Erinnerungen

Erinnerungen Erinnerungen

03.12.2012 Aufrufe

Ein Russe ging mit meinem Großvater durch das Haus und verlangte, dass an der Wandschräge das Bild (hinter dem die Luke zum Traubenstall war) abzunehmen sei. Das alles war in einem Abstand von ca. 2 m zu den versteckten Frauen, da durfte im Holzverschlag keine Nadel zu Boden fallen. Großvater machte deutlich, dazu müsse er erst eine Leiter holen Der Russe folgte ihm in diese Richtung und vergaß die Sache. Im Nachbarhaus versteckte Baggerfahrer Slawisch auch Frauen, als die Russen vorn hinein kamen, konnten die Frauen an der Hangseite aus dem Haus springen und sich dann bei uns verstecken. Alles musste völlig geräuschlos vor sich gehen, gefürchtet war die Hederch Liese, die den Mund nicht halten konnte. Slawskis Haus Erinnerlich ist mir auch noch der gestiefelte Offizier, der in unserem Garten mit meiner Schwester spielte und sie immer wieder nach der Mutter fragte. Damals auch die Erkenntnis bei mir, dass Freundlichkeit gefährlich sein kann. Onkel Erich hatte die damals hochschwangere Tochter Edith im Obergeschoss des Hofes regelrecht eingemauert und im Erdgeschoss im Flur einen Kindersarg mit Kerzen aufgestellt. Als zwei Kerle mit einem Motorrad auf den Hof geknattert kamen, ging er entschlossen zum Sozius, fasste den am Ärmel und zeigte zum Haus und sagte: „Zum Kommandanten, dawai“, worauf die Beiden hoch erschrocken sofort Vollgas wieder abfuhren. (Erich war einer der zwei Reichenauer, die mit der Auszeichnung des Eisernen Kreuzes 1. Klasse aus dem 1. Weltkrieg kamen, allerdings bei ihm nicht durch Tötung von Feinden, sondern er hatte allein die gestaffelte Front durchbrochen und im Hinterland eine Fernsprechleitung angezapft, so dass das französische Kommando längere Zeit abgehört werden konnte.) Die Siegersoldaten waren durch die aufgefundenen Weinvorräte bei Firma Rolle längere Zeit stark alkoholisiert und im Zentrum von Reichenau wurde viel vergewaltigt bis der russische Kommandant dann langsam wieder Ordnung einführte. Die Deutschen in den Reichenauer Betrieben produzierten in dieser Zeit immer weiter, Materialreserven waren vorhanden, Abnehmer würden sich finden. Nach ihrer Meinung waren die Anderen die Fremdlinge im Lande. Niemand war sich bewusst, dass es umgekehrt sein könnte. Irgendwann steckten in den Uniformen Polen, ein Kontingent der Kosciuszkowcy mit eckigen Mützen (von den Deutschen Elitepolen genannt) war nur einige Tage in Reichenau (das jetzt 24

