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Geschichte und Entwicklung der Jugendarbeit in Konstanz während ...

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„Die Jugend <strong>in</strong> ihrem Werden unterstützen“<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit (1945 – 1963)<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen – Verantwortliche – Angebote – Zielgruppen<br />

Dissertation<br />

zur Erlangung des akademischen Grades<br />

des Doktors <strong>der</strong> Philosophie (Dr. phil.)<br />

an <strong>der</strong> Universität <strong>Konstanz</strong><br />

Fachbereich <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> Soziologie<br />

vorgelegt von<br />

Evel<strong>in</strong>e Dargel<br />

1. Referent: Prof. Dr. Lothar Burchardt<br />

2. Referent: Prof. Dr. Ra<strong>in</strong>er Wirtz<br />

Tag <strong>der</strong> mündlichen Prüfung: 13.02.2009


Titel<br />

Das im Titel dieser Arbeit verwendete Zitat nimmt Bezug auf e<strong>in</strong>en am 23. Mai 1947 im<br />

SÜDKURIER erschienenen Artikel. Den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> bildete e<strong>in</strong> Gespräch, das e<strong>in</strong> Reporter<br />

dieser Zeitung mit Vertretern <strong>der</strong> <strong>in</strong> Baden-Baden ansässigen Erziehungsbehörde <strong>der</strong><br />

französischen Militärregierung, Direction de l’Education Publique, im Frühjahr 1947<br />

führte. Dar<strong>in</strong> wurde unter an<strong>der</strong>em als Umschreibung für Maßnahmen im Rahmen <strong>der</strong><br />

rééducation bzw. <strong>der</strong> Umerziehungspolitik bemerkt, dass es e<strong>in</strong> Bestreben <strong>der</strong> französischen<br />

Militärregierung wäre, die deutsche Jugend „<strong>in</strong> ihrem Werden zu unterstützen“.<br />

Der Beitrag ist auf Seite 390 vollständig abgedruckt.<br />

Das Titelbild erlaubt e<strong>in</strong>en Blick <strong>in</strong> den Speisesaal <strong>der</strong> Jugendherberge Allmannshöhe<br />

(heute: Jugendherberge Otto-Moericke-Turm) <strong>und</strong> datiert ca. <strong>in</strong> die 1950er-/1960er-Jahre;<br />

StAK, Sammlungsbestand, Fotos.


Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren,<br />

verachtet die Autorität, hat ke<strong>in</strong>en Respekt vor alten Leuten<br />

<strong>und</strong> schwatzt, wo sie arbeiten sollte.<br />

Die Jungen stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten.<br />

Sie wi<strong>der</strong>sprechen ihren Eltern, schwatzen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft, verschl<strong>in</strong>gen bei<br />

Tisch die Speisen, legen die Be<strong>in</strong>e übere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>und</strong> tyrannisieren ihre Lehrer.<br />

Sokrates, griechischer Philosoph (um 469-399 v. Chr.), zugeschrieben


Vorwort<br />

Bei <strong>der</strong> vorliegenden Studie handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung me<strong>in</strong>er<br />

Dissertation, die im W<strong>in</strong>tersemester 2008/2009 vom Fachbereich <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong><br />

Soziologie <strong>der</strong> Universität <strong>Konstanz</strong> angenommen wurde. Die Literatur wurde bis<br />

Dezember 2009 berücksichtigt <strong>und</strong> zum Teil um neuere Titel ergänzt.<br />

Ich danke allen, die mir im Laufe <strong>der</strong> Entstehung dieser Arbeit zur Seite standen. Me<strong>in</strong><br />

beson<strong>der</strong>er Dank gilt me<strong>in</strong>em Doktorvater, Prof. Dr. Lothar Burchardt, <strong>der</strong> über se<strong>in</strong>e<br />

vielen wertvollen Anregungen h<strong>in</strong>aus nie daran gezweifelt hat, dass ich diese Arbeit neben<br />

me<strong>in</strong>em gleichzeitigen beruflichen Engagement term<strong>in</strong>gerecht abschließen werde. Herrn<br />

Prof. Dr. Ra<strong>in</strong>er Wirtz danke ich für se<strong>in</strong>e konstruktiven H<strong>in</strong>weise <strong>und</strong> die Erstellung des<br />

Zweitgutachtens.<br />

Großer Dank gebührt den Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Mitarbeitern <strong>der</strong> besuchten Archive.<br />

Stellvertretend für die Mitarbeiter des Stadtarchivs <strong>Konstanz</strong> danke ich Dr. Jürgen Klöcker<br />

sowie Michael Kuthe, die mir dank ihrer Sachkenntnis stets wichtige Ansprechpartner<br />

waren. Me<strong>in</strong> weiterer Dank gilt den Damen <strong>und</strong> Herren <strong>der</strong> Archives de l’occupation<br />

française en Allemagne et en Autriche <strong>in</strong> Colmar sowie des Staatsarchivs Freiburg für ihre<br />

Hilfsbereitschaft <strong>und</strong> die wertvollen H<strong>in</strong>weise. Des Weiteren danke ich dem langjährigen<br />

Leiter des Kulturamts Bodenseekreis, Dr. Elmar L. Kuhn, sowie den Kreisarchivaren,<br />

Wolfgang Kramer, <strong>Konstanz</strong>, <strong>und</strong> Dr. Joachim Sturm, Vill<strong>in</strong>gen-Schwenn<strong>in</strong>gen, für ihre<br />

Unterstützung.<br />

Ebenso sei Carmen Hauz<strong>in</strong>ger-Castro, Dr. Nadja Lupke-Nie<strong>der</strong>ich, Michael Oerter,<br />

Marcel Rothm<strong>und</strong> <strong>und</strong> Stefanie Thaler für ihre vielfältigen Anregungen <strong>und</strong> Handreichungen<br />

herzlich gedankt.<br />

Für die zahlreichen kompetenten Verbesserungsvorschläge <strong>und</strong> das Korrektorat danke<br />

ich Dr. Elke Franke-Heubach <strong>und</strong> Susanne Sch<strong>in</strong>dler. Bei Dr. Susanne Trissler bedanke<br />

ich mich für die sorgfältige E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> Druckfassung.<br />

Me<strong>in</strong> ganz persönlicher Dank gilt me<strong>in</strong>en Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> me<strong>in</strong>er Familie, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

me<strong>in</strong>em Mann Peter sowie me<strong>in</strong>en Söhnen Markus <strong>und</strong> Steffen, für ihre zahlreichen<br />

Aufmunterungen, ihr Verständnis <strong>und</strong> ihren steten Rückhalt.<br />

Aach, im März 2010 Evel<strong>in</strong>e Dargel


Inhaltsverzeichnis<br />

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ............................................................................................................. XV<br />

TABELLENVERZEICHNIS ................................................................................................................. XVII<br />

I EINLEITUNG .................................................................................................................1<br />

1 <strong>Jugendarbeit</strong> damals <strong>und</strong> heute ................................................................................1<br />

2 Themen- <strong>und</strong> Fragestellungen..................................................................................2<br />

3 Forschungsgeschichte ..............................................................................................4<br />

3.1 Erziehungswissenschaftliche <strong>und</strong> jugendsoziologische Ansätze ....................5<br />

3.2 Historische Jugendforschung............................................................................6<br />

3.3 Untersuchungen zur französischen Deutschland- <strong>und</strong><br />

Besatzungspolitik .............................................................................................8<br />

3.4 Regional- <strong>und</strong> lokalgeschichtliche Untersuchungen ......................................13<br />

4 Eigene Forschungsziele..........................................................................................14<br />

5 Methodik ................................................................................................................15<br />

6 Glie<strong>der</strong>ungskriterien...............................................................................................16<br />

7 Begriffsbestimmung: Jugend <strong>und</strong> Jugendalter .......................................................18<br />

8 Archivsituation <strong>und</strong> Quellenlage............................................................................19<br />

9 Themenabgrenzung ................................................................................................23<br />

II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE<br />

(1945-1949) ..............................................................................................................25<br />

1 Konzeptionen, Leitbil<strong>der</strong>, Zielvorstellungen .........................................................25<br />

1.1 Demokratisierung durch Erziehung – Gr<strong>und</strong>sätze alliierter Erziehungs-<br />

<strong>und</strong> Jugendpolitik im besetzten Deutschland .................................................25<br />

1.2 E<strong>in</strong>e demokratische Jugend als Garant für das Gel<strong>in</strong>gen <strong>der</strong><br />

rééducation – Aspekte französischer Jugendpolitik <strong>in</strong> Deutschland<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit...............................................................27<br />

1.2.1 Umerziehung <strong>der</strong> deutschen Jugend im Rahmen <strong>der</strong><br />

französischen Sicherheitspolitik ...........................................................28<br />

1.2.2 <strong>Jugendarbeit</strong> im Kontext <strong>der</strong> französischen Kulturmission..................30<br />

1.2.3 <strong>Jugendarbeit</strong> als sozialpolitische Maßnahme........................................30<br />

1.3 Frankreichs Position im Kreis <strong>der</strong> Alliierten..................................................31<br />

1.4 Alliierte Richtl<strong>in</strong>ien <strong>und</strong> französische Direktiven zur Jugendpolitik .............37<br />

2 Verwaltungsstrukturen <strong>und</strong> Geschäftsverteilung ...................................................39<br />

2.1 Organisation französischer Jugendpolitik <strong>in</strong> Baden auf zonaler Ebene:<br />

Die Direction de l'Education Publique (DEP) ..............................................41


VIII INHALTSVERZEICHNIS<br />

2.2 Schaffung von Organisationsstrukturen von <strong>der</strong> Landes- bis zur<br />

Kreisebene...................................................................................................... 43<br />

2.3 Deutsche Behördenstrukturen auf Landes, Bezirks- <strong>und</strong> Kreisebene............ 43<br />

3 Reorganisation <strong>der</strong> kommunalen Jugendwohlfahrtspflege.................................... 46<br />

3.1 Wie<strong>der</strong>errichtung <strong>der</strong> Jugendämter................................................................ 46<br />

3.2 Bildung von Jugendausschüssen – E<strong>in</strong>richtung von Abteilungen für<br />

Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung bei den Kommunalverwaltungen ............. 47<br />

4 Individuelles Engagement beim Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>.................................... 47<br />

4.1 Französische Persönlichkeiten ....................................................................... 48<br />

4.2 Ansprechpartner auf deutscher Seite............................................................. 50<br />

4.3 Von <strong>der</strong> Annäherungspolitik zur deutsch-französischen Fre<strong>und</strong>schaft ......... 52<br />

5 Strukturen <strong>und</strong> Arbeitsfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> Südbaden ................................ 53<br />

5.1 Wie<strong>der</strong>zulassung <strong>der</strong> Jugendverbände .......................................................... 54<br />

5.2 Reorganisation des badischen Jugendherbergswesens................................... 56<br />

5.3 För<strong>der</strong>ung des <strong>in</strong>ternationalen Jugendaustauschs .......................................... 60<br />

5.4 E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege............................................... 61<br />

6 Reformbestrebungen <strong>in</strong> benachbarten Gesellschaftsbereichen ............................. 64<br />

6.1 Bildungsreformen im Schul- <strong>und</strong> Hochschulbereich ..................................... 64<br />

6.2 Kultur-, Informations-, Medien- <strong>und</strong> Verlagspolitik...................................... 67<br />

6.3 Entnazifizierung, Jugendamnestie, Umschulungslager für ehemalige<br />

HJ-Angehörige ............................................................................................... 68<br />

7 Reformhemmende <strong>und</strong> reformför<strong>der</strong>nde Faktoren................................................ 70<br />

III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT<br />

(1945-1949) .............................................................................................................. 75<br />

1 Jugend zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Neubeg<strong>in</strong>n ....................................................... 75<br />

2 Jugend <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> unter dem Hakenkreuz – e<strong>in</strong>e Rückblende ................... 76<br />

2.1 Schule im Nationalsozialismus ...................................................................... 76<br />

2.2 Außerschulische <strong>Jugendarbeit</strong>........................................................................ 78<br />

2.3 Jugendfürsorge ............................................................................................... 80<br />

2.4 Jugendopposition............................................................................................ 81<br />

3 Die Situation Jugendlicher <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit .......................... 81<br />

3.1 Demokratischer <strong>und</strong> politischer Neubeg<strong>in</strong>n................................................... 82<br />

3.2 Wirtschaftlicher Wie<strong>der</strong>aufbau ...................................................................... 83<br />

3.3 Wahrnehmung <strong>der</strong> Besatzungsphase durch die Bevölkerung........................ 86<br />

4 Jugendliche Lebenswelten <strong>und</strong> Alltagsnöte........................................................... 88<br />

4.1 Auswirkungen <strong>der</strong> materiellen Not auf die Jugend........................................ 88<br />

4.2 Die Auswirkungen <strong>der</strong> französischen Schul- <strong>und</strong> Bildungspolitik<br />

<strong>in</strong> Deutschland auf die Situation <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>................................................ 91<br />

4.3 Ausbildung, Beruf, Freizeitgestaltung ........................................................... 95


INHALTSVERZEICHNIS IX<br />

4.4 E<strong>in</strong>e Generation zwischen Hoffnung <strong>und</strong> Skepsis – Überlegungen<br />

zur mentalen <strong>und</strong> psychischen Verfassung <strong>der</strong> Nachkriegsjugend –<br />

E<strong>in</strong>schätzungen französischer Militärangehöriger ........................................97<br />

IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ NACH<br />

DEM ENDE DES ZWEITEN WELTKRIEGS (1945-1949) .........................................103<br />

1 Gr<strong>und</strong>züge <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> ................................................................................103<br />

2 Reorganisation <strong>der</strong> Jugendverbände ....................................................................104<br />

2.1 För<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> Kontrolle durch die französischen Behörden.......................107<br />

2.2 Organisationsstrukturen <strong>und</strong> Mitglie<strong>der</strong>daten .............................................111<br />

2.3 Angebote, Freizeitarbeit <strong>und</strong> <strong>in</strong>haltliche Ausrichtung..................................114<br />

2.4 Kurzportraits <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugendverbände.............................................114<br />

2.4.1 Katholische Jugend <strong>und</strong> Kolp<strong>in</strong>g-Jugend ...........................................114<br />

2.4.2 Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen ..............................................................................115<br />

2.4.3 Die Evangelische Jugend ...................................................................117<br />

2.4.4 Die Alt-katholische Jugend.................................................................118<br />

2.4.5 Die Naturfre<strong>und</strong>ejugend .....................................................................118<br />

2.4.6 Die Freie (Deutsche) Jugend ( FDJ) ...................................................119<br />

2.4.7 Die Esperanto-Jugend.........................................................................121<br />

2.5 Jungen- <strong>und</strong> Mädchenarbeit <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugendverbänden .....................122<br />

2.6 Jugendverbände im Landkreis <strong>Konstanz</strong>......................................................124<br />

2.7 <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>der</strong> Sportvere<strong>in</strong>e, Gewerkschaften <strong>und</strong> Parteien ....................126<br />

3 Behördliche <strong>Jugendarbeit</strong>.....................................................................................129<br />

3.1 Gründung von Jugendausschüssen im Stadt- <strong>und</strong> im Landkreis<br />

<strong>Konstanz</strong> ......................................................................................................130<br />

3.1.1 Ziele <strong>und</strong> Aufgaben des örtlichen Jugendausschusses .......................132<br />

3.1.2 Differenzen zwischen Stadt <strong>und</strong> Militärregierung im H<strong>in</strong>blick<br />

auf die Strukturen <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong>.....................................134<br />

3.1.3 Stärkung <strong>der</strong> kommunalen Verantwortung <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong> Jugendpflege.................................................................................137<br />

3.2 Die personelle Situation................................................................................138<br />

4 Kommunale E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> Jugendpflege......................................................142<br />

4.1 Jugendpflege zwischen Demokratieerziehung <strong>und</strong> Dom<strong>in</strong>anzpolitik<br />

am Beispiel <strong>der</strong> Gründung des Jugendhauses .............................................142<br />

4.2 Gründung von Jugendbildungswerken im Land- <strong>und</strong> im Stadtkreis ............151<br />

4.2.1 Voraussetzungen für e<strong>in</strong>en geregelten Betrieb: Räume,<br />

f<strong>in</strong>anzielle Beihilfen, Kursleiter..........................................................154<br />

4.2.2 <strong>Entwicklung</strong> des Kursangebots <strong>und</strong> <strong>der</strong> Teilnehmerzahlen ...............157<br />

4.2.3 Son<strong>der</strong>veranstaltungen – Der S<strong>in</strong>gkreis Ulli Ulner ............................161<br />

4.3 Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Jugendherberge .........................................................164<br />

4.4 Das „Jugendlager Egg“ – E<strong>in</strong> Jugendprojekt von kurzer Dauer ..................172


X INHALTSVERZEICHNIS<br />

5 Nicht kommunale Jugende<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> sonstige Jugendangebote .............. 175<br />

5.1 Volkshochschule <strong>Konstanz</strong> e. V. ................................................................ 175<br />

5.2 Die ersten <strong>in</strong>ternationalen Jugendtreffen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> ................................. 178<br />

5.3 Theater, Musik <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>kunst.................................................................... 180<br />

6 <strong>Jugendarbeit</strong> als Resultat von <strong>in</strong>dividueller Motivation – Das Engagement<br />

<strong>der</strong> Bezirksdelegierten Degliame <strong>und</strong> No!l......................................................... 183<br />

6.1 Ambivalente Jugendpolitik – Marcel Deliame (Amtszeit 1946-1948)........ 183<br />

6.2 Im Zeichen <strong>der</strong> Entspannung – André No!l (Amtszeit 1948-1951) ............ 187<br />

7 Die <strong>Konstanz</strong>er <strong>Jugendarbeit</strong> im Regionalvergleich ........................................... 190<br />

7.1 Vorbildliche <strong>Jugendarbeit</strong> im Landkreis Vill<strong>in</strong>gen – E<strong>in</strong> Modell<br />

für an<strong>der</strong>e Kreise <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den im Land? .............................................. 191<br />

7.2 Anfangsphase <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> im Landkreis Überl<strong>in</strong>gen .......................... 196<br />

8 Resümee............................................................................................................... 197<br />

V ENTWICKLUNG DER WESTDEUTSCHEN JUGENDHILFE (1949-1963) ................. 201<br />

1 Neue Ansätze <strong>der</strong> französischen Besatzungspolitik –<br />

Von <strong>der</strong> Kontrollmacht zum Berater .................................................................. 201<br />

1.1 Blütezeit <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Jugendtreffen ................................................. 202<br />

1.2 Ausdrucksformen französischer Kulturpolitik <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en Schnittstellen zur <strong>Jugendarbeit</strong> – Europa-Haus<br />

<strong>und</strong> Deutsch-Französische Vere<strong>in</strong>igung <strong>Konstanz</strong> (DFV) .......................... 205<br />

2 Jugendhilfe im Spiegel gesetzlicher Vorgaben ................................................... 206<br />

2.1 Gr<strong>und</strong>züge des deutschen Jugendhilferechts von den Anfängen<br />

bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs......................................................... 207<br />

2.2 Jugendhilfe zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Gründung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik ....... 207<br />

2.3 Die Neuregelung des Jugendhilferechts nach 1949 .................................... 208<br />

2.4 Organisatorische Verän<strong>der</strong>ungen, Umstrukturierung <strong>der</strong> Jugendämter....... 210<br />

2.5 För<strong>der</strong>ung jugendpolitischer Aktivitäten durch die Kommunen ................. 210<br />

VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN ................................................ 213<br />

1 Geschichtsbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> „Fünfziger Jahre“............................................................... 213<br />

2 Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für jugendliches Aufwachsen .......................................... 216<br />

2.1 Die politische <strong>Entwicklung</strong> ......................................................................... 216<br />

2.2 Die wirtschaftliche <strong>Entwicklung</strong> ................................................................. 217<br />

2.2.1 Vom Lehrstellenmangel zum Lehrl<strong>in</strong>gsmangel –<br />

Strukturwandel im Ausbildungssektor............................................... 221<br />

2.2.2 Fortschritte im <strong>Jugendarbeit</strong>sschutz <strong>in</strong> den 1960er-Jahren ............... 224<br />

2.2.3 Geschlechtsspezifische Unterschiede <strong>in</strong> Ausbildung <strong>und</strong> Beruf........ 224<br />

2.3 Jugend <strong>und</strong> sozialer Wandel......................................................................... 226<br />

2.3.1 Die demografische <strong>Entwicklung</strong> ........................................................ 226


INHALTSVERZEICHNIS XI<br />

2.3.2 Der Wandel familiärer Strukturen ......................................................228<br />

2.3.3 Stadtentwicklung <strong>und</strong> Wohnungsbau .................................................229<br />

2.4 Die beson<strong>der</strong>e Lage <strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gsjugend ..................................................232<br />

3 Tradition <strong>und</strong> Mo<strong>der</strong>ne im Bildungswesen..........................................................234<br />

3.1 Bildungsreformen <strong>und</strong> qualitative Verbesserungen des Unterrichts ............235<br />

3.2 Zukunftsperspektiven – Ausweitung <strong>der</strong> gewerblichen <strong>und</strong> beruflichen<br />

Bildung – Ausbau des zweiten Bildungswegs..............................................237<br />

3.3 Baumaßnahmen ............................................................................................240<br />

4 Die <strong>Konstanz</strong>er Nachkriegsjugend – e<strong>in</strong>e „skeptische Generation“? ..................242<br />

4.1 Aspekte jugendlicher Politikverdrossenheit ................................................242<br />

4.2 Ungarnaufstand, Wie<strong>der</strong>bewaffnung, Atompolitik – Politische<br />

Themen, welche die Jugend bewegten .........................................................245<br />

5 Entstehung e<strong>in</strong>er autonomen Jugendkultur – Mode, Musik, Film .......................247<br />

6 Wilde Fünfziger o<strong>der</strong> langes Jahrzehnt <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>? – E<strong>in</strong>e Bilanz ..................252<br />

VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE ...................255<br />

1 <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> kommunalen Jugendwohlfahrtspflege im Kontext<br />

übergeordneter Gesetze <strong>und</strong> Gebietsreformen ....................................................255<br />

1.1 Verän<strong>der</strong>ungen im Zuge <strong>der</strong> Kreisreform (1953) <strong>in</strong> Bezug<br />

auf die Jugendhilfe........................................................................................256<br />

1.2 Der Wandel <strong>der</strong> Jugendämter zu Jugendwohlfahrtsbehörden mit<br />

erweiterten Aufgabengebieten .....................................................................256<br />

1.3 Neue Organisationsstrukturen <strong>der</strong> Stadtjugendpflege ..................................261<br />

2 Angebote <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege .............................263<br />

2.1 Zentrum <strong>der</strong> kommunalen <strong>Jugendarbeit</strong> – Das Jugendhaus .........................264<br />

2.1.1 Neubau des Jugendhauses Raiteberg .................................................266<br />

2.1.2 Traditionelle <strong>und</strong> neue Nutzungsformen ...........................................269<br />

2.2 Im Zeichen <strong>der</strong> Fremdenverkehrsentwicklung – Die Jugendherberge.........272<br />

2.3 Von <strong>der</strong> Jugendbildungse<strong>in</strong>richtung zur Erwachsenenbildungsstätte –<br />

Das Jugendbildungswerk..............................................................................278<br />

2.3.1 Die Expansionsphase 1950-1953 .......................................................279<br />

2.3.2 Bewährte <strong>und</strong> neue Muster bei <strong>der</strong> Programmgestaltung...................279<br />

2.3.3 Organisatorische Verän<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> Krisenzeit 1953/54 ................285<br />

2.3.4 Neubeg<strong>in</strong>n 1955 – Das Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungswerk e. V...........287<br />

2.3.5 Kulturauftrag <strong>und</strong> Bildungsanspruch .................................................289<br />

2.3.6 Regionale Volkshochschule <strong>Konstanz</strong>-S<strong>in</strong>gen e. V. .........................292<br />

3 Neue Formen <strong>und</strong> Themen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> .......................................................293<br />

3.1 Veranstaltungen <strong>der</strong> Stadtjugendpflege........................................................293<br />

3.2 Politische Bildungsarbeit <strong>und</strong> Staatsbürgerk<strong>und</strong>e ........................................294<br />

3.3 Jungbürgerfeiern ..........................................................................................295


XII INHALTSVERZEICHNIS<br />

3.4 Die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> NS-Vergangenheit bleibt defizitär .......... 296<br />

4 F<strong>in</strong>anzielle Aufwendungen für Jugendhilfee<strong>in</strong>richtungen vonseiten <strong>der</strong><br />

öffentlichen Hand ................................................................................................ 297<br />

5 Freie <strong>und</strong> private Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe............................................................. 298<br />

5.1 Etablierung <strong>der</strong> Jugendverbände <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> ....... 298<br />

5.2 Landesverbände <strong>und</strong> Landesjugendr<strong>in</strong>ge – Gründung des<br />

Stadtjugendr<strong>in</strong>gs <strong>Konstanz</strong> .......................................................................... 300<br />

5.3 Angebote, Aktivitäten, Mitglie<strong>der</strong>entwicklung <strong>der</strong> Jugendverbände .......... 304<br />

5.4 Die Krise <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Jahrzehnthälfte ........... 306<br />

5.5 Soziale Bedeutung <strong>und</strong> Gesellschaftsauftrag <strong>der</strong> Jugendverbände ............. 308<br />

5.6 Zum Verhältnis von Jugendverbandsarbeit <strong>und</strong> Jugendpflege .................... 309<br />

6 Das Internationale Institut Schloss Ma<strong>in</strong>au ........................................................ 311<br />

7 Freizeitmöglichkeiten außerhalb <strong>der</strong> organisierten <strong>Jugendarbeit</strong> –<br />

Vere<strong>in</strong>sarbeit; <strong>in</strong>dividuelle Freizeitgestaltung..................................................... 313<br />

VIII NEUE ANSÄTZE BEI JUGENDSCHUTZ, PÄDAGOGIK, SOZIALARBEIT UND<br />

STRAFRECHT IN DEN 1950ER- UND DEN FRÜHEN 1960ER-JAHREN .................. 315<br />

1 Jugendschutz – Begriffsbestimmung <strong>und</strong> Fragestellung ..................................... 315<br />

1.1 Jugendschutz als Reaktion auf die beson<strong>der</strong>e Gefährdungslage<br />

<strong>der</strong> Jugend nach Kriegsende zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949................................ 315<br />

1.1.1 Anordnungen h<strong>in</strong>sichtlich jugendgefährden<strong>der</strong> Orte ........................ 316<br />

1.1.2 För<strong>der</strong>ung von Jugendzeitschriften durch die Alliierten ................... 319<br />

1.2 <strong>Entwicklung</strong> des gesetzlichen Jugendschutzes <strong>in</strong> den 1950er-Jahren.......... 321<br />

1.3 „Jugendschutz geht alle an“ – Praktizierter Jugendschutz vor Ort ............. 322<br />

1.4 Jugendschutzverordnungen mit Regionalbezug: Jugendschutz<br />

an Fastnacht sowie auf Camp<strong>in</strong>gplätzen...................................................... 325<br />

1.5 Die Intensivierung des Jugendmedienschutzes <strong>in</strong> den 1950er-Jahren ......... 328<br />

1.5.1 Literarischer Jugendschutz................................................................. 328<br />

1.5.2 Comics erobern den Markt................................................................. 331<br />

1.5.3 Filmerziehung ................................................................................... 333<br />

1.6 Resümee ....................................................................................................... 335<br />

2 Gr<strong>und</strong>züge <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> den Bereichen Pädagogik <strong>und</strong><br />

Jugendsozialarbeit; Reformierung des Jugendstrafrechts.................................... 335<br />

IX SCHLUSSBETRACHTUNGEN ................................................................................... 339<br />

1 Zusammenfassung .............................................................................................. 339<br />

2 Ausblick – Gr<strong>und</strong>züge <strong>der</strong> Jugendhilfeentwicklung seit<br />

den 1960er-Jahren ............................................................................................... 345


INHALTSVERZEICHNIS XIII<br />

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS......................................................................349<br />

ANHANG<br />

1 Quellen .................................................................................................................349<br />

1.1 Ungedruckte Quellen....................................................................................349<br />

1.2 Gedruckte Quellen .......................................................................................350<br />

1.3 Onl<strong>in</strong>e-Quellen ............................................................................................352<br />

2 Sek<strong>und</strong>ärliteratur ..................................................................................................353<br />

A DOKUMENTE ZUR GESCHICHTE DER JUGENDPFLEGE UND JUGENDARBEIT<br />

IN SÜDBADEN UND IN KONSTANZ WÄHREND DER NACHKRIEGSZEIT ..............379<br />

1 Richtl<strong>in</strong>ien <strong>der</strong> französischen Militärregierung auf Zonenebene ........................379<br />

1.1 Auszug betreffend die Lage <strong>der</strong> Jugend aus dem Monatsbericht<br />

<strong>der</strong> französischen Bezirksmilitärregierung <strong>Konstanz</strong> vom 17.09.1945........379<br />

1.2 Bestimmung über die Benutzung <strong>der</strong> Jugendherbergen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

französisch besetzten Zone Badens vom November 1946 ...........................380<br />

1.3 Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern an die<br />

Landräte <strong>und</strong> Oberbürgermeister <strong>der</strong> kreisfreien Städte<br />

<strong>in</strong> Baden über die Notwendigkeit <strong>und</strong> Möglichkeiten <strong>der</strong><br />

Gründung von Theaterr<strong>in</strong>gen im Land .........................................................381<br />

2 Landesbestimmungen...........................................................................................382<br />

2.1 Richtl<strong>in</strong>ien des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern an die<br />

Verwaltungen <strong>der</strong> kreisfreien Städte <strong>in</strong> Baden betreffend die<br />

E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> Stellung <strong>der</strong> Jugendbildungswerke<br />

<strong>und</strong> „Häuser <strong>der</strong> Jugend“ <strong>in</strong> Südbaden vom 26.08.1946..............................382<br />

2.2 Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern vom<br />

22.04.1947 an die Landratsämter <strong>und</strong> kreisfreien Städte<br />

<strong>in</strong> Baden betreffend die Stellung <strong>der</strong> Jugendorganisationen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugendbildungswerke im Lande ......................................................384<br />

2.3 Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern an die<br />

Landratsämter <strong>und</strong> Verwaltungen <strong>der</strong> kreisfreien Städte<br />

bezüglich <strong>der</strong> Erleichterung des Reisens von Mitglie<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Jugendorganisationen <strong>in</strong> Baden <strong>und</strong> Württemberg<br />

vom 25.11.1947 ............................................................................................385<br />

2.4 Landesverordnung über die Stellung <strong>der</strong> Kreisbeauftragten<br />

für die Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung sowie<br />

Landesverfügung über die E<strong>in</strong>richtungen für die Jugendbildung<br />

vom 03.05.1947 ............................................................................................386<br />

2.5 Ausführungsbestimmungen des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern<br />

bezüglich <strong>der</strong> Gründung von Abteilungen für Jugendbildung <strong>und</strong><br />

Jugendpflege an die Landratsämter vom 06.06.1947<br />

unter Bezugnahme auf die Landesverordnung vom 24.05.1947 ..................387


XIV INHALTSVERZEICHNIS<br />

3 Lokale Verordnungen betreffend den Bezirk <strong>Konstanz</strong> ...................................... 388<br />

3.1 Anweisungen des Bezirksdelegierten Marcel Degliame an<br />

den Oberbürgermeister <strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong> betreffend die<br />

Verlegung <strong>der</strong> Stadtbibliothek zwecks E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es<br />

„Hauses <strong>der</strong> Jugend“ im Rhe<strong>in</strong>torturm, <strong>Konstanz</strong>, vom<br />

29.04.1946 [Transkription] .......................................................................... 388<br />

3.2 Schreiben <strong>der</strong> Zentral-Requisitionsstelle <strong>Konstanz</strong> an den<br />

Oberbürgermeister <strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong> vom 17.02.1947<br />

betreffend die E<strong>in</strong>richtung des Jugendheims Rhe<strong>in</strong>steig ............................. 389<br />

4 Zeitungsbericht „Jugendbewegung <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone“,<br />

Südkurier vom 23.05.1947 ................................................................................. 390<br />

B FOTOGRAFIEN ........................................................................................................ 391


Abkürzungsverzeichnis<br />

AG Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

AOFAA Archives de l’Occupation française en Allemagne et Autriche<br />

APuZ Aus Politik <strong>und</strong> Zeitgeschichte<br />

BAJ B<strong>und</strong>esarbeitsgeme<strong>in</strong>schaft (K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong>) Jugendschutz<br />

BCSV Badische Christlich-Soziale Volkspartei<br />

B.I.L.D. Bureau International des Liaisons et de Documentation<br />

BDKJ B<strong>und</strong> <strong>der</strong> Deutschen Katholischen Jugend<br />

BDM B<strong>und</strong> Deutscher Mädchen<br />

BGB Bürgerliches Gesetzbuch<br />

BGBl. B<strong>und</strong>esgesetzblatt<br />

BHE B<strong>und</strong> <strong>der</strong> Heimatvertriebenen <strong>und</strong> Entrechteten<br />

BP Bayern Partei<br />

CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands<br />

CNR Conseil National de la Resistance<br />

CSU Christlich Soziale Union<br />

CVJM Christlicher Vere<strong>in</strong> Junger Menschen<br />

DEP Direction de l’Education Publique (Baden-Baden)<br />

DFJW Deutsch-Französisches Jugendwerk<br />

DFU Deutsche Friedensunion<br />

DFV Deutsch-Französische Vere<strong>in</strong>igung (<strong>Konstanz</strong>)<br />

DGB Deutscher Gewerkschaftsb<strong>und</strong><br />

DJH Deutsches Jugendherbergswerk<br />

DJK Deutsche Jugendkraft<br />

DKJK Deutsche Katholische Jugend <strong>Konstanz</strong><br />

DP Demokratische Partei<br />

DPSG Deutsche Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>schaft Sankt Georg<br />

DVP Deutsche Volkspartei<br />

ERP European Recovery Program<br />

EU Europäische Union<br />

EVG Europäische Verteilungsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

EWG Europäische Wirtschaftsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

FDJ Freie Deutsche Jgend<br />

FDP Freie Demokratische Partei<br />

FN Friedrichshafen<br />

GYA German Youth Activities (Program)<br />

GWU <strong>Geschichte</strong> <strong>in</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> Unterricht<br />

HJ Hitler-Jugend<br />

HStA Hauptstaatsarchiv (Stuttgart)<br />

Jg. Jahrgang


XVI ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS<br />

KdF „Kraft durch Freude“<br />

KfZ Kraftfahrzeug<br />

KiKuZ K<strong>in</strong><strong>der</strong> Kultur Zentrum Raiteberg, <strong>Konstanz</strong><br />

KJHG K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfegesetz<br />

KPD Kommunistische Partei Deutschlands<br />

KrAFN Kreisarchiv Bodenseekreis<br />

KrAK Kreisarchiv <strong>Konstanz</strong><br />

KrAVS Kreisarchiv Schwarzwald-Baar-Kreis<br />

LAS Leben am See. Heimatjahrbuch des Bodenseekreises<br />

MAE M<strong>in</strong>istère des Affaires étrangères et européennes<br />

Napola Nationalpolitische Erziehungsanstalt<br />

NF Neue Folge<br />

NS Nationalsozialismus, nationalsozialistisch<br />

NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter Partei<br />

NSV Nationalsozialistische Volkswohlfahrt<br />

RdP R<strong>in</strong>g deutscher Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>verbände<br />

RJWG Reichsjugendwohlfahrtsgesetz<br />

RVHS Regionale Volkshochschule<br />

SAF Staatsarchiv Freiburg<br />

SAJ Sozialistische Arbeiterjugend<br />

Schrr VG Bodensee Schriften des Vere<strong>in</strong>s für <strong>Geschichte</strong> des Bodensees<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Umgebung<br />

SED Sozialistische E<strong>in</strong>heitspartei Deutschlands<br />

SGB Sozialgesetzbuch<br />

SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands<br />

StAK Stadtarchiv <strong>Konstanz</strong><br />

SV Sportvere<strong>in</strong> (<strong>Konstanz</strong>)<br />

SWF Südwestfunk<br />

UdSSR Union <strong>der</strong> Sozialistischen Sowjetrepubliken<br />

USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands<br />

VfL Vere<strong>in</strong> für Leibesübungen<br />

VfZ Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte<br />

VHS Volkshochschule<br />

VS Vill<strong>in</strong>gen-Schwenn<strong>in</strong>gen<br />

WAV Wirtschaftliche Aufbauvere<strong>in</strong>igung<br />

WHW W<strong>in</strong>terhilfswerk<br />

ZGORh Zeitschrift für <strong>Geschichte</strong> des Oberrhe<strong>in</strong>s<br />

YMCA Young Men's Christian Association<br />

ZfP Zeitschrift für Politik


Tabellenverzeichnis<br />

TABELLE 1: Jugendverbände im Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> 1947-1949..................................106<br />

TABELLE 2: Mitglie<strong>der</strong>zahlen <strong>der</strong> Jugendorganisationen im Stadtkreis <strong>Konstanz</strong><br />

1947- 1949 (absolute Zahlen).....................................................................111<br />

TABELLE 3: Mitglie<strong>der</strong>zahlen <strong>der</strong> Jugendorganisationen im Stadtkreis <strong>Konstanz</strong><br />

1947-1949 (relative Zahlen) .......................................................................111<br />

TABELLE 4: Katholische Jugendgruppen im Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> nach Pfarreien,<br />

Stand 1947 ..................................................................................................115<br />

TABELLE 5: Geschlechtsspezifische Zusammensetzung <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> den <strong>Konstanz</strong>er Jugendorganisationen nach dem Stand von 1949.........123<br />

TABELLE 6: Jugendorganisationen im Landkreis <strong>Konstanz</strong>, Stand 30.06.1949 .............125<br />

TABELLE 7: Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften des Jugendbildungswerks <strong>Konstanz</strong>-Stadt............159<br />

TABELLE 8: Anzahl <strong>der</strong> Teilnehmer <strong>und</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften<br />

des Jugendbidungswerks <strong>Konstanz</strong>-Stadt 1947-1949 ................................160<br />

TABELLE 9: Jugendbildungswerke <strong>in</strong> Südbaden 1949....................................................198<br />

TABELLE 10: Anzahl <strong>der</strong> Lehrl<strong>in</strong>ge nach Orten <strong>und</strong> Ausbildungsbetrieben,<br />

Stand 31.12.1950 ........................................................................................219<br />

TABELLE 11: Jugendliche <strong>und</strong> junge Erwachsene im Stadtkreis <strong>Konstanz</strong>,<br />

Stand 31.12.1950 ........................................................................................227


I E<strong>in</strong>leitung<br />

1 <strong>Jugendarbeit</strong> damals <strong>und</strong> heute<br />

<strong>Jugendarbeit</strong>, wie wir sie heute aus <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Städten vergleichbarer<br />

Größenordnung kennen, ist sozialpädagogisch orientiert <strong>und</strong> heterogen strukturiert. Dem<br />

Sozialwissenschaftler <strong>und</strong> Pädagogen Hermann GIESECKE zufolge def<strong>in</strong>iert sie sich als<br />

Bildungs- <strong>und</strong> Freizeitarbeit mit Jugendlichen außerhalb von Schule, Ausbildung <strong>und</strong><br />

Familie auf freiwilliger Basis. 1 Ihre wesentlichen Merkmale lauten: Freiwilligkeitspr<strong>in</strong>zip,<br />

Persönlichkeitsbildung, pädagogische Anleitung, Orientierung an den Bedürfnissen <strong>der</strong><br />

Jugendlichen, Gruppendynamik. 2<br />

Historisch betrachtet bildete sich die <strong>Jugendarbeit</strong> im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert als dritter<br />

Sozialisationsbereich neben Familie <strong>und</strong> Schule heraus. Ihre Wurzeln reichen <strong>in</strong><br />

Deutschland bis <strong>in</strong> die Zwischenkriegszeit zurück. Die rechtliche Gr<strong>und</strong>lage stellt das<br />

Jugendhilfegesetz, das seit se<strong>in</strong>er Erstfassung von 1922 mehrfach novelliert wurde, dar.<br />

Das aktuelle K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfegesetz 3 stammt aus dem Jahr 1990. Es beschreibt die<br />

Aufgaben <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong> benennt <strong>der</strong>en Träger (§ 12). Diese glie<strong>der</strong>n sich <strong>in</strong><br />

behördliche <strong>und</strong> freie Anbieter wie <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Jugendverbände. 4 Als öffentliche<br />

Träger s<strong>in</strong>d die Kommunen (Landkreise, Stadtverwaltungen) im Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

mit eigenen Konzeptionen tätig. Die „Kooperation von öffentlichen <strong>und</strong> freien Trägern <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe“ unterliegt dem Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> „Subsidiarität“ (Nachrangigkeit) <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Jugendhilfe gegenüber freien Trägern wie Jugendverbände, Vere<strong>in</strong>e, Institutionen (§ 4).<br />

Dieser Gr<strong>und</strong>satz verpflichtet zur „För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> eigenverantwortlichen Tätigkeit <strong>der</strong><br />

Jugendverbände“ <strong>und</strong> Jugendgruppen unter Wahrung ihrer Satzungen (§ 12).<br />

Die mo<strong>der</strong>ne <strong>Jugendarbeit</strong> be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong> breites Leistungsangebot für K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

Jugendliche <strong>in</strong> den Bereichen Freizeit, Bildung, Sport <strong>und</strong> Kreativität. Es umfasst alle<strong>in</strong><br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> freien Träger die Unterhaltung von Freizeitstätten <strong>und</strong> Jugendheimen,<br />

die Abhaltung von Gruppenst<strong>und</strong>en sowie die Durchführung von Ausflügen <strong>und</strong> organisierten<br />

Freizeiten. Auf dem Gebiet <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege reicht die Angebotspalette<br />

von <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendzentren mit offenen Treffs im Jugendhaus<br />

bis h<strong>in</strong> zu speziellen Angeboten für unterschiedliche Altersgruppen, soziale Gruppen <strong>und</strong><br />

Geschlechter. Das Programm enthält beispielsweise gezielte Projektarbeit, Angebote, die<br />

sich als lebenspraktische Hilfen o<strong>der</strong> Hilfe zur Berufsf<strong>in</strong>dung verstehen, Veranstaltungen<br />

wie Jugendaktionstage, Sportturniere, Konzerte, Discos, Kreativ- <strong>und</strong> Medienangebote,<br />

1 GIESECKE, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 13.<br />

2 Vgl. BAACKE, Jugend, S. 119.<br />

3 SGB, 8. Buch, Artikel 1 des Gesetzes vom 26.06.1990; BGBl. I S 1163; im Internet abzurufen unter<br />

http://www.b<strong>und</strong>esrecht.juris.desgb_8/<strong>in</strong>dex.html [Stand 15.02.2007]; auch abgedruckt bei JORDAN;<br />

SENGLING, Jugendhilfe, S. 106.<br />

4 GERNERT, Jugendhilfe, S. 126.


2 I EINLEITUNG<br />

Durchführung von Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften, Veranstaltungen zur Sucht- <strong>und</strong> Gewaltprävention<br />

u. v. m. 5<br />

Organisatorisch obliegt die Jugendpflege den Jugendämtern. 6 Sie führen die Dienst-<br />

<strong>und</strong> Fachaufsicht über die kommunale K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, koord<strong>in</strong>ieren <strong>und</strong> planen<br />

die örtliche <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> Kooperation mit Schulen, Jugendverbänden o<strong>der</strong> Initiativen<br />

<strong>und</strong> betreuen die Vergabe von Zuschüssen an die Jugendverbände bzw. den Stadtjugendr<strong>in</strong>g,<br />

die Organisation <strong>und</strong> Durchführung von Veranstaltungen für K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche<br />

mit den Schwerpunkten Jugendkultur, Sport <strong>und</strong> Spiel. E<strong>in</strong> weiterer Tätigkeitsschwerpunkt<br />

ist <strong>der</strong> gesetzliche Jugendschutz. Viele Jugendämter s<strong>in</strong>d zudem als Geschäftsstellen<br />

des Jugendgeme<strong>in</strong><strong>der</strong>ats tätig.<br />

Im Vergleich zu heutigen Strukturen nimmt sich die <strong>Jugendarbeit</strong>, die bald nach Ende<br />

des Zweiten Weltkriegs <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Geme<strong>in</strong>den <strong>der</strong> französischen Besatzungszone<br />

wie<strong>der</strong> bzw. neu <strong>in</strong>s Leben gerufen wurde, äußerst bescheiden aus. Schon<br />

wenige Beispiele vermögen das Gesagte zu belegen: Zwischen 1946 <strong>und</strong> 1950 waren <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> gerade e<strong>in</strong>mal fünf Jugendorganisationen durch die französische Militärregierung<br />

zugelassen. Das städtische Jugendbildungswerk begann im Herbst 1947 se<strong>in</strong>e<br />

Arbeit mit zwei Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften. Dem Jugendhaus, das 1946 als erste Jugende<strong>in</strong>richtung<br />

<strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> gegründet wurde, fehlte es an allem, was für e<strong>in</strong>e anspruchsvolle<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong>teressante Freizeitarbeit benötigt wurde, angefangen vom Heizmaterial im W<strong>in</strong>ter<br />

über E<strong>in</strong>richtungsgegenstände bis h<strong>in</strong> zu Bastelzubehör, Spielen, Filmprojektoren etc.<br />

Ohne Zweifel haben sich seit <strong>der</strong> Nachkriegszeit die Zielsetzungen, Inhalte,<br />

Handlungsfel<strong>der</strong> <strong>und</strong> Zielgruppen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> im Gefolge e<strong>in</strong>er ganzen Reihe gesellschaftlicher<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlicher Transformationsprozesse gr<strong>und</strong>legend verän<strong>der</strong>t; vor<br />

allem kamen zahlreiche neue Aufgabenfel<strong>der</strong> h<strong>in</strong>zu. Ebenso unterlagen die politischen,<br />

rechtlichen <strong>und</strong> sozioökonomischen Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>em gr<strong>und</strong>legenden Wandel. Aus<br />

heutiger Sicht ersche<strong>in</strong>en die Unterschiede zwischen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>der</strong> späten 1940er-<br />

bzw. <strong>der</strong> 1950er-Jahre e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen <strong>Jugendarbeit</strong> heutiger Prägung<br />

an<strong>der</strong>erseits groß. Doch wurden trotz zahlreicher Unterschiede – so lautet e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> zentralen<br />

Thesen dieser Arbeit – letztlich ganz wesentliche Gr<strong>und</strong>lagen, die die deutsche<br />

Jugendhilfe bis heute prägen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegsära geformt.<br />

2 Themen- <strong>und</strong> Fragestellungen<br />

Als im Frühjahr 1947 e<strong>in</strong> Reporter des SÜDKURIERs „führende Köpfe <strong>der</strong> Erziehungsbehörde<br />

<strong>der</strong> franz[ösischen] Militärregierung <strong>in</strong> Baden-Baden“ nach den Zielsetzungen<br />

französischer Jugendpolitik <strong>in</strong> Deutschland befragte, wurde ihm geantwortet, man wolle<br />

5 Beispielhaft sei auf das Konzept <strong>der</strong> Stadt S<strong>in</strong>gen/Htw. im Bereich <strong>der</strong> kommunalen K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> h<strong>in</strong>gewiesen; vgl. die Informationsbroschüre STADT SINGEN (Hg.), Kommunale K<strong>in</strong><strong>der</strong>-<br />

<strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>.<br />

6 KJHG vom 26.06.1990, §§ 69 <strong>und</strong> 70.


I. 2 THEMEN- UND FRAGESTELLUNGEN 3<br />

„die Jugend <strong>in</strong> ihrem Werden“ unterstützen. 7 Dieser Satz könnte von Jean-Charles<br />

Moreau, dem Leiter <strong>der</strong> Abteilung für Jugend- <strong>und</strong> Volksbildung stammen, ist allerd<strong>in</strong>gs<br />

nicht exakt e<strong>in</strong>er Person zuzuordnen. Für die Fragestellung <strong>der</strong> Arbeit ist die Äußerung,<br />

die dem Titel <strong>der</strong> Dissertation als Zitat vorangestellt ist, <strong>in</strong>sofern <strong>in</strong>teressant, als dass sie<br />

auf e<strong>in</strong>en zentralen Aspekt dieser Untersuchung verweist. Geme<strong>in</strong>t ist die Tatsache, dass<br />

die Jugen<strong>der</strong>ziehung <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegzeit nicht nur im schulischen, son<strong>der</strong>n auch<br />

im außerschulischen Bereich im Kontext übergeordneter politischer Zielsetzungen <strong>der</strong><br />

Alliierten, zu sehen ist. Sie war e<strong>in</strong>e Komponente <strong>der</strong> Reeducation- bzw. <strong>der</strong> Demokratisierungs-<br />

<strong>und</strong> Kulturpolitik <strong>und</strong> unterlag damit e<strong>in</strong>er gewissen alliierten Lenkung.<br />

Auf e<strong>in</strong>en zweiten wichtigen Aspekt macht <strong>der</strong> Münchner Erziehungswissenschaftler<br />

<strong>und</strong> Pädagoge Josef FALTERMEIER mit Blick auf die Gesamtsituation <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

aufmerksam. Demzufolge haben „gesamtgesellschaftliche <strong>Entwicklung</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf<br />

Ziele, Inhalte <strong>und</strong> Handlungsstrategien <strong>der</strong> Jugendhilfe“. 8<br />

Ausgehend von diesen beiden Überlegungen analysiert die vorliegende Arbeit am<br />

Beispiel <strong>der</strong> Jugendhilfeentwicklung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong> den Neubeg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

unter Besatzungsbed<strong>in</strong>gungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs <strong>und</strong> <strong>der</strong>en<br />

Weiterentwicklung <strong>in</strong> den 1950er-Jahren. Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Darstellung steht die Frage,<br />

welche politischen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Prozesse die örtliche Jugend<br />

<strong>und</strong> die <strong>Jugendarbeit</strong> im Untersuchungszeitraum maßgeblich prägten. Zudem werden<br />

jugendpolitische Zielsetzungen sowie Methoden, Inhalte <strong>und</strong> Praxisfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

benannt <strong>und</strong> Personen aus Politik <strong>und</strong> Öffentlichkeit vorgestellt, die die <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong><br />

Südbaden im Untersuchungszeitraum maßgeblich voranbrachten.<br />

Der zeitliche Rahmen umfasst die ersten e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahrzehnte nach Ende des Zweiten<br />

Weltkrieges. Damit ist zum e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e historische Phase angesprochen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich die<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> mit neuen Zielen, Ideen, Themen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen im Aufbruch befand,<br />

nachdem sie zuvor zwölf Jahre lang durch die Nationalsozialisten „gleichgeschaltet“ <strong>und</strong><br />

demzufolge wie alle öffentlichen <strong>und</strong> rechtlichen Körperschaften staatlich kontrolliert<br />

worden war. Zum an<strong>der</strong>en wird diese Zeitspanne durch den politischen, gesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlichen Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>in</strong> den 1950er-Jahren markiert.<br />

<strong>Konstanz</strong> bietet sich als Beobachtungsfeld für die Analyse <strong>der</strong> außerschulischen<br />

Jugendhilfeentwicklung im französisch besetzten deutschen Südwesten <strong>in</strong> mehrfacher<br />

H<strong>in</strong>sicht an. Erstens wurden hier im Untersuchungszeitraum <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> Projekte im<br />

Bereich <strong>der</strong> kommunalen <strong>Jugendarbeit</strong> entwickelt, <strong>der</strong>en Arbeit, wie beispielsweise die<br />

des Jugendbildungswerks, landesweit als vorbildlich galten <strong>und</strong> die mit <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Landeshauptstadt Freiburg <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en größeren Städten <strong>der</strong> französischen Zone<br />

durchaus Schritt halten konnten. Zweitens nahm <strong>Konstanz</strong> bis zur Kreisreform 1953 als<br />

kreisfreie Stadt viele kommunale Aufgaben eigenständig <strong>und</strong> somit ohne B<strong>in</strong>dung an den<br />

Landkreis wahr, auch im Bereich <strong>der</strong> Jugendwohlfahrtspflege. 9 Drittens war <strong>Konstanz</strong><br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> französischen Zone mit r<strong>und</strong> 41.000 E<strong>in</strong>wohnern die zweitgrößte Stadt nach<br />

7 SÜDKURIER vom 23.05.1947; siehe Anhang A 4.<br />

8 FALTERMEIER, Jugendhilfe, S. 9.<br />

9 SCHMIDT-LIEBICH (Hg.), Volkshochschule, S. 14-22.


4 I EINLEITUNG<br />

Freiburg 10 <strong>und</strong> nahm <strong>in</strong> <strong>der</strong> ansonsten ländlich strukturierten Region als zentraler Ort <strong>und</strong><br />

Verwaltungssitz des Landkreises <strong>und</strong> des Landeskommissariats <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>e Mittelpunktfunktion<br />

e<strong>in</strong>. 11<br />

Die zentralen Fragestellungen leiten sich aus <strong>der</strong> oben genannten Themenstellung ab.<br />

Sie lauten: Wie sah die Ausgangslage für den Neubeg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> nach 1945 aus?<br />

Wie gestalteten sich die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für jugendliches Aufwachsen nach Kriegsende?<br />

Wie reagierte die Politik auf zeittypische Jugendprobleme? Welche Strukturen <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> gehen auf die Jugend- <strong>und</strong> Kulturpolitik <strong>während</strong> <strong>der</strong> französischen<br />

Besatzungszeit zurück? Wie verän<strong>der</strong>te sich <strong>Jugendarbeit</strong> im Gefolge <strong>der</strong> westdeutschen<br />

Nachkriegsentwicklung seit 1949? Welche politischen Motive standen h<strong>in</strong>ter den unterschiedlichen<br />

jugendpolitischen Maßnahmen?<br />

Zur Klärung dieser Fragen werden die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen dargestellt, die für den<br />

Aufbau <strong>und</strong> die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> relevant<br />

waren, wobei vor allem die zeitliche Komponente zu beachten ist. Denn <strong>Jugendarbeit</strong><br />

unterliegt dem steten Wandel <strong>in</strong> Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft. Somit ist zu fragen,<br />

welche politischen Ereignisse <strong>und</strong> sozioökonomischen Determ<strong>in</strong>anten die Erwartungen<br />

junger Menschen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> prägten <strong>und</strong> wie sich <strong>der</strong>en Wandel auf die konzeptionelle<br />

Gestaltung <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> ausgewirkt haben mag.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus ist <strong>Jugendarbeit</strong> immer Arbeit von, mit <strong>und</strong> für Menschen. Sie wird<br />

daher neben äußeren E<strong>in</strong>flüssen maßgeblich durch <strong>in</strong>dividuelle <strong>und</strong> personenbezogene<br />

Faktoren geprägt. Aus diesem Gr<strong>und</strong> greift e<strong>in</strong>e allzu sehr auf strukturgeschichtliche<br />

E<strong>in</strong>flüsse gerichtete Betrachtungsweise zu kurz, wenn die H<strong>in</strong>tergründe <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

umfassend analysiert werden sollen. In dieser H<strong>in</strong>sicht ist dem Soziologen Helmut<br />

KLAGES zuzustimmen, demzufolge die Jugendproblematik als „Indikator e<strong>in</strong>es die Gesellschaft<br />

im umfassen<strong>der</strong>en S<strong>in</strong>n des Wortes betreffenden Problemzustands“ 12 aufzufassen<br />

ist <strong>und</strong> daher als gesamtgesellschaftliches Phänomen gewertet werden muss. Daher gilt e<strong>in</strong><br />

weiterer Blick dieser Arbeit dem Handeln <strong>und</strong> <strong>der</strong> Interaktion <strong>der</strong> Akteure, welche die<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> zum damaligen Zeitpunkt prägten. Dazu zählen vor allem die mit <strong>Jugendarbeit</strong><br />

befassten Angehörigen <strong>der</strong> Militärregierung <strong>und</strong> Mitarbeiter <strong>der</strong> Stadtverwaltung<br />

sowie Jugendleiter <strong>der</strong> freien Träger, die Jugendpfleger des Land- <strong>und</strong> Stadtkreises<br />

<strong>Konstanz</strong> sowie die Besucher des Jugendhauses, <strong>der</strong> Jugendherberge o<strong>der</strong> die Teilnehmer<br />

des Jugendbildungswerkes.<br />

3 Forschungsgeschichte<br />

Die vorliegende Untersuchung behandelt die <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> unter lokalen Gesichtspunkten am Beispiel e<strong>in</strong>er mittelgroßen südwest-<br />

10 STATISTISCHES LANDESAMT BADEN (Hg.), Volks- <strong>und</strong> Berufszählung 1946.<br />

11 Zur Theorie: CHRISTALLER, Die zentralen Orte.<br />

12 KLAGES, Jugend im gesellschaftlichen Wertewandel, <strong>in</strong>: RABE (Hg.), Jugend, S. 95-106, hier S. 95.


I. 3 FORSCHUNGSGESCHICHTE 5<br />

deutschen Stadt. Diese Themenstellung tangiert gleich mehrere Forschungsbereiche. Die<br />

nachstehend aufgezählten Fachdiszipl<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>d jeweils für sich betrachtet am Themenfeld<br />

Jugendforschung beteiligt <strong>und</strong> berühren <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht die Fragestellungen dieser<br />

Arbeit. 13 Sie können jedoch wegen ihrer enormen Breite an Theorieansätzen <strong>und</strong><br />

Methodendiskussionen im Folgenden nur streiflichtartig berücksichtigt werden. 14<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> breiten Streuung theoretischer Ansätze erschien es s<strong>in</strong>nvoll, die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Fachdiszipl<strong>in</strong>en geson<strong>der</strong>t zu betrachten.<br />

3.1 Erziehungswissenschaftliche <strong>und</strong> jugendsoziologische Ansätze<br />

Dem Thema Jugend wurde erstmals <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zwischenkriegszeit vonseiten <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong>spsychologie<br />

vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt, bevor sich seit Anfang <strong>der</strong><br />

1950er-Jahre zunächst die Soziologie sowie seit Mitte <strong>der</strong> 1970er-Jahre schließlich auch<br />

die sozialwissenschaftlich orientierte Erziehungswissenschaft diesem Gegenstand zuwendeten.<br />

15 Insbeson<strong>der</strong>e die Studien Eduard SPRANGERs prägten die Sichtweise auf die<br />

Jugend <strong>und</strong> den theoretischen Diskurs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pädagogik <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit bis<br />

weit <strong>in</strong> die 1960er-Jahre nachhaltig. 16 Allgeme<strong>in</strong> herrschte <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> damaligen Erziehungswissenschaft<br />

mehrheitlich die Auffassung vor, dass die <strong>Entwicklung</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen auf <strong>in</strong>dividuellen Reifungsprozessen basiere, die durch äußere Bed<strong>in</strong>gungen<br />

nicht gr<strong>und</strong>legend verän<strong>der</strong>t werden können. 17<br />

Seit Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre begann neben <strong>der</strong> Pädagogik zudem die Soziologie sich<br />

Jugendfragen auf wissenschaftlicher Basis <strong>in</strong>tensiv zu widmen. 18 Im Mittelpunkt stand die<br />

Frage nach dem E<strong>in</strong>fluss gesellschaftlicher <strong>und</strong> politischer Rahmenbed<strong>in</strong>gungen auf die<br />

jugendliche Psyche <strong>und</strong> Verhaltensweisen. Paradigmatisch für diese Auffassung steht <strong>der</strong><br />

Jugendsoziologe Helmuth SCHELSKY, <strong>der</strong> 1957 unter dem Titel „Die skeptische<br />

Generation“ e<strong>in</strong>e damals äußerst populäre soziologische Jugendstudie veröffentlichte. Die<br />

Analyse nimmt Bezug auf die Generationstheorie Karl Mannheims <strong>und</strong> begreift die<br />

Jugendzeit als e<strong>in</strong>e Art Zwischen- o<strong>der</strong> Übergangsphase von <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit zum Erwachsenenalter,<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit e<strong>in</strong>e eigenständige Rolle zugestanden wird <strong>und</strong> das<br />

Erwachsense<strong>in</strong> als „gesellschaftlicher Endzustand“ gilt. 19 Die Jugendsoziologie beherrschte<br />

neben den theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen lange Zeit auch den methodischen Zugang <strong>in</strong><br />

Jugendbelangen, <strong>in</strong>dem sie sich auf repräsentative Umfragen <strong>und</strong> quantitative Auswer-<br />

13<br />

Auf die Auflistung e<strong>in</strong>zelner Arbeiten wird wegen <strong>der</strong> Fülle <strong>der</strong> Publikationen verzichtet. Weiterführend:<br />

FEHRLEN, Bibliographie <strong>der</strong> Jugend <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>.<br />

14<br />

KRÜGER (Hg.), Handbuch, S. 13.<br />

15<br />

Dazu u. a. REBLE, <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Pädagogik; BREYVOGEL (Hg.), Pädagogische Jugendforschung.<br />

EYFERTH U. A. (Hgg.), Handbuch zur Sozialarbeit/Sozialpädagogik.<br />

16<br />

E<strong>in</strong>en Überblick über die Traditionen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Erziehungswissenschaften von 1800 bis zur<br />

Gegenwart bietet: THIERSCH U. A. (Hgg.), Erziehungswissenschaft, S. 11-103.<br />

17<br />

ERDHEIM, Psychoanalytische Ansätze, <strong>in</strong>: KRÜGER (Hg.), Handbuch, S. 27-46.<br />

18 Siehe ALLERBECK, Jugendsoziologie.<br />

19 SCHELSKY, Die skeptische Generation, S. 13.


6 I EINLEITUNG<br />

tungen stützte. 20 Zu den Standardwerken <strong>der</strong> Jugendforschung <strong>in</strong> Deutschland s<strong>in</strong>d vor<br />

allem die Jugendstudien zu rechnen, die das „Jugendwerk <strong>der</strong> Deutschen Shell“ seit 1953<br />

an führende deutsche Forschungs<strong>in</strong>stitute <strong>in</strong> Auftrag gibt. Sie bieten e<strong>in</strong>en Überblick über<br />

die historische <strong>Entwicklung</strong> dieses Zweiges quantitativer Jugendforschung <strong>und</strong> enthalten<br />

zudem umfassende Literaturangaben. Die jüngste Studie bezieht sich auf die Jugend<br />

2005. 21 Weitere soziologische Studien konzentrierten sich auf die Untersuchung von<br />

jugendlichen Teilgruppen wie Landjugend, Arbeiterjugend o<strong>der</strong> Nachkriegsjugend. 22<br />

3.2 Historische Jugendforschung<br />

Während die deutsche Pädagogik <strong>und</strong> Soziologie das Thema Jugend frühzeitig <strong>in</strong> den<br />

Blick nahmen, wurde es von <strong>der</strong> historischen Forschung lange kaum beachtet. Daher blieb<br />

die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> westdeutschen Jugend im Nachkriegsdeutschland zunächst weitestgehend<br />

unerforscht. Erst <strong>in</strong> den 1980er-Jahren erfolgte <strong>in</strong>nerhalb dieses Wissenschaftsgebiets<br />

e<strong>in</strong> Paradigmenwechsel. Im Gefolge des allgeme<strong>in</strong>en Wandels <strong>in</strong> <strong>der</strong> Methodikdiskussion<br />

von <strong>der</strong> geistes- <strong>und</strong> ideengeschichtlichen Forschungshaltung bis h<strong>in</strong> zur<br />

sozialwissenschaftlichen Orientierung wurden <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft viele<br />

bis dah<strong>in</strong> unerforschte Themen- <strong>und</strong> Fragestellungen wissenschaftlich aufgearbeitet. 23<br />

Ebenso wurden <strong>in</strong> vielen historischen Teildiszipl<strong>in</strong>en, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Regionalgeschichtsforschung,<br />

<strong>der</strong> Erforschung <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> französischen Besatzungszeit<br />

sowie <strong>der</strong> westdeutschen Nachkriegsgeschichte neue Wege beschritten. 24<br />

Unter <strong>der</strong> Vielzahl <strong>der</strong> historischen Ansätze, die sich mittlerweile mit dem Gegenstand<br />

Jugend befassen, ist beson<strong>der</strong>s die historische Jugendforschung hervorzuheben, die als<br />

Teildiszipl<strong>in</strong> <strong>der</strong> historischen Sozialisationsforschung subjektive jugendliche <strong>Entwicklung</strong>en<br />

vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> gesellschaftlicher Verän<strong>der</strong>ungen beschreibt. 25 E<strong>in</strong>en<br />

wesentlichen Beitrag zur Erforschung jugendlicher Lebenswelten leisteten neben den<br />

bereits genannten Ansätzen darüber h<strong>in</strong>aus die wissenschaftlichen Untersuchungen zur<br />

jüngeren Zeitgeschichte seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1980er-Jahre. Im Mittelpunkt des Interesses<br />

stehen die Strukturen von Politik, Kultur, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft <strong>der</strong> 1950er-Jahre im<br />

Kontext von Mo<strong>der</strong>nisierungstendenzen <strong>während</strong> <strong>der</strong> Ära Adenauer.<br />

Die <strong>in</strong>zwischen breite Theoriedebatte umfasst e<strong>in</strong>erseits modifizierte Mo<strong>der</strong>nisierungstheorien,<br />

die im Vergleich zu früheren Zugängen nicht mehr von e<strong>in</strong>em gradl<strong>in</strong>igen<br />

20 Dazu sei auf das Standardwerk von GRIESE, Jugendtheorien, S. 93-103, h<strong>in</strong>gewiesen.<br />

21 JUGENDWERK DER DEUTSCHEN SHELL (Hg.), A. FISCHER U. A. (Bearb.), Jugend <strong>und</strong> Erwachsene; Jugend<br />

1997, Jugend 2000 <strong>und</strong> Jugend 2005.<br />

22 SCHELSKY, Arbeitslosigkeit; BAUMERT, Jugend <strong>der</strong> Nachkriegszeit, U. WAGNER, Me<strong>in</strong>ungen <strong>und</strong><br />

Verhaltensweisen; DERS.; PLANCK, Jugend auf dem Land.<br />

23 Zu Theorie <strong>und</strong> Methodendiskussion vgl. MITTERAUER, Sozialgeschichte.<br />

24 Zur Theorie: RÜRUP, Historische Sozialwissenschaften; WEHLER, <strong>Geschichte</strong> als Historische<br />

Sozialwissenschaft.<br />

25 Gr<strong>und</strong>legend sowie unter H<strong>in</strong>weis auf die ältere Literatur: KRÜGER U. A. (Hgg.), Handbuch <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong>dheits- <strong>und</strong> Jugendforschung.


