Erinnerungen

Erinnerungen Erinnerungen

03.12.2012 Aufrufe

glaubte vor Schmerz beide Beine gebrochen und bewegte mich dann die ca. 10 m bis zum Scheunentor nur mit Armkraft auf dem Boden. Konnte dann aber, erst zögerlich, dann immer besser wieder gehen. 10. Das Jahr 1948 Es begann mit der Ausweisung unserer Familie. Wir waren ja auf so etwas gefasst. Von den Trocken-Röstbrot-Vorräten, die zu meiner Genugtuung 3 Schubfächer einer großen Kommode voll immer bereitgehalten wurden, habe ich ja bereits berichtet. Zusätzlich war jedes Familienmitglied mit einem Reisekorb (seiner Größe angemessen) ausgerüstet. Unter die Reisekörbe waren Holzrahmen mit Holzachsen und Rädern aus einer Holzscheibe gebaut, vorn eine Schnur zum Ziehen, also ein Gefährt, welches bis zu einem Stellplatz aushalten würde. Damals war somit gestattet, mitzunehmen was eine Person bewegen und zusätzlich auf sich tragen konnte. Meine Eltern gingen mit uns noch einmal durch die traute Wohnung, der Erinnerung wegen. Es kam der Abschied von den Großeltern und Kurt und Ilse. Vor dem Haus im morgendlichen Halbdunkel stand eine Traube Menschen, die oben in unsere aufgegebene Wohnung wollten, was ihnen aber verwehrt wurde. Mit Rucksack auf dem Rücken und Wäsche-/Reisekorb am Bändel ging es die ca. 200 m bis zu Akku-Weigelt, wo vor dem Haus ein offener LKW stand. Zdzisław Wierzbicki ging mit und zog meiner Schwester den Reisekorb. Wir waren zeitlich die Ersten auf dem LKW, der immer voller wurde. Dann kam ein Mann, der verlas Namen von Familien, die dableiben mussten. Wir gehörten dazu und waren eine halbe Stunde später wieder in unserer Wohnung. Vom 16.01.48 habe ich von meinen Eltern Ausweise mit Lichtbild, wo der Wohnsitz Bogatynia, Naus-Nr. ... bis auf Widerruf bestätigt wurde (Geburtsort meines Vaters dabei vermerkt „Oplówka“). Ein weiterer Rückkehrer hielt sich ganz im Stillen in unserem Haus auf. Es war Kurt Preibisch, der jüngste Bruder meiner Mutter, der wie bereits unter 5. geschildert vor der Erstürmung von Königsberg in russische Gefangenschaft gekommen war. Irene brachte ihn nächtens über die Neiße und ich war erstaunt, wie wohlgenährt er trotz russischer Gefangenschaft aussah. Er war aber durch Wasser aufgeschwemmt und somit in einem sehr bedenklichen Gesundheitszustand, was auch die Grundlage für seine frühe Entlassung gewesen war. Internes Vorfühlen ergab, dass Kurt von der Administration nicht geduldet worden wäre, so konnte er höchstens im Dunkeln seinen geliebten Garten besuchen. Nach ca. 3 Monaten Erholung musste er sich wieder mit Irene nach Zittau begeben. Er wäre wohl nie von Reichenau weggegangen. Auf seinem letzten schweren Krankenlager 1990, ließ er sich das sonnenbeschienene Giebelfoto des Vaterhauses auf A4 vergrößern und schnitt aus einer Gärtnerzeitung an Gewächsen aus, was er nehmen wollte, d. h. er beklebte damit das Vorfeld des Fotos und pflanzte somit noch ein letztes mal in seinem Garten und vor seinem Haus. Nach erfolgter Zurückstellung bei Aussiedlung wurde mein Vater als „Kierownick“ (=Leiter) eingestellt und ein längerer Verbleib im polnischen Umfeld wurde wahrscheinlich, weshalb unsere Eltern in der polnischen Grundschule wegen unserer Aufnahme vorstellig wurden. Die Antwort des damaligen Direktors war aber: „... das ist eine Schule nur für polnische Kinder.“ So konnte ich an dieser Schule in den Folgejahren nur vorbeigehen und habe noch gut in Erinnerung, wie vom Kirchberg bis an die Pforten der Schule zunehmend herausgerissene zinnerne Orgelpfeifen lagen. Ein Vergnügen für die große Pause, damals von mir ohne Emotionen auch so eingeordnet. Heute bin ich froh, dass ich diesen Direktor mit seiner Lehrerschaft nicht kennen gelernt habe. Erinnerlich ist mir aber, wie bedrückt meine Großeltern waren (Großmutter sprach sogar von einer Silbermannorgel, was aber wohl nicht zutrifft), denn die Preibischs hatten immer auch sogenannte „Kirchenväter“ gestellt und es schwang in der Familie noch eine Erinnerung mit, wie sehr die Kirchgemeinde sich angestrengt hatte, um diese Orgel zu bekommen. 34

