Erinnerungen

Erinnerungen Erinnerungen

03.12.2012 Aufrufe

Familie Reimer (er aus Siebenbürgen, sie Tochter vom Zückert-Schneider) wurde uns das bestätigt. Erinnerlich ist mir auch, dass wir in Donaths Bierstuben einkehren konnten. Nach eingehender familiärer Aussprache entschieden sich die Eltern wegen des Hauses in der Gemeindeverwaltung vorzusprechen. Dort trafen sie auf den Bürgermeister Szymków und auf Frau Jagodzinska. Letztere, eine gut Deutsch sprechende Südpolin (aus dem ehemaligen Österreich) mit entsprechend freundlichem Wesen, setzte sich sehr für die neue Nachbarschaft ein, denn sie wohnte auch auf der Villenstraße, im Haus welches bis 1945 die Familie Bernert gemietet hatte (aus welcher meine Frau Karin stammt). Wir konnten also das Haus mieten und im Vertrag ist erstaunlicherweise das Haus als Eigentum, über welches zur Zeit nicht verfügt werden kann, vermerkt. So konnten wir denn das Grundstück betreten. Von Außen gesehen links vom Gartentor nahe am Zaun waren damals noch die Gräber von Mutter und Tochter Hartdorf zu sehen, unseren Mietern, die 1945 den Freitod gewählt hatten und u. a. von meiner Schwiegermutter mit geborgen wurden. Aber davon wussten wir damals nichts. Das Haus selbst war abgewohnt, der Fußboden teilweise brüchig, vom Mobiliar nichts mehr vorhanden, auf dem Hofe Unordnung. Für die Instandsetzung hatten wir im Grunde keine Geld. Von BZPB, dem Arbeitgeber meines Vaters, gab es aber eine Unterstützungserklärung und unter den restlichen Deutschen gab es viel nachbarliche Solidarität, d. h. nur die Schnitten und den Tee für das Abendbrot boten wir für Arbeit. Dabei für mich immer wieder erinnerlich Alfred Scholz, der Mann mit den goldenen Händen, bei dem ich in dieser Zeit viele handwerkliche Praktiken zum ersten Mal sah. Seine größeren Jungs waren von Fall zu Fall auch anwesend. Zuletzt der Reichenauer Zimmermann Maler und dann sind wir irgendwann im Frühsommer eingezogen. Wir waren aber nicht die einzigen Deutschen, denn in Wald war das alte Ehepaar August Scholze nicht ausgesiedelt worden. In dem Schwester Else, die Diakonissin war, in der Friedehofskapelle regelmäßig sonntäglichen Gottesdienst hielt, konnten versprengte Deutsche dort mit den anderen Kontakt aufnehmen und halten. So auch August Scholze, der nach dem Tode seiner Frau Betreuung vor Ort durch die Schwestern Else und Margarete erhielt, in die deutsche Rentenumlage einbezogen wurde und sonntags von Familie zu Familie zum Essen ging. So war er uns auch schon von früher bekannt. Unser Nachbar war der Bürgermeister Szymków, dessen Frau gut deutsch sprach, da sie in einer deutschen Familie dienstverpflichtet war, aber ohne Groll, denn sie wurde freundlich behandelt. Sie hatte bald engen Kontakt zu meiner Mutter. Ihre zwei Söhne waren zwar jünger als meine Schwester, konnten aber noch ins Spiel einbezogen werden. Bald waren wir auch mit Dr. Jarmata und Familie bekannt, sowie mit Familie Kaminski (aus Litauen) mit den Söhnen Rajmund, Richard und Stanislaus. Ganz glücklich waren meine Eltern über die Reaktion des Schulleiters Nadachowski, der auf Deutsch gesagt hatte: „Diese Kinder sofort in die Schule!“. So ging ich denn mit 12 Jahren Anfang September erstmalig in die Schule, mit meiner Schwester in die 3. Klasse. Die Sache drückte mir gewaltig auf die Psyche, besonders wenn wir in der Öffentlichkeit unterwegs waren. Aller Blicke sah ich dann auf mich gerichtet, da ich inmitten der Kleinen als notorischer Sitzenbleiber erscheinen musste. Dazu kamen noch die Jarmata-Zwillinge Clara und Dangola, zwei sehr hübsche Mädchen, mit denen wir im Ansatz schon bekannt geworden waren, die vom Äußeren wie aus einer anderen Welt kamen und die auch in den Pausen 2 Klassen über mir Zurückgeblieben eingeordnet waren, da durfte ich mir wirklich kein Hoffnungen machen. Trotzdem beschloss ich wenigstens von Ferne eine zu verehren, praktischerweise die mit den deutschen Rufnamen Clara, als ich sie aber übers Jahr besser auseinander halten konnte, merkte ich , dass es Dangola war. Den Bruder der beiden, der ca. 5 Jahre älter war, ein Fahrrad mit Tretlager-Gangschaltung fuhr und im Bad vom 10-m-Turm Kopfsprung machte, habe ich mir nie getraut anzusprechen. Im Oppelsdorfer Bad sah ich in diesem Jahr auch ein wunderschönes junges deutsches Ehepaar, scheinbar Lichtjahre von uns armen Häuslerleuten entfernt, die ich mir als Erscheinung einprägte, weil es mir nicht vorstellbar war, dass sie als Siegfried und Margot Domagalla jeweils in mein Leben treten würden. 44

