Erinnerungen
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11. Das Jahr 1949<br />
Hier will ich eingangs von Einkaufpflichten berichten. Eine ernste Sache, für welche man seit<br />
1990 jede Menge großflächige Hallen in die Gegend setzte und die Bevölkerung weitgehend<br />
mit PKW ausrüstete. Von 1945 an war das für unsere Großfamilie aber weitgehend eine<br />
Sache für einen kleine Jungen, nämlich meine. Es gab zwar damals weiterhin Lebensmittelkarten,<br />
d. h. die Fresslust war gebremst, aber es gab nur kleine Läden für viele Leute und<br />
vom Auto lediglich die unter 8. beschriebenen Sandalen unter den Füßen. Vor den Geschäften<br />
waren viele Menschen, die in Schlangen anstanden. Wer vormittags nicht an die Reihe<br />
gekommen war, der blieb über die 1 – 2-stündige Mittagszeit vor verschlossener Ladentür<br />
gleich stehen. Wenn diese dann geöffnet wurde, dann war der Druck von hinten so groß, dass<br />
ich einige Male ohne Bodenberührung in den Laden geschwommen bin, wie ich heute weiß,<br />
eine gefährliche Situation. War man glücklich mit der Ware zu hause angekommen, dann gab<br />
es die Nachaufträge, was die Frauen vergessen hatten, wobei mich Kurt Stein als mein Freund<br />
und Onkel aber unter der Hand zur Verweigerung aufforderte. Wenn uns das Schicksal schon<br />
außerhalb regulärer Schulbildung gestellt hatte und uns damit mit viel Freizeit bedachte, so<br />
war doch irgendwie klar, dass die Freizeit unter den gegebenen Umständen weitgehend in<br />
Nutzen zu verwandeln war. Eine solche Richtung hatte Brennholzbeschaffung. Zwar gab es in<br />
den Haushalten ausreichend Braunkohle, diese brannte aber sehr träge. Brauchte man<br />
plötzlich Flamme, z. B. um Teewasser zu kochen, so konnte das nur über Beifügung von Holz<br />
erreicht werden, ebenso das Anfeuern.<br />
Wir trafen uns zu diesem Zweck mit unseren Leiterwagen (vorher die Räder abgezogen<br />
und die Achsen abgeschmiert), Säge und Beil dabei und fuhren als „Karawane“ in den damals<br />
in Richtung Reibersdorf/Türchau noch vorhandenen Hartbusch. Natürlich mit viel Gaudi<br />
unterwegs, z. B. konnte Leiterwagen an Leiterwagen gebunden werden, im vordersten Wagen<br />
saß einer, der die Deichsel mit den Füßen bediente, alle anderen schoben wie die Feuerwehr<br />
und sprangen bergunter auf. Natürlich ging das fußgelenkte Berg abfahren auch mit<br />
Einzelwagen. Gegen Feierabend kamen wir dann mit Wagen voll geladen mit trockenem<br />
Brennholz auf den heimischen Hof zurück. Wie schon erwähnt, waren wir als Helfer bei den<br />
anliegenden Landwirten auch gern gesehen, z. B. wenn das Heu in die Scheune gebracht<br />
wurde, war es erwünscht, dass es zur Volumenverkleinerung „eingetreten“ wurde. Wie schon<br />
Generationen vor uns, benutzten wir die Gelegenheit von hoch liegenden Balken „einzuspringen“,<br />
und ebenso wie die vor uns hatten wir abends eine voll von Heu zerkratzte und<br />
zerstochene Haut, die sich nur mit Schmerzen reinigen ließ. Indem wir so auf den Höfen<br />
eingeführt waren, standen uns besonders bei Jan Janecki auch an den Schlechtwettertagen die<br />
Scheunen für Spring- oder Ringkampfveranstaltungen offen. Auf Janeckis Hof spielten wir<br />
auch über Jahre ausdauernd Fußball, dabei auch Herr Scholz und Onkel Kurt, also Groß und<br />
Klein in gemischten Mannschaften ausgewogen aufgeteilt.<br />
Die Auseinandersetzungen zwischen Kindern im Ort hatten etwas nachgelassen, vielleicht<br />
auch, weil die gegenseitige Bewaffnung abschreckend geworden war. Die Schottersteine<br />
waren Hochleistungs-Katapulten gewichen, die Kieselsteine zum Verschießen wurden<br />
durch Bleiecken ersetzt, die sich jeder selbst goss und vereinzelte. Wierzbicki, der sich immer<br />
sehr für Waffen interessierte, war beeindruckt, als ich eine solche Bleiecke ca. 1 cm tief im<br />
Holz des Scheunentores versenkte. Er sagte ganz begeistert, das würde auch für einen Hasen<br />
reichen, man müsste nur besser treffen können. Katapult und Bleiecken waren sozusagen eine<br />
unsichtbare, immer vorhanden Waffe in der Hosentasche. Glücklicherweise gab es keine<br />
Unfälle. Gleichermaßen einige hundert Meter weit konnte man mit Pfeil und Bogen schießen,<br />
wenn der Bogen entsprechend und der Pfeil aus trockenem Schilf mit an der Spitze eingelagertem<br />
Nagel war. Aber diese Waffe war unhandlich und auffällig, sie bleib gleichermaßen<br />
ohne Unfälle.<br />
Als ich im Erlbach den Lauf eines historischen Gewehrs fand, baute ich heimlich in<br />
Wierzbickis Scheunen-Werkstatt, aber eigentlich auf der Werkbank meines Urgroßvaters, die<br />
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