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Erinnerungen

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Speisekammer, in welcher einmal, ist mir erinnerlich, nur noch eine Speckschwarte hing.<br />

Doch obwohl es manchmal sehr knapp war, haben wir Hunger nicht kennen gelernt.<br />

Da wir immer mit unserer Aussiedlung rechnen mussten und wussten, wie knapp die<br />

Nahrung westlich der Neiße ist, wurde sooft es gelang Brot auf Vorrat gekauft, in Scheiben<br />

geschnitten und geröstet, d. h. somit haltbar gemacht. Für mich für lange Zeit eine feine<br />

Sache, da immer eine große Kommode, die Schubfächer mit Röstbrot gefüllt, vorhanden war<br />

und niemand den langsamen Schwund durch mich so richtig bemerkte.<br />

Ende August bekamen wir über Irene Nachricht, dass die Mutter meines Vaters im<br />

Walde beim Pilze suchen eine schweren Schlaganfall bekommen hatte, der dann auch zum<br />

Tode führte. Mit Irenes Hilfe konnte unser Vater an der Beerdigung seiner Mutter in Zittau<br />

teilnehmen. Vor diesem Schicksalsschlag war in unserem Hause im August Hochzeit gewesen<br />

mit einer großen Tafel im Wohnzimmer und Veranda, Onkel Erich und Tante Ida waren auch<br />

dabei und viele junge Leute aus dem ehemaligen Reichenau und Tante Ilse hieß von da an<br />

Stein. Kurt Stein arbeitete bei der ehemaligen Firma Brendler als Webmeister.<br />

In dieser Zeit kam dann auch der Vater von Kurt, Hans Stein, als Kommunist in<br />

Buchenwald inhaftiert gewesen, zeitweise in unser Haus. Da lag erst einmal eine gewisse<br />

Spannung in der Luft, denn mein Vater und er kannten sich von früher! Da war mal so eine<br />

Wehrübung des Jung-Stahlhelms (Stahlhelm = Bund der Soldaten des I. Weltkrieges) im<br />

Gelände angesetzt gewesen, von der auch die Reichenauer Kommunisten wussten. Sie<br />

rückten also zu Dritt aus, dabei auch Hans Stein, um zumindest einen dieser Reaktionäre zu<br />

erwischen und abzustrafen. Mein Vater, der einsam auf Vorposten lag, sah die drei in der<br />

Abenddämmerung kommen, Ortscheite in der Hand. Er schmiegte sich unsichtbar in den<br />

dichten Klee, aber der Zufall wollte, dass sie über ihn stolperten. Dann ging alles blitzschnell,<br />

Vater Karl hatte sich den Mittelsten vorgenommen und würgte ihn und würgte ihn, währenddessen<br />

die handlungsfähigen Kommunisten ihm mit den Ortscheiten auf den Kopf<br />

schlugen. Bei dem allgemeinen Gebrüll kamen die anderen Stahlhelmer hinzuglaufen, aber<br />

am Ende ging alles so aus, dass jede Partei ihren Halbtoten schnell zum Arzt schaffte,<br />

meinem Vater wurde die ganze Kopfhaut mit Watte unterstopft, erzählte er. Aber einmal<br />

familiär vereint, war das alles vergessen, man sagte „Karl“ und „Hans“ zueinander und spielte<br />

abends Skat.<br />

Auch an den Arbeitsplätzen in den Fabriken waren alle Kriegsbeile begraben, wahrscheinlich<br />

waren alle froh, den Krieg überstanden zu haben und nicht zu hungern. Auch wäre<br />

es wohl der Produktion nicht bekommen, wenn jemand gegen die zumeist deutschen Webmeister<br />

gehandelt hätte. Anders war es in den Nächten. Die Besitznamen durch Polen waren<br />

erfolgt, leer stehende Häuser und Gehöfte ausgeplündert, da blieben für nachrückende Polen<br />

nur noch die von Deutschen bewohnten Häuser, die auszurauben waren. Unser Haus wurde<br />

abends in eine Festung verwandelt. Vor jedes Fenster im Keller und im Erdgeschoss kam von<br />

innen eine Holzplatte, die mit einer Stange fest gegen einen Wandanschluss abgesteift wurde.<br />

Die Türen wurden ähnlich gesichert, wohl dem, der einen großen Hund hatte. In der Nacht<br />

hörte man dann die verzweifelten Hilferufe wo eingedrungen wurde, auch das Ächzen und<br />

Stöhnen, wenn die Leute zu Boden geschlagen wurden. Die Banden waren schwer bewaffnet,<br />

die Deutschen rechtlos, außerhalb ihres Hauses erst recht vogelfrei, einzige Gegenmaßnahme<br />

blieb mit Stürzen und Pfannen bei offenen Fenstern Lärm machen, Weigelt Paul ließ eine<br />

Sirene heulen. Angst hatte ich vor der Behandlung, die einer Frau wiederfahren war, die man<br />

still machte durch Einwickeln in die Bettdecke und Umschnüren mit einer Wäscheleine. Sie<br />

überlebte, war aber ganz blau.<br />

Unser Nachbar schräg gegenüber, Hermann Broksch, bekam eine große Familie zur<br />

Einquartierung, die morgens mit den Werten verschwunden war. Er lag mit eingeschlagenem<br />

Schädel in der Jauchegrube. Es gab Fälle, wo die deutsche Familie nur mit Gewehren in<br />

Schach gehalten wurde, während man das ganze Haus ausgeraubte. Unter dem Strich aber,<br />

haben wir Deutschen im Reichenauer Zipfel, aus dem für Banden schwer herein und heraus<br />

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