Im Schulunterricht ergab sich erst einmal eine kritische Phase, da die Lehrerin für mich wie aus sprachlichem Nebel agierte. Dieser Nebel lichtet sich aber von Monat zu Monat mehr, dabei war unsere Klassenlehrerin Frau Nadachowska eine sehr angenehme Frau, die ich zu verehren begann und der gegenüber ich niemals Versagen wollte. So kam es, dass ich vor Weihnachten das beste Diktat schrieb und ganz unvorhergesehen zum Halbjahr schon in die vierte Klasse versetzt wurde, für mich wahrlich ein Riesengeschenk. Indem wir jetzt zur Schule gingen, gibt es von diesem Jahr weniger Ereignisse als früher zu berichten. Natürlich waren wir weiterhin mit Reichenau verzahnt, die Großeltern und Steins waren bei uns und wir bei ihnen. Von Bogatynia hatten wir 2 mittelgroße Hündinnen mitgebracht, die schlaue Kora- Tochter Foxine (sie sah immer wie ein junger Schäferhund aus) und Thedda. Letztere fand sich in unserem Reichenauer Kaninchenstall und als ich den für mich fremden Hund mit dem Besen vertreiben wollte, brach sie vor Angst uns Schwäche zusammen. Mit so nachgewiesener Bedürftigkeit durfte sie bleiben und schloss sich uns glücklich an. Da in Oppelsdorf nur zum Nachbarn und zur Straße Zaun stand, hatte ich Veranlassung dort häufig vom Hause einen mittelgroßen kräftigen Hund zu vertreiben, der aber immer wieder erschien. Als ich an einem Winterabend die Haustür öffnete, lag er vor dieser und konnte nicht flüchten, denn er war am Abstreicher angefroren. Vater und ich trugen ihn vorsichtig, denn er konnte ja bissig sein, mit dem Abstreicher in die Wohnküche. Wir konnten aber unbesorgt sein, denn Tarzan, so wurde er genannt, war die Gutmütigkeit in Person und wir trugen einen Vertriebenen zurück in sein Paradies, denn er war (wie wir später erfuhren) im Hause groß geworden und später zu anderen Leuten gekommen, die ohne ihn weg zogen. Vom Jahresende habe ich die Erinnerung, dass wir am Kretscham auf den Autobus nach Bogatynia warteten, es war Frost und kein Schnee und ich hatte mein Weihnachtsgeschenk, einen Fußball, zum Spielen bei mir. 14. Das Jahr 1952 Es begann wie immer mit Wintersport, aber jetzt am anderen Ort mit teilweise neuen Teilnehmern. Der andere Ort war Leupolts Berg, der damals nur auf seiner Kappe bewaldet war, ganz vorn zu Oppelsdorf mit einer uralten halb verbrannten Linde als Aussichtspunkt mit Bänken. Der heutige Wald am Hang zur Straße war damals noch eine Viehweide, aber diese oberhalb des Schnees schon braun von Birkenschwuppen bis 1 m hoch, welche in Begriff waren, die Weide in Besitz zu nehmen. Als Mutprobe habe ich eine Schussfahrt durch diesen Bewuchs, der mir grade noch erträglich gegen die Beine schlug, gemacht. Heute steht dort Hochwald. Schon zu meines Vaters Zeiten war Leupolts Berg ein Abenteuerplatz der Oppelsdorfer Jungen, welcher Platz aber zeitweise von den Lichtenberger Jungen angegriffen wurde (die ihre scharfen Hofhunde mitbrachten) und verteidigt werden musste (alles unter der Hand abgesprochen). In Bezug auf die Übermacht der kräftigen Lichtenberger Bauernjungen und deren schlimme Hunde, konnte nur donnernde Abschreckung helfen, weshalb ein Oppelsdorfer eine historische Reiterpistole seines Vaters von der Wand nahm, (die wollte er bis Feierabend wieder hin hängen) welche im Geäst der Linde angebunden wurde, mit einer langen Drachenschnur am Abzug. Damit es richtig donnert, schüttete man doppelt Schwarzpulver auf die Pfanne. Als die Lichtenberger nahe genug heran waren, zog man aus der Ferne ab und es gab einen Donnerschlag, der weithin widerhallte. Die bösen Hunde liefen in Voraus Richtung Lichtenberg, die Besitzer hinterher. Der Sieg war also vollkommen und man rollte die Abzugsschnur ein bis zur Pistole, von der fand sich aber nur noch der Kolben am Fuße der Linde und mein späterer Vater musste der Auseinandersetzung mit seinem Vater einsam entgegen gehen. Bald waren wir nicht mehr der neueste Zuzug in Oppelsdorf, denn aus Südostpolen, wohl wegen einer Grenzänderung wegen Erdöl dort, kamen die Bauernfamilien der Brüder Legażynski ins Dorf. Einer wurde auf Donaths Gut nahe der Kirche gesetzt, der andere auf Robert Flaschners Hof, der schon einige Zeit leer stand (von dort auch unser Hund Tarzan). 45