Rychwaĺd heißt) und bewegte sich weiter in Richtung Westen. Von Anfang an gab es einen polnischen Kampfkommandanten (Lewy?) in Rychwaĺd, von den Deutschen „Spitzbart“ genannt. Indem dieser seine Schreibarbeiten in Deutsch im Büro der Firma Brendler durch meine Tante erledigen konnte und dort für Polnisch auch schon Frau Jenny Fischer zur Verfügung stand, bekam unsere Familie einen Fernkontakt zu diesem damals mächtigen und umgänglichen Mann. In dieser Zeit mussten die Deutschen bei schwerer Strafandrohung die Radioapparate und die Feldstecher abgeben. Indem das mir verständliche Wort Fernglas nicht verwendet wurde, konnte ich mir unter Feldstecher nur die wie ein langer Schuhanzieher aussehenden Distelstecher vorstellen, mit denen ins Feld gestochen wurde und ich erschrak mächtig, als ich die unsrigen Stecher noch auf dem Karnickelstall vorfand, weshalb ich diese sofort unter den Kohlen vergrub. Niemand sage, der Junge war einfältig, diese Zeit mit Krieg und Nachkrieg war für alle verrückt und unvorstellbar. Einige Wochen lag an der Oppelsdorfer Straße, nahe der Kreuzung Richtung Lichtenberg, ein „Kettenkrad“, d. h. ein kleines Fahrzeug vorn mit Rad und Lenker wie ein Motorrad, hinten beidseitig Kettenantriebe wie ein Panzer, dabei Sitze für bis 6 Soldaten und Anhängemöglichkeit für eine kleine Panzerabwehrkanone. Es war klar, es fehlte nur Benzin, aber alles kombinieren half nichts, ich war eben noch zu klein. Zuerst fehlten die Räder und irgendwann war das Ding dann ganz weg, aber auf der Siedlung nach Lichtenberg habe ich noch Jahrzehnte lang 1-achsige Handwagen gesehen, mit hartgummibereiften, kugelgelagerten Rädern vom Kettenkrad, beneidenswert; noch heute halte ich in dieser Gegen Ausschau, die Dinger waren doch unverwüstlich. (Im Heeresmuseum in Dresden aber habe ich das Kettenkrad original wiedergefunden.) 7. 1945 – 22. Juni bis Jahresende Vom 22. Juni ist mir nur das Nachher bewusst, was auch logisch ist, denn die Maßnahme wurde gegenüber den Deutschen geheimgehalten (wäre wohl auch nicht geglaubt worden) und lief wie ein Donnerschlag ab ... „aufstehen, mitnehmen was man in den Händen tragen kann, den Schlüssel außen in die Tür stecken, alles sofort, bei Todesstrafe“. Allerdings hatte es auch Listen gegeben, die ca. 10 % der Deutschen von der Vertreibung zurückstellte, als erforderlich für die weitere Betreibung der Fabriken. Dort war auch mein Großvater, Edwin Preibisch, als Webmeister eingetragen, womit auch seine gesamte Familie zurückgestellt war. Vom 23. Juni ist mir erinnerlich, dass aus den deutschen Fabrik-Fachleuten Rettungstrupps zusammengestellt wurden, für das Vieh auf den verwaisten Bauernhöfen, bei den Rettern auch meine Mutter, dabei mir erinnerlich auch der Sohn von Dr. med. Hauptmann. Für mich wurde der Einsatz auf den umliegenden 3 Bauernhöfen zum großen Auftritt, denn ich wusste genau, wo etwas lag und wo es lang ging. Die Tiere waren zu füttern, zu tränken und auszumelken, allerdings waren die Kühe bei den ungeschickten Griffen der ungeübten fremden Leute ziemlich renitent. Kritisch wurde es auf Seiferts-Hof, vielleicht kamen wir dorthin etwas zu spät, jedenfalls waren die Tiere sehr unruhig. Die Pferde, zwei feurige Rappen, ließen niemand in den Stall, ständig waren die ausschlagenden Hinterhufe in der Türöffnung zu sehen. Der Ochse war in der Scheune eingesperrt und donnerte gegen das Tor. Ein Mann ging mit mir in das Innere des Hauses, wo auf dem Tisch noch die angefangene Mahlzeit stand, ein angeschnittenes Brot, ein geöffnetes Glas Leberwurst. Er bereitete mir eine Wurstschnitte, mit der ich dann vor meiner Mutter erschien, um sofort eine kräftige Ohrfeige (das Brot fiel herunter) wegen Stehlens zu bekommen. Den Erwachsenen war noch nicht bewusst, was eigentlich passiert war. In der Folge übernahm meine Mutter Erichs und Brückner-Bauers Hof. Es ist mir erinnerlich wie wir auf dem Feld die Kühe hüteten und wie diese Biester sich gegenseitig ansahen und dann die Schwänze hoben um einige hundert Meter weiter zu galoppieren. Nach ca. 1 Woche war Brückner-Bauer wieder da und übernahm seinerseits auch weitgehend die Pflege auf Erichs Hof. Bei Heidrichs kam der Sohn Walter 25

Ein Russe ging mit meinem Großvater durch das Haus und verlangte, dass an der<br />

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Der Russe folgte ihm in diese Richtung und vergaß die Sache. Im Nachbarhaus versteckte<br />

Baggerfahrer Slawisch auch Frauen, als die Russen vorn hinein kamen, konnten die Frauen an<br />

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Slawskis Haus<br />

Erinnerlich ist mir auch noch der gestiefelte Offizier, der in unserem Garten mit meiner<br />

Schwester spielte und sie immer wieder nach der Mutter fragte. Damals auch die Erkenntnis<br />

bei mir, dass Freundlichkeit gefährlich sein kann. Onkel Erich hatte die damals hochschwangere<br />

Tochter Edith im Obergeschoss des Hofes regelrecht eingemauert und im Erdgeschoss<br />

im Flur einen Kindersarg mit Kerzen aufgestellt. Als zwei Kerle mit einem Motorrad auf den<br />

Hof geknattert kamen, ging er entschlossen zum Sozius, fasste den am Ärmel und zeigte zum<br />

Haus und sagte: „Zum Kommandanten, dawai“, worauf die Beiden hoch erschrocken sofort<br />

Vollgas wieder abfuhren. (Erich war einer der zwei Reichenauer, die mit der Auszeichnung<br />

des Eisernen Kreuzes 1. Klasse aus dem 1. Weltkrieg kamen, allerdings bei ihm nicht durch<br />

Tötung von Feinden, sondern er hatte allein die gestaffelte Front durchbrochen und im<br />

Hinterland eine Fernsprechleitung angezapft, so dass das französische Kommando längere<br />

Zeit abgehört werden konnte.)<br />

Die Siegersoldaten waren durch die aufgefundenen Weinvorräte bei Firma Rolle längere<br />

Zeit stark alkoholisiert und im Zentrum von Reichenau wurde viel vergewaltigt bis der<br />

russische Kommandant dann langsam wieder Ordnung einführte. Die Deutschen in den<br />

Reichenauer Betrieben produzierten in dieser Zeit immer weiter, Materialreserven waren<br />

vorhanden, Abnehmer würden sich finden. Nach ihrer Meinung waren die Anderen die<br />

Fremdlinge im Lande. Niemand war sich bewusst, dass es umgekehrt sein könnte.<br />

Irgendwann steckten in den Uniformen Polen, ein Kontingent der Kosciuszkowcy mit eckigen<br />

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