Erinnerungen

Erinnerungen Erinnerungen

03.12.2012 Aufrufe

ganzen Hof voll stellte. Von den Flüchtlingen, als zeitweilig untergestellt, blieb auf seinem Hof ein schwarzer Junghengst namens „Hans“ zurück, den ein anderes Pferd schwer mit dem Huf geschlagen hatte. Wir Kinder hatten sofort zu ihm das innere Verhältnis als zu einem lieben Altersgenossen, nur das er eben ein Pferd war, aber er gehörte in unserem Lebensbereich dazu und wir beobachteten seine Gesundung und weiteren Werdegang mit freundlicher Anteilnahme. In der Nacht vom 13. zum 14. Februar fuhr die jüngere Schwester meiner Mutter, Ilse Preibisch, mit dem letzten Zug auf Dresden Hauptbahnhof ein und überlebte im Luftschutzkeller dort die Liquidierung der Wohnviertel, mit einer Bombensetzung, wie in amerikanischen Labors zur Tötung der Zivilbevölkerung erprobt. Nach diesem 1. Angriff, bei welchem der Hauptbahnhof fast unversehrt geblieben war und zum Zufluchtsort vieler geworden war, wurde sie glücklicherweise von einem Offizier angesprochen: „Fräulein, gehen Sie lieber mit zum Elbufer“, dort überlebte sie dann den 2. schweren Angriff, der planmäßig dem Hauptbahnhof und den Menschen dort galt. Am Morgen wurde sie von Kradfahrern in Richtung Ostfront mitgenommen und erreichte irgendwann Reichenau, wo ein Flüchtling bei uns die Tür öffnete und sagte: „Fräulein, hier können Sie nicht rein, hier ist alles voll“. In diesen Tagen auch, als die Kämpfe um Lauban tobten, was auch bei uns zu hören war, nahm mich der Brückner-Bauer beiseite und fragte mich etwas, was ich nicht gleich verstand. Er wiederholte also: „Ich habe Dich gefragt, ob Du schwarz siehst?“. Ich verstand gefühlsmäßig, das die Generation der Erwachsenen Unterstützung braucht und verneinte und meinte, die Wehrmacht wird es schon noch richten. In den folgenden Wochen gewann ich auch erste „Fronterfahrungen“, denn meine Mutter ging mit mir bis nach Friedland, wo es auf die Lebensmittelkarten etwas mehr gab. Auf dem Wege dorthin wurden wir von einem Tiefflieger angegriffen (meinten wir) und suchten Deckung im Straßengraben. Der Angriff galt aber wohl eher einem Bauern mit Gespann unweit auf einem Felde, was dann in der Zeitung stand. Am 22. April gab es Fliegeralarm (wohl der Generation der ein solches grausiges schnelles Auf- und Abgeheul der Sirene erspart bleibt). Wir standen im Keller, Ilse hatte sich mit mir unter einen Türsturz gestellt und bei dem beklommenen Warten, dem Flugzeuggeräusch (ca. 200 m Flughöhe), sich nähernden Einschlägen, die sich mit Sausen ankündigten, brach für mich die sichernde Autorität der Erwachsenenwelt zusammen. Es wurde begrifflich, dass im Krieg alle zur Tötung freigegeben sind. Ein Einschlag war ca. 100 m von uns entfernt etwa an der unteren Dorfstraße vor Lichtners Fabrik, die nächste Detonation (die mich an die Kellertür warf) nur ca. 50 m nah am Pferdestall des Brückner-Bauer, die nächste Bombe fiel als Blindgänger auf die obere Dorfstraße, direkt vor dem Turmaufbau vor Altmann-Dachdeckers Haus, in welchem Zimmer unsere Spielfreunde (Langer Jürgen und Schwester) waren. Von ca. 65 abgeworfenen Bomben sollen 10 gezündet haben. Auf der unteren Dorfstraße vor Lichtners Fabrik hatte die Bombe ein Mädchen getötet und nur ein Schatten von ihr soll an der Wand gewesen sein, weshalb ich einige Zeit nicht zur „Wally“ nahe dort gehen durfte, um unsere Magermilch abzuholen. Im Pferdestall beim Brückner-Bauer war das Gewölbe eingestürzt und auf den Schimmel gefallen, dessen Rücken seitdem angeblich etwas durch gebogen war, was auch zu stimmen schien. Um diese Zeit auch flog ein größeres deutsches Flugzeug im Tiefflug brennend über uns hinweg, um in Oppelsdorf nahe der Reibersdorfer Straße abzustürzen. Der Ort ist mir bekannt, denn Stiefgroßvater Carl Andreè, Besitzer der Villa Clara, war als Bürgermeister mit seinem Fahrrad mit als erster vor Ort, die Besatzung hatte den Aufprall nicht überlebt. In diesen letzten Kriegstagen bekamen wir auch Soldaten als Einquartierung ins Haus, in einem Fall musste ich für einen Hauptmann den Stahlhelm aus der ehemaligen Preibisch- Fabrik holen und kam dort mitten unter eine Kompanie, wo ich mich durchfragen musste. Am 06. Mai 1945 ca. 5.00 Uhr früh wurden wir durch eine laute Auseinandersetzung vor unserem Haus geweckt. Eine Wehrmachtsstreife hatte einen Offizier festgenommen und der Steifenführer schrie: „Degradiert ihn, degradiert ihn“ und der Offizier rief: „Ihr blöden 22