Im Schulunterricht ergab sich erst einmal eine kritische Phase, da die Lehrerin für mich<br />

wie aus sprachlichem Nebel agierte. Dieser Nebel lichtet sich aber von Monat zu Monat mehr,<br />

dabei war unsere Klassenlehrerin Frau Nadachowska eine sehr angenehme Frau, die ich zu<br />

verehren begann und der gegenüber ich niemals Versagen wollte. So kam es, dass ich vor<br />

Weihnachten das beste Diktat schrieb und ganz unvorhergesehen zum Halbjahr schon in die<br />

vierte Klasse versetzt wurde, für mich wahrlich ein Riesengeschenk. Indem wir jetzt zur<br />

Schule gingen, gibt es von diesem Jahr weniger Ereignisse als früher zu berichten. Natürlich<br />

waren wir weiterhin mit Reichenau verzahnt, die Großeltern und Steins waren bei uns und wir<br />

bei ihnen. Von Bogatynia hatten wir 2 mittelgroße Hündinnen mitgebracht, die schlaue Kora-<br />

Tochter Foxine (sie sah immer wie ein junger Schäferhund aus) und Thedda. Letztere fand<br />

sich in unserem Reichenauer Kaninchenstall und als ich den für mich fremden Hund mit dem<br />

Besen vertreiben wollte, brach sie vor Angst uns Schwäche zusammen. Mit so nachgewiesener<br />

Bedürftigkeit durfte sie bleiben und schloss sich uns glücklich an.<br />

Da in Oppelsdorf nur zum Nachbarn und zur Straße Zaun stand, hatte ich Veranlassung<br />

dort häufig vom Hause einen mittelgroßen kräftigen Hund zu vertreiben, der aber immer<br />

wieder erschien. Als ich an einem Winterabend die Haustür öffnete, lag er vor dieser und<br />

konnte nicht flüchten, denn er war am Abstreicher angefroren. Vater und ich trugen ihn<br />

vorsichtig, denn er konnte ja bissig sein, mit dem Abstreicher in die Wohnküche. Wir konnten<br />

aber unbesorgt sein, denn Tarzan, so wurde er genannt, war die Gutmütigkeit in Person und<br />

wir trugen einen Vertriebenen zurück in sein Paradies, denn er war (wie wir später erfuhren)<br />

im Hause groß geworden und später zu anderen Leuten gekommen, die ohne ihn weg zogen.<br />

Vom Jahresende habe ich die Erinnerung, dass wir am Kretscham auf den Autobus nach<br />

Bogatynia warteten, es war Frost und kein Schnee und ich hatte mein Weihnachtsgeschenk,<br />

einen Fußball, zum Spielen bei mir.<br />

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Es begann wie immer mit Wintersport, aber jetzt am anderen Ort mit teilweise neuen Teilnehmern.<br />

Der andere Ort war Leupolts Berg, der damals nur auf seiner Kappe bewaldet war, ganz<br />

vorn zu Oppelsdorf mit einer uralten halb verbrannten Linde als Aussichtspunkt mit Bänken.<br />

Der heutige Wald am Hang zur Straße war damals noch eine Viehweide, aber diese oberhalb<br />

des Schnees schon braun von Birkenschwuppen bis 1 m hoch, welche in Begriff waren, die<br />

Weide in Besitz zu nehmen. Als Mutprobe habe ich eine Schussfahrt durch diesen Bewuchs,<br />

der mir grade noch erträglich gegen die Beine schlug, gemacht. Heute steht dort Hochwald.<br />

Schon zu meines Vaters Zeiten war Leupolts Berg ein Abenteuerplatz der Oppelsdorfer<br />

Jungen, welcher Platz aber zeitweise von den Lichtenberger Jungen angegriffen wurde (die<br />

ihre scharfen Hofhunde mitbrachten) und verteidigt werden musste (alles unter der Hand<br />

abgesprochen). In Bezug auf die Übermacht der kräftigen Lichtenberger Bauernjungen und<br />

deren schlimme Hunde, konnte nur donnernde Abschreckung helfen, weshalb ein Oppelsdorfer<br />

eine historische Reiterpistole seines Vaters von der Wand nahm, (die wollte er bis Feierabend<br />

wieder hin hängen) welche im Geäst der Linde angebunden wurde, mit einer langen<br />

Drachenschnur am Abzug. Damit es richtig donnert, schüttete man doppelt Schwarzpulver auf<br />

die Pfanne. Als die Lichtenberger nahe genug heran waren, zog man aus der Ferne ab und es<br />

gab einen Donnerschlag, der weithin widerhallte. Die bösen Hunde liefen in Voraus Richtung<br />

Lichtenberg, die Besitzer hinterher. Der Sieg war also vollkommen und man rollte die<br />

Abzugsschnur ein bis zur Pistole, von der fand sich aber nur noch der Kolben am Fuße der<br />

Linde und mein späterer Vater musste der Auseinandersetzung mit seinem Vater einsam<br />

entgegen gehen.<br />

Bald waren wir nicht mehr der neueste Zuzug in Oppelsdorf, denn aus Südostpolen, wohl<br />

wegen einer Grenzänderung wegen Erdöl dort, kamen die Bauernfamilien der Brüder<br />

Legażynski ins Dorf. Einer wurde auf Donaths Gut nahe der Kirche gesetzt, der andere auf<br />

Robert Flaschners Hof, der schon einige Zeit leer stand (von dort auch unser Hund Tarzan).<br />

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