I. 3 FORSCHUNGSGESCHICHTE 7<br />

Fortschritt ausgehen. An<strong>der</strong>erseits setzte sie sich mit Fragen <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong>spsychologie<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> historischen Sozialisationsforschung ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. 26 Die methodische Gr<strong>und</strong>lage<br />

bildet die breite Auswertung umfangreicher quantitativer Datenbestände. An wissenschaftlichen<br />

E<strong>in</strong>zelgebieten s<strong>in</strong>d zu nennen: Biografieforschung 27 , Frauen- bzw. Geschlechterforschung<br />

28 , Regionalgeschichtsforschung 29 , Oral-History-Forschung 30 o<strong>der</strong> mentalitätsgeschichtliche<br />

Studien 31 .<br />

Die Anzahl <strong>der</strong> Darstellungen, welche die neuere sozialgeschichtliche Forschung vor<br />

allem zur westdeutschen Nachkriegsentwicklung hervorgebracht hat, ist mannigfach,<br />

sodass im Rahmen dieser Arbeit nicht auf die e<strong>in</strong>zelnen Arbeiten ausführlich e<strong>in</strong>gegangen<br />

werden kann. Exemplarisch sei an dieser Stelle lediglich auf den Sammelband<br />

„Mo<strong>der</strong>nisierung im Wie<strong>der</strong>aufbau“ <strong>der</strong> Zeithistoriker Axel SCHILDT <strong>und</strong> Arnold<br />

SYWOTTEK 32 h<strong>in</strong>gewiesen. Dieser setzt sich aus Forschungen von mehreren Wissenschaftlern<br />

unterschiedlicher fachlicher Diszipl<strong>in</strong>en zusammen <strong>und</strong> entstand auf Initiative<br />

<strong>der</strong> Forschungsstelle für Zeitgeschichte an <strong>der</strong> Universität Hamburg. Behandelt wird e<strong>in</strong>e<br />

Fülle von Themen, die sich unter sozialgeschichtlicher Fragestellung dieser Epoche<br />

nähern. So wird unter an<strong>der</strong>em nach den sozioökonomischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für<br />

jugendliches Aufwachsen gefragt <strong>und</strong> jugendkulturelle Phänomene wie beispielsweise die<br />

Entstehung eigenständiger Jugendkulturen <strong>in</strong> den späten 1950er-Jahren analysiert. 33<br />

Obwohl auf den soeben genannten Gebieten <strong>der</strong> Sozialgeschichts- <strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugendforschung<br />

im Gefolge dieser <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> jüngster Zeit viele neue Themen behandelt<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e ganze Reihe historischer Ereignisse neu bewertet wurden, ist an dieser Stelle<br />

kritisch anzumerken, dass die Mehrzahl <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en sozialgeschichtlichen<br />

Untersuchungen, die sich mit <strong>der</strong> westdeutschen Nachkriegsentwicklung befassen, den<br />

Strukturen <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone wenn überhaupt, dann nur marg<strong>in</strong>ale Aufmerksamkeit<br />

schenkt. 34 Im Mittelpunkt vieler Darstellungen stehen noch immer mehrheitlich<br />

die angelsächsischen <strong>und</strong> die amerikanischen Strukturen <strong>der</strong> Demokratisierungs-,<br />

Reform-, Bildungs- <strong>und</strong> Jugendpolitik. 35 Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist nachfolgend über die<br />

genannten Diszipl<strong>in</strong>en h<strong>in</strong>aus speziell <strong>der</strong> wissenschaftlichen Aufarbeitung <strong>der</strong> französischen<br />

Deutschland- <strong>und</strong> Besatzungspolitik Beachtung zu schenken.<br />

26<br />

HURRELMANN (Hg.), Lebensphase Jugend, S. 49-81; DERS. (Hg.), Handbuch <strong>der</strong> Sozialisationsforschung.<br />

Dar<strong>in</strong> HERRMANN, E<strong>in</strong>führung, S. 231-250, sowie BILDEN, Geschlechtsspezifische Sozialisation,<br />

S. 279-301. Des Weiteren HERRMANN, K<strong>in</strong>dheit, <strong>in</strong>: BORSCHEID (Hg.), Ehe, Liebe, Tod, S. 66-80.<br />

27<br />

Zu Theorie <strong>und</strong> Methodik: FUCHS-HEINRITZ, Biographische Forschung, S. 128-146.<br />

28<br />

BILDEN; DIEZINGER, Historische Konstitution, <strong>in</strong>: KRÜGER (Hg.), Handbuch, S. 135-157.<br />

29<br />

Die Bed<strong>in</strong>gungen für den Neubeg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> schil<strong>der</strong>t GRÖSCHL, <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong><br />

Jugendpolitik, <strong>in</strong>: HERRMANN (Hg.), Jugendpolitik, S. 39-66.<br />

30<br />

Zur <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> Oral History: VON PLATO, Oral History als Erfahrungswissenschaft, <strong>in</strong>:<br />

JARAUSCH U. A., Geschichtswissenschaft vor 2000, S. 418-440; NIETHAMMER (Hg.), Lebenserfahrung<br />

<strong>und</strong> kollektives Gedächtnis.<br />

31<br />

REULECKE, Jugend, <strong>in</strong>: HERRMANN (Hg.), Jugendpolitik, S. 75-90.<br />

32<br />

SCHILDT; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung.<br />

33<br />

SCHILDT, Teenager-Kultur, <strong>in</strong>: DERS.; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 335-348.<br />

34<br />

WOLFRUM, Französische Besatzungspolitik <strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie.<br />

35<br />

Überblicksartig: HORNSTEIN, Jugendforschung <strong>und</strong> Jugendpolitik; WOLLENWEBER (Hg.), Jugendbildung<br />

<strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>; GILLIS, <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Jugend.


8 I EINLEITUNG<br />

3.3 Untersuchungen zur französischen Deutschland- <strong>und</strong><br />

Besatzungspolitik<br />

E<strong>in</strong>e Darstellung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit zu erforschen, muss sich <strong>in</strong>tensiv mit <strong>der</strong> Frage<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen, wie die französische Deutschland- <strong>und</strong> Besatzungspolitik vonseiten <strong>der</strong><br />

Geschichtsforschung bewertet wird. Damit ist e<strong>in</strong>mal mehr e<strong>in</strong> Forschungsfeld angesprochen,<br />

auf dem sich <strong>in</strong> den letzten zwei Jahrzehnten e<strong>in</strong> markanter Paradigmenwechsel<br />

vollzog. Dieser bezieht sich hauptsächlich auf die Bewertung <strong>der</strong> französischen Kulturpolitik<br />

im besetzten Deutschland. Im Gefolge dieses Prozesses, <strong>der</strong> als „revisionistische<br />

Wende“ 36 bezeichnet wird, mussten <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Geschichtsforschung viele historische<br />

<strong>Entwicklung</strong>en neu beurteilt werden. Dazu trugen zahlreiche Beiträge <strong>der</strong> jüngeren Zeitgeschichtsforschung<br />

bei, die seit Mitte <strong>der</strong> 1980er-Jahre etwa zu den Themengebieten<br />

Alltag, Demokratisierungspolitik o<strong>der</strong> öffentliche Me<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Besatzungszone<br />

nach 1945 erschienen s<strong>in</strong>d. Vor allem Edgar WOLFRUMs umfassende Arbeiten<br />

zur französischen Besatzungsgeschichte <strong>und</strong> Besatzungspolitik im deutschen Südwesten<br />

führten dazu, dass die „düstere Franzosenzeit“ <strong>in</strong> Baden mittlerweile äußerst differenziert<br />

betrachtet wird. 37 Im Gegensatz zur neueren Zeitgeschichtsforschung g<strong>in</strong>g die ältere<br />

Forschung 38 davon aus, dass <strong>der</strong> S<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Zweck <strong>der</strong> französischen Kulturpolitik<br />

hauptsächlich dar<strong>in</strong> bestanden hätte, von den Härten <strong>der</strong> Besatzungspolitik abzulenken.<br />

Geme<strong>in</strong>t waren <strong>Entwicklung</strong>en wie die wirtschaftliche Ausnutzung <strong>der</strong> Zone, Reparationen,<br />

Fabrikdemontagen <strong>und</strong> die scharfe Kontrolle aller Lebensbereiche. Als e<strong>in</strong>es <strong>der</strong><br />

Hauptmotive dieser harten Deutschlandpolitik galt den Vertretern <strong>der</strong> älteren Geschichtsforschung<br />

„französischer Revanchismus“ 39 gegenüber dem „Erbfe<strong>in</strong>d Deutschland“. Die<br />

Deutschlandpolitik Frankreichs wurde <strong>in</strong> diesem Kontext bisweilen als „Politik <strong>der</strong><br />

Wi<strong>der</strong>sprüche“ 40 gedeutet <strong>und</strong> die französische Kulturmission <strong>in</strong> Deutschland, <strong>und</strong> damit<br />

alle jugendkulturellen <strong>und</strong> bildungspolitischen Ansätze, losgelöst von an<strong>der</strong>en<br />

Besatzungszielen betrachtet. Nach heutigen Maßstäben gelten diese Thesen weitestgehend<br />

für wi<strong>der</strong>legt. Vielmehr geht die neuere Zeitgeschichtsforschung, gestützt auf breit<br />

angelegte Quellenrecherchen, <strong>in</strong>zwischen davon aus, dass Frankreichs Jugen<strong>der</strong>ziehung<br />

zusammen mit an<strong>der</strong>en Bereichen wie Volksbildung, Kulturmission, Entnazifizierung,<br />

36 WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 12.<br />

37 Unter <strong>der</strong> Fülle <strong>der</strong> Publikationen sei auf folgende Veröffentlichungen h<strong>in</strong>gewiesen: WOLFRUM U. A.,<br />

Krisenjahre; dar<strong>in</strong>: DERS., Zeit <strong>der</strong> „schönen Not“, S. 203-213; DERS., Die Zukunft Deutschlands <strong>in</strong><br />

französischer Sicht, S. 20-43; DERS.; GROHNERT, Befreiung <strong>und</strong> Besatzungsschock, S. 17-29; WOLFRUM,<br />

Badisch, christlich <strong>und</strong> sozial; DERS., Das Bild <strong>der</strong> düsteren Franzosenzeit, <strong>in</strong>: MARTENS (Hg.), Erbfe<strong>in</strong>d,<br />

S. 87-113; DERS., Französische Besatzungspolitik <strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie; DERS., Kollektive<br />

Alltagserfahrung, <strong>in</strong>: JURT (Hg.), Franzosenzeit, S. 21-38.<br />

38 Die für die Thematik relevanten Untersuchungen, die vor Öffnung <strong>der</strong> französischen Archive erschienen<br />

s<strong>in</strong>d, nennt u. a. PLUM, Französische Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland, S. 13 f.<br />

39 Zu den hier zitierten Begrifflichkeiten <strong>und</strong> zu dieser Diskussion vgl. MARTENS, Zwischen<br />

Demokratisierung <strong>und</strong> Ausbeutung, <strong>in</strong>: DERS., Deutschlandpolitik, S. 9-19.<br />

40 HENKE, Politik <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>sprüche, <strong>in</strong>: SCHARF; SCHRÖDER (Hgg.), Stabilisierung, S. 49-89.


I. 3 FORSCHUNGSGESCHICHTE 9<br />

Sozialpolitik etc. als Teilbereich e<strong>in</strong>er übergeordneten Demokratisierungspolitik aufzufassen<br />

ist, die ihrerseits e<strong>in</strong>e Komponente <strong>der</strong> französischen Deutschlandpolitik bildete. 41<br />

Die neuen Deutungsmuster resultierten nicht zuletzt aus <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Archiv- <strong>und</strong><br />

Quellensituation <strong>in</strong> Frankreich. Sie erwies sich im H<strong>in</strong>blick auf die Erforschung <strong>der</strong><br />

französischen Besatzungszeit <strong>in</strong> Deutschland zwischen 1945 <strong>und</strong> 1954 als wichtiger<br />

Impulsgeber. 42 Denn bis vor wenigen Jahrzehnten waren die französischen Unterlagen zur<br />

Besatzungsgeschichte nicht zugänglich. 43 Erst die Än<strong>der</strong>ung des französischen Archivgesetzes<br />

von 1979 <strong>und</strong> die daraus resultierende E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> Archives de l'Occupation<br />

Française en Allemagne et en Autriche im Jahr 1986 <strong>in</strong> Colmar, e<strong>in</strong>er Außenstelle des<br />

Archivs des französischen Außenm<strong>in</strong>isteriums <strong>in</strong> Paris, schuf entscheidende Voraussetzungen<br />

zur Erforschung <strong>der</strong> französischen Besatzungspolitik <strong>in</strong> Deutschland. 44<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> neuen Zugangsmöglichkeiten zu französischen Quellen<br />

wurden <strong>in</strong> den letzten zwei Jahrzehnten viele wissenschaftliche Arbeiten zur französischen<br />

Besatzungsgeschichte, <strong>der</strong>en Ergebnisse allesamt auf umfassend ausgewerteten Quellenbeständen<br />

<strong>in</strong> französischen Archiven gründen, veröffentlicht. Die jüngere Zeitgeschichtsforschung<br />

hat <strong>in</strong>zwischen zahlreiche Teilgebiete <strong>der</strong> Besatzungspolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen<br />

Zone auf breiter Basis erforscht. 45 Im Mittelpunkt <strong>der</strong> „revisionistischen“ Forschungsrichtung<br />

stehen Fragen nach dem E<strong>in</strong>fluss, den Frankreich auf den politischen <strong>und</strong><br />

gesellschaftlichen Neubeg<strong>in</strong>n im deutschen Südwesten nahm. 46 E<strong>in</strong>e ganze Reihe von<br />

Wissenschaftlern befasste sich im Rahmen von Tagungen <strong>und</strong> Symposien, die zum Teil<br />

zusammen mit Akteuren aus <strong>der</strong> Besatzungszeit durchgeführt wurden, mit zahlreichen<br />

Aspekten französischer Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland. Hervorzuheben s<strong>in</strong>d die Forschungsprojekte,<br />

die die Universitäten Saarbrücken, Straßburg <strong>und</strong> Freiburg/Br. seit Mitte <strong>der</strong><br />

1980er-Jahre <strong>in</strong> Auftrag gaben. Zu den gut erforschten Teilbereichen französischer Besatzungspolitik<br />

<strong>in</strong> Deutschland zählen die Demokratisierungs-, Kultur- <strong>und</strong> Bildungspolitik.<br />

Neben <strong>der</strong> Aufarbeitung vieler neuer Themen gewann die Diskussion, wie e<strong>in</strong>zelne<br />

Teilbereiche <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Besatzungspolitik <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gesamtrahmen <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en<br />

Deutschlandpolitik Frankreichs nach 1945 verortet werden können, an Bedeutung.<br />

Die verän<strong>der</strong>te Forschungslage führte überdies dazu, dass nicht nur zahlreiche bislang<br />

unbekannte Facetten <strong>der</strong> Besatzungspolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone beleuchtet wurden,<br />

son<strong>der</strong>n dass zudem viele Aspekte <strong>der</strong> französischen Deutschlandpolitik neu bewertet<br />

werden. E<strong>in</strong> markantes Beispiel ist die Diskussion zum Stellenwert <strong>der</strong> französischen<br />

Kulturpolitik. Zwar galt es stets als unbestritten, dass <strong>in</strong> unmittelbarer Besatzungszeit viele<br />

41 HUDEMANN, Kulturpolitik, <strong>in</strong>: CLEMENS, Kulturpolitik, S. 185-199.<br />

42 Die Sperrfrist für personenbezogene Daten wurde von 50 auf 30 Jahre verkürzt.<br />

43 MARTENS, Inventarisierte Vergangenheit, <strong>in</strong>: FRANCIA 17/3 (1990), S. 103-109.<br />

44 Literatur zur Archivsituation <strong>und</strong> -benutzung: HUDEMANN, Nachkriegsakten, <strong>in</strong>: DER ARCHIVAR 42<br />

(1989), S. 475-488; WOLFRUM, Besatzungsarchiv, <strong>in</strong>: GWU 40 (1989), S. 84-90; KLÖCKLER, Benutzungsmodalitäten,<br />

<strong>in</strong>: DER ARCHIVAR 48 (1995), S. 314.<br />

45 HUDEMANN, Direktiven, <strong>in</strong>: KNIPPING; LE RIDER (Hgg.), Kulturpolitik, S. 15-31; HÜSER, Frankreichs<br />

„doppelte Deutschlandpolitik“, S. 548-559; WOLFRUM u. a. (Hgg.), Krisenjahre, S. 203-213.<br />

46 VAILLANT, Kulturpolitik, <strong>in</strong>: HEINEMANN (Hg.), Umerziehung, S. 201-209; DERS., E<strong>in</strong>führung, <strong>in</strong>:<br />

INSTITUT FRANÇAIS (Hg.), Deutschlandpolitik, S. 61-67; DERS., Kulturpolitik; DERS., Bildungspolitik, <strong>in</strong>:<br />

KNIPPING; LE RIDER (Hgg.), Kulturpolitik, S. 135-157.


10 I EINLEITUNG<br />

konstruktive Ansätze auf dem Gebiet <strong>der</strong> Bildungs- <strong>und</strong> Kulturpolitik im französischen<br />

Zonengebiet existierten. Die Existenz <strong>der</strong> vielschichtigen Kulturarbeit, die sich zum Ziel<br />

gesetzt hatte, demokratische Strukturen durch Kultur <strong>und</strong> Bildung zu vermitteln,<br />

wi<strong>der</strong>sprach jedoch nach dem Verständnis vieler Vertreter <strong>der</strong> älteren Geschichtsschreibung,<br />

die französische Nachkriegspolitik hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt<br />

e<strong>in</strong>er unbarmherzigen Sicherheits- <strong>und</strong> Reparationspolitik bewerteten, <strong>der</strong> rigiden<br />

Ausbeutungspolitik <strong>in</strong> wirtschaftlicher H<strong>in</strong>sicht. 47<br />

Es lassen sich weitere Beispiele anführen, die belegen, wie sich die Interpretationsmuster<br />

auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage neuer Bef<strong>und</strong>e aus jüngst erschlossenen Quellen wandelten.<br />

Dazu zählt die <strong>in</strong>zwischen als wi<strong>der</strong>legt geltende Annahme, politische Richtl<strong>in</strong>ien übergeordneter<br />

Verwaltungsebenen hätten, wenn überhaupt, auf kommunaler Ebene nur e<strong>in</strong>e<br />

marg<strong>in</strong>ale Rolle für die Besatzungspolitik gespielt. Die ältere Forschung g<strong>in</strong>g, gestützt auf<br />

Aussagen früherer Angehöriger <strong>der</strong> Militärregierung <strong>in</strong> Baden-Baden <strong>und</strong> Freiburg,<br />

mehrheitlich davon aus, dass sich die Besatzungspolitik isoliert von den Vorgaben aus<br />

Paris entwickelte. 48 Inzwischen konnte die mo<strong>der</strong>ne Zeitgeschichtsforschung nachweisen,<br />

dass entsprechende Direktiven <strong>der</strong> Pariser Regierung für die Gebiete Kultur-, Erziehungs-<br />

<strong>und</strong> Jugendpolitik existierten. Den Ausgangspunkt bildeten die Untersuchungen Ra<strong>in</strong>er<br />

HUDEMANNs 49 , <strong>der</strong> die Bildungs- <strong>und</strong> Jugendpolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone als<br />

Teilkomponenten <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Kulturpolitik Frankreichs im besetzten Deutschland<br />

begreift <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Gesamtkontext e<strong>in</strong>er „kulturellen Sicherheitspolitik“ stellt.<br />

Auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage französischer Quellen gelang es Mitte <strong>der</strong> 1990er-Jahre Dietmar<br />

HÜSER 50 , den Weg e<strong>in</strong>es Teils <strong>der</strong> Pariser Vorgaben bis zur Län<strong>der</strong>ebene h<strong>in</strong> nachzuzeichnen<br />

<strong>und</strong> die These älterer Geschichtsforscher zu wi<strong>der</strong>legen, die davon ausg<strong>in</strong>gen, dass<br />

kulturpolitische Maßnahmen lediglich als isolierte E<strong>in</strong>zelmaßnahmen engagierter Mitarbeiter<br />

<strong>der</strong> Militärregierung aufzufassen wären. Wie ZAUNER nachweist, waren die<br />

zentralen bildungspolitischen Anweisungen aus Baden-Baden zum<strong>in</strong>dest den Landesdelegierten<br />

von Südbaden <strong>und</strong> Württemberg-Hohenzollern, Jaques Deshayes <strong>in</strong> Freiburg <strong>und</strong><br />

Henri Humblot <strong>in</strong> Tüb<strong>in</strong>gen, bekannt. 51 In diesem Punkt stehen die Bef<strong>und</strong>e aus den<br />

Archiven den subjektiven E<strong>in</strong>drücken e<strong>in</strong>iger <strong>der</strong> damaligen Angestellten <strong>der</strong> französischen<br />

Militärregierung, die <strong>der</strong> Ansicht waren, konzeptionelle Vorgaben hätten nachgeordnete<br />

Verwaltungsebenen nicht erreicht, diametral entgegen.<br />

Insgesamt wird die französische Kulturpolitik im besetzten Deutschland recht<br />

unterschiedlich <strong>in</strong>terpretiert. 52 Beson<strong>der</strong>s e<strong>in</strong>drucksvoll lassen sich die Diskrepanzen am<br />

47<br />

Auf e<strong>in</strong>e ausführliche Übersicht über E<strong>in</strong>zeluntersuchungen wird an dieser Stelle verzichtet. Stattdessen<br />

wird auf neuere Forschungsüberblicke h<strong>in</strong>gewiesen, die auch ältere Forschungstraditionen berücksichtigen.<br />

Zu nennen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e MARTENS (Hg.), Deutschlandpolitik, S. 9-17 sowie unter<br />

E<strong>in</strong>beziehung <strong>der</strong> regionalgeschichtlich relevanten Literatur: KLÖCKLER, Abendland – Alpenland –<br />

Alemannien, S. 4-6.<br />

48<br />

Dazu u. a. MOREAU, <strong>Jugendarbeit</strong>, <strong>in</strong>: VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 23-39.<br />

49<br />

HUDEMANN, Direktiven, <strong>in</strong>: KNIPPING; LE RIDER (Hgg.), Kulturpolitik, S. 15-23.<br />

50<br />

HÜSER, Frankreichs „doppelte Deutschlandpolitik“.<br />

51<br />

Dazu ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 167; Kurzfassung <strong>in</strong>: DAS HISTORISCH-POLITISCHE<br />

BUCH 44, Heft 3/4 (1996), S. 139-140.<br />

52<br />

CHEVAL, Bildungspolitik, <strong>in</strong>: HEINEMANN (Hg.): Umerziehung, S. 190-200.


I. 3 FORSCHUNGSGESCHICHTE 11<br />

Beispiel des wissenschaftlichen Diskurses zwischen dem französischen Germanisten<br />

Jerôme VAILLANT, Chefredakteur <strong>der</strong> Zeitschrift Allemagne d’aujourd’hui, <strong>und</strong> dem<br />

Historiker Ra<strong>in</strong>er HUDEMANN nachzeichnen. Im Kern geht es um die Frage, ob Demokratieerziehung<br />

von Anfang an den gleichen Stellenwert hatte wie an<strong>der</strong>e zentrale Ziele<br />

<strong>der</strong> offiziellen französischen Deutschlandpolitik, nämlich die politische Schwächung<br />

Deutschlands <strong>und</strong> wirtschaftliche Nutzung <strong>der</strong> Besatzungszone für umfassende Wie<strong>der</strong>aufbauleistungen<br />

im eigenen Land. 53 VAILLANT ist <strong>der</strong> Ansicht, die französische Kulturmission<br />

wäre wie an<strong>der</strong>e demokratische Reformen im französischen Zonengebiet<br />

zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949 von <strong>der</strong> Militärregierung nicht systematisch geplant worden,<br />

son<strong>der</strong>n hätte sich im Verlauf <strong>der</strong> Besatzungspraxis unter politischen, wirtschaftlichen <strong>und</strong><br />

gesellschaftlichen Notwendigkeiten nach <strong>und</strong> nach herausgebildet. Daraus leitet er die<br />

Annahme ab, dass die französische Kulturpolitik gegenüber den beiden weiteren „Säulen<br />

französischer Deutschlandpolitik“ 54 – politische Dezentralisierung <strong>und</strong> wirtschaftliche<br />

Nutzung <strong>der</strong> Zone – erst allmählich an Bedeutung gewonnen hätte.<br />

HUDEMANN dagegen bewertet die demokratiepolitischen Maßnahmen <strong>der</strong> Militärregierung<br />

im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> jüngeren Zeitgeschichtsforschung als Bestandteil des alliierten<br />

Sicherheitskalküls, wobei gerade die Kulturpolitik gezeigt hätte, dass Sicherheitspolitik<br />

<strong>und</strong> Demokratisierungspolitik sich nicht zwangsläufig wi<strong>der</strong>sprechen. Ob dieses theoretische<br />

Erklärungsmodell allerd<strong>in</strong>gs ausreicht, um die wesentlichen Intentionen französischer<br />

Nachkriegspolitik h<strong>in</strong>reichend zu erfassen, bleibt fraglich. Französische Zeithistoriker<br />

weisen <strong>in</strong> dieser Fragestellung zu Recht darauf h<strong>in</strong>, dass die Sichtweise nicht zuletzt<br />

von <strong>der</strong> Perspektive des Betrachters abhängig ist. So würden, wie DEFRANCE 55 feststellt,<br />

viele Aspekte französischer Nachkriegspolitik unterschiedlich bewertet, je nachdem, ob<br />

das Forschungs<strong>in</strong>teresse eher <strong>der</strong> Regierungsebene o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Besatzungsebene gilt.<br />

ZAUNER zufolge lässt sich die französische Kulturpolitik zwischen Erziehungspolitik <strong>und</strong><br />

Kulturmission verorten. 56<br />

Während die Forschung zur französischen Deutschland- <strong>und</strong> Besatzungspolitik<br />

Teilgebieten wie allgeme<strong>in</strong>e Kunst- <strong>und</strong> Kulturför<strong>der</strong>ung, Entnazifizierungspolitik o<strong>der</strong><br />

Bildungspolitik breite Aufmerksamkeit schenkte, blieb die außerschulische Jugendpolitik<br />

<strong>der</strong> französischen Militärregierung <strong>in</strong> Deutschland tendenziell wenig beachtet. 57 Erst seit<br />

Mitte <strong>der</strong> 1990er-Jahre liegen für die Gebiete Erziehungs- <strong>und</strong> Jugendkulturpolitik Untersuchungen<br />

vor. 58 In diesem Kontext ist e<strong>in</strong>erseits auf die französische Dissertation zur<br />

Kulturpolitik <strong>in</strong> den l<strong>in</strong>ksrhe<strong>in</strong>isch besetzten Gebieten von Cor<strong>in</strong>ne DEFRANCE h<strong>in</strong>zuweisen.<br />

An<strong>der</strong>erseits s<strong>in</strong>d vor allem die Forschungsergebnisse <strong>der</strong> französischen<br />

53<br />

In Anlehnung an VAILLANT mahnt ebenso WOLFRUM zur Vorsicht <strong>in</strong> dieser Frage; vgl. DERS. U. A.<br />

(Hgg.), Krisenjahre, S. 12.<br />

54<br />

VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 11.<br />

55<br />

DEFRANCE, Politique Culturelle, S. 23.<br />

56<br />

ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 319.<br />

57<br />

Zur Schulpolitik: RUGE-SCHATZ, Schulpolitik; DIES., Anfänge <strong>der</strong> Schulverwaltung, <strong>in</strong>: SCHWARZMAIER<br />

(Hg.), Kriegsende, S. 111-132; WINKELER, Schulreform, <strong>in</strong>: HEINEMANN (Hg.), Umerziehung,<br />

S. 211-227.<br />

58<br />

Vgl. etwa ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission.


12 I EINLEITUNG<br />

Historiker<strong>in</strong> Monique MOMBERT hervorzuheben. 59 Im Rahmen e<strong>in</strong>er Dissertation <strong>und</strong><br />

weiterer Beiträge zur Jugend-, Buch- <strong>und</strong> Verlagspolitik <strong>der</strong> französischen Militärregierung<br />

im besetzten Deutschland, die auf <strong>der</strong> Auswertung deutscher <strong>und</strong> französischer<br />

Quellen fußen, weist sie Frankreich e<strong>in</strong>e, wie MARTENS es formuliert, „markante Jugendpolitik“<br />

60 im besetzten deutschen Südwesten nach. Jugendpolitik wird hierbei <strong>in</strong> Anlehnung<br />

an die These <strong>der</strong> jüngeren Zeitgeschichtsforschung als Teilgebiet <strong>der</strong> französischen<br />

Kultur- <strong>und</strong> Demokratisierungspolitik aufgefasst <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Gesamtkontext <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en<br />

Deutschlandpolitik gestellt. Darüber h<strong>in</strong>aus macht MOMBERT auf zwei weitere<br />

wichtige Gesichtspunkte aufmerksam, <strong>in</strong>dem sie e<strong>in</strong>erseits darauf verweist, dass demokratiepolitische<br />

Maßnahmen wie <strong>der</strong> Aufbau e<strong>in</strong>er strukturierten <strong>Jugendarbeit</strong> zwar nicht<br />

isoliert von an<strong>der</strong>en Ebenen <strong>der</strong> französischen Deutschlandpolitik erfolgten, dennoch aber<br />

die rééducation <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Besatzungspolitik niemals den gleichen Rang wie etwa die<br />

Wirtschaftspolitik besaß. Zum an<strong>der</strong>en zeigt sie auf, dass sich die französische<br />

Jugendpolitik zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949 im Spannungsfeld e<strong>in</strong>er ambivalenten<br />

Deutschlandpolitik vollzog. Mit diesem H<strong>in</strong>weis rückt sie die charakteristische Zwiespältigkeit,<br />

die für die französische Deutschlandpolitik typisch war, <strong>in</strong> den Blick. Die<br />

jüngere Zeitgeschichtsforschung fasst den Aspekt <strong>der</strong> „Ambivalenz“ geradezu als e<strong>in</strong>en<br />

Schlüssel zum Verständnis französischer Deutschlandpolitik auf. „Frankreichs doppelte<br />

Deutschlandpolitik“ 61 , wie HÜSER dieses Phänomen umschreibt, spiegelte sich auf vielen<br />

Ebenen <strong>der</strong> französischen Deutschland- <strong>und</strong> Besatzungspolitik wi<strong>der</strong>. Zu nennen ist das<br />

Verhalten <strong>der</strong> Pariser Regierung im Umgang mit den Alliierten <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> eigenen Bevölkerung<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Umgang zwischen französischen <strong>und</strong> deutschen Behördenvertretern.<br />

Trotz <strong>der</strong> genannten Ansätze, jugendpolitische Themen für das französische Zonengebiet<br />

zu erforschen, bleibt festzustellen, dass diese Themen bislang längst nicht so<br />

<strong>in</strong>tensiv aufgearbeitet wurden wie etwa die Deutschlandpolitik Frankreichs. Der größte<br />

Teil <strong>der</strong> Forschungsliteratur zur französischen Besatzungszeit widmet Jugendfragen wenig<br />

Aufmerksamkeit. Deutsche Arbeiten behandeln das Thema Jugendpolitik im französisch<br />

besetzten deutschen Südwesten hauptsächlich als Teilabschnitt <strong>der</strong> übergeordneten<br />

Demokratie-, Kultur- <strong>und</strong> Bildungspolitik. Während französische Arbeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />

den zweiten Abschnitt <strong>der</strong> Besatzungszeit (1949-1955) e<strong>in</strong>beziehen, bleiben deutsche<br />

Untersuchungen zur Besatzungszeit zeitlich vorwiegend auf die unmittelbare Besatzungsphase<br />

zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949 beschränkt. E<strong>in</strong>e Ausnahme bildet die Dissertation von<br />

Jacquel<strong>in</strong>e PLUM, welche die französische Jugend- <strong>und</strong> Erziehungspolitik am Beispiel <strong>der</strong><br />

Jugendbewegungen <strong>und</strong> privaten Organisationen im Zeitraum von 1945 bis 1955 analysiert.<br />

62 Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Ziele <strong>und</strong> Absichten Frankreich mit dieser<br />

Politik verfolgte <strong>und</strong> welchen Platz die Franzosen e<strong>in</strong>er Umerziehung <strong>der</strong> deutschen<br />

Jugend <strong>in</strong>nerhalb ihrer Deutschland- <strong>und</strong> Besatzungspolitik e<strong>in</strong>räumten.<br />

59<br />

MOMBERT, Buch- <strong>und</strong> Verlagspolitik, <strong>in</strong>: KNIPPING; LE RIDER (Hgg.), Kulturpolitik, S. 227-241; DIES.,<br />

Jeunesse et Livre.<br />

60<br />

MARTENS (Hg.), Deutschlandpolitik, S. 175-199, hier S. 198.<br />

61<br />

Vgl. die Dissertation über die ambivalente Deutschlandpolitik Frankreichs zwischen Befreiung <strong>und</strong><br />

Schuman-Plan 1945 <strong>und</strong> 1949 von HÜSER, Frankreichs „doppelte Deutschlandpolitik“.<br />

62<br />

PLUM, Französische Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland.


I. 3 FORSCHUNGSGESCHICHTE 13<br />

3.4 Regional- <strong>und</strong> lokalgeschichtliche Untersuchungen<br />

Um die <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> den Stellenwert jugendpolitischer Maßnahmen angemessen<br />

beurteilen zu können, bedarf es <strong>der</strong> E<strong>in</strong>beziehung <strong>der</strong> regional- <strong>und</strong> lokalgeschichtlichen<br />

Situation sowie e<strong>in</strong>er breiteren Aufarbeitung <strong>der</strong> vielen noch nicht gesichteten Aktenbestände<br />

<strong>in</strong> kommunalen Archiven zu diesem Teilgebiet <strong>der</strong> Besatzungsgeschichte. Zwar<br />

wird <strong>in</strong>zwischen die Existenz politischer Richtl<strong>in</strong>ien zur <strong>Jugendarbeit</strong> im Zonengebiet<br />

nicht mehr bestritten, dennoch ist bislang kaum erforscht worden, welche praktischen<br />

Auswirkungen diese Vorgaben auf <strong>der</strong> lokalen Ebene hatten. Aus diesem Gr<strong>und</strong> bleiben<br />

viele Fragen offen. Reichten mit Blick auf die Umsetzung <strong>der</strong> Jugendpolitik <strong>in</strong> den<br />

Kreisen <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den strukturelle Maßnahmen aus, um die Jugend vom Angebot e<strong>in</strong>er<br />

„s<strong>in</strong>nvollen Freizeitbeschäftigung“ – wie e<strong>in</strong> damals gebräuchlicher Begriff lautete – zu<br />

überzeugen <strong>und</strong> von <strong>der</strong> Straße weg <strong>in</strong> die Jugendverbände <strong>und</strong> Arbeitsgruppen <strong>der</strong><br />

Bildungswerke <strong>und</strong> Volkshochschulen zu holen? Was musste geschehen, damit jugendpolitische<br />

Konzeptionen, die <strong>in</strong> Baden-Baden entworfen wurden, <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> konkrete<br />

Jugendhilfemaßnahmen münden konnten? Welche Komponenten trugen dazu bei, dass<br />

jugendpolitischen Maßnahmen langfristiger Erfolg beschieden war? Des Weiteren ist<br />

darüber nachzudenken, welche Strukturen unter den verän<strong>der</strong>ten politischen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

nach 1949 Bestand hatten, womit zugleich die Frage nach <strong>der</strong> Akzeptanz französischer<br />

Jugendpolitik angesprochen ist.<br />

Während <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> höheren Entscheidungsebenen <strong>der</strong> französischen Politik<br />

vonseiten <strong>der</strong> Geschichtsforschung breite Aufmerksamkeit geschenkt wurde, befassten<br />

sich bislang regionale Studien zur Besatzungszeit kaum mit <strong>der</strong> Frage, wie die französische<br />

Jugendpolitik <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Kreisen <strong>und</strong> Städten im Zonengebiet umgesetzt wurde.<br />

Die historische Jugendforschung, sofern sie sich mit <strong>der</strong> Situation <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Nachkriegszeit überhaupt befasst, liefert aufgr<strong>und</strong> des Mangels an regional <strong>und</strong> zeitlich<br />

ähnlich ausgerichteten Studien, die methodisch-theoretisch vergleichbar wären, nur<br />

wenige Detailkenntnisse über lokale Unterschiede <strong>und</strong> Beson<strong>der</strong>heiten.<br />

Für die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> nach 1945 ergeben sich aus dieser lückenhaften<br />

Forschungslage zahlreiche Forschungsdefizite: Erstens ist nach wie vor kaum bekannt, zu<br />

welchen Ergebnissen die jugendpolitischen Richtl<strong>in</strong>ien aus Baden-Baden <strong>und</strong> Freiburg <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> führten. Zweitens wurden die regionalen Beson<strong>der</strong>heiten im Vergleich zu<br />

an<strong>der</strong>en Zonengebieten bislang nur selten berücksichtigt. Drittens weisen die Untersuchungen,<br />

sofern lokalgeschichtliche Quellen überhaupt e<strong>in</strong>bezogen werden, <strong>in</strong> ihrer<br />

regionalen Streuung <strong>und</strong> thematischen Schwerpunktsetzung große Unterschiede auf.<br />

Studien zu Teilbereichen <strong>der</strong> Demokratie- <strong>und</strong> Kulturpolitik f<strong>in</strong>den sich lediglich für<br />

e<strong>in</strong>zelne Städte <strong>der</strong> französischen Zone wie etwa Lahr. 63 Die wenigen Arbeiten lassen<br />

noch ke<strong>in</strong>e Gesamtschau <strong>der</strong> Vorgänge zu. Antworten auf die Fragen, wie das <strong>Konstanz</strong>er<br />

Angebot im Landesvergleich aussah, wie man zeitlich o<strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziell im Verhältnis zu<br />

an<strong>der</strong>en Kreisen h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Jugendför<strong>der</strong>ung lag, können nach dem bisherigen<br />

Kenntnisstand lei<strong>der</strong> nur ansatzweise beantwortet werden. Denn von wenigen Ausnahmen<br />

63 MOMBERT, Lahr, <strong>in</strong>: ORTENAU 68 (1988), S. 400-416.


14 I EINLEITUNG<br />

abgesehen, existieren nahezu ke<strong>in</strong>e quellengestützten wissenschaftlichen Arbeiten über<br />

den Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> nach 1945 <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Stadt- bzw. Landkreisen Südbadens.<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf die lokalgeschichtliche Forschung ist zu konstatieren, dass die Ausgangslage,<br />

was die Besatzungszeit anbelangt, im Vergleich zu an<strong>der</strong>en Regionen durchaus<br />

günstig ist. 64 Viele E<strong>in</strong>zelthemen wurden im Umfeld <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> mehrbändigen<br />

<strong>Konstanz</strong>er Stadtgeschichte sowie e<strong>in</strong>es kommunalen Ausstellungsprojektes seit Beg<strong>in</strong>n<br />

<strong>der</strong> 1990er-Jahre wissenschaftlich erforscht. Die daraus entstandenen Prüfungsarbeiten<br />

<strong>und</strong> Monografien zu Teilbereichen <strong>der</strong> Besatzungszeit <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> zeichnen e<strong>in</strong> facettenreiches<br />

Bild <strong>der</strong> Besatzungsphase <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. E<strong>in</strong>e ganze Reihe wissenschaftlicher<br />

E<strong>in</strong>zelarbeiten, die im Rahmen e<strong>in</strong>es Forschungsprojektes an <strong>der</strong> Universität <strong>Konstanz</strong><br />

entstanden s<strong>in</strong>d, sowie e<strong>in</strong> <strong>der</strong> Besatzungszeit <strong>und</strong> den 1950er-Jahren gewidmeter Band<br />

<strong>der</strong> mehrbändigen stadthistorischen Reihe beleuchten überblicksartig e<strong>in</strong> breites Spektrum<br />

an Themenfel<strong>der</strong>n, darunter Kultur, Bildungs- <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>.<br />

4 Eigene Forschungsziele<br />

Trotz <strong>der</strong> zahlreichen Verdienste, welche die Forschung <strong>in</strong> den letzten beiden Jahrzehnten<br />

auf vielen Gebieten, die mit dem Thema Jugend <strong>in</strong> Zusammenhang stehen, geleistet hat,<br />

existieren im H<strong>in</strong>blick auf die Fragestellung dieser Dissertation nach wie vor viele<br />

Forschungslücken. Als Desi<strong>der</strong>ate <strong>der</strong> Forschung s<strong>in</strong>d zusammenfassend nochmals<br />

folgende Aspekte zu nennen: So ist man zum e<strong>in</strong>en zwar über die Besatzungspolitik <strong>der</strong><br />

Franzosen auf höheren Ebenen <strong>in</strong>zwischen gut <strong>in</strong>formiert, es fehlen jedoch nach wie vor<br />

E<strong>in</strong>zelstudien, die die kommunale Ebene untersuchen. Zum an<strong>der</strong>en richtete sich das<br />

Haupt<strong>in</strong>teresse <strong>der</strong> Forschungen zur Besatzungsgeschichte zeitlich bislang vorwiegend auf<br />

die direkte Besatzungszeit <strong>und</strong> räumlich auf die Verhältnisse <strong>in</strong> <strong>der</strong> amerikanischen <strong>und</strong><br />

britischen Zone. Außerdem mangelt es an Vergleichsstudien, die die Situation <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />

Regionen abbilden. Quelleneditionen, die es erlauben, die Ereignisse, differenziert<br />

nach thematischen Schwerpunkten, zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Kreis-<br />

64 Die Zahl <strong>der</strong> Prüfungsarbeiten <strong>und</strong> Monografien zu Teilbereichen <strong>der</strong> Besatzungszeit <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> ist<br />

<strong>in</strong>zwischen mannigfach, die Bandbreite <strong>der</strong> Themen äußerst differenziert, hier daher nur e<strong>in</strong>e Auswahl:<br />

zur Besatzungspolitik KLÖCKLER, Besatzungspolitik; DERS., Überl<strong>in</strong>gen; DERS., Abendland –<br />

Alpenland – Alemannien; DERS., Rottweil; KLUGE, St<strong>und</strong>e Null, <strong>in</strong>: MAURER (Hg.), Grenzstadt,<br />

S. 12-21; zur Kulturpolitik: WELSCH, Kulturpolitik; E. MOSER, Rückkehr <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne, <strong>in</strong>:<br />

INTERNATIONALER ARBEITSKREIS BODENSEEAUSSTELLUNGEN (Hg.): Endlich Friede!, S. 67-76; zur<br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> Gewerkschaften: HUNN, Gewerkschaftsbewegung; zur Entstehungsgeschichte des<br />

SÜDKURIERs siehe DIX, Südkurier; zum politischen Neubeg<strong>in</strong>n nach 1945: LACHENMAIER,<br />

Kommunalwahlen; zur gesellschaftlichen <strong>und</strong> politischen Stellung <strong>der</strong> Kirchen: Th. MÜLLER, Kirchen;<br />

zum Wie<strong>der</strong>aufleben des Vere<strong>in</strong>swesens: SCHWILCK, Vere<strong>in</strong>e.


I. 5 METHODIK 15<br />

gebieten zu rekonstruieren, liegen bislang lediglich für die beiden württembergischen<br />

Kreise Rottweil 65 <strong>und</strong> Tuttl<strong>in</strong>gen 66 vor.<br />

An diesen Punkten setzt diese Untersuchung an. Die Arbeit zielt darauf ab, die für<br />

<strong>Konstanz</strong> relevanten Konzeptionen <strong>und</strong> Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für die Arbeit mit Jugendlichen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegsära zu analysieren <strong>und</strong> die Ergebnisse zu dokumentieren. Im<br />

Mittelpunkt stehen Arbeitsfel<strong>der</strong>, Träger, Angebote, Zielgruppen <strong>und</strong> Organisationsformen<br />

<strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong>. Mit diesem Ansatz soll e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> oben aufgeführten<br />

Forschungslücken geschlossen werden, so etwa die Frage, wie jugend- bzw. erziehungspolitische<br />

Richtl<strong>in</strong>ien aus Baden-Baden <strong>in</strong> den Stadt- <strong>und</strong> Landkreisen konkret umgesetzt<br />

wurden. Am Beispiel <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> lokalen <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949 ist zu h<strong>in</strong>terfragen, zu welchen Strukturen die<br />

französische Jugendpolitik vor Ort führte <strong>und</strong> ob die Ergebnisse den Intentionen <strong>der</strong><br />

Militärregierung entsprachen.<br />

In e<strong>in</strong>em weiteren Schritt geht es darum, Konzepte <strong>und</strong> Ziele, die die <strong>Jugendarbeit</strong><br />

nach <strong>der</strong> Begründung des westdeutschen Staates prägten, herauszuarbeiten. Die Arbeit<br />

blickt über die Phase <strong>der</strong> unmittelbaren Besatzung zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949 h<strong>in</strong>aus.<br />

Vielmehr wird des Weiteren danach gefragt, wie sich die Situation <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

jungen B<strong>und</strong>esrepublik nach 1949 gestaltete <strong>und</strong> welchen konzeptionellen <strong>und</strong> gesetzlichen<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen die <strong>Jugendarbeit</strong> seither unterworfen war. 67<br />

Ziel ist es, Kont<strong>in</strong>uitäten <strong>und</strong> langfristige Wirkungen e<strong>in</strong>erseits herauszuarbeiten<br />

sowie Brüche <strong>und</strong> Verän<strong>der</strong>ungen an<strong>der</strong>erseits kenntlich zu machen. 68 Insbeson<strong>der</strong>e ist<br />

danach zu fragen, ob die jugendpolitischen Initiativen <strong>der</strong> ersten Nachkriegsjahre unter<br />

verän<strong>der</strong>ten sozioökonomischen <strong>und</strong> zeitlichen Dispositionsmöglichkeiten Bestand hatten,<br />

<strong>in</strong>wieweit Projekte weitergeführt wurden o<strong>der</strong> aus welchen Gründen e<strong>in</strong>ige Projekte im<br />

Sande verliefen.<br />

5 Methodik<br />

Unter methodischen Gesichtspunkten s<strong>in</strong>d mit dieser Untersuchung gleich mehrere<br />

Bereiche <strong>der</strong> Geschichtsforschung angesprochen: Indem die Studie die französischen Konzeptionen<br />

e<strong>in</strong>er demokratischen Erziehung <strong>der</strong> deutschen Jugend nach dem Zusammenbruch<br />

des Nationalsozialismus am Beispiel <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugendför<strong>der</strong>ung analysiert,<br />

versteht sie sich erstens als Beitrag zur zeithistorischen Erforschung <strong>der</strong> französischen<br />

65 Hierzu ist die Veröffentlichung e<strong>in</strong>er nicht näher spezifizierten, <strong>und</strong>atierten Chronik zu nennen; vgl.<br />

STADTARCHIV ROTTWEIL (Hg.); KLÖCKLER (Bearb.), Chronique du cercle de Rottweil.<br />

66 Für den Landkreis Tuttl<strong>in</strong>gen wurde <strong>der</strong> Abschlussbericht des Kreisdelegierten Jean Lucien ESTRADE<br />

<strong>in</strong>zwischen als Quellenedition herausgegeben, ESTRADE, Tuttl<strong>in</strong>gen April 1945-September 1949.<br />

67 Nicht jedoch WESTPHAL, Jugendpolitik, <strong>in</strong>: HERRMANN (Hg.), Jugendpolitik, S. 21-26.<br />

68 KERSTING, Kont<strong>in</strong>uität <strong>und</strong> Wandel, <strong>in</strong>: HERRMANN (Hg.), Jugendpolitik, S. 91-98.


16 I EINLEITUNG<br />

Jugendpolitik, die e<strong>in</strong>en Teilbereich <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Besatzungs- <strong>und</strong> Deutschlandpolitik<br />

darstellt. 69<br />

Dadurch, dass am Beispiel <strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong> systematisch über e<strong>in</strong>en abgesteckten<br />

historischen Zeitraum die Lebenslagen von Jugendlichen sowie die darauf bezogenen<br />

staatlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Hilfeformen untersucht werden, stellt sich die Untersuchung<br />

zweitens <strong>in</strong> den Kontext <strong>der</strong> sozialgeschichtlichen Jugendforschung 70 , die sich<br />

unter an<strong>der</strong>em mit den gesamtgesellschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für jugendliches<br />

Aufwachsen befasst. 71 Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist es notwendig, zusätzlich zu den strukturgeschichtlichen<br />

Fakten das <strong>in</strong>dividuelle menschliche Verhalten zu analysieren. 72<br />

Da sich die Untersuchung dem Thema unter lokal- bzw. regionalgeschichtlichen<br />

Gesichtspunkten nähert, begreift sie sich drittens als Beitrag zur Stadtgeschichtsforschung,<br />

wobei sie sich e<strong>in</strong>er wissenschaftlich orientierten Lokalgeschichtsforschung, die über die<br />

Darstellung <strong>der</strong> örtlichen Situation h<strong>in</strong>aus die Frage nach übergeordneten politischen <strong>und</strong><br />

sozioökonomischen Faktoren e<strong>in</strong>bezieht, verpflichtet sieht. 73 Mit diesem Ansatz ergänzt<br />

diese Studie den Bestand an wissenschaftlichen Arbeiten zur Lokal- <strong>und</strong> Regionalgeschichte,<br />

<strong>der</strong>en Erforschung, wie es <strong>der</strong> Historiker Gert ZANG formuliert, als Prozess <strong>der</strong><br />

„unaufhaltsamen Annäherung an das E<strong>in</strong>zelne“ 74 beschrieben werden kann.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus liegt <strong>der</strong> Thematik nicht zuletzt e<strong>in</strong>e verwaltungsgeschichtliche<br />

Komponente zugr<strong>und</strong>e, <strong>in</strong>dem zentrale behördengeschichtliche Strukturen aufgezeigt <strong>und</strong><br />

die wichtigsten Amtsträger im Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> benannt werden.<br />

6 Glie<strong>der</strong>ungskriterien<br />

Zwar sollen im Rahmen <strong>der</strong> vorliegenden Studie möglichst viele E<strong>in</strong>flussfaktoren<br />

berücksichtigt werden, die auf die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegsära<br />

e<strong>in</strong>wirkten. Doch geht gerade aus <strong>der</strong>en Vielfalt die Notwendigkeit hervor, die<br />

Thematik zeitlich, <strong>in</strong>haltlich <strong>und</strong> thematisch zu strukturieren. Die Arbeit behandelt die<br />

Entstehung, den Aufbau <strong>und</strong> die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er <strong>Jugendarbeit</strong> chronologisch<br />

<strong>und</strong> methodisch. In e<strong>in</strong>em ersten Schritt widmet sich die Untersuchung <strong>der</strong> Thematik unter<br />

methodischen Gesichtspunkten, <strong>in</strong>dem die übergeordneten jugendpolitischen Theorien<br />

69 Zur Theoriedebatte siehe MARTENS (Hg.), Deutschlandpolitik, S. 9-15.<br />

70 KRÜGER (Hg.), Handbuch, S. 207-230.<br />

71 Dabei wird historische Sozialwissenschaft im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er mo<strong>der</strong>nen Gesellschaftsgeschichte aufgefasst,<br />

die neben den Strukturen <strong>in</strong> Politik <strong>und</strong> Wirtschaft sowohl Alltagsprobleme <strong>und</strong> Lebenswelten junger<br />

Menschen als auch Handlungsspielräume <strong>der</strong> Jugendverantwortlichen <strong>in</strong> Politik <strong>und</strong> Verwaltung<br />

e<strong>in</strong>bezieht; vgl. WEHLER, Gesellschaftsgeschichte, 1987/1995; zu Theorie <strong>und</strong> Methodenkritik GROH;<br />

ZÜRN, Gesellschaftsgeschichte, <strong>in</strong>: Österreichische Zeitschrift für Zeitgeschichte 6 (1995), Heft 4,<br />

S. 569-597. Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Darstellung stehen traditionelle Auffassungen von gesellschaftstheoretischen<br />

Konzeptionen <strong>und</strong> Mo<strong>der</strong>nisierungstheorien unter dem H<strong>in</strong>weis auf neuere Tendenzen zur<br />

Erweiterung des Paradigmas „Gesellschaftsgeschichte“.<br />

72 Weiterführend LÜDGE (Hg.), Alltagsgeschichte.<br />

73 HUG, Region, <strong>in</strong>: SCHWEICKERT (Hg.), Südbaden, S. 96-98.<br />

74 ZANG, Annäherung, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e S. VII f.


I. 6 GLIEDERUNGSKRITERIEN 17<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en Umsetzung <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone betrachtet werden, wobei die Verhältnisse<br />

<strong>in</strong> Südbaden e<strong>in</strong> Schwerpunktthema bilden. Daran anschließend wird die lokalgeschichtliche<br />

<strong>Entwicklung</strong> herausgearbeitet <strong>und</strong> danach gefragt, wie sich die örtlichen<br />

Tendenzen <strong>in</strong> die überregionalen Strukturen e<strong>in</strong>fügten.<br />

In chronologischer H<strong>in</strong>sicht setzt die Analyse über die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> mit dem Kriegsende im Frühjahr 1945 e<strong>in</strong>. Während <strong>der</strong> Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong><br />

Untersuchung durch die Zäsur, die das Kriegsende 1945 bildete, zeitlich klar vorgegeben<br />

ist, wird ke<strong>in</strong> gänzlich fixes Enddatum def<strong>in</strong>iert. Diese Vorgehensweise trägt dem<br />

Prozesscharakter <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> Rechnung. Wie viele <strong>der</strong> <strong>in</strong> den 1950er-Jahren begonnenen<br />

gesellschaftlichen <strong>Entwicklung</strong>en setzten sich zahlreiche Verläufe <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> bis weit <strong>in</strong> die 1960er-Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> fort, weshalb <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Geschichtsforschung<br />

die „Fünfziger Jahre“ nach ABELSHAUSER mitunter als „das lange Jahrzehnt“ 75<br />

bezeichnet werden. Dieser Begriff bezeichnet den für diese Zeitspanne charakteristischen,<br />

lange <strong>während</strong>en Strukturwandel, <strong>der</strong> sich vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> des wachsenden Wohlstands,<br />

e<strong>in</strong>er rasanten Wirtschafts- <strong>und</strong> Technikentwicklung, e<strong>in</strong>er verän<strong>der</strong>ten Arbeitswelt<br />

<strong>und</strong> Medienlandschaft etc. vollzog. Dieser Wandel stimmt zeitlich nicht mit dem politischen<br />

Ende <strong>der</strong> Nachkriegszeit übere<strong>in</strong>, welches <strong>in</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Geschichtsschreibung<br />

auf das Jahr 1963 datiert wird, als die „Ära Adenauer“ mit dem Rücktritt des langjährigen<br />

ersten Kanzlers <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik endete. Zwar waren viele <strong>der</strong> nach 1945 begonnenen<br />

politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen <strong>Entwicklung</strong>en am Ende des Jahrzehnts abgeschlossen.<br />

Zu nennen s<strong>in</strong>d etwa die Integration <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik <strong>in</strong> die Völkergeme<strong>in</strong>schaft, <strong>der</strong><br />

Aufschwung <strong>der</strong> deutschen Wirtschaft, die Beseitigung <strong>der</strong> Kriegsschäden <strong>und</strong> die<br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> jungen Demokratie. Die gesellschaftliche Wende erfolgte jedoch erst<br />

Ende <strong>der</strong> 1960er-Jahre im Gefolge <strong>der</strong> studentischen Bewegung von 1968. Neben<br />

evolutionären Tendenzen s<strong>in</strong>d jedoch die wesentlichen punktuellen E<strong>in</strong>schnitte zu berücksichtigen,<br />

wenn es um die E<strong>in</strong>ordnung <strong>und</strong> Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Thematik geht.<br />

E<strong>in</strong>e markante Zäsur stellte die vollständige Wie<strong>der</strong>erlangung <strong>der</strong> Selbstständigkeit<br />

von B<strong>und</strong>, Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> allen adm<strong>in</strong>istrativen <strong>und</strong> staatlichen Belangen,<br />

darunter <strong>der</strong> Jugendpolitik, dar. Aus methodischen Gründen erschien es daher s<strong>in</strong>nvoll,<br />

e<strong>in</strong>en zeitlichen Schnitt im Jahr 1949 vorzunehmen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> glie<strong>der</strong>t sich die<br />

Arbeit erstens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zeitabschnitt zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Gründung <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>esrepublik, zweitens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Phase von 1949 bis Anfang <strong>der</strong> 1960er-Jahre. Beide<br />

Phasen s<strong>in</strong>d jedoch aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> bezogen <strong>und</strong> können nicht gänzlich getrennt vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

betrachtet werden. E<strong>in</strong>en prägenden E<strong>in</strong>fluss hatten darüber h<strong>in</strong>aus politische <strong>und</strong><br />

gesetzliche Verän<strong>der</strong>ungen wie die Län<strong>der</strong>reform (1952), die Kreisreform (1953) o<strong>der</strong> die<br />

Neuregelung <strong>der</strong> Jugendhilfe (1953/1961). 76 Historische Rückbezüge, vor allem im<br />

H<strong>in</strong>blick auf die Zeit <strong>der</strong> Weimarer Republik <strong>und</strong> des Nationalsozialismus, s<strong>in</strong>d für das<br />

Verständnis vieler <strong>Entwicklung</strong>en im Jugendhilfebereich nach 1945 ebenfalls unerlässlich.<br />

Außerdem erwies es sich bisweilen als nötig, Bezüge zur gegenwärtigen Situation<br />

75 ABELSHAUSER, Die langen Fünfziger Jahre.<br />

76 ESCHENBURG, Entstehung, <strong>in</strong>: LANDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG (Hg.), Baden-Württemberg,<br />

S. 39-60.


18 I EINLEITUNG<br />

herzustellen. Auf diese Weise werden Unterschiede <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>samkeiten im Bereich <strong>der</strong><br />

Jugendhilfeentwicklung vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er verän<strong>der</strong>ten politischen, gesetzlichen,<br />

wirtschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Lage seit den 1950er-Jahren kenntlich gemacht.<br />

Neben <strong>der</strong> zeitlichen Differenzierung bildet die thematische Unterteilung nach<br />

sachthematischen Gesichtspunkten e<strong>in</strong> nachrangiges Glie<strong>der</strong>ungskriterium <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

genannten Zeitabschnitte. Hierbei wird nach Arbeitsfel<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Trägern <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

unterschieden.<br />

7 Begriffsbestimmung: Jugend <strong>und</strong> Jugendalter<br />

Der Begriff „Jugend“ unterliegt e<strong>in</strong>em stetigen historischen Wandel. Erst unter dem<br />

E<strong>in</strong>fluss s<strong>in</strong>ken<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> neuer Wissenschaften,<br />

vor allem <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong>spsychologie ab Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts, wird<br />

Jugend überhaupt als eigenständige Lebensphase begriffen. 77 Wenn im Folgenden von<br />

„Jugendlichen“ die Rede ist, so ist zum e<strong>in</strong>en die Gesamtheit <strong>der</strong> jungen Generation<br />

geme<strong>in</strong>t. Zum an<strong>der</strong>en lehnt sich <strong>der</strong> Begriff an das damals gültige Strafrecht an <strong>und</strong><br />

bezeichnet die Altersphase <strong>der</strong> 14- bis 21-Jährigen. Die Abgrenzung zum Erwachsenenalter<br />

wird durch das Erreichen <strong>der</strong> Volljährigkeit mit entsprechenden Auswirkungen etwa<br />

im Wahlrecht o<strong>der</strong> im Strafrecht markiert. An dieser Stelle ist jedoch darauf h<strong>in</strong>zuweisen,<br />

dass die starre Begrenzung des Jugendbegriffs den mo<strong>der</strong>nen sozialwissenschaftlichen<br />

Jugendtheorien entgegensteht. 78<br />

Wenn es um die Abgrenzung von K<strong>in</strong>dheit, Jugend <strong>und</strong> Erwachsenenalter geht, nimmt<br />

die Sozialwissenschaft heute e<strong>in</strong>e gewisse Plastizität <strong>der</strong> Jugendphase aufgr<strong>und</strong> sozioökonomischer<br />

o<strong>der</strong> kultureller E<strong>in</strong>flussfaktoren – wie etwa längere Schul- <strong>und</strong> Ausbildungszeiten<br />

– an. 79 Die Jugendzeit wird mittlerweile vonseiten <strong>der</strong> Forschung weniger als<br />

Altersphänomen, son<strong>der</strong>n eher als historisches <strong>und</strong> von <strong>der</strong> jeweiligen Kultur abhängiges<br />

soziales Phänomen angesehen. 80 E<strong>in</strong>e ganz ähnliche Auffassung vertraten <strong>in</strong>teressanterweise<br />

e<strong>in</strong>ige wichtige Repräsentanten <strong>der</strong> französischen Jugendpolitik. So fasste <strong>der</strong> Leiter<br />

<strong>der</strong> Erziehungsbehörde <strong>der</strong> französischen Militärregierung <strong>in</strong> Baden-Baden, Raymond<br />

SCHMITTLEIN, den Begriff „Jugend“ ebenfalls weit. Se<strong>in</strong> Umerziehungsprogramm zielte<br />

auf die Gruppe <strong>der</strong> etwa 14- bis 29-Jährigen <strong>und</strong> schloss neben <strong>der</strong> Jugend im engeren<br />

S<strong>in</strong>ne zudem die jungen Erwachsenen e<strong>in</strong>. 81 Anstatt e<strong>in</strong> konkretes juristisches, biolo-<br />

77 Gr<strong>und</strong>legend ARIÈS, <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit; HURRELMANN, Lebensphase Jugend, S. 49-81; DUDEK,<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Jugend, <strong>in</strong>: KRÜGER (Hg.), Handbuch, S. 333-349.<br />

78 P. MÜLLER, Jugend, <strong>in</strong>: WOLLENWEBER (Hg.), Jugendbildung, S. 11-34.<br />

79 So richtet sich das Angebot des <strong>Konstanz</strong>er JUZE z. B. hauptsächlich an die Altersgruppe von 12 bis 20<br />

Jahren. Das KiKuZ, das heute im Gebäude des damaligen Jugendhauses Raiteberg untergebracht ist,<br />

steht K<strong>in</strong><strong>der</strong>n von 6 bis 14 Jahren offen.<br />

80 E<strong>in</strong>en Überblick über die unterschiedlichen Ansätze gibt das Standardwerk von GRIESE, Jugendtheorien;<br />

vgl. die Ausführungen zum kulturanthropologischen Ansatz Margaret Meads, S. 41-55, zum generationstheoretischen<br />

Ansatz Karl Mannheims, S. 70-82, zum jugendsoziologischen Ansatz Schelskys, S. 93-143<br />

sowie zu den marxistische Theorien etwa Hellmut Less<strong>in</strong>gs <strong>und</strong> Manfred Liebels, S. 133-143.<br />

81 SCHMITTLEIN, Umerziehung, <strong>in</strong>: VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 161-186.


I. 8 ARCHIVSITUATION UND QUELLENLAGE 19<br />

gisches o<strong>der</strong> pädagogisches Jugendalter anzunehmen, g<strong>in</strong>g er davon aus, dass junge<br />

Menschen bis etwa 30 Jahre im Gegensatz zu den Älteren beson<strong>der</strong>s empfänglich für die<br />

Vermittlung von demokratischem Gedankengut wären. Demokratiepolitische Maßnahmen<br />

<strong>in</strong> diesem Bereich erschienen ihm daher äußerst för<strong>der</strong>ungswürdig.<br />

Es ist außerdem zu betonen, dass die <strong>Konstanz</strong>er Jugend damals wie heute e<strong>in</strong>e sehr<br />

heterogene Gruppe war. Alle<strong>in</strong> <strong>während</strong> <strong>der</strong> kurzen Zeitspanne, die diese Untersuchung<br />

abdeckt, begegnen wir zwei Jugendgenerationen. Es handelt sich zum e<strong>in</strong>en um die erste<br />

Nachkriegsgeneration <strong>der</strong> Jahrgänge 1918 bis ca. 1939, zum an<strong>der</strong>en um die Gruppe <strong>der</strong><br />

nach 1940 Geborenen. Von <strong>der</strong> Nachkriegsgeneration unterschied sich die Jugend <strong>der</strong><br />

späten 1950er-Jahre vor allem dadurch, dass sie we<strong>der</strong> Krieg noch Nachkriegszeit bewusst<br />

erlebt hatte <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit wachsenden Wohlstands, rasanter Technikentwicklung <strong>und</strong><br />

des Beg<strong>in</strong>ns des Informations- <strong>und</strong> Medienzeitalters aufwuchs. Aufgr<strong>und</strong> ihrer an<strong>der</strong>s<br />

gelagerten Sozialisation stellten diese jungen Menschen folglich völlig an<strong>der</strong>e Ansprüche<br />

an Jugendangebote, Mode <strong>und</strong> Freizeitgestaltung als die Jugendlichen unmittelbar nach<br />

dem Krieg. Darüber gibt es seit jeher <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Jugendgeneration zahlreiche <strong>in</strong>dividuelle<br />

Nuancen, abhängig vom Charakter, dem persönlichen Schicksal <strong>und</strong> <strong>der</strong> familiären<br />

Situation.<br />

8 Archivsituation <strong>und</strong> Quellenlage<br />

Die vorliegende Untersuchung basiert auf <strong>der</strong> Auswertung e<strong>in</strong>er Vielzahl größtenteils<br />

noch unerschlossener Quellen, die überwiegend öffentlichen Archiven, zum Teil privaten<br />

Sammlungen entstammen. Die wichtigste Quellengruppe bilden Verwaltungsakten aus<br />

kommunalen <strong>und</strong> staatlichen Archiven unterschiedlicher Provenienz. Die Darstellung<br />

beruht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptsache auf <strong>der</strong> Auswertung umfassen<strong>der</strong> Quellenbestände des<br />

Stadtarchivs <strong>Konstanz</strong>. Dort wurden folgende Bestandsgruppen gesichtet <strong>und</strong> ausgewertet:<br />

Erstens ist <strong>der</strong> Bestand S II zu nennen. Dieser umfasst die Überlieferung <strong>der</strong> zentralen<br />

Verwaltungsbehörden <strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong> im Zeitraum von 1815-1952, darunter die Akten<br />

des Hauptamtes, e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> Handakten des städtischen Rechtsrats Paul<br />

Kirchgässner, <strong>der</strong> die Stadtverwaltung <strong>in</strong> allen juristischen Belangen beriet. In diesem<br />

Bestand f<strong>in</strong>den sich hauptsächlich Faszikel, die den Neu- <strong>und</strong> Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>der</strong> örtlichen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong>zelner Jugende<strong>in</strong>richtungen wie<br />

Jugendhaus, Jugendbildungswerk, Jugendherberge recht gut dokumentieren.<br />

Indem die genannten Archivalien allgeme<strong>in</strong>e Anordnungen, wie etwa Anweisungen<br />

<strong>der</strong> Militärregierung an die Stadtverwaltung h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> Gestaltung<br />

<strong>der</strong> Jugendprojekte o<strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ienbeschlüsse übergeordneter Dienststellen wie dem<br />

Landeswohlfahrtsamt <strong>in</strong> Freiburg be<strong>in</strong>halten, erlauben sie über die Rekonstruktion <strong>der</strong><br />

lokalen Ereignisse h<strong>in</strong>aus, Rückschlüsse auf die <strong>Entwicklung</strong> des Neubeg<strong>in</strong>ns <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

<strong>in</strong> Südbaden <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit zu ziehen. E<strong>in</strong>e notwendige Ergänzung


20 I EINLEITUNG<br />

bildeten die Gesetzessammlungen <strong>der</strong> badischen Landesverwaltung, die <strong>in</strong> gedruckter<br />

Form für die Jahre 1946 bis 1952 vorliegen. 82<br />

Die zweite herausragende Quellengruppe im Stadtarchiv bildete <strong>der</strong> umfangreiche,<br />

zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Abfassung <strong>der</strong> Arbeit noch nicht vollständig erschlossene Bestand<br />

S XII, <strong>der</strong> die Akten des Sozial- <strong>und</strong> Jugendamtes be<strong>in</strong>haltet. 83 Dar<strong>in</strong> bef<strong>in</strong>det sich neben<br />

zahlreichen E<strong>in</strong>zelakten zur Entstehungs- <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong>sgeschichte <strong>der</strong> kommunalen<br />

E<strong>in</strong>richtungen unter an<strong>der</strong>em e<strong>in</strong>e Zusammenstellung relevanter Pressetexte über die<br />

<strong>Konstanz</strong>er <strong>Jugendarbeit</strong> seit den späten 1940er-Jahren. Als beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>formativ erwiesen<br />

sich vor allem die Protokolle des Jugendausschusses, die sowohl für den Stadt- als<br />

auch für den Landkreis <strong>Konstanz</strong> überliefert s<strong>in</strong>d.<br />

Als historische Quellengattung s<strong>in</strong>d diese für die Rekonstruktion <strong>der</strong> Frühphase <strong>der</strong><br />

örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> beson<strong>der</strong>s wertvoll, denn sie erlauben e<strong>in</strong>e Art Gesamtschau <strong>der</strong><br />

örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong>, <strong>während</strong> sich die meisten an<strong>der</strong>en schriftlichen Dokumente<br />

lediglich partiell auf e<strong>in</strong>zelne Bereiche <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> beziehen. So <strong>in</strong>formieren die<br />

Nie<strong>der</strong>schriften selbst über solche Projekte, die entwe<strong>der</strong> nur temporär stattfanden o<strong>der</strong><br />

niemals realisiert wurden <strong>und</strong> daher <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Quellen kaum o<strong>der</strong> gar ke<strong>in</strong>en Nie<strong>der</strong>schlag<br />

fanden. Darüber h<strong>in</strong>aus zeichnen die Berichte e<strong>in</strong> Stimmungsbild davon, wie die<br />

Beteiligten mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> kommunizierten, wobei auch <strong>der</strong> Umgang zwischen Deutschen<br />

<strong>und</strong> Franzosen wi<strong>der</strong>gespiegelt wird.<br />

Von zentraler Bedeutung für die Erforschung <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> s<strong>in</strong>d zudem<br />

die regelmäßigen Monatsberichte, welche die lokale Besatzungsbehörde an die Landesdelegationen<br />

entsendete. 84 Diese wichtige serielle Quellengattung dokumentiert die<br />

Besatzungspolitik auf gleichförmige Art <strong>und</strong> Weise, über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum <strong>und</strong><br />

jeweils für das e<strong>in</strong>zelne Kreisgebiet. Die periodischen Berichte <strong>der</strong> Jugendorganisationen<br />

an die Militärregierung bildeten zusammen mit den Protokollen <strong>der</strong> Jugendausschüsse<br />

bei<strong>der</strong> Kreise <strong>Konstanz</strong> die wichtigste Basis zur Erforschung <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugendverbandsarbeit<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> frühen Nachkriegszeit. Auf dieser Quellenbasis ließ sich die<br />

quantitative <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> örtlichen Jugendgruppen rekonstruieren. E<strong>in</strong>schränkend ist<br />

jedoch darauf h<strong>in</strong>zuweisen, dass die periodischen Berichte <strong>der</strong> Jugendverbände nur die<br />

Angaben <strong>der</strong> von den Franzosen <strong>in</strong> Baden zugelassenen Jugendorganisationen be<strong>in</strong>halten.<br />

Nicht berücksichtigt s<strong>in</strong>d Vere<strong>in</strong>e, Parteien, berufsbezogene Jugendorganisationen <strong>und</strong><br />

lose Interessengeme<strong>in</strong>schaften.<br />

Mit diesem H<strong>in</strong>weis ist zugleich als gr<strong>und</strong>sätzliche Problematik <strong>der</strong> Quellenlage<br />

darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>, was ihre zeitliche<br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> e<strong>in</strong>zelnen Arbeitsfel<strong>der</strong> anbelangt, lei<strong>der</strong> nicht für alle Bereiche <strong>in</strong><br />

gleichem Maß ausführlich dokumentiert ist. Zum e<strong>in</strong>en f<strong>in</strong>den sich erwartungsgemäß<br />

deutlich weniger Materialien zur Gründungsphase <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> für die Zeit zwischen<br />

82 Badisches Gesetz <strong>und</strong> Verordnungsblatt 1803-1952; (Titelän<strong>der</strong>ungen 1945-1946: Amtsblatt <strong>der</strong><br />

Militärregierung Baden; 1946-1947: Amtsblatt <strong>der</strong> Landesverwaltung Baden; 1947: Regierungsblatt.)<br />

83 StAK, S XII, zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Abfassung <strong>der</strong> Arbeit ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelaktenverzeichnung.<br />

84 Délégation Provenciale du Bade Sud, L 1-101; Délégation de District de Constance, Cab<strong>in</strong>et Dossier:<br />

Rapports périodiques 1945-1949; MAE AOFAA, C 1101/1; z. T. Abschriften im StAK, S XII.