Hunde, der Krieg ist doch vorbei“, Schüsse haben wir keine gehört. Auf dem Preibisch-Hof stand ein Wehrmachts-Werkstatt-Wagen ohne Benzin, der dann von der Besatzung mittels eines Beiwagen-Motorrades vom Hof auf die Wiese gezogen wurde, abgestellt an der Oberen Dorfstraße und am Zaun zu Heidrich. Die Soldaten bauten dann zwischen Motorrad und Seitenwagen noch einen Notsitz und nahmen eine junge Frau mit Kind mit in Richtung West. Abends am 06. Mai 1945 sollten wir Reichenau in Richtung Westen verlassen. Die Pferdewagen rumpelten mit etwas von unserer Habe bis auf die Oppelsdorfer Straße, als wir dort aber die Höhe gewonnen hatten, blieben wir stehen, denn der Himmel im Westen war blutrot. Heidrich Edmunt, Onkel Erich und Großvater berieten sich und sagten dann: „Was uns erwartet, das soll uns zu Hause antreffen“, worauf wir wieder umkehrten und die Reichenauer nach uns auch. Die Scholz-Jungens waren mit ihrer Mutter und der Großmutter im Handwagen voraus gegangen über Oppelsdorf nach Kohlige, wo sie unter Fliegerbeschuss kamen, aber unverletzt blieben. Meine Schwiegermutter war mit meiner Frau und deren Schwester im Säuglingsalter ebenfalls von Oppelsdorf aus in dieser Richtung auf der Flucht und kam ebenfalls unter diesen Beschuss, ebenfalls unverletzt. Als wir wieder unsere Häuser erreichten, brannte der zurückgelassene Wehrmachts-Werkstatt-Wagen lichterloh und erhellte die ganze Wiese. Als Kinder waren wir aber froh, dass wir in unser Bett konnten, denn es war spät geworden. Am 07. Mai 1945 lag Brandgeruch in der Luft und das Feuer am Werkstatt-Wagen brannte verhalten. Über die Wiese lief der zurückgelassene mittelgroße Hund des Werkstatt- Wagens. Die junge Hündin Kora nahm gern Asyl auf dem Preibisch-Hof und wurde die Stammmutter von Generationen von Hunden, ihre Gene werden wohl heute noch in der wilden Hundepopulation von Bogatynia zu finden sein. Sorgenvolle Spannung lag über den Erwachsenen, denn die Front musste nahe sein. Gegen 14.00 Uhr heulten alle Sirenen Panzeralarm. Es war die letzte hoheitlich Handlung der deutschen Verwaltung aus eigener Entscheidung. Es war wie der anhaltende Todesschrei des alten deutschen Reichenau, als die Sirenen verklungen waren, war alles anders. 6. 1945 – 7. Mai bis 22. Juni Aus den Gesprächen hatte ich schon entnommen, das die Sieger die Frauen haben wollten. Der hohe Wert der Frauen war für mich als 6-jähriger schon erfasslich, was sich in der Realität dahinter verbarg, war für mich aber plakativ nicht vorstellbar. Die Furcht der Erwachsenen vor dem was kommen würde, führte dazu, dass am 8. Mai als die Wehrmacht kapitulierte, ich mich bewaffnete, d. h. ich übertrat das Verbot, ein Beil überhaupt anzufassen und stellte mir von den drei Stück, die Großvater hatte, das kleinste und schärfste hinter die Schuppentür, um einem Bedränger unserer Frauen damit in die Beine zu hacken. Bald tauchte auf der oberen Dorfstraße auch ein Mann in brauner Uniform auf, der große Schwierigkeiten mit einem Damenfahrrad hatte, ob aus technischen oder alkoholischen Gründen blieb unklar. Wir waren als Kinder instruiert worden, dass wir auf keine Fall sagen sollten, wo unsere Mütter wären, am besten hemmungslos weinen und schreien. Alle Frauen machten sich in diesen Tagen kleidungsmäßig so alt wie möglich und die Gesichter mit Dreck unansehnlich. Nach allen Seiten musste gesichert werden, auf Abstand, ob fremde Männer sich nähern. Indem unser Garten in Reichenau, wie bereits erwähnt, sehr dicht bepflanzt war, dabei sogar direkt vor dem Hause eine kleine Baumschule aus dichten Wachholdersträuchern, versteckten sich meine Mutter und Tante Ilse dort und stets auch einige Frauen aus der Nachbarschaft. Dieses Versteck bot bei Entdeckung auch die Möglichkeit, dass alle in alle Richtungen auseinander laufen konnten. Ich war soweit einbezogen, dass ich in der Nähe des Dickichtes, wo freie Sicht war, auf dem Boden mit Steinchen spielte und ohne zu den Versteckten hinzusehen, hörbar vor mich hin sprach, ob Männer sich näherten oder gehen. Die Gefahr war sehr groß, als Mutter und Tante und zwei weitere Frauen im winzigen Taubenschlag in unserem Haus versteckt waren. 23

ganzen Hof voll stellte. Von den Flüchtlingen, als zeitweilig untergestellt, blieb auf seinem<br />

Hof ein schwarzer Junghengst namens „Hans“ zurück, den ein anderes Pferd schwer mit dem<br />

Huf geschlagen hatte. Wir Kinder hatten sofort zu ihm das innere Verhältnis als zu einem<br />

lieben Altersgenossen, nur das er eben ein Pferd war, aber er gehörte in unserem Lebensbereich<br />

dazu und wir beobachteten seine Gesundung und weiteren Werdegang mit freundlicher<br />

Anteilnahme.<br />

In der Nacht vom 13. zum 14. Februar fuhr die jüngere Schwester meiner Mutter, Ilse<br />

Preibisch, mit dem letzten Zug auf Dresden Hauptbahnhof ein und überlebte im<br />

Luftschutzkeller dort die Liquidierung der Wohnviertel, mit einer Bombensetzung, wie in<br />

amerikanischen Labors zur Tötung der Zivilbevölkerung erprobt. Nach diesem 1. Angriff, bei<br />

welchem der Hauptbahnhof fast unversehrt geblieben war und zum Zufluchtsort vieler<br />

geworden war, wurde sie glücklicherweise von einem Offizier angesprochen: „Fräulein,<br />

gehen Sie lieber mit zum Elbufer“, dort überlebte sie dann den 2. schweren Angriff, der<br />

planmäßig dem Hauptbahnhof und den Menschen dort galt. Am Morgen wurde sie von<br />

Kradfahrern in Richtung Ostfront mitgenommen und erreichte irgendwann Reichenau, wo ein<br />

Flüchtling bei uns die Tür öffnete und sagte: „Fräulein, hier können Sie nicht rein, hier ist<br />

alles voll“.<br />

In diesen Tagen auch, als die Kämpfe um Lauban tobten, was auch bei uns zu hören war,<br />

nahm mich der Brückner-Bauer beiseite und fragte mich etwas, was ich nicht gleich verstand.<br />

Er wiederholte also: „Ich habe Dich gefragt, ob Du schwarz siehst?“. Ich verstand gefühlsmäßig,<br />

das die Generation der Erwachsenen Unterstützung braucht und verneinte und meinte, die<br />

Wehrmacht wird es schon noch richten. In den folgenden Wochen gewann ich auch erste<br />

„Fronterfahrungen“, denn meine Mutter ging mit mir bis nach Friedland, wo es auf die Lebensmittelkarten<br />

etwas mehr gab. Auf dem Wege dorthin wurden wir von einem Tiefflieger<br />

angegriffen (meinten wir) und suchten Deckung im Straßengraben. Der Angriff galt aber<br />

wohl eher einem Bauern mit Gespann unweit auf einem Felde, was dann in der Zeitung stand.<br />

Am 22. April gab es Fliegeralarm (wohl der Generation der ein solches grausiges schnelles<br />

Auf- und Abgeheul der Sirene erspart bleibt). Wir standen im Keller, Ilse hatte sich mit mir<br />

unter einen Türsturz gestellt und bei dem beklommenen Warten, dem Flugzeuggeräusch (ca.<br />

200 m Flughöhe), sich nähernden Einschlägen, die sich mit Sausen ankündigten, brach für<br />

mich die sichernde Autorität der Erwachsenenwelt zusammen. Es wurde begrifflich, dass im<br />

Krieg alle zur Tötung freigegeben sind. Ein Einschlag war ca. 100 m von uns entfernt etwa an<br />

der unteren Dorfstraße vor Lichtners Fabrik, die nächste Detonation (die mich an die Kellertür<br />

warf) nur ca. 50 m nah am Pferdestall des Brückner-Bauer, die nächste Bombe fiel als<br />

Blindgänger auf die obere Dorfstraße, direkt vor dem Turmaufbau vor Altmann-Dachdeckers<br />

Haus, in welchem Zimmer unsere Spielfreunde (Langer Jürgen und Schwester) waren. Von<br />

ca. 65 abgeworfenen Bomben sollen 10 gezündet haben. Auf der unteren Dorfstraße vor<br />

Lichtners Fabrik hatte die Bombe ein Mädchen getötet und nur ein Schatten von ihr soll an<br />

der Wand gewesen sein, weshalb ich einige Zeit nicht zur „Wally“ nahe dort gehen durfte, um<br />

unsere Magermilch abzuholen. Im Pferdestall beim Brückner-Bauer war das Gewölbe eingestürzt<br />

und auf den Schimmel gefallen, dessen Rücken seitdem angeblich etwas durch gebogen<br />

war, was auch zu stimmen schien. Um diese Zeit auch flog ein größeres deutsches Flugzeug<br />

im Tiefflug brennend über uns hinweg, um in Oppelsdorf nahe der Reibersdorfer Straße<br />

abzustürzen. Der Ort ist mir bekannt, denn Stiefgroßvater Carl Andreè, Besitzer der Villa<br />

Clara, war als Bürgermeister mit seinem Fahrrad mit als erster vor Ort, die Besatzung hatte<br />

den Aufprall nicht überlebt.<br />

In diesen letzten Kriegstagen bekamen wir auch Soldaten als Einquartierung ins Haus, in<br />

einem Fall musste ich für einen Hauptmann den Stahlhelm aus der ehemaligen Preibisch-<br />

Fabrik holen und kam dort mitten unter eine Kompanie, wo ich mich durchfragen musste.<br />

Am 06. Mai 1945 ca. 5.00 Uhr früh wurden wir durch eine laute Auseinandersetzung vor<br />

unserem Haus geweckt. Eine Wehrmachtsstreife hatte einen Offizier festgenommen und der<br />

Steifenführer schrie: „Degradiert ihn, degradiert ihn“ und der Offizier rief: „Ihr blöden<br />

22

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!