opfer gefallen war, hatten<br />
ihr Interesse inzwischen dem Kirchenfeld<br />
(Abb. 68) zugewandt; seit 1860 plante man seine<br />
Überbauung. Während Gottlieb Hebler 1872 für<br />
das zwei Jahre zuvor gegründete Kirchenfeldkommitee<br />
einen bescheiden dimensionierten<br />
Schachbrettplan zeichnete, entwarf Albert Jahn<br />
1876 in Zusammenarbeit mit Gaston Anselmier<br />
einen Strassenraster mit riesigen, durchnumerierten<br />
Baublöcken. Ein vorhergehendes Projekt von<br />
Anselmier und Albert Lauterburg war selbst den<br />
Befürwortern einer grossstädtischen Planung zu<br />
weit gegangen 123 . Alle diese Planer wurden von<br />
«unerwarteten, fremden Unterhändlern, eigentlichen<br />
internationalen Spekulanten in mo<strong>der</strong>nen<br />
Stadtgründungen» 124 aus dem Felde geschlagen:<br />
eine Gruppe englischer Kapitalisten unter <strong>der</strong><br />
Ägide Philipp Van<strong>der</strong>byls übernahm die Erschliessung<br />
des neuen Stadtteils auf dem Kirchenfeld.<br />
Ihr Vertrauensarchitekt war Horace<br />
Edouard Davinet, <strong>der</strong> schon 1859 mit Friedrich<br />
Stu<strong>der</strong> ein utopisch-grossstädtisches Kirchenfeldquartier<br />
skizziert hatte. «9% Zins» schrieb<br />
Rodt auf ein Gebäude seiner Massenstadt. Wo<br />
sich Kapitalisten tummelten, konnte man auch<br />
einen «Socialistenclub» erwarten. Die «Fütterung»<br />
<strong>der</strong> Massen erfolgt auf Gemeindekosten,<br />
Heizung und Heirat sind gleichermassen bürokratisiert<br />
(vgl. Kap. 2.8.14).<br />
Die Erschliessung des Kirchenfeldes begann<br />
1881-1883 mit dem Bau <strong>der</strong> Kirchenfeldbrücke<br />
Abb. 67 Vorlage zum Titelblatt <strong>der</strong> Sammelmappe Das alte<br />
Bern. Fe<strong>der</strong>zeichnung von Eduard von Rodt, 1880. Bernisches<br />
Historisches Museum.<br />
über das Tal <strong>der</strong> Aare. Statt des teuern Hausteins<br />
wählte die auf Profit bedachte «Berne Land<br />
Company Ltd» das preisgünstigere Eisen 125 . Zement<br />
wurde ausgeschlossen, wohl weil er noch<br />
zu wenig erprobt war. Rodts Satire von 1880 mag<br />
zwar aus Anlass des Kirchenfeldunternehmens<br />
entstanden sein, aber sie richtete sich nicht gegen<br />
Stadterweiterung und Brückenbau als solche -<br />
sie erschienen Rodt im Gegenteil als «zwanzig<br />
Jahre verspätet 126 . Das Fehlen einer quer zur Altstadt<br />
verlaufenden Achse hatte die einseitige<br />
Ausdehnung <strong>der</strong> Stadt nach Westen geför<strong>der</strong>t<br />
und so zu jener Isolierung <strong>der</strong> Unterstadt geführt,<br />
die <strong>der</strong> Bau <strong>der</strong> Nydeggbrücke hätte verhin<strong>der</strong>n<br />
sollen. Eine Erschliessung des Kirchenfeldes<br />
konnte dieser Entwicklung entgegenwirken.<br />
Zudem sah man die Möglichkeit, mit einem<br />
bürgerlichen Wohnquartier ein Gegengewicht zu<br />
den Arbeiterquartieren in <strong>der</strong> Länggasse, in <strong>der</strong><br />
Lorraine nördlich <strong>der</strong> Eisenbahnbrücke und bei<br />
den Militäranstalten auf dem Beundenfeld zu<br />
schaffen 127 . Rodt befürchtete, dass das Renditedenken<br />
<strong>der</strong> fremden Unternehmer zum Mietkasernenbau<br />
neige; aber mit den Vorstadtvillen,<br />
die er selbst, H. E. Davinet, Henry B. von Fischer