I. 8 ARCHIVSITUATION UND QUELLENLAGE 21<br />

1946 <strong>und</strong> 1949 als für die <strong>der</strong> 1950er-Jahre. Zum an<strong>der</strong>en s<strong>in</strong>d die Quellen zur Jugendverbandsarbeit<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer lückenhaften <strong>und</strong> verstreuten Überlieferungsbildung relativ<br />

schwer zugänglich, <strong>während</strong> sich die behördliche Jugendpflege mithilfe umfangreicher<br />

Aktenbestände kommunaler Provenienz sowie Materialien des ehemaligen Stadtjugendpflegers<br />

vergleichsweise gut aufarbeiten ließ. Ergänzend zu den genannten Archivalien<br />

wurden im Stadtarchiv zudem Ratsprotokolle <strong>und</strong> Haushaltspläne e<strong>in</strong>gesehen, um Fragen<br />

<strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierungs- <strong>und</strong> För<strong>der</strong>möglichkeiten von Jugende<strong>in</strong>richtungen vonseiten <strong>der</strong> Stadt<br />

zu klären.<br />

Neben den Beständen des Stadtarchivs <strong>Konstanz</strong> wurden zusätzliche Archivbestände<br />

gleicher Provenienz <strong>in</strong> den Kreisarchiven <strong>Konstanz</strong>, Schwarzwald-Baar-Kreis <strong>und</strong><br />

Bodenseekreis gesichtet. Diese Vorgehensweise ermöglichte es erstmals, Rückschlüsse<br />

auf die regionale Situation zu ziehen. Hauptkriterien bei <strong>der</strong> Auswahl des zusätzlichen <strong>und</strong><br />

über den Stadtbezirk <strong>Konstanz</strong> h<strong>in</strong>ausreichenden Quellenmaterials bildeten zum e<strong>in</strong>en die<br />

räumliche Nähe zum Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> sowie zum an<strong>der</strong>en die geme<strong>in</strong>same Zugehörigkeit<br />

zum Landeskommissariatsbezirk <strong>Konstanz</strong>. Im ersten Schritt lag es nahe, die Ereignisse<br />

im Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> zunächst mit den Strukturen im Landkreis <strong>Konstanz</strong> zu<br />

vergleichen. In e<strong>in</strong>em weiteren Schritt wurden weitere Kreise aus dem Sprengel des<br />

Landeskommissariats untersucht. Als sehr ergiebig erwies sich die Sichtung entsprechen<strong>der</strong><br />

Quellen im Bestand „Landratsamt Vill<strong>in</strong>gen“ 85 , den das Kreisarchiv<br />

Schwarzwald-Baar aufbewahrt. Die Unterlagen lassen die Vermutung zu, dass <strong>der</strong> Altkreis<br />

Vill<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>e Art Vorreiterrolle beim Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> Südbaden e<strong>in</strong>nahm. 86<br />

Zu weiteren Vergleichszwecken wurden außerdem Unterlagen des früheren Landkreises<br />

Überl<strong>in</strong>gen 87 herangezogen, die heute zum Archivsprengel des Bodenseekreises gehören.<br />

Die Bef<strong>und</strong>e <strong>der</strong> Quellen aus deutschen Kommunalarchiven wurden schließlich<br />

mithilfe von Archivalien aus staatlichen Archiven ergänzt. Im Staatsarchiv Freiburg<br />

wurden Dokumente des Landeswohlfahrtsamts <strong>und</strong> des Landesjugendamts als Geschäftsbereich<br />

des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern (1945-1952) e<strong>in</strong>gesehen. 88 Unter den <strong>in</strong><br />

den Archives de l'Occupation Français en Allemagne et en Autriche <strong>in</strong> Colmar verwahrten<br />

85 Das 1988 errichtete KrAVS betreut alle historischen Gebietsteile auf dem Territorium des heutigen<br />

Landkreises Schwarzwald-Baar, darunter das bis 1973 eigenständige Bezirks- bzw. Landratsamt<br />

Vill<strong>in</strong>gen.<br />

86 Das Gebiet entspricht dem Landeskommissariatsbezirk <strong>Konstanz</strong> (1864/5-1953). Dieser umfasste die<br />

Kreise <strong>Konstanz</strong> (Stadt <strong>und</strong> Land), Stockach, Überl<strong>in</strong>gen, Vill<strong>in</strong>gen, Donauesch<strong>in</strong>gen, Säck<strong>in</strong>gen,<br />

Waldshut. Dazu GÖTZ, Amtsbezirke <strong>und</strong> Kreise, S. 20.<br />

87 KrAFN, Bestand Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, Abteilung Akten. Archiv<strong>in</strong>ventar ZANG (Bearb.),<br />

Bezirksamt bzw. Landratsamt, Überl<strong>in</strong>gen-Generalia, hier v. a. S. 83-85. Zur <strong>Geschichte</strong>, <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>und</strong> Verwaltungsgeschichte des Bodenseekreises bzw. des Landratsamtes Bodenseekreis <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Vorgängerbehörden vgl. KUHN, Bodenseekreis, <strong>in</strong>: ARBEITSGEMEINSCHAFT DER KREISARCHIVE,<br />

Amtsvorsteher, S. 39-41.<br />

88 SAF, Bestand C, Badisches M<strong>in</strong>isterium des Innern. Die Bestände-Serie C enthält die schriftliche<br />

Überlieferung des Landtags, <strong>der</strong> Staatskanzlei, <strong>der</strong> M<strong>in</strong>isterien <strong>und</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Zentralbehörden des<br />

Landes (Süd-)Baden mit <strong>der</strong> Kernlaufzeit 1945-1952; J. FISCHER, Bestände, S. 153 f. F<strong>in</strong>dbuch zum<br />

Bestand C 16/1 Badisches M<strong>in</strong>isterium des Innern, Abteilung C (Wohlfahrt) Laufzeit 1921-1952 (1953,<br />

1960), bearbeitet von Mart<strong>in</strong> STINGL; im Internet abzurufen unter http://www.landesarchiv-bw.de [Stand<br />

20.12.2005].


22 I EINLEITUNG<br />

Dokumenten geben die regelmäßigen Berichte im Bestand M<strong>in</strong>istère des affaires<br />

étrangères <strong>der</strong> örtlichen Kreis- bzw. Bezirksdelegierten Aufschlüsse über die Jugendbewegung<br />

im Kreis <strong>Konstanz</strong>. 89 Regelmäßige Rapporte zur Lage im Bezirk <strong>Konstanz</strong>,<br />

e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> beiden Kreise <strong>Konstanz</strong>-Land <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>-Stadt, liegen bereits ab<br />

dem ersten Besatzungsjahr (1945) vor. Die Berichte umfassen e<strong>in</strong>en Gesamtzeitraum von<br />

Mai 1945 bis Ende 1951. Infolge des seriellen Charakters dieser Quellengattung <strong>und</strong> des<br />

standardisierten Aufbaus ist es möglich, die <strong>Konstanz</strong>er Jugendentwicklung für die<br />

Frühzeit <strong>der</strong> Besatzung nachzuzeichnen. Anfangs mussten Monatsberichte gefertigt<br />

werden, ab ca. 1947 waren Vierteljahresberichte sowie Jahresberichte üblich.<br />

Die Rapports périodiques <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bezirksdelegation widmeten Jugendthemen<br />

jeweils eigene Kapitel im Rahmen <strong>der</strong> Berichterstattung über Bildung, Kultur <strong>und</strong> Sport.<br />

Sie spiegeln die Sichtweise <strong>der</strong> Besatzungsmacht wi<strong>der</strong> <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d als „Stimmungsberichte“<br />

zu werten, zumal die örtlichen Delegierten mit den zentralen Problemen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

unmittelbar konfrontiert waren <strong>und</strong> sich bei <strong>der</strong> Problemlösung an den örtlichen Gegebenheiten<br />

orientieren mussten. Die Berichte <strong>der</strong> Militärregierung werden umfassend ergänzt<br />

durch e<strong>in</strong>e Studie mit dem Titel Etude sur la Jeunesse dans le cercle de Constance 90 , die<br />

im Auftrag <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bezirksmilitärregierung 1951 erstellt wurde. Diese liefert<br />

gr<strong>und</strong>legende Daten <strong>und</strong> Informationen zur Situation <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> beiden Kreisen<br />

<strong>Konstanz</strong>. Dieser ausführliche Bericht enthält nicht nur zahlreiche aufschlussreiche<br />

quantitative <strong>und</strong> strukturelle Angaben, son<strong>der</strong>n auch Auskünfte zur E<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> Lage<br />

<strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> seitens <strong>der</strong> Franzosen.<br />

In Ergänzung des kommunalen <strong>und</strong> staatlichen Schriftguts wurde die Lokal- <strong>und</strong><br />

Regionalpresse auf Jugendthemen h<strong>in</strong> durchgesehen. Speziell für die Rekonstruktion <strong>der</strong><br />

<strong>Geschichte</strong> des Jugendbildungswerks erwies sich die private Dokumentensammlung des<br />

damaligen Stadtjugendpflegers Rudolf Kutscha, die <strong>der</strong> Verfasser<strong>in</strong> neben vielen <strong>in</strong>teressanten<br />

mündlichen H<strong>in</strong>weisen dankenswerterweise zur Verfügung gestellt wurde, als<br />

beson<strong>der</strong>s wertvoll. Das Gesagte trifft <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auf die lückenlos vorhandene Reihe<br />

sämtlicher Veranstaltungsprogramme für den Zeitraum 1947 bis 1971 zu. Die Bef<strong>und</strong>e aus<br />

den Archiven werden überdies durch die Schil<strong>der</strong>ungen Rudolf Kutschas, die e<strong>in</strong>e<br />

wichtige Ergänzung zu den schriftlichen Quellen bilden, vervollständigt.<br />

89 MAE AOFAA, C 1101/1 Délégation Provenciale du Bade Sud, L 1-101. Rapports périodiques<br />

1945-1949; Bezirk <strong>Konstanz</strong>; Détachement F de Constance; Gouvernement militaire d’Allemagne, Pays<br />

de Bade, Détachement I de Constance, 17. septembre 1945 (= Monatsbericht), 2me partie, Chapitre VII<br />

(jeunesse) sowie MAE AOFAA, C 1101/2, Rapports périodiques, Rapports trimestriels 1950-1951 <strong>und</strong><br />

C 4381, Etude sur la Jeunesse. Auszüge, auch mit Bezug zur Jugendpolitik, aus diesen Beständen liegen<br />

dem Fachbereich <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Universität <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> Kopie vor. Archivführer <strong>und</strong> Inventare:<br />

HEISER, Guide; KLÖCKLER, Geän<strong>der</strong>te Benutzungsmodalitäten, <strong>in</strong>: DER ARCHIVAR 48 (1995), S. 314;<br />

HUDEMANN, Deutsche <strong>Geschichte</strong> <strong>in</strong> französischen Archiven, <strong>in</strong>: DER ARCHIVAR 42 (1989), S. 475-488;<br />

WOLFRUM, Das französische Besatzungsarchiv <strong>in</strong> Colmar, <strong>in</strong>: GWU 40 (1989), S. 84-90.<br />

90 Etude sur la Jeunesse, S. 13; MAE AOFAA, C 4381.


I. 9 THEMENABGRENZUNG 23<br />

9 Themenabgrenzung<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Themenfülle können nicht alle politischen, sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Faktoren, die das Leben von Jugendlichen <strong>und</strong> die Arbeit mit Jugendlichen im Untersuchungszeitraum<br />

bee<strong>in</strong>flussten, behandelt werden. Es könnte e<strong>in</strong>gewendet werden, dass<br />

die vorliegende Arbeit die enorme Bedeutung <strong>der</strong> Schule auf die Jugendentwicklung zu<br />

wenig betont. Ohne Zweifel ist die Schule die wichtigste öffentliche Sozialisations<strong>in</strong>stanz<br />

für die Jugend. Die Schulpolitik betrifft im Gegensatz zur außerschulischen <strong>Jugendarbeit</strong><br />

die Gesamtheit <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de. Zudem nahm die Schul- <strong>und</strong><br />

Hochschulpolitik im Rahmen <strong>der</strong> französischen Umerziehungspolitik e<strong>in</strong>en hohen Stellenwert<br />

e<strong>in</strong>. 91 Da die Thematik jedoch für das erste Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

gut dokumentiert ist, kann sich diese Arbeit auf E<strong>in</strong>zelaspekte beschränken. 92 E<strong>in</strong>e<br />

wesentliche Schnittstelle bildet etwa die Geme<strong>in</strong>samkeit von schulischer <strong>und</strong> nichtschulischer<br />

Jugendpolitik, die beide jeweils für sich betrachtet Komponenten <strong>der</strong><br />

französischen Kultur- <strong>und</strong> Erziehungspolitik darstellten.<br />

Die verschiedenen Lebens- <strong>und</strong> Wirkungsbereiche von Jugendlichen waren zudem <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Nachkriegszeit noch kaum vernetzt. So gab es im Gegensatz zu heute beispielsweise<br />

so gut wie ke<strong>in</strong>e Kooperation zwischen außerschulischer <strong>Jugendarbeit</strong>, Schulen <strong>und</strong><br />

Ausbildungsbetrieben. Die Gebiete Jugendfürsorge <strong>und</strong> Jugendstrafrecht bilden ebenfalls<br />

eigenständige Themenbereiche, die e<strong>in</strong>e Vielzahl an Fragen aufwerfen, <strong>und</strong> werden daher<br />

im Rahmen dieser Arbeit nur überblicksartig behandelt.<br />

Weitestgehend unberücksichtigt bleiben aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> zahlreichen <strong>in</strong>dividuellen Unterschiede<br />

sowie mangels aussagekräftiger Quellen die unzähligen <strong>und</strong> breit gefächerten<br />

Ausdrucksformen eigenständiger bzw. häuslicher Freizeitgestaltung durch Jugendliche<br />

wie private Treffpunkte, kommerzielle Freizeitangebote o<strong>der</strong> die geme<strong>in</strong>sam o<strong>der</strong> alle<strong>in</strong><br />

gestaltete Freizeit von Jugendlichen, sei es am See o<strong>der</strong> <strong>in</strong> freier Natur.<br />

91 DEFRANCE, Politique Culturelle, S. 113.<br />

92 Die folgende Literaturauswahl beschränkt sich auf neuere Arbeiten <strong>der</strong> letzten 20 Jahre <strong>und</strong> erhebt<br />

ke<strong>in</strong>en Anspruch auf Vollständigkeit; für die französische Zone: ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission,<br />

S. 9-14; zu Baden: GROHNERT, Rééducation, <strong>in</strong>: WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 186-203; zu<br />

<strong>Konstanz</strong>: BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 97-101, S. 205-209,<br />

S. 412-423; STADT KONSTANZ (Hg.), Die Stadt <strong>und</strong> ihre Schulen; ELLENRIEDER-GYMNASIUM (Hg.), 100<br />

Jahre Ellenrie<strong>der</strong>-Gymnasium <strong>Konstanz</strong>; GEBHARDSCHULE KONSTANZ (Hg.), 75 Jahre Petershauser<br />

Volksschule; A. MOSER, Von <strong>der</strong> Fischbrutanstalt zur französischen Schule; GRUNDSCHULE<br />

ALLMANNSDORF (Hg.), 100 Jahre Schule Allmannsdorf; KLOSTER ZOFFINGEN (Hg.), Zweih<strong>und</strong>ert Jahre<br />

Schule Zoff<strong>in</strong>gen.


II Gründungsphase <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen<br />

Zone (1945-1949)<br />

1 Konzeptionen, Leitbil<strong>der</strong>, Zielvorstellungen<br />

Was die zeitliche Unterscheidung <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> nach <strong>Entwicklung</strong>sabschnitten<br />

anbelangt, so ist unter Bezugnahme auf die Ergebnisse <strong>der</strong> jüngeren Sozialgeschichtsforschung<br />

für die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg von e<strong>in</strong>er Neu- bzw. Wie<strong>der</strong>gründungsphase<br />

auszugehen. 93 Diese setzte im französischen Zonengebiet im Herbst 1945<br />

e<strong>in</strong> <strong>und</strong> war mit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik 1949 im Großen <strong>und</strong> Ganzen abgeschlossen.<br />

Bevor es im Fortgang <strong>der</strong> Untersuchung um die praktische Arbeit mit Jugendlichen<br />

<strong>in</strong> ihrer lokalgeschichtlichen Ausprägung geht, richtet sich <strong>der</strong> Blick zuerst auf<br />

allgeme<strong>in</strong>e Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für jugendliches Aufwachsen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>während</strong><br />

dieser Phase. Da die <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Besatzungszeit zwischen 1945 <strong>und</strong><br />

1949 entscheidend durch die Zuständigkeiten <strong>der</strong> Militärregierung geprägt war, ist im<br />

ersten Schritt auf die alliierten Konzeptionen, Leitbil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Zielsetzungen zur Demokratisierungs-,<br />

Bildungs-, Kultur- <strong>und</strong> Jugendpolitik e<strong>in</strong>zugehen. Im weiteren Schritt werden<br />

Geme<strong>in</strong>samkeiten <strong>und</strong> Unterschiede <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegspolitik <strong>der</strong> Alliierten unter beson<strong>der</strong>er<br />

Betrachtung <strong>der</strong> französischen Position diskutiert. In diesem Zusammenhang s<strong>in</strong>d<br />

kontroverse Deutschlandpläne französischer Politiker ebenso zu berücksichtigen wie die<br />

erwähnten unterschiedlichen Interpretationsmuster zur französischen Deutschlandpolitik<br />

vonseiten <strong>der</strong> Forschung.<br />

1.1 Demokratisierung durch Erziehung – Gr<strong>und</strong>sätze alliierter<br />

Erziehungs- <strong>und</strong> Jugendpolitik im besetzten Deutschland<br />

Die jugendpolitischen Maßnahmen, die im besetzten Deutschland unmittelbar nach Ende<br />

des Zweiten Weltkriegs <strong>in</strong>s Leben gerufen wurden, s<strong>in</strong>d im Kontext <strong>der</strong> Deutschlandpolitik<br />

<strong>der</strong> Alliierten zu betrachten. Die geme<strong>in</strong>samen völkerrechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong><br />

Alliierten für die Behandlung von Nachkriegsdeutschland nach <strong>der</strong> Befreiung wurden auf<br />

Konferenzen <strong>in</strong> Casablanca 94 , Teheran 95 , Jalta 96 <strong>und</strong> Potsdam 97 erarbeitet. Die zentralen<br />

Ergebnisse dieser Zusammentreffen lauteten: Aufteilung des ehemaligen Deutschen<br />

Reichs <strong>in</strong> den Grenzen von 1938 <strong>in</strong> vier Besatzungszonen, Westverschiebung <strong>der</strong> deutschpolnischen<br />

Grenze bis zu O<strong>der</strong> <strong>und</strong> Neiße, Übergang <strong>der</strong> ehemals deutschen Gebietsteile<br />

Ostpreußen, Schlesien <strong>und</strong> Pommern <strong>in</strong> polnische bzw. sowjetische Verwaltung, Verpflichtung<br />

zu Reparationen, Aufteilung <strong>der</strong> Hauptstadt <strong>in</strong> vier Sektoren <strong>und</strong> Status <strong>der</strong><br />

93 KRAFELD, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 129.<br />

94 Die Konferenz von Casablanca fand vom 14. bis 26.01.1943 statt.<br />

95 Die Konferenz von Teheran fand im November <strong>und</strong> Dezember 1943 statt.<br />

96 Konferenz von Jalta: 4.11.02.1945.<br />

97 Konferenz von Potsdam: 17.07.-02.08.1945.


26 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

geme<strong>in</strong>samen Besatzungshoheit <strong>der</strong> vier Mächte <strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong> Berl<strong>in</strong>. Kernpunkte<br />

<strong>der</strong> alliierten Deutschlandpolitik bildeten die „vier D“ 98 : Denazifizierung, Dezentralisierung,<br />

Demilitarisierung <strong>und</strong> Demokratisierung.<br />

Für den Neubeg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Erziehungs-, Bildungs- <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> hatte vor allem das<br />

Demokratisierungs-Postulat Relevanz. Wörtlich erklärten die Alliierten im Rahmen des<br />

Potsdamer Abkommens von 1945 dazu, dass sie „dem deutschen Volk die Möglichkeit<br />

geben wollten, sich darauf vorzubereiten, se<strong>in</strong> Leben auf e<strong>in</strong>er demokratischen <strong>und</strong><br />

friedlichen Gr<strong>und</strong>lage von Neuem wie<strong>der</strong> aufzubauen“. 99 Gr<strong>und</strong>voraussetzung war die<br />

Zerschlagung des Nationalsozialismus. Erst danach konnte <strong>der</strong> anschließende Aufbau<br />

demokratischer Strukturen <strong>in</strong> Politik <strong>und</strong> Gesellschaft beg<strong>in</strong>nen. Die Jugendpolitik <strong>der</strong><br />

Alliierten war zusammen mit <strong>der</strong> Medien-, Kultur-, Schul- <strong>und</strong> Sozialpolitik e<strong>in</strong>e von<br />

mehreren Maßnahmen, die dazu dienen sollten, demokratische Strukturen <strong>in</strong> Deutschland<br />

zu verankern. Die Demokratisierung Deutschlands sollte nach dem Willen <strong>der</strong> westlichen<br />

Alliierten nicht zuletzt im H<strong>in</strong>blick auf die Jugen<strong>der</strong>ziehung erfolgen, nachdem die<br />

nationalsozialistische Pädagogik K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen seit 1933 totalitäres<br />

Gedankengut wie Rassenhass <strong>und</strong> Militarismus auf breiter Basis gelehrt hatte. 100 Zu<br />

diesem Zweck wurde <strong>in</strong> das Potsdamer Abkommen <strong>der</strong> Passus aufgenommen, wonach<br />

„nazistische <strong>und</strong> militaristische Lehren“ aus dem Erziehungswesen „völlig entfernt [...]<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e erfolgreiche <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> demokratischen Ideen möglich gemacht“ 101 werden<br />

sollten. Aus Sicht <strong>der</strong> Siegermächte waren sowohl das Bildungswesen als auch die<br />

außerschulische <strong>Jugendarbeit</strong> gr<strong>und</strong>legend zu erneuern, da sie durch die nationalsozialistische<br />

Erziehungs- <strong>und</strong> Jugendpolitik beson<strong>der</strong>s vorbelastet waren. Da die Schulen <strong>und</strong><br />

die Hitler-Jugend als Jugend- <strong>und</strong> Nachwuchsorganisation <strong>der</strong> Nationalsozialistischen<br />

Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) bei <strong>der</strong> Vermittlung des nationalsozialistischen<br />

Gedankenguts e<strong>in</strong>e zentrale Rolle e<strong>in</strong>genommen hatten, setzte die Jugendpolitik <strong>der</strong><br />

Alliierten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit zum e<strong>in</strong>en bei <strong>der</strong> Reform des Bildungssektors sowie zum<br />

an<strong>der</strong>en bei <strong>der</strong> Erneuerung <strong>der</strong> Jugendbewegung an. Die Politik, die aus den oben<br />

genannten Zielsetzungen resultierte, stammte aus dem Englischen <strong>und</strong> wurde unter dem<br />

amerikanischen Begriff Reeducation bekannt. In den an<strong>der</strong>en Besatzungszonen wurden<br />

zudem an<strong>der</strong>e Begriffe verwendet: Re-Orientation bei den Briten, „antifaschistischdemokratische<br />

Umgestaltung“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> sowjetischen Besatzungszone. Im französischen<br />

Besatzungsgebiet wurde die Bezeichnung rééducation 102 gebräuchlich. Diese bildete<br />

ebenso wie die ähnlich <strong>in</strong>tendierte action culturelle e<strong>in</strong> weitestgehend „eigenständiges<br />

Element <strong>der</strong> französischen Besatzungspolitik.“ 103<br />

98<br />

ESCHENBURG, Besatzung, S. 21-53.<br />

99<br />

Zitiert nach CONZE, Deutsche <strong>Geschichte</strong>, S. 297.<br />

100<br />

Vgl. die Analyse deutscher NS-Schulbücher von E. MANN, Erziehung <strong>der</strong> Jugend, S. 98-129.<br />

101<br />

Potsdamer Abkommen, Abschnitt III.7, zitiert nach JÜRGENSEN, Political Reeducation, <strong>in</strong>: HEINEMANN<br />

(Hg.), Umerziehung, S. 114-139, hier S. 119. Die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens wurden<br />

auch im SÜDKURIER vom 08.09.1945 (=Erstausgabe) abgedruckt.<br />

102<br />

SCHMITTLEIN, Umerziehung, S. 161-187.<br />

103<br />

ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 319.


II.1 KONZEPTIONEN, LEITBILDER, ZIELVORSTELLUNGEN 27<br />

1.2 E<strong>in</strong>e demokratische Jugend als Garant für das Gel<strong>in</strong>gen <strong>der</strong><br />

rééducation – Aspekte französischer Jugendpolitik <strong>in</strong> Deutschland<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit<br />

Der damaligen Leiter <strong>der</strong> Jugendbehörde <strong>der</strong> Landesdelegation Südbaden, Jacques<br />

DESHAYES, fasste 1948 die Leitgedanken französischer Jugendpolitik im besetzten<br />

Deutschland wie folgt zusammen:<br />

„[…] Die deutsche Jugend umzuerziehen <strong>und</strong> auf den Weg <strong>der</strong> Demokratie zu führen,<br />

bedeutet im wesentlichen, die Untugenden <strong>und</strong> Verirrungen <strong>der</strong> Hitlerjugend zu<br />

korrigieren <strong>und</strong> die Mängel <strong>und</strong> Fehler zu beheben, die e<strong>in</strong>er Ausbildung durch sie<br />

anhafteten.[…]“ 104<br />

Mit dieser Aussage ist e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> zentralen alliierten Kriegsziele benannt: Demokratisierung<br />

durch Entnazifizierung <strong>und</strong> Erziehung. Im Allgeme<strong>in</strong>en entsprach die französische<br />

Deutschlandpolitik, trotz <strong>der</strong> vielen Unstimmigkeiten, welche die Besatzungsmächte<br />

untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> hatten, <strong>in</strong> weiten Teilen den <strong>in</strong> Potsdam formulierten For<strong>der</strong>ungen. 105 Ohne<br />

Zweifel bildete die Demokratisierungspolitik e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>tegralen Bestandteil nicht nur <strong>der</strong><br />

angelsächsischen <strong>und</strong> amerikanischen, son<strong>der</strong>n ebenso <strong>der</strong> französischen Deutschlandpolitik.<br />

Diese Übere<strong>in</strong>stimmung ersche<strong>in</strong>t zunächst wenig verw<strong>und</strong>erlich; schließlich war<br />

Frankreich als Mitglied des Alliierten Kontrollrates <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschlandfrage selbstverständlich<br />

den Zielen <strong>der</strong> Verbündeten im Gr<strong>und</strong>satz verpflichtet. 106 Analog zur britischen<br />

<strong>und</strong> amerikanischen Zone wurden im französischen Besatzungsgebiet Reformen im<br />

Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kultur als Beitrag gesehen, um die deutsche Politik <strong>und</strong><br />

Gesellschaft von nationalsozialistischem Gedankengut zu befreien <strong>und</strong> mit demokratischen<br />

Werten vertraut zu machen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs legten die Verbündeten, obwohl sie im Gr<strong>und</strong>satz über die Frage <strong>der</strong><br />

Demokratisierung übere<strong>in</strong>stimmten, die Postulate jeweils unterschiedlich aus, wobei die<br />

jeweils nationalen Interessen <strong>und</strong> Beson<strong>der</strong>heiten zu berücksichtigen s<strong>in</strong>d. Die wichtigsten<br />

Charakteristika <strong>und</strong> die politischen H<strong>in</strong>tergründe französischer Jugendpolitik im besetzten<br />

Deutschland, die <strong>während</strong> <strong>der</strong> direkten Besatzungsphase auf die Gestaltungsmöglichkeiten<br />

<strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong>wirkten, s<strong>in</strong>d Thema <strong>und</strong> Gegenstand <strong>der</strong> folgenden<br />

Abschnitte. Dabei ist unter an<strong>der</strong>em die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschung kontrovers diskutierte Frage,<br />

welcher Stellenwert <strong>der</strong> französischen Kulturpolitik <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Besatzungspolitik<br />

zufiel, zu erörtern.<br />

104<br />

DESHAYES, Jugendbewegung, <strong>in</strong>: VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 187-195.<br />

105<br />

ALTMANN (Hg.), Frieden, S. 87-103.<br />

106<br />

ABENDROTH, Frankreich <strong>und</strong> das Potsdamer Abkommen, <strong>in</strong>: ZfP NF 2 (1954), S. 71-74.


28 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

1.2.1 Umerziehung <strong>der</strong> deutschen Jugend im Rahmen <strong>der</strong> französischen<br />

Sicherheitspolitik<br />

Die Forschung geht heute, gestützt auf zahlreiche jüngere Studien zur französischen<br />

Deutschlandpolitik, mehrheitlich von e<strong>in</strong>er gr<strong>und</strong>sätzlichen Übere<strong>in</strong>stimmung zwischen<br />

besatzungspolitischen <strong>und</strong> deutschlandpolitischen Positionen aus. 107 Die jüngere Zeitgeschichtsforschung<br />

betrachtet im Gegensatz zur älteren Geschichtsschreibung demokratiepolitische<br />

Maßnahmen wie den Aufbau e<strong>in</strong>er strukturierten <strong>Jugendarbeit</strong> nicht mehr<br />

isoliert von an<strong>der</strong>en Ebenen <strong>der</strong> französischen Deutschlandpolitik, ohne jedoch zu verkennen,<br />

dass die rééducation <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Besatzungspolitik niemals den gleichen Rang<br />

wie etwa die Wirtschaftspolitik besaß. Den Untersuchungen HUDEMANNs 108 zufolge ist die<br />

Kulturpolitik als Komponente <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Besatzungspolitik <strong>und</strong> Teil <strong>der</strong> übergreifenden<br />

Demokratisierungspolitik zu begreifen, die <strong>der</strong> Friedenssicherung <strong>in</strong> Europa<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt dienen sollte. E<strong>in</strong> Blick auf die jugendpolitischen Zielsetzungen <strong>der</strong><br />

Franzosen vermag diese These zu bestätigen. Denn Umerziehungsmaßnahmen im<br />

Jugendbereich wurden <strong>in</strong> den Reihen <strong>der</strong> Militärregierung im H<strong>in</strong>blick auf die Bildung<br />

demokratischer Strukturen <strong>in</strong> Deutschland als e<strong>in</strong>e gute Investition <strong>in</strong> die Zukunft<br />

angesehen. Der Landesdelegierte für Württemberg-Hohenzollern, Henri Humblot, vertrat<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Beitrag 1947 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitschrift Esprit die Auffassung, die Zukunft Deutschlands<br />

h<strong>in</strong>ge von <strong>der</strong> dort lebenden Jugend ab, bei ihr müsse daher die Demokratieerziehung<br />

ansetzen – „C’est un lieu commun de proclamer que l’avenir de l’Allemagne dépend de sa<br />

jeunesse.“ 109 Junge Menschen galten aus französischer Sicht als beson<strong>der</strong>s lernfähig im<br />

H<strong>in</strong>blick auf den Erwerb demokratischer Denk- <strong>und</strong> Verhaltensweisen. Führende<br />

französische Jugendpolitiker wie Schmittle<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Moreau bezeichneten die Jugend als<br />

„enthusiastisch, begeisterungsfähig <strong>und</strong> an großen Vorbil<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Plänen <strong>in</strong>teressiert“ <strong>und</strong><br />

prognostizierten <strong>der</strong> nachwachsenden Generation aufgr<strong>und</strong> dieser Eigenschaften gute<br />

Chancen, was ihre Demokratiefähigkeit anbelangte. 110 Der Leiter <strong>der</strong> Erziehungsbehörde<br />

<strong>in</strong> Baden-Baden, Raymond SCHMITTLEIN, unterschied scharf zwischen Erwachsenen <strong>und</strong><br />

Jugendlichen, wenn es um die E<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> Erfolgsaussichten von Umerziehungsmaßnahmen<br />

g<strong>in</strong>g. Junge Menschen hielt er aufgr<strong>und</strong> ihrer Fähigkeit, sich Neuem<br />

gegenüber aufgeschlossen zu zeigen, gr<strong>und</strong>sätzlich für demokratiefähig; alle, die älter als<br />

dreißig Jahre waren, galten ihm <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong>dessen als „unbelehrbar“ 111 , da diese<br />

ihren geistigen <strong>Entwicklung</strong>sprozess abgeschlossen <strong>und</strong> ihren Lebensunterhalt gesichert<br />

hätten. Man war sich durchaus bewusst, dass dieselben Dispositionen die Jugend zugleich<br />

107<br />

Zur französischen Deutschlandpolitik vgl. v. a. MARTENS (Hg.), Vom „Erbfe<strong>in</strong>d“ zum „Erneuerer“;<br />

ZIEBURA, Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945; HÜSER, Frankreichs „doppelte<br />

Deutschlandpolitik“; KIERSCH, Die französische Deutschlandpolitik, <strong>in</strong>: SCHARF; SCHRÖDER (Hgg.),<br />

Stabilisierung, S. 61-76; SCHARF; SCHRÖDER (Hgg.), Die Deutschlandpolitik Frankreichs; WILLIS, The<br />

French <strong>in</strong> Germany; MENUDIER, L'Allemagne occupée; WOLFRUM, Die französische Politik im besetzten<br />

Deutschland, <strong>in</strong>: HOCHSTUHL (Hg.), Deutsche <strong>und</strong> Franzosen, S. 61-73; JURT, Besatzungszeit.<br />

108<br />

HUDEMANN, Gr<strong>und</strong>probleme, <strong>in</strong>: INSTITUT FRANÇAIS DE STUTTGART, Deutschlandpolitik,<br />

S. 27-40; DERS. Direktiven, <strong>in</strong>: KNIPPING; LE RIDER (Hgg.), Kulturpolitik, S. 15-23; HÜSER, Frankreichs<br />

„doppelte Deutschlandpolitik“, S. 422.<br />

109<br />

MOMBERT, Jeunesse et Livre, S. 30.<br />

110<br />

SÜDKURIER vom 03.04.1947.<br />

111<br />

SCHMITTLEIN, Umerziehung, <strong>in</strong>: VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 163.


II.1 KONZEPTIONEN, LEITBILDER, ZIELVORSTELLUNGEN 29<br />

für die Vere<strong>in</strong>nahmung durch die nationalsozialistische Propaganda empfänglich gemacht<br />

hatten; viele französische Politiker <strong>und</strong> Verwaltungsangestellte, die mit jugendpolitischen<br />

Fragestellungen zu tun hatten, g<strong>in</strong>gen jedoch davon aus, dass die deutsche Jugend ke<strong>in</strong>e<br />

Schuld an <strong>der</strong> nationalsozialistischen Vergangenheit träfe.<br />

Trotz ihrer gr<strong>und</strong>sätzlich positiven E<strong>in</strong>stellung gegenüber <strong>der</strong> deutschen Jugend<br />

glaubten die Siegermächte allerd<strong>in</strong>gs, dass Deutschland nach zwölf Jahren Nationalsozialismus<br />

<strong>und</strong> Diktatur e<strong>in</strong>e demokratische Erneuerung nicht aus eigener Kraft heraus<br />

schaffen werde <strong>und</strong> daher die rééducation <strong>der</strong> Kontrolle bedürfe. 112 Wie viele Angehörige<br />

<strong>der</strong> Militärregierung glaubte etwa Jacques DESHAYES, dass „dezentrale Verwaltungsstrukturen<br />

<strong>in</strong> Deutschland Frankreich davor schützen könnten, dass man durch deutsches<br />

Zutun wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en blutigen Konflikt gestürzt“ werde. 113 Die Dezentralisationspolitik<br />

hatte für die <strong>Jugendarbeit</strong> beispielsweise zur Folge, dass sich jugendpflegerische<br />

Initiativen analog zur allgeme<strong>in</strong>en Kulturarbeit zunächst <strong>in</strong> jedem Kreisgebiet für sich<br />

entwickelten, da die Land- <strong>und</strong> Stadtkreise zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Besatzung bis zur Gründung <strong>der</strong><br />

Län<strong>der</strong> ab 1946 die kle<strong>in</strong>sten Verwaltungse<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone bildeten.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus standen Jugendorganisationen <strong>und</strong> die Verantwortlichen <strong>der</strong> kommunalen<br />

Jugendpflege unter Beobachtung <strong>der</strong> Militärbehörden. Zwar unterschied sich die<br />

französische Position pr<strong>in</strong>zipiell nicht von <strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Alliierten, zumal diese<br />

For<strong>der</strong>ung im Potsdamer Abkommen formuliert worden war. Die Kontrollen fielen<br />

<strong>in</strong>dessen im Vergleich zur amerikanischen Zone schärfer aus. Zudem dauerte es länger, bis<br />

sich die Jugendverbände nicht nur auf <strong>der</strong> lokalen Ebene, son<strong>der</strong>n auch überregional<br />

zusammenschließen durften.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs g<strong>in</strong>g die offizielle Pariser Regierungspolitik trotz ihres ansonsten dezentral<br />

ausgerichteten Deutschlandkurses nicht so weit, separatistische Kräfte im deutschen<br />

Südwesten zu unterstützen. Zu den exponierten Vertretern dieser Auffassung zählte <strong>der</strong><br />

„Heimatb<strong>und</strong>“, <strong>der</strong> von namhaften südbadischen Regionalpolitikern <strong>und</strong> Verwaltungsangestellten<br />

getragen wurde. Dazu zählten <strong>der</strong> S<strong>in</strong>gener Oberbürgermeister Bernhard<br />

Dietrich <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Stadtarchivar Otto Feger. Ziel dieser Autonomiebewegung<br />

war es, „e<strong>in</strong>en unabhängigen, demokratischen Staat auf dem Gebiet des alten schwäbischalemannischen<br />

Volkes unter Berücksichtigung <strong>der</strong> bodenständigen Bevölkerung <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong> Reichsgrenzen“ 114 zu errichten. Obwohl es <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Militärregierung e<strong>in</strong>ige<br />

Sympathisanten für e<strong>in</strong> solches Bestreben gab 115 , verh<strong>in</strong><strong>der</strong>te Paris letztlich Otto Fegers<br />

„schwäbisch-alemannische Alternative“ 116 , wie KLÖCKLER nachweist. Stattdessen<br />

tendierte die offizielle Politik Frankreichs dazu, die Län<strong>der</strong> Baden <strong>und</strong> Württemberg <strong>in</strong><br />

ihren alten Grenzen zu restituieren, was jedoch letztlich am Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> USA<br />

scheiterte.<br />

112<br />

HUDEMANN, Zentralismus <strong>und</strong> Dezentralisierung, <strong>in</strong>: BECKER (Hg.), Kapitulation, S. 118-209.<br />

113<br />

DESHAYES, Jugendbewegung, <strong>in</strong>: VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 12 <strong>und</strong> 187.<br />

114<br />

Statuten des Heimatb<strong>und</strong>es (1945), zitiert nach KLÖCKLER, Autonomistische Neuglie<strong>der</strong>ungspläne, (o. J./<br />

o. D., o. Sz.).<br />

115<br />

WOLFRUM, Neuglie<strong>der</strong>ungspläne, <strong>in</strong>: ZGO Rh NF 137 (1989), S. 428-452.<br />

116<br />

KLÖCKLER, Schwäbisch-alemannische Alternative, <strong>in</strong>: CRIVELARI U. A. (Hgg.), Baden, S. 25-36.


30 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

1.2.2 <strong>Jugendarbeit</strong> im Kontext <strong>der</strong> französischen Kulturmission<br />

Frankreich setzte wie alle Verbündeten, abhängig vom eigenen Demokratieverständnis<br />

<strong>und</strong> den nationalen Beson<strong>der</strong>heiten, trotz geme<strong>in</strong>samer Ziele besatzungspolitisch eigene<br />

Akzente. E<strong>in</strong>e Beson<strong>der</strong>heit französischer Jugendpolitik im besetzten Deutschland bestand<br />

dar<strong>in</strong>, dass <strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong> Kulturarbeit stark betont wurde. WOLFRUM 117 begründet diese<br />

beson<strong>der</strong>e Schwerpunktlegung mit dem hohen Stellenwert, welcher <strong>der</strong> Kultur <strong>in</strong><br />

Frankreich zugewiesen wird; so galt sie gerade auch <strong>während</strong> <strong>der</strong> Besatzungsphase als<br />

„<strong>in</strong>tegraler Bestandteil des politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Lebens“ sowie als<br />

„Gr<strong>und</strong>lage nationaler Identität“. In diesem S<strong>in</strong>ne war Demokratisierungspolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

französischen Besatzungszone mehr als <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en Zonen „im hohen Maß immer auch<br />

Kulturpolitik“. Zudem waren die Bereiche Kultur-, Bildungs- <strong>und</strong> Demokratieerziehung<br />

nach französischem Verständnis beson<strong>der</strong>s eng mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verwoben. Bezogen auf die<br />

Fragestellung dieser Arbeit bedeutet dies, dass die <strong>Jugendarbeit</strong> zusammen mit an<strong>der</strong>en<br />

Kulturmaßnahmen e<strong>in</strong>en Teil e<strong>in</strong>es komplexen Reformpakets bildete. Zusammen mit<br />

weiteren bildungs- <strong>und</strong> kulturpolitischen Maßnahmen lässt sie sich als Komponente <strong>der</strong><br />

französischen l’action culturelle begreifen. Mit dieser Bezeichnung s<strong>in</strong>d die französischen<br />

Bemühungen <strong>während</strong> <strong>der</strong> ersten Nachkriegsjahre umschrieben, die darauf abzielten, mit<br />

Hilfe von Angeboten aus Kultur, Literatur, Theater <strong>und</strong> Musik E<strong>in</strong>fluss auf den Geist <strong>der</strong><br />

deutschen Bevölkerung zu nehmen <strong>und</strong> demokratisches Gedankengut zu vermitteln.<br />

1.2.3 <strong>Jugendarbeit</strong> als sozialpolitische Maßnahme<br />

Neben den mehr theoretisch orientierten kultur- <strong>und</strong> demokratiepolitischen Zielsetzungen<br />

<strong>der</strong> Alliierten hatte <strong>der</strong> Aufbau neuer Ausdrucksformen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> im Besatzungsalltag<br />

jedoch ganz pragmatische Gründe, die sich hauptsächlich aus <strong>der</strong> Praxis des<br />

Besatzungsalltags ergaben.<br />

E<strong>in</strong> schnelles Handeln auf diesem Gebiet gebot die damals vorherrschende allgeme<strong>in</strong>e<br />

„Jugendnot“. Der Begriff bezeichnete e<strong>in</strong>e ganze Reihe negativer E<strong>in</strong>flüsse, die auf die<br />

Nachkriegsjugend e<strong>in</strong>wirkten, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die soziale <strong>und</strong> wirtschaftliche Not, das<br />

Verbot <strong>der</strong> Jugendorganisationen <strong>und</strong> die Schließung <strong>der</strong> Schulen. Diese E<strong>in</strong>drücke, die<br />

teils aus <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus, teils aus <strong>der</strong> Besatzungssituation resultierten,<br />

wurden <strong>in</strong> weiten Teilen <strong>der</strong> Militärregierung <strong>und</strong> <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung übere<strong>in</strong>stimmend<br />

als Gefahr für die junge Generation betrachtet. Die Rede von <strong>der</strong> „entwurzelten<br />

deutschen Jugend“ 118 war unter den Zeitgenossen e<strong>in</strong>e oft verwendete Umschreibung für<br />

den geistigen Zustand <strong>der</strong> Jugend. Das Phänomen wurde auf unterschiedlichste Art<br />

beschrieben. Französische Kreisdelegierte reflektierten beispielsweise über das aus ihrer<br />

Sicht niedrige „geistige <strong>und</strong> moralische Niveau“ 119 <strong>der</strong> deutschen Jugend; Kirchenvertreter<br />

klagten erwartungsgemäß über <strong>der</strong>en „sittlichen <strong>und</strong> moralischen Verfall“; deutsche<br />

Kommunalpolitiker <strong>und</strong> Eltern sorgten sich über die Zunahme von Verwahrlosung <strong>und</strong><br />

117 Dieses <strong>und</strong> die folgenden Zitate nach WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 200.<br />

118 MOREAU, <strong>Jugendarbeit</strong>, <strong>in</strong>: VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 23-41, hier S. 25.<br />

119 MOMBERT, Jeunesse et Livre, S. 67.


II.1 KONZEPTIONEN, LEITBILDER, ZIELVORSTELLUNGEN 31<br />

Krim<strong>in</strong>alität o<strong>der</strong> wünschten sich für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> wie<strong>der</strong> Schulunterricht <strong>und</strong> Ausbildungsplätze.<br />

Doch selbst wenn das Ausmaß <strong>der</strong> Gefahren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit unterschiedlich<br />

bewertet wurde, so waren sich alle Verantwortlichen, die mit Jugendlichen zu tun hatten,<br />

darüber e<strong>in</strong>ig, dass die ungünstige Lage <strong>der</strong> Jugend nach baldigen politischen Lösungen<br />

verlangte <strong>und</strong> dr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> Handlungsbedarf im H<strong>in</strong>blick auf den Wie<strong>der</strong>aufbau des<br />

Schulwesens <strong>und</strong> <strong>der</strong> außerschulischen <strong>Jugendarbeit</strong> bestand.<br />

1.3 Frankreichs Position im Kreis <strong>der</strong> Alliierten<br />

Während vor allem die Amerikaner stets als Repräsentanten für Befreiung <strong>und</strong> Demokratisierung<br />

nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelten, gehen die Me<strong>in</strong>ungen, was<br />

Frankreich angeht, <strong>in</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> Publizistik bezüglich dieser Frage ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>.<br />

Erst seit <strong>der</strong> „revisionistischen Wende“ 120 <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Zeitgeschichtsforschung zur<br />

französischen Deutschland- <strong>und</strong> Besatzungspolitik wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichtsschreibung auch<br />

Frankreich <strong>der</strong> Wille zur Reformpolitik gr<strong>und</strong>sätzlich zugestanden, <strong>während</strong> die ältere<br />

Forschung von konträren Zielsetzungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kulturpolitik <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wirtschaftspolitik<br />

ausg<strong>in</strong>g. 121 Nicht zu bestreiten ist allerd<strong>in</strong>gs die Tatsache, dass die französische<br />

Besatzungspolitik auf die Zeitgenossen äußerst diskrepant wirkte. Obwohl parallel zur<br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Besatzungsgebieten <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone auf den Gebieten<br />

Bildungs- <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> zahlreiche Reformen auf den Weg gebracht wurden, genoss<br />

die französische Variante <strong>der</strong> Reeducation-Politik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit e<strong>in</strong> negatives<br />

Image. Dieses kam schon alle<strong>in</strong> auf sprachlicher Ebene zum Ausdruck, <strong>in</strong>dem <strong>der</strong> Begriff<br />

rééducation <strong>in</strong> deutscher Übersetzung als „Umerziehungspolitik“ bezeichnet wurde. 122 Die<br />

Gründe für diese Haltung waren vielgestaltig. Vor<strong>der</strong>gründig schienen die gesellschaftlichen<br />

Reformen den Tendenzen, die Zone politisch <strong>und</strong> wirtschaftlich zu beherrschen –<br />

was sich etwa <strong>in</strong> <strong>der</strong> strikten Kontrolle des öffentlichen Lebens <strong>und</strong> den Wirtschaftsdemontagen<br />

äußerte –, aus Sicht <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung diametral gegenüberzustehen.<br />

Nicht selten lief die Art <strong>und</strong> Weise, wie die Franzosen ihre Reformen zu vermitteln<br />

versuchten, deshalb <strong>in</strong>s Leere, weil die e<strong>in</strong>heimische Bevölkerung das Auftreten e<strong>in</strong>zelner<br />

Repräsentanten <strong>der</strong> Militärregierung teilweise als arrogant <strong>und</strong> imperialistisch empfand.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> wurden viele <strong>der</strong> konstruktiven Gedanken, die <strong>der</strong> französischen<br />

Demokratisierungs-, Kultur- <strong>und</strong> Jugendpolitik ohne Zweifel zugr<strong>und</strong>e lagen, von <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit als solche kaum wahrgenommen. Dazu trug die Tatsache bei, dass <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong> französischen Nachkriegspolitik die Frage, wie mit Deutschland zu verfahren sei,<br />

nach Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst unterschiedlich bewertet wurde.<br />

120 Begriff nach WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 12.<br />

121 LOTH, Die deutsche Frage, <strong>in</strong>: HERBST (Hg.), Westdeutschland, S. 37-49.<br />

122 PLUM macht darauf aufmerksam, dass „<strong>der</strong> Begriff Umerziehung bzw. Reeducation o<strong>der</strong> Rééducation<br />

facettenreich ist <strong>und</strong> zwei Hauptkomponenten impliziert: e<strong>in</strong>e repressive, die sich mit den Schlagwörtern<br />

‚Entnazifizierung‘, ‚Entpreußung‘, ‚Erziehungskontrolle‘ umreißen lässt, <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e konstruktive, die auf<br />

Demokratisierung zielte“; vgl. PLUM, Französische Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland, S. 10.


32 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

Bezeichnend für diese Haltung ist die Politik Charles de Gaulles (1890-1970).<br />

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg <strong>und</strong> <strong>während</strong> se<strong>in</strong>er Amtszeit als Staatspräsident<br />

<strong>der</strong> 4. Französischen Republik (1944; provisorisch 1945-1946) votierte er für e<strong>in</strong>e strikte<br />

französische Dom<strong>in</strong>anzpolitik gegenüber dem Nachbarland <strong>und</strong> for<strong>der</strong>te neben <strong>der</strong><br />

wirtschaftlichen Hegemonie Frankreichs <strong>in</strong> Europa die politische Dezentralisierung<br />

Deutschlands. Diese Vorstellung be<strong>in</strong>haltete die Zerschlagung Preußens, die Gründung<br />

e<strong>in</strong>es lockeren Staatenb<strong>und</strong>es, den Son<strong>der</strong>status für das Saargebiet <strong>und</strong> das Rhe<strong>in</strong>land. 123<br />

De Gaulles politisches Handeln <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegsära resultierte aus den Erfahrungen<br />

<strong>während</strong> des Krieges, als se<strong>in</strong> Haupte<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> Befreiung Frankreichs galt. Seit 1943<br />

führte er die Wi<strong>der</strong>standsbewegung an, die nach <strong>der</strong> Besetzung Frankreichs durch Hitlers<br />

Truppen 1940 im Exil erst <strong>in</strong> London, dann von Algier aus aktiv wurde, was maßgeblich<br />

zur Beteiligung Frankreichs an <strong>der</strong> Anti-Hitler-Koalition beitrug. Später, <strong>während</strong> se<strong>in</strong>er<br />

langjährigen Amtszeit als Präsident <strong>der</strong> 5. Französischen Republik (1958-1969), brachte<br />

de Gaulle die deutsch-französische Verständigungspolitik geme<strong>in</strong>sam mit Adenauer auf<br />

den Weg. 124 E<strong>in</strong> Höhepunkt dieser <strong>Entwicklung</strong> war <strong>der</strong> Elysée-Vertrag vom 22. Januar<br />

1963, mit dem Frankreich <strong>und</strong> Deutschland das F<strong>und</strong>ament für die Zusammenarbeit bei<strong>der</strong><br />

Staaten legten. 125<br />

Die Frage „Que faire de l’Allemagne?“ 126 spalte die politische Landschaft im<br />

Frankreich <strong>der</strong> Nachkriegszeit. Während sich die französischen Gaullisten für e<strong>in</strong> dezentrales<br />

Deutschland <strong>und</strong> französische Hegemonie <strong>in</strong> Europa aussprachen, plädierten die<br />

französischen Sozialisten mehrheitlich für die Reformierung <strong>und</strong> Integration Deutschlands<br />

<strong>in</strong> die Völkergeme<strong>in</strong>schaft Europas. 127 Diese Me<strong>in</strong>ung vertraten beispielsweise <strong>der</strong> Generalverwalter<br />

<strong>der</strong> französischen Zone, Emile Laffon (1945-1947), <strong>und</strong> <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong><br />

Erziehungsbehörde <strong>in</strong> Baden-Baden, Raymond Schmittle<strong>in</strong>. Die französische Öffentlichkeit<br />

tendierte mehrheitlich zur Position de Gaulles. 1945 waren 78 Prozent <strong>der</strong> Franzosen<br />

für die staatliche Zerstückelung Deutschlands. 128 Aber auch wenn sich Regierungspolitiker<br />

<strong>und</strong> Opposition über die Wege zum Ziel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschlandpolitik une<strong>in</strong>ig waren, so<br />

stimmten sie bezüglich <strong>der</strong> Sicherheitsfrage übere<strong>in</strong>. Französische Politiker aller Couleur<br />

befürworteten Reformen bei gleichzeitig starker Kontrolle. So sprach sich selbst <strong>der</strong><br />

123 POIDEVIN, Stabilisierung, <strong>in</strong>: SCHARF; SCHRÖDER (Hgg.), Deutschlandpolitik, S. 17-25.<br />

124 KUSTERER, Kanzler; MANFRASS (Hg.), Paris – Bonn; MAILLARD, De Gaulle <strong>und</strong> Deutschland;<br />

SCHUNCK, Deutschlandpolitik Charles de Gaulles; LINSEL, Charles de Gaulle <strong>und</strong> Deutschland.<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Fülle <strong>der</strong> Publikationen sei an dieser Stelle lediglich auf die deutschsprachigen Biografien<br />

über Charles de Gaulle von SCHUNCK, WEISENFELD sowie KAPFERER h<strong>in</strong>gewiesen.<br />

125 An dieser Stelle sei auf die SÜDKURIER-Reihe „40 Jahre Deutsch-Französischer Vertrag“ h<strong>in</strong>gewiesen:<br />

vgl. hier v. a. den Beitrag „Aus Erbfe<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d Partner geworden“, SÜDKURIER vom 15.01.2003 <strong>und</strong> die<br />

Berichterstattung anlässlich <strong>der</strong> Feierlichkeiten <strong>in</strong> Paris, SÜDKURIER vom 24.01.2003.<br />

126 Dieser später zur stehenden Formulierung gewordene Frageansatz basiert auf dem gleichnamigen Titel<br />

<strong>der</strong> 1945 noch vor <strong>der</strong> deutschen Kapitulation erschienenen Schrift des jungen Germanisten <strong>und</strong> späteren<br />

Mitarbeiters <strong>der</strong> französischen Besatzungsverwaltung, Pierre GRAPPIN , <strong>der</strong> <strong>in</strong>sgesamt zu dem Ergebnis<br />

kommt, dass man <strong>in</strong> Frankreich noch ke<strong>in</strong>e fest umrissenen Vorstellungen für die Lösung dieser Frage<br />

habe.<br />

127 Ausführlich dargestellt bei WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 36-42.<br />

128 LOTH, Die Franzosen <strong>und</strong> die deutsche Frage, <strong>in</strong>: SCHARF/SCHRÖDER (Hgg.), Deutschlandpolitik,<br />

S. 27-48, hier S. 31.


II.1 KONZEPTIONEN, LEITBILDER, ZIELVORSTELLUNGEN 33<br />

Sozialist <strong>und</strong> Reformanhänger Laffon für e<strong>in</strong>e lange Besatzungsphase aus; m<strong>in</strong>destens<br />

zehn Jahre, im Rhe<strong>in</strong>land sogar e<strong>in</strong>e dauerhafte Präsenz, hielt er für angebracht. 129<br />

Die dom<strong>in</strong>ante Haltung, welche die offizielle französische Regierungspolitik nach<br />

Kriegsende nach außen h<strong>in</strong> vertrat, stand den Auffassungen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Alliierten <strong>in</strong><br />

vielen Punkten diametral entgegen. 130 Die Me<strong>in</strong>ungen g<strong>in</strong>gen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e bezüglich <strong>der</strong><br />

Frage <strong>der</strong> politischen E<strong>in</strong>heit Deutschlands ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. 131 Allerd<strong>in</strong>gs war zunächst nicht<br />

nur die französische, son<strong>der</strong>n auch die angelsächsische Deutschlandpolitik nach 1945<br />

durch unterschiedliche Vorstellungen geprägt. 132 E<strong>in</strong>ige Besatzungspolitiker <strong>in</strong> England<br />

<strong>und</strong> den USA vertraten die Auffassung, Deutschland müsse unter Kontrolle gestellt sowie<br />

wirtschaftlich <strong>und</strong> politisch geschwächt werden. Diese Haltung verfochten <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

die Anhänger des Morgenthau-Plans 133 <strong>in</strong> den USA, die Nachkriegsdeutschland als re<strong>in</strong>es<br />

Agrarland ohne politische Bedeutung vorsahen. Paradigmatisch für die britische Variante<br />

von „Dom<strong>in</strong>anzpolitik“ s<strong>in</strong>d die Anhänger des Vansittartismus 134 mit ihrer For<strong>der</strong>ung<br />

nach e<strong>in</strong>er globalen Verurteilung aller Deutschen zu nennen. Zwar stellten im Sommer<br />

1945 <strong>der</strong> US-Präsident Truman, <strong>der</strong> britische Premier Atlee sowie <strong>der</strong> russische Staatschef<br />

Stal<strong>in</strong>, was die Frage nach <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit <strong>und</strong> Regierung Deutschlands ang<strong>in</strong>g, unmissverständlich<br />

klar, dass „bis auf weiteres [...] ke<strong>in</strong>e zentrale deutsche Regierung errichtet<br />

werden“ 135 sollte, weiterreichende Pläne für e<strong>in</strong>e radikale Zerstückelung Deutschlands, die<br />

noch kurz vor Kriegsende <strong>in</strong> amerikanischen <strong>und</strong> britischen Generalstäben diskutiert<br />

worden waren, gehörten allerd<strong>in</strong>gs seit Potsdam <strong>der</strong> Vergangenheit an. 136<br />

Da die Zonenpolitik gr<strong>und</strong>sätzlich dezentral strukturiert war, setzten Amerikaner,<br />

Briten, Russen <strong>und</strong> Franzosen jeweils an<strong>der</strong>e Akzente beim Aufbau <strong>der</strong> jeweils eigenen<br />

Verwaltungsstrukturen <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Durchführung besatzungspolitischer Maßnahmen.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus trugen die ideologischen Gräben im Alliierten Kontrollrat dazu bei, dass<br />

die jeweiligen Militärregierungen auf dem Gebiet <strong>der</strong> Erziehungs- <strong>und</strong> Jugendpolitik<br />

jeweils vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> unabhängige Konzeptionen durchsetzten. Da verb<strong>in</strong>dliche Vorgaben<br />

fehlten, verschärften sich die Konflikte <strong>der</strong> Alliierten untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Unterschiedliche<br />

politische Auffassungen darüber, wie Deutschland zu behandeln wäre, <strong>und</strong> Differenzen im<br />

H<strong>in</strong>blick auf das nationale Demokratieverständnis hatten e<strong>in</strong>en zusätzlichen Verstärkereffekt.<br />

H<strong>in</strong>zu kam, dass Frankreich, dem im Rahmen <strong>der</strong> Konferenz von Jalta erst im<br />

Februar 1945 e<strong>in</strong>e eigene Besatzungszone zugesprochen wurde, <strong>in</strong> die Verhandlungen<br />

nicht e<strong>in</strong>bezogen worden war. Aus diesem Gr<strong>und</strong> sahen die Franzosen das Potsdamer<br />

Abkommen nicht <strong>in</strong> allen Punkten als verb<strong>in</strong>dlich an <strong>und</strong> beschritten <strong>in</strong> vielen Bereichen<br />

129 ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 498-511.<br />

130 Zur Kultur- <strong>und</strong> Deutschlandpolitik Frankreichs <strong>in</strong> den l<strong>in</strong>ksrhe<strong>in</strong>ischen deutschen Gebieten vgl.<br />

DEFRANCE, Politique Culturelle, S. 42 f.<br />

131 Allgeme<strong>in</strong> GRAML, Die Alliierten <strong>und</strong> die Teilung Deutschlands.<br />

132 ABELSHAUSER, Wirtschaft <strong>und</strong> Besatzungspolitik, <strong>in</strong>: SCHARF; SCHRÖDER (Hgg.), Deutschlandpolitik,<br />

S. 111-140.<br />

133 SCHLANDER, John Dewey <strong>und</strong> Hans Morgenthau, <strong>in</strong>: HEINEMANN (Hg.), Umerziehung, S. 40-51.<br />

134 Unterstaatssekretär Lord Vansittart im britischen Außenm<strong>in</strong>isterium, 1937 wegen se<strong>in</strong>er Kritik an <strong>der</strong><br />

Deutschlandpolitik Chamberla<strong>in</strong>s abgelöst. Von 1938 bis 1941 Berater <strong>der</strong> britischen Regierung.<br />

135 Zitiert nach CONZE, Deutsche <strong>Geschichte</strong>, S. 297.<br />

136 SCHWARZ, Vom Reich zur B<strong>und</strong>esrepublik, S. 42.


34 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

besatzungspolitische Son<strong>der</strong>wege, so beispielsweise <strong>in</strong> den Bereichen Wirtschafts-,<br />

Entnazifizierungs-, Schul- <strong>und</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gspolitik. 137<br />

Zwar wurde die Jugend <strong>in</strong> ihren Aktivitäten <strong>in</strong> <strong>der</strong> amerikanischen <strong>und</strong> <strong>der</strong> britischen<br />

Zone ebenfalls überwacht, allerd<strong>in</strong>gs erhielten dort deutsche Stellen beim Aufbau <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> bald wie<strong>der</strong> weitgehend freie Hand. Nachdem die amerikanische Militärregierung<br />

das generelle Verbot von <strong>Jugendarbeit</strong> am 7. Juli 1945 aufgehoben hatte, gründeten<br />

sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> US-Zone bereits im Sommer 1945 zunächst kirchliche, ab Herbst nicht<br />

konfessionelle Jugendgruppen. Im britischen Zonengebiet wurde die Mehrheit <strong>der</strong><br />

Jugendorganisationen, die vor 1933 bestanden hatten, im Herbst 1945 wie<strong>der</strong> genehmigt.<br />

In <strong>der</strong> amerikanischen Zone fiel neben den Jugendverbänden vor allem den Jugendausschüssen<br />

beim Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Vermittlung demokratischer Prozesse<br />

nach Kriegsende e<strong>in</strong>e wichtige Rolle zu. Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

bildete das German–Youth–Activities Program 138 (GYA), das US-Armee <strong>und</strong> Militärregierung<br />

zwischen 1945 <strong>und</strong> 1953 <strong>in</strong> Deutschland durchführten. Das Programm, das f<strong>in</strong>anziell<br />

durch Spendengel<strong>der</strong> aus Amerika unterstützt wurde, diente dem Zweck, die Jugend im<br />

Freizeitbereich mit Angeboten aus Spiel, Sport <strong>und</strong> Kreativität s<strong>in</strong>nvoll zu beschäftigen. In<br />

diesem Zusammenhang entstanden <strong>in</strong> <strong>der</strong> amerikanischen Zone r<strong>und</strong> 300 GYA-Heime.<br />

Während die Amerikaner die Jugendverbände stärkten, entwickelten sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

britischen Zone die kommunalen Jugendämter auf <strong>der</strong> Basis des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes<br />

von 1922 frühzeitig zu Trägern <strong>der</strong> außerschulischen Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendfürsorge.<br />

139 Im Gefolge dieser <strong>Entwicklung</strong> wurden Jugendpfleger e<strong>in</strong>gesetzt, die die<br />

Jugendhilfe auf den Weg br<strong>in</strong>gen sollten. In beiden Zonen wurden Län<strong>der</strong>regierungen<br />

bereits ab Sommer 1946 errichtet. Diese erhielten schon früh gesetzgebende <strong>und</strong> ausführende<br />

Gewalten auf dem Gebiet des Erziehungswesens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugendhilfe zurück.<br />

E<strong>in</strong>en jugendpolitischen Schwerpunkt <strong>in</strong> beiden Zonen bildete die Rekonstruktion<br />

organisierter Jugendgruppen. Britischen <strong>und</strong> amerikanischen Jugendoffizieren oblag die<br />

Aufgabe, Jugendhöfe 140 zu gründen. Dabei handelte es sich um überregionale Ausbildungs-<br />

<strong>und</strong> Tagungsstätten. Die erste E<strong>in</strong>richtung dieser Art war <strong>der</strong> Jugendhof Vlotho <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> britischen Zone (1946). Dort wurden Jugendleiterschulungen für ehrenamtliche<br />

Jugendleiter angeboten, damit diese demokratische Verhaltensmuster <strong>und</strong> Werte erlernen<br />

<strong>und</strong> weitervermitteln konnten.<br />

Die Franzosen g<strong>in</strong>gen aus Sicherheitsgründen jugendpolitisch an<strong>der</strong>e Wege als<br />

Amerikaner <strong>und</strong> Briten. Beispielsweise behielten sie sich die Richtl<strong>in</strong>ienkompetenz über<br />

Jugendbelange im Vergleich zu an<strong>der</strong>en Zonen stets vor. Raymond Schmittle<strong>in</strong> drückte es<br />

1947 so aus: „La rééducation de la jeunesse ne peut être laissée aux Allemands“ 141 – die<br />

Jugen<strong>der</strong>ziehung dürfe nicht den Deutschen überlassen werden. Kommunen <strong>und</strong> Landes-<br />

137<br />

WOLFRUM, Zukunft Deutschlands, <strong>in</strong>: DERS. U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 20-43, hier S. 30-31.<br />

138<br />

RATHFELDER U. A., GYA, S. 157.<br />

139<br />

JORDAN; SENGELING, Jugendhilfe, S. 29.<br />

140<br />

GIESECKE, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 108.<br />

141<br />

Direction de l'Education publique auprès du Commandant en chef français en Allemagne: L'oevre<br />

culturelle française en Allemagne. Baden-Baden 1947, S. 46, zitiert nach MOMBERT, Jeunesse et Livre,<br />

S. 19, Anm. 47.


II.1 KONZEPTIONEN, LEITBILDER, ZIELVORSTELLUNGEN 35<br />

behörden standen daher <strong>in</strong> jugendpflegerischen Belangen ebenso wie <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Bereichen unter strenger Aufsicht <strong>der</strong> Militärregierungen auf Kreis-, Landes- <strong>und</strong> Zonenebene.<br />

MOMBERT 142 zufolge überwachte zeitweise sogar <strong>der</strong> französische Geheimdienst<br />

Surêté die Jugendaktivitäten <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone. Die Franzosen gaben die Aufsicht<br />

über die <strong>Jugendarbeit</strong> im Land lange Zeit nicht aus <strong>der</strong> Hand <strong>und</strong> übten bis 1949 die<br />

politische Kontrolle über die Jugendverbände <strong>und</strong> die kommunalen Träger aus. So ließ<br />

man etwa Jugendverbände nur <strong>in</strong> begrenzter Zahl zu <strong>und</strong> <strong>in</strong>sistierte darauf, dass sie wie<br />

alle freien Organisationen <strong>und</strong> Verbände dezentral strukturiert blieben. Ursächlich für<br />

diese Vorgehensweise war das beson<strong>der</strong>s große Sicherheitsbedürfnis, das Frankreich im<br />

Vergleich zu den USA <strong>und</strong> Großbritannien als Nachbarstaat, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

mehrfach direkten kriegerischen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen mit Deutschland ausgesetzt<br />

gewesen war, verständlicherweise hatte. Die Spanne negativer Erfahrungen mit<br />

Deutschland reichte vom Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 über den Ersten<br />

Weltkrieg bis h<strong>in</strong> zur Besetzung Frankreichs durch Hitlerdeutschland <strong>in</strong> den Jahren 1940<br />

bis 1944 <strong>und</strong> den militärischen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen im Zweiten Weltkrieg. 143<br />

Aber trotz <strong>der</strong> vielen Unterschiede, die sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Durchführung jugendpolitischer<br />

Maßnahmen bzw. <strong>in</strong> <strong>der</strong> zeitlichen Abfolge äußerten, <strong>und</strong> ungeachtet zahlreicher<br />

Konflikte, welche die Verbündeten untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> austrugen, ähnelten sich zum<strong>in</strong>dest, was<br />

die Westzonen betrifft, viele <strong>der</strong> Demokratisierungsmaßnahmen im Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>.<br />

Zu nennen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e folgende Maßnahmen: Entnazifizierung <strong>der</strong> Lehrer,<br />

Erneuerung von Schulbüchern, Neugestaltung des Unterrichts <strong>und</strong> <strong>der</strong> Lehrerausbildung,<br />

Wie<strong>der</strong>zulassung <strong>der</strong> Jugendorganisationen, Gründung von Jugendausschüssen, Jugendamnestie,<br />

E<strong>in</strong>satz von Jugendoffizieren <strong>und</strong> Jugendpflegern, För<strong>der</strong>ung <strong>in</strong>ternationaler<br />

Jugendtreffen <strong>und</strong> Studentenaustauschprogramme.<br />

E<strong>in</strong>en gänzlich an<strong>der</strong>en Weg beschritt nach anfänglichen Geme<strong>in</strong>samkeiten h<strong>in</strong>gegen<br />

die Sowjetunion. In <strong>der</strong> sowjetischen Zone mündete die <strong>Entwicklung</strong> im Jugendbereich <strong>in</strong><br />

die Staatsjugend. Die Bereiche Jugend <strong>und</strong> Schule wurden wie das gesamte politische,<br />

wirtschaftliche <strong>und</strong> gesellschaftliche Leben durch die kommunistische E<strong>in</strong>heitspartei<br />

(SED) kontrolliert. Die Jugendorganisationen wurden verboten, zuletzt 1946 die unabhängigen<br />

Jugendgruppen <strong>der</strong> protestantischen „Jungen Geme<strong>in</strong>de“. Im gleichen Jahr wurde<br />

unter dem Vorsitz Erich Honeckers <strong>der</strong> Zentralrat <strong>der</strong> „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ)<br />

gegründet. Die Umgestaltung des Bildungssystems war ebenfalls <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>führung<br />

des Sozialismus <strong>in</strong> allen Gesellschaftsbereichen unterworfen. Politisch belastete<br />

Personen wurden aus dem Schuldienst entlassen <strong>und</strong> durch Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> kommunistischen<br />

Partei ersetzt. Gleichzeitig wurden neue Lehrbücher e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Unterricht<br />

nach E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heitsschule nach sozialistischen Gesichtspunkten umgestaltet. Die<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichtsschreibung häufig vertretene Auffassung, die <strong>Entwicklung</strong> wäre <strong>in</strong> den<br />

drei Westzonen diametral zur sowjetischen Besatzungszone verlaufen, muss jedoch<br />

zum<strong>in</strong>dest für den Zeitraum zwischen 1945 <strong>und</strong> 1947 relativiert werden. Denn zum<strong>in</strong>dest<br />

142<br />

MOMBERT, Les Français et la Jeunesse, <strong>in</strong>: MARTENS (Hg.), Vom „Erbfe<strong>in</strong>d“ zum „Erneuerer“,<br />

S. 186-187.<br />

143<br />

LOTH, Die Franzosen <strong>und</strong> die deutsche Frage, <strong>in</strong>: SCHARF; SCHRÖDER (Hgg.), Stabilisierung, S. 28.


