Mainova Magazin 2008 (pdf | 5,65 MB) - Mainova AG

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03.12.2012 Aufrufe

Das Passivhaus vom Nikolaus Entlang hüfthoher Bruchsteinmauern windet sich die Straße den Hang hinauf, links und rechts Fachwerkhäuser mit holzvertäfelten Giebeln und kaminroten Fensterläden. Den Nordteil des Kamp King Areals in Oberursel nutzten die Nationalsozia listen als Vorzeigesiedlung im Dritten Reich; heute stehen zwischen den 21 kleinteiligen, denkmalgeschütztenMusterhäusern moderne Rei henhäuser, Stadtvillen und Eigentumswohnungen. Von 1998 an wur de das Areal umgewandelt in ein Wohnviertel für 1 200 Einwohner: Ländliches Fachwerkidyll trifft auf avantgardistischezukunftsweisende Architektur. Knapp unterhalb des Hügels steht auf einem keilförmigen 750 Quadratmeter großen Grundstück das „Haus vom Nikolaus“. So nennen die Architekten und Eheleute Cornelia Thielen und Sergio Cantón schmunzelnd ihr Privathaus, das sie gemeinsam mit ihren beiden Kindern – vier und sechs Jahre alt – bewohnen. Haus vom Nikolaus, weil es sich mit einem Federstrich zeichnen lässt. Schlicht und schnörkellos gebaut, verzichtet das grau verputzte Haus auf überflüssigen Schmuck. Es gibt weder Dachüberstände noch Erker, keine ausladenden Fensterbänke, keine Jalousien. Selbst die Dachrinne sitzt unsichtbar versenkt hinter der Traufe. Die kompakte Form ist eine zeitgemäße Antwort auf den Haustyp „giebelständiges Fachwerkhaus“. Vor allem aber erlaubt sie, das Haus luftdicht einzupacken wie eine Thermoskanne. Das ist wichtig, denn Cornelia Thielen und Sergio Cantón leben in einem sogenannten Passivhaus. Dessen Außenwände sind extrem gut wärmegedämmt und halten die Wärme im Haus, die durch Sonneneinstrahlung, Bewohner und technische Geräte wie Toaster oder Föhn entsteht. Heizkörper gibt es nicht, auch keine Fußbodenheizung. Stattdessen saugt eine Lüftung die verbrauchte Luft aus Küche und Bädern ab und versorgt alle Räume mit vorgewärmter Frischluft. Bevor die Luft das Haus verlässt, entzieht ihr ein Wärmetauscher die dafür nötige Wärme. Für vorgewärmte – im Sommer vorgekühlte Luft sorgt ein Erdwärmetauscher, der unterm Lavendelbeet im Vorgarten vergraben ist. Ein Haus ohne Heizkörper, geht das? Und ob. Das zeigt ein Besuch bei Cornelia Thielen und Sergio Cantón, die ihr Passivhaus mit vorgewärmter Frischluft beheizen. Nach dem Rundgang stellt man sich die Frage: Warum werden nicht alle Häuser so gebaut? 46 MAINOVA MAGAZIN 08 PASSIVHAUS 47

„Wir möchten zeigen, dass man Passivhäuser ganz normal bauen kann.“ „Dem Haus lässt sich jedes x-beliebige Kleid überziehen.“ Nicht viel größer als ein Kühlschrank ist das Lüftungskompaktgerät mit Wärmepumpe, Warmwasserboiler und Wärmetauscher, das den Prozess steuert. Es verbirgt sich in einem zur Garderobe umfunktionierten Wandschrank in der Diele; die Lüftungsleitungen laufen versteckt in den Wän den. Knapp unter der Decke sitzt in jedem Raum eine Weit wurfdüse, über die geräuschlos frische Luft einströmt. Die ausgeklügelte Lüftungstechnik wäre jedoch kaum etwas wert ohne luftdichte Verpackung. 42 Zentimeter dicke Außenwände und dreifach verglaste Fenster schützen das Haus vor Wärmeverlusten. Hinter der verputzten Außenwand verbirgt sich eine Holzständerkonstruktion. Die vorge fertigten Wände wurden vor Ort nur noch aufgestellt, Zellulose-Dämmung wurde eingeblasen. 14 Zentimeter dicke Vollholzdecken vervollständigen den Rohbau, der in nur drei Tagen stand. Fünf Monate nach Baubeginn war das Haus bezugsfertig. Der Luftzugtest (Blower-Door-Test), dem sich jedes Passivhaus bei der Bauabnahme unterziehen muss, ergab einen Luftdichtewert von 0,34. Vorgeschrieben ist für Passivhäuser ein Wert von 0,6. Kein Wunder also, dass die Familie bei einer Wohnfläche von 175 Quadratmetern im Monat lediglich 125 Kilowattstunden Strom für Wärmetauscher, Wärmepumpe und Warmwasser verbraucht. Die Energiekosten liegen bei 25 Euro pro Monat, das macht im Jahr rund 300 Euro – etwa ein Zehntel dessen, was in einem Standardhaus dieser Größe anfällt. „Wir sind unabhängig von der Ölund Gaspreisentwicklung“, sagt Cornelia Thielen. „Man blickt einfach entspannter in die Zukunft.“ Durch die kompakte Bauform ließen sich die Baukosten auf 1100 Euro brutto pro Quad ratmeter drücken. Neben ihrem Geldbeutel entlastet die Familie die Umwelt: Pro Jahr verursacht das mit Ökostrom beheizte Haus nur 60 Kilogramm Kohlendioxid, der Durchschnitt für ein ölbe heiztes Einfamilienhaus dieser Größe liegt bei 7 800 Kilogramm CO2 – das 130fache! (Nachzurechnen mit dem CO2-Rechner des Umweltbundesamtes unter http://uba.klima-aktiv.de) Auch die Mär, dass es sich bei Passivhäusern grundsätzlich um rustikale Holzhäuser handelt, widerlegt das Haus eindrucksvoll. Die Innenräume unterscheiden sich nicht von anderen Einfamilienhäusern, nur sind sie liebevoller, mit mehr Sinn für Details gestaltet – schließlich sind die Bauherren selbst ambitionierte Architekten. Die Wände wurden weiß verputzt, die Kieferndecken an der Unterseite einfach weiß lasiert. Ein sandfarbener gegossener Ausgezeichnet: Für seine energieeffiziente Architektur wurde das „Graue Haus“ mit dem Archi tekturpreis „ Vorbildliche Bauten in Hessen 2008“ prämiert. 48 MAINOVA MAGAZIN 08 STROMERZEUGUNG 27

Das<br />

Passivhaus<br />

vom Nikolaus<br />

Entlang hüfthoher Bruchsteinmauern<br />

windet sich die<br />

Straße den Hang hinauf,<br />

links und rechts Fachwerkhäuser<br />

mit holzvertäfelten<br />

Giebeln und kaminroten<br />

Fensterläden.<br />

Den Nordteil des<br />

Kamp King Areals in<br />

Oberursel nutzten die<br />

Nationalsozia listen als<br />

Vorzeigesiedlung im<br />

Dritten Reich; heute<br />

stehen zwischen den<br />

21 kleinteiligen, denkmalgeschütztenMusterhäusern<br />

moderne Rei henhäuser,<br />

Stadtvillen und Eigentumswohnungen.<br />

Von 1998 an<br />

wur de das Areal umgewandelt<br />

in ein Wohnviertel für<br />

1 200 Einwohner: Ländliches<br />

Fachwerkidyll trifft auf avantgardistischezukunftsweisende<br />

Architektur.<br />

Knapp unterhalb des Hügels<br />

steht auf einem keilförmigen<br />

750 Quadratmeter großen<br />

Grundstück das „Haus vom<br />

Nikolaus“. So nennen die<br />

Architekten und Eheleute<br />

Cornelia Thielen und Sergio<br />

Cantón schmunzelnd ihr Privathaus,<br />

das sie gemeinsam<br />

mit ihren beiden Kindern –<br />

vier und sechs Jahre alt –<br />

bewohnen. Haus vom Nikolaus,<br />

weil es sich mit einem<br />

Federstrich zeichnen lässt.<br />

Schlicht und schnörkellos<br />

gebaut, verzichtet das grau<br />

verputzte Haus auf überflüssigen<br />

Schmuck. Es gibt weder<br />

Dachüberstände noch<br />

Erker, keine ausladenden<br />

Fensterbänke, keine Jalousien.<br />

Selbst die Dachrinne<br />

sitzt unsichtbar versenkt hinter<br />

der Traufe.<br />

Die kompakte Form ist eine<br />

zeitgemäße Antwort auf den<br />

Haustyp „giebelständiges<br />

Fachwerkhaus“. Vor allem<br />

aber erlaubt sie, das Haus<br />

luftdicht einzupacken<br />

wie eine Thermoskanne.<br />

Das ist<br />

wichtig, denn Cornelia<br />

Thielen und Sergio<br />

Cantón leben in<br />

einem sogenannten<br />

Passivhaus. Dessen<br />

Außenwände sind<br />

extrem gut wärmegedämmt<br />

und halten die<br />

Wärme im Haus, die durch<br />

Sonneneinstrahlung, Bewohner<br />

und technische Geräte<br />

wie Toaster oder Föhn entsteht.<br />

Heizkörper gibt es<br />

nicht, auch keine Fußbodenheizung.<br />

Stattdessen saugt eine Lüftung<br />

die verbrauchte Luft<br />

aus Küche und Bädern ab<br />

und versorgt alle Räume mit<br />

vorgewärmter Frischluft.<br />

Bevor die Luft das Haus verlässt,<br />

entzieht ihr ein Wärmetauscher<br />

die dafür nötige<br />

Wärme. Für vorgewärmte –<br />

im Sommer vorgekühlte Luft<br />

sorgt ein Erdwärmetauscher,<br />

der unterm Lavendelbeet im<br />

Vorgarten vergraben ist.<br />

Ein Haus ohne Heizkörper, geht<br />

das? Und ob. Das zeigt ein Besuch<br />

bei Cornelia Thielen und Sergio<br />

Cantón, die ihr Passivhaus mit<br />

vorgewärmter Frischluft beheizen.<br />

Nach dem Rundgang stellt man<br />

sich die Frage: Warum werden<br />

nicht alle Häuser so gebaut?<br />

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PASSIVHAUS 47

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