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Erinnerungen

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Was die Polen unter uns betraf, so sollte man sehen, dass sie sich in jeder Beziehung in<br />

der Fremde“ ansiedelten, d. h. die anwesenden Polen waren für sie auch Unbekannte. Natürlich<br />

begannen bei den Polen die Versuche für ein gesellschaftliches Leben untereinander. Zu<br />

diesem Zwecke brauchte es im allgemeinen auch Alkohol, weshalb Wierzbickis unten in der<br />

Küche, über dem Brühkessel, eine Kartoffel-Destillation aufbauten, mit geheimnisvollem<br />

Glucksen in den Rohren und von unvergesslicher Ausdünstung. Die geladenen Gäste waren<br />

aber ziemlich rabiater Natur, jedenfalls beschloss zu nächtlicher Stunde einer, dass es Zeit sei,<br />

die Ehefrau zu erschießen, welche dann angeschossen durch das Haus flüchtete und in größter<br />

Not von Erich unter dessen Schreibtisch geschoben wurde. Erich setzte sich davor und<br />

obwohl der rasende Pole mehrmals mit rauchender Pistole durch das Zimmer stürmte,<br />

akzeptierte er irgendwie, d. h. es schien in sein Weltbild zu passen, dass der deutsche Bauer<br />

zu nächtlicher Stunde am Schreibtisch sitzt und schreibt. So avancierte mein listig-lustiger<br />

Onkel Erich neben seinem EK I noch zum anerkannten Retter einer Polin.<br />

Bei uns erschienen irgendwann zwei Soldaten, die uns mitteilten, dass wir uns zwecks<br />

Ausweisung am Folgetag bei der Kommandantur melden sollten. In Vorbereitung dessen<br />

gingen sie durch das Haus, um von allem das Beste in Säcke verschwinden zu lassen, die sie<br />

mitnahmen. Tante Ilse ging aber sofort zum Kommandanten, der seine Hansel antreten ließ,<br />

zwei fehlten, die erst noch gesucht und geholt werden mussten, die waren es. Umgehend<br />

waren die Säcke mit Inhalt wieder in unserer Wohnung. Erinnerlich ist mir auch ein Kerl, der<br />

mit einer Spitzhacke im Keller die Wand bearbeitete, weil er einen weiteren Keller dahinter<br />

vermutete. Auch für mich als Kind war das Wissen um die Rechtlosigkeit in der wir uns<br />

befanden eine schwere psychische Belastung, wir hatten Angst um unsere Erwachsenen. Vor<br />

Weihnachten bekamen die Polen eine Sonderzuteilung Butter und Zdzisĺaw nahm mich auf<br />

dem Fahrrad mit zur Abholung. Zurückgekommen händigte er mir 2 Stück als Weihnachtsgeschenk<br />

aus, welche meine Mutter aber sofort wieder zu Pani Wierzbicka brachte, im<br />

Hintergrund Zdzisĺaw mit rotem Kopf. Frau Wierzbicka sagte aber, dass alles seine Richtigkeit<br />

habe, die kluge Frau hatte wahrscheinlich begriffen, dass ihr Sohn damit auch ihr ein sehr<br />

schönes Weihnachtsgeschenk bereitete.<br />

8. Das Jahr 1946<br />

Irgendwann im Februar kam Hans Scholz, ein damals ca. 17-jähriger älterer Bruder von<br />

Gottfried und Klaus zur Familie zurück (westlich von Neiße und Oder hungerte man) und<br />

entsprechend seiner bisherigen Tätigkeit in der Landwirtschaft arbeitete er in Reichenau<br />

/Rychwaĺd als Melker im Stadtgut, welches etwa hinter der jetzigen Stadtbibliothek (als<br />

ehemaliges Preibisch-Gut) gelegen war.<br />

Als erste Datensammlung vermerkte ich damals, dass angenehmerweise am 07.03. G.<br />

Scholz Geburtstag hatte und am 07.04. meine Schwester. Das Jahr fing also immer gut an.<br />

Wie jedes Jahr wieder erblühte auf der Wiese hinter unserem Haus in Schneeglöckchen „RP“,<br />

d. h. Roland Preibisch, von ihm gepflanzt als er fort ging, wie schmerzvoll wohl für Eltern<br />

und Geschwister im Hause, da er zu den Lebenden niemals zurückkehren würde. Im April<br />

tauchte ein junger Mann namens Kurt Stein auf, der unbedingt mit mir Freundschaft schließen<br />

wollte und das auch untermauerte, indem er einen 1-achsigen kleinen Wagen mit langer<br />

Deichsel mitbrachte und mich stundenlang durch die Botanik fuhr. Alles angenehm aber<br />

etwas unverständlich für mich, bis sich der wahre Grund langsam herausstellte, denn er wollte<br />

dafür meine Tante Ilse haben. Ich begriff aber schon damals, dass ich diese nicht ganz<br />

verlieren würde und ich habe mir lebenslang keinen besseren Onkel vorstellen können, als er<br />

es war. Zurückgekehrt war auch die Schwester meines Großvaters mit ihrer Familie. Träger<br />

des Aufenthaltes war die jüngere Tochter, Christine Knebel, die als Weberin arbeitete und<br />

Aufenthaltserlaubnis bekommen hatte. Die ältere Tochter, Irene, war in Zittau geblieben, sie<br />

war ein kühnes Mädchen, welches sich von der Grenze und selbst Neißehochwasser nicht<br />

abhalten ließ und an arbeitsfreien Tagen ganz konsequent in dunkler Nacht die Seiten<br />

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