36 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Frühphase <strong>der</strong> Besatzung fasste <strong>der</strong> Alliierte Kontrollrat <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> auf Basis des<br />

Potsdamer Abkommens noch zahlreiche geme<strong>in</strong>same Beschlüsse, welche die „antifaschistisch-demokratische<br />

Gesamtentwicklung <strong>in</strong> Deutschland“ 144 hätten för<strong>der</strong>n können.<br />

Erst im Kalten Krieg entwickelten sich die Politik <strong>der</strong> Westalliierten <strong>und</strong> die <strong>der</strong><br />

Sowjetunion <strong>in</strong> fast allen politischen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Bereichen<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, <strong>während</strong> gleichzeitig die westlichen Verbündeten auf diesen Gebieten<br />

zunehmend enger zusammenarbeiteten. 145 Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> genannten <strong>in</strong>nenpolitischen<br />

<strong>und</strong> weltpolitischen Verän<strong>der</strong>ungen kam es um das Jahr 1947 zu e<strong>in</strong>em<br />

Kurswechsel <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Deutschlandpolitik. 146 Das Scheitern <strong>der</strong> Moskauer<br />

Außenm<strong>in</strong>isterkonferenz im Frühjahr des Jahres 1947 gilt h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Beziehungen<br />

<strong>der</strong> Siegermächte untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichtsforschung allgeme<strong>in</strong> als Wendepunkt <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Nachkriegsentwicklung. Während die Sowjetunion sich <strong>in</strong> ihrer Zonenpolitik immer<br />

mehr abkapselte, arbeiteten die drei Westmächte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Besatzungspolitik zunehmend<br />

enger zusammen. Neben <strong>der</strong> Blockbildung beför<strong>der</strong>te die wirtschaftliche <strong>und</strong> politische<br />

Schwäche Frankreichs die Notwendigkeit zur Kooperation mit den USA <strong>und</strong> mit Großbritannien.<br />

Innenpolitisch waren folgende Faktoren maßgeblich: <strong>der</strong> Rücktritt de Gaulles<br />

als Staatspräsident Anfang 1946, <strong>der</strong> wachsende E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> Sozialisten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nationalversammlung<br />

nach den Parlamentswahlen 1946, die Übernahme des Außenm<strong>in</strong>isteramtes<br />

durch den gemäßigten Robert Schuman <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachfolge Bidaults 1948. 147 Eckdaten auf<br />

dem Weg zur staatlichen Selbstständigkeit Westdeutschlands sowie zu se<strong>in</strong>er europäischen<br />

Integration bildeten die Kommunal- <strong>und</strong> Landtagswahlen mit anschließen<strong>der</strong><br />

Neubildung <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> ab Herbst 1946, das Besatzungsstatut, die Wahlen zur B<strong>und</strong>esregierung<br />

<strong>und</strong> die Gründung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik 1949 sowie <strong>der</strong> NATO-Beitritt 1955.<br />

Zum wirtschaftlichen Wie<strong>der</strong>aufbau trugen die Bildung <strong>der</strong> Trizone 1947 als vere<strong>in</strong>igter<br />

Wirtschaftsraum <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen amerikanisch-britischen <strong>und</strong> <strong>der</strong> französischen Zone,<br />

die Verabschiedung des European Recovery Program (ERP) <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong><br />

D-Mark 1948 entscheidend bei. 1951 trat Westdeutschland <strong>der</strong> Montanunion bei, 1957<br />

erfolgte schließlich <strong>der</strong> Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgeme<strong>in</strong>schaft (EWG). Die<br />

alliierten For<strong>der</strong>ungen nach dezentralen Strukturen <strong>in</strong> Deutschland spiegeln sich allerd<strong>in</strong>gs<br />

bis heute abgeschwächt <strong>in</strong> den politischen Verhältnissen wi<strong>der</strong>. Hervorzuheben ist die<br />

ausgeprägte Län<strong>der</strong>kompetenz gerade auch <strong>in</strong> den Bereichen Kultus <strong>und</strong> Bildung. 148<br />

144<br />

ALTMANN, Frieden, S. 95.<br />

145<br />

AUERBACH, Europäische Wende 1947/48, <strong>in</strong>: HERBST U. A. (Hgg.), Marshallplan, S. 577-591; PLANCK,<br />

Neuorientierung <strong>der</strong> französischen Deutschlandpolitik 1948/49, <strong>in</strong>: FOSCHEPOTH (Hg.): Kalter Krieg <strong>und</strong><br />

deutsche Frage, S. 129-144; LOTH, Die Teilung <strong>der</strong> Welt.<br />

146<br />

WILKENS, Französische Deutschlandpolitik, <strong>in</strong>: Historische Mitteilungen 4 (1991), S. 1-21.<br />

147<br />

FRISCH-BOURNAZEL, Nachkriegspolitik, <strong>in</strong>: INSTITUT FRANÇAIS DE STUTTGART (Hg.), Deutschlandpolitik,<br />

S. 7-26.<br />

148<br />

Vgl. etwa die Diskussion zwischen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Län<strong>der</strong>n zur E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>er deutschen Kulturstiftung <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> o<strong>der</strong> die E<strong>in</strong>igungsversuche <strong>der</strong> Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Formulierung geme<strong>in</strong>samer<br />

Bildungsziele im Gefolge <strong>der</strong> PISA-Studie seit 2002.


II.1 KONZEPTIONEN, LEITBILDER, ZIELVORSTELLUNGEN 37<br />

1.4 Alliierte Richtl<strong>in</strong>ien <strong>und</strong> französische Direktiven zur Jugendpolitik<br />

In den Vere<strong>in</strong>igten Staaten <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> UdSSR machte man sich schon lange vor Kriegsende<br />

Gedanken, wie das künftige Erziehungswesen sowie die Bildungs- <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

nach e<strong>in</strong>em Sieg über Deutschland aussehen könnte. US-Geheimdienst <strong>und</strong> Militär<br />

sammelten, teilweise auf Berichte deutscher Emigranten wie Döbl<strong>in</strong>, Thomas Mann <strong>und</strong><br />

Feuchtwanger gestützt, schon ab Anfang <strong>der</strong> 1940er-Jahre Erkenntnisse über die Jugen<strong>der</strong>ziehung<br />

im nationalsozialistischen Deutschland. 149 Auch die Sowjetunion bereitete <strong>in</strong><br />

ihrer Zone Maßnahmen für die Neugestaltung des Erziehungswesens mithilfe im Exil<br />

geschulter deutscher Kommunisten <strong>und</strong> aus den Konzentrationslagern befreiter Antifaschisten<br />

von längerer Hand vor. 150<br />

Frankreich dagegen, das als letzte <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>ste von allen vier Besatzungsmächten<br />

anerkannt worden war, hatte seit se<strong>in</strong>er Befreiung im Sommer 1944 nur wenig Zeit, die<br />

Besatzungsverwaltung <strong>in</strong> <strong>der</strong> ihm zugewiesenen Zone zu organisieren. 151 Mit dieser Aufgabe<br />

wurde die im Herbst 1944 gegründete Dienststelle, die Mission Militaire pour les<br />

Affaires Allemandes, unter <strong>der</strong> Leitung von General Koeltz beauftragt. Die Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong><br />

Besatzungspolitik bildeten <strong>während</strong> <strong>der</strong> militärischen Phase <strong>der</strong> Besatzung zwischen<br />

Frühjahr <strong>und</strong> Sommer 1945 die Bestimmungen des Alliierten Kontrollrats sowie das <strong>in</strong>s<br />

Französische übersetzte SHAEF-Handbook for military government <strong>der</strong> amerikanischen<br />

Militärregierung <strong>in</strong> Deutschland.<br />

Obwohl die Besatzung auf die Schnelle organisiert werden musste, hatten die Franzosen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Frage, wie die Jugend zu behandeln wäre, durchaus eigene Vorstellungen.<br />

Französische Exilpolitiker <strong>und</strong> Anhänger des Wi<strong>der</strong>stands hatten sich zwar deutlich<br />

später als die übrigen Verbündeten, jedoch bereits noch vor Kriegsende mit <strong>der</strong> Frage<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gesetzt, wie Bildungs- <strong>und</strong> Erziehungspolitik im Nachkriegsdeutschland unter<br />

Besatzungsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong>haltlich aussehen könnten. Im Jahr 1944 fand <strong>in</strong> Algier e<strong>in</strong>e<br />

Tagung zu dem Thema statt. 152 Daran nahmen unter an<strong>der</strong>em Schmittle<strong>in</strong> <strong>und</strong> Giron, die<br />

e<strong>in</strong> Jahr später die Behörde für öffentliche Bildung <strong>der</strong> Militärregierung <strong>in</strong> Baden-Baden<br />

leiteten, teil. 153 Bereits zwei Monate nach Kriegsende wurden erste nationale Richtl<strong>in</strong>ien<br />

für das Zonengebiet aufgestellt: die Directives pour notre action en Allemagne 154 vom<br />

19. Juli 1945. Verantwortlich zeichnete das <strong>in</strong>term<strong>in</strong>isterielle Komitee für die französische<br />

Besetzung Deutschlands. Es handelte sich um Bestimmungen über die Unabhängigkeit <strong>der</strong><br />

Zone, die Dezentralisierung von Politik <strong>und</strong> Verwaltung, den Aufbau neuer Verwaltungen<br />

149 FÜSSL, Umerziehung, S. 80.<br />

150 WETTIG, Sowjetische Ziele <strong>und</strong> Konzepte, <strong>in</strong>: OBERREUTER; WEBER (Hg.), Demokratiegründung,<br />

S. 101-122, hier S. 109-110.<br />

151 Allgeme<strong>in</strong>: KRAUTKRÄMER, Kriegsende <strong>und</strong> Besatzungszonen, <strong>in</strong>: LANDESZENTRALE FÜR POLITISCHE<br />

BILDUNG, Südweststaat, S. 17-36.<br />

152 PLUM, Französische Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland, S. 8 f.<br />

153 ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 41.<br />

154 Die Richtl<strong>in</strong>ien des <strong>in</strong>term<strong>in</strong>isteriellen Ausschusses: Document no. 1, 19.07.1945, Nationalarchiv Paris,<br />

wurden bereits mehrfach <strong>in</strong> Kurzform publiziert. Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf die<br />

diesbezüglichen Veröffentlichungen von HUDEMANN, Direktiven, S. 15; HÜSER, Frankreichs „doppelte<br />

Deutschlandpolitik“, S. 420; MÉNUDIER (Hg.), L'Allemagne occupée; speziell zur Jugendpolitik:<br />

MOMBERT, Les Français et la Jeunesse, <strong>in</strong>: MARTENS (Hg.), Vom „Erbfe<strong>in</strong>d“ zum „Erneuerer“, S. 176.


38 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

von den Kreisen bis zur Landesebene sowie die Reorganisation von Presse, Verlagen,<br />

R<strong>und</strong>funk, Kultur- <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> etc. 155<br />

Die ersten Direktiven zur Jugendpolitik waren, wie MOMBERT 156 ausführt, noch<br />

äußerst vage formuliert. Sie enthielten lediglich Absichtserklärungen <strong>in</strong> Bezug auf die<br />

Wie<strong>der</strong>eröffnung von Schulen, Gymnasien <strong>und</strong> Hochschulen. Zuvor allerd<strong>in</strong>gs mussten<br />

die Lehrkräfte entnazifiziert, die Lehrbücher sorgfältig geprüft <strong>und</strong> von nationalsozialistischen<br />

Inhalten gesäubert werden. In die gleiche Richtung wiesen die Direktiven des<br />

<strong>in</strong>term<strong>in</strong>isteriellen Komitees vom November 1945. 157 Im Mittelpunkt aller frühen Richtl<strong>in</strong>ien<br />

zur Behandlung <strong>der</strong> deutschen Jugend stand <strong>der</strong> Gedanke, nationalsozialistisches<br />

Gedankengut <strong>in</strong> den Bereichen Jugend <strong>und</strong> Pädagogik zu unterb<strong>in</strong>den. Daher wurde <strong>der</strong><br />

Entnazifizierungspolitik e<strong>in</strong>e herausragende Rolle als Voraussetzung für nachfolgende<br />

demokratiepolitische Maßnahmen zugewiesen. Thematisch behandelten sie vor allem die<br />

Schulpolitik. So konzentrierten sich die von Laffon verfassten Instruktionen h<strong>in</strong>sichtlich<br />

Bildung, schöner Künste, Jugend <strong>und</strong> Sport vom August 1945 <strong>in</strong> Anlehnung an die bereits<br />

erwähnten Direktiven des Erziehungsm<strong>in</strong>isteriums auf den Bildungssektor. Im Mittelpunkt<br />

stand <strong>der</strong> Beschluss, die Schulen am 17. September 1945 wie<strong>der</strong> zu eröffnen.<br />

Während <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aufbau des Schul- <strong>und</strong> Hochschulbetriebs bereits feststand, befassten<br />

sich die frühen Direktiven <strong>der</strong> Pariser Regierung zur Deutschlandpolitik vom Juli<br />

<strong>und</strong> November 1945 nicht mit außerschulischer <strong>Jugendarbeit</strong>. Die Gründe dafür, dass die<br />

Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Schulen Priorität gegenüber an<strong>der</strong>en jugendpolitischen Maßnahmen<br />

genoss, liegen auf <strong>der</strong> Hand: Schulpolitik als staatliche Kernaufgabe bot für jugend- <strong>und</strong><br />

demokratiepolitische Maßnahmen gute Ausgangsbed<strong>in</strong>gungen. Alle<strong>in</strong> zahlenmäßig ließen<br />

sich mit <strong>der</strong> schulpflichtigen Jugend die größte <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e im Vergleich zu an<strong>der</strong>en Jugendbereichen<br />

e<strong>in</strong>igermaßen homogene Gruppe an K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen erfassen.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus machte die Schulpflicht die Anweisungen <strong>der</strong> Militärregierung auf dem<br />

Gebiet <strong>der</strong> Schulreformen verb<strong>in</strong>dlich, <strong>während</strong> die Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendverbandsarbeit<br />

auf dem Freiwilligkeitspr<strong>in</strong>zip basierte. Außerdem hielt Laffon jugendpolitische<br />

Maßnahmen außerhalb <strong>der</strong> Schulen im Sommer 1945 noch für verfrüht <strong>und</strong> begründete<br />

dies damit, dass man erst Konzeptionen durch Fachpersonal ausarbeiten müsse.<br />

Dennoch wurde <strong>der</strong> außerschulische Bereich neben <strong>der</strong> Schul- <strong>und</strong> Universitätspolitik<br />

bald <strong>in</strong> die französischen Konzeptionen zur Demokratisierung <strong>der</strong> deutschen Jugend<br />

e<strong>in</strong>bezogen. Begründet wurde diese Maßnahme unter an<strong>der</strong>em mit dem H<strong>in</strong>weis auf den<br />

großen E<strong>in</strong>fluss, den die Hitler-Jugend auf die K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugen<strong>der</strong>ziehung neben <strong>der</strong><br />

Schule <strong>in</strong>negehabt hatte. 158 Die Planungsrückstände <strong>der</strong> Franzosen beim Aufbau e<strong>in</strong>er<br />

strukturierten <strong>Jugendarbeit</strong> relativieren sich zudem, wenn man bedenkt, dass es <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Zonen ebenfalls zu Verzögerungen kam. So wurde beispielsweise die für die amerikanische<br />

Zone relevante Direktive (SWNCC 269/5) Long-Range Policy Statement for German<br />

155<br />

Vgl. u. a. DIX, Südkurier, S. 21-28.<br />

156<br />

Pariser Direktiven zur Jugendpolitik bei MOMBERT, Les Français et la Jeunesse, <strong>in</strong>: MARTENS (Hg.),<br />

Vom „Erbfe<strong>in</strong>d“ zum „Erneuerer“, S. 176-177.<br />

157<br />

Document no. 41 vom 03.11.1945 (Note sur les problèmes de rééducation dans la ZFP en Allemagne),<br />

Orig<strong>in</strong>al: MAE AOFAA, BI/4, zitiert nach HÜSER, Frankreichs „doppelte Deutschlandpolitik“, S. 728.<br />

158<br />

MOREAU, Exposé de motifs vom 29.09.1945, S. 2, MAE AOFAA 69/1.


II.2 VERWALTUNGSSTRUKTUREN UND GESCHÄFTSVERTEILUNG 39<br />

Reeducation, die die Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> amerikanischen Reeducation-Politik def<strong>in</strong>ierte, nach<br />

mehrfacher Überarbeitung erst im August 1946 veröffentlicht. 159 Zu diesem Zeitpunkt<br />

hatte die Bildungs- <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone bereits Konturen angenommen.<br />

160<br />

2 Verwaltungsstrukturen <strong>und</strong> Geschäftsverteilung<br />

Die Geschäftsverteilung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> französischen Militärregierung im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

Durchführung <strong>der</strong> Jugendpolitik basierte, wie <strong>in</strong> Frankreich allgeme<strong>in</strong> üblich, auf hierarchisch<br />

stark abgestuften <strong>und</strong> weitverzweigten Strukturen, die sich über alle Verwaltungsebenen<br />

h<strong>in</strong>weg erstreckten. Auf Regierungsebene waren das Erziehungsm<strong>in</strong>isterium <strong>und</strong><br />

die Diréction des Affaires Culturelles 161 , e<strong>in</strong>e Abteilung des Außenm<strong>in</strong>isteriums, für die<br />

Bereiche Bildung <strong>und</strong> Jugend zuständig. Als Zwischen<strong>in</strong>stanzen zu den M<strong>in</strong>isterien <strong>in</strong><br />

Paris <strong>und</strong> den Besatzungsbehörden <strong>in</strong> Baden-Baden fungierten das <strong>in</strong>term<strong>in</strong>isterielle<br />

Komitee bzw. das Generalsekretariat für deutsche <strong>und</strong> österreichische Angelegenheiten. 162<br />

Der Aufbau <strong>der</strong> französischen Besatzungsverwaltung erfolgte <strong>in</strong> mehreren<br />

Schritten. 163 Zeitlich betrachtet, wurde die französische Militärverwaltung <strong>in</strong> Deutschland<br />

analog zum Aufbau <strong>der</strong> deutschen Behörden von den Kreisen über die Län<strong>der</strong> bis h<strong>in</strong> zur<br />

Zonenebene <strong>und</strong> den M<strong>in</strong>isterien <strong>in</strong> Paris errichtet. Die untere Ebene <strong>der</strong> französischen<br />

Militärverwaltung bildeten die Kreis- bzw. Bezirksdelegationen. Sie nahmen ab Frühjahr<br />

1945 als erste französische Militärbehörden <strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong> damit e<strong>in</strong>ige Monate vor<br />

den Zonen- <strong>und</strong> Landesdelegationen ihre Arbeit auf. Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Zonenverwaltung<br />

wurden im Sommer 1945 neue Strukturen geschaffen. Zum e<strong>in</strong>en wurde mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>setzung<br />

von General Koenig als Oberbefehlshaber <strong>der</strong> Armee im Juli die re<strong>in</strong> militärische<br />

Phase <strong>der</strong> französischen Besatzung beendet. Zuvor hatte <strong>der</strong> Oberbefehlshaber <strong>der</strong> 1. Französischen<br />

Armee, Jean de Lattre de Tassigny, <strong>der</strong> die Zone von L<strong>in</strong>dau aus verwaltet<br />

hatte, die oberste Regierungsgewalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Vier-<br />

Mächte-Erklärung vom 5. Juni 1945 geme<strong>in</strong>sam mit den an<strong>der</strong>en alliierten Militärgouverneuren<br />

<strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong> Berl<strong>in</strong> ausgeübt. 164 Zum an<strong>der</strong>en wurde parallel zu den für die<br />

Armee <strong>und</strong> <strong>in</strong>teralliierte Angelegenheiten zuständigen Dienststellen e<strong>in</strong>e zivile Militärregierung<br />

auf Zonenebene e<strong>in</strong>gerichtet mit dem Effekt, dass die französische Zone im<br />

Gegensatz zu allen an<strong>der</strong>en Zonen durch e<strong>in</strong>e Art Doppelspitze <strong>und</strong> damit zugleich äußerst<br />

personal<strong>in</strong>tensiv verwaltet wurde.<br />

159 Vergleichbare <strong>Entwicklung</strong>en gab es <strong>in</strong> <strong>der</strong> amerikanischen Zone; vgl. RUPIEPER, Amerikanische<br />

Demokratisierungspolitik, <strong>in</strong>: OBERREUTER; WEBER (Hgg.), Demokratiegründung, S. 200.<br />

160 Allgeme<strong>in</strong>: FRISCH-BOURNAZEL, Die Anfänge <strong>der</strong> Schulverwaltung, <strong>in</strong>: SCHARF; SCHRÖDER (Hgg.)<br />

Deutschlandpolitik, S. 111-132.<br />

161 1947: Staatssekretariat; 1948: aufgelöst, vgl. KLÖCKLER, Abendland – Alpenland – Alemannien, S. 51.<br />

162 MARTENS (Hg.), Vom „Erbfe<strong>in</strong>d“ zum „Erneuerer“, S. 16.<br />

163 Dazu HUDEMANN, Gr<strong>und</strong>probleme, <strong>in</strong>: INSTITUT FRANÇAIS DE STUTTGART, Deutschlandpolitik,<br />

S. 27-40.<br />

164 Dabei handelte es sich im E<strong>in</strong>zelnen um: Dwight D. Eisenhower (USA), Georgij Konstant<strong>in</strong>owitsch<br />

Schukow (UdSSR), Bernard Law Montgomery (Großbritannien).


40 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

Die zivile Zonenverwaltung, Gouvernement Militaire pour la Zone Française<br />

d'Occupation, wurde zwischen 1945 <strong>und</strong> 1947 durch den Generalverwalter Emile Laffon<br />

geleitet <strong>und</strong> setzte sich aus Generaldirektionen für die Bereiche Verwaltung, Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> F<strong>in</strong>anzen, Justiz <strong>und</strong> Sicherheit zusammen. 165 Die Bereiche Jugend <strong>und</strong> Schule waren<br />

hauptsächlich im Verwaltungsressort angesiedelt. Die Hauptaufgabe <strong>der</strong> zivilen Militärregierung<br />

bestand im Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen auf demokratischer Gr<strong>und</strong>lage.<br />

Neben <strong>der</strong> Zweiteilung <strong>der</strong> französischen Zonenverwaltung unterschied sich die<br />

französische von den übrigen Zonen ferner dadurch, dass die französische Militärregierung<br />

ihren Sitz <strong>in</strong> Baden-Baden hatte, <strong>während</strong> sich die zentralen Dienststellen <strong>der</strong> übrigen<br />

Alliierten <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, dem Sitz des Alliierten Kontrollrats, befanden. 166<br />

Für die Umsetzung <strong>der</strong> <strong>in</strong> Baden-Baden entworfenen Richtl<strong>in</strong>ien <strong>in</strong> allen Kreisen,<br />

Städten <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den waren die Landes- <strong>und</strong> Kreisdelegationen <strong>der</strong> Militärregierung<br />

verantwortlich. Unterhalb <strong>der</strong> Zonenebene glie<strong>der</strong>te sich die Militärregierung zunächst <strong>in</strong><br />

die vier Län<strong>der</strong>militärregierungen, sogenannte Délégations Supérieures 167 , die ihre Amtssitze<br />

<strong>in</strong> allen Landeshauptstädten <strong>in</strong>nehatten. Die badische Oberdelegation nahm im<br />

September 1945 ihren Sitz <strong>in</strong> Freiburg e<strong>in</strong>, nachdem die frühere badische Hauptstadt<br />

Karlsruhe im Sommer <strong>der</strong> amerikanischen Zone zugesprochen worden war. Die Leitung<br />

oblag bis Mitte des Jahres 1946 General Jacques Schwartz, dann folgten Pierre Pène 168<br />

sowie Réné Bargeton.<br />

Mit <strong>der</strong> Errichtung funktionieren<strong>der</strong> Behördenstrukturen wurden die Gr<strong>und</strong>voraussetzungen<br />

für den Aufbau e<strong>in</strong>er geordneten <strong>Jugendarbeit</strong> geschaffen. Zugleich wurde die<br />

Zeit fehlen<strong>der</strong> Konzeptionen, die <strong>während</strong> <strong>der</strong> ersten Monate <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> re<strong>in</strong><br />

militärischen Phase <strong>der</strong> Besatzung vorgeherrscht hatte, überw<strong>und</strong>en. Allerd<strong>in</strong>gs kam es<br />

selbst nach <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung entsprechen<strong>der</strong> Behörden <strong>und</strong> trotz erlassener Richtl<strong>in</strong>ien<br />

durchaus vor, dass die jugendpolitischen Vorgaben von Ort zu Ort unterschiedlich ausgelegt<br />

werden konnten. Ursächlich waren dezentrale deutsche Verwaltungsstrukturen,<br />

organisatorische Schwierigkeiten <strong>und</strong> Kommunikationsprobleme <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Besatzungsverwaltung<br />

sowie unterschiedliche lokale Rahmenbed<strong>in</strong>gungen etwa im H<strong>in</strong>blick<br />

auf Räumlichkeiten <strong>und</strong> Personal.<br />

165 WOLFRUM, Gouvernement Militaire, <strong>in</strong>: BENZ (Hg.), Deutschland unter alliierter Besatzung, S.267-271.<br />

166 Die Organisationsstruktur <strong>der</strong> französischen Militärverwaltung wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschung mehrfach<br />

ausführlich dargestellt. Daher sei hier lediglich auf jüngere Veröffentlichungen zu diesem Thema<br />

h<strong>in</strong>gewiesen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e: HÜSER, Frankreichs „doppelte Deutschlandpolitik“, S. 501-593; WOLFRUM<br />

U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 43-52; KLÖCKLER, Abendland – Alpenland – Alemannien, S. 33-56.<br />

167 Die Län<strong>der</strong>militärregierungen <strong>der</strong> übrigen Zonen wurden wie folgt repräsentiert: Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz mit<br />

Regierungssitz Koblenz durch General Hettier de Boislambert; Württemberg-Hohenzollern mit<br />

Regierungssitz Tüb<strong>in</strong>gen durch General Widmer; Saargebiet mit Regierungssitz Saarbrücken durch<br />

General Grandval.<br />

168 Pierre Pène, geb. 1898 <strong>in</strong> Paris, gest. 1972; Soldat im Ersten Weltkrieg, Straßenbau<strong>in</strong>genieur, u. a. im<br />

Arbeitsm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Paris beschäftigt, ab 1941 Mitglied des französischen Wi<strong>der</strong>stands, <strong>in</strong>haftiert<br />

durch die GESTAPO; Flucht 1944; ab Aug. 1944 Kommissar <strong>in</strong> Sa<strong>in</strong>t-Quent<strong>in</strong>; 1946-1949 Oberdelegierter<br />

des Landes Baden; Vita bei JURT, Franzosenzeit, S. 255.


II.2 VERWALTUNGSSTRUKTUREN UND GESCHÄFTSVERTEILUNG 41<br />

2.1 Organisation französischer Jugendpolitik <strong>in</strong> Baden auf zonaler<br />

Ebene: Die Direction de l'Education Publique (DEP)<br />

Die These, dass Jugendpolitik als demokratiepolitische Maßnahme <strong>der</strong> Militärregierung<br />

e<strong>in</strong>en eigenen Stellenwert hatte, wird mit Blick auf die Verwaltungs- <strong>und</strong> Behördengeschichte<br />

dadurch gestützt, dass es zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949 <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> zonalen Zivilmilitärregierung<br />

<strong>in</strong> Baden-Baden e<strong>in</strong>e eigene Dienststelle für öffentliche Bildung gab: die<br />

Direction de l'Education Publique (DEP) mit Sitz im Hotel „Stefanie“. Die neue Behörde<br />

wurde durch Erziehungsm<strong>in</strong>ister Capitant <strong>in</strong>s Leben gerufen <strong>und</strong> nahm ihre Tätigkeit unter<br />

<strong>der</strong> Leitung von Raymond Schmittle<strong>in</strong> 169 am 1. August 1945 auf. Wie se<strong>in</strong>e Stellvertreter<strong>in</strong>,<br />

Irène Giron 170 , sprach auch Schmittle<strong>in</strong> sehr gut Deutsch. Zudem besaß er e<strong>in</strong> breites<br />

Wissen auf allen Gebieten <strong>der</strong> schönen Künste <strong>und</strong> <strong>der</strong> Geisteswissenschaften.<br />

Die Jugendpolitik war Teilbereich von mehreren bildungs- <strong>und</strong> kulturpolitischen<br />

Arbeitsfel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Erziehungsbehörde, <strong>der</strong>en Aufgabenspektrum <strong>in</strong>sgesamt breit gefächert<br />

war. Im Wesentlichen war die Behörde zuständig für die Planung konkreter Schritte im<br />

Bereich <strong>der</strong> schulischen <strong>und</strong> außerschulischen Bildungsarbeit. Die <strong>in</strong>terne Behördenorganisation<br />

spiegelt das Bild e<strong>in</strong>er weitverzweigten, differenzierten Personal- <strong>und</strong><br />

Aufgabenverteilung auf allen Gebieten französischer Demokratisierungspolitik wi<strong>der</strong>. 171<br />

Schmittle<strong>in</strong>s persönliches Ressort war neben <strong>der</strong> Leitung <strong>der</strong> Gesamtbehörde die Schul-<br />

<strong>und</strong> Hochschulpolitik. Die Organisation <strong>der</strong> außerschulischen <strong>Jugendarbeit</strong> lag <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Hand <strong>der</strong> Sousdiréction des Sports et de la Jeunesse unter <strong>der</strong> Leitung Henri Mo<strong>in</strong>ards.<br />

169 Raymond Schmittle<strong>in</strong>, geb 1904. <strong>in</strong> Roubaix, gest. 1974 <strong>in</strong> Colmar; studierte Literaturwissenschaften,<br />

Jura, Mediz<strong>in</strong> <strong>und</strong> orientalische Sprachen <strong>in</strong> Paris <strong>und</strong> Berl<strong>in</strong>; bis 1926 stand er <strong>in</strong> militärischen Diensten<br />

<strong>der</strong> französischen Armee; 1931 g<strong>in</strong>g er nach Berl<strong>in</strong>, bestand dort 1932 die Agrégation d’allemande; nach<br />

kurzer Tätigkeit als Gymnasiallehrer war er zwischen 1934 <strong>und</strong> 1939 Inspektor für französischen Unterricht<br />

im Ausland; er lehrte als Germanist Deutsch sowie F<strong>in</strong>nisch, Russisch <strong>und</strong> Englisch <strong>in</strong> Kaunas,<br />

Stockholm <strong>und</strong> Riga. Im Zweiten Weltkrieg nahm er an <strong>der</strong> Schlacht von Narvik teil <strong>und</strong> schloss sich<br />

dann den freien französischen Streitkräften <strong>in</strong> Ägypten an; nach mehreren Aufenthalten im Nahen Osten<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> Moskau wurde Schmittle<strong>in</strong> 1943 nach Algier versetzt; dort beteiligte er sich am Aufbau <strong>der</strong><br />

französischen provisorischen Exilregierung; ab 1944 war er Mitglied <strong>der</strong> Schulreformkommission <strong>in</strong><br />

Algier; Leben <strong>und</strong> Wirken Schmittle<strong>in</strong>s wurden mehrfach ausführlich behandelt, hier e<strong>in</strong>e Auswahl:<br />

VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 200; ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 20,<br />

Anm. 7; STRICKMANN, L’Allemagne nouvelle, S. 81: PLUM, Französische Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland,<br />

S. 39-43, BECKER, Kultur im Schatten <strong>der</strong> Trikolore, S. 61 f. DEFRANCE, Raymond Schmittle<strong>in</strong><br />

(1904-1974), <strong>in</strong>: KISSENER; MATHY (Hgg.): Gründungspersönlichkeiten <strong>der</strong> Johannes-Gutenberg<br />

Universität, Teil 1, S. 11-30; DIES.: Politique Culturelle, S. 29.<br />

170 Irène Giron, geb. 1910 <strong>in</strong> Hamburg, gest. 1988, Tochter e<strong>in</strong>es Briten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Deutschen mit britischem<br />

Pass; wurde 1940 durch Heirat mit dem Anwalt Charles Giron französische Staatsbürger<strong>in</strong>; sie gehörte<br />

<strong>während</strong> des Krieges <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standsbewegung an <strong>und</strong> trat 1944 <strong>in</strong> das Erziehungsm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Paris<br />

e<strong>in</strong>; im Sommer 1945 wechselte sie <strong>in</strong> die Militärverwaltung nach Baden-Baden; biografische Angaben<br />

bei DEFRANCE, Politique Culturelle, S. 29-30 <strong>und</strong> J. FISCHER, Giron, <strong>in</strong>: HEINEMANN (Hg.),<br />

Umerziehung, S. 195-196.<br />

171 Zu den Aufgaben <strong>und</strong> zur Behördenstruktur vgl. VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 13,<br />

neuerd<strong>in</strong>gs: STRICKMANN, L’Allemagne nouvelle, S. 80-82. Organigramm u. a. bei BECKER, Kultur im<br />

Schatten <strong>der</strong> Trikolore, S. 97.


42 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

Parallel existierten Unterabteilungen für Dokumentation <strong>und</strong> Zensur, Kunst, Bildungswesen<br />

sowie Hochschulen <strong>und</strong> wissenschaftliche Forschung, Jugend <strong>und</strong> Sport. Die Abteilung<br />

Sports et Jeunesse war ihrerseits <strong>in</strong> weitere Unterabteilungen geglie<strong>der</strong>t. Die<br />

Aufgabengebiete kommunale <strong>Jugendarbeit</strong>, Jugendverbandsarbeit <strong>und</strong> außerschulische<br />

Bildungsangebote für Jugendliche lagen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zuständigkeit des Büros für Jugend- <strong>und</strong><br />

Volksbildung unter <strong>der</strong> Leitung von Jean-Charles Moreau. 172 1947 stieß Joseph Rovan als<br />

Experte für Volksbildung zu dessen Team h<strong>in</strong>zu.<br />

Die DEP war <strong>in</strong> ihren Anfangsjahren mit 65 Mitarbeitern, unter ihnen viele ausgebildete<br />

Germanisten, personell gut ausgestattet <strong>und</strong> hatte große Entscheidungskompetenz<br />

<strong>in</strong> allen kultur- <strong>und</strong> jugendpolitischen Fragen <strong>in</strong>nerhalb des Zonengebietes. 173 Die Behörde<br />

war <strong>der</strong> Generaldirektion für Verwaltung unter <strong>der</strong> Leitung von Maurice Sabatier angeglie<strong>der</strong>t<br />

<strong>und</strong> konnte relativ unabhängig von den M<strong>in</strong>isterien <strong>in</strong> Paris agieren. Zu dieser<br />

Situation trugen Faktoren wie vage Pariser Direktiven, häufige personelle <strong>und</strong> strukturelle<br />

Umbildungen <strong>und</strong> unklare Kompetenzverteilung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Besatzungsverwaltung<br />

sowie die bereits erwähnten Kommunikationsprobleme zwischen Baden-Baden <strong>und</strong> Paris<br />

bei. 174 MOMBERT 175 zufolge stand die französische Kultur- <strong>und</strong> Demokratisierungspolitik<br />

im Zonengebiet nicht so sehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses wie etwa die<br />

Wirtschaftspolitik. Aus dieser Situation ergaben sich größere Handlungsspielräume für<br />

se<strong>in</strong>e Mitarbeiter. Nach HÜSER 176 sprechen allerd<strong>in</strong>gs vor allem f<strong>in</strong>anzpolitische Gründe<br />

dagegen, dass die Verantwortlichen <strong>in</strong> Baden-Baden wichtige jugendpolitische Entscheidungen<br />

unabhängig von Paris hätten treffen können.<br />

Im Jahr 1947 kam es im Gefolge alliierter Bestimmungen nach Errichtung <strong>der</strong> Trizone<br />

im Kultur- <strong>und</strong> Bildungssektor zu gr<strong>und</strong>legenden Neubildungsmaßnahmen. Im Verlauf<br />

dieser <strong>Entwicklung</strong> verlor die Erziehungsbehörde bei <strong>der</strong> Militärregierung <strong>in</strong> Baden-<br />

Baden sukzessive ihren E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> Kultus- <strong>und</strong> Bildungsangelegenheiten zugunsten <strong>der</strong><br />

Landesregierungen. Darüber h<strong>in</strong>aus war die DEP von <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Verwaltungsreform<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Militärregierung betroffen. 177 Wie <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Dienststellen <strong>der</strong> Militärregierung<br />

<strong>in</strong> Baden-Baden üblich, wurden seither <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Bildungsbehörde Abteilungen<br />

zusammengelegt <strong>und</strong> Personal abgebaut. Nach 1947 waren mit Jugendpolitik nur noch<br />

zwei Ressorts befasst: das Service du Contrôle de l'Enseignement Allemand, zuständig für<br />

Schulen, Hochschulen, Forschungse<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> Sport, sowie das Service de l'Action<br />

Culturelle, zuständig für Jugend-, Volksbildung <strong>und</strong> Kultur. 178<br />

172 Jean-Chárles Moreau, geb. 1915, Jurist, 1940-1944 stellvertreten<strong>der</strong> Leiter <strong>und</strong> Abteilungsleiter im<br />

Staatssekretariat für Jugendfragen <strong>in</strong> Vîchy, ab 1944 im Pariser Erziehungsm<strong>in</strong>isterium; 1945-1951<br />

Leiter des Jugendbüros <strong>der</strong> Militärregierung; 1951-1953 Generalsekretär <strong>der</strong> „Europäischen<br />

Jugendkampagne“ <strong>in</strong> Paris; biografische Angaben nach VAILLANT (Hg.), Kulturpolitik, S. 200.<br />

173 Daten bei ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 69.<br />

174 ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 152-162.<br />

175 MOMBERT, Les Français et la Jeunesse, <strong>in</strong>: MARTENS (Hg.), Vom „Erbfe<strong>in</strong>d“ zum „Erneuerer“, S. 197.<br />

176 HÜSER, Frankreichs „doppelte Deutschlandpolitik“, S. 577.<br />

177 Die Zahl <strong>der</strong> Verwaltungszweige wurde von 29 auf 11 verr<strong>in</strong>gert; SÜDKURIER vom 31.03.1948.<br />

178 ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 113-114.


II.2 VERWALTUNGSSTRUKTUREN UND GESCHÄFTSVERTEILUNG 43<br />

2.2 Schaffung von Organisationsstrukturen von <strong>der</strong> Landes- bis zur<br />

Kreisebene<br />

Neben den M<strong>in</strong>isterien <strong>in</strong> Paris <strong>und</strong> <strong>der</strong> DEP <strong>in</strong> Baden-Baden wurden gemäß dem<br />

französischen Pr<strong>in</strong>zip des zentralistischen Verwaltungsaufbaus analoge Strukturen auf<br />

Ebene <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>, Regierungsbezirke <strong>und</strong> Landkreise <strong>in</strong>stalliert. Mit den Jugend- <strong>und</strong><br />

Sportbüros, die <strong>in</strong> allen Landes- <strong>und</strong> Kreisdelegationen angesiedelt waren, wurden auf <strong>der</strong><br />

mittleren <strong>und</strong> unteren Verwaltungsebene ausführende Behörden geschaffen, die für die<br />

Umsetzung <strong>der</strong> jugendpolitischen Richtl<strong>in</strong>ien aus Baden-Baden verantwortlich zeichneten.<br />

E<strong>in</strong>e ihrer zentralen Aufgaben bestand dar<strong>in</strong>, Ausführungsbestimmungen für die nachgeordneten<br />

Bezirks- <strong>und</strong> Kreisdelegationen zu erarbeiten. 1946/47 gehörten je<strong>der</strong> <strong>der</strong> vier<br />

Landesdelegationen jeweils zehn Mitarbeiter an. Die Landesbehörden waren <strong>in</strong> ihrem<br />

Verwaltungsaufbau mit denjenigen <strong>der</strong> Baden-Badener Behörden <strong>der</strong> Militärregierung<br />

weitgehend kongruent; unter an<strong>der</strong>em gab es auf <strong>der</strong> mittleren Verwaltungsebene Büros<br />

für Jugendangelegenheiten.<br />

Die südbadische Landesbehörde Sport et Jeunesse, zuständig für Schulen, Hochschulen,<br />

Kultur, Jugend, Sport <strong>und</strong> Volksbildung, wurde im Herbst 1945 <strong>in</strong>s Leben<br />

gerufen. Sie war <strong>der</strong> Délégation Supérieure de Bade <strong>in</strong> Freiburg unterstellt <strong>und</strong> wurde von<br />

Jacques Deshayes geleitet. 179 Für die Umsetzung <strong>der</strong> Durchführungsbestimmungen <strong>der</strong><br />

Freiburger Landesdelegation waren schließlich auf <strong>der</strong> unteren Verwaltungsebene die<br />

regionalen Bezirks- <strong>und</strong> Kreismilitärbehörden verantwortlich. In Baden waren Jugendoffiziere<br />

im Auftrag <strong>der</strong> Landesjugendbehörde <strong>der</strong> Militärregierung <strong>in</strong> jedem Kreis als agents<br />

d'execution 180 e<strong>in</strong>gesetzt. Sie unterstanden dem jeweiligen Kreisdelegierten <strong>und</strong> waren für<br />

die Umsetzung jugendpolitischer Maßnahmen <strong>in</strong> den Landkreisen <strong>und</strong> kreisfreien Städten<br />

zuständig, wo sie die Durchführung <strong>der</strong> Anweisungen aus Freiburg h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong><br />

Reorganisation <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> im jeweiligen Kreisgebiet zu überwachen <strong>und</strong> die lokalen<br />

Jugendaktivitäten zu kontrollieren hatten.<br />

2.3 Deutsche Behördenstrukturen auf Landes-, Bezirks- <strong>und</strong> Kreisebene<br />

Unmittelbar nach <strong>der</strong> Besetzung waren zunächst alle<strong>in</strong> die Land- <strong>und</strong> Stadtkreise als<br />

kle<strong>in</strong>räumige Verwaltungse<strong>in</strong>heiten erhalten geblieben. Das Land Südbaden glie<strong>der</strong>te sich<br />

auf <strong>der</strong> mittleren <strong>und</strong> unteren Verwaltungsebene <strong>in</strong> die Stadt- <strong>und</strong> Landkreise <strong>der</strong> Landeskommissariatsbezirke<br />

Freiburg <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>. H<strong>in</strong>zu kamen Teile des aufgelösten Bezirks<br />

Karlsruhe. 181 Charakteristisch für die Zeit zwischen Besatzungsbeg<strong>in</strong>n (1945) <strong>und</strong> die<br />

Errichtung e<strong>in</strong>es westdeutschen Gesamtstaates (1949) war das anfängliche Fehlen aller<br />

übergeordneten staatlichen Strukturen oberhalb <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>ebene. Der staatliche Wie<strong>der</strong>-<br />

179 MOREAU, <strong>Jugendarbeit</strong>, <strong>in</strong>: VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 27; HUMBLOT, Kontrolle, <strong>in</strong>:<br />

VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 45.<br />

180 ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 69.<br />

181 Im E<strong>in</strong>zelnen handelte es sich um den Stadtkreis Baden-Baden <strong>und</strong> die Landkreise Bühl <strong>und</strong> Rastatt.


44 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

aufbau Deutschlands erfolgte <strong>in</strong> verwaltungsgeschichtlicher H<strong>in</strong>sicht „von unten nach<br />

oben“. 182 Im Herbst 1946 fanden zunächst mit Genehmigung <strong>der</strong> Militärregierung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

französischen Zone freie <strong>und</strong> demokratische Kommunalwahlen auf Geme<strong>in</strong>de- <strong>und</strong><br />

Kreisebene statt. Auf Landesebene setzte im Gebiet des heutigen Baden-Württemberg <strong>der</strong><br />

Neubeg<strong>in</strong>n des politischen Lebens mit <strong>der</strong> Restitution <strong>der</strong> drei Län<strong>der</strong> Baden,<br />

Württemberg <strong>und</strong> Württemberg-Hohenzollern sowie den Wahlen zur verfassungsgebenden<br />

Versammlung <strong>in</strong> den Jahren 1946 <strong>und</strong> 1947 e<strong>in</strong>. 183<br />

Die südbadische Landesverwaltung konstituierte sich <strong>in</strong> mehreren Schritten. Bereits<br />

im Frühjahr wurden unter <strong>der</strong> Ägide <strong>der</strong> Franzosen <strong>in</strong> Karlsruhe M<strong>in</strong>isterialdirektoren an<br />

<strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> M<strong>in</strong>isterien e<strong>in</strong>gesetzt. Dieses Gremium wurde im Dezember 1946 durch<br />

e<strong>in</strong> Staatssekretariat mit Sitz <strong>in</strong> Freiburg unter <strong>der</strong> Leitung von Staatspräsident Leo<br />

Wohleb (BCSV) ersetzt. Mit Verordnung Nr. 65 vom 8. Oktober 1946 verfügte die französische<br />

Militärregierung die Bildung e<strong>in</strong>er Beratenden Landesversammlung für Baden. 184<br />

Nach <strong>der</strong> Verabschiedung <strong>der</strong> Landesverfassung bildete Wohleb im Frühjahr 1947 se<strong>in</strong>e<br />

erste verfassungsmäßige Regierung, die die politischen Geschicke des Landes bis zur<br />

Län<strong>der</strong>reform 1952 regelte.<br />

Im Zuge des Neuaufbaus <strong>der</strong> Landesverwaltung wurde <strong>in</strong> allen M<strong>in</strong>isterialressorts e<strong>in</strong><br />

dreistufiger Verwaltungsaufbau e<strong>in</strong>gerichtet bzw. dort, wo Mittelbehörden wie im Bereich<br />

<strong>der</strong> Justizverwaltung bereits vorhanden waren, fortgeführt. Mit Jugendfragen waren <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

das Kultusm<strong>in</strong>isterium sowie das Innenm<strong>in</strong>isterium befasst. In die Zuständigkeit<br />

des Kultusm<strong>in</strong>isteriums fielen die Bereiche Kultus, Schulen <strong>und</strong> Hochschulen, Kunst<br />

<strong>und</strong> Wissenschaft, Denkmalschutz <strong>und</strong> Naturschutz. Diese Dienststelle wurde nach <strong>der</strong><br />

Neuordnung <strong>der</strong> Zonengrenzen Ende 1945 von Karlsruhe nach Freiburg verlegt <strong>und</strong><br />

zunächst durch M<strong>in</strong>isterialdirektor Karl Ott geleitet. Anfang Dezember 1946 übernahm<br />

Leo Wohleb die Behördenleitung <strong>und</strong> blieb nach se<strong>in</strong>er Wahl zum Staatspräsidenten am<br />

24. Juli 1947 weiterh<strong>in</strong> Kultusm<strong>in</strong>ister. Wie im Fall <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en badischen Behörden,<br />

sofern sie nicht aufgelöst wurden, g<strong>in</strong>gen die Zuständigkeiten des früheren südbadischen<br />

Kultusm<strong>in</strong>isteriums nach <strong>der</strong> Gründung des Landes Baden-Württemberg 1952 auf die<br />

neue Zentralbehörde <strong>in</strong> Stuttgart sowie auf das Regierungspräsidium Südbaden <strong>und</strong> das<br />

Oberschulamt Freiburg über.<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> zahlreicher neuer Aufgabengebiete entstand <strong>in</strong> Baden 1946<br />

außerdem e<strong>in</strong>e Reihe neuer Landesämter, darunter das Landeswohlfahrts- <strong>und</strong> Jugendamt.<br />

185 Nach dem M<strong>in</strong>istergesetz vom 6. August 1947 oblag diesem die Aufsicht über die<br />

Wohlfahrts- <strong>und</strong> Jugendpflege auf Landesebene. Das Landeswohlfahrts- <strong>und</strong> Jugendamt<br />

182 VON DER GROEBEN, Landkreistag, S. 219.<br />

183 Zu den Anfängen <strong>der</strong> Landesverwaltungen im französischen Besatzungsgebiet <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Bezug zur<br />

französischen Militärverwaltung vgl. RABERG, Landesregierungen <strong>und</strong> deutsche Besatzungsmacht, <strong>in</strong>:<br />

HOCHSTUHL (Hg.), Deutsche <strong>und</strong> Franzosen, S. 13-42; speziell zur Entstehung von Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz<br />

siehe u. a. HUDEMANN, Entstehung des Landes <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Verfassung, <strong>in</strong>: 40 Jahre Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz,<br />

S. 65-92; DERS., „Verfassungsdebatten“, <strong>in</strong>: Rhe<strong>in</strong>ische Vierteljahresblätter 43 (1979), S. 359-369; DERS.,<br />

Zur Politik <strong>der</strong> französischen Besatzungsmacht, <strong>in</strong>: HEYEN, Rhe<strong>in</strong>landpfalz entsteht, S. 31-58.<br />

184 PFETSCH, Verfassung, <strong>in</strong>: WEINACHT (Hg.), Gelb-Rot-Gelbe Regierungsjahre, S. 127-147.<br />

185 Als weitere neue Landesbehörden entstanden <strong>in</strong> Baden 1946 das Landesamt für Soforthilfe, das Landesamt<br />

für Umsiedlung <strong>und</strong> die Landesstelle für die Betreuung <strong>der</strong> Opfer des Nationalsozialismus.


II.2 VERWALTUNGSSTRUKTUREN UND GESCHÄFTSVERTEILUNG 45<br />

bildete e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> <strong>in</strong>sgesamt fünf Abteilungen des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern 186 ,<br />

das zunächst von Paul Haußer, ab Ende 1946 von Marcel Nordmann <strong>und</strong> seit August 1947<br />

schließlich von Alfred Schühly geleitet wurde. 187 Zu den Kernaufgaben des Landeswohlfahrts-<br />

<strong>und</strong> Jugendamts zählten die Bereiche allgeme<strong>in</strong>e Wohlfahrt, Jugendfürsorge <strong>und</strong><br />

Flüchtl<strong>in</strong>gsbetreuung. Darüber h<strong>in</strong>aus führte die Behörde die Dienstaufsicht über die<br />

Landesstelle für die Betreuung <strong>der</strong> Opfer des Nationalsozialismus. Die Leitung oblag dem<br />

1916 <strong>in</strong> Walldürn im Odenwald geborenen Regierungsrat Dr. Joseph Epp. Mit <strong>der</strong><br />

Gründung des Landes Baden-Württemberg g<strong>in</strong>gen die Kompetenzen des Landeswohlfahrts-<br />

<strong>und</strong> Jugendamtes auf das Regierungspräsidium Freiburg bzw. die neuen Landesbehörden<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptstadt über. Joseph Epp wechselte 1952 <strong>in</strong> das Kultusm<strong>in</strong>isterium<br />

nach Stuttgart. 188<br />

Auf <strong>der</strong> unteren staatlichen Verwaltungsebene kam es im Zuge des Neuaufbaus <strong>der</strong><br />

badischen Landesverwaltung nach 1945 zu ke<strong>in</strong>en nennenswerten Verän<strong>der</strong>ungen h<strong>in</strong>sichtlich<br />

<strong>der</strong> Behördenstrukturen. Die weitaus meisten <strong>der</strong> unteren Behörden hatte es<br />

schon vor 1945 gegeben <strong>und</strong> ihr Fortbestand war über die Gründung des Landes Baden-<br />

Württemberg im Jahr 1952 h<strong>in</strong>aus gesichert. E<strong>in</strong>ige Umorganisationen erfolgten lediglich<br />

im H<strong>in</strong>blick auf die Ressortzugehörigkeiten <strong>und</strong> Zuständigkeiten. So mussten sich die<br />

Kreisverwaltungen neben ihren bisherigen Aufgaben nach Ende des Zweiten Weltkriegs<br />

auch um die Bereiche Wohnraumbewirtschaftung, die Sicherung <strong>der</strong> Ernährung <strong>und</strong> die<br />

Integration von Flüchtl<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Vertriebenen kümmern.<br />

Bereits das Verwaltungsgesetz vom 5. Oktober 1863 hatte die räumliche Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

<strong>der</strong> staatlichen Verwaltung mit dem Kreisgebiet sichergestellt. 189 Im März 1947<br />

wurde auf Anordnung <strong>der</strong> französischen Militärregierung schließlich die Stellung des<br />

Landrats erheblich ausgebaut, sodass dieser als staatlicher Beamter <strong>in</strong> Personalunion<br />

sowohl die Aufsicht über den unteren staatlichen Verwaltungsbezirk sowie den Vorsitz<br />

über die Kreisversammlung führte <strong>und</strong> die kreiskommunale Selbstverwaltungskörperschaft<br />

leitete 190 – heute s<strong>in</strong>d die Landräte <strong>in</strong> Baden-Württemberg gesetzliche Vertreter<br />

sowohl des Landkreises, Leiter <strong>der</strong> Landratsämter, Leiter <strong>der</strong> unteren staatlichen Verwaltungsbehörde<br />

sowie Vorsitzende des Kreistags.<br />

186 Das badische Innenm<strong>in</strong>isterium führte außer <strong>der</strong> Wohlfahrts- <strong>und</strong> Jugendpflege die Aufsicht über die<br />

folgenden weiteren Verwaltungsaufgaben: Durchführung von Landtagswahlen <strong>und</strong> Volksabstimmungen;<br />

Aufsicht über Geme<strong>in</strong>den, Kreise, Körperschaften, Sparkassen <strong>und</strong> Stiftungen, Staatsangehörigkeitsangelegenheiten<br />

<strong>und</strong> Personenstandswesen; Ges<strong>und</strong>heitswesen; Unterbr<strong>in</strong>gung von Flüchtl<strong>in</strong>gen;<br />

Fürsorge für die Opfer des Nationalsozialismus; Polizei; Bauwesen <strong>und</strong> Wie<strong>der</strong>aufbau; Feuerlöschwesen;<br />

Gebäudeversicherungsanstalt; Landesstatistik, http://www.la-bw.de [Stand 20.12.2005].<br />

187 Auswahlliteratur zur Behördengeschichte: LANDKREISTAG BADEN-WÜRTTEMBERG (Hg.), Vogteien,<br />

Ämter, Landkreise <strong>in</strong> Baden-Württemberg Band 1 <strong>und</strong> 2., ARBEITSGEMEINSCHAFT DER KREISARCHIVE<br />

(Hg.), Amtsvorsteher.<br />

188 Laut mündlicher Auskunft des HStA Stuttgart vom 05.03.2007 auf Basis des Bestands EA 2/150 Bü 303.<br />

189 Landesverordnung vom 30. 03. 1947; vgl. Amtsblatt <strong>der</strong> Landesverwaltung Nr. 12 vom 31.03.1947.<br />

190 R<strong>und</strong>verfügung des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern vom 07.03.1947; vgl. Amtsblatt <strong>der</strong><br />

Landesverwaltung Nr. 13 vom 02.04.1947.


46 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

3 Reorganisation <strong>der</strong> kommunalen Jugendwohlfahrtspflege<br />

3.1 Wie<strong>der</strong>errichtung <strong>der</strong> Jugendämter<br />

Während auf Landesebene das Wohlfahrts- <strong>und</strong> Jugendamt neu entstand, wurden auf <strong>der</strong><br />

Kommunalebene ab Herbst 1946 die Jugendämter restituiert. Die Anfänge dieser<br />

Behörden datieren <strong>in</strong> Deutschland <strong>in</strong> die Zeit <strong>der</strong> Weimarer Republik. Die Rechtsgr<strong>und</strong>lage<br />

bildete das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) von 1922, das am 1. April 1924 <strong>in</strong><br />

Kraft trat. Nach § 12 RJWG musste <strong>in</strong> je<strong>der</strong> kreisfreien Stadt <strong>und</strong> <strong>in</strong> jedem Landkreis e<strong>in</strong><br />

Jugendamt errichtet werden. Dieser Schritt wurde <strong>in</strong> den südbadischen Kommunalverwaltungen<br />

auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> badischen Ausführungsverordnung zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz<br />

vom 31. März 1924 vollzogen. Die Aufgaben <strong>der</strong> öffentlichen Jugendhilfe<br />

waren im Gefolge <strong>der</strong> Umgestaltung des gesetzlichen Wohlfahrtswesens zum 1. April<br />

1924 den neu gebildeten Bezirksfürsorgeverbänden übertragen worden. Diese waren<br />

vorwiegend für solche Personengruppen zuständig, für die es bisher noch ke<strong>in</strong>e geregelte<br />

Betreuung gab (Son<strong>der</strong>fürsorge). Im H<strong>in</strong>blick auf die Jugend betraf diese Regelung<br />

speziell die Bereiche Amtsvorm<strong>und</strong>schaften <strong>und</strong> Pflegek<strong>in</strong><strong>der</strong>betreuung. 191<br />

Nachdem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit des „Dritten Reiches“ die vom RJWG geschaffenen E<strong>in</strong>richtungen<br />

<strong>und</strong> Institutionen gleichgeschaltet worden waren, wurde nach 1945 <strong>in</strong> den westlichen<br />

Besatzungszonen das Gesetz zunächst wie<strong>der</strong> aufgenommen. In Südbaden wurden<br />

die beiden Bereiche Jugendfürsorge <strong>und</strong> Jugendpflege zunächst getrennt vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

verwaltet. Das Aufgabengebiet <strong>der</strong> kommunalen Jugendämter beschränkte sich alle<strong>in</strong> auf<br />

das Fürsorgewesen, <strong>während</strong> die Jugendpflege erst durch die Jugendausschüsse, später<br />

durch eigens e<strong>in</strong>gerichtete Abteilungen für Jugendpflege bei den Kommunen wahrgenommen<br />

wurde. In allen Stadt- <strong>und</strong> Landkreisen musste daher sowohl e<strong>in</strong> Jugendamtsausschuss<br />

für den Fürsorgebereich als auch e<strong>in</strong> Jugendausschuss für die Bereiche<br />

Jugendbildung, Jugendbewegung <strong>und</strong> Jugendsport gebildet werden. Denn im H<strong>in</strong>blick auf<br />

die adm<strong>in</strong>istrative Seite <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> entwickelten die Besatzungsmächte jeweils<br />

unterschiedliche Konzeptionen, wobei man sich nicht zuletzt an den eigenen nationalen<br />

Vorbil<strong>der</strong>n orientierte. In <strong>der</strong> französischen Zone hatten die kommunalen Jugendämter<br />

ke<strong>in</strong>e herausgehobene Position als Träger <strong>der</strong> Jugendpflege, wie dies im britischen<br />

Zonengebiet <strong>der</strong> Fall war. Erst die Novellierung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes<br />

führte 1953 <strong>in</strong> (West-)Deutschland b<strong>und</strong>esweit beide Arbeitsfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> auf<br />

adm<strong>in</strong>istrativer Ebene unter <strong>der</strong> Obhut <strong>der</strong> Jugend- <strong>und</strong> Sozialämter zusammen. Im<br />

Gefolge dieser Gesetzesän<strong>der</strong>ung avancierten die Jugendämter nach dem Vorbild <strong>der</strong><br />

britischen Zone zu staatlichen Institutionen <strong>der</strong> kommunalen Jugendhilfe.<br />

191 Ausführlich dargestellt bei GORKA, Kreisselbstverwaltung <strong>in</strong> Baden, S. 163 <strong>und</strong> S. 167 f.


II.4 INDIVIDUELLES ENGAGEMENT BEIM AUFBAU DER JUGENDARBEIT 47<br />

3.2 Bildung von Jugendausschüssen – E<strong>in</strong>richtung von Abteilungen für<br />

Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung bei den Kommunalverwaltungen<br />

Im Verlauf des Jahres 1946 wurden <strong>in</strong> allen badischen Kreisen sowie auf Landesebene<br />

Jugendausschüsse für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung gegründet. Der Landesjugendausschuss<br />

für Südbaden trat Anfang April erstmals zusammen. Bei <strong>der</strong> Gründungsversammlung<br />

wurde zweierlei deutlich: Zum e<strong>in</strong>en wurden Bestrebungen <strong>der</strong> Franzosen<br />

erkennbar, die <strong>Jugendarbeit</strong> nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs künftig wie<strong>der</strong><br />

vermehrt <strong>in</strong> deutsche Hände zu geben. So wurde unter an<strong>der</strong>em ausgeführt, „dass es jetzt<br />

nur an den Deutschen selbst liege, aus sich heraus Menschen <strong>und</strong> Methoden zu f<strong>in</strong>den, die<br />

dazu beitragen konnten, <strong>der</strong> Jugend aus dem seelischen <strong>und</strong> materiellen Zusammenbruch<br />

wie<strong>der</strong> emporzuhelfen.“ 192<br />

Zum an<strong>der</strong>en wurden nicht nur Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Landesmilitärbehörde, Vertretern<br />

deutscher Landes- <strong>und</strong> Stadtbehörden <strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugendorganisationen, son<strong>der</strong>n auch<br />

Jugendliche e<strong>in</strong>geladen. Diese waren aufgefor<strong>der</strong>t worden, „<strong>in</strong> freier Aussprache die<br />

dr<strong>in</strong>glichsten Fragen e<strong>in</strong>er gegenwartsnahen Betreuung <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> Stadt <strong>und</strong> Land zu<br />

erörtern“. Die Methode, Jugendliche selbst nach ihren Wünschen <strong>und</strong> Vorschlägen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Gestaltung des Jugendangebots zu befragen, stellte zum damaligen<br />

Zeitpunkt e<strong>in</strong> Novum <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen <strong>Jugendarbeit</strong> dar.<br />

Nachdem sich das auf <strong>der</strong> Arbeit von Jugendausschüssen aufgebaute Pr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>er<br />

weitestgehend von Jugendverbänden <strong>und</strong> weiteren Jugendverantwortlichen bestimmten<br />

Jugendpflege <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone nicht bewährte, wurden auf Anweisung des<br />

badischen Innenm<strong>in</strong>isteriums seit Herbst 1946 auf <strong>der</strong> kommunalen Ebene <strong>in</strong> den Verwaltungen<br />

<strong>der</strong> Landratsämter <strong>und</strong> <strong>der</strong> kreisfreien Städte jeweils eigene Abteilungen für<br />

Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung e<strong>in</strong>gerichtet, die als Vorläuferabteilungen <strong>der</strong> späteren<br />

Jugendpflege beim Kreis- bzw. Stadtjugendamt bezeichnet werden können. Zu den Aufgaben<br />

dieser neuen Dienststellen zählten die Gründung <strong>und</strong> Führung von E<strong>in</strong>richtungen<br />

<strong>der</strong> Jugendpflege <strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugendbildung, vor allem Jugendhäuser, Jugendbildungswerke<br />

<strong>und</strong> Volkshochschulen.<br />

4 Individuelles Engagement beim Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

Erfolgreiche <strong>Jugendarbeit</strong> ist nicht alle<strong>in</strong> auf günstige strukturbed<strong>in</strong>gte Gegebenheiten<br />

zurückzuführen. Vielmehr handelt es sich um e<strong>in</strong>en gesellschaftlichen Bereich, <strong>der</strong> stark<br />

durch die <strong>in</strong>dividuellen sozialen, emotionalen <strong>und</strong> fachlichen Kompetenzen e<strong>in</strong>zelner<br />

Personen geprägt wird. Dies leitet über zur Frage, wie hoch <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss e<strong>in</strong>zelner Persönlichkeiten<br />

e<strong>in</strong>geschätzt werden muss, wenn es um den Aufbau demokratischer Strukturen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung von Kunst <strong>und</strong> Kultur o<strong>der</strong> um die deutsch-französi-<br />

192 Dieses <strong>und</strong> das nachfolgende Zitat entstammen dem Bericht zur Gründungsversammlung im SÜDKURIER<br />

vom 09.04.1956.


48 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

sche Aussöhnung geht. 193 Gerade <strong>in</strong> früher Nachkriegszeit, als die Beziehungen von<br />

Franzosen <strong>und</strong> Deutschen durch den Krieg sehr belastet waren, trugen e<strong>in</strong>zelne<br />

Persönlichkeiten zur Aussöhnung bei, von denen e<strong>in</strong>ige im Folgenden etwas ausführlicher<br />

vorgestellt werden.<br />

4.1 Französische Persönlichkeiten<br />

Beispiele für französisches Engagement im H<strong>in</strong>blick auf die Verbesserung <strong>der</strong> deutschfranzösischen<br />

Beziehungen gibt es viele. Unter den Angestellten <strong>der</strong> Militärregierung s<strong>in</strong>d<br />

neben dem Generalverwalter <strong>der</strong> französischen Zone, Emile Laffon, die leitenden<br />

Angestellten <strong>der</strong> DEP, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Schmittle<strong>in</strong>, Giron, Moreau <strong>und</strong> Rovan, sowie die<br />

beiden Leiter <strong>der</strong> Landesjugendbehörden Südbaden, Jacques Deshayes, sowie <strong>in</strong><br />

Württemberg-Hohenzollern, Henri Humblot, zu nennen. Unter den französischen Kreisdelegierten<br />

ragt Pierre Robert, <strong>der</strong> <strong>in</strong> den Kreisen Vill<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Offenburg amtierte, als<br />

engagierter Vertreter für Jugendför<strong>der</strong>ung hervor. 194 Hervorzuheben ist zudem das<br />

Engagement <strong>Konstanz</strong>er Bezirksdelegierten Degliame (Amtsperiode 1946-1948) <strong>und</strong> Noël<br />

(Amtsperiode 1948-1951) <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den Jugendoffizieren Marot <strong>und</strong> Muller.<br />

Gerade André Noël 195 gilt als e<strong>in</strong> wichtiger Wegbereiter für die deutsch-französische<br />

Verständigung. Für dieses Ziel setzte sich zudem <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Kulturoffizier Georges<br />

Ferber nachdrücklich e<strong>in</strong>, <strong>der</strong> sich viele Verdienste um die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> regionalen<br />

Kunstszene <strong>und</strong> Medienlandschaft erwarb.<br />

Zahlreiche französische Intellektuelle bereiteten zudem die Aussöhnung zwischen<br />

Deutschen <strong>und</strong> Franzosen vor. Beispielhaft erwähnt seien Emmanuel Mounier, Jean<br />

Schlumberger, Raymond Aron, Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre, Albert Camus,<br />

André Gide <strong>und</strong> Paul Claudel. 196 Hervorzuheben s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong>tensiven wissenschaftlichen<br />

<strong>und</strong> publizistischen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen mit Fragen <strong>der</strong> deutsch-französischen<br />

Verständigung des Historikers, Soziologen <strong>und</strong> Politikwissenschaftlers Alfred Grosser 197<br />

193<br />

Dazu WINTZEN, L’<strong>in</strong>fluence, <strong>in</strong>: KNIPPING; LE RIDER (Hgg.), Kulturpolitik, S. 335-348.<br />

194<br />

Vgl. hierzu Kap. IV.7.1.<br />

195<br />

Siehe Kap. IV.6.<br />

196<br />

E<strong>in</strong> differenziertes Bild <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> deutsch-französischen Beziehungen zwischen 1945 <strong>und</strong><br />

1950 zeichnet die Dissertation von STRICKMANN, L'Allemagne nouvelle. Der Autor widmet sich u. a.<br />

neben <strong>der</strong> Kulturpolitik im Allgeme<strong>in</strong>en den ersten b<strong>in</strong>ationalen Treffen von Schriftstellern, Wissenschaftlern,<br />

Jugendleitern, Journalisten nach 1945 <strong>und</strong> thematisiert die Initiativen französischer Intellektueller<br />

zur Demokratisierung Deutschlands, die teilweise schon <strong>in</strong> den letzten Kriegsjahren begonnen<br />

wurden.<br />

197<br />

Alfred Grosser, 1925 <strong>in</strong> Frankfurt/Ma<strong>in</strong> geboren <strong>und</strong> 1933 nach Frankreich emigriert, wurde 1937<br />

französischer Staatsbürger. Er lehrte am „Institut d’études politiques“ <strong>in</strong> Paris <strong>und</strong> begleitete die deutsche<br />

Politik kont<strong>in</strong>uierlich. Grosser ist u. a. Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels. Unter <strong>der</strong> Fülle<br />

<strong>der</strong> Publikationen sei hier genannt: GROSSER, <strong>Geschichte</strong> Deutschlands seit 1945.


II.4 INDIVIDUELLES ENGAGEMENT BEIM AUFBAU DER JUGENDARBEIT 49<br />

sowie des Historikers <strong>und</strong> späteren Mitbegrün<strong>der</strong>s des Deutsch-Französischen Jugend-<br />

werks (DFJW, gegründet 1963) 198 Joseph Rovan 199 . Beide Männer s<strong>in</strong>d sowohl durch die<br />

deutsche als auch die französische Kultur biografisch geprägt <strong>und</strong> gelten als Mittler<br />

zwischen Frankreich <strong>und</strong> Deutschland. Rovan war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Besatzungsphase Mitglied <strong>der</strong><br />

Militärregierung <strong>in</strong> Baden-Baden <strong>und</strong> leitete das Büro für Volksbildung <strong>der</strong> Unterabteilung<br />

Jugend <strong>und</strong> Sport bei <strong>der</strong> DEP. Se<strong>in</strong>e Wurzeln lagen <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Volksbildungsbewegung<br />

Peuple et Culture, <strong>der</strong>en Dokumentationszentrum <strong>in</strong> Paris Rovan vor<br />

se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Militärregierung <strong>in</strong> Baden-Baden 1947 leitete. 200 Für die französische<br />

Jugendpolitik <strong>in</strong> Deutschland s<strong>in</strong>d zudem private Organisationen von Interesse, die<br />

im Rahmen <strong>in</strong>ternationaler Begegnungsprogramme beson<strong>der</strong>s die Jugend im Blick hatten.<br />

Dazu zählen das Bureau International des Liaisons et de Documentation (B.I.L.D.), das<br />

1945 mit Sitz <strong>in</strong> Offenburg von Pater Jean du Rivau gegründet wurde, sowie das Comité<br />

français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle, das 1948 von Alfred Grosser <strong>und</strong><br />

Emmanuel Mounier <strong>in</strong>s Leben gerufen wurde. 201 Zur Verbesserung <strong>der</strong> deutsch-französischen<br />

Beziehungen trugen zudem zahlreiche Regierungspolitiker bei<strong>der</strong>seits des Rhe<strong>in</strong>s<br />

bei, die persönlich wie politisch jeweils gute menschliche Beziehungen mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

pflegten. 202 Zu nennen s<strong>in</strong>d die Staatsmänner Adenauer <strong>und</strong> De Gaulle; Helmut Schmidt<br />

<strong>und</strong> Valéry Giscard d’Esta<strong>in</strong>g sowie Helmut Kohl <strong>und</strong> François Mitterand.<br />

Daran, dass viele Franzosen <strong>und</strong> Deutsche heute e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> persönlich kennen <strong>und</strong> die<br />

Kultur des Nachbarn besser verstehen, hatten vor allem die <strong>in</strong>ternationalen Jugendtreffen<br />

e<strong>in</strong>en entscheidenden Anteil. 203 In Südbaden gehen ihre Wurzeln auf die Privat<strong>in</strong>itiative<br />

des Baden-Badener Militärpfarrers <strong>und</strong> Jesuitenpaters Jean du Rivau, dem Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Gesellschaft für <strong>in</strong>ternationale Zusammenarbeit sowie <strong>der</strong> Zeitschrift Documents, zurück,<br />

<strong>der</strong> als Wegbereiter <strong>der</strong> deutsch-französischen Begegnungen <strong>in</strong> Lahr 1946 gilt. E<strong>in</strong>en<br />

wichtigen Beitrag leisten bis heute auch die zahlreichen Städtepartnerschaften im Land<br />

sowie die Kulturvere<strong>in</strong>igungen, darunter die Jumelage <strong>Konstanz</strong> – Fonta<strong>in</strong>ebleau (1960)<br />

198<br />

Das DFJW ist e<strong>in</strong>e unabhängige <strong>in</strong>ternationale Organisation im Dienst <strong>der</strong> deutsch-französischen<br />

Fre<strong>und</strong>schaft. Zu se<strong>in</strong>en Aufgaben zählen die För<strong>der</strong>ung des Jugendaustauschs zwischen Jugendorganisationen,<br />

Sportvere<strong>in</strong>en, Sprachzentren, Berufsbildungse<strong>in</strong>richtungen, Standesorganisationen <strong>und</strong><br />

Gewerkschaften, Schulen <strong>und</strong> Universitäten, Geme<strong>in</strong>den sowie Partnerschaftskomitees; 1976 wurden die<br />

Programme für Jugendliche aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Europäischen Geme<strong>in</strong>schaft geöffnet;<br />

http://www.dfjw.org [Stand 2.9.2009].<br />

199<br />

Joseph Rovan (1918-2004) emigrierte 1933 nach Frankreich. Im Krieg schloss er sich <strong>der</strong> Résistance an,<br />

wurde 1944 verhaftet <strong>und</strong> <strong>in</strong>s Konzentrationslager Dachau gebracht. Nach 1945 engagierte er sich als<br />

Publizist <strong>und</strong> politischer Berater. Von 1968 bis 1986 war er Professor für deutsche <strong>Geschichte</strong> an <strong>der</strong><br />

Universität V<strong>in</strong>cennes <strong>und</strong> an <strong>der</strong> Sorbonne. ROVAN, Er<strong>in</strong>nerungen; DERS., Im Zentrum Europas; zu<br />

Leben <strong>und</strong> Wirken siehe neuerd<strong>in</strong>gs STRICKMANN, L’Allemagne Nouvelle, S. 95-113.<br />

200<br />

Moreau wurde über e<strong>in</strong>en Beitrag Rovans <strong>in</strong> <strong>der</strong> von Emanuel Mounier herausgegebenen Zeitschrift<br />

Esprit vom November 1945 mit dem Titel „L'Allemagne de nos mérites“ auf den damaligen Leiter des<br />

Dokumentationszentrums von „Peuple et Culture“ aufmerksam <strong>und</strong> holte ihn <strong>in</strong> die Jugend- <strong>und</strong><br />

Sportbehörde nach Baden-Baden; vgl. MOREAU, <strong>Jugendarbeit</strong>, <strong>in</strong>: VAILLANT (Hg.), Französische<br />

Kulturpolitik, S. 28.<br />

201<br />

Zur Gründungs- <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong>sgeschichte vgl. PLUM, Französische Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland,<br />

S. 148-153.<br />

202<br />

SEYDOUX, Adenauer <strong>und</strong> de Gaulle, <strong>in</strong>: BLUMENWITZ; GOTTO U. A. (Hgg.), Konrad Adenauer <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Zeit, S. 370-37; MAILLARD, De Gaulle <strong>und</strong> Deutschland.<br />

203<br />

Für <strong>Konstanz</strong> siehe BÜRGER, Deutsch-französische Beziehungen.


50 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

sowie die „Deutsch-französische Vere<strong>in</strong>igung <strong>Konstanz</strong>“ (1949). 204 E<strong>in</strong> ähnlicher<br />

Gedanke lag dem als „Heim für Verständigung <strong>und</strong> Versöhnung“ <strong>in</strong>tendierten Europa-<br />

Haus <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> zugr<strong>und</strong>e, das jedoch nur kurzfristig Bestand hatte. 205<br />

4.2 Ansprechpartner auf deutscher Seite<br />

Neben den Vertretern <strong>der</strong> Militärregierung setzten sich deutsche Politiker <strong>und</strong> Pädagogen<br />

frühzeitig für e<strong>in</strong>e neue, auf demokratischer Gr<strong>und</strong>lage basierende Schul- <strong>und</strong><br />

Jugen<strong>der</strong>ziehung e<strong>in</strong>. Hervorzuheben s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> badische M<strong>in</strong>isterpräsident Leo Wohleb 206<br />

sowie Theodor Heuss (1884-1963), <strong>der</strong> sowohl <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Zeit als Kultusm<strong>in</strong>ister des<br />

Landes Württemberg-Hohenzollern (1945/46) als auch als B<strong>und</strong>espräsident <strong>in</strong> den Jahren<br />

1949 bis 1959 <strong>der</strong> Jugendpolitik e<strong>in</strong>en großen Stellenwert e<strong>in</strong>räumte. Zusammen mit<br />

Carlo Schmid, <strong>der</strong> <strong>während</strong> <strong>der</strong> Besatzungszeit als Landesdirektor für Kultus bzw.<br />

Präsident des Staatssekretariats <strong>in</strong> die Kulturpolitik des Landes Württemberg-<br />

Hohenzollern maßgeblich e<strong>in</strong>griff 207 , gründete Heuss 1948 das Deutsch-Französische<br />

Institut Ludwigsburg, das – obschon außerhalb <strong>der</strong> französischen Zone gelegen – sich um<br />

die För<strong>der</strong>ung deutsch-französischer Kulturbeziehungen, darunter dem Jugendaustausch,<br />

bemühte. 208<br />

Den französischen Jugendverantwortlichen war frühzeitig klar, dass sich<br />

jugendpflegerische Aufgaben aufgr<strong>und</strong> ihrer Vielfalt nicht ohne die Hilfe deutscher<br />

Ansprechpartner durchführen ließen. Die badischen Delegierten wurden aus diesem Gr<strong>und</strong><br />

um die Jahreswende 1945/46 durch die Freiburger Landesdelegation <strong>der</strong> Militärregierung<br />

angewiesen, geeignete deutsche Persönlichkeiten <strong>in</strong> den Kommunalverwaltungen, unter<br />

den Lehrkräften sowie aus den Reihen <strong>der</strong> Kirchen, Verbände <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>e etc. zu rekrutieren.<br />

209 Die badische Landesdelegation erarbeitete 1946 zu diesem Zweck Durchführungsbestimmungen<br />

für die kommunale Jugendpflege, die sie zunächst an die Militärgouverneure<br />

<strong>in</strong> den Kreisen weitergab. Diese hatten Anweisungen, Kontakte mit Personen<br />

zu knüpfen, die geeignet waren, den „geistigen Neuaufbau“ im Bereich <strong>Jugendarbeit</strong> zu<br />

leisten. Die geschil<strong>der</strong>te Vorgehensweise entsprach ferner <strong>der</strong> Situation <strong>der</strong> deutschen<br />

Verwaltungen, die durch dezentrale Strukturen <strong>und</strong> das anfängliche Fehlen überregionaler<br />

Strukturen gekennzeichnet waren. Angesprochen waren Vertreter <strong>der</strong> Kommunalpolitik,<br />

Kirchen, Gewerkschaften <strong>und</strong> Industrie sowie <strong>der</strong> politischen <strong>und</strong> privaten Verbände, vor<br />

allem Landräte, Oberbürgermeister, Pfarrer, Pädagogen etc.<br />

204<br />

WEYL, André No!l, <strong>in</strong>: HALLO/BONJOUR, 8. Jg Nr. 33 (August/ September 2002).<br />

205<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 274; vgl. hierzu Kap. V.1.1.<br />

206<br />

Auswahlliteratur: KÖSTER, Politik <strong>und</strong> Verwaltung, <strong>in</strong>: SCHWEICKERT, (Hg.), Südbaden, S. 100;<br />

WEINACHT (Hg.), Gelb-Rot-Gelbe Regierungsjahre; Archiv<strong>in</strong>ventar/ Quellen: HOCHSTUHL U. A. (Bearb.),<br />

Nachlass Leo Wohleb; SAF, Bestand T16.<br />

207<br />

Dazu BECKER, Kultur im Schatten <strong>der</strong> Trikolore, S. 120.<br />

208<br />

Zur <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> Wirkung vgl. PLUM, Französische Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland, S. 158-161.<br />

209<br />

ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 167.


II.4 INDIVIDUELLES ENGAGEMENT BEIM AUFBAU DER JUGENDARBEIT 51<br />

Auf welche Weise solche Kontakte zustande kommen konnten, zeigt e<strong>in</strong> Beispiel aus<br />

dem Kreis Vill<strong>in</strong>gen. Bereits im Dezember 1945, <strong>und</strong> damit unmittelbar nachdem die<br />

Anweisungen aus Freiburg formuliert worden waren, wendete sich <strong>der</strong> dortige Kreisdelegierte<br />

Pierre Robert <strong>während</strong> e<strong>in</strong>er Bürgermeisterversammlung mit e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichen<br />

Appell an die Politiker se<strong>in</strong>es Sprengels, um sie über Ziele <strong>der</strong> Militärregierung<br />

aufzuklären <strong>und</strong> auf ihre künftige Rolle als Helfer bei <strong>der</strong> Durchsetzung französischer<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong>zuschwören. Se<strong>in</strong> Aufruf ist <strong>in</strong> schriftlicher Form <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Akte, die das<br />

Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis verwahrt, überliefert. 210 Beispielhaft für die Worte,<br />

die Robert zur Begründung des Aufbaus <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> wählte, sei daraus folgen<strong>der</strong><br />

Passus zitiert:<br />

„Unsere Arbeit nützt nichts, wenn die Jugend nicht verstanden <strong>und</strong> geführt wird. Es<br />

ist daher unser <strong>und</strong> Ihr Problem, die Jugend, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die 15- <strong>und</strong> 16-jährigen [zu<br />

führen], die nur Lüge <strong>und</strong> Hitlerismus [sic] gekannt haben. […] Ich bitte Sie daher,<br />

auf die Jugend ihre ganze Aufmerksamkeit zu verwenden <strong>in</strong> Ihrem Interesse <strong>und</strong> im<br />

Interesse Europas.“ 211<br />

Auch <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> stützten sich die Franzosen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Phase des Neubeg<strong>in</strong>ns <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

auf die Mitarbeit vieler deutscher Helfer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Helfer. Ihre Partner vor Ort entstammten<br />

den Bereichen Kommunalpolitik, Wirtschaft, Kirchen <strong>und</strong> Schulen. Hervorzuheben<br />

s<strong>in</strong>d Menschen wie Oberbürgermeister Knapp, die Landräte des Kreises <strong>Konstanz</strong>,<br />

die Kirchenvertreter aller drei <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> vertretenen Konfessionen o<strong>der</strong> die Kreisbeauftragten<br />

für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung Göpfrich, Sigrist, Auer <strong>und</strong> Kutscha.<br />

Auf das Engagement, das e<strong>in</strong>zelne <strong>der</strong> genannten Persönlichkeiten <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> beim<br />

Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> zeigten, wird an späterer Stelle <strong>der</strong> Arbeit ausführlich<br />

e<strong>in</strong>gegangen. Zunächst ist festzuhalten: Mit ihrer Tätigkeit haben viele Militärdelegierte<br />

<strong>und</strong> Jugendoffiziere, Jugendpfleger o<strong>der</strong> Jugendamtsangestellte, Pädagogen o<strong>der</strong> Jugendgruppenleiter<br />

<strong>und</strong> engagierte Bürger aus <strong>Konstanz</strong> zum Neuaufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit nachhaltig beigetragen. Dabei kamen ihnen gr<strong>und</strong>legende<br />

Kenntnisse über die örtlichen Beson<strong>der</strong>heiten zugute. E<strong>in</strong> kooperatives Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

deutscher <strong>und</strong> französischer Dienststellen spielte bei <strong>der</strong> Ausübung jugendpflegerischer<br />

Tätigkeiten stets e<strong>in</strong>e kaum zu unterschätzende Rolle. Die zahlreichen Initiativen<br />

E<strong>in</strong>zelner <strong>in</strong> früher Nachkriegszeit im Bereich <strong>der</strong> lokalen <strong>Jugendarbeit</strong> haben beide<br />

Kulturen e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> nähergebracht, damit zur Völkerverständigung zwischen Franzosen <strong>und</strong><br />

Deutschen nachhaltig beigetragen <strong>und</strong> den Weg zur späteren deutsch-französischen<br />

Partnerschaft vorbereitet.<br />

210 Zur Verwaltungsgeschichte: STURM, Schwarzwald-Baar-Kreis, <strong>in</strong>: ARBEITSGEMEINSCHAFT DER<br />

KREISARCHIVE (Hg.), Amtsvorsteher, S. 123-127.<br />

211 KrAVS, Bestand Landratsamt Vill<strong>in</strong>gen, Nr. 2412.


52 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

4.3 Von <strong>der</strong> Annäherungspolitik zur deutsch-französischen Fre<strong>und</strong>schaft<br />

„Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist Kern <strong>der</strong> europäischen <strong>Entwicklung</strong><br />

gewesen“. 212 Mit diesen Worten hat <strong>der</strong> frühere deutsche Außenm<strong>in</strong>ister Joschka FISCHER<br />

anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Elysée-Vertrags im Januar 2003 das deutschfranzösische<br />

Verhältnis beschrieben. Beide Nachbarstaaten gelten heute als „Pioniere <strong>der</strong><br />

Annäherung <strong>und</strong> Verständigung“ 213 <strong>in</strong>nerhalb Europas <strong>und</strong> als „Schwungrad“ 214 <strong>der</strong> europäischen<br />

E<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er erweiterten Europäischen Union. Regelmäßige deutschfranzösische<br />

Gipfel <strong>und</strong> Außenm<strong>in</strong>istertreffen, e<strong>in</strong>e enge militärische Zusammenarbeit<br />

sowie e<strong>in</strong> reger Kulturaustausch s<strong>in</strong>d heute Normalität, auch wenn nach Me<strong>in</strong>ung des<br />

französischen Politikwissenschaftlers Henri MÉNUDIER 215 , <strong>der</strong> als Schüler von Alfred<br />

Grosser <strong>und</strong> Joseph Rovan die Aufgabe <strong>der</strong> Verständigung <strong>und</strong> des wissenschaftlichen<br />

Dialogs zwischen Deutschen <strong>und</strong> Franzosen fortsetzt, die deutsch-französische Fre<strong>und</strong>schaft<br />

noch viele Aufgaben zu bewältigen hat. Allerd<strong>in</strong>gs war es e<strong>in</strong> langer Weg, bis aus<br />

Fe<strong>in</strong>den Partner wurden. 216<br />

Dass Frankreich <strong>und</strong> Deutschland trotz vieler nach wie vor bestehen<strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten,<br />

die etwa <strong>in</strong> <strong>der</strong> EU-Sicherheits-, Agrar- <strong>und</strong> Außenpolitik o<strong>der</strong> im<br />

Zuge <strong>der</strong> deutschen Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung zutage traten, <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> friedlich <strong>und</strong><br />

kooperativ begegnen, ist das Ergebnis langjähriger <strong>in</strong>tensiver Bemühungen auf beiden<br />

Seiten des Rhe<strong>in</strong>s. 217 Die politische, gesellschaftliche <strong>und</strong> kulturelle Annäherung zwischen<br />

Deutschen <strong>und</strong> Franzosen ist e<strong>in</strong> immer noch andauern<strong>der</strong> Prozess. Die Anfänge dieser<br />

<strong>Entwicklung</strong> datieren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit. Das deutsch-französische Verhältnis war bis<br />

dah<strong>in</strong> durch Kriege, Besatzungen <strong>und</strong> Friedensdiktate stark belastet. Für die Deutschen<br />

galten die Franzosen als Erbfe<strong>in</strong>de. Die Franzosen fürchteten sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e vor dem<br />

preußisch-deutschen Militarismus. Während <strong>der</strong> 1950er-Jahre gab es zunächst nur e<strong>in</strong>e<br />

zögerliche Annäherung <strong>der</strong> französischen <strong>und</strong> westdeutschen Kultur, zu groß waren die<br />

nationalen Identitäten <strong>und</strong> die Er<strong>in</strong>nerungen vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> von zwei Weltkriegen,<br />

<strong>in</strong> denen sich beide Nationen als Kriegsgegner gegenübergestanden hatten. Erst <strong>in</strong> den<br />

1960er-Jahren begannen sich die gesellschaftlichen <strong>und</strong> kulturellen Unterschiede allmählich<br />

zu mil<strong>der</strong>n. Im Gefolge dieser <strong>Entwicklung</strong> kam es zu e<strong>in</strong>er Intensivierung <strong>der</strong> Kooperation<br />

zwischen beiden Län<strong>der</strong>n auf politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher <strong>und</strong><br />

212 Hier zitiert nach SÜDKURIER vom 15.01.2003.<br />

213 SÜDKURIER vom 17.01.2003.<br />

214 SÜDKURIER vom 15.01.2003.<br />

215 Verwiesen sei an dieser Stelle auf e<strong>in</strong>en Presseh<strong>in</strong>weis anlässlich e<strong>in</strong>es Festvortrag von Henri Ménudier:<br />

„Deutsch-französische Zusammenarbeit als ‚Motor‘ für Europa“ am 24. November 1998 an <strong>der</strong> Universität<br />

Stuttgart, im Internet abzurufen unter http://www.uni-stuttgart.de/aktuelles/presse/1998/80.html<br />

[Stand 17.08.2007].<br />

216 Die Literatur zur <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> deutsch-französischen Beziehungen ist <strong>in</strong>zwischen mannigfach. Daher<br />

erfolgt an dieser Stelle nur e<strong>in</strong>e Auswahl e<strong>in</strong>iger zentraler Beiträge zu diesem Thema: KRAUTKRÄMER,<br />

Deutschland <strong>und</strong> Frankreich, <strong>in</strong>: UFFELMANN (Hg.), Didaktik, S. 154 f.; LAPPENKÜPER, Die deutschfranzösischen<br />

Beziehungen 1949-1963: Von <strong>der</strong> „Erbfe<strong>in</strong>dschaft“ zur „Entente élémentaire“. Band 1:<br />

1949-1958. Band 2: 1958-1963; MANFRASS (Hg.), Paris – Bonn; MARTENS (Hg.), Vom „Erbfe<strong>in</strong>d“ zum<br />

„Erneuerer“; Sauzay, Deutschland <strong>und</strong> Frankreich, <strong>in</strong>: APuZ, Band 3-4 (2004), S. 3-5.<br />

217 Siehe dazu den Sammelband von HOCHSTUHL (Hg.), Deutsche <strong>und</strong> Franzosen.


II.5 STRUKTUREN UND ARBEITSFELDER DER JUGENDARBEIT IN SÜDBADEN 53<br />

kultureller Ebene bis h<strong>in</strong> zu grenzüberschreitenden Initiativen am Oberrhe<strong>in</strong> im Bereich<br />

<strong>der</strong> Umweltpolitik seit den 1970er-Jahren. 218<br />

Die Phase <strong>der</strong> deutsch-französischen Aussöhnung wurde <strong>in</strong> den späten 1950er-Jahren<br />

politisch e<strong>in</strong>geleitet <strong>und</strong> mit dem Elysée-Vertrag zwischen Adenauer <strong>und</strong> de Gaulle im<br />

Jahr 1963 besiegelt. 219 „Der Elysée-Vertrag hat“, so Hartmut KAELBLE, „an diesem ganz<br />

erstaunlichen Prozess se<strong>in</strong>en Anteil <strong>und</strong> ist gleichzeitig Ausdruck dieser <strong>Entwicklung</strong>.“ 220<br />

Für die Jugend bei<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> hatte die <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e zusätzliche Bedeutung,<br />

als dass im Gefolge des Elysée-Vertrags die Organisation <strong>und</strong> Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

zwischen Frankreich <strong>und</strong> Deutschland geregelt wurden. Hiermit wurde <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>ste<strong>in</strong><br />

zur Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks, <strong>der</strong> zentralen Austausch<strong>in</strong>stitution<br />

für die Begegnung deutscher <strong>und</strong> französischer Jugendlicher, am 29. Oktober<br />

1963 <strong>in</strong> Paris gelegt. 221<br />

5 Strukturen <strong>und</strong> Arbeitsfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> Südbaden<br />

Nachdem <strong>in</strong> den vorherigen Kapiteln übergeordnete Zielsetzungen <strong>und</strong> theoretische<br />

Konzeptionen erörtert wurden, die <strong>der</strong> französischen Jugendpolitik im besetzten deutschen<br />

Südwesten nach 1945 zugr<strong>und</strong>e lagen, rückt im Folgenden die <strong>Jugendarbeit</strong> als praktische<br />

Dimension <strong>der</strong> Jugendpolitik <strong>in</strong> den Mittelpunkt. Um die <strong>Konstanz</strong>er <strong>Entwicklung</strong> später<br />

angemessen beurteilen zu können, wird zunächst auf die <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> Baden e<strong>in</strong>gegangen.<br />

Hier wurde mit <strong>der</strong> Umsetzung jugendpolitischer Vorgaben <strong>der</strong> Militärregierung<br />

im Bereich <strong>der</strong> Bildungspolitik frühzeitig nach Kriegsende begonnen.<br />

Der Wie<strong>der</strong>beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> außerschulischen <strong>Jugendarbeit</strong> datiert hierzulande auf die<br />

Jahreswende 1945/46, nachdem <strong>der</strong> Prozess des Aufbaus e<strong>in</strong>er tragfähigen Besatzungsverwaltung<br />

abgeschlossen <strong>und</strong> wichtige Schritte zur Entnazifizierung im Bildungssektor<br />

erfolgt waren. Während die Schulen im Herbst 1945 flächendeckend zonenweit eröffnet<br />

wurden, beschränkten sich die außerschulischen Initiativen, vor allem im Bereich <strong>der</strong><br />

kommunalen Jugendpflege, zunächst auf e<strong>in</strong>zelne Kreise <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den. Die Ergebnisse<br />

dieser Bemühungen waren äußerst vielgestaltig. Bei den e<strong>in</strong>zelnen Komponenten, die<br />

zusammengenommen den Neubeg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> ausmachten, handelte es sich um<br />

e<strong>in</strong>en bunt gefächerten Mix aus Althergebrachtem <strong>und</strong> Neuem. In e<strong>in</strong>em ersten Schritt<br />

wurden ältere Bereiche <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, <strong>der</strong>en Wurzeln <strong>in</strong> die erste Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

zurückreichten, reorganisiert, nachdem sie von nationalsozialistischem Gedan-<br />

218 LÖSER, Kooperation, <strong>in</strong>: HOCHSTUHL (Hg.), Deutsche <strong>und</strong> Franzosen, S. 105-156.<br />

219 Zu diesem Vertragswerk siehe THADDEN, Privilegierte Partnerschaft, <strong>in</strong>: Internationale Politik 58 (2003),<br />

S. 45-48; ZERVAKIS; VON GOSSLER, 40 Jahre Elysée-Vertrag, <strong>in</strong>: APUZ 53 (2003), Band 3-4, S. 6-13;<br />

MENUDIER, 25 Jahre deutsch-französischer Vertrag, <strong>in</strong>: WAGENLEHNER (Hg.), Fe<strong>in</strong>dbild, S. 245-255;<br />

OSTERHELD, Der deutsch-französische Vertrag, <strong>in</strong>: DIE POLITISCHE MEINUNG 33 (1988), S. 4-9.<br />

220 KAELBLE, Beziehungen, <strong>in</strong>: APUZ 53 (2003), Band 3-4, S. 40-46.<br />

221 MÉNUDIER, Das Deutsch-Französische Jugendwerk; PLUM, Jugend <strong>und</strong> deutsch-französische<br />

Verständigung, <strong>in</strong>: FRANCIA 26 (2000), S. 77-108; PICHT, De Gaulle <strong>und</strong> die deutsche Jugend, <strong>in</strong>: LOTH;<br />

PICHT (Hgg.), De Gaulle, S. 193-202.


54 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

kengut befreit worden waren. Zu nennen s<strong>in</strong>d: die Jugendverbandsarbeit, die jugendliche<br />

Wan<strong>der</strong>bewegung sowie das Jugendherbergswesen. In e<strong>in</strong>em weiteren Schritt wurden<br />

neue Strukturen im kommunalen Bereich geschaffen. Im Gefolge dieser <strong>Entwicklung</strong><br />

kristallisierte sich die präventive kommunale Jugendpflege <strong>in</strong> Südbaden als neue<br />

Komponente <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> nach Ende des Zweiten Weltkriegs heraus.<br />

5.1 Wie<strong>der</strong>zulassung <strong>der</strong> Jugendverbände<br />

Die Wie<strong>der</strong>herstellung des allgeme<strong>in</strong>en Vere<strong>in</strong>srechts <strong>und</strong> die Genehmigung demokratisch<br />

ausgerichteter politischer Parteien <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone ist, wie ZAUNER 222 feststellt,<br />

zeitlich zugleich „die Geburtsst<strong>und</strong>e <strong>der</strong> organisierten Jugendverbandsarbeit“ nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg. Bis Ende 1945 blieb die Jugendverbandsarbeit nach dem vom<br />

Alliierten Kontrollrat beschlossenen Gesetz zur Aufhebung <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Jugendorganisationen allgeme<strong>in</strong> verboten. In <strong>der</strong> französischen Zone wurde die Gründung<br />

von Jugendverbänden nach <strong>der</strong> Jahreswende 1945/46 auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Verordnung Nr. 25<br />

vom 13. Dezember 1945 wie<strong>der</strong> bewilligt. Zugleich wurden private Organisationen, die<br />

im Rahmen des <strong>in</strong>ternationalen Jugendaustauschs tätig wurden, wie<strong>der</strong> zugelassen. 223<br />

Allerd<strong>in</strong>gs erfolgte <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit streng kontrolliert nach<br />

dem Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> Kontrolle, wor<strong>in</strong> sich die bereits angesprochene ambivalente<br />

E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> Franzosen gegenüber <strong>der</strong> organisierten Arbeit junger Menschen<br />

wi<strong>der</strong>spiegelte. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wurden die Aktivitäten <strong>der</strong> Jugendorganisationen<br />

streng überwacht. Alle gründungswilligen Verbände im Land mussten e<strong>in</strong> Lizenzierungsverfahren<br />

durchlaufen <strong>und</strong> dabei die von den Franzosen vorgegebenen Kriterien h<strong>in</strong>sichtlich<br />

<strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>stärke, <strong>der</strong> Organisationsstrukturen <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>haltlichen Orientierung<br />

e<strong>in</strong>halten. Genehmigte Jugendorganisationen hatten zahlreiche Auflagen vonseiten <strong>der</strong><br />

Militärregierung zu berücksichtigen. 224<br />

An<strong>der</strong>s als <strong>in</strong> <strong>der</strong> britischen <strong>und</strong> <strong>der</strong> amerikanischen Zone, wo sich mit Genehmigung<br />

<strong>der</strong> Militärregierungen ab <strong>der</strong> zweiten Jahreshälfte 1945 e<strong>in</strong>e bunte Vielfalt lokaler<br />

Jugendorganisationen gründete, ließen die Franzosen hauptsächlich große Sammelorganisationen<br />

<strong>der</strong> Kirchen, Gewerkschaften, Sportvere<strong>in</strong>e, Falken, Naturfre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

zu. 225 So wurden im Zonengebiet <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Hälfte des Jahres 1946 nur zwölf<br />

Jugendverbände zugelassen. 1947 zählten die genehmigten Verbände folgende Mitglie<strong>der</strong>zahlen:<br />

Katholische Jugend 120.000; Evangelische Jugend 30.000-40.000; Falken<br />

(Rhe<strong>in</strong>land) 25.000; Freie Jugend 8.000-10.000; Naturfre<strong>und</strong>ejugend 15.000; Gewerkschaftsjugend<br />

(Rhe<strong>in</strong>land) 10.000 Mitglie<strong>der</strong>. 226 Die Mitglie<strong>der</strong>stärken <strong>und</strong> die Bedeutung<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Verbände variierten je nach Bevölkerungs- <strong>und</strong> Wirtschaftsstruktur von<br />

222<br />

ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 165.<br />

223<br />

PLUM, Französische Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland, S. 19.<br />

224<br />

Laffons „Circulaire d'application“ an die Délégués Supérieurs vom 14.12.1945 ist besprochen bei<br />

ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 164.<br />

225<br />

FEHRLEN; SCHUBERG, Westdeutsche Jugendverbandsarbeit, <strong>in</strong>: BÖHNISCH, Handbuch, S. 67-78.<br />

226<br />

Daten nach „Die Jugendbewegung <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone“, Beitrag im SÜDKURIER vom 23.05.1947.


II.5 STRUKTUREN UND ARBEITSFELDER DER JUGENDARBEIT IN SÜDBADEN 55<br />

Land zu Land <strong>und</strong> von Region zu Region. In den durch die Industrie geprägten Regionen<br />

wie dem Rhe<strong>in</strong>land waren beispielsweise die Falkenjugend <strong>und</strong> die Gewerkschaftsjugend<br />

mitglie<strong>der</strong>starke Gruppierungen, <strong>während</strong> sie im katholisch strukturierten Südwesten eher<br />

e<strong>in</strong>e marg<strong>in</strong>ale Rolle <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> örtlichen Jugendverbandsarbeit e<strong>in</strong>nahmen. 227 Neben<br />

zonenweit agierenden Gruppierungen gab es außerdem Verbände, die nur regionale<br />

Bedeutung hatten wie <strong>der</strong> sozialistisch bzw. kommunistisch orientierte „B<strong>und</strong> junger<br />

Schwaben“ o<strong>der</strong> die „Schwabenjugend“ <strong>in</strong> Württemberg-Hohenzollern. Landesweit spielten<br />

die christlich orientierten Jugendgruppen, <strong>und</strong> hier wie<strong>der</strong>um die katholische Jugend,<br />

e<strong>in</strong>e gewichtige Rolle. Da diese bereits vor 1933 umfassend organisiert gewesen war,<br />

konnte sie sich nach dem Krieg frühzeitig neu formieren <strong>und</strong> entwickelte sich <strong>in</strong> fast allen<br />

Landesteilen bald wie<strong>der</strong> zur mitglie<strong>der</strong>stärksten Organisation. So gehörten im<br />

Zonengebiet, e<strong>in</strong>schließlich des Saarlandes, 120.000 Jugendliche katholischen Jugendgruppen<br />

an. Diese <strong>Entwicklung</strong> korrespondierte mit dem hohen Anteil <strong>der</strong> Katholiken im<br />

deutschen Südwesten, <strong>der</strong>en Anteil an <strong>der</strong> Bevölkerung alle<strong>in</strong> im badischen Landesteil<br />

über 70 Prozent betrug.<br />

Die Reorganisation <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit setzte analog zum Aufbau an<strong>der</strong>er<br />

Organisationsstrukturen zuerst auf <strong>der</strong> unteren Verwaltungsebene e<strong>in</strong>, bevor sie später auf<br />

<strong>der</strong> mittleren <strong>und</strong> oberen Ebene weitergeführt wurde. Der Wirkungskreis <strong>der</strong> Jugendorganisationen<br />

beschränkte sich daher zunächst auf die lokale Ebene. Die Gründung von<br />

Landesverbänden wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone 1947 wie<strong>der</strong> gestattet. In diesem Punkt<br />

vertraten die Besatzungsmächte unterschiedliche Auffassungen. Die Amerikaner ließen<br />

Landesjugendverbände bereits im April 1946 zu; die Briten 1948. B<strong>und</strong>esweite Zusammenschlüsse,<br />

wie <strong>der</strong> Deutsche B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>g, entstanden erst nach <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>esrepublik im September 1949. 228 Untersagt blieben zunächst Verbände, die entwe<strong>der</strong><br />

nur schwer zu kontrollieren waren o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Aktivitäten militärstrategischen<br />

Zielsetzungen <strong>der</strong> Besatzungsmächte entgegenstanden. Unter diese Regelung fielen etwa<br />

Bergsteiger- <strong>und</strong> Camp<strong>in</strong>gvere<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> Flug- <strong>und</strong> Wassersportvere<strong>in</strong>e. Gegenüber Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen<br />

gab es ebenfalls Vorbehalte. Die Franzosen erachteten die deutsche Jugend,<br />

weil sie an die straffe Führung <strong>der</strong> Hitler-Jugend gewohnt war, als längst nicht reif genug<br />

für die strikt hierarchisch geglie<strong>der</strong>te Organisationsform <strong>der</strong> Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen. Das g<strong>in</strong>g<br />

so weit, dass man sogar befürchtete, durch e<strong>in</strong>e allzu frühzeitige Genehmigung solcher<br />

Gruppierungen paramilitärischen Aktivitäten im Land Vorschub zu leisten. 229<br />

227<br />

KLÖCKLER, Abendland – Alpenland – Alemannien, S. 67.<br />

228<br />

BETTERMANN, Strukturen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, <strong>in</strong>: WOLLENWEBER (Hg.), Jugendbildung <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>,<br />

S. 55; FALTERMAIER, B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>g.<br />

229<br />

ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 166.


56 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

5.2 Reorganisation des badischen Jugendherbergswesens<br />

Erste Jugendherbergen wurden <strong>in</strong> Deutschland bereits vor dem Ersten Weltkrieg gegründet.<br />

Der Volkschullehrer Richard Schirmmann gilt als Initiator <strong>der</strong> Jugendherbergsidee. 230<br />

Im Jahr 1912 wurde im westfälischen Altena die erste deutsche Jugendherberge eröffnet<br />

<strong>und</strong> noch im gleichen Jahr e<strong>in</strong> „Ausschuss für Jugendherbergen“ <strong>in</strong>s Leben gerufen,<br />

ausdem sich nach dem Krieg das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH) 231 entwickelte.<br />

E<strong>in</strong>en Aufschwung erlebte das Herbergswerk vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Weimarer<br />

Republik. 1920 existierten deutschlandweit bereits 1.000 <strong>und</strong> 1927 über 2.000 Jugendherbergen.<br />

232 Nach <strong>der</strong> „Machtergreifung“ 1933 wurden die Jugendherbergen zu Stätten<br />

nationalsozialistischer Bildung <strong>und</strong> Erziehung, sodass diese Jugende<strong>in</strong>richtung analog zu<br />

den Jugendverbänden <strong>und</strong> den Schulen nach 1945 von den Alliierten entnazifiziert <strong>und</strong><br />

nach neuen demokratischen <strong>und</strong> pazifistischen Reglements aufgebaut werden musste.<br />

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs entfaltete sich das Jugendherbergswesen <strong>in</strong> den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Zonen zeitlich une<strong>in</strong>heitlich. Die französische Jugendpolitik hatte schon früh die<br />

Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Jugendherbergen im Blick. Zuerst wurden <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Landesteilen<br />

Jugendherbergsausschüsse <strong>in</strong>s Leben gerufen. Deren E<strong>in</strong>richtung basierte auf e<strong>in</strong>em<br />

Entscheid Raymond Schmittle<strong>in</strong>s nach dem Modell bestehen<strong>der</strong> Ausschüsse <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en<br />

westdeutschen Landesteilen. Die Landesjugendherbergsausschüsse, die im französischen<br />

Zonengebiet zunächst die Bezeichnung „vorläufig“ trugen, hatten die Bewirtschaftung <strong>und</strong><br />

Benutzung <strong>der</strong> Herbergen zu organisieren. Dazu waren Abkommen mit den deutschen<br />

Dienststellen <strong>der</strong> Vermögenskontrolle abzuschließen, um die Nutznießung <strong>der</strong> Herbergen<br />

<strong>und</strong> ihrer Bankkonten zu erhalten.<br />

An<strong>der</strong>s als die Nachfolgeorganisationen, die späteren Landesherbergsverbände, die<br />

Ende <strong>der</strong> 1940er-Jahre aus den Ausschüssen hervorg<strong>in</strong>gen, waren die Vollmachten <strong>der</strong><br />

Landesjugendausschüsse e<strong>in</strong>geschränkt. Die Ursache lag dar<strong>in</strong> begründet, dass die Militärregierung,<br />

wie es Schmittle<strong>in</strong> formulierte, „e<strong>in</strong>erseits die Initiative <strong>der</strong> deutschen Regierungen<br />

zwecks Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Jugendherbergen ermutigt [...]“, an<strong>der</strong>erseits jedoch<br />

die Pflicht hatte, „auf die Erhaltung <strong>der</strong> unter Kontrolle gestellten Nazibauten zu achten<br />

<strong>und</strong> jede Entscheidung zu vermeiden, die <strong>der</strong>jenigen des Kontrollrats von Berl<strong>in</strong> h<strong>in</strong>sichtlich<br />

<strong>der</strong> endgültigen Bestimmungen dieser Bauen vorgreifen würden“. 233<br />

Die Planung zur Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Jugendherbergen lag organisatorisch beim<br />

Ressort „Jugend <strong>und</strong> Sport“ <strong>der</strong> Abteilung für Jugendpflege des Innenm<strong>in</strong>isteriums 234 ,<br />

dem zunächst zudem <strong>der</strong> Landesjugendherbergsausschuss, aus dem <strong>der</strong> Landesverband<br />

230<br />

REULECKE; STAMBOLIS (Hgg.) 100 Jahre Jugendherbergen 1909-2009, zu den Anfängen <strong>der</strong> Bewegung<br />

vgl. dar<strong>in</strong> v. a. den Beitrag von SEIDEL, Jugendherberge im westfälischen Altena, S. 43-55 sowie<br />

REULECKE, Richard Schirrmanns Werbekampagne für „Volksschülerherbergen“, S. 57-68.<br />

231<br />

Das Deutsche Jugendherbergswerk (DjH) setzt sich nach dem Stand von Ende 2099 aus 14 unabhängigen<br />

Landesverbänden zusammen, die als e<strong>in</strong>getragene Vere<strong>in</strong>e deutschlandweit <strong>in</strong>sgesamt 548 Jugendherbergen<br />

betreiben; zur Entstehungsgeschichte vgl. HANKE, Anfänge des Jugendherbergswerks, <strong>in</strong>:<br />

REULECKE; STAMBOLIS (Hgg.), Jugendherbergen, S. 69-82.<br />

232<br />

SÜDKURIER vom 02.12.1948.<br />

233<br />

Schmittle<strong>in</strong> an Koenig, Nr. 4860/DGGA/JSP1793 [1946], zitiert nach <strong>der</strong> Übersetzung im SAF, C 16/1,<br />

Nr. 10.<br />

234<br />

SAF, C 16/1, Nr. 61, „Gründung, Aufgaben <strong>und</strong> Tätigkeit des Landesjugendherbergsausschusses“.


II.5 STRUKTUREN UND ARBEITSFELDER DER JUGENDARBEIT IN SÜDBADEN 57<br />

hervorg<strong>in</strong>g, angeglie<strong>der</strong>t wurde. Am 18. März 1949 wurde <strong>der</strong> Landesverband Südbaden<br />

im badischen Jugendherbergswerk als selbstständige, vom Badischen M<strong>in</strong>isterium des<br />

Innern unabhängige Institution <strong>in</strong>s Leben gerufen. Der Verband Südbaden blieb jedoch<br />

weiterh<strong>in</strong> organisatorisch <strong>und</strong> personell eng mit dem Innenm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Freiburg<br />

verb<strong>und</strong>en, was unter an<strong>der</strong>em daran erkennbar wird, dass <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Abteilung<br />

Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung, Regierungsrat Dr. Josef Epp, gleichzeitig Vorsitzen<strong>der</strong><br />

des Landesjugendherbergsverbands war. Zum zweiten Vorsitzenden wurde <strong>der</strong><br />

Freiburger Bürgermeister Ruh gewählt. Dieser stand zugleich dem Touristenvere<strong>in</strong> „Die<br />

Naturfre<strong>und</strong>e“ vor, zu dem das Jugendherbergswerk enge Kontakte unterhielt. Die<br />

Mitglie<strong>der</strong> des badischen Jugendherbergswerks konnten beispielsweise zu den gleichen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen die Naturfre<strong>und</strong>ehäuser benutzen. Umgekehrt galt diese Regelung für die<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Naturfre<strong>und</strong>e im H<strong>in</strong>blick auf die Nutzung <strong>der</strong> badischen Jugendherbergen.<br />

Im Gebiet des damaligen Landkreises <strong>Konstanz</strong> fielen die Herbergen S<strong>in</strong>gen, <strong>Konstanz</strong><br />

sowie das Naturfre<strong>und</strong>ehaus Markelf<strong>in</strong>gen unter diese Regelung.<br />

Nachdem ab 1946 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Schritt b<strong>und</strong>esweit Landesjugendherbergswerke<br />

entstanden waren, wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren Schritt <strong>der</strong>en b<strong>und</strong>esweiter Zusammenschluss<br />

durch die Gründung des B<strong>und</strong>esjugendherbergswerks im Herbst 1949 vollzogen. In<br />

diesem Zeitraum wurden im französischen Zonengebiet <strong>in</strong>sgesamt 80 Jugendherbergen<br />

neu bzw. wie<strong>der</strong>erschaffen. 235 Durch <strong>in</strong>tensive Bemühungen des Badischen M<strong>in</strong>isteriums<br />

des Innern konnten bis 1948 <strong>der</strong> Jugend für Wan<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> zur Erholung über 20<br />

Jugendherbergen zur Verfügung gestellt werden. 236 Mit 23 E<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Bettenangebot von 1.300 Übernachtungsmöglichkeiten stand Baden Anfang 1949 h<strong>in</strong>sichtlich<br />

des Wie<strong>der</strong>aufbaus des Jugendherbergswesens im Verhältnis zur E<strong>in</strong>wohnerzahl<br />

an <strong>der</strong> Spitze aller deutschen Län<strong>der</strong>, auch wenn mit diesem Ergebnis <strong>der</strong> Vorkriegsstand<br />

von 53 Herbergen noch längst nicht erreicht war; <strong>in</strong>sgesamt befand sich e<strong>in</strong> Viertel aller<br />

deutschen Jugendherbergen geografisch auf badischem Gebiet. 237 Die verhältnismäßig<br />

ger<strong>in</strong>gen Kriegsschäden sowie e<strong>in</strong>e weith<strong>in</strong> <strong>in</strong>takte Natur <strong>und</strong> die landschaftlichen<br />

Vorzüge des Schwarzwaldes <strong>und</strong> des Bodenseegebiets trugen zu dieser <strong>Entwicklung</strong> bei.<br />

Um den Wie<strong>der</strong>aufbau des Jugendherbergswesens zu f<strong>in</strong>anzieren, wurden zwischen 1947<br />

<strong>und</strong> 1948 <strong>in</strong> Baden Sammelaktionen durchgeführt <strong>und</strong> Spendenaufrufe gestartet. 238 Im<br />

W<strong>in</strong>ter 1948 erhob man von <strong>der</strong> badischen Schuljugend e<strong>in</strong>en „Weihnachtsgroschen“ zur<br />

Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> Jugendherbergen. 239<br />

Bereits im Dezember 1946 wurden als erste badische Jugendherbergen nach Kriegsende<br />

folgende E<strong>in</strong>richtungen eröffnet: „Lug<strong>in</strong>sland“ (Schau<strong>in</strong>sland), die Jugendherberge<br />

„Rudenberg“ bei Neustadt, das „Le<strong>in</strong>erhaus“ bei Todtnauberg, die Jugendherberge<br />

„Menzenschwand“ <strong>und</strong> das Solberghaus bei Ottenhöfen im Kreis Bühl. Da diese Herbergen<br />

zudem für den W<strong>in</strong>terbetrieb zugelassen waren, <strong>in</strong>itiierten <strong>der</strong> Landesjugendherbergs-<br />

235 SÜDKURIER vom 23.05.1947.<br />

236 SÜDKURIER vom 19.01.1949.<br />

237 SÜDKURIER vom 18.01.1948.<br />

238 Entsprechende Spendenaufrufe vom Dez. 1948 „Helft dem Jugendherbergswerk“ s<strong>in</strong>d abgedruckt <strong>in</strong>:<br />

DER NEUE TAG, Nr. 43 vom 11.12.1946, SAF, C 16/1, Nr. 9.<br />

239 SÜDKURIER vom 02.12.1948.


58 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

verband <strong>und</strong> die Naturfre<strong>und</strong>e hier bereits ab W<strong>in</strong>ter 1945 erste Skikurse für Jugendliche.<br />

Zugleich öffneten die Naturfre<strong>und</strong>ehäuser Moßbrunn, Badener Höhe, Kieferhäusle,<br />

Feldberg, Breitnau <strong>und</strong> Markelf<strong>in</strong>gen. 240 Ab Frühjahr 1947 folgten die Herbergen <strong>und</strong><br />

Naturfre<strong>und</strong>ehäuser <strong>in</strong> Küssaburg bei Waldshut, Freiburg, Platzhof bei Kan<strong>der</strong>n, Sulzburg,<br />

Brandeck-L<strong>in</strong>dle im Kreis Offenburg, die Darmstädter Hütte im Kreis Bühl, Vill<strong>in</strong>gen<br />

sowie die Jugendherberge Allmannshöhe <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. Neben den wie<strong>der</strong>eröffneten<br />

Gebäuden gab es ebenso Neueröffnungen wie die Jugendherberge Ebnet, die als Ersatz für<br />

die im Krieg zerstörte Freiburger Herberge errichtet wurde. Im Bodenseegebiet wurde<br />

neben den Herbergen, die bereits vor dem Krieg existiert hatten <strong>und</strong> saniert werden<br />

mussten – darunter S<strong>in</strong>gen, Überl<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong> –, e<strong>in</strong>e neue Herberge <strong>in</strong><br />

Meersburg-Riedetsweiler e<strong>in</strong>gerichtet. 241<br />

Infolge <strong>der</strong> raschen Reorganisation des Jugendherbergswesens nahmen die badischen<br />

Jugendherbergen bald nach Kriegsende ihre traditionelle Rolle als Anlaufstellen für die<br />

wan<strong>der</strong>nde Jugend wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>. Die Wan<strong>der</strong>jugendbewegung entstand ab 1896 unter dem<br />

E<strong>in</strong>fluss Herrmann Hoffmans <strong>und</strong> entwickelte e<strong>in</strong>e eigene Art des Naturerlebens, die sich<br />

aus <strong>der</strong> Kritik an <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Zivilisation speiste <strong>und</strong> sich vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> des<br />

wachsenden Generationenkonflikts zwischen Eltern <strong>und</strong> Jugendlichen vollzog. Geme<strong>in</strong>sames<br />

Wan<strong>der</strong>n <strong>und</strong> das Zusammense<strong>in</strong> <strong>in</strong> Gruppen mit Gleichges<strong>in</strong>nten waren Ausdrucksformen<br />

<strong>der</strong> bündischen <strong>Jugendarbeit</strong>, bis ab 1933 alle Jugendorganisationen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Hitler-Jugend gleichgeschaltet waren. Im Zuge <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gründung von Jugendorganisationen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Instandsetzung <strong>der</strong> Jugendherbergen erlebte die jugendliche Wan<strong>der</strong>bewegung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone e<strong>in</strong>en neuen Aufschwung. Diese <strong>Entwicklung</strong> wurde<br />

jedoch zunächst durch die Reisebeschränkungen <strong>der</strong> Militärregierung gehemmt. Somit<br />

machte sich auch beim Wie<strong>der</strong>aufbau des Jugendherbergswesens im Land die Ambivalenz<br />

französischer Besatzungspolitik bemerkbar, die e<strong>in</strong>erseits durch konstruktive Neuansätze,<br />

an<strong>der</strong>erseits durch Kontrolle geprägt war. Entscheidende Verbesserungen traten jedoch<br />

bereits im Oktober 1947 e<strong>in</strong>, als die Militärregierung die Reisebestimmungen für Jugendorganisationen<br />

<strong>in</strong>nerhalb Badens <strong>und</strong> zwischen den Län<strong>der</strong>n Württemberg <strong>und</strong> Baden neu<br />

regelte <strong>und</strong> Fahrten auf Antrag erlaubte. 242<br />

Neben ihrer eigentlichen Bestimmung als günstige Übernachtungsmöglichkeit für<br />

junge Menschen wurden e<strong>in</strong>ige Jugendherbergen im Land als Begegnungsstätten für den<br />

<strong>in</strong>ternationalen Jugendaustausch <strong>und</strong> als Foren für Jugendleitertreffen <strong>und</strong> Tagungen<br />

genutzt. E<strong>in</strong>ige Jugendherbergen im französischen Zonengebiet nahmen denselben Status<br />

e<strong>in</strong> wie die Jugendhöfe im britischen <strong>und</strong> amerikanischen Zonengebiet. Sie waren dort<br />

eigens gegründet worden, um den Führungsnachwuchs aus den Reihen <strong>der</strong> Jugendorganisationen<br />

im demokratischen S<strong>in</strong>ne zu schulen. In Baden entwickelte sich neben Schloss<br />

Ortenberg bei Gegenbach, das als überregionale Jugendbildungsstätte genutzt wurde, vor<br />

allem die Jugendherberge Titisee zur zentralen Begegnungsstätte für überregionale<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationale Begegnungen. Im Jahr 1948 fanden hier jeweils die<br />

240<br />

DER NEUE TAG, Nr. 43 vom 11.12.1946, SAF, C 16/1, Nr. 9.<br />

241<br />

SAF, C 16/1, Nr. 9.<br />

242<br />

KrAFN, Bestand Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, ÜB-A 49a.


II.5 STRUKTUREN UND ARBEITSFELDER DER JUGENDARBEIT IN SÜDBADEN 59<br />

Gründungsversammlungen des „Freiburger Instituts für <strong>in</strong>ternationale Begegnungen“ <strong>und</strong><br />

des badischen Jugendherbergswerks statt. In den ersten Jahren war die E<strong>in</strong>richtung<br />

ausschließlich für Tagungen <strong>und</strong> deutsch-französische Jugendtreffen reserviert. Zur<br />

Bedeutung dieser E<strong>in</strong>richtung trugen vor allem die Nähe zur Landeshauptstadt sowie die<br />

zugleich abgelegene, aber dennoch verkehrsgünstige Lage bei. Wie es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zeitgenössischen<br />

Bericht von 1948 heißt, hätten sich unter den Jugendlichen „<strong>in</strong> <strong>der</strong> Abgeschiedenheit<br />

des Schwarzwalds mit se<strong>in</strong>er gewaltigen Bergnatur mancherlei Gespräche, die sonst<br />

über die trennenden Grenzen h<strong>in</strong>weg noch kaum möglich gewesen wären“ 243 , ergeben.<br />

Zwischen 1946 <strong>und</strong> 1949 wurde neben Fortbildungen etwa für Jugendpfleger <strong>und</strong><br />

Jugendleiter o<strong>der</strong> Volkshochschuldozenten e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Tagungen auf Initiative<br />

<strong>der</strong> Militärregierung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Landesabteilung Jugendpflege Freiburg zu verschiedenen<br />

Themen <strong>der</strong> Jugendpflege durchgeführt. Im Januar 1948 trafen sich beispielsweise die<br />

Kreisjugendbeauftragten auf E<strong>in</strong>ladung <strong>der</strong> Abteilung für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung<br />

beim Badischen M<strong>in</strong>isterium des Innern. Das Programm be<strong>in</strong>haltete verwaltungstechnische<br />

Themen. Darüber h<strong>in</strong>aus wurden Referate zu pädagogischen <strong>und</strong> praktischen<br />

Fragen wie mo<strong>der</strong>ne Mädchenerziehung o<strong>der</strong> Theaterarbeit mit Jugendlichen gehalten. Im<br />

Juli 1948 veranstaltete die Abteilung „Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung“ <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

mit <strong>der</strong> Abteilung „Jugend <strong>und</strong> Sport“ <strong>der</strong> Militärregierung am gleichen Ort e<strong>in</strong>e<br />

Tagung zum Thema „Häuser <strong>der</strong> Jugend im Land Baden“. 244 Noch im gleichen Jahr fand<br />

e<strong>in</strong> Treffen zum Thema Jugendbildung statt. Die Veranstaltung stand, wie <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong><br />

französischen Landesdelegation Deshayes <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eröffnungsrede ausführte, e<strong>in</strong>erseits<br />

im Zeichen <strong>der</strong> deutsch-französischen Verständigung, an<strong>der</strong>erseits sollte sie über S<strong>in</strong>n <strong>und</strong><br />

Zweck <strong>der</strong> beiden Bildungse<strong>in</strong>richtungen Aufschluss geben. Zu diesem Zweck waren<br />

Referenten aus Deutschland <strong>und</strong> Frankreich e<strong>in</strong>geladen worden, unter ihnen Regierungsrat<br />

Epp, <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Abteilung Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung beim Innenm<strong>in</strong>isterium. 245<br />

Die Herbergseltern <strong>der</strong> südbadischen Jugendherbergen kamen 1948 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendherberge<br />

H<strong>in</strong>terzarten zusammen. 246 Solche Treffen dienten <strong>der</strong> Weiterbildung <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendpflege<br />

tätigen Personen <strong>und</strong> dem Erfahrungsaustausch. So trafen deutschen Kreisjugendpfleger<br />

im Juli 1948 erstmals mit Leitern französischer Jugendhäuser zusammen <strong>und</strong><br />

erhielten Informationen über die Führung dieser <strong>in</strong> Deutschland bis dato neuartigen<br />

E<strong>in</strong>richtungen. Außerdem sollte die Koord<strong>in</strong>ation von Jugendaktivitäten <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Kreisen geför<strong>der</strong>t werden. Über die Ergebnisse <strong>der</strong> Treffen wurden Mitschriften geführt,<br />

welche die Planung <strong>und</strong> Durchführung <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> Südbaden dokumentieren. Die<br />

Protokolle g<strong>in</strong>gen den örtlichen Jugendpflegern zu, die ihrerseits die Jugendausschüsse<br />

davon <strong>in</strong> Kenntnis setzten.<br />

243 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 16.01.1948; StAK, S XII.<br />

244 An beiden Tagungen nahm <strong>der</strong> Jugendbeauftragte des Landkreises <strong>Konstanz</strong> Anton Auer jeweils teil; er<br />

erstattete dem Stadtjugendausschuss darüber e<strong>in</strong>en Bericht; vgl. das Protokoll des Jugendausschusses für<br />

den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 26.07.1948; StAK, S XII.<br />

245 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 26.07.1948; StAK, S XII.<br />

246 SAF, C 16/1, Nr. 96.


60 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

5.3 För<strong>der</strong>ung des <strong>in</strong>ternationalen Jugendaustauschs<br />

Der Jugendaustausch zählt ebenfalls zu den frühzeitig geför<strong>der</strong>ten Jugendprojekten <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

französischen Zone. Erste Initiativen starteten auf diesem Gebiet <strong>der</strong> Jugendpolitik bereits<br />

1946. Die Treffen wurden von <strong>der</strong> DEP <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den Universitäten im Land<br />

organisiert. Die Universitäten Freiburg <strong>und</strong> Tüb<strong>in</strong>gen organisierten beispielsweise ab 1946<br />

mehrwöchige Sommerferiensem<strong>in</strong>are für Studenten aus Frankreich <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en europäischen<br />

Staaten. 247 Zum Begleitprogramm gehörte die Wan<strong>der</strong>ausstellung „Jugend <strong>und</strong><br />

Kunst“ 248 , die im August 1946 im Jugendhaus <strong>Konstanz</strong> gezeigt wurde. Vorbildcharakter<br />

hatte die bereits erwähnte private Initiative von Pater du Rivau <strong>in</strong> Lahr.<br />

Bei <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Treffen nahmen Universitäten <strong>und</strong> Schulen e<strong>in</strong>e Vorreiterrolle<br />

e<strong>in</strong>. In den ersten Jahren waren die Zusammenkünfte junger Menschen aus verschiedenen<br />

Län<strong>der</strong>n durch e<strong>in</strong>e scharfe Auswahl <strong>und</strong> die Begrenzung <strong>der</strong> Teilnehmer auf<br />

bestimmte Gruppen <strong>und</strong> Nationalitäten charakterisiert. So waren etwa die ersten <strong>in</strong>ternationalen<br />

Jugendtreffen re<strong>in</strong>e Studententreffen auf b<strong>in</strong>ationaler Ebene. Ab 1947 erweiterte<br />

man den Teilnehmerkreis auf jeweils 200 Deutsche <strong>und</strong> Franzosen sowie 50 weitere<br />

Jugendliche an<strong>der</strong>er Nationen pro Treffen. Die ersten Zusammenkünfte fanden auf<br />

deutschem Gebiet statt. Da sie noch sehr durch die problematische Vergangenheit<br />

Deutschlands geprägt waren, befürchteten die französischen Organisatoren Ressentiments<br />

<strong>der</strong> französischen Bevölkerung.<br />

Erst 1948 begann man damit, die Veranstaltungen auch <strong>in</strong> französischen Städten<br />

durchzuführen. E<strong>in</strong>es <strong>der</strong> ersten Treffen dieser Art fand im französischen Besançon statt.<br />

Wie e<strong>in</strong>em Pressebericht darüber zu entnehmen ist, vermied man es jedoch, „irgendetwas<br />

von dieser Veranstaltung <strong>in</strong> den Zeitungen zu veröffentlichen, um die als deutschfe<strong>in</strong>dlich<br />

bekannte kommunistische Presse nicht auf den Plan zu rufen“. 249 Bis auf wenige Ausnahmen<br />

verlief diese Veranstaltung, <strong>der</strong>en Vorbereitungen zwei Jahre <strong>in</strong> Anspruch nahmen,<br />

friedlich. Die Bevölkerung verhielt sich, wie es hieß, „höflich <strong>und</strong> korrekt“ gegenüber den<br />

deutschen Studenten, obwohl „viele Franzosen von dem deutschen Friedenswillen noch<br />

nicht ganz überzeugt“ waren <strong>und</strong> vielen von ihnen die deutsche Besatzung noch schmerzlich<br />

<strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung war.<br />

Weitere <strong>in</strong>ternationale Jugendtreffen nach dem Zweiten Weltkrieg fanden <strong>in</strong> Dijon<br />

<strong>und</strong> Paris statt. Auf dem Programm standen Vorträge, Diskussionen, Besichtigungen,<br />

Theater, Film <strong>und</strong> Sport. Neben Fabriken besuchte man ehemalige Kriegsschauplätze.<br />

Dazu zählte <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Stadt Montbéliard, wo die jungen Deutschen außer dem<br />

Peugeotwerk die Zitadelle mit <strong>der</strong> Grabstätte von 32 Franzosen, die von deutschen Besatzern<br />

erschossen worden waren, besichtigten.<br />

247 ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 187.<br />

248 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 26.08.1948; StAK, S XII.<br />

249 Dieses <strong>und</strong> die nachfolgenden Zitate entstammen dem SÜDKURIER vom 14.09.1949.


II.5 STRUKTUREN UND ARBEITSFELDER DER JUGENDARBEIT IN SÜDBADEN 61<br />

5.4 E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege<br />

Wie HÜSER ausführt, unternahm Frankreich im Bereich <strong>der</strong> Bildungsför<strong>der</strong>ung „im<br />

besetzten Südwesten erhebliche Anstrengungen, um den selbstgesteckten Umerziehungs-<br />

<strong>und</strong> Demokratisierungsidealen gerecht zu werden“. 250 Aus diesem Gr<strong>und</strong> fiel im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Demokratisierungspolitik nicht nur dem Schulsektor, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

außerschulischen Jugend- <strong>und</strong> Erwachsenenbildung e<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung zu. Im<br />

Gefolge dieser <strong>Entwicklung</strong> wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit hierzulande außer den Jugendverbänden<br />

zudem die Kommunen zu wichtigen Trägern <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>. Mit <strong>der</strong> Ausweitung<br />

des Angebotes <strong>der</strong> offenen <strong>Jugendarbeit</strong> wurde e<strong>in</strong>e für damalige Verhältnisse<br />

neuartige Komponente <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>in</strong> Deutschland verankert <strong>und</strong> zugleich neue<br />

Zielgruppen erschlossen.<br />

Die badischen Kommunalverwaltungen wurden frühzeitig angewiesen, kommunale<br />

Jugende<strong>in</strong>richtungen zu schaffen <strong>und</strong> Jugendausschüsse zu bilden, <strong>in</strong> denen neben Jugendvertretern<br />

aller weltanschaulichen Gruppen auch die Jugend selbst vertreten war. Zu<br />

diesem Zweck verfasste das Badische M<strong>in</strong>isterium des Innern wohl auf Anweisung <strong>der</strong><br />

Militärregierung Richtl<strong>in</strong>ien, die im Frühjahr bzw. Herbst 1946 allen Landratsämtern <strong>und</strong><br />

den Verwaltungen <strong>der</strong> drei kreisfreien Städte zug<strong>in</strong>gen. 251 Sie enthielten E<strong>in</strong>zelbestimmungen<br />

für die E<strong>in</strong>richtung von Jugendräumen, die Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Jugendherbergen,<br />

die E<strong>in</strong>stellung von Kreisbeauftragten für Jugendbewegung <strong>und</strong> Jugendbildung <strong>und</strong><br />

die Gründung von Jugendbildungswerken <strong>und</strong> Volkshochschulen auf kommunaler Ebene.<br />

In allen Kreisen mussten auf Geheiß <strong>der</strong> Franzosen außerdem Kreisbeauftragte für<br />

Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung benannt werden, die die lokale <strong>Jugendarbeit</strong> koord<strong>in</strong>ieren<br />

<strong>und</strong> die Jugende<strong>in</strong>richtungen leiten sollten. Auf dieser Basis erließ das Innenm<strong>in</strong>isterium<br />

zwischen 1946 <strong>und</strong> 1948 mehrere Verordnungen zur Jugendpflege. Hervorzuheben<br />

s<strong>in</strong>d die „Landesverordnung zur Stellung <strong>der</strong> Kreisbeauftragten für die Jugendbildung <strong>und</strong><br />

Jugendbewegung“ sowie die „Landesverfügung über die E<strong>in</strong>richtungen für die Jugendbildung<br />

<strong>und</strong> die Häuser <strong>der</strong> Jugend“ 252 . Da <strong>der</strong>artige Verfügungen stets im Amtsblatt <strong>der</strong><br />

Landesregierung veröffentlicht wurden, hatten alle Kommunalverwaltungen nachweislich<br />

e<strong>in</strong>en Zugriff darauf.<br />

E<strong>in</strong> wichtiger Beweggr<strong>und</strong> für die Schaffung kommunaler Strukturen im Bereich <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> ergab sich aus <strong>der</strong> Tatsache, dass <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Jugend außerhalb <strong>der</strong><br />

Schulen <strong>und</strong> Jugendverbände erzieherisch nicht erreicht werden konnte. Die bisher<br />

genannten jugendpolitischen Maßnahmen erfassten jeweils für sich genommen nur Teile<br />

<strong>der</strong> Jugend. Während sich die Schulreformen vorrangig auf die schulpflichtigen K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> Jugendlichen bis 14 Jahre konzentrierten, richtete sich die außerschulische <strong>Jugendarbeit</strong><br />

an ältere, teils schulentlassene Jugendliche, die bereits e<strong>in</strong>en Beruf ausübten o<strong>der</strong><br />

sich noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausbildung befanden.<br />

250 HÜSER, Frankreichs „doppelte Deutschlandpolitik“, S. 552.<br />

251 E<strong>in</strong> Exemplar bef<strong>in</strong>det sich im StAK, S II 13260; vgl. Anhang A 2.1.<br />

252 Vgl. das Amtsblatt <strong>der</strong> Landesverwaltung, Nr. 20 vom 24.05.1947; siehe auch Anhang A 2.4.


62 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> zentralen Zielgruppen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> bildeten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

Jugendliche, die <strong>in</strong> ihrer Freizeit ke<strong>in</strong>er Organisation angeschlossen waren. Auf sie zielten<br />

beson<strong>der</strong>s die Angebote <strong>der</strong> offenen Jugendpflege. Die Notwendigkeit, diesen Bereich zu<br />

stärken, ergab sich zum e<strong>in</strong>en aus <strong>der</strong> Tatsache, dass den Jugendverbänden nicht <strong>der</strong><br />

gesamte Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> überlassen werden sollte. Zum an<strong>der</strong>en handelte<br />

es sich um die größte Gruppe <strong>der</strong> Jugendlichen im Zonengebiet. Den Angaben Deshayes<br />

zufolge waren 1948 lediglich zehn bis 15 Prozent aller Jugendlichen des Landes Baden <strong>in</strong><br />

Jugendverbänden organisiert. 253 Zwischen 80 <strong>und</strong> 90 Prozent <strong>der</strong> badischen Jugend<br />

gehörten somit ke<strong>in</strong>em Jugendverband an. Viele Jugendliche blieben den Jugendorganisationen<br />

gerade aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> negativen Erfahrungen, die sie mit <strong>der</strong> Hitler-Jugend <strong>und</strong> dem<br />

dort vorherrschenden Mitgliedszwang gemacht hatten, fern. Angebote für nichtorganisierte<br />

Jugendliche waren daher unabd<strong>in</strong>gbar, wollte man e<strong>in</strong>e nennenswerte Zahl <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> französischen Zone im Freizeitbereich ansprechen. Die kommunale <strong>Jugendarbeit</strong> zielte<br />

darauf ab, die „abseits stehende Jugend“ – geme<strong>in</strong>t waren Jugendliche, die ke<strong>in</strong>em<br />

Verband o<strong>der</strong> Vere<strong>in</strong> angehörten – mithilfe offener Treffs, freier Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften<br />

o<strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>er Freizeitangebote von <strong>der</strong> Straße zu holen, zu beschäftigen <strong>und</strong> nach<br />

Möglichkeit mit <strong>der</strong> Demokratie vertraut zu machen. Ohne eigens auf sie abgestimmte<br />

Angebote wären diese Jugendlichen für die Umerziehungsbemühungen <strong>der</strong> Franzosen<br />

verloren gewesen, da man sie we<strong>der</strong> über Schulen noch über Jugendverbände erreichte.<br />

Zeitgenössische Schil<strong>der</strong>ungen des damaligen <strong>Konstanz</strong>er Stadtjugendpflegers Rudolf<br />

Kutscha, <strong>der</strong> 1952 über die Anfänge <strong>der</strong> kommunalen <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong> Radio<strong>in</strong>terview<br />

gab, bestätigten dies. Kutschas Worten zufolge hätte man <strong>in</strong> Südbaden „nach Mitteln <strong>und</strong><br />

Wegen gesucht, diese zunächst noch un<strong>in</strong>teressierte, abseits stehende Jugend von <strong>der</strong><br />

Straße <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en gefahrvollen Orten wegzuholen <strong>und</strong> sie durch e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle<br />

Freizeitgestaltung zu gew<strong>in</strong>nen“. 254 Es wäre „schon damals allen e<strong>in</strong>sichtigen Kreisen“<br />

klar gewesen, „dass zur Erlangung dieses Zieles e<strong>in</strong> eigenes, neues Instrument geschaffen<br />

werden musste“. Der Stadtjugendpfleger begründete diese <strong>Entwicklung</strong> mit dem H<strong>in</strong>weis,<br />

dass „die verschiedenen, schon damals wie<strong>der</strong> neu entstandenen konfessionellen <strong>und</strong><br />

überkonfessionellen Jugendorganisationen, die auch heute [1952] im B<strong>und</strong>esdurchschnitt<br />

nur etwa 1/5 unserer gesamten Jugend erfassen, [...] diese Aufgabe“ nicht hätten übernehmen<br />

können, solange sie mit ihrem eigenen Aufbau beschäftigt waren. „In dieser Absicht<br />

hätte schon im August 1946 auf Initiative von Reg. Rat [sic] Dr. Epp, die Abt[eilung]<br />

Jugendpflege <strong>und</strong> Volksbildung des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern durch R<strong>und</strong>erlass<br />

angeregt, dass bei uns Jugendbildungswerke <strong>in</strong>s Leben gerufen werden.“<br />

E<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung unter den Jugende<strong>in</strong>richtungen hatten die Jugendhäuser.<br />

Nach Anweisung des badischen Innenm<strong>in</strong>isteriums vom März <strong>und</strong> August 1946 sollten<br />

diese E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> allen größeren Städten Südbadens <strong>der</strong> Jugend zur Verfügung<br />

gestellt werden <strong>und</strong> sich allmählich zu räumlichen Zentren für den gesamten außerschulischen<br />

Jugendsektor entwickeln. Das Vorbild für die deutschen Jugendhäuser im<br />

253 DESHAYES, Jugendbewegung, <strong>in</strong>: VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 191.<br />

254 Alle Zitate s<strong>in</strong>d dem Interview, das <strong>in</strong> protokollarischer Form <strong>in</strong> den Akten des Stadtarchivs <strong>Konstanz</strong><br />

erhalten ist, entnommen; Schreiben Kutschas an den Leiter des Archivs für soziale Publizistik <strong>in</strong><br />

Karlsruhe, Haberer, vom 10.06.1952, StAK, S XII.


II.5 STRUKTUREN UND ARBEITSFELDER DER JUGENDARBEIT IN SÜDBADEN 63<br />

französischen Zonengebiet bildeten die französischen maisons de la jeunesse. Während<br />

Jugendräume <strong>in</strong> Deutschland erst nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt wurden, reichen<br />

die Wurzeln dieser E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> Frankreich bereits bis zu den Anfängen <strong>der</strong> französischen<br />

Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungsbewegung an <strong>der</strong> Wende vom 19. zum 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

zurück. Sie waren kommunale Jugendräume <strong>und</strong> standen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> nichtorganisierten<br />

Jugend zur Verfügung, <strong>während</strong> die Jugendorganisationen teilweise eigene<br />

Räumlichkeiten besaßen. Darüber h<strong>in</strong>aus waren sie Standorte <strong>der</strong> Jugendbildungswerke,<br />

die zum damaligen Zeitpunkt <strong>in</strong> Deutschland ebenfalls neuartig waren. Schon im Spätsommer<br />

1945 hatten die entsprechenden Dienststellen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> DEP zudem damit<br />

begonnen, Konzeptionen für außerschulische Bildungse<strong>in</strong>richtungen zu entwerfen. Zu<br />

Trägern <strong>der</strong> Jugendbildung avancierte <strong>in</strong> Baden vor allem die neue kommunale E<strong>in</strong>richtung<br />

<strong>der</strong> Jugendbildungswerke, <strong>während</strong> <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Landesteilen wie etwa Rhe<strong>in</strong>land-<br />

Pfalz die Volkshochschulen neben ihrer Funktion als Erwachsenenbildungsstätten den<br />

Auftrag zur Jugendbildung alle<strong>in</strong> <strong>in</strong>nehatten. 255<br />

Die Volkshochschulen <strong>der</strong> frühen Nachkriegszeit können ebenfalls zu den Jugendbildungsstätten<br />

gezählt werden, da sich ihre Arbeit vorrangig an Jugendliche <strong>und</strong> junge<br />

Erwachsene im Alter von 18 bis 30 Jahren richtete. Im gesamten französischen Zonengebiet<br />

wurden 1946 25 Volkshochschulen eröffnet. Regionale Schwerpunkte waren Südbaden<br />

<strong>und</strong> Württemberg-Hohenzollern, wobei starke regionale, qualitative <strong>und</strong> quantitative<br />

Unterschiede im Angebot sowie e<strong>in</strong> deutliches Stadt-Land-Gefälle bestanden. 256 Die<br />

frühesten E<strong>in</strong>richtungen dieser Art befanden sich <strong>in</strong> Lahr, Freiburg <strong>und</strong> Emmend<strong>in</strong>gen.<br />

Die Volkshochschule <strong>Konstanz</strong> wurde im Herbst 1946 <strong>in</strong>s Leben gerufen. Ansonsten aber<br />

kam <strong>der</strong> Aufbau <strong>der</strong> Erwachsenenbildungse<strong>in</strong>richtungen im Land eher zögerlich voran. So<br />

gab es im Februar 1947 <strong>in</strong> Südbaden gerade e<strong>in</strong>mal zehn bestehende <strong>und</strong> drei im Aufbau<br />

bef<strong>in</strong>dliche Volkshochschulen. In den an<strong>der</strong>en französisch besetzten Landesteilen, mit<br />

Ausnahme von Württemberg-Hohenzollern, sah die Versorgung noch wesentlich schlechter<br />

aus. Im Württembergischen existierten immerh<strong>in</strong> elf Volkshochschulen, weitere acht<br />

waren <strong>in</strong> Planung. In <strong>der</strong> Pfalz gab es dagegen nur fünf Volkshochschulen sowie e<strong>in</strong>e<br />

weitere projektierte E<strong>in</strong>richtung. Im Rhe<strong>in</strong>land bestanden drei Volkshochschulen; zwei<br />

weitere waren geplant. Im Saargebiet hatte bis zu diesem Zeitpunkt lediglich e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>richtung<br />

dieser Art ihren Lehrbetrieb aufgenommen, zwei weitere waren im Aufbau begriffen.<br />

Die Wie<strong>der</strong>- bzw. Neueröffnung von Jugendbildungswerken <strong>und</strong> Volkshochschulen<br />

nach dem Krieg entsprang ähnlichen politischen Gr<strong>und</strong>sätzen wie jenen, die <strong>der</strong> Schulpolitik<br />

zugr<strong>und</strong>e lagen. Ebenso ähnelte sich <strong>der</strong> Bildungsauftrag. Sowohl die Schulen als<br />

auch die außerschulischen Bildungsstätten sollten mit ihrer Arbeit dazu beitragen, die<br />

Jugend zu bilden <strong>und</strong> zur Demokratie zu erziehen <strong>und</strong> kommunikative Fähigkeiten wie die<br />

Führung e<strong>in</strong>es kritischen Diskurses o<strong>der</strong> die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit staatsbürgerlichen<br />

<strong>und</strong> politischen Themen zu för<strong>der</strong>n. Dem <strong>in</strong>haltlichen Anspruch nach wurde <strong>der</strong> Vermittlung<br />

von humanistischem Gedankengut sowie <strong>der</strong> französischen Kultur <strong>und</strong> Sprache große<br />

Bedeutung zugemessen. Raymond Schmittle<strong>in</strong> war e<strong>in</strong> entschiedener Gegner traditioneller<br />

255 WOLFRUM, Zeit <strong>der</strong> schönen Not, <strong>in</strong>: DERS. U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 203-213, hier S. 206.<br />

256 ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 180.


64 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

deutscher Unterrichtsmethoden, die se<strong>in</strong>er Ansicht nach auf <strong>der</strong> Basis von Autorität <strong>und</strong><br />

passiver Wissensvermittlung aufgebaut waren <strong>und</strong> <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise die Fähigkeit zum<br />

„eigenen Nachdenken“ 257 för<strong>der</strong>ten.<br />

Die für die französische Deutschland- <strong>und</strong> Besatzungspolitik <strong>in</strong>sgesamt typische<br />

Ambivalenz zwischen <strong>in</strong>tegrativer Kulturarbeit <strong>und</strong> Kontrolle war jedoch auch im Bereich<br />

<strong>der</strong> Jugend- <strong>und</strong> Erwachsenenbildung spürbar. Beispielsweise wurden Volkshochschulen<br />

durch Lektoren beaufsichtigt, die e<strong>in</strong>erseits Sprachunterricht erteilten, an<strong>der</strong>erseits die<br />

französischen Behörden über die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> Volkshochschulen <strong>in</strong>formierten.<br />

6 Reformbestrebungen <strong>in</strong> benachbarten Gesellschaftsbereichen<br />

Der Neu- bzw. Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> im französisch besetzten deutschen Südwesten<br />

zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949 war e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> den Gesamtkontext e<strong>in</strong>es allgeme<strong>in</strong>en<br />

kulturellen <strong>und</strong> demokratischen Neubeg<strong>in</strong>ns, <strong>der</strong> sich unter <strong>der</strong> Ägide <strong>der</strong> Besatzungsmächte<br />

nach Ende des Zweiten Weltkriegs <strong>in</strong> Deutschland vollzog. 258 Daher ist die<br />

Neugestaltung <strong>der</strong> außerschulischen Jugend- <strong>und</strong> Jugendbildungsarbeit <strong>in</strong> französischer<br />

Besatzungszeit im gleichen Zusammenhang zu sehen wie weitere Reformversuche <strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>en Gesellschaftsbereichen, die zum Teil e<strong>in</strong>e jugendpolitische Komponente hatten<br />

wie die Entnazifizierungs-, Kultur-, Bildungs- <strong>und</strong> Medienpolitik.<br />

6.1 Bildungsreformen im Schul- <strong>und</strong> Hochschulbereich<br />

Das Haupt<strong>in</strong>teresse <strong>der</strong> französischen Umerziehungspolitik <strong>in</strong> Deutschland galt <strong>der</strong> Schul-<br />

<strong>und</strong> Hochschulpolitik. Schließlich hatte die Demokratisierung des Bildungssystems <strong>in</strong><br />

allen Zonen oberste Priorität. 259 Schon <strong>während</strong> des Krieges trafen die Besatzungsmächte<br />

Vorbereitungen zur Neugestaltung dieses gesellschaftlich wie jugendpolitisch gleichsam<br />

wichtigen Bereichs. Das Hauptaugenmerk galt <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Schulen. E<strong>in</strong>e<br />

wichtige Voraussetzung bildete die Entnazifizierung des Lehrkörpers. Im französischen<br />

Besatzungsgebiet waren die Schulen auf Anweisung des Generalverwalters Laffon unmittelbar<br />

nach dem E<strong>in</strong>marsch geschlossen worden. Im August erg<strong>in</strong>gen an die Landesdelegationen<br />

se<strong>in</strong>e Anweisungen h<strong>in</strong>sichtlich Bildung, Schöner Künste, Sport <strong>und</strong> Jugend. Sie<br />

sahen unter an<strong>der</strong>em vor, dass Parteimitglie<strong>der</strong> unter den Lehrern zu entlassen seien. Die<br />

Franzosen planten, das deutsche Bildungswesen <strong>in</strong> ihrer Zone radikal zu reformieren <strong>und</strong><br />

demokratische Strukturen <strong>in</strong> diesem Bereich zu verankern. Die Eckpunkte <strong>der</strong> französischen<br />

Schulreformen, die <strong>in</strong> ihrem Kern mit <strong>der</strong> Direktive Nr. 54 Basic Pr<strong>in</strong>ciples for<br />

Democratization of Education <strong>in</strong> Germany des Alliierten Kontrollrats vom 25. Juni 1947<br />

257<br />

ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 145.<br />

258<br />

BOSCH, Neubeg<strong>in</strong>n; PFETSCH, Verfassungspolitik, <strong>in</strong>: INSTITUT FRANÇAIS DE STUTTGART, Deutschlandpolitik,<br />

S. 115-139.<br />

259<br />

FÜSSL, Umerziehung, S. 112; HEINEMANN, Hochschuloffiziere.


II.6 REFORMBESTREBUNGEN IN BENACHBARTEN GESELLSCHAFTSBEREICHEN 65<br />

konform g<strong>in</strong>gen 260 , lauteten: Neugestaltung <strong>der</strong> Unterrichts<strong>in</strong>halte <strong>und</strong> Unterrichtsstrukturen,<br />

Reform <strong>der</strong> Gymnasien, Neugestaltung <strong>der</strong> Volksschullehrerausbildung, Schaffung<br />

von Simultanschulen <strong>in</strong> Württemberg-Hohenzollern, E<strong>in</strong>führung des Zentralabiturs <strong>und</strong><br />

des französischen Notensystems, Französisch als erste Fremdsprache anstelle von Late<strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> Griechisch an Gymnasien, gymnasiale För<strong>der</strong>stufen <strong>in</strong> den ersten drei Klassen sowie<br />

e<strong>in</strong>e verbesserte Lehrerausbildung, die nach französischem Vorbild überkonfessionell <strong>und</strong><br />

nicht akademisch ausgerichtet se<strong>in</strong> sollte. 261<br />

Die Entscheidung, die Schulen beizeiten wie<strong>der</strong> zu eröffnen, ist allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />

ausschließlich auf reformerische Gedanken aus dem Umfeld <strong>der</strong> französischen Bildungs-<br />

<strong>und</strong> Jugendpolitik zurückzuführen. In <strong>der</strong> Praxis hatte diese Maßnahme vor allem<br />

ordnungspolitische Gründe, die darauf abzielten, die Jugend schnellstmöglich von <strong>der</strong><br />

Straße zu br<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> ihr vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Vielzahl von Jugendproblemen<br />

wie<strong>der</strong> neue Perspektiven aufzuzeigen. Wie <strong>in</strong> wohl kaum e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en demokratiepolitischen<br />

Bereich klafften dabei Anspruch <strong>und</strong> Wirklichkeit weit ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Schon die<br />

Wie<strong>der</strong>aufnahme des Schulbetriebs bereitete vielerorts große Schwierigkeiten. Selbst<br />

Angehörige des Militärpersonals, wie <strong>der</strong> Vill<strong>in</strong>ger Kreisdelegierte Robert, räumten<br />

selbstkritisch e<strong>in</strong>, dass es sich bei <strong>der</strong> Eröffnung <strong>der</strong> Schulen <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone im<br />

Herbst 1945 eher um e<strong>in</strong>en „symbolischen Akt“ 262 als um e<strong>in</strong>e konkrete Maßnahme<br />

gehandelt hätte. Der geregelte Unterricht war aus vielerlei Gründen kaum möglich.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e fehlte es den Schulen an Heizmaterial, Lehr- <strong>und</strong> Lernmitteln sowie an<br />

Personal <strong>und</strong> Räumen. Das beson<strong>der</strong>e Dilemma bestand dar<strong>in</strong>, dass die Franzosen e<strong>in</strong>erseits<br />

auf e<strong>in</strong>e rasche Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Schulen drängten, an<strong>der</strong>erseits die For<strong>der</strong>ung<br />

erhoben, dass zuvor alle Lehrer zu entnazifizieren <strong>und</strong> die Schulbücher zu bere<strong>in</strong>igen<br />

wären. E<strong>in</strong>es <strong>der</strong> größten Probleme bildete <strong>der</strong> Lehrermangel. Zum e<strong>in</strong>en standen<br />

unbelastete Lehrkräfte kaum zur Verfügung. Aufgr<strong>und</strong> des hohen Anteils <strong>der</strong> Lehrer, die<br />

Parteimitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> NSDAP gewesen waren, hatten drei Viertel <strong>der</strong> Lehrer Berufsverbot.<br />

263 Aus diesem Gr<strong>und</strong> mussten Notlösungen gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Kompromisse e<strong>in</strong>gegangen<br />

werden. Schließlich entschloss man sich, die Schulen trotz <strong>der</strong> Vielzahl ungelöster<br />

Probleme zu öffnen. Man behalf sich mit Schulhelfern, die aus dem Kreis <strong>der</strong> Studenten<br />

<strong>und</strong> pensionierten Kräfte rekrutiert wurden. E<strong>in</strong>zelne Fächer wie <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> Lehr<strong>in</strong>halte<br />

wie die sogenannte „Rassek<strong>und</strong>e“ im Biologieunterricht blieben verboten.<br />

Langfristig hatten die Bildungsreformen, die Frankreich im besetzten Deutschland<br />

<strong>in</strong>itiierte, ke<strong>in</strong>en dauerhaften Bestand. Die französischen Schulreformpläne scheiterten<br />

jedoch nicht nur an <strong>der</strong> Praxis, son<strong>der</strong>n vor allem am erheblichen Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> politisch<br />

dem BCSV <strong>und</strong> <strong>der</strong> katholischen Kirche nahestehenden gesellschaftlichen Gruppierungen.<br />

264 Kritik weckten <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Versuche, das Late<strong>in</strong>ische im Gymnasialbereich<br />

zugunsten mo<strong>der</strong>ner Sprachen zurückzudrängen, sowie die geplante nicht konfessionsgeb<strong>und</strong>ene<br />

Lehrerausbildung. Durch die Konstituierung <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> sowie die<br />

260 ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 101.<br />

261 SCHMITTLEIN, Umerziehung, <strong>in</strong>: VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 171.<br />

262 KrAVS, Bestand Landratsamt Vill<strong>in</strong>gen, Nr. 2412.<br />

263 RUGE-SCHATZ, Schulpolitik, <strong>in</strong>: SCHARF; SCHRÖDER (Hgg.), Stabilisierung, S. 91-110, hier S. 98.<br />

264 Beispiele bei GROHNERT, Rééducation, <strong>in</strong>: WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 190-192.


66 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

sukzessive Abtretung <strong>der</strong> Kulturhoheit an die Län<strong>der</strong> gewannen deutsche Interessengruppen<br />

schnell E<strong>in</strong>fluss auf die Bildungspolitik. Dies führte zu e<strong>in</strong>er Festigung des<br />

wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>geführten dreizügigen Schulsystems Weimarer Prägung.<br />

Die meisten Schulreformen <strong>der</strong> Franzosen wurden nach 1949, als die Län<strong>der</strong> die<br />

Hoheit über Kultusangelegenheiten erhielten, rückgängig gemacht, darunter die E<strong>in</strong>führung<br />

des französischen Notensystems; e<strong>in</strong>zig das landesweite Zentralabitur <strong>und</strong><br />

Französisch als Fremdsprache im Gymnasialunterricht blieben von den Reformplänen<br />

erhalten. 265 Nachdem schon ab 1947 die Aufsicht über das Erziehungswesen sukzessive<br />

gelockert worden war, fielen die letzten Kontrollen nach <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik.<br />

In <strong>der</strong> Spätphase <strong>der</strong> Besatzungszeit bis zur Ratifizierung <strong>der</strong> Pariser Verträge im<br />

Mai 1955 beschränkte sich Frankreich unter dem E<strong>in</strong>druck des Kalten Krieges auf<br />

Aufsichtsfunktionen anstelle <strong>der</strong> früheren Kontrollfunktion.<br />

Trotz vieler Schwierigkeiten muss aber betont werden, dass die Schulen im Wie<strong>der</strong>aufbau<br />

e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag zur Demokratisierung <strong>der</strong> Jugend <strong>und</strong> zur Integration <strong>der</strong><br />

ca. zwölf Millionen Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Vertriebenen aus Mittel- <strong>und</strong> Ostdeutschland<br />

leisteten. 266 Die Probleme beschränkten sich zudem nicht auf die französische Zone. In<br />

an<strong>der</strong>en Zonen hatten die Schulen ebenfalls mit den Folgeersche<strong>in</strong>ungen <strong>der</strong> zwölfjährigen<br />

Diktatur <strong>und</strong> des Kriegs zu kämpfen. In vielen Landstrichen, die von Flächenbombardements<br />

im Krieg betroffen waren, war die Lage noch dramatischer als im weitestgehend<br />

unzerstörten französisch besetzten deutschen Südwesten.<br />

Zeitgleich mit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Schulen wurde <strong>der</strong> Hochschulsektor <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

französischen Zone reformiert 267 <strong>und</strong> <strong>in</strong> allen vier Landesteilen Universitäten neu gegründet<br />

o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>eröffnet. Zuvor wurden an allen Universitäten im Land Entnazifizierungsmaßnahmen<br />

durchgeführt. 268 Den Auftakt <strong>der</strong> Reformen bildete die Wie<strong>der</strong>eröffnung<br />

<strong>der</strong> badischen <strong>und</strong> <strong>der</strong> württembergischen Universitäten Freiburg <strong>und</strong> Tüb<strong>in</strong>gen im Herbst<br />

1945. 269 Im l<strong>in</strong>ksrhe<strong>in</strong>ischen französischen Besatzungsgebiet wurden zwei Reformuniversitäten<br />

gegründet: Zum e<strong>in</strong>en handelte es sich um die Johannes-Gutenberg-<br />

Universität <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z, die seit 1919 geschlossen <strong>und</strong> 1946 mit neuem Bildungsauftrag<br />

wie<strong>der</strong> gegründet wurde. Wie die französische Zeithistoriker<strong>in</strong> Cor<strong>in</strong>ne DEFRANCE<br />

nachweist, lagen dieser Maßnahme allerd<strong>in</strong>gs nicht nur reformerische, son<strong>der</strong>n zudem<br />

strategische Gründe im Rahmen <strong>der</strong> französischen Rhe<strong>in</strong>landpolitik zugr<strong>und</strong>e. Zum<br />

an<strong>der</strong>en wurde die Universität Saarbrücken unter <strong>der</strong> Ägide <strong>der</strong> Universität Nancy im<br />

Herbst 1948 neu <strong>in</strong>s Leben gerufen. 270 Im Fachhochschulbereich kamen das Dolmetscher<strong>in</strong>stitut<br />

Germersheim sowie die Fachhochschule für Verwaltung <strong>in</strong> Speyer als französische<br />

Gründungen <strong>während</strong> <strong>der</strong> Besatzungsphase h<strong>in</strong>zu. 271<br />

265<br />

CUER, Französische Sprachenpolitik, <strong>in</strong>: KNIPPING; LE RIDER (Hgg.), Kulturpolitik, S. 57-83.<br />

266<br />

FÜHR, Bildungswesen, S. 8.<br />

267<br />

Dazu ZAUNER, Universitäten, <strong>in</strong>: RAUH-KÜHNE U. A. (Hgg.), Regionale Eliten, S. 333-361.<br />

268<br />

GROHNERT, Entnazifizierung, <strong>in</strong>: WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 165-186; DEFRANCE,<br />

Entnazifizierung an westdeutschen Universitäten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Besatzungszeit, <strong>in</strong>: HOCHSTUHL (Hg.), Deutsche<br />

<strong>und</strong> Franzosen, S. 43-60.<br />

269<br />

DEFRANCE, Ma<strong>in</strong>zer Universität, <strong>in</strong>: CLEMENS (Hg.), Kulturpolitik, S. 117-130.<br />

270<br />

HEINEN, Universität des Saarlandes.<br />

271<br />

KNIPPING, Verwaltung, <strong>in</strong>: DERS.; LE RIDER (Hgg.), Kulturpolitik, S. 91-110.


II.6 REFORMBESTREBUNGEN IN BENACHBARTEN GESELLSCHAFTSBEREICHEN 67<br />

6.2 Kultur-, Informations-, Medien- <strong>und</strong> Verlagspolitik<br />

Nachdem über den Stellenwert <strong>der</strong> Kulturpolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

Forschung lange Zeit kontrovers diskutiert wurde, herrscht <strong>in</strong>zwischen mehrheitlich die<br />

Me<strong>in</strong>ung vor, dass die „Kulturpolitik als Mittel <strong>der</strong> Umerziehung neben <strong>der</strong> Sicherheits-<br />

<strong>und</strong> Wirtschaftspolitik e<strong>in</strong>e wichtige Rolle“ 272 spielte <strong>und</strong> diese als Teil des Gesamtkonzepts<br />

<strong>der</strong> französischen Demokratisierungs- <strong>und</strong> Umerziehungspolitik aufzufassen sei.<br />

Neben dem Aspekt <strong>der</strong> Umerziehung bzw. Demokratisierung <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung<br />

verbanden die Franzosen mit ihrer Kulturmission außerdem die Absicht, französische<br />

Kultur den Menschen <strong>in</strong> ihrer Besatzungszone nahezubr<strong>in</strong>gen. 273 In den ersten Nachkriegsjahren<br />

erlebten Ausstellungen, Konzerte, Literaturveranstaltungen, Diskussionsabende<br />

<strong>und</strong> Theaterleben im deutschen Südwesten mit organisatorischer Unterstützung <strong>der</strong><br />

Franzosen e<strong>in</strong>e ausgesprochene Blütezeit. Im Gegensatz zur Situation <strong>in</strong> Württemberg-<br />

Hohenzollern, wo deutschen Stellen auf kulturpolitischem Gebiet recht früh Eigenständigkeit<br />

<strong>und</strong> Verantwortung zugestanden wurde 274 , beschränkten sich die Franzosen<br />

beim Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> Südbaden allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> den Folgejahren jedoch<br />

ke<strong>in</strong>esfalls lediglich auf die Oberaufsicht. So fanden die ab 1946 „am See rasch e<strong>in</strong>setzenden<br />

Kulturaktivitäten“, wie MOSER betont, „nicht nur unter französischer Kontrolle,<br />

son<strong>der</strong>n ebenso mit französischer organisatorischer <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzieller Hilfe statt“. 275 Die<br />

Kultur half vielen Menschen, die Alltagsnot zu vergessen. Doch im Zuge <strong>der</strong> Währungsreform<br />

traten für die Bevölkerung materielle Werte <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. Im Gefolge dieser<br />

<strong>Entwicklung</strong> g<strong>in</strong>gen die kulturellen Angebote zahlenmäßig spürbar zurück.<br />

Zeitgleich wurde das Presse- <strong>und</strong> Verlagswesen auf e<strong>in</strong>e völlig neue Basis gestellt. In<br />

Südbaden <strong>und</strong> den an<strong>der</strong>en Landesteilen <strong>der</strong> französischen Zone entstanden Verlage,<br />

Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften neu. Im Rahmen <strong>der</strong> Erziehung <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung<br />

zur Demokratie fiel den Massenmedien große Bedeutung zu. Nach dem Krieg wurden die<br />

Zeitungen <strong>und</strong> <strong>der</strong> R<strong>und</strong>funk aufgr<strong>und</strong> alliierter Kontrollratsbestimmungen zunächst<br />

verboten. Es folgte e<strong>in</strong>e Phase, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Bevölkerung ausschließlich durch Plakate <strong>und</strong><br />

Lautsprecher <strong>in</strong>formiert wurde. Aus <strong>der</strong> im Herbst 1945 e<strong>in</strong>setzenden R<strong>und</strong>funk- <strong>und</strong><br />

Pressepolitik g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone e<strong>in</strong>e neue Medienlandschaft hervor. 276 Im<br />

September 1945 beschloss die Militärregierung den Aufbau des Südwestfunks, <strong>der</strong> Ende<br />

Mai 1946 se<strong>in</strong>en Sendebetrieb von Baden-Baden aus aufnahm <strong>und</strong> dessen Sendegebiet<br />

sich auf Südwürttemberg, Südbaden <strong>und</strong> Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz erstreckte.<br />

272 BECKER, Kultur im Schatten <strong>der</strong> Trikolore, Umschlag.<br />

273 BECKER, Kultur im Schatten <strong>der</strong> Trikolore, S. 37 <strong>und</strong> 60.<br />

274 BECKER, Kultur im Schatten <strong>der</strong> Trikolore, 166 f.<br />

275 Mit vielen lokalen Beispielen E. MOSER, Rückkehr <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne, <strong>in</strong>: INTERNATIONALER ARBEITSKREIS<br />

BODENSEEAUSSTELLUNGEN (Hg.): Endlich Friede!, S. 67-76, hier S. 68.<br />

276 JOHN; SCHWARZMAIER, Presse <strong>und</strong> R<strong>und</strong>funk, <strong>in</strong>: GENERALLANDESARCHIV KARLSRUHE (Hg.), St<strong>und</strong>e<br />

Null, S. 193-209; SCHÖLZEL, Pressepolitik.


68 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

Nahezu zeitgleich erteilten die Franzosen Lizenzen zur Gründung von Zeitungen.<br />

Zwischen 1946 <strong>und</strong> 1949 wurden 33 Lizenzvergaben erteilt. Darunter befand sich auch<br />

<strong>der</strong> SÜDKURIER, <strong>der</strong> erstmals am 8. September 1945 <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> erschien. 277 Die Maßnahmen<br />

im Bereich <strong>der</strong> Medienpolitik trugen maßgeblich dazu bei, dass für die Bevölkerung<br />

<strong>in</strong> Südbaden die Phase fehlen<strong>der</strong> Informationsmöglichkeiten e<strong>in</strong> Ende fand. Die Pressepolitik<br />

<strong>der</strong> Franzosen besaß <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e jugendpolitische Dimension, dass unter dem<br />

Gesichtspunkt <strong>der</strong> rééducation ab 1946 zudem die Herausgabe eigener Jugendzeitschriften<br />

geför<strong>der</strong>t wurde. Dieser Aspekt wird später im Rahmen <strong>der</strong> Betrachtungen zum Jugendmedienschutz<br />

behandelt. Im Zonengebiet waren zwei weltanschaulich unterschiedliche<br />

Zeitschriften verbreitet: zum e<strong>in</strong>en das katholische Blatt „Der Fährmann“, zum an<strong>der</strong>en<br />

die sozialistisch orientierte Zeitschrift „Die Zukunft“. 278<br />

6.3 Entnazifizierung, Jugendamnestie, Umschulungslager für ehemalige<br />

HJ-Angehörige<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Entnazifizierungspolitik wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone zunächst e<strong>in</strong><br />

Son<strong>der</strong>weg mithilfe von Spruchkammern, E<strong>in</strong>zelfallprüfungen <strong>und</strong> Ausschüssen praktiziert,<br />

<strong>der</strong> erst 1948 aufgegeben <strong>und</strong> durch das im angelsächsischen Zonengebiet gebräuchliche<br />

Fragebogenverfahren ersetzt wurde. Die Entnazifizierung hatte für die deutsche<br />

Jugend <strong>in</strong> zweifacher H<strong>in</strong>sicht Relevanz. Zum e<strong>in</strong>en betraf sie den größten Teil <strong>der</strong><br />

Lehrerschaft. Die Entlassungsquote war unter Lehrern mit e<strong>in</strong>em landesweiten Anteil von<br />

97 Prozent beson<strong>der</strong>s hoch. 279 Zum an<strong>der</strong>en wurde 1947 <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone e<strong>in</strong>e<br />

umfassende Jugendamnestie durchgeführt, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Verlauf die gesamte Jugend <strong>der</strong><br />

Geburtsjahrgänge ab 1919 nahezu pauschal von jeglicher Mitschuld am Nationalsozialismus<br />

freigesprochen wurde. Die Jugendamnestie markierte zudem den Kurswechsel <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Jugendpolitik h<strong>in</strong> zu mehr Kooperation <strong>und</strong> weniger Kontrolle. Verglichen mit <strong>der</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> im britischen <strong>und</strong> amerikanischen Zonengebiet, wo die Jugend bereits 1946<br />

amnestiert worden war, erfolgte die Maßnahme im Südwesten allerd<strong>in</strong>gs vergleichsweise<br />

spät. Als e<strong>in</strong>e mögliche Ursache für diese <strong>Entwicklung</strong>, die vor allem auf Entscheidungen<br />

<strong>der</strong> Behörden des Außenm<strong>in</strong>isteriums <strong>in</strong> Paris basierte, wurde <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Forschung zur<br />

französischen Kulturpolitik gemutmaßt, dass ‚Lockerungen’ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Besatzungspolitik <strong>der</strong><br />

französischen Bevölkerung gegenüber plausibler begründet werden konnten, wenn klar<br />

war, dass die angelsächsischen Alliierten diesen Schritt bereits vollzogen hatten <strong>und</strong> somit<br />

auch Paris ke<strong>in</strong>e Alternative mehr hatte.“ 280<br />

277 DIX, Südkurier, S. 21.<br />

278 MOMBERT, Les Français et la Jeunesse, <strong>in</strong>: MARTENS (Hg.), Vom ‚Erbfe<strong>in</strong>d‘ zum ‚Erneuerer‘, S. 93-104.<br />

279 GROHNERT, Entnazifizierung, <strong>in</strong>: WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 186.<br />

280 PLUM, Französische Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland, S. 285.


II.6 REFORMBESTREBUNGEN IN BENACHBARTEN GESELLSCHAFTSBEREICHEN 69<br />

Raymond Schmittle<strong>in</strong> unterschied h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> zu erwartenden Erfolgsaussichten<br />

<strong>der</strong> von ihm geplanten Umerziehungspolitik drei Gruppen von Jugendlichen: Den größten<br />

Teil <strong>der</strong> Jugend rechnete er „nicht zu den Nazis“ <strong>und</strong> erhoffte gute Erfolge bei <strong>der</strong><br />

Erziehung zur Demokratie. Selbst ältere Jugendliche sah er für die Demokratie noch nicht<br />

als verloren an. Die Schüler höherer Schulen hielt er für die am stärksten durch den<br />

Nationalsozialismus kontam<strong>in</strong>ierte Gruppe unter <strong>der</strong> deutschen Jugend. Folglich schätzte<br />

er <strong>der</strong>en „Umstände für die <strong>Entwicklung</strong> demokratischen Denkens als nicht günstig“ e<strong>in</strong>.<br />

Beson<strong>der</strong>s ungünstig fielen se<strong>in</strong>e Prognosen auf e<strong>in</strong>e demokratische <strong>Entwicklung</strong> im<br />

H<strong>in</strong>blick auf die ehemaligen Verantwortlichen <strong>der</strong> Hitler-Jugend aus. Diese Haltung<br />

wurde unter an<strong>der</strong>em dadurch unterstrichen, dass diese Gruppe nicht unter die Jugendamnestie<br />

von 1947 fiel. Stattdessen wurden für sie beson<strong>der</strong>e überlokale Ausbildungsanstalten<br />

bereitgestellt. Im südbadischen Landesteil bestand zwischen 1947 <strong>und</strong> 1949 im<br />

Kreis Offenburg <strong>in</strong> <strong>der</strong> nahe Gengenbach gelegenen ehemaligen Forstschule e<strong>in</strong><br />

Umschulungslager für ehemalige jugendliche HJ-Angehörige. Insbeson<strong>der</strong>e Jugendführer<br />

<strong>und</strong> Funktionäre sollten hier zu künftigen Demokraten umerzogen werden. Mit dem Lager<br />

Te<strong>in</strong>ach im Schwarzwald, das auf Initiative des Jugend- <strong>und</strong> Sportdelegierten Humblot im<br />

März 1948 e<strong>in</strong>gerichtet wurde, bestand zudem im württembergischen Landesteil des<br />

Zonengebiets e<strong>in</strong>e vergleichbare E<strong>in</strong>richtung. 281<br />

Zu den För<strong>der</strong>ern des Höllhofs gehörten namhafte Vertreter <strong>der</strong> Landesmilitärregierung,<br />

darunter <strong>der</strong> französische Jugend- <strong>und</strong> Sportbeauftragte für Südbaden, Deshayes, <strong>der</strong><br />

badische Landesdelegierte Pène <strong>und</strong> <strong>der</strong> Offenburger Kreisdelegierte Robert. 282 Unter den<br />

deutschen Landespolitikern engagierten sich <strong>der</strong> Landrat des damaligen Kreises<br />

Offenburg, Eduard Joachim 283 , sowie Staatspräsident Wohleb für das Projekt. Mehrfach<br />

weilte er zu Vortragszwecken auf dem Höllhof. Dabei warb er für Toleranz, gegenseitige<br />

Achtung <strong>und</strong> Völkerverständigung. 284 Im Gegensatz zu den Vertretern <strong>der</strong> Politik standen<br />

weite Teile <strong>der</strong> Bevölkerung dem Experiment, ehemalige junge NS-Angehörige mithilfe<br />

eigens geschaffener E<strong>in</strong>richtungen umzuerziehen, eher skeptisch gegenüber. E<strong>in</strong> Mittel,<br />

um die oben genannten Zielsetzungen umzusetzen, war <strong>der</strong> streng geregelte Tagesablauf.<br />

H<strong>in</strong>zu kamen Vorträge <strong>und</strong> Diskussionen mit Vertretern <strong>der</strong> Militärregierung, <strong>der</strong><br />

Kirchen, <strong>der</strong> Universität Freiburg <strong>und</strong> <strong>der</strong> deutschen Politik zu Fragen des Rechts, <strong>der</strong><br />

Soziologie, <strong>Geschichte</strong>, Kunst, Literatur, Jugend <strong>und</strong> Pädagogik. Der Höllhof hatte zudem<br />

se<strong>in</strong> eigenes publizistisches Sprachrohr <strong>und</strong> brachte e<strong>in</strong> Mitteilungsblatt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e eigene<br />

Zeitschrift mit dem Titel „Bes<strong>in</strong>nung <strong>und</strong> Aufbruch“ heraus. Die Mehrheit <strong>der</strong> Teilnehmer<br />

281<br />

HUMBLOT, Kontrolle, <strong>in</strong>: VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 43-61; ZAUNER, Kulturmission,<br />

S. 55-57.<br />

282<br />

Deshayes vermerkte am 3. Juli 1948 im Gästebuch des Höllhofes: „Mit dem Ausdruck leidenschaftlicher<br />

Hoffnung <strong>in</strong> den Erfolg des Höllhof-Experiments, des Dankes für alle, die daran gearbeitet haben <strong>und</strong><br />

des Glaubens an e<strong>in</strong>e Zukunft des Friedens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Freiheit.“ SÜDKURIER vom 11.11.1948; zu Roberts<br />

Engagement beim Höllhofprojekt siehe ZAUNER, Kulturmission, S. 171.<br />

283<br />

Joachim, Eduard, Dr. rer. pol., geb. 15.07.1905 <strong>in</strong> Straßburg, gest. 03.04.1987 <strong>in</strong> Offenburg, 1946-1970<br />

Landrat des Landkreises Offenburg, 1970 <strong>in</strong> den Ruhestand getreten; vgl. KAUSS, Joachim, Eduard, <strong>in</strong>:<br />

ARBEITSGEMEINSCHAFT DER KREISARCHIVE (Hg.), Amtsvorsteher, S. 334.<br />

284<br />

Beispielhaft sei auf Wohlebs Eröffnungsrede zum 2. Kurs h<strong>in</strong>gewiesen, veröffentlicht im Mitteilungsblatt<br />

des Höllhof, Nr. 1 (1948); KrAFN, Bestand Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, ÜB-A 80c.


70 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

waren ehemalige männliche HJ-Mitglie<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendleiter im Alter zwischen 30 <strong>und</strong><br />

50 Jahren, die „ganz im Ideengut des Nationalsozialismus erzogen“ worden waren <strong>und</strong> die<br />

„Begriffe wie Demokratie <strong>und</strong> Republik, Humanität <strong>und</strong> Völkerversöhnung nur <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Entstellung <strong>und</strong> Verzerrung kannten <strong>und</strong> ihnen auch heute noch misstrauisch gegenüberstanden“.<br />

285<br />

Zur Gew<strong>in</strong>nung <strong>der</strong> Teilnehmer entstanden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Heimatorten <strong>der</strong> Kursteilnehmer<br />

sogenannte „Höllhofgeme<strong>in</strong>den“, die den Gedanken <strong>und</strong> die Methodik des<br />

Projekts verbreiten sollten. Wie aus e<strong>in</strong>em Schreiben des Kreisdelegierten L<strong>in</strong>deman an<br />

den Landrat des Kreises Überl<strong>in</strong>gen vom Juni 1947 hervorgeht, waren die Kreisjugendpfleger<br />

angehalten, <strong>während</strong> <strong>der</strong> Abhaltung von Jugendtreffen bzw. Jugendveranstaltungen<br />

Jugendliche zur Teilnahme an e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Umschulungskurse zu gew<strong>in</strong>nen.<br />

Nach Me<strong>in</strong>ung des Gouverneurs „dürfte es doch sicher nicht schwer fallen im Kreis<br />

[Überl<strong>in</strong>gen] e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> zwei Männer zu f<strong>in</strong>den, ehemalige Schüler <strong>der</strong> Adolf Hitlerschulen<br />

o<strong>der</strong> HJ-Führer, die gewillt wären e<strong>in</strong>en Aufenthalt auf dem Höllhof zu nehmen“. 286 Ob<br />

das Unterfangen erfolgreich war, ersche<strong>in</strong>t fraglich, zumal es sich, wie L<strong>in</strong>deman weiter<br />

ausführte, bei den Teilnehmern „wohlverstanden um Freiwillige“ handelte. Nachdem das<br />

Erziehungswesen 1949 wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> deutsche Hände übergeben worden war, wurden beide<br />

Umerziehungslager aufgelöst. Der Höllhof wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Begegnungsstätte für Jugendverbandsleiter<br />

<strong>und</strong> Volkshochschuldozenten umgewandelt.<br />

7 Reformhemmende <strong>und</strong> reformför<strong>der</strong>nde Faktoren<br />

Die vorstehende Darstellung <strong>der</strong> Strukturen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> ist ke<strong>in</strong>eswegs vollständig.<br />

Es konnte aber <strong>in</strong> jedem Fall deutlich gemacht werden, dass die französische Jugendpolitik<br />

zwischen 1945 bis 1949 vielgestaltige Ergebnisse im südbadischen Teil <strong>der</strong> französischen<br />

Zone hervorbrachte, die den Vergleich mit <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en beiden<br />

Westzonen ke<strong>in</strong>esfalls zu scheuen brauchten. Das heißt allerd<strong>in</strong>gs nicht, dass alle Vorgaben<br />

<strong>der</strong> Militärregierung überall im Land gleichzeitig <strong>und</strong> flächendeckend umgesetzt<br />

worden wären. Die Gründe für diese <strong>Entwicklung</strong>en s<strong>in</strong>d mannigfach. E<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong><br />

Probleme fußte auf Schwierigkeiten beim Aufbau e<strong>in</strong>er funktionstüchtigen Behördenstruktur<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Militärregierung. So dauerte es vom Kriegsende an gerechnet etwa<br />

e<strong>in</strong> halbes Jahr, bis e<strong>in</strong>e zivile Militärverwaltung auf allen Verwaltungsebenen <strong>in</strong>stalliert<br />

wurde. Indem die unteren Verwaltungsebenen zeitlich vor den übergeordneten Behörden<br />

geschaffen wurden, fehlte den Bezirks- <strong>und</strong> Kreisdelegationen bis Herbst 1945, wie<br />

KLÖCKLER 287 feststellt, „<strong>der</strong> adm<strong>in</strong>istrative Überbau“. Dies hatte zur Folge, dass anfangs<br />

vorwiegend lokale Anordnungen zum Tragen kamen. Darüber h<strong>in</strong>aus erschwerte die<br />

mangelhafte Kommunikation <strong>der</strong> weitverzweigten Behörden <strong>der</strong> Militärregierung untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>e effektive Arbeit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Dienststellen. Das g<strong>in</strong>g so weit, dass viele<br />

285 SÜDKURIER vom 11.11.1948.<br />

286 Dieses <strong>und</strong> das folgende Zitat: KrA FN, Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, Nr. ÜB-A 80a.<br />

287 KLÖCKLER, Abendland – Alpenland – Alemannien, S. 50.


II.7 REFORMHEMMENDE UND REFORMFÖRDERNDE FAKTOREN 71<br />

französische Delegierte den E<strong>in</strong>druck hatten, dass sie völlig auf sich gestellt wären <strong>und</strong><br />

ke<strong>in</strong>erlei Anweisung von höheren Dienststellen erhielten.<br />

Menschliche Konflikte hatten <strong>in</strong> dieser an sich bereits ungünstigen Situation e<strong>in</strong>en<br />

zusätzlichen Verstärkereffekt. E<strong>in</strong> Paradebeispiel ist <strong>der</strong> Konflikt zwischen Oberbefehlshaber<br />

<strong>und</strong> Generalverwalter. Die Differenzen zwischen den beiden führenden Köpfen<br />

<strong>der</strong> Zonenverwaltung prägten die Verwaltungstrukturen nachhaltig. Als Folge <strong>der</strong> Unstimmigkeiten<br />

existierte <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone neben <strong>der</strong> militärischen Zonenverwaltung<br />

e<strong>in</strong>e zweite zivile Zonenverwaltung. Die Hauptgründe für diesen Streit lagen <strong>in</strong> politischen<br />

Differenzen zwischen dem Sozialisten Laffon <strong>und</strong> General Koenig, <strong>der</strong> Anhänger<br />

de Gaulles war. E<strong>in</strong> weiterer Gr<strong>und</strong> waren unscharfe Kompetenzabgrenzungen. 288<br />

Derartige Kontroversen bildeten <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Militärregierung ke<strong>in</strong>e Ausnahme. Zu<br />

Unstimmigkeiten kam es auch zwischen Schmittle<strong>in</strong>s Abteilung für öffentliche Bildung<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> von Jean Arnaud geführten Abteilung für Information bei <strong>der</strong> DEP 289 sowie<br />

zwischen Jean Moreau, dem Leiter <strong>der</strong> Abteilung Sport et Jeunesse <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em unmittelbaren<br />

Vorgesetzten Mo<strong>in</strong>ard; <strong>und</strong> <strong>der</strong> badische Landesdelegierte Pierre Pène war, um e<strong>in</strong><br />

weiteres Beispiel zu nennen, gegen die Schulreformpläne Raymond Schmittle<strong>in</strong>s 290 .<br />

Das Verwaltungschaos <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Militärregierung war zwar nicht die e<strong>in</strong>zige<br />

Ursache, trug aber mit dazu bei, dass die „Franzosenzeit“ nach 1945 von <strong>der</strong> deutschen<br />

Bevölkerung mehrheitlich mit negativen Er<strong>in</strong>nerungen verb<strong>und</strong>en bleibt. Nicht nur <strong>in</strong>nerfranzösische<br />

Probleme, son<strong>der</strong>n auch Verzögerungen, welche die Alliierten betrafen,<br />

wirkten sich reformhemmend aus. So trat <strong>der</strong> Alliierte Kontrollrat erst e<strong>in</strong>en Monat nach<br />

Kriegsende, am 5. Juni 1945, erstmals zusammen <strong>und</strong> das Potsdamer Abkommen wurde<br />

e<strong>in</strong> halbes Jahr nach Kriegsende formuliert.<br />

Zudem standen die Zonengrenzen bei Kriegsende ke<strong>in</strong>eswegs endgültig fest. E<strong>in</strong>e<br />

b<strong>in</strong>dende Regelung erfolgte im Juli 1945, als die Westalliierten ihre Besatzungszonen<br />

südlich <strong>der</strong> Autobahn Karlsruhe – Ulm abgrenzten. Da diese Lösung die alten gewachsenen<br />

Landes- <strong>und</strong> Kreisgrenzen ignorierte, wurde das ehemalige Land Baden zweigeteilt.<br />

291 Die südlich <strong>der</strong> Autobahnl<strong>in</strong>ie gelegenen Regierungsbezirke Freiburg <strong>und</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> kamen zur französischen, die nördlichen Landkreise mit <strong>der</strong> Hauptstadt<br />

Karlsruhe <strong>und</strong> dem wichtigen Industriestandort Mannheim zur amerikanischen Zone. 292<br />

Diese Grenzregelung war e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Gründe für strukturbed<strong>in</strong>gte Probleme im französischen<br />

Zonengebiet. So hatte die französische Besatzungszone im Vergleich zu den<br />

übrigen Zonengebieten die ger<strong>in</strong>gste Bevölkerungsdichte. Mit Ausnahme von Freiburg<br />

gab es ke<strong>in</strong>e größeren Städte. Mittlere Städte, darunter etwa <strong>Konstanz</strong> o<strong>der</strong> Offenburg,<br />

<strong>und</strong> kle<strong>in</strong>ere Geme<strong>in</strong>den prägten das Landschaftsbild. In <strong>der</strong> Ökonomie des Landes<br />

288 Der Konflikt zwischen General Koenig <strong>und</strong> Generalverwalter Laffon war schon mehrfach Gegenstand<br />

<strong>der</strong> Literatur zur französischen Besatzungsgeschichte. E<strong>in</strong>e ausführliche Darstellung bietet HÜSER,<br />

Frankreichs „doppelte Deutschlandpolitik“, S. 511-518; gr<strong>und</strong>legend auch: LATTARD, Zielkonflikte, <strong>in</strong>:<br />

VfZ 39 (1991), S. 1-35.<br />

289 MOMBERT, Jeunesse et Livre, S. 43.<br />

290 GROHNERT, Rééducation, <strong>in</strong>: WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 193.<br />

291 HUDEMANN, Die französische Besatzungszone 1945-1952, <strong>in</strong>: SCHARF; SCHRÖDER (Hgg.)<br />

Deutschlandpolitik, S. 205-248.<br />

292 VON DER GROEBEN, Landkreistag, S. 215-216.


72 II GRÜNDUNGSPHASE DER JUGENDARBEIT IN DER FRANZÖSISCHEN ZONE (1945-1949)<br />

dom<strong>in</strong>ierte die Landwirtschaft, die über 40 Prozent <strong>der</strong> Erwerbsbevölkerung ernährte. In<br />

<strong>der</strong> Industrie herrschten kle<strong>in</strong>ere <strong>und</strong> mittlere Unternehmen vor. Es gab ke<strong>in</strong>e Ballungsräume<br />

<strong>und</strong> außer dem Saargebiet, das als französisches Protektorat Son<strong>der</strong>status besaß,<br />

ke<strong>in</strong>e nennenswerten Industriestandorte. Zudem war <strong>der</strong> Zugang zu wichtigen Absatzmärkten<br />

abgeschnitten.<br />

In <strong>der</strong> Praxis scheiterten viele Jugendprojekte an zu ger<strong>in</strong>gem Interesse <strong>der</strong> Verantwortlichen,<br />

<strong>der</strong> Teilnehmer o<strong>der</strong> Mangel an geeigneten Jugendleitern. So sah sich Marcel<br />

Nordmann, damals Staatssekretär des badischen Innenm<strong>in</strong>isteriums, im Mai 1947<br />

gezwungen, die Landkreisverwaltungen daran zu er<strong>in</strong>nern, ihren Pflichtaufgaben auf dem<br />

Gebiet <strong>der</strong> Jugendpflege nachzukommen. Manche Initiative kam vielerorts erst gar nicht<br />

<strong>in</strong> Gang o<strong>der</strong> verlief nach anfänglicher Euphorie bald wie<strong>der</strong> im Sand.<br />

Trotz vieler Probleme waren jedoch durchaus auch positive <strong>Entwicklung</strong>en zu<br />

verzeichnen. Die Wirtschaft profitierte beispielsweise davon, dass die meisten Fabriken<br />

im badischen Teil <strong>der</strong> Zone <strong>in</strong>takt geblieben waren, <strong>und</strong> auch für die Jugend- <strong>und</strong> Kulture<strong>in</strong>richtungen<br />

standen meist mehr o<strong>der</strong> weniger geeignete Räume zur Verfügung, obwohl<br />

viele öffentliche Gebäude von den Franzosen besetzt waren. Denn die französische Zone<br />

hatte die ger<strong>in</strong>gsten Kriegszerstörungen von allen Zonen zu verkraften. Insgesamt lag <strong>der</strong><br />

Zerstörungsgrad <strong>der</strong> Wohnungen <strong>in</strong> allen vier Landesteilen im Schnitt zwischen zehn <strong>und</strong><br />

15 Prozent, wobei es allerd<strong>in</strong>gs große regionale Unterschiede gab. Während <strong>Konstanz</strong><br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Grenznähe nahezu unzerstört blieb, verzeichneten Städte wie Freiburg 34<br />

Prozent bzw. Pforzheim 62 Prozent zerstörten Wohnraum. 293<br />

Zudem trug paradoxerweise die vergleichsweise späte Aufnahme von Flüchtl<strong>in</strong>gen<br />

<strong>und</strong> Heimatvertriebenen zur wirtschaftlichen Stabilisierung bei. Während <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen<br />

Zone nach den Ergebnissen <strong>der</strong> Volkszählung vom 19. Oktober 1946 Flüchtl<strong>in</strong>ge<br />

nur e<strong>in</strong>en Anteil von 1,5 Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung stellten, verbuchte die amerikanische<br />

Zone e<strong>in</strong>en Flüchtl<strong>in</strong>gs- <strong>und</strong> Vertriebenenanteil von 16,3 Prozent, die britische Zone e<strong>in</strong>en<br />

Anteil von 13,9 Prozent. 294 Die Zahlen wuchsen weiter an, nachdem viele Flüchtl<strong>in</strong>ge aus<br />

<strong>der</strong> sowjetischen Zone, die bis 1949 geschätzte vier Millionen Flüchtl<strong>in</strong>ge aufnahm, <strong>in</strong> die<br />

Westzonen überwechselten. Zum e<strong>in</strong>en lag <strong>der</strong> deutsche Südwesten zunächst fernab <strong>der</strong><br />

großen Flüchtl<strong>in</strong>gsrouten, zum an<strong>der</strong>en betrieb die französische Besatzungsmacht e<strong>in</strong>e<br />

äußerst restriktive Aufnahmepraxis. Da die französischen Truppen aus wirtschaftlichen<br />

Mitteln <strong>der</strong> Zone versorgt werden sollten <strong>und</strong> zudem die alliierten Beschlüsse zum Flüchtl<strong>in</strong>gswesen,<br />

wie sie <strong>in</strong> Potsdam formuliert worden waren, nicht als verb<strong>in</strong>dlich angesehen<br />

wurden, untersagte Frankreich anfangs jegliche Aufnahme von Flüchtl<strong>in</strong>gen. Erst 1947<br />

setzte allmählich e<strong>in</strong> Zustrom von Flüchtl<strong>in</strong>gen nach Baden <strong>und</strong> Württemberg e<strong>in</strong>. Dieser<br />

„Umverteilungsprozess“ wurde, so BURCHARDT, „e<strong>in</strong>ige Jahre später <strong>in</strong>tensiviert, als die<br />

neugegründete B<strong>und</strong>esrepublik den sogenannten Flüchtl<strong>in</strong>gsausgleich <strong>in</strong> Gang setzte, <strong>der</strong><br />

vor allem Bayern <strong>und</strong> Schleswig-Holste<strong>in</strong> entlasten sollte.“ 295 Zwar wurden ab 1949 im<br />

293 Statistisches Jahrbuch deutscher Geme<strong>in</strong>den 37 (2002).<br />

294 Daten nach WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 49.<br />

295 BURCHARDT, Die Integration <strong>der</strong> Ostflüchtl<strong>in</strong>ge, <strong>in</strong>: Europa <strong>in</strong> Baden-Württemberg. 50 Jahre – E<strong>in</strong><br />

Panorama. Heft 43/44 (2001/2002), S. 14-17.


II.7 REFORMHEMMENDE UND REFORMFÖRDERNDE FAKTOREN 73<br />

Zuge dieser <strong>Entwicklung</strong> Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Heimatvertriebene nun auch <strong>in</strong> den Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

französischen Zone <strong>in</strong> größerem Umfang aufgenommen, doch hatte sich <strong>in</strong>zwischen<br />

hierzulande die wirtschaftliche Lage im Gefolge <strong>der</strong> Währungsreform bereits merklich<br />

entspannt, sodass es nicht mehr zu vergleichbaren Versorgungsengpässen wie zuvor <strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>en Zonen kam. Zudem blieben die Aufnahmequoten weiterh<strong>in</strong> deutlich h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong><br />

angloamerikanischen Zone zurück, wo bis Herbst 1946 etwa sechs Millionen Menschen<br />

Aufnahme fanden.


III Die Lage <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> Politik, Wirtschaft <strong>und</strong><br />

Gesellschaft (1945-1949)<br />

1 Jugend zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Neubeg<strong>in</strong>n<br />

Mit dem E<strong>in</strong>marsch <strong>der</strong> Franzosen am Nachmittag des 26. April 1945 endete bereits<br />

knappe zwei Wochen vor dem offiziellen Kriegsende am 8. Mai für die <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung<br />

die Zeit des Nationalsozialismus. 296 Nach e<strong>in</strong>er kurzen Zeit <strong>der</strong> militärischen Phase<br />

unter <strong>der</strong> Führung de Lattres als Oberbefehlshaber <strong>der</strong> französischen Armee normalisierte<br />

sich die Lage, seit ab Mai 1945 die zivilen französischen Bezirks- bzw. Kreiskommandanturen<br />

<strong>in</strong>stalliert wurden. In <strong>Konstanz</strong> handelte es sich um die Militärregierungen für<br />

den Stadtkreis am Webersteig sowie diejenige für den Bezirk <strong>Konstanz</strong> im „Seehotel“.<br />

1946 kam die ansässige Delegation für den Landkreis <strong>Konstanz</strong>, die mit <strong>der</strong> Stadtkreismilitärregierung<br />

zusammengefasst wurde, aus S<strong>in</strong>gen h<strong>in</strong>zu. 297 Nach Kriegsende blieb<br />

jegliche Form von <strong>Jugendarbeit</strong> zunächst untersagt; die Hitler-Jugend wurde durch die<br />

Alliierten verboten.<br />

Im Gegensatz zum politischen Bruch mit <strong>der</strong> Vergangenheit war <strong>der</strong> demokratische<br />

Neubeg<strong>in</strong>n <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Gesellschaft, auch <strong>der</strong> Jugend, e<strong>in</strong> längerer Prozess. Demzufolge<br />

kann im H<strong>in</strong>blick auf die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> analog zu an<strong>der</strong>en Gesellschaftsbereichen<br />

nicht von e<strong>in</strong>er punktuellen „St<strong>und</strong>e Null“ ausgegangen werden. Wie <strong>in</strong> vielen<br />

Gesellschaftsbereichen gab es auf diesem Gebiet Verän<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> Kont<strong>in</strong>uitäten<br />

gegenüber <strong>der</strong> Zeit vor dem Kriegsende. 298 Obwohl selbst später noch bisweilen alte<br />

Denkschemata <strong>und</strong> Verhaltensweisen aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Hitler-Jugend nachwirkten, bildete<br />

das Jahr 1945 für die <strong>Konstanz</strong>er Jugend <strong>und</strong> für die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong>e<br />

deutliche Zäsur. Dies verdeutlicht im Folgenden e<strong>in</strong> Blick auf die Situation <strong>der</strong> Jugend im<br />

Nationalsozialismus. 299<br />

296 Dazu ausführlich HANLOSER, Tag des E<strong>in</strong>marschs, <strong>in</strong>: BADISCHE HEIMAT 80 (2002), S. 528-532;<br />

SUTTER, 26. April 1945, <strong>in</strong>: DELPHIN-KREIS (Hg.), <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>n, <strong>Konstanz</strong>er Beiträge 3<br />

(1989), S. 64-68; SÜDKURIER vom 08.09.1945 (= Erstausgabe).<br />

297 Bezirksdelegierte des Landeskommissariats <strong>Konstanz</strong>: Jamet (Anfang bis Mitte Mai 1945); d'Alauzier<br />

(Mitte Mai bis November 1945); Degliame (November 1945 bis Februar 1948); Noël (Februar 1948 bis<br />

Mai 1951); Nicoulaud (1951 bis 1955). Delegierter des Landkreises <strong>Konstanz</strong> (Detachement J) Mai bis<br />

September 1945: Lesur; Delegierter des Stadtkreises <strong>Konstanz</strong> (Detachement J): Hoepffner, ab Herbst<br />

1945 unter geme<strong>in</strong>samer Verwaltung bis 1946 (Detachement H), Leitung: Dro<strong>in</strong>; Details bei KLÖCKLER,<br />

Besatzungspolitik, S. 28-36.<br />

298 ERDMENGER, Kont<strong>in</strong>uität o<strong>der</strong> Bruch?, <strong>in</strong>: SCHOTT; TRAPP (Hgg.), Seegründe, S. 372-382.<br />

299 JAHNKE, Deutsche Jugend, <strong>in</strong>: BAACKE (Hg.), Jugend, S. 82-90.


76 III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT (1945-1949)<br />

2 Jugend <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> unter dem Hakenkreuz – e<strong>in</strong>e<br />

Rückblende<br />

Die <strong>Jugendarbeit</strong> war zwischen 1933 <strong>und</strong> 1945 wie alle öffentlichen Bereiche den Interessen<br />

von Staat <strong>und</strong> Partei unterworfen <strong>und</strong> wurde daher durch nationalsozialistische Leitgedanken<br />

wie Führerpr<strong>in</strong>zip, Militarismus <strong>und</strong> Antisemitismus geprägt. 300 Die Nationalsozialisten<br />

konzentrierten sich frühzeitig auf den Jugendbereich. K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche<br />

zählten mit zu den zentralen Adressaten nationalsozialistischer Ideologie <strong>und</strong> Politik, weil<br />

sie als äußerst aufnahmebereit, formbar <strong>und</strong> lenkbar galten.<br />

Das Schulwesen wurde ebenso wie die Jugendhilfe <strong>und</strong> die außerschulische <strong>Jugendarbeit</strong><br />

den nationalsozialistischen Interessen unterworfen. Schulen, Hitler-Jugend <strong>und</strong><br />

Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) entwickelten sich sehr bald zu gr<strong>und</strong>legenden<br />

Institutionen <strong>der</strong> NS-Erziehung. Die Erziehungspolitik diente zu diesem Zeitpunkt im<br />

Wesentlichen <strong>der</strong> Absicherung von Herrschaft <strong>und</strong> Macht<strong>in</strong>teressen, <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Umbildung nach nationalsozialistischen Wertvorstellungen sowie <strong>der</strong> Vorbereitung <strong>der</strong><br />

Jugend auf den Krieg. 301 Zwischen 1933 <strong>und</strong> 1945 war die Jugend aufgr<strong>und</strong> des allumfassenden<br />

Erziehungsanspruchs <strong>der</strong> Nationalsozialisten für <strong>der</strong>en Zwecke <strong>in</strong>strumentalisiert.<br />

302 E<strong>in</strong> Höhepunkt auf dem Weg zur Erlangung <strong>der</strong> vollständigen staatlichen<br />

Kontrolle über das Erziehungswesen im Nationalsozialismus war das Gesetz <strong>der</strong> Hitler-<br />

Jugend von 1939. Die dazugehörige Durchführungsverordnung def<strong>in</strong>ierte die Aufgaben<br />

<strong>und</strong> Funktionen <strong>der</strong> nationalsozialistischen Staatserziehung folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

„Alle Jungen <strong>und</strong> Mädchen <strong>der</strong> Hitler-Jugend unterstehen e<strong>in</strong>er öffentlich-rechtlichen<br />

Erziehungsgewalt nach Maßgabe <strong>der</strong> Bestimmungen, die <strong>der</strong> Führer <strong>und</strong> Reichskanzler<br />

erlässt.“ 303<br />

2.1 Schule im Nationalsozialismus<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n des Jahres 1934 erließ das württembergische Kultusm<strong>in</strong>isterium e<strong>in</strong>e Durchführungsverordnung<br />

zur neuen Schulordnung des Berl<strong>in</strong>er Reichsm<strong>in</strong>isteriums des Innern.<br />

Dar<strong>in</strong> wurde „die Erziehung <strong>der</strong> Jugend zum Dienst am Volkstum <strong>und</strong> Staat im nationalsozialistischen<br />

Geist als oberste schulische Aufgabe, <strong>der</strong> Leiter, Lehrer, Schüler <strong>und</strong><br />

Schulangestellte verpflichtet“ 304 waren, def<strong>in</strong>iert. Das Zitat macht deutlich, wie umfassend<br />

<strong>der</strong> Zugriff <strong>der</strong> Nationalsozialisten auf das deutsche Schulwesen war. Auch im badischen<br />

<strong>Konstanz</strong> hielt die nationalsozialistische Ges<strong>in</strong>nung bald nach <strong>der</strong> „Machtergreifung“<br />

E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die Schulen. Für die r<strong>und</strong> 4.000 <strong>Konstanz</strong>er Schüler machte sich die <strong>Entwicklung</strong><br />

im schulischen Alltag auf vielfältigste Weise bemerkbar. So wurde <strong>der</strong> „Hitler-Gruß“<br />

300<br />

PEUKERT; REULECKE (Hgg.), Alltag unterm Nationalsozialismus; HERBST, Westdeutschland; DERS., Das<br />

nationalsozialistische Deutschland.<br />

301<br />

KRAFELD, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 119.<br />

302<br />

HAFENEGER, Arbeit, <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong> Erziehung.<br />

303<br />

Reichsgesetzblatt, 1936/I <strong>und</strong> 1939/Nr. 66 vom 06.04.1939.<br />

304<br />

Staatsanzeiger Württemberg Nr. 27 vom 02.02.1934.


III.2 JUGEND UND JUGENDARBEIT UNTER DEM HAKENKREUZ – EINE RÜCKBLENDE 77<br />

zur morgendlichen Begrüßung im Schulunterricht <strong>und</strong> <strong>in</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>horten<br />

<strong>der</strong> Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) Pflicht. Zudem passte man die<br />

Lehrpläne <strong>der</strong> nationalsozialistischen Ideologie an <strong>und</strong> besetzte wichtige Positionen im<br />

Schulwesen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Schulleiterstellen, durch Nationalsozialisten. 305<br />

Als unmittelbare Folge des nationalsozialistischen Kulturkampfes, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

vor allem gegen die römisch-katholische Kirche gerichtet war, wurde die Klosterschule<br />

Zoff<strong>in</strong>gen 1940 zwangsweise geschlossen, da sie als konfessionelle Schule nicht dem<br />

Gr<strong>und</strong>gedanken des staatlichen NS-Bildungssystems entsprach. Während die Mehrheit <strong>der</strong><br />

Lehrer mehr o<strong>der</strong> weniger freiwillig Mitglied <strong>in</strong> <strong>der</strong> Partei <strong>und</strong> im NS-Lehrerb<strong>und</strong> war,<br />

wurden Kommunisten, Sozialdemokraten, Juden <strong>und</strong> Angehörige von kulturellen o<strong>der</strong><br />

religiösen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten im Gefolge des „Gesetzes zur Wie<strong>der</strong>herstellung des Berufsbeamtentums“<br />

ab 1933 aus dem öffentlichen Dienst entlassen, verfolgt <strong>und</strong> teilweise <strong>in</strong>haftiert<br />

o<strong>der</strong> ermordet. Die dadurch verursachte Säuberungswelle erfasste ebenfalls den Schuldienst<br />

<strong>und</strong> die Jugendfürsorge. In <strong>Konstanz</strong> wurden beispielsweise <strong>der</strong> Direktor <strong>der</strong> Oberrealschule<br />

sowie <strong>der</strong> Jugendamtsdirektor außer Dienst gestellt. 306<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus wurden nationalpolitische Erziehungsanstalten gegründet. Sie trugen<br />

den Charakter von Eliteschulen, <strong>in</strong> denen <strong>der</strong> Nachwuchs für Wehrmacht, Partei, Staat <strong>und</strong><br />

Wirtschaft herangezogen werden sollte. Bis zum Ende des Nationalsozialismus entstanden<br />

35 solcher Schulen. Nachdem zahlreiche Heil- <strong>und</strong> Pflegeanstalten geschlossen <strong>und</strong> die<br />

Patienten entwe<strong>der</strong> getötet o<strong>der</strong> verlegt worden waren, verzeichnete man seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong><br />

1940er-Jahre e<strong>in</strong>e größere Zahl an Neugründungen. Dazu zählt die Anstalt Reichenau auf<br />

dem Festland bei <strong>Konstanz</strong>, wo zwischen 1941 <strong>und</strong> 1945 e<strong>in</strong>e nationalsozialistische Eliteschule<br />

(Napola) existierte. 307<br />

Abgesehen von e<strong>in</strong>igen wenigen privilegierten Jugendlichen verbesserten sich entgegen<br />

<strong>der</strong> nationalsozialistischen Propaganda für die Mehrzahl <strong>der</strong> Schüler die Bildungs-<br />

<strong>und</strong> Berufschancen kaum. Nach wie vor wurden die gesellschaftlichen Möglichkeiten<br />

wesentlich durch sozioökonomische <strong>und</strong> familiäre Verhältnisse vorgegeben. Selbst das<br />

Schulgeld, das K<strong>in</strong><strong>der</strong>n aus ärmeren Bevölkerungsgruppen den Zugang zu höheren <strong>und</strong><br />

gewerblichen Schulen verwehrte, wurde beibehalten. Dies hatte zur Folge, dass <strong>der</strong><br />

Besuch des Gymnasiums <strong>und</strong> <strong>der</strong> Oberrealschule vorwiegend den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>der</strong> oberen <strong>und</strong><br />

mittleren sozialen Schichten vorbehalten war. 308 Die nationalsozialistische Schulpolitik<br />

hielt an diesem Relikt aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert beharrlich fest. Die örtlichen Behörden<br />

g<strong>in</strong>gen sogar so weit, Schülern <strong>der</strong> ehemaligen Zeppel<strong>in</strong>-Oberrealschule (heute Alexan<strong>der</strong>von-Humboldt-Gymnasium),<br />

<strong>der</strong>en Eltern das Schulgeld nicht bezahlen konnten, Schulverweise<br />

zu erteilen. 309 Mit Kriegsbeg<strong>in</strong>n verschlechterte sich die Situation im Bildungswesen<br />

schlagartig. Viele Schulen wurden seither als Lazarette o<strong>der</strong> Kasernen genutzt <strong>und</strong><br />

305 TRAPP, <strong>Konstanz</strong> 1924-1933, <strong>in</strong>: BURCHARDT U. A., <strong>Konstanz</strong> im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, S. 243-248.<br />

306 TRAPP, <strong>Konstanz</strong> 1924-1933, <strong>in</strong>: BURCHARDT U. A., <strong>Konstanz</strong> im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, S. 221-347.<br />

307 Zur <strong>Geschichte</strong> dieser nationalsozialistischen Eliteschule siehe A. MOSER, Napola Reichenau.<br />

308 ZANG, Alltag, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), Alltagswelten, S. 81-99, hier S. 87.<br />

309 TRAPP, <strong>Konstanz</strong> 1924-1933, <strong>in</strong>: BURCHARDT U. A., <strong>Konstanz</strong> im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, S. 247.


78 III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT (1945-1949)<br />

die Schüler an an<strong>der</strong>e Schulen umgesiedelt. 310 Die Folgen für die Betroffenen waren<br />

Schichtunterricht <strong>und</strong> weite Schulwege. Luftschutze<strong>in</strong>sätze, Sammlungen <strong>und</strong> Dienste<br />

aller Art störten den Unterricht, <strong>der</strong> bei Kriegsende schließlich zum Erliegen kam.<br />

2.2 Außerschulische <strong>Jugendarbeit</strong><br />

Im Rahmen <strong>der</strong> außerschulischen <strong>Jugendarbeit</strong> entwickelte sich die Hitler-Jugend, die als<br />

Gesamtverband bis 1940 von Baldur von Schirach, danach von Arthur Axmann geleitet<br />

wurde, zur zentralen Institution für K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugen<strong>der</strong>ziehung. Sie glie<strong>der</strong>te sich nach<br />

Altersgruppen <strong>und</strong> Geschlecht <strong>in</strong> vier Teilorganisationen. 311 Jungen im Alter von zehn bis<br />

14 Jahren waren im Deutschen Jungvolk organisiert. Die männlichen Jugendlichen von 14<br />

bis 18 Jahren wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hitler-Jugend im engeren S<strong>in</strong>n erfasst. Im Mittelpunkt <strong>der</strong>en<br />

Arbeit standen im Gegensatz zum Jungvolk politisch-ideologische Themen sowie Leibesübungen<br />

<strong>und</strong> Schießen, was als „Wehrsport“ bezeichnet wurde. Die HJ-Mädchenverbände<br />

glie<strong>der</strong>ten sich <strong>in</strong> den Jungmädelb<strong>und</strong> <strong>der</strong> Zehn- bis 14-Jährigen <strong>und</strong> den B<strong>und</strong> Deutscher<br />

Mädel (BDM) für 14- bis 18-Jährige. Die Aufnahme neuer Mitglie<strong>der</strong> erfolgte ab 1936<br />

nach Geburtsjahrgängen jeweils am 19. April, dem Vorabend des Geburtstages Adolf<br />

Hitlers. 312 In <strong>Konstanz</strong> fand diese „Zeremonie“ am Truppenexerzier- <strong>und</strong> Übungsplatz auf<br />

dem Bettenberg statt. 313<br />

Während ihrer Aufbauphase zwischen 1926 <strong>und</strong> 1933 war die Hitler-Jugend zunächst<br />

e<strong>in</strong>e von vielen Jugendgruppierungen. Ihre Gründung erfolgte im Juli 1926 auf dem<br />

Reichsparteitag <strong>der</strong> Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) <strong>in</strong><br />

Weimar. Die <strong>Konstanz</strong>er Ortsgruppe wurde 1930 gebildet. 314 Was <strong>Konstanz</strong> anbelangt, so<br />

war die <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Weimarer Republik hauptsächlich durch die katholischen<br />

Jugendorganisationen geprägt. Die Hitler-Jugend blieb bis 1933 eher unbedeutend.<br />

315 Nach <strong>der</strong> „Machtübernahme“ wurden die freien Jugendverbände jedoch bald<br />

schon aufgelöst <strong>und</strong> <strong>in</strong> die Staatsjugendorganisation überführt. Seitdem 1933 alle Jugendorganisationen<br />

im ganzen Reich außer <strong>der</strong> Hitler-Jugend durch den Staat verboten wurden,<br />

löste sich <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> die Mehrzahl <strong>der</strong> katholischen Jugendgruppen wie beispielsweise<br />

die „Deutsche Jugendkraft“ (DJK) mehr o<strong>der</strong> weniger freiwillig auf. E<strong>in</strong> weiterer Teil <strong>der</strong><br />

Gruppierungen wurde <strong>in</strong> die Hitler-Jugend <strong>in</strong>tegriert. Dazu zählte unter an<strong>der</strong>em <strong>der</strong><br />

Jugend- <strong>und</strong> Jungmännervere<strong>in</strong> von St. Stephan. 316<br />

310<br />

BURCHARDT, <strong>Konstanz</strong> im Zweiten Weltkrieg, <strong>in</strong>: DERS. U. A., <strong>Konstanz</strong> im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, S. 348-424,<br />

hier S. 356-359; DERS., Jugend <strong>und</strong> Schule, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), Alltagswelten, S. 108-115,<br />

hier S. 111 f.<br />

311<br />

KRAFELD, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 111.<br />

312<br />

Dazu KLÖNNE, Hitler-Jugend; DERS., Was war die Hitler-Jugend?, <strong>in</strong>: BECK (Hg.), Terror <strong>und</strong> Hoffnung,<br />

S. 421-435; BOBERACH, Jugend unter Hitler.<br />

313<br />

TRAPP, <strong>Konstanz</strong> 1924-1933, <strong>in</strong>: BURCHARDT U. A., <strong>Konstanz</strong> im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, S. 298-301 (Abb.<br />

S. 299).<br />

314<br />

TRAPP, <strong>Konstanz</strong> 1924-1933, <strong>in</strong>: BURCHARDT U. A., <strong>Konstanz</strong> im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, S. 223.<br />

315<br />

GÖTZ VON OLENHAUSEN, Krise, S. 53-82, hier v. a. S. 59.<br />

316<br />

TRAPP, <strong>Konstanz</strong> 1924-1933, <strong>in</strong>: BURCHARDT U. A., <strong>Konstanz</strong> im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, S. 281 <strong>und</strong> 308.


III.2 JUGEND UND JUGENDARBEIT UNTER DEM HAKENKREUZ – EINE RÜCKBLENDE 79<br />

Da die Katholische Jugend <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>e gewichtige Größe <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Jugendbewegung<br />

darstellte, war es ke<strong>in</strong> Zufall, dass gerade Gruppen, <strong>in</strong> denen katholische<br />

Jugendliche organisiert waren, möglichst schnell <strong>und</strong> nachhaltig dem Prozess <strong>der</strong><br />

„Gleichschaltung“ unterworfen wurden. Die <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>der</strong> Kommunistischen Partei,<br />

<strong>der</strong> Sozialdemokraten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gewerkschaften wurde <strong>in</strong>dessen gänzlich untersagt. Für<br />

Jugendliche, die sich im Rahmen <strong>der</strong> außerschulischen <strong>Jugendarbeit</strong> betätigen wollten,<br />

gab es bald nach <strong>der</strong> Machtergreifung ke<strong>in</strong>e Alternative mehr zur Hitler-Jugend. Deren<br />

Monopolstellung <strong>in</strong> nahezu allen Freizeitbereichen wurde beson<strong>der</strong>s im Sportwesen<br />

deutlich. Sportstätten wie die Bodensee-Kampfbahn (1935) <strong>und</strong> das Kur- <strong>und</strong> Hallenbad<br />

(1937) wurden unter den Nationalsozialisten großzügig ausgebaut. Bestehende E<strong>in</strong>richtungen<br />

wie Schulen <strong>und</strong> Turnhallen, Sportgeräte <strong>und</strong> Plätze an<strong>der</strong>er Jugendgruppen<br />

wurden konfisziert, darunter wie <strong>der</strong> Sportplatz <strong>der</strong> „Deutschen Katholischen Jugend<br />

<strong>Konstanz</strong>“ (DKJK) im <strong>Konstanz</strong>er Lorettowald. E<strong>in</strong>en <strong>der</strong> Eckpunkte <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

bildete die Verabschiedung des HJ-Gesetzes vom 1. Dezember 1936. Mithilfe <strong>der</strong> Durchführungsverordnung<br />

zum HJ-Gesetz vom 25. März 1939 wurde die Mitgliedschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Hitler-Jugend für alle Jugendlichen verb<strong>in</strong>dlich. Gleichzeitig wurde die Jugenddienstpflicht<br />

e<strong>in</strong>geführt sowie Arbeitsdienst <strong>und</strong> Wehrpflicht h<strong>in</strong>zugefügt. Die Hitler-Jugend<br />

war seither Staatsjugend. Diese <strong>Entwicklung</strong> hatte unter an<strong>der</strong>em zur Folge, dass <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> NS-Jugendorganisation oftmals prägen<strong>der</strong> war als <strong>der</strong>jenige von Schule <strong>und</strong><br />

Elternhaus.<br />

Seit 1933 wuchsen die Mitglie<strong>der</strong>zahlen <strong>der</strong> Hitler-Jugend spürbar an. So sollen nach<br />

dem Stand von 1935 2.500 <strong>Konstanz</strong>er K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche <strong>der</strong> Hitler-Jugend angehört<br />

haben. Bezogen auf die Gesamtheit <strong>der</strong> örtlichen Jugend entsprach dies e<strong>in</strong>em Anteil<br />

von 85 bis 90 Prozent. 317 Auch wenn diese Daten mit Vorbehalt zu betrachten s<strong>in</strong>d, da sie<br />

auf Angaben damaliger HJ-Führer basieren, die unverkennbar e<strong>in</strong> Eigen<strong>in</strong>teresse daran<br />

hatten, die Zahl möglichst hoch anzusetzen, wird daraus ersichtlich, dass die Hitler-Jugend<br />

<strong>in</strong> den Anfangsjahren für viele Jugendliche attraktiv war. Dazu trug e<strong>in</strong>e Vielzahl an<br />

Angeboten wie Fahrten, Zeltlager, Lie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen, Heimabende, Paraden, Fahrten <strong>und</strong><br />

geselliges Lagerleben bei. Denn um die Jugend für sich <strong>und</strong> ihre Zwecke zu gew<strong>in</strong>nen,<br />

griff die Hitler-Jugend zum e<strong>in</strong>en bewusst auf Methoden <strong>und</strong> Ausdrucksformen <strong>der</strong><br />

bündischen Jugend zurück, wobei erstmals <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Jugendbewegung die<br />

Teilnahme an Zeltlagern <strong>und</strong> Fahrten für weibliche Jugendliche möglich wurde. 318 Zum<br />

an<strong>der</strong>en spielten vor<strong>der</strong>gründig nationalsozialistische Inhalte bei vielen Veranstaltungen <strong>in</strong><br />

den ersten Jahren lediglich e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle gegenüber Freizeitaktivitäten, o<strong>der</strong><br />

sie wurden eher latent vermittelt. 319 Diese für die allgeme<strong>in</strong>e Geschichtsschreibung gültige<br />

Feststellung wird im H<strong>in</strong>blick auf die Situation <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> durch e<strong>in</strong>en Zeitungsbericht<br />

bestätigt, <strong>der</strong> im September 1945 unter dem Titel „An die Jugend“ im SÜDKURIER<br />

erschien. Bei dem Verfasser handelte sich um den langjährigen bündischen Jugendführer<br />

317 KRAFELD, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 110.<br />

318 KINZ, Mädchenerziehung, <strong>in</strong>: BAACKE (Hg.), Jugend, S. 56-67.<br />

319 Zur Situation <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> vgl. BURCHARDT, Jugend <strong>und</strong> Schule, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.),<br />

Alltagswelten, S. 108-115, hier S. 110 <strong>und</strong> Anm. 9; allgeme<strong>in</strong> KLÖNNE, Jugendopposition, <strong>in</strong>: BECK U. A.<br />

(Hgg.), Terror <strong>und</strong> Hoffnung, S. 421-435.


80 III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT (1945-1949)<br />

Hubert Georg, <strong>der</strong> <strong>in</strong> den 1920er-Jahren <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> unter an<strong>der</strong>em Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>leiter<br />

gewesen war. Se<strong>in</strong>em Bericht zufolge wäre die Hitler-Jugend <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> „nicht zum<br />

Leben erwacht, hätte sie nicht auf dem bereits hart erkämpften F<strong>und</strong>ament <strong>der</strong> bisherigen<br />

Jugendbewegungen aufbauen können“. 320 Geme<strong>in</strong>t war vor allem die <strong>Jugendarbeit</strong>, die<br />

konfessionelle Gruppen, Wan<strong>der</strong>vogel-, Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Jugendverbände vor 1933<br />

geleistet hatten. Manche HJ-Gruppen wären, wie es weiter heißt, anfangs „von bündischen<br />

Gruppen kaum zu unterscheiden“ gewesen. Der tief greifende Wandel hätte erst e<strong>in</strong>gesetzt,<br />

„als die Partei die Hand auf alles legte“. Allerd<strong>in</strong>gs greift diese E<strong>in</strong>schätzung etwas<br />

zu kurz, wenn man e<strong>in</strong>erseits den streng hierarchisch nach Führerpr<strong>in</strong>zip strukturierten<br />

Aufbau betrachtet <strong>und</strong> an<strong>der</strong>erseits bedenkt, dass die „Gleichschaltung“ <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

von Anfang an ke<strong>in</strong>eswegs pazifistisch <strong>und</strong> unpolitisch durchgeführt wurde.<br />

2.3 Jugendfürsorge<br />

Seit 1933 wurde neben dem Bildungssektor <strong>und</strong> <strong>der</strong> außerschulischen <strong>Jugendarbeit</strong> zudem<br />

<strong>der</strong> gesamte Jugendfürsorgebereich <strong>in</strong> den NS-Staat e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en. 321 Die kommunalen<br />

Jugendämter, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weimarer Republik im Jahr 1922 auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes<br />

die zentralen staatlichen Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe dargestellt<br />

hatten, verloren 1933 ihre Aufgabenfel<strong>der</strong> <strong>und</strong> Funktionen auf den Gebieten <strong>der</strong> Jugendfürsorge<br />

<strong>und</strong> Jugendpflege. In <strong>Konstanz</strong> büßte die katholische Kirche ihren E<strong>in</strong>fluss im<br />

Bereich <strong>der</strong> Wohlfahrtspflege zugunsten <strong>der</strong> Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt<br />

(NSV) e<strong>in</strong>. 322 Dabei handelte es sich um e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> NSDAP angeschlossenen Vere<strong>in</strong>, dem<br />

alle karitativen Aufgaben, die zuvor von kirchlichen <strong>und</strong> privaten Verbänden wie Innere<br />

Mission, Caritas, Rotes Kreuz etc. wahrgenommen worden waren, übertragen wurden.<br />

Zu den traditionellen Jugendhilfebereichen kam <strong>während</strong> des Nationalsozialismus als<br />

neuartige Komponente die Erziehungsfürsorge, die vor allem auf abweichendes Verhalten<br />

von Jugendlichen ausgerichtet war, h<strong>in</strong>zu. Jugendliche, die als „erziehungsgefährdet“<br />

galten, wurden kaserniert o<strong>der</strong> <strong>in</strong> polizeilichen Jugendschutzlagern verwahrt. Beispielhaft<br />

sei auf das nie<strong>der</strong>sächsische Mor<strong>in</strong>gen h<strong>in</strong>gewiesen, wo unter <strong>der</strong> Bezeichnung „Polizeiliches<br />

Jugendschutzlager“ im Jahr 1940 e<strong>in</strong> Konzentrationslager für männliche Jugendliche<br />

im Alter von zwölf bis 22 Jahren e<strong>in</strong>gerichtet wurde. Sozial, „rassisch“, religiös o<strong>der</strong><br />

politisch verfolgte junge Menschen waren hier unter SS-Terror, Zwangsarbeit, Hunger<br />

<strong>und</strong> drakonischen „Erziehungsmethoden“ extrem lebensfe<strong>in</strong>dlichen Bed<strong>in</strong>gungen ausgesetzt.<br />

Viele starben aufgr<strong>und</strong> dieser Lebensumstände, an<strong>der</strong>e wurden auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage<br />

von sogenannten „erb- <strong>und</strong> krim<strong>in</strong>albiologischen Gutachten“ zwangssterilisiert o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>e Konzentrationslager deportiert. 323<br />

320<br />

Dieses <strong>und</strong> die nachfolgenden Zitate entstammen dem SÜDKURIER vom 21.09.1945.<br />

321<br />

JORDAN; SENGLING, Jugendhilfe, S. 48-56.<br />

322<br />

TRAPP, <strong>Konstanz</strong> 1924-1933, <strong>in</strong>: BURCHARDT U. A., <strong>Konstanz</strong> im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, S. 311.<br />

323<br />

Zur Gründung, <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> zu den Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> dort <strong>in</strong>haftierten Jugendlichen siehe<br />

NEUGEBAUER, Jugendschutzlager Mor<strong>in</strong>gen, S. 17-38; weitere Informationen <strong>und</strong> Literaturangaben unter<br />

http://www.gedenkstaette-mor<strong>in</strong>gen.de [Stand 01.02.2007].


III.3 DIE SITUATION JUGENDLICHER IN DER UNMITTELBAREN NACHKRIEGSZEIT 81<br />

2.4 Jugendopposition<br />

Ausdrucksformen städtischer Jugendopposition o<strong>der</strong> unangepasstes Jugendverhalten etwa<br />

nach dem Muster <strong>der</strong> „Sw<strong>in</strong>g-Jugend“ <strong>in</strong> den Großstädten Hamburg <strong>und</strong> Berl<strong>in</strong> o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

„Navajos“ <strong>und</strong> „Edelweißpiraten“ <strong>in</strong> Köln o<strong>der</strong> im Ruhrgebiet 324 , die sich durch e<strong>in</strong>e<br />

eigene Mode, e<strong>in</strong>en eigenen Lebensstil <strong>und</strong> durch ihre Orientierung an angloamerikanischen<br />

Vorbil<strong>der</strong>n bewusst als Gegenkultur zum uniformierten Alltag <strong>der</strong> Hitler-Jugend<br />

verstanden, konnten bislang für <strong>Konstanz</strong> nicht nachgewiesen worden. 325 Nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e<br />

Gruppe junger <strong>Konstanz</strong>er, die schon 1934 gewaltsam zerschlagen wurde, leistete nachweislich<br />

offen Wi<strong>der</strong>stand gegen den NS-Staat. Beispielsweise riefen diese Jugendlichen,<br />

die <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Altersgenossen aus an<strong>der</strong>en Bodenseeorten agierten <strong>und</strong> Kontakte<br />

zu schweizerischen Wi<strong>der</strong>standsgruppen unterhielten, mittels Flugblatt-Aktionen zum<br />

Boykott von NS-Großveranstaltungen auf. 326<br />

Offen Protest zu zeigen, war äußerst gefährlich. Alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> Verstoß gegen die Jugenddienstpflicht<br />

zog Diszipl<strong>in</strong>ierungsmaßnahmen nach sich. 327 Öfter jedoch kam es vor, dass<br />

sich Jugendliche stillschweigend gegenüber dem NS-Staat verweigerten, vor allem nachdem<br />

<strong>der</strong> HJ-Dienst immer mehr militärischen Charakter annahm <strong>und</strong> <strong>während</strong> des Zweiten<br />

Weltkriegs e<strong>in</strong>e ganze Reihe zusätzlicher Aktionen wie Luftschutzdienst, Brandwachen<br />

o<strong>der</strong> Sammlungen für das W<strong>in</strong>terhilfswerk (WHW) h<strong>in</strong>zukamen.<br />

3 Die Situation Jugendlicher <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit<br />

Die Ereignisse im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Besetzung <strong>der</strong> Stadt <strong>und</strong> den frühen Besatzungsjahren<br />

bis 1949 wurden <strong>in</strong> mehreren lokalhistorischen <strong>und</strong> wissenschaftlichen Darstellungen<br />

facettenreich beleuchtet. Die dort erarbeiteten Ergebnisse sollen im Rahmen<br />

dieser Arbeit nicht ausführlich wie<strong>der</strong>gegeben werden. Allerd<strong>in</strong>gs lässt sich die <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> nicht angemessen <strong>in</strong>terpretieren, ohne auf die äußeren<br />

Umstände <strong>und</strong> Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugend e<strong>in</strong>zugehen. Daher werden im<br />

Folgenden zentrale Ereignisse <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong>sl<strong>in</strong>ien benannt, welche die Lage <strong>der</strong><br />

Jugend <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit prägten.<br />

324<br />

Zur <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> Ausdrucksformen vgl. PEUKERT, Edelweißpiraten, S. 143-230; THOLE, Tue es, aber<br />

sprich mit niemandem darüber, <strong>in</strong>: BREYVOGEL, Land <strong>der</strong> Hoffnung, Land <strong>der</strong> Krise, S. 128-139; von<br />

HELLFELD, Edelweißpiraten <strong>in</strong> Köln; KENKMANN, Wilde Jugend.<br />

325<br />

Weitere Beispiele für jugendliches Protestverhalten <strong>in</strong> <strong>der</strong> NS-Zeit bei KLÖNNE, Jugendopposition, <strong>in</strong>:<br />

BECK U. A. (Hgg.), Terror <strong>und</strong> Hoffnung, S. 435-449.<br />

326<br />

MAYER, Wi<strong>der</strong>stand, <strong>in</strong>: KONSTANZER ALMANACH 35 (1989), S. 67-72; LEIB; STÄDELE, Zivilcourage, <strong>in</strong>:<br />

DELPHIN-KREIS (Hg.), R<strong>und</strong> um <strong>Konstanz</strong>, <strong>Konstanz</strong>er Beiträge 5 (1997), S. 126-132; GRIESSINGER,<br />

Georg Elser. Zum Thema Wi<strong>der</strong>stand im Raum Hegau-Bodensee siehe BOSCH, Als die Freiheit<br />

unterg<strong>in</strong>g; WEICK, Wi<strong>der</strong>stand <strong>und</strong> Verfolgung; speziell zu S<strong>in</strong>gen/Htw.: BIBBY, Max Maddalena, <strong>in</strong>:<br />

HEGAU 63 (2006), S. 121-132.<br />

327<br />

FITZ, Der militärische Aspekt, <strong>in</strong>: INTERNATIONALER ARBEITSKREIS BODENSEEAUSSTELLUNGEN (Hg.),<br />

Endlich Friede!, S. 1-13.


82 III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT (1945-1949)<br />

3.1 Demokratischer <strong>und</strong> politischer Neubeg<strong>in</strong>n<br />

Der Wie<strong>der</strong>beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> fällt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en historischen Zeitabschnitt, <strong>in</strong> dem das<br />

politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche <strong>und</strong> kulturelle Leben <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen<br />

Zone nach dem Ende des Nationalsozialismus unter <strong>der</strong> Kontrolle <strong>der</strong> Militärregierung<br />

neu entstand. Die Tatsache, dass <strong>Konstanz</strong> vor Kriegsschäden <strong>und</strong> satzungsbed<strong>in</strong>gten<br />

Zerstörungen verschont blieb, erleichterte den Wie<strong>der</strong>aufbau entscheidend. An<strong>der</strong>s als <strong>in</strong><br />

vielen an<strong>der</strong>en Städten vergleichbarer Größenordnung waren ke<strong>in</strong>e Trümmer zu beseitigen.<br />

Zudem war die gesamte ges<strong>und</strong>heitsrelevante Infrastruktur, wozu etwa die Tr<strong>in</strong>kwasserversorgung<br />

o<strong>der</strong> die Kanalisation gehörten, <strong>in</strong>takt geblieben. Diese Faktoren<br />

verschafften <strong>der</strong> Stadt e<strong>in</strong>en Vorsprung gegenüber solchen Regionen, die <strong>in</strong> Schutt <strong>und</strong><br />

Asche lagen, <strong>und</strong> begünstigten nicht zuletzt den kulturellen Neuanfang <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. Da es<br />

oberhalb <strong>der</strong> kommunalen Ebene zunächst ke<strong>in</strong>e deutsche Staatsgewalt gab, fiel den Landkreisen<br />

<strong>und</strong> kreisfreien Städten e<strong>in</strong>e zentrale Rolle beim Wie<strong>der</strong>aufbau zu. 328 Während <strong>der</strong><br />

unmittelbaren Nachkriegszeit trugen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Kommunalverwaltungen nachhaltig<br />

zum demokratischen Wie<strong>der</strong>aufbau bei. 329 Der politische Neubeg<strong>in</strong>n auf demokratischer<br />

Gr<strong>und</strong>lage setzte <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> wie <strong>in</strong>sgesamt <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone im Herbst 1945<br />

e<strong>in</strong>. 330 Zur Jahreswende 1945/46 wurde die Wie<strong>der</strong>gründung politischer Parteien möglich.<br />

E<strong>in</strong> Jahr nach Kriegsende wurde die souveräne politische Arbeit auf kommunaler Ebene<br />

wie<strong>der</strong> zugelassen. Bei den ersten freien <strong>und</strong> demokratischen Nachkriegswahlen, die im<br />

September 1946 zunächst auf Geme<strong>in</strong>deebene, im folgenden Monat schließlich auf Kreisebene<br />

stattfanden, lag <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> wie fast <strong>in</strong> allen südbadischen Geme<strong>in</strong>den die Badische<br />

Christlich-Soziale Volkspartei (BCSV), die spätere CDU, vor den Sozialdemokraten, <strong>der</strong><br />

Demokratischen Partei (DP, heute FDP), <strong>und</strong> den Kommunisten. 331<br />

Die Zeit nach den ersten freien Wahlen, das heißt von 1946 bis 1957, ist <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

als „Ära Knapp“ <strong>in</strong> die Lokalgeschichtsschreibung e<strong>in</strong>gegangen. 332 Dieser Term<strong>in</strong>us<br />

markiert die außerordentliche Kont<strong>in</strong>uität, die für die Leitung <strong>der</strong> städtischen Verwaltung<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit charakteristisch war. Bis weit <strong>in</strong> die 1950er Jahre prägte<br />

Franz Knapp, <strong>der</strong> am 15. September 1946 die ersten demokratischen Nachkriegswahlen<br />

auf kommunaler Ebene gewann <strong>und</strong> schon <strong>in</strong> Weimarer Zeit Bürgermeister <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

gewesen war, die politischen Geschicke vor Ort. 333 Politisch war Knapp als Mitglied <strong>der</strong><br />

BCSV/CDU, die zugleich die Mehrheit im Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at stellte, <strong>der</strong> christlich-demokratischen<br />

Politik verpflichtet. 334 Die wichtigste Aufgabe <strong>der</strong> Stadtverwaltung <strong>in</strong> früher<br />

Nachkriegszeit war die Ernährung <strong>der</strong> Bevölkerung. 335<br />

328 SPEIDEL, Landkreise, <strong>in</strong>: GÖGLER U. A. (Hgg.), Württemberg-Hohenzollern, S. 47-80.<br />

329 Zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> kommunalen Selbstverwaltung im deutschen Südwesten sowie zu den Aufgaben <strong>der</strong><br />

Geme<strong>in</strong>den vgl. PFIZER; WEHLING (Hgg.), Kommunalpolitik, S. 9-39.<br />

330 SAUER, Demokratischer Neubeg<strong>in</strong>n, S. 97-131.<br />

331 KLÖCKLER, <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> Wachstum, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), Alltagswelten, S. 40-48.<br />

332 Begriff nach BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 144.<br />

333 Franz Knapp: 1881-1973; Bürgermeister von 1927-1933, städtischer Rechtsrat von 1933-1945,<br />

Bürgermeister 1945/46, Oberbürgermeister 1946-1957; Daten nach KLÖCKLER, Vom Kaiserreich zur<br />

B<strong>und</strong>esrepublik, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), Alltagswelten, S. 29-39, hier S. 38.<br />

334 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 242.<br />

335 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 77.


III.3 DIE SITUATION JUGENDLICHER IN DER UNMITTELBAREN NACHKRIEGSZEIT 83<br />

3.2 Wirtschaftlicher Wie<strong>der</strong>aufbau<br />

Allgeme<strong>in</strong> war die Bodenseeregion vergleichsweise ger<strong>in</strong>g von Kriegszerstörungen<br />

betroffen. Im gesamten Landkreis <strong>Konstanz</strong> lag <strong>der</strong> Zerstörungsgrad an Wohnraum bei<br />

etwas über zwei Prozent, wovon <strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong> Zerstörungen auf die Stadt S<strong>in</strong>gen fiel.<br />

<strong>Konstanz</strong> blieb <strong>in</strong>dessen aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Nähe zur Schweiz gänzlich von Bombenangriffen<br />

verschont; ebenso blieben den <strong>Konstanz</strong>ern Flucht <strong>und</strong> Vertreibung erspart. Die Besetzung<br />

<strong>der</strong> Stadt durch die französische Armee im April 1945 verlief aufgr<strong>und</strong> des guten Verlaufs<br />

<strong>der</strong> Verhandlungen, die Oberbürgermeister Mager, französische Offiziere sowie <strong>der</strong><br />

schweizerische Statthalter Otto Raggenbass mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> führten, nahezu unblutig. 336 Die<br />

Bevölkerung war beim E<strong>in</strong>marsch weitestgehend entmilitarisiert, Volkssturm <strong>und</strong><br />

„Wehrwolfverbände“ aufgelöst. Das viele Militär, das sich vor Kriegsende – bed<strong>in</strong>gt<br />

durch die Garnison <strong>und</strong> den Rückzug deutscher Truppenverbände – <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt aufgehalten<br />

hatte, war wenige Tage vor <strong>der</strong> Besetzung abgerückt. Der s<strong>in</strong>nlose Versuch jugendlicher<br />

Studenten <strong>der</strong> Ingenieurschule, sich bei Allensbach zusammen mit SS-Leuten den<br />

heranrückenden französischen Truppen entgegenzustellen, blieb e<strong>in</strong>e Episode.<br />

Selbstverständlich war die Lage für die Bevölkerung dennoch <strong>in</strong> vieler H<strong>in</strong>sicht<br />

gefährlich, <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>eswegs soll hier die Situation <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Betroffenen bagatellisiert<br />

werden. Ab 1944 erreichte <strong>der</strong> Bombenkrieg die Bodenseeregion. 337 Die Hauptangriffsziele<br />

<strong>der</strong> Alliierten waren die nie<strong>der</strong>gelassenen Abteilungen deutscher Rüstungsbetriebe,<br />

die ihre Produktion aus den bombengefährdeten Regionen ausgelagert hatten 338 sowie die<br />

Industriestandorte S<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Friedrichshafen als Zentrum <strong>der</strong> Rüstungs<strong>in</strong>dustrie <strong>und</strong> des<br />

Flugzeugbaus.<br />

Die wirtschaftliche Not <strong>der</strong> Bevölkerung war zunächst groß. In den ersten Monaten<br />

<strong>der</strong> Besatzung fehlte es den Familien an allem, was zum Leben notwendig war, vor allem<br />

Nahrung, Kleidung, Schuhe, Gebrauchsgegenstände aller Art <strong>und</strong> Heizmaterial. So waren<br />

die schlechte Ernährungslage <strong>und</strong> <strong>der</strong> Mangel an Wohnraum <strong>in</strong> den ersten beiden Nachkriegsjahren<br />

die beiden beherrschenden Themen. Zum e<strong>in</strong>en wirkten nationalsozialistische<br />

Planungsmängel im öffentlichen Wohnungsbau <strong>und</strong> kriegswirtschaftliche Bestimmungen<br />

nach. Zum an<strong>der</strong>en brachte die Besatzungssituation Reparationen, Industrie-Demontagen<br />

<strong>und</strong> die Verpflichtung zur Versorgung <strong>der</strong> hier stationierten französischen Soldaten mit<br />

sich. Mitte 1945 waren 400 Wohnungen <strong>und</strong> damit nahezu e<strong>in</strong> Viertel <strong>der</strong> r<strong>und</strong> 72.000 qm<br />

umfassenden Gesamtwohnfläche durch das Militär beschlagnahmt. 339<br />

336 RAGGENBASS, Trotz Stacheldraht, S. 201-208.<br />

337 Beispiele bei BOSCH, Neubeg<strong>in</strong>n, S. 55; SRÄGA, S<strong>in</strong>gen 1945, <strong>in</strong>: SCHOTT; TRAPP (Hgg.), <strong>Konstanz</strong>,<br />

S. 382-393; zum Schicksal e<strong>in</strong>zelner Familien im Hegau vgl. WAIBEL, Der Krieg hat e<strong>in</strong> Gesicht, <strong>in</strong>:<br />

HEGAU 63 (2006), S. 213-235.<br />

338 Dazu zählen <strong>der</strong> Radargerätehersteller Funkstrahl, die Firma Schwarzwald Flugzeugbau, <strong>der</strong> Messgerätehersteller<br />

Askania, Berl<strong>in</strong>, <strong>und</strong> die Firma Dornier aus Friedrichshafen.<br />

339 KLÖCKLER, <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> Wachstum, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), Alltagswelten, S. 40-48, hier<br />

S. 47.


84 III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT (1945-1949)<br />

Die Ernährungslage war ebenfalls prekär. Lebensmittelkarten, die an alle <strong>Konstanz</strong>er<br />

Haushalte ausgegeben wurden, regelten den Bezug von Brot, Fleisch, Fett, Zucker, Marmelade,<br />

Milch, Kartoffeln <strong>und</strong> Eiern, den Bezug von Obst, Gemüse, Fischen, Streichhölzern,<br />

die Holz- <strong>und</strong> Kohleversorgung o<strong>der</strong> die Teilhabe an Spenden aus <strong>der</strong> Schweiz. 340<br />

Ab Mai 1945 mussten die ausgegebenen Lebensmittel auf Verlangen <strong>der</strong> Militärregierung<br />

<strong>in</strong> Kalorien umgerechnet werden. Pro Kopf teilten die Franzosen <strong>der</strong> Zonenbevölkerung<br />

zeitweise lediglich 900 Kalorien zu, die Hälfte <strong>der</strong> zum Existenzm<strong>in</strong>imum nötigen Ration.<br />

Damit lag die Kalorienzuteilung pro E<strong>in</strong>wohner im französischen Zonengebiet an letzter<br />

Stelle h<strong>in</strong>ter allen an<strong>der</strong>en Zonengebieten, die ebenfalls ke<strong>in</strong>eswegs hoch angesiedelt<br />

waren. 341 In <strong>der</strong> amerikanischen Zone betrug die Kalorienzuteilung pro E<strong>in</strong>wohner 1.300,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> sowjetischen Zone waren es 1.083 <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> britischen 1.050 Kalorien. 342 Die<br />

Tagesration von ca. 1.000 bis 1.200 Kilokalorien für e<strong>in</strong>e erwachsene Person im britischen<br />

Besatzungsgebiet entsprach etwa vier Scheiben Brot, drei Kartoffeln, etwas Marmelade<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>em Glas Milch.<br />

In <strong>Konstanz</strong> wurde die Zuteilungsrate im Jahr 1947 zeitweise sogar unterschritten. Die<br />

Lebensmittelkarten wurden jeweils für Zuteilungsperioden von vier Wochen ausgestellt.<br />

Die ger<strong>in</strong>gste Ration wurde im Januar 1947 mit 824 Kalorien pro Person <strong>und</strong> Tag ausgegeben.<br />

Für das Jahr 1946 wurden 1.113 Kalorien pro Person errechnet. Im Dezember 1948<br />

erreichte sie mit 2.232 Kalorien 343 den höchsten Wert. E<strong>in</strong> weiteres Indiz für die Mangelversorgung<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung war die Zahl <strong>der</strong> Empfänger von Krankenzulagekarten, die<br />

mit 2.767 im April 1948 den Höchststand erreichte, was e<strong>in</strong>em Anteil von fast sieben<br />

Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung entsprach. 344 Freilich darf nicht außer Acht gelassen werden,<br />

dass die Bevölkerung im Mutterland Frankreich ebenfalls Not litt. Zur Ernährungskrise <strong>in</strong><br />

Baden <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit trug die Situation bei, „dass sich hier die Besatzungsmacht<br />

im Gegensatz zu Amerikanern <strong>und</strong> Briten aus <strong>der</strong> eigenen Zone ernährte <strong>und</strong><br />

Lebensmittel – vor allem Fleisch, Butter, Käse, Eier – nach Frankreich, das selbst<br />

hungerte, ausführte“. 345<br />

Des Weiteren führte die umfassende überregionale Ernährungskrise <strong>der</strong> Jahre 1946/47<br />

zu erheblichen Versorgungsengpässen bei Nahrungsmitteln <strong>und</strong> Heizmaterial. Ursachen<br />

waren Extremwetterlagen <strong>und</strong> dadurch bed<strong>in</strong>gte schlechte Ernten, Importabhängigkeit <strong>der</strong><br />

französischen Zone von Versorgungsgütern, Zonenabgrenzung sowie die soeben erwähnte<br />

Eigenversorgung <strong>der</strong> Franzosen aus Beständen <strong>der</strong> französischen Zone. Die Versorgungslage<br />

wurde zusätzlich erschwert, nachdem <strong>Konstanz</strong> seit Herbst 1944 im Gefolge des sich<br />

verschärfenden Bombenkriegs von e<strong>in</strong>em starken Zuzug von Evakuierten aus den<br />

Grenzgebieten des Reichs betroffen war. Der Bevölkerungshöchststand wurde im Mai<br />

340<br />

Die Angaben entstammen dem SÜDKURIER vom 20.06.1958.<br />

341<br />

Dazu u. a. STINGL, Der Kartoffelkrieg, <strong>in</strong>: ZGORh 149 (2001), S. 471-493.<br />

342<br />

FÄSSLER, Versorgungskrise, <strong>in</strong>: WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 213.<br />

343<br />

Daten nach BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, Tabelle S. 176.<br />

344<br />

„Damals vor zehn Jahren“, Retrospektive auf die unmittelbare Nachkriegszeit <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>; SÜDKURIER<br />

vom 20.06.1958.<br />

345<br />

FÄSSLER, Versorgungskrise, <strong>in</strong>: WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 215.


III.3 DIE SITUATION JUGENDLICHER IN DER UNMITTELBAREN NACHKRIEGSZEIT 85<br />

1945 erreicht. Zu diesem Zeitpunkt zählte <strong>Konstanz</strong> 45.726 E<strong>in</strong>wohner 346 , über 9.000<br />

mehr als 1939.<br />

Zur Krise <strong>der</strong> örtlichen Industrie <strong>und</strong> Wirtschaft trug e<strong>in</strong>e Vielzahl an Ursachen bei:<br />

die Umstellung von Kriegs- auf Friedensproduktion, fehlende überregionale Absatzmärkte<br />

<strong>in</strong>folge <strong>der</strong> Unterbrechung des Transportsystems, die Ganz- o<strong>der</strong> Teildemontage von<br />

Großbetrieben wie Funkstrahl, Häusler, Schwarzwald-Flugzeugbau, den Rieter-Werken<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Nie<strong>der</strong>lassung von Degussa, <strong>der</strong> Mangel an Strom, Kohle <strong>und</strong> Rohstoffen,<br />

die schlechte Ernährungslage <strong>der</strong> Mitarbeiter, die Grenzschließung h<strong>in</strong> zur<br />

Schweiz <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene Abschnürung vom dortigen Markt sowie fehlende<br />

Absatzmöglichkeiten im deutschen H<strong>in</strong>terland. Viele <strong>der</strong> genannten Probleme waren nicht<br />

neu. Schon <strong>während</strong> des Nationalsozialismus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kriegszeiten war beispielsweise die<br />

Grenze zur Schweiz geschlossen worden. Dieser Fakt wurde <strong>in</strong> den Zeiten wirtschaftlicher<br />

Not nach 1945 als beson<strong>der</strong>s „schmerzhaft <strong>und</strong> nachteilig“ 347 empf<strong>und</strong>en, wie Franz<br />

Knapp <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Jahresrückblick vom 30. Dezember 1946 bemerkte. Nach anfänglichen<br />

Schwierigkeiten g<strong>in</strong>gen die Umstellungen auf den Friedensbedarf immerh<strong>in</strong> „leichter<br />

vonstatten, als es geahnt“ 348 worden war. Im Regierungsbezirk <strong>Konstanz</strong> lief die Industrieproduktion<br />

an e<strong>in</strong>igen Standorten gut an, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> den Bereichen <strong>der</strong> Erzeugung<br />

landwirtschaftlicher Masch<strong>in</strong>en im Hegau, <strong>der</strong> Uhren<strong>in</strong>dustrie im östlichen Schwarzwald<br />

sowie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alum<strong>in</strong>iumverarbeitung <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen.<br />

Ab Herbst 1946 profitierte die <strong>Konstanz</strong>er Wirtschaft von <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Um<br />

1947/48 setzte parallel zur überregionalen <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> wirtschaftliche Aufschwung <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>. Unterschiedliche Wirtschaftsmaßnahmen för<strong>der</strong>ten den Prozess <strong>und</strong> brachten<br />

das „deutsche Wirtschaftsw<strong>und</strong>er“ <strong>der</strong> 1950er-Jahre auf den Weg. Dazu trugen vor<br />

allem zwei zentrale überregionale ökonomische Maßnahmen, die sich auf die allgeme<strong>in</strong>e<br />

Wirtschaftslage im Land positiv auswirkten, bei. E<strong>in</strong> Motor dieser <strong>Entwicklung</strong> war zum<br />

e<strong>in</strong>en das amerikanische Wie<strong>der</strong>aufbauprogramm European Recovery Program (ERP) –<br />

<strong>der</strong> sogenannte Marshall-Plan –, <strong>der</strong> ab 1947 deutschen Betrieben günstige F<strong>in</strong>anzhilfen<br />

ermöglichte. 349 Zum an<strong>der</strong>en ist die Währungsreform von 1948, die unter an<strong>der</strong>em den<br />

Schwarzmarkthandel beendete, hervorzuheben. Das wirtschaftliche Wachstum erwuchs<br />

darüber h<strong>in</strong>aus aus dem als Folge <strong>der</strong> Demontagen seitens <strong>der</strong> Franzosen resultierenden<br />

Zwang <strong>der</strong> Industrie, neue Masch<strong>in</strong>en anschaffen zu müssen. Der wichtigste Arbeitgeber<br />

vor Ort war <strong>der</strong> Textilhersteller Stromeyer, gefolgt von den Rieter-Werken, die<br />

Ziegeleibedarf herstellten. Günstige wirtschaftliche Impulse brachte nach Kriegsende<br />

zudem die Wie<strong>der</strong>belebung <strong>der</strong> fe<strong>in</strong>mechanischen Industrie im <strong>Konstanz</strong>er Werk <strong>der</strong><br />

P<strong>in</strong>tsch-KG, e<strong>in</strong>er Filiale <strong>der</strong> Funkstrahl mit Sitz <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, die seit 1942 <strong>in</strong> Petershausen<br />

ansässig war.<br />

E<strong>in</strong>e Ausnahme <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>in</strong>sgesamt positiven <strong>Entwicklung</strong> des örtlichen Wirtschaftsgefüges<br />

bildete zunächst <strong>der</strong> Fremdenverkehr. Erst als <strong>in</strong> den 1950er-Jahren die<br />

346<br />

HAMANN, Flüchtl<strong>in</strong>ge, <strong>in</strong>: KONSTANZER ALMANACH 38 (1992), S. 69-72.<br />

347<br />

SÜDKURIER vom 30.12.1946.<br />

348<br />

SÜDKURIER vom 23.10.1945.<br />

349<br />

E<strong>in</strong>zelheiten bei BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 226.


86 III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT (1945-1949)<br />

Reisebeschränkungen aufgehoben, Hotels bzw. private Fremdenzimmer wie<strong>der</strong> freigegeben<br />

waren <strong>und</strong> die Menschen wie<strong>der</strong> Zeit <strong>und</strong> Geld zum Reisen hatten, erlebte dieser<br />

Wirtschaftszweig ebenfalls wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong>en Boom. 350<br />

3.3 Wahrnehmung <strong>der</strong> Besatzungsphase durch die Bevölkerung<br />

Die <strong>Konstanz</strong>er E<strong>in</strong>wohnerschaft bekam die Auswirkungen <strong>der</strong> französischen<br />

Deutschlandpolitik, die anfangs durch die von de Gaulle erhobene Sicherheits- <strong>und</strong><br />

Wirtschaftsdoktr<strong>in</strong> gekennzeichnet war, hauptsächlich <strong>in</strong> Form von Kontrollen im Bereich<br />

des öffentlichen Lebens <strong>und</strong> durch die wirtschaftliche Not zu spüren. 351 Die Franzosen<br />

schlossen die Grenze zur Schweiz, sperrten den See, verhängten Ausgangssperren, legten<br />

die Post <strong>und</strong> den öffentlichen Verkehr still <strong>und</strong> verboten den Fahrradverkehr; Presse,<br />

R<strong>und</strong>funk, öffentliche Versammlungen, Vergnügungen <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>szusammenschlüsse<br />

wurden untersagt <strong>und</strong> die Bevölkerung stattdessen mittels Lautsprecher <strong>und</strong> Plakaten<br />

<strong>in</strong>formiert 352 ; das Militär konfiszierte Waffen, Kameras, Ferngläser, Fahrrä<strong>der</strong>, Landkarten<br />

<strong>und</strong> Radioapparate.<br />

Die Beispiele zeigen, dass vor allem die ungünstigen materiellen Verhältnisse den<br />

Menschen <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung geblieben s<strong>in</strong>d, wenn sie an die Besatzungsjahre denken. Die<br />

Ernährungskrise <strong>und</strong> die Wohnungsnot prägten nachhaltig den E<strong>in</strong>druck, den die Bevölkerung<br />

von <strong>der</strong> Besatzungszeit hatte. 353 Zeitgenossen, die <strong>während</strong> ihrer Jugend das Kriegsende<br />

<strong>und</strong> die ersten Besatzungsjahre im Bodenseegebiet erlebten, nennen auf die Frage,<br />

welche Ereignisse den nachhaltigsten E<strong>in</strong>druck <strong>in</strong> ihrer Er<strong>in</strong>nerung h<strong>in</strong>terlassen haben,<br />

meist die wirtschaftliche Not <strong>und</strong> ihre Folgen o<strong>der</strong> die strikte Kontrolle aller Lebensbereiche<br />

durch die Franzosen. Beide Aspekte kommen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerungen an<br />

die verbotenen „Hamsterfahrten“ bzw. <strong>der</strong>en städtische Variante, den „Schwarzmarkthandel“,<br />

zum Ausdruck. 354<br />

Diese Formen <strong>der</strong> Lebensmittel- <strong>und</strong> Gebrauchsgüterbeschaffung bildeten bis zur<br />

Währungsreform zentrale Strategien <strong>der</strong> Bevölkerung, um die Not zu l<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Sie waren<br />

zwar durch die Besatzungsmächte verboten, aber gesellschaftlich toleriert. Fahrten <strong>in</strong>s<br />

Umland von <strong>Konstanz</strong> zum Zwecke <strong>der</strong> Beschaffung von Lebensmitteln <strong>und</strong> Waren aller<br />

Art bei den Landwirten <strong>der</strong> Region wurden se<strong>in</strong>erzeit zu Fuß, per Schiff o<strong>der</strong> Zug<br />

beson<strong>der</strong>s von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen im Auftrag ihrer Familien erledigt, weil man<br />

350<br />

Zur Lokalentwicklung: OCHABA, Fremdenverkehr; die regionalen Verläufe schil<strong>der</strong>t TRAPP, Seh-<br />

Zeichen.<br />

351<br />

Im E<strong>in</strong>zelnen BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 64-112.<br />

352<br />

FERBER, Presse, <strong>in</strong>: VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpolitik, S. 71-106.<br />

353<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 37; KLÖCKLER, Besatzungspolitik, S.<br />

24; A. MOSER, <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> Frankreich, <strong>in</strong>: HEGAU 59 (2002), S. 241-260.<br />

354<br />

Vgl. dazu etwa die Zeitzeugenberichte <strong>der</strong> jüngeren Regionalgeschichtsforschung, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

SCHÄFER, Petershauser K<strong>in</strong><strong>der</strong>tage, <strong>in</strong>: DELPHIN-KREIS (Hg.), R<strong>und</strong> um <strong>Konstanz</strong>, <strong>Konstanz</strong>er Beiträge 5<br />

(1997), S. 1-133; HOLZMANN, Nationalsozialismus <strong>und</strong> demokratischer Neubeg<strong>in</strong>n, <strong>in</strong>: SCHULZ U. A.<br />

(Hgg.), Immenstaad, S. 177-203.


III.3 DIE SITUATION JUGENDLICHER IN DER UNMITTELBAREN NACHKRIEGSZEIT 87<br />

hoffte, dass so im Fall e<strong>in</strong>er Entdeckung durch die französischen Militärangestellten die<br />

Strafe vergleichsweise ger<strong>in</strong>g ausfallen werde.<br />

Obwohl Frankreich, an<strong>der</strong>s als die Luftmächte USA <strong>und</strong> Großbritannien, nicht an <strong>der</strong><br />

Zerstörung deutscher Städte durch Flächenbombardements, bei denen zwischen 1940 <strong>und</strong><br />

1945 schätzungsweise e<strong>in</strong>e halbe Million Zivilisten ums Leben kam, beteiligt war <strong>und</strong> das<br />

französische Militär trotz e<strong>in</strong>zelner gewalttätiger Übergriffe im deutschen Südwesten nicht<br />

annähernd so viel Angst verbreitete wie etwa die „Rote Armee“ unter den Flüchtl<strong>in</strong>gen<br />

<strong>und</strong> Heimatvertriebenen im Osten Deutschlands, war das Verhältnis zwischen <strong>der</strong> südbadischen<br />

Bevölkerung <strong>und</strong> den Besatzern zeitweise äußerst problematisch. Frankreich<br />

zählte e<strong>in</strong>er Umfrage des Allensbacher Instituts zufolge zur unbeliebtesten Besatzungsmacht<br />

nach <strong>der</strong> Sowjetunion. 355 Günstiger fiel h<strong>in</strong>gegen die Bewertung <strong>der</strong> britischen,<br />

beson<strong>der</strong>s aber <strong>der</strong> amerikanischen Besatzung aus. 356<br />

Zum negativen Image, das die Franzosen zu jener Zeit <strong>in</strong> Deutschland hatten, trugen<br />

e<strong>in</strong>erseits <strong>der</strong> Besatzungsstil des Oberbefehlshabers <strong>der</strong> 1. Französischen Armee, Jean de<br />

Lattre de Tassigny bei, an<strong>der</strong>erseits die gewaltsamen Übergriffe, Willkürakte <strong>und</strong><br />

Plün<strong>der</strong>ungen französischer Militärs, die sich vor allem <strong>während</strong> <strong>und</strong> unmittelbar nach<br />

dem E<strong>in</strong>marsch häuften. 357 Denn nicht <strong>in</strong> allen Geme<strong>in</strong>den Süddeutschlands verlief die<br />

Besatzung durch die Franzosen friedlich. Auch am See hatte die Bevölkerung von<br />

Gewalttätigkeiten durch das französische Militär <strong>während</strong> des E<strong>in</strong>marsches gehört <strong>und</strong><br />

wusste von <strong>der</strong> Zerstörung Freudenstadts 358 sowie den erbitterten Kämpfen zwischen<br />

Deutschen <strong>und</strong> Franzosen, die sich im Gebiet des „Randens“ wenige Kilometer vor <strong>der</strong><br />

schweizerischen Grenze im April 1945 359 , ereigneten. Vere<strong>in</strong>zelte Fälle von Diebstahl<br />

sowie Vergewaltigungen von Frauen durch Soldaten <strong>der</strong> Besatzungsmacht s<strong>in</strong>d für<br />

<strong>Konstanz</strong> ebenfalls nachgewiesen worden, <strong>und</strong> selbst vor den gefürchteten Geiselnahmen<br />

durch französische Militärs blieb die Stadt nicht verschont. Am 6. Mai 1945 wurden bei<br />

<strong>der</strong> Klosterkaserne r<strong>und</strong> 400 Männer von den Franzosen teils bis zu zwei Monaten<br />

festgehalten, darunter Jugendliche ab 16 Jahre. Zum Glück kamen ke<strong>in</strong>e Menschen zu<br />

Schaden. Dass dies nicht selbstverständlich war, belegt <strong>der</strong> Fall e<strong>in</strong>er Geiselnahme <strong>in</strong><br />

Markdorf im damaligen Landkreis Überl<strong>in</strong>gen. Dort wurden am 2. Mai 1945, <strong>und</strong> damit<br />

wenige Tage vor <strong>der</strong> Geiselnahme <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>, deutsche Soldaten durch französische<br />

Militärs an <strong>der</strong> Kirchenmauer erschossen. 360<br />

Im Gegensatz zu diesen E<strong>in</strong>drücken haben sich konstruktive <strong>Entwicklung</strong>smomente<br />

wie <strong>der</strong> Neubeg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> o<strong>der</strong> die Kulturpolitik kaum <strong>in</strong>s Gedächtnis <strong>der</strong><br />

Menschen e<strong>in</strong>geprägt. WOLFRUM bezeichnet diese Art <strong>der</strong> kollektiven Er<strong>in</strong>nerungskultur,<br />

355 NOELLE; NEUMANN (Hg.), Jahrbuch, S. 146, zitiert nach WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 9.<br />

356 Zu dieser Problematik siehe auch HENKE, Der fre<strong>und</strong>liche Fe<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>: OBERREUTER; WEBER,<br />

Demokratiegründung, S. 41-51; DERS., Aspekte französischer Besatzungspolitik, <strong>in</strong>: BENZ (Hg.),<br />

Miscellanea, S. 169-191.<br />

357 Mit zahlreichen regionalen Beispielen: VHS FRIEDRICHSHAFEN (Hg.), Erlebte Nachkriegszeit.<br />

358 Zur Zerstörung Freudenstadts KRAUTKRÄMER, Kriegsende <strong>und</strong> Besatzungszonen, <strong>in</strong>: LANDESZENTRALE<br />

FÜR POLITISCHE BILDUNG BADEN-WÜRTTEMBERG (Hg.), Badische <strong>Geschichte</strong>, S. 17-36; HERTEL,<br />

Absicht o<strong>der</strong> Katastrophe <strong>in</strong>: JAHRBUCH DES LANDKREISES FREUDENSTADT 2004, S. 158-160.<br />

359 RIEDEL, Ausweglos, S. 30, 56, 75; DERS., Halt! Schweizer Grenze, S. 402-424.<br />

360 AG GESCHICHTE MARKDORF (Hg.), Markdorf, S. 241-260.


88 III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT (1945-1949)<br />

die im Wi<strong>der</strong>spruch zu den Bef<strong>und</strong>en aus den Archiven steht, als e<strong>in</strong> typisches Merkmal<br />

für die deutsche Nachkriegsgesellschaft im französischen Besatzungsgebiet. 361 Die unterschiedlichen<br />

Sichtweisen von Zeitgenossen <strong>und</strong> Historikern ergeben sich beispielsweise<br />

aus <strong>der</strong> Tatsache, dass vieles von dem, was wir heute über die Nachkriegszeit <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

wissen, bei Kriegsende bzw. zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Besatzung <strong>der</strong> Bevölkerung unbekannt war.<br />

Nationalsozialistische Propaganda, Gerüchte, echtes Bedrohungspotenzial <strong>und</strong> reale<br />

Gefahren konnten von <strong>der</strong> Bevölkerung zum damaligen Zeitpunkt nicht adäquat e<strong>in</strong>geschätzt<br />

werden. 362 Neben den genannten Aspekten h<strong>in</strong>gen die Beurteilungen darüber, wie<br />

die Besatzungszeit gesehen wurde, ferner sehr stark von den jeweiligen <strong>in</strong>dividuellen<br />

Erlebnissen <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Betroffenen ab. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden,<br />

dass Misstrauen <strong>und</strong> Angst nicht nur auf Seiten <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung, son<strong>der</strong>n auch<br />

unter den französischen Soldaten vorherrschten. 363 Viele von ihnen hatten äußert negative<br />

Erfahrungen mit Deutschen machen müssen, sei es bei Kämpfen mit <strong>der</strong> Wehrmacht<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> Besatzung <strong>der</strong> Jahre 1940 bis 1944 o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Befreiung <strong>der</strong> Arbeits- <strong>und</strong><br />

Konzentrationslager auf <strong>der</strong> Baar, dem Heuberg o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Überl<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong>er „Außenstelle“<br />

des Konzentrationslagers Dachau. 364 Nach Kriegsende blieb die Furcht vor dem<br />

Wi<strong>der</strong>stand regimetreuer Nationalsozialisten zunächst bestehen. Um sich Respekt bei <strong>der</strong><br />

deutschen Bevölkerung zu verschaffen, traten die Franzosen <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Besatzungsphase<br />

gegenüber <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung sehr dom<strong>in</strong>ant auf, ließen sie beispielsweise<br />

vor französischen Flaggen salutieren <strong>und</strong> verhängten bereits bei ger<strong>in</strong>gfügigen Vergehen<br />

längere Haftstrafen. 365 Allerd<strong>in</strong>gs handelte es sich um e<strong>in</strong>e kurze „Zwischenphase“, die<br />

dadurch gekennzeichnet war, dass die Nationalsozialisten militärisch besiegt waren, es<br />

jedoch noch ke<strong>in</strong>en vollständigen Frieden gab. 366<br />

4 Jugendliche Lebenswelten <strong>und</strong> Alltagsnöte<br />

4.1 Auswirkungen <strong>der</strong> materiellen Not auf die Jugend<br />

Die Alltagsnöte <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung bee<strong>in</strong>flussten selbstverständlich die Lebenswelten<br />

<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen. Die „Jugendnot“ nach Kriegsende machte sich auf<br />

vielerlei Ebenen bemerkbar: materiell, physisch <strong>und</strong> psychisch. Vor allem bee<strong>in</strong>trächtigten<br />

361 WOLFRUM, Zeit <strong>der</strong> „schönen Not“, <strong>in</strong>: DERS. U. A (Hgg.), Krisenjahre, S. 203-213.<br />

362 WOLFRUM; GROHNERT, Befreiung <strong>und</strong> Besatzungsschock. <strong>in</strong>: WOLFRUM U. A. (Hgg.), Krisenjahre,<br />

S. 17-29; zum Kriegsende <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bodenseeregion vgl. ACHBERGER, „H<strong>in</strong>ter mir <strong>der</strong> Krieg“; HOSER;<br />

BAUMANN, Besatzungszeit.<br />

363 KLÖCKLER, Zivilbevölkerung, <strong>in</strong>: INTERNATIONALER ARBEITSKREIS BODENSEEAUSSTELLUNGEN (Hg.),<br />

Endlich Friede!, S. 33-35.<br />

364 Zur regionalen Situation vgl. SCHÄTZLE, Konzentrationslager; zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Außenstelle des KZs<br />

Dachau <strong>in</strong> Überl<strong>in</strong>gen siehe: BURGER, KZ <strong>in</strong> Überl<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong>: <strong>Konstanz</strong>er Trichter, <strong>Konstanz</strong> 1983,<br />

S. 18-25; die Erlebnisse e<strong>in</strong>es ehemaligen Häftl<strong>in</strong>gs im KZ Überl<strong>in</strong>gen schil<strong>der</strong>t PUNSCHART, Heimat.<br />

365 SCHÄFER, Petershauser K<strong>in</strong><strong>der</strong>tage, <strong>in</strong>: DELPHIN-KREIS (Hg.), R<strong>und</strong> um <strong>Konstanz</strong>, <strong>Konstanz</strong>er Beiträge 5<br />

(1997), S. 133-146.<br />

366 Die Ambivalenz dieser Phase schil<strong>der</strong>t mit Blick auf <strong>Konstanz</strong> <strong>der</strong> frühere Kulturoffizier Georges<br />

Ferber; FERBER, Ernstes <strong>und</strong> Heiteres, <strong>in</strong>: MAURER, Grenzstadt, S. 22-40.


III.4 JUGENDLICHE LEBENSWELTEN UND ALLTAGSNÖTE 89<br />

Hunger, unzureichende, e<strong>in</strong>seitige Ernährung, fehlende Kleidung, unbeheizte Räume,<br />

Mangel an Seife <strong>und</strong> Waschmitteln die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> Jugend. Etwa die Hälfte <strong>der</strong> örtlichen<br />

Schuljugend war 1946 unterernährt. 367 Die Situation <strong>der</strong> Jugend war <strong>in</strong> den ersten<br />

Nachkriegsmonaten geprägt durch den Wegfall von Schulen, Arbeits-, Freizeit- <strong>und</strong> Sportmöglichkeiten<br />

sowie durch die Wirtschaftskrise. Der allgeme<strong>in</strong>e Wohnraummangel<br />

brachte spezielle Probleme für Jugendliche mit sich. Zwar war <strong>Konstanz</strong> nicht von Kriegszerstörungen<br />

betroffen, doch standen <strong>der</strong> Bevölkerung Ende 1945 pro Kopf <strong>in</strong>folge von<br />

E<strong>in</strong>quartierungen, Beschlagnahmungen durch die Franzosen, Unterbr<strong>in</strong>gung von Verwandten<br />

etc. statistisch betrachtet nicht e<strong>in</strong>mal fünf Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung.<br />

Zum Vergleich: 1939 waren es etwas mehr als acht Quadratmeter gewesen. Als<br />

Folge dieser Zustände mussten die Familien räumlich zusammenrücken. Viele K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

Jugendliche hatten ke<strong>in</strong>e eigenen privaten Bereiche. Man traf sich auf <strong>der</strong> Straße o<strong>der</strong> im<br />

Sommer zum Baden am „Hörnle“. Die beengten Wohnverhältnisse verbesserten sich bis<br />

1949 kaum, zumal die Bevölkerung durch die Zuweisung von ostdeutschen Vertriebenen<br />

<strong>und</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> den 1950er-Jahren spürbar wuchs.<br />

Die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Flucht <strong>und</strong> Vertreibung ist mittlerweile durch die allgeme<strong>in</strong>e<br />

Geschichtsschreibung, Publizistik <strong>und</strong> den Dokumentarfilm gut erforscht. Die lokale<br />

Situation <strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Heimatvertriebenen ist <strong>in</strong>zwischen ebenfalls ausführlich<br />

dokumentiert worden. Die Stadt <strong>Konstanz</strong> wurde, da sie vor Bombardierungen verschont<br />

blieb, <strong>in</strong> den 1940er-Jahren zum Anlaufpunkt für viele Evakuierte, darunter e<strong>in</strong>e große<br />

Zahl an K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im schulpflichtigen Alter. Nach Kriegsende hielt <strong>der</strong> Zustrom weiter an,<br />

sodass sich 1945/46 r<strong>und</strong> 5.000 Evakuierte <strong>und</strong> Flüchtl<strong>in</strong>ge sowie Zuzügler aus <strong>der</strong><br />

Ostzone <strong>und</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> aufhielten. Als die Franzosen ab 1947 die strengen<br />

Zuzugsbeschränkungen lockerten, folgten e<strong>in</strong>ige weitere Tausend Ostflüchtl<strong>in</strong>ge nach, die<br />

bis dah<strong>in</strong> <strong>in</strong> Lagern <strong>in</strong> Norddeutschland <strong>und</strong> Dänemark gelebt hatten. Sie wurden zu e<strong>in</strong>em<br />

großen Teil im Lager Egg untergebracht. 368<br />

Im Vergleich zu den Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> den übrigen Zonen nahmen die Kommunalverwaltungen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone allerd<strong>in</strong>gs deutlich weniger Neubürger auf. Wie<br />

erwähnt wurde, berührte Flüchtl<strong>in</strong>gs- <strong>und</strong> Heimatvertriebenenproblematik Südbaden mit<br />

e<strong>in</strong>er Verzögerung <strong>und</strong> betraf die Region gegenüber an<strong>der</strong>en Gebieten lediglich <strong>in</strong><br />

abgeschwächter Form. Die größte Zuzugswelle erfasste <strong>Konstanz</strong> Ende <strong>der</strong> 1940er-Jahre,<br />

als die ärgsten Nachkriegsnöte bereits überw<strong>und</strong>en waren <strong>und</strong> die entsprechenden Stellen<br />

bei den Kommunalverwaltungen sich organisatorisch besser auf den Zuzug vieler<br />

Neubürger e<strong>in</strong>stellen konnten. Mit dieser Thematik waren vor allem die Umsiedlungsämter<br />

<strong>der</strong> Landkreise, die meist mit den Wohlfahrtsämtern gekoppelt waren, sowie die<br />

Arbeits- <strong>und</strong> Jugendämter befasst. Die Jugendprobleme, die es vor Ort gab, erreichten<br />

allerd<strong>in</strong>gs nie solche Dimensionen wie dies <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Regionen zum Teil <strong>der</strong> Fall war. 369<br />

Die sozialen Bed<strong>in</strong>gungen, unter denen Jugendliche <strong>in</strong> vielen deutschen Städten <strong>und</strong><br />

367<br />

Laut den Untersuchungsergebnissen des Amtsarztes Dr. Haisch, zitiert nach BURCHARDT, Zwischen<br />

Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 84.<br />

368<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 171.<br />

369 SÜDKURIER vom 03.04.1947.


90 III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT (1945-1949)<br />

Geme<strong>in</strong>den leben mussten, waren überaus desolat. Der Krieg hatte deutschlandweit r<strong>und</strong><br />

1,6 Millionen K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche zu Waisen o<strong>der</strong> Halbwaisen gemacht, über zwei<br />

Millionen von ihnen waren von Flucht <strong>und</strong> Vertreibung betroffen. E<strong>in</strong>e hohe Arbeitslosigkeit,<br />

katastrophale Wohnverhältnisse, Hunger, Krim<strong>in</strong>alität, überfüllte o<strong>der</strong> zerstörte<br />

bzw. zweckentfremdete Schulen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> Jugendfürsorge waren weitere<br />

Begleitersche<strong>in</strong>ungen des Kriegs. 370 In den Großstädten stellten umherstreifende Jugendliche<br />

e<strong>in</strong> spezielles soziales Problem dar. 371 Die Schätzungen über die wan<strong>der</strong>nden<br />

Jugendlichen unter 18 Jahren schwankten zwischen 10.000 <strong>und</strong> 80.000, <strong>und</strong> dies alle<strong>in</strong>,<br />

was das amerikanische Zonengebiet anbelangte. 372 R<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Viertel <strong>der</strong> jungen Generation<br />

bezog öffentliche Hilfsleistungen.<br />

Mit dem H<strong>in</strong>weis, dass sich die Situation <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> etwas günstiger gestaltete als <strong>in</strong><br />

den Geme<strong>in</strong>den <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en drei Zonen, sollen jedoch nicht die spezifischen Sorgen <strong>und</strong><br />

Nöte dieser Bevölkerungsgruppe <strong>und</strong> die zahlreichen Probleme, mit denen viele<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien konfrontiert waren, bagatellisiert werden. In über 90 Prozent <strong>der</strong> Fälle<br />

handelte es sich bei den Flüchtl<strong>in</strong>gen um Frauen <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>. Alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> Südbaden bestand<br />

fast die Hälfte aller Flüchtl<strong>in</strong>ge, die im ersten Halbjahr 1949 aus dänischen Lagern nach<br />

Südbaden kamen, aus K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen. 373 Viele von ihnen kannten niemanden<br />

am Ort, hatten ke<strong>in</strong>e Angehörigen, lebten im Lager, hatten zu Hause alles verloren o<strong>der</strong><br />

nur wenig mitnehmen können. Die wirtschaftliche Basis war durch Flucht <strong>und</strong><br />

Vertreibung weggebrochen; persönliche Kontakte, die die Suche nach e<strong>in</strong>em Ausbildungsplatz<br />

erleichtert hätten, fehlten. Nicht alle Jugendlichen hatten daher Gelegenheit,<br />

e<strong>in</strong>en Beruf zu erlernen. Viele mussten als ungelernte Arbeitskräfte ihren Lebensunterhalt<br />

verdienen. Oftmals waren Nachweise <strong>und</strong> Zeugnisse verloren gegangen. Vielfach<br />

bee<strong>in</strong>trächtigten schwere ges<strong>und</strong>heitliche Probleme die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> Jugendlichen. So<br />

wurden im Bezirk <strong>Konstanz</strong> Fälle von Untergewicht <strong>und</strong> mehrere positive Bef<strong>und</strong>e von<br />

Tuberkulose unter <strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gsjugend registriert. 374 Die Stadtverwaltung, die Kirchen<br />

sowie die Wohlfahrtsverbände <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Organisationen versuchten die ungünstige Lage<br />

<strong>der</strong> Jugend unter Kontrolle zu br<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag leisteten Schulspeisungsaktionen,<br />

die die Stadt <strong>Konstanz</strong> mit Unterstützung <strong>der</strong> Nachbargeme<strong>in</strong>de Kreuzl<strong>in</strong>gen im<br />

Zuge <strong>der</strong> schweizerischen Grenzlandhilfe durchführte. 375<br />

370<br />

JORDAN; SENGLING, Jugendhilfe, S. 56.<br />

371<br />

BURCHARDT, Jugend <strong>und</strong> Schule, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), Alltagswelten, S. 108-115, hier S. 111.<br />

372<br />

Daten nach FÜSSL, Umerziehung, S. 104-105.<br />

373<br />

SÜDKURIER vom 21.04.1949.<br />

374<br />

SÜDKURIER vom 21.04.1949.<br />

375<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 91; WALDBAUR, Schweizer K<strong>in</strong><strong>der</strong>-<br />

hilfe, <strong>in</strong>: LAS 5 (1985), S. 175-185.


III.4 JUGENDLICHE LEBENSWELTEN UND ALLTAGSNÖTE 91<br />

4.2 Die Auswirkungen <strong>der</strong> französischen Schul- <strong>und</strong> Bildungspolitik <strong>in</strong><br />

Deutschland auf die Situation <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

Die Erneuerung des Bildungswesens nach demokratischem Muster hatte <strong>in</strong> allen Zonen<br />

zeitlich betrachtet Priorität vor an<strong>der</strong>en jugendpolitischen Maßnahmen. Zunächst musste<br />

e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igermaßen geregeltes Unterrichtsangebot geschaffen werden, bevor an Maßnahmen<br />

zur Demokratieerziehung <strong>der</strong> Jugend gedacht werden konnte. Auch die französische<br />

Jugendpolitik fokussierte daher zuerst auf die Reorganisation des Unterrichtswesens. Die<br />

Ursachen lagen <strong>in</strong> <strong>der</strong> gesellschaftlichen Bedeutung <strong>der</strong> Institution Schule. Diese ist neben<br />

dem Elternhaus, wie es e<strong>in</strong>e Studie zur K<strong>in</strong>dheits- <strong>und</strong> Jugendforschung formuliert, die<br />

„zentrale gesellschaftliche Organisation des K<strong>in</strong>des- <strong>und</strong> Jugendalters“ schlechth<strong>in</strong>. 376<br />

Schulpolitische Maßnahmen betrafen schon re<strong>in</strong> quantitativ den weitaus größten Teil <strong>der</strong><br />

Jugend. Dies belegt e<strong>in</strong> Blick auf die Schülerzahlen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>, wo im Herbst 1945 r<strong>und</strong><br />

5.400 Schulpflichtige gezählt wurden. 377<br />

Die Ankündigung des französischen Generalverwalters Laffon, dass die Volksschulen<br />

im gesamten französischen Besatzungsgebiet ihre Tätigkeit am 15. September 1945 bzw.<br />

die Oberschulen ab Mitte Oktober wie<strong>der</strong> aufnehmen konnten, wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

allseits begrüßt, selbst wenn, wie e<strong>in</strong> Zeitzeuge später e<strong>in</strong>räumte, viele K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

Jugendliche „den langen schulfreien Sommer am Hörnle“ 378 genossen hatten. Es besteht<br />

ke<strong>in</strong> Zweifel, dass diese erste konstruktive jugendpolitische Maßnahme, die die Franzosen<br />

nach Ende des Zweiten Weltkriegs <strong>in</strong> die Wege leiteten, auch <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>en wichtigen<br />

Schritt zur Rückkehr zur Normalität darstellte. Wie e<strong>in</strong>em Pressebericht zu entnehmen ist,<br />

<strong>der</strong> unter dem Titel „Neues Leben <strong>in</strong> Baden“ die Wie<strong>der</strong>aufbauprojekte im Land<br />

beschrieb, wurde den Eltern mit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Schulen e<strong>in</strong>e „große Sorge<br />

abgenommen“. 379<br />

In <strong>der</strong> Praxis <strong>in</strong>dessen erwies sich die Wie<strong>der</strong>aufnahme des Unterrichts aufgr<strong>und</strong> zahlreicher<br />

materieller, personeller <strong>und</strong> organisatorischer Probleme als äußerst schwierig. Die<br />

örtliche Stadt- <strong>und</strong> die Schulverwaltung musste zunächst abklären, wo die Schüler<br />

räumlich untergebracht werden konnten, wer sie unterrichtete, woher Unterrichtsmittel zu<br />

bekommen waren <strong>und</strong> wie die Schulen im W<strong>in</strong>ter geheizt werden konnten. Die Ambivalenz,<br />

die für die Reeducation-Politik im französischen Besatzungsgebiet charakteristisch<br />

war, trat im Bereich <strong>der</strong> Schul- <strong>und</strong> Bildungspolitik, wo das Wünschbare <strong>und</strong> das<br />

Machbare oft im Wi<strong>der</strong>spruch zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> standen, offen zu Tage. 380 Viele Zielsetzungen<br />

<strong>der</strong> übergeordneten politischen Ebenen waren für die Verantwortlichen <strong>in</strong> den Kommunalverwaltungen<br />

schwer <strong>in</strong> die Praxis umzusetzen. Der Stadtverwaltung standen unter<br />

Besatzungsbed<strong>in</strong>gungen nur begrenzte Entscheidungsbefugnisse <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzielle Möglich-<br />

376<br />

Die Untersuchung von HELSPER <strong>und</strong> BÖHME bezieht mit Blick auf die PISA-Studie <strong>in</strong> die schulische<br />

Leistungsforschung familiäre <strong>und</strong> soziale Lebensverhältnisse mit e<strong>in</strong>. HELSPER; BÖHME, Jugend <strong>und</strong><br />

Schule, <strong>in</strong>: KRÜGER U. A. (Hgg.), Handbuch, S. 567-596, hier S. 567.<br />

377<br />

Angaben bei DEINET, Schulwesen, S. 27 Tabelle 1 <strong>und</strong> 2, sowie S. 29-30 Tabelle 6 <strong>und</strong> 7.<br />

378<br />

SCHÄFER, Petershauser K<strong>in</strong><strong>der</strong>tage, <strong>in</strong>: DELPHIN-KREIS (Hg.), R<strong>und</strong> um <strong>Konstanz</strong>, <strong>Konstanz</strong>er Beiträge 5<br />

(1997), S. 1-133, hier S. 140.<br />

379<br />

Zu diesem <strong>und</strong> den folgenden Zitaten siehe SÜDKURIER vom 08.09.1945.<br />

380<br />

WINKELER, Schulreform, <strong>in</strong>: HEINEMANN (Hg.), Umerziehung, S. 211-227.


92 III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT (1945-1949)<br />

keiten zur Verfügung, um die Situation an den Schulen zu verbessern. Der Anteil <strong>der</strong><br />

Ausgaben für das gesamte Schulwesen gemessen am Gesamtvolumen des ordentlichen<br />

Haushalts von mehr als sechs Millionen RM im Jahr 1946 umfasste knapp 300.000 RM.<br />

Das entsprach e<strong>in</strong>em prozentualen Anteil am Haushaltsplan von nicht e<strong>in</strong>mal fünf Prozent,<br />

wovon neben dem Personalaufwand vor allem die Instandsetzungskosten zu Buche<br />

schlugen.<br />

Aufgr<strong>und</strong> zahlreicher Probleme konnte zunächst nur die Volksschule Zoff<strong>in</strong>gen ihren<br />

Unterrichtsbetrieb zum 17. September 1945 pünktlich aufnehmen. Bei den übrigen elf<br />

Schulen verzögerte sich dieser Term<strong>in</strong>, bis die Gebäude von <strong>der</strong> Besatzungsmacht<br />

geräumt <strong>und</strong> für den Schulbetrieb wie<strong>der</strong> <strong>in</strong>stand gesetzt waren. 381 Vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten<br />

Nachkriegszeit nutzten die Franzosen viele Turnhallen <strong>und</strong> Schulen für eigene Zwecke,<br />

etwa als Büros o<strong>der</strong> Soldatenunterkünfte. 382 Schichtunterricht <strong>und</strong> lange Schulwege durch<br />

die Verteilung auf an<strong>der</strong>e Gebäude waren die Folge. Beson<strong>der</strong>s hart betroffen waren die<br />

Schüler <strong>der</strong> Petershauser Gr<strong>und</strong>schule, die e<strong>in</strong>en Schulweg von teilweise bis zu e<strong>in</strong>er<br />

St<strong>und</strong>e <strong>in</strong> die Altstadt <strong>in</strong> Kauf nehmen mussten.<br />

Der ehemalige Oberschüler Franz Schäfer er<strong>in</strong>nerte sich später <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Beitrag über<br />

se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit <strong>und</strong> Jugend <strong>in</strong> Petershausen, dass die Schulen, nachdem sie im späten<br />

Herbst „ihre Schüler wie<strong>der</strong> zusammengesucht“ hätten, zunächst nur st<strong>und</strong>enweise<br />

„Notunterricht“ anboten. Dabei wäre „die Schülerspeisung [...] <strong>der</strong> wichtigste Vorgang<br />

gewesen“. 383 Dieser E<strong>in</strong>druck entspricht den Beobachtungen <strong>der</strong> Geschichtsforschung,<br />

wonach im französischen Zonengebiet die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit demokratischen Reformen<br />

gegenüber Versorgungsfragen von <strong>der</strong> Bevölkerung eher als nachrangig erachtet<br />

wurde. 384 Als e<strong>in</strong> schwerwiegendes Problem erwies sich <strong>der</strong> schlechte Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

<strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Schüler, wofür <strong>der</strong> nachgewiesene deutliche Anstieg <strong>der</strong> Tuberkuloseerkrankungen<br />

im ersten Halbjahr 1946 e<strong>in</strong>en deutlichen Indikator bildete. 385 Neben den<br />

bereits genannten Schwierigkeiten fehlte es den Schulen <strong>in</strong> den ersten Jahren nach<br />

Kriegsende an Lehr- <strong>und</strong> Lernmitteln. „Die Schultasche war leicht, Bücher hatten wir<br />

nicht, Schreibzeug <strong>und</strong> irgendwelche Zettel waren die ganze Ausstattung“, berichtet Franz<br />

Schäfer. Das Papier war kont<strong>in</strong>giert <strong>und</strong> nur gegen Bezugssche<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Altpapierabgabe zu<br />

erhalten. Was dies aus Sicht e<strong>in</strong>es damaligen Schülers bedeutete, liest sich wie folgt: „E<strong>in</strong><br />

Schreibheft bekam man nur, wenn man e<strong>in</strong> Kilogramm Altpapier mitbrachte. [...]. Me<strong>in</strong>e<br />

geliebte Heftesammlung mit Bil<strong>der</strong>geschichten von Wuzzibär <strong>und</strong> Käptn Bidehux fiel<br />

dem zum Opfer.“<br />

E<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Probleme, die im Schulwesen <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit auftraten, s<strong>in</strong>d<br />

als Folgeersche<strong>in</strong>ungen des Nationalsozialismus zu werten. Diese Annahme trifft vor<br />

381 DEINET, Schulwesen, S. 22.<br />

382 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 97.<br />

383 Dieses <strong>und</strong> die folgenden Zitate, sofern nicht an<strong>der</strong>s belegt, entstammen dem Beitrag von SCHÄFER,<br />

Petershauser K<strong>in</strong><strong>der</strong>tage, <strong>in</strong>: DELPHIN-KREIS (Hg.), R<strong>und</strong> um <strong>Konstanz</strong>, <strong>Konstanz</strong>er Beiträge 5 (1997),<br />

S. 1-133, S. 144 f.<br />

384 WOLFRUM, Das Kriegsende im Südwesten, <strong>in</strong>: DERS. U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 17-28.<br />

385 STEI, Ernährungslage, Tabelle Anzahl <strong>der</strong> gemeldeten Fälle <strong>der</strong> wichtigsten Infektionskrankheiten im<br />

Zeitraum 1940-1946, Anhang.


III.4 JUGENDLICHE LEBENSWELTEN UND ALLTAGSNÖTE 93<br />

allem auf den gravierenden Lehrermangel nach Kriegsende zu. Noch im Februar 1947<br />

waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone r<strong>und</strong> 7.000 Lehrerstellen 386 aller Schultypen nicht o<strong>der</strong><br />

nur behelfsmäßig besetzt. Beson<strong>der</strong>s betroffen waren die Volksschulen. In <strong>Konstanz</strong><br />

konnten von 72 Volksschullehrern nach Abschluss <strong>der</strong> Entnazifizierungsmaßnahmen bis<br />

Ende November 1945 erst 40 wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Dienst gestellt werden. 387 Es dauerte e<strong>in</strong>ige Zeit,<br />

bis die ersten Absolventen <strong>der</strong> zwei Lehrerbildungsanstalten, die im Jahr 1946 <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

französischen Zone zum e<strong>in</strong>en für weibliche, zum an<strong>der</strong>en für männliche Anwärter<br />

gegründet worden waren, ihre Tätigkeit an deutschen Schulen aufnehmen konnten. Die<br />

Deckung des Lehrerbedarfs war auch deshalb schwierig, weil die Generation <strong>der</strong> Mitte<br />

20- bis ca. 45-jährigen männlichen Deutschen <strong>in</strong>folge des Krieges stark verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t war. 388<br />

Die Zahl <strong>der</strong> Lehrkräfte erreichte aus den genannten Gründen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> erst im Schuljahr<br />

1949/50 den Vorkriegsstand. E<strong>in</strong>e Folge des Lehrermangels waren überfüllte Klassen<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Überalterung des Personals <strong>in</strong> allen Bildungs- <strong>und</strong> Erziehungse<strong>in</strong>richtungen.<br />

Mitunter unterrichtete e<strong>in</strong> Lehrer über 100 Schüler. 389 Diese ungünstige Situation konnte<br />

nur mithilfe des E<strong>in</strong>satzes von Schulhelfern <strong>und</strong> Pensionären bewerkstelligt werden.<br />

Die Mehrheit <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugend absolvierte im Untersuchungszeitraum die<br />

achtjährige Volksschulausbildung. 390 Die Schulreformen, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone<br />

zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949 durchgeführt wurden, konzentrierten sich daher e<strong>in</strong>erseits auf die<br />

Volksschulen; an<strong>der</strong>erseits waren die Oberschulen, für die nun die Bezeichnung<br />

„Gymnasium“ gebräuchlich wurde, von umfassenden Neuerungen betroffen. So wurden<br />

die Fächer Late<strong>in</strong> <strong>und</strong> Griechisch gekürzt, <strong>während</strong> Französisch zur ersten Fremdsprache<br />

erhoben wurde. 391 Zudem wurde das Abitur reformiert. Die bisherige schul<strong>in</strong>terne Regelung<br />

wurde zugunsten des Zentralabiturs, bei dem fremde Lehrer die Absolventen prüften,<br />

aufgegeben. Darüber h<strong>in</strong>aus wurde die Prüfung nach dem Vorbild des französischen<br />

baccalauréat verschärft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zugang zur Oberstufe durch e<strong>in</strong>e Aufnahmeprüfung<br />

geregelt. 392 Obwohl die Abiturreform eigentlich dazu gedacht war, bei <strong>der</strong> Bewertung <strong>und</strong><br />

den Notenvergaben für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, brachte sie für die Oberschüler<br />

gravierende Nachteile mit sich, weil auf viele spezifische Probleme <strong>der</strong> Nachkriegsjugend<br />

wie schlechte Ernährungslage, ungünstige schulische Infrastruktur, Unterrichtsausfälle,<br />

Lehrermangel <strong>und</strong> Schichtunterricht ke<strong>in</strong>e Rücksicht genommen wurde. So mussten sich<br />

beispielsweise die Absolventen <strong>der</strong> Zeppel<strong>in</strong>-Oberrealschule im Jahr 1947 zur Abiturprüfung<br />

nach Radolfzell begeben. Nahezu die Hälfte aller badischen Oberschüler des<br />

Abiturjahrgangs 1947/48 bestand entwe<strong>der</strong> nicht die Zulassung zur Abitursprüfung o<strong>der</strong><br />

386 SÜDKURIER vom 21.02.1947.<br />

387 DEINET, Schulwesen, S. 30.<br />

388 Zu den kriegsbed<strong>in</strong>gten Auswirkungen auf die demografische <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> siehe<br />

BUCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 170.<br />

389 DEINET, Schulwesen, S. 27-32, v. a. Tabelle 7.<br />

390 Die Reorganisation des deutschen Unterrichtswesens nach 1945 war mehrfach Gegenstand wissenschaftlicher<br />

<strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>er Geschichtsdarstellungen. Zur Literatur vgl. BURCHARDT, Zwischen Kriegsende<br />

<strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 95-101.<br />

391 REISCH, Schulzeit, <strong>in</strong>: VHS FRIEDRICHSHAFEN, Erlebte Nachkriegszeit, S. 19-20.<br />

392 CUER, Französischunterricht, <strong>in</strong>: KNIPPING; LE RIDER (Hgg.), Kulturpolitik, S. 57-83.


94 III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT (1945-1949)<br />

schaffte nicht das Abitur. 393 In <strong>Konstanz</strong> fiel alle<strong>in</strong> an <strong>der</strong> Zeppel<strong>in</strong>-Oberrealschule r<strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> Abiturienten des genannten Jahrgangs durch die schriftliche Prüfung. 394<br />

Die <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung stand diesen Maßnahmen <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht<br />

kritisch gegenüber. Zum e<strong>in</strong>en hielten viele Eltern die langen Schulwege für <strong>in</strong>akzeptabel<br />

395 , zum an<strong>der</strong>en wurde die Abiturreform als Maßnahme zur Begabtenauslese<br />

bewertet, die dazu dienen sollte, den Andrang zum Abitur bzw. an die Universitäten<br />

e<strong>in</strong>zudämmen, zumal auch im Hochschulbereich zunehmend restriktiv verfahren wurde.<br />

Viele Hochschulen verzeichneten bald nach Kriegsende überfüllte Hörsäle, Institute,<br />

Bibliotheken <strong>und</strong> Sem<strong>in</strong>are. In nur e<strong>in</strong>em Jahrzehnt zwischen 1938 <strong>und</strong> 1948 wuchsen die<br />

Studentenzahlen an den deutschen Universitäten sprunghaft an. Denn als e<strong>in</strong>e Spätfolge<br />

des Krieges begannen beson<strong>der</strong>s viele Geburtsjahrgänge gleichzeitig e<strong>in</strong> Studium.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus versprachen sich junge Menschen, die es sich leisten konnten, von e<strong>in</strong>em<br />

Hochschulstudium <strong>in</strong> den wirtschaftlichen Notzeiten nach dem Krieg e<strong>in</strong>en besseren<br />

Berufsstart <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> nur wenige Betriebe <strong>und</strong> Verwaltungen wie<strong>der</strong> Lehrl<strong>in</strong>ge<br />

ausbildeten. Schon 1948 wurde <strong>in</strong> Deutschland öffentlich darüber diskutiert, ob es angesichts<br />

<strong>der</strong> ger<strong>in</strong>gen beruflichen E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten zu viele Akademiker im Lande gäbe.<br />

E<strong>in</strong>ige Zeitgenossen prognostizierten sogar die Entstehung e<strong>in</strong>es „akademischen Proletariats“<br />

396 <strong>und</strong> for<strong>der</strong>ten für akademische Berufe die E<strong>in</strong>führung des Numerus clausus.<br />

Um die Zahl <strong>der</strong> Studenten zu begrenzen, wurde <strong>in</strong> Ergänzung zu den verschärften Abiturprüfungen<br />

die Zulassungsprüfung zur Universität e<strong>in</strong>geführt, <strong>während</strong> bislang alle<strong>in</strong> das<br />

Abitur als Zugangsvoraussetzung genügt hatte. Zugleich eröffnete diese Maßnahme auch<br />

Nichtabiturienten über den zweiten Bildungsweg e<strong>in</strong>en Zugang zu akademischen Berufen<br />

<strong>und</strong> brachte damit für Jugendliche aus ärmeren Bevölkerungsschichten, die sich das<br />

Schulgeld für e<strong>in</strong>en Besuch des Gymnasiums nicht leisten konnten, mehr Chancengleichheit.<br />

397<br />

Neben den zahlreichen Problemen, die die <strong>Konstanz</strong>er Schulen <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

zu bewältigen hatten, bildete die Integration <strong>der</strong> jungen Ostflüchtl<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

männlichen Kriegsheimkehrer e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung. 398 Während die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

aus Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien wegen ihres Alters noch mehrheitlich <strong>in</strong> die Regelschulen<br />

<strong>in</strong>tegriert werden konnten, gab es für die Älteren spezielle Angebote. In Freiburg <strong>und</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> wurden Son<strong>der</strong>kurse für Flüchtl<strong>in</strong>ge, Spätheimkehrer <strong>und</strong> Notabiturienten als<br />

Nachqualifizierungsmaßnahme e<strong>in</strong>gerichtet. 399 1948 nahmen beispielsweise 18 Notabiturienten<br />

an e<strong>in</strong>em Lehrgang am <strong>Konstanz</strong>er Alexan<strong>der</strong>-von-Humboldt-Gymnasium teil. Es<br />

handelte sich mehrheitlich um ehemalige Flieger, Panzergrenadiere, Matrosen o<strong>der</strong><br />

Kriegsgefangene. E<strong>in</strong>ige waren gezwungen, das Schulgeld selbst zu verdienen. Trotz<br />

393 SÜDKURIER vom 13.07.1948.<br />

394 DEINET, Schulwesen, S. 57.<br />

395 DEINET, Schulwesen, S. 44.<br />

396 SÜDKURIER vom 11./12.12.1948.<br />

397 SÜDKURIER vom 21.02.1947.<br />

398 Badisches M<strong>in</strong>isterium für Kultus <strong>und</strong> Unterricht, an die Direktionen <strong>und</strong> Leitungen <strong>der</strong> staatlichen <strong>und</strong><br />

privaten Gymnasien, Progymnasien, Höheren Handelsschulen <strong>und</strong> Wirtschaftsoberschulen, 15.09.1949,<br />

zitiert bei SCHRÖDER, Schulen, S. 39, Anm. 78.<br />

399 Dieses <strong>und</strong> das nachfolgende Zitat entstammen dem SÜDKURIER vom 15.11.1948.


III.4 JUGENDLICHE LEBENSWELTEN UND ALLTAGSNÖTE 95<br />

ungünstiger Ausgangsbed<strong>in</strong>gungen waren die Prüfungsergebnisse beachtlich. Die Lehrer<br />

besche<strong>in</strong>igten ihren Schülern Tugenden wie Fleiß <strong>und</strong> Strebsamkeit <strong>und</strong> nannten damit<br />

Eigenschaften, die <strong>der</strong> Nachkriegsjugend <strong>in</strong>sgesamt zugeschrieben wurden. Eduard<br />

Spranger, e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> führenden Pädagogen <strong>der</strong> Nachkriegszeit, bezeichnete etwa die<br />

damalige Studentengeneration als „die ernsteste <strong>und</strong> beste“, <strong>der</strong> er „je begegnet wäre“. 400<br />

Nach <strong>der</strong> Währungsreform verbesserte sich die materielle Ausstattung <strong>der</strong> meisten<br />

Schulen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. Problematisch gestalteten sich weiterh<strong>in</strong> die schlechte Personalsituation<br />

sowie die ungenügende Schulraumsituation an e<strong>in</strong>igen Schulen. Die Gewerbeschule,<br />

die Ende 1945 wie<strong>der</strong>eröffnet wurde, bildete sowohl für die Industrie als auch für<br />

das Handwerk die zentrale Nachwuchs<strong>in</strong>stitution. Neben <strong>der</strong> Hauptaufgabe, die Lehrl<strong>in</strong>ge<br />

auszubilden, wurde für e<strong>in</strong>e Reihe von Berufen an <strong>der</strong> Schule Werkstattunterricht durch<br />

Handwerksmeister erteilt, Meistervorbereitungskurse, technische Weiterbildungskurse <strong>und</strong><br />

Zeichenkurse abgehalten, Lehrgänge für Maurer <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Meisterschule für das<br />

Bauhandwerk angeboten. Überdies war e<strong>in</strong>e Dentistenfachschule angeglie<strong>der</strong>t. Dass die<br />

Jugendlichen <strong>in</strong> den angebotenen Berufssparten günstige Aussichten hatten, belegt die<br />

Tatsache, dass noch vor <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Gewerbeschule im W<strong>in</strong>ter 1945 r<strong>und</strong><br />

500 Anmeldungen 401 von Lehrl<strong>in</strong>gen vorlagen. Im gesamten Handwerkskammerbezirk<br />

<strong>Konstanz</strong> wuchs die Zahl <strong>der</strong> Lehrl<strong>in</strong>ge vor allem zwischen 1946 <strong>und</strong> 1949 spürbar an. 402<br />

Ab 1950 kehrte sich <strong>der</strong> Trend zugunsten <strong>der</strong> Industrie um. Diese offenbarte <strong>der</strong> Jugend<br />

bessere Berufsaussichten, bessere Arbeitszeiten <strong>und</strong> höhere Verdienstmöglichkeiten.<br />

Die Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Höheren Handelsschule im Herbst 1945 bot vielen Jugendlichen,<br />

die e<strong>in</strong>e Ausbildungsmöglichkeit suchten, neue Perspektiven. Neben Volks- <strong>und</strong><br />

Betriebswirtschaftslehre sowie Buchhaltung wurden Fremdsprachenfertigkeiten vermittelt.<br />

Beson<strong>der</strong>er Beliebtheit erfreute sich diese Schulart bei älteren Schülern <strong>der</strong> höheren Lehranstalten,<br />

die nach dem Kriegsdienst den Erwerb des Fachwissens für gehobene Berufe <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Wirtschaft o<strong>der</strong> für die mittlere Beamtenlaufbahn anstrebten. Zudem besuchten viele<br />

junge Frauen diesen Schultyp, da sie ger<strong>in</strong>gere Möglichkeiten als ihre männlichen Altersgenossen<br />

hatten, e<strong>in</strong>e Lehre <strong>und</strong> Ausbildung zu absolvieren. 403<br />

4.3 Ausbildung, Beruf, Freizeitgestaltung<br />

Vielen jungen <strong>Konstanz</strong>er K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen fehlten nach Kriegende, als die<br />

Schulen geschlossen waren, die Zukunftsperspektiven. Für die älteren unter ihnen gab es<br />

kaum Arbeits- <strong>und</strong> Ausbildungsmöglichkeiten. Die r<strong>und</strong> 60 Betriebe, die bei Kriegsende<br />

<strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> existierten <strong>und</strong> die zum<strong>in</strong>dest <strong>der</strong> Zahl nach noch 3.000 Beschäftigte hatten,<br />

waren von Rohstoffen, Absatzmärkte <strong>und</strong> Energieversorgung abgeschnitten <strong>und</strong> leisteten<br />

400<br />

SPRANGER, Soziologie des Jugendalters, zitiert nach FÜHR, Bildungswesen, S. 8.<br />

401<br />

SÜDKURIER vom 18.12.1945.<br />

402<br />

HANDWERKSKAMMER KONSTANZ (Hg.), 100 Jahre Handwerkskammer, S. 290, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Tabelle<br />

„Lehrl<strong>in</strong>ge im Kammerbezirk 1901-1998“.<br />

403 SÜDKURIER vom 18.12.1945.


96 III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT (1945-1949)<br />

Reparationen. Die Fabrikation ruhte o<strong>der</strong> musste von Rüstungs- auf Friedensproduktion<br />

umgestellt werden. 404 Daher standen viele Jugendliche, zunächst ohne Aussicht auf e<strong>in</strong>e<br />

Lehrstelle o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Arbeitsplatz auf <strong>der</strong> Straße.<br />

Die Aussichten, e<strong>in</strong>en Studien- o<strong>der</strong> Ausbildungsplatz zu erhalten, waren für die<br />

Schulabgänger <strong>während</strong> <strong>der</strong> gesamten Nachkriegsphase alles an<strong>der</strong>e als günstig.<br />

„Studienplätze waren rar, das Geld fürs Studium fehlte <strong>in</strong> vielen Familien, [...] Lehrstellen<br />

waren dünn gesät. So konnte ke<strong>in</strong>er von uns se<strong>in</strong>en ‚Traumberuf’ erlernen“ 405 , er<strong>in</strong>nerte<br />

sich beispielsweise e<strong>in</strong>e frühere Schüler<strong>in</strong>, Abiturjahrgang 1949, des Friedrichshafener<br />

Graf-Zeppel<strong>in</strong>-Gymnasiums an diese Zeit. Die Betrachtungen dieser Zeitgenoss<strong>in</strong> lassen<br />

sich sicherlich <strong>in</strong> vielerlei H<strong>in</strong>sicht auf die <strong>Konstanz</strong>er Verhältnisse nach Kriegsende<br />

übertragen, sieht man davon ab, dass es ke<strong>in</strong>e zerstörten Industrieanlagen wie <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

ehemaligen württembergischen Rüstungsmetropole am nördlichen Seeufer gab. 406<br />

Die Arbeitsplatzsituation im Bereich <strong>der</strong> Industrie war <strong>in</strong> den ersten Monaten nach<br />

Kriegsende für die Jugend zunächst ungünstig, bevor ab 1946 die Belebung im Bereich<br />

<strong>der</strong> Fe<strong>in</strong>mechanik Anlass zu neuer Hoffnung gab <strong>und</strong> für die Herstellung von Hochfrequenzgeräten<br />

bei Funkstrahl Facharbeiter gesucht wurden. Der Betrieb för<strong>der</strong>te frühzeitig<br />

nach Kriegsende die <strong>in</strong>nerbetriebliche Ausbildung <strong>und</strong> bot Ende 1946 40 Lehrl<strong>in</strong>gen<br />

e<strong>in</strong>en Ausbildungsplatz. 407 Auch das Handwerk konnte sich trotz <strong>der</strong> großen Umwälzungen,<br />

die <strong>der</strong> Zweite Weltkrieg für die Wirtschaftsstruktur mit sich brachte, neben <strong>der</strong><br />

Industrie behaupten <strong>und</strong> fand bald Anschluss an die allgeme<strong>in</strong>e Wirtschaftsentwicklung.<br />

Die Wie<strong>der</strong>aufbauarbeiten stellten nach dem Krieg <strong>in</strong>nerhalb dieses Wirtschaftszweigs<br />

e<strong>in</strong>e große Herausfor<strong>der</strong>ung dar, <strong>in</strong>dem die Lehrl<strong>in</strong>gsför<strong>der</strong>ung, Integration von Kriegsversehrten,<br />

Umschulung von Angehörigen an<strong>der</strong>er Berufe, die durch die verän<strong>der</strong>te Wirtschaftssituation<br />

ihren Arbeitsplatz verloren hatten, bewältigt werden mussten. H<strong>in</strong>zu kam<br />

die mangelhafte Versorgungslage. In allen Berufen fehlte es an Material, Rohstoffen <strong>und</strong><br />

Energie, um Masch<strong>in</strong>en anzutreiben. Der Aufbau e<strong>in</strong>er Existenzgr<strong>und</strong>lage, <strong>der</strong> je nach<br />

Wirtschaftslage bereits <strong>in</strong> Friedenszeiten schwierig se<strong>in</strong> kann, gestaltete sich unter Nachkriegsbed<strong>in</strong>gungen<br />

vor allem deshalb für viele Jugendliche als beson<strong>der</strong>s schwierig, weil<br />

sie nicht nur für sich selbst zu sorgen hatten, son<strong>der</strong>n oftmals zudem Verwandte <strong>und</strong><br />

Familienangehörige f<strong>in</strong>anziell unterstützen mussten, vor allem dann, wenn Väter gefallen<br />

o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Kriegsgefangenschaft geraten waren o<strong>der</strong> nach ihrer Rückkehr aus dem Krieg noch<br />

ke<strong>in</strong>e Arbeit gef<strong>und</strong>en hatten.<br />

404 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 40-43.<br />

405 REISCH, Schulzeit, <strong>in</strong>: VHS FRIEDRICHSHAFEN (Hg.), Erlebte Nachkriegszeit, S. 20.<br />

406 Auswahlliteratur zur Zerstörung von Friedrichshafen: KESSLER, Zerstörung, <strong>in</strong>: LAS 2 (1984), S. 109-<br />

115. „Heute vor 40 Jahren g<strong>in</strong>g Friedrichshafens Altstadt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Inferno von Bomben <strong>und</strong> Feuer<br />

zugr<strong>und</strong>e“, <strong>in</strong>: SCHWÄBISCHE ZEITUNG, (Ausgabe Friedrichshafen) vom 28.04.1984 (Son<strong>der</strong>beilage);<br />

RAICHLE, Trümmerzeit, <strong>in</strong>: LAS 7 (1989/90), S. 158-165; HUG-BIEGELMANN, Stadtzerstörung, <strong>in</strong>: LAS<br />

12 (1995), S. 269-275; „Vor genau 50 Jahren begann <strong>in</strong> Friedrichshafen <strong>der</strong> totale Krieg“, <strong>in</strong>:<br />

SCHWÄBISCHE ZEITUNG (Ausgabe Friedrichshafen) vom 19.06.1993; ARBEITSKREIS FÜR<br />

HEIMATGESCHICHTE AN DEN FRIEDRICHSHAFENER SCHULEN, Friedrichshafen <strong>in</strong> Diktatur, Krieg <strong>und</strong><br />

Besatzungszeit; MAIER, Friedrichshafen, Heimatbuch, Band 2.<br />

407 SÜDKURIER vom 18.10.1946.


III.4 JUGENDLICHE LEBENSWELTEN UND ALLTAGSNÖTE 97<br />

Neben dem anfänglichen Mangel an Nahrung, Wohnraum <strong>und</strong> Arbeit war die Freizeit<br />

<strong>der</strong> Jugend äußerst knapp bemessen. Zwar war für alle Schüler <strong>der</strong> französischen Zone das<br />

erste halbe Jahr <strong>der</strong> Besatzung unterrichtsfrei, die Beschaffung lebensnotwendiger Güter<br />

nahm allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>en Großteil <strong>der</strong> jugendlichen Freizeit <strong>in</strong> Anspruch. 408 Nach<br />

Wie<strong>der</strong>aufnahme des Schulbetriebs im Herbst 1945 g<strong>in</strong>g den Schülern viel Zeit durch die<br />

teilweise weiten Schulwege <strong>und</strong> den Schichtunterricht verloren. Die ohneh<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ge<br />

Freizeit, die die Nachkriegsjugend hatte, konnte kaum s<strong>in</strong>nvoll gestaltet werden, solange<br />

Vere<strong>in</strong>sgründungen, größere Sportveranstaltungen <strong>und</strong> Tanzvergnügungen verboten<br />

waren. Die Jugend traf sich daher <strong>in</strong> Ermangelung an<strong>der</strong>er Möglichkeiten, sich zu beschäftigen,<br />

vorwiegend auf Straßen <strong>und</strong> öffentlichen Plätzen. Dieses „Freizeitverhalten“<br />

wurde von Politikern deutscher <strong>und</strong> französischer Nationalität mit Verwahrlosungstendenzen<br />

<strong>und</strong> Jugendkrim<strong>in</strong>alität <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht <strong>und</strong> daher als „jugendgefährdend“<br />

409 e<strong>in</strong>gestuft. In dieser Frage waren sich die Jugendverantwortlichen jeglicher<br />

politischer, nationaler o<strong>der</strong> weltanschaulicher Couleur e<strong>in</strong>ig, ungeachtet dessen, ob sie die<br />

französische Besatzungsmacht, den deutschen Klerus o<strong>der</strong> die politische Parteien<br />

repräsentierten.<br />

4.4 E<strong>in</strong>e Generation zwischen Hoffnung <strong>und</strong> Skepsis – Überlegungen<br />

zur mentalen <strong>und</strong> psychischen Verfassung <strong>der</strong> Nachkriegsjugend<br />

– E<strong>in</strong>schätzungen französischer Militärangehöriger<br />

Inzwischen wird dem Leiden <strong>der</strong> deutschen Zivilbevölkerung sowie den Schicksalen von<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Heimatvertriebenen <strong>in</strong> Forschung, Publizistik, Film <strong>und</strong> Literatur vermehrte<br />

Aufmerksamkeit geschenkt. 410 Obwohl e<strong>in</strong>ige Versuche dieser Art bisweilen fragwürdig<br />

ersche<strong>in</strong>en, wurde das Thema mittlerweile gut aufgearbeitet. 411 Diese <strong>Entwicklung</strong><br />

steht <strong>der</strong> realen Situation <strong>der</strong> Nachkriegszeit diametral gegenüber. R<strong>und</strong> 40 Prozent <strong>der</strong><br />

deutschen Nachkriegsjugend wies Schätzungen zeitgenössischer Jugendpsychologen zufolge<br />

neurotische Störungen auf, die auf Kriegse<strong>in</strong>wirkungen zurückzuführen waren. 412<br />

Auch wenn auf <strong>Konstanz</strong> ke<strong>in</strong>e Bomben fielen, waren Krieg, Tod <strong>und</strong> Gewalt allgegenwärtig,<br />

<strong>und</strong> die Spätfolgen, die <strong>der</strong> Krieg <strong>in</strong> den Familien h<strong>in</strong>terließ, erwiesen sich als<br />

gravierend. Viele familiäre B<strong>in</strong>dungen waren durch Tod <strong>und</strong> Fluchterlebnisse zerstört<br />

408<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 84-89.<br />

409<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Landkreis <strong>Konstanz</strong> vom 10.12.1947; KrAK, Bestand<br />

Landratsamt <strong>Konstanz</strong>, Nr. 52.105/I.<br />

410<br />

Vgl. etwa FRIEDRICH, Der Brand; filmische Aufarbeitung durch KNOPP (Konzept <strong>und</strong> Leitung), „Die<br />

große Flucht“, Deutschland/Österreich, Filmbericht, Ma<strong>in</strong>z 2001; journalistisch behandelt die SPIEGEL-<br />

Serie über die Vertreibung <strong>der</strong> Deutschen aus dem Osten, Nr. 13-16/2002 die Thematik; vgl. dazu auch<br />

AUST; BURGDORFF (Hgg.), Die Flucht; SPIEGEL SPEZIAL, Juni 2002; vgl. zudem die literarische<br />

Aufarbeitung des Untergangs des Flüchtl<strong>in</strong>gsschiffs „Wilhelm Gustloff“ durch GRASS, Im Krebsgang.<br />

411<br />

Vgl. die mittlerweile ausgedehnte Diskussion um die Darstellung von <strong>Geschichte</strong> im Fernsehen. Siehe<br />

den Sammelband von CRIVELLARI U. A., Die Medien <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong>, dar<strong>in</strong> v. a. den Beitrag v.<br />

KEILBACH, Neue Bil<strong>der</strong> im Geschichtsfernsehen, S. 543-568 sowie WIRTZ: Alles authentisch, so war’s.<br />

<strong>in</strong>: FISCHER; WIRTZ: Alles authentisch, S. 9-32.<br />

412<br />

JORDAN; SENGLING, Jugendhilfe, S. 56.


98 III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT (1945-1949)<br />

worden. Hunger <strong>und</strong> Unterernährung <strong>der</strong> ersten beiden Nachkriegsjahre wirkten sich<br />

zudem auf die seelischen Bef<strong>in</strong>dlichkeiten <strong>der</strong> Jugend aus. Die Sorge um die Existenzsicherung<br />

beherrschte den Alltag. Die junge Generation musste frühzeitig mithelfen, um<br />

die Familie zu versorgen. Wie viele <strong>Konstanz</strong>er Jugendliche ihre Familien miternährt,<br />

jüngere Geschwister betreut o<strong>der</strong> Mütter, Schwestern, Tanten über den Verlust von<br />

Angehörigen <strong>und</strong> Partner getröstet haben, ist im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> nicht zu bemessen. So bleibt<br />

unklar, welche Spuren Krieg <strong>und</strong> Besatzungszeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Psyche <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugend<br />

h<strong>in</strong>terlassen haben mögen. Dies liegt unter an<strong>der</strong>em daran, dass unmittelbar nach Kriegsende<br />

vorrangig Fragen nach <strong>der</strong> Existenzsicherung öffentlich thematisiert wurden,<br />

<strong>während</strong> die psychischen Auswirkungen <strong>der</strong> Kriegsereignisse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit, als das öffentliche<br />

Klima durch kollektive Verdrängung geprägt war, ke<strong>in</strong> Thema waren. Sofern überhaupt<br />

Fragen nach Schuld <strong>und</strong> Verantwortung gestellt wurden, g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichtsforschung<br />

lange Zeit vorrangig um die Auswirkungen des Holocausts. Abgesehen vom<br />

verän<strong>der</strong>ten öffentlichen Interesse än<strong>der</strong>te sich die Sichtweise auf die psychische Lage <strong>der</strong><br />

Jugend im Laufe <strong>der</strong> Zeit vor allem im Gefolge neuer mediz<strong>in</strong>ischer Deutungsmuster.<br />

E<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung fällt <strong>in</strong> diesem Zusammenhang <strong>der</strong> Def<strong>in</strong>ition des posttraumatischen<br />

Stresssyndroms zu, das seit den 1980er-Jahren als e<strong>in</strong>e anerkannte Krankheit<br />

angesehen wird. Dabei handelt es sich um e<strong>in</strong>e Reaktion auf gewaltsame Erlebnisse<br />

(Krieg, Entführungen, Terror). 413 In <strong>der</strong> Nachkriegszeit jedoch wurden die dabei möglicherweise<br />

auftretenden Symptome wie Depressionen, Suchtverhalten, Angstzustände <strong>und</strong><br />

Schlaflosigkeit nicht diesem heute bekannten Krankheitsbild zugeordnet; noch viel<br />

weniger gab es für K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche, die im Zweiten Weltkrieg Bombardements,<br />

Flucht o<strong>der</strong> Verlust naher Angehöriger erleben mussten, Angebote, die mit den Möglichkeiten<br />

e<strong>in</strong>er heutigen Traumatherapie annähernd verglichen werden können.<br />

Als e<strong>in</strong>e direkte Kriegsfolge thematisierten Zeitgenossen häufig den Verlust von<br />

Wertvorstellungen <strong>und</strong> Idealen. Dies bestätigen die Quellenbef<strong>und</strong>e <strong>in</strong> Bezug auf die<br />

Situation <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. Als <strong>der</strong> SÜDKURIER im Sommer 1946 Jugendliche aus dem süddeutschen<br />

Raum nach ihren Gedanken zur Lage <strong>der</strong> Nation <strong>und</strong> den eigenen Bef<strong>in</strong>dlichkeiten<br />

befragte, zeigte sich, dass die Jugend auch hierzulande auf <strong>der</strong> Suche nach<br />

neuen Werten war <strong>und</strong> Auswege aus <strong>der</strong> Krise suchte, wobei man große Hoffnungen <strong>in</strong><br />

die europäische Integration setzte. 414 Die junge Generation, die <strong>in</strong> die NS-Organisationen<br />

Schule <strong>und</strong> Hitler-Jugend h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren worden war, traf <strong>der</strong> Zusammenbruch des<br />

Nationalsozialismus im Vergleich zu den Erwachsenen beson<strong>der</strong>s hart, weil <strong>der</strong> Nationalsozialismus<br />

nahezu alle Lebensbereiche <strong>der</strong> Jugendlichen erfasst hatte. 415 Als e<strong>in</strong>e Folge<br />

dieser Ereignisse wirke die Jugend auf viele zeitgenössische Beobachter orientierungslos,<br />

desillusioniert <strong>und</strong> skeptisch gegenüber gesellschaftlichen Werten <strong>und</strong> Normen. Diese<br />

E<strong>in</strong>schätzung wird durch e<strong>in</strong>en Zeitungsbericht von Kurt Fried, <strong>der</strong> sich mit <strong>der</strong> Lage <strong>der</strong><br />

„Jugend <strong>in</strong> unserer Zeit“ ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzte, vom Dezember 1945 bestätigt. Dar<strong>in</strong> heißt es:<br />

413<br />

Zur Forschungsgeschichte POSSEMEYER, Die Kunst <strong>der</strong> Verdrängung, <strong>in</strong>: GEO 5 (2002), S. 164.<br />

414<br />

SÜDKURIER vom 07.06.1946.<br />

415<br />

KLÖNNE, Jugendgeschichte <strong>in</strong> Trümmerzeiten, <strong>in</strong>: BAACKE, Jugend, S. 91-105.


III.4 JUGENDLICHE LEBENSWELTEN UND ALLTAGSNÖTE 99<br />

„Die Jugend bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Lage, die weit schwieriger ersche<strong>in</strong>t als die<br />

Situation <strong>der</strong> Deutschen, die schon die Jahre vor 1933 wachen Blickes erlebt haben.<br />

Diese f<strong>in</strong>den sich heute allmählich zurück zu e<strong>in</strong>em Boden, von dem aus sie vorwärts<br />

hoffen können. Jene aber s<strong>in</strong>d um die Ideale gekommen, an welche sie mit heißen<br />

Herzen geglaubt haben. [...] Was sie darüber hören musste, ist nicht von heute auf<br />

morgen auszulöschen. Will man es dieser Jugend verdenken, dass <strong>der</strong> Begriff<br />

[Demokratie] für sie zunächst noch unsicher, ja gefährdet ist? […] Vielleicht ist <strong>der</strong><br />

Vater suspendiert o<strong>der</strong> kämpft um se<strong>in</strong>e Stellung. Er selber hat noch den Zusammenbruch<br />

<strong>der</strong> Wehrmacht als Soldat o<strong>der</strong> Flakhelfer miterlebt. Das Heim ist vernichtet,<br />

die Mutter zerquält, die Brü<strong>der</strong> gefallen o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Gefangenschaft. Wo sollen da die<br />

Ideale herkommen?“ 416<br />

Für die Nachkriegsjugend war die Demokratie folglich etwas Unbekanntes. Die Weimarer<br />

Jahre wurden von vielen Erwachsenen <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> Wirtschaftsmisere als schwierige Zeit<br />

empf<strong>und</strong>en. Die nationalsozialistische Propaganda <strong>und</strong> Pädagogik lieferte über diese Zeit<br />

e<strong>in</strong> negatives Zerrbild. Die Freude, überlebt zu haben, <strong>und</strong> die Hoffnung auf bessere<br />

Zeiten waren <strong>in</strong>folgedessen bei e<strong>in</strong>igen Jugendlichen mit Skepsis gegenüber <strong>der</strong> neuen<br />

Zeit <strong>und</strong> den demokratischen Werten <strong>und</strong> Normen vermischt.<br />

Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kam e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> damals führenden Jugendsoziologen,<br />

Helmut Schelsky, <strong>in</strong>dem er den Skeptizismus als e<strong>in</strong>e typische Geisteshaltung <strong>der</strong> damaligen<br />

Jugend ansah. In se<strong>in</strong>er Untersuchung mit dem Titel „Die skeptische Generation“ von<br />

1957 zur westdeutschen Jugend zwischen 1945 <strong>und</strong> 1955 vertrat er die Auffassung, die<br />

Jugend habe sich re<strong>in</strong> auf den materiellen Wie<strong>der</strong>aufbau konzentriert, <strong>während</strong> das<br />

Verhalten <strong>der</strong> Erwachsenen, die ebenfalls unter den Folgen <strong>der</strong> Zusammenbruchsgesellschaft<br />

litten, ihr <strong>in</strong> dieser Zeit nur wenig Identifikations- <strong>und</strong> Orientierungshilfen geboten<br />

hätte. 417 Inwieweit allgeme<strong>in</strong>e Schlussfolgerungen aus solchen Äußerungen gezogen<br />

werden können, ist fraglich. Schelskys jugendsoziologisches Werk fand sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit als auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Soziologie zunächst große Aufmerksamkeit. Se<strong>in</strong><br />

methodischer Ansatz, auf Basis von E<strong>in</strong>zelphänomenen jugendlicher Verhaltensweisen<br />

allgeme<strong>in</strong>e Aussagen zur Nachkriegsjugend zu generieren, gilt <strong>in</strong>dessen nach heutigen<br />

Maßstäben als überholt. Die Bef<strong>und</strong>e aus den Archiven bestätigen, was die Lage <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> anbelangt, jedoch den Teilaspekt, dass viele Erwachsene eher hilflos auf die<br />

Bef<strong>in</strong>dlichkeiten <strong>der</strong> Jugend reagierten. Gängige Ratschläge an die Jugend hießen etwa:<br />

Abkehr vom Nationalsozialismus, Rückbes<strong>in</strong>nung auf Werte <strong>und</strong> Traditionen aus <strong>der</strong> Zeit<br />

vor 1933, tatkräftiges Anpacken beim Wie<strong>der</strong>aufbau, wobei man auf <strong>der</strong> Suche nach<br />

Überwältigungsstrategien bisweilen sogar selbst den Erfahrungen, die man im Krieg<br />

machen musste, etwas Positives abzur<strong>in</strong>gen versuchte: „kämpfen, improvisieren,<br />

Kameradschaft üben, erf<strong>in</strong>dungsreich se<strong>in</strong>, nüchtern alle Möglichkeiten beim Schopfe<br />

packen <strong>und</strong> sich durchschlagen, wie wir es draußen taten, ebenso für unser Vaterland,<br />

damals wie heute“ 418 , so lautete – wie aus e<strong>in</strong>em Zeitungsbericht, <strong>der</strong> 1946 im SÜDKURIER<br />

erschien, – die Devise.<br />

416 SÜDKURIER vom 25.12.1945.<br />

417 SCHELSKY, Die skeptische Generation, S. 84.<br />

418 SÜDKURIER vom 07.06.1946.


100 III DIE LAGE DER JUGEND IN POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT (1945-1949)<br />

Als aufschlussreich erweisen sich <strong>in</strong> diesem Zusammenhang die E<strong>in</strong>schätzungen von<br />

Angehörigen <strong>der</strong> französischen Militärregierung zur Lage <strong>der</strong> Jugend, welche für beide<br />

Kreise <strong>Konstanz</strong> anhand von Unterlagen, die das M<strong>in</strong>istère des Affaires Etrangères et<br />

Européennes <strong>in</strong> den Archives de l'Occupation Français en Allemagne et en Autriche <strong>in</strong><br />

Colmar verwahrt, gut dokumentiert s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e zentrale Quelle bilden die Berichte <strong>der</strong><br />

Bezirks- <strong>und</strong> Kreisdelegationen, die den übergeordneten Behörden über die allgeme<strong>in</strong>e<br />

Lage <strong>in</strong> den von ihnen beaufsichtigten Bezirken periodisch berichteten. 419 Die frühen<br />

Berichte zwischen Herbst 1945 <strong>und</strong> 1946 zeichnen e<strong>in</strong> desolates Bild über die Lage <strong>der</strong><br />

Jugend. Die Delegierten auf Bezirks- <strong>und</strong> Kreisebene bewerteten den sittlichen <strong>und</strong><br />

geistigen Zustand <strong>der</strong> Jugendlichen übere<strong>in</strong>stimmend als sehr negativ. 420 Politisch <strong>und</strong><br />

geistig desorientiert, pessimistisch e<strong>in</strong>gestellt, das geistige Niveau eher niedrig, so beurteilten<br />

sie die Jugend im Kreis <strong>Konstanz</strong>. Man führte diese Situation allgeme<strong>in</strong> zum e<strong>in</strong>en<br />

auf die lange Zeit <strong>der</strong> NS-Herrschaft <strong>und</strong> des Krieges zurück. Zum an<strong>der</strong>en erkannte man<br />

bereits die Gefahren <strong>der</strong> Besatzung für die Jugend. 421 Die Jugend fühle sich, wie es <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Bericht des Bildungsbeauftragten <strong>der</strong> Militärdelegation von Ende 1945 heißt, im<br />

Stich gelassen <strong>und</strong> wirke desorientiert <strong>und</strong> orientierungslos. Nach dem Ende des Nationalsozialismus<br />

hätte sie ihre Ideale verloren <strong>und</strong> wäre sie aufgr<strong>und</strong> ihrer langen E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />

<strong>in</strong> die nationalsozialistischen Organisationen sehr unselbstständig. Erschwerend komme<br />

oftmals e<strong>in</strong>e schwierige familiäre Situation h<strong>in</strong>zu, etwa wenn <strong>der</strong> Vater fehle o<strong>der</strong> die<br />

Mutter arbeiten müsse. 422<br />

Den Berichten aus <strong>Konstanz</strong> vom September 1945 zufolge bildete zudem <strong>der</strong> Faktor<br />

„Langeweile“ e<strong>in</strong> Problem unter Jugendlichen. Als ursächlich wurde die Schließung <strong>der</strong><br />

Schulen genannt. Vor allem die jungen Männer <strong>und</strong> Jugendliche aus nicht bürgerlichem<br />

Milieu wurden als problematisch e<strong>in</strong>gestuft. Die Franzosen hielten die Jugen<strong>der</strong>ziehung<br />

angesichts <strong>der</strong> geschil<strong>der</strong>ten Problematik für e<strong>in</strong>e schwierige, langwierige Aufgabe, die<br />

die Zusammenarbeit vieler Verantwortlicher aller kulturellen <strong>und</strong> weltanschaulichen Richtungen<br />

erfor<strong>der</strong>lich machte. Der <strong>Konstanz</strong>er Kreisdelegierte formulierte es ebenso kurz<br />

wie prägnant: „Il faudra donc d’autant plus de bons éducateurs“ 423 – um <strong>der</strong> schwierigen<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Jugen<strong>der</strong>ziehung gerecht zu werden, benötigte man aus Sicht <strong>der</strong> Franzosen<br />

demzufolge <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie gute Erzieher.<br />

Zu e<strong>in</strong>er ähnlichen Schlussfolgerung kommt Jean Lucien Estrