Erinnerungen
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glaubte vor Schmerz beide Beine gebrochen und bewegte mich dann die ca. 10 m bis zum<br />
Scheunentor nur mit Armkraft auf dem Boden. Konnte dann aber, erst zögerlich, dann<br />
immer besser wieder gehen.<br />
10. Das Jahr 1948<br />
Es begann mit der Ausweisung unserer Familie. Wir waren ja auf so etwas gefasst. Von den<br />
Trocken-Röstbrot-Vorräten, die zu meiner Genugtuung 3 Schubfächer einer großen Kommode<br />
voll immer bereitgehalten wurden, habe ich ja bereits berichtet. Zusätzlich war jedes<br />
Familienmitglied mit einem Reisekorb (seiner Größe angemessen) ausgerüstet. Unter die<br />
Reisekörbe waren Holzrahmen mit Holzachsen und Rädern aus einer Holzscheibe gebaut,<br />
vorn eine Schnur zum Ziehen, also ein Gefährt, welches bis zu einem Stellplatz aushalten<br />
würde. Damals war somit gestattet, mitzunehmen was eine Person bewegen und zusätzlich<br />
auf sich tragen konnte. Meine Eltern gingen mit uns noch einmal durch die traute Wohnung,<br />
der Erinnerung wegen. Es kam der Abschied von den Großeltern und Kurt und Ilse. Vor dem<br />
Haus im morgendlichen Halbdunkel stand eine Traube Menschen, die oben in unsere<br />
aufgegebene Wohnung wollten, was ihnen aber verwehrt wurde. Mit Rucksack auf dem<br />
Rücken und Wäsche-/Reisekorb am Bändel ging es die ca. 200 m bis zu Akku-Weigelt, wo<br />
vor dem Haus ein offener LKW stand. Zdzisław Wierzbicki ging mit und zog meiner<br />
Schwester den Reisekorb. Wir waren zeitlich die Ersten auf dem LKW, der immer voller<br />
wurde. Dann kam ein Mann, der verlas Namen von Familien, die dableiben mussten. Wir<br />
gehörten dazu und waren eine halbe Stunde später wieder in unserer Wohnung. Vom 16.01.48<br />
habe ich von meinen Eltern Ausweise mit Lichtbild, wo der Wohnsitz Bogatynia, Naus-Nr. ...<br />
bis auf Widerruf bestätigt wurde (Geburtsort meines Vaters dabei vermerkt „Oplówka“). Ein<br />
weiterer Rückkehrer hielt sich ganz im Stillen in unserem Haus auf. Es war Kurt Preibisch,<br />
der jüngste Bruder meiner Mutter, der wie bereits unter 5. geschildert vor der Erstürmung von<br />
Königsberg in russische Gefangenschaft gekommen war. Irene brachte ihn nächtens über die<br />
Neiße und ich war erstaunt, wie wohlgenährt er trotz russischer Gefangenschaft aussah. Er<br />
war aber durch Wasser aufgeschwemmt und somit in einem sehr bedenklichen Gesundheitszustand,<br />
was auch die Grundlage für seine frühe Entlassung gewesen war. Internes Vorfühlen<br />
ergab, dass Kurt von der Administration nicht geduldet worden wäre, so konnte er höchstens<br />
im Dunkeln seinen geliebten Garten besuchen. Nach ca. 3 Monaten Erholung musste er sich<br />
wieder mit Irene nach Zittau begeben. Er wäre wohl nie von Reichenau weggegangen. Auf<br />
seinem letzten schweren Krankenlager 1990, ließ er sich das sonnenbeschienene Giebelfoto<br />
des Vaterhauses auf A4 vergrößern und schnitt aus einer Gärtnerzeitung an Gewächsen aus,<br />
was er nehmen wollte, d. h. er beklebte damit das Vorfeld des Fotos und pflanzte somit noch<br />
ein letztes mal in seinem Garten und vor seinem Haus.<br />
Nach erfolgter Zurückstellung bei Aussiedlung wurde mein Vater als „Kierownick“<br />
(=Leiter) eingestellt und ein längerer Verbleib im polnischen Umfeld wurde wahrscheinlich,<br />
weshalb unsere Eltern in der polnischen Grundschule wegen unserer Aufnahme vorstellig<br />
wurden. Die Antwort des damaligen Direktors war aber: „... das ist eine Schule nur für<br />
polnische Kinder.“<br />
So konnte ich an dieser Schule in den Folgejahren nur vorbeigehen und habe noch gut in<br />
Erinnerung, wie vom Kirchberg bis an die Pforten der Schule zunehmend herausgerissene<br />
zinnerne Orgelpfeifen lagen. Ein Vergnügen für die große Pause, damals von mir ohne Emotionen<br />
auch so eingeordnet. Heute bin ich froh, dass ich diesen Direktor mit seiner Lehrerschaft<br />
nicht kennen gelernt habe. Erinnerlich ist mir aber, wie bedrückt meine Großeltern<br />
waren (Großmutter sprach sogar von einer Silbermannorgel, was aber wohl nicht zutrifft),<br />
denn die Preibischs hatten immer auch sogenannte „Kirchenväter“ gestellt und es schwang in<br />
der Familie noch eine Erinnerung mit, wie sehr die Kirchgemeinde sich angestrengt hatte, um<br />
diese Orgel zu bekommen.<br />
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