Wie bereits erwähnt, hatten wir Kinder unter der Anleitung von Klaus Scholz bereits spielend das Lesen gelernt, dabei spielte Indianer-Literatur zunehmend eine Rolle. Indem wir nur ein kleiner Stamm waren, verteilte Klaus großzügig an alle Häuptlingsposten, aber mit der hintersinnigen Auflage, Tagebuch zu führen. Ich war voll zufriedengestellt zum Junghäuptling „Flinker Hirsch“ avanciert und legte mir also entsprechend Weisung des Oberhäuptlings eine A4-große Kladde an, mit der Aufschrift „Flinger Hisch“. Weiter gedieh die Sache nicht, Oberhäuptling hatte wohl auch zuviel andere Ablenkung. Die Auffindung dieser meiner ersten Schreibanstrengung brachte außer Erheiterung meiner Eltern auch zu Bewusstsein, dass Zeit zum Handeln gekommen sei. Indem mein Vater jetzt besser verdiente, konnte meine Mutter zu Hause bleiben und sich der Bildung der Kinder widmen. So saßen in unserem Wohnzimmer außer meiner Schwester und mir bald auch noch Gottfried Scholz, Manfred Pieche und Edda Hüttmann und mühten sich mit Lesen, Schrieben und Rechnen. Das war aber im Wesentlichen nur eine ca. 3-Tage-pro-Woche-Vormittagsschule, die viel Freizeit ließ. Einen geringen Teil dieser Freizeit belegte noch die Christenlehre, die von den Schwestern Else und Margarete im Stiftsgebäude am Reichenauer Krankenhaus abgehalten wurde. Schwester Else war Diakonissin und Operationsschwester und sie soll in der Umbruchszeit als Ärzte fehlten, selbst operiert haben, um Leben zu retten (wurde gesagt). Bei Scholzes wurde der neue Arzt erwartet und er kam mit einem BMW-Motorrad (statt Fußrasten Fußbretter), Lederkappe und brauner Lederjacke, selbst die Böschung fuhr er hinauf. Er nannte sich Dr. Joschko und es stellt sich heraus, dass er auch Deutscher war. So festigten wir Restdeutschen unsere Positionen, obwohl wir zu dieser Zeit noch weitgehend rechtlos, weil staatenlos waren. Es ist mir erinnerlich, wie ein junger Mann, auf dem Wirtschaftshof vor Scholzes Haus, alles daransetzte, Alfred Scholz aus der Fassung zu bringen. Dieser als ehemaliger Bademeister in Reichenau, mit keinem Gramm Fett auf dem Körper und muskulös, war eigentlich keiner, den man ungestraft an der Jacke ziehen, auf die Hacken treten, am Ärmel zupfen konnte, es sei denn man setzte auf die Rechtlosigkeit der Deutschen. Als der Tunichtgut wahrnahm, dass Alfred Scholz seine Beherrschung verlor, speichte er davon. Zur rechten Zeit, denn ihm wurde eine Schaufel nachgeworfen, die durch die Luft schwirrte und zwischen Scheunenwand und Schuppen hin- und her prallte, wie ich es bis dahin noch nicht gesehen hatte. Auch die Administration von Bogatynia, die manchmal in der Verlegenheit war, nomadisierende Pärchen kurzzeitig unterzubringen, bediente sich gern der von Deutschen bewohnten Häuser. So auch bei Scholzes. Trotz der großen Familie, wurde dort einquartiert. Die Untermieter, Mann und Frau, waren nicht die Besten zueinander. Der Streit eskalierte soweit, dass er sie, mit dem Messer in der Hand, um das Haus trieb. „Alfred geh dazwischen“ rief Frau Scholz, „er bringt sie um!“. Der aber sagte nur ganz ruhig: „Ach, lass nur, die brauchen das“. Die wilde Jagd ging wieder in das Haus hinein, die Treppe hinauf, ins Zimmer der Untermieter, dann war Stille, mörderisch für Frau Scholz. Aber dann fing das Eisenbett der Untermieter an, Töne von sich zu geben. Die Deckenbalken überm Erdgeschoss bewegten sich. „Siehst Du, die brauchen das“, sagte Alfred Scholz. Hans der Älteste der Scholze-Jungen arbeitete auf dem „Majątek“ (=Preibisch-Gut) als Schweizer, weshalb Gottfried Scholz, der mit mir etwa gleich alt ist, dort zeitweise als Hütejunge tätig war. Da ging ich natürlich manchmal mit. Indem Gottfried sozusagen einen Angestellten-Status hatte, konnten wir uns gegen Schlechtwetter jeder einen brauchbaren Sack aussuchen, bei dem wir einen Zipfel in den anderen steckten und so eine Kapuze bekamen, die uns kleinen Kerle maßgeblich bedeckte. Sicher haben wir auch Kartoffeln mitgenommen, auch wussten wir, wo auf dem Felde Pferdemöhren angebaut waren, wo Brennholz zu finden war, usw. Einmal waren wir mit dem Austrieb weit weg auf dem Felde bei einem Erdhügel = Wasserbehälter, wo zufällig ein Wärter zugegen war, der uns eintreten ließ in eine kleine Arbeits-/Aufenthaltsstube mit Tisch und Stuhl, ganz unerwartet in der Feldeinsamkeit. Heute glaube ich, diesen Behälter eingebaut zwischen Gebäuden zu erkennen. Wenn abends die 52 Kühe wieder im Stall waren, wo auch der Bulle stand, der keinen 35

Wie bereits erwähnt, hatten wir Kinder unter der Anleitung von Klaus Scholz bereits<br />

spielend das Lesen gelernt, dabei spielte Indianer-Literatur zunehmend eine Rolle. Indem wir<br />

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hintersinnigen Auflage, Tagebuch zu führen. Ich war voll zufriedengestellt zum Junghäuptling<br />

„Flinker Hirsch“ avanciert und legte mir also entsprechend Weisung des Oberhäuptlings<br />

eine A4-große Kladde an, mit der Aufschrift „Flinger Hisch“. Weiter gedieh die Sache nicht,<br />

Oberhäuptling hatte wohl auch zuviel andere Ablenkung. Die Auffindung dieser meiner<br />

ersten Schreibanstrengung brachte außer Erheiterung meiner Eltern auch zu Bewusstsein, dass<br />

Zeit zum Handeln gekommen sei. Indem mein Vater jetzt besser verdiente, konnte meine<br />

Mutter zu Hause bleiben und sich der Bildung der Kinder widmen. So saßen in unserem<br />

Wohnzimmer außer meiner Schwester und mir bald auch noch Gottfried Scholz, Manfred<br />

Pieche und Edda Hüttmann und mühten sich mit Lesen, Schrieben und Rechnen. Das war<br />

aber im Wesentlichen nur eine ca. 3-Tage-pro-Woche-Vormittagsschule, die viel Freizeit ließ.<br />

Einen geringen Teil dieser Freizeit belegte noch die Christenlehre, die von den Schwestern<br />

Else und Margarete im Stiftsgebäude am Reichenauer Krankenhaus abgehalten wurde.<br />

Schwester Else war Diakonissin und Operationsschwester und sie soll in der Umbruchszeit als<br />

Ärzte fehlten, selbst operiert haben, um Leben zu retten (wurde gesagt).<br />

Bei Scholzes wurde der neue Arzt erwartet und er kam mit einem BMW-Motorrad (statt<br />

Fußrasten Fußbretter), Lederkappe und brauner Lederjacke, selbst die Böschung fuhr er<br />

hinauf. Er nannte sich Dr. Joschko und es stellt sich heraus, dass er auch Deutscher war.<br />

So festigten wir Restdeutschen unsere Positionen, obwohl wir zu dieser Zeit noch<br />

weitgehend rechtlos, weil staatenlos waren. Es ist mir erinnerlich, wie ein junger Mann, auf<br />

dem Wirtschaftshof vor Scholzes Haus, alles daransetzte, Alfred Scholz aus der Fassung zu<br />

bringen. Dieser als ehemaliger Bademeister in Reichenau, mit keinem Gramm Fett auf dem<br />

Körper und muskulös, war eigentlich keiner, den man ungestraft an der Jacke ziehen, auf die<br />

Hacken treten, am Ärmel zupfen konnte, es sei denn man setzte auf die Rechtlosigkeit der<br />

Deutschen. Als der Tunichtgut wahrnahm, dass Alfred Scholz seine Beherrschung verlor,<br />

speichte er davon. Zur rechten Zeit, denn ihm wurde eine Schaufel nachgeworfen, die durch<br />

die Luft schwirrte und zwischen Scheunenwand und Schuppen hin- und her prallte, wie ich es<br />

bis dahin noch nicht gesehen hatte.<br />

Auch die Administration von Bogatynia, die manchmal in der Verlegenheit war, nomadisierende<br />

Pärchen kurzzeitig unterzubringen, bediente sich gern der von Deutschen bewohnten<br />

Häuser. So auch bei Scholzes. Trotz der großen Familie, wurde dort einquartiert. Die<br />

Untermieter, Mann und Frau, waren nicht die Besten zueinander. Der Streit eskalierte soweit,<br />

dass er sie, mit dem Messer in der Hand, um das Haus trieb. „Alfred geh dazwischen“ rief<br />

Frau Scholz, „er bringt sie um!“. Der aber sagte nur ganz ruhig: „Ach, lass nur, die brauchen<br />

das“. Die wilde Jagd ging wieder in das Haus hinein, die Treppe hinauf, ins Zimmer der<br />

Untermieter, dann war Stille, mörderisch für Frau Scholz. Aber dann fing das Eisenbett der<br />

Untermieter an, Töne von sich zu geben. Die Deckenbalken überm Erdgeschoss bewegten<br />

sich. „Siehst Du, die brauchen das“, sagte Alfred Scholz.<br />

Hans der Älteste der Scholze-Jungen arbeitete auf dem „Majątek“ (=Preibisch-Gut) als<br />

Schweizer, weshalb Gottfried Scholz, der mit mir etwa gleich alt ist, dort zeitweise als<br />

Hütejunge tätig war. Da ging ich natürlich manchmal mit. Indem Gottfried sozusagen einen<br />

Angestellten-Status hatte, konnten wir uns gegen Schlechtwetter jeder einen brauchbaren<br />

Sack aussuchen, bei dem wir einen Zipfel in den anderen steckten und so eine Kapuze<br />

bekamen, die uns kleinen Kerle maßgeblich bedeckte. Sicher haben wir auch Kartoffeln mitgenommen,<br />

auch wussten wir, wo auf dem Felde Pferdemöhren angebaut waren, wo<br />

Brennholz zu finden war, usw. Einmal waren wir mit dem Austrieb weit weg auf dem Felde<br />

bei einem Erdhügel = Wasserbehälter, wo zufällig ein Wärter zugegen war, der uns eintreten<br />

ließ in eine kleine Arbeits-/Aufenthaltsstube mit Tisch und Stuhl, ganz unerwartet in der<br />

Feldeinsamkeit. Heute glaube ich, diesen Behälter eingebaut zwischen Gebäuden zu erkennen.<br />

Wenn abends die 52 Kühe wieder im Stall waren, wo auch der Bulle stand, der keinen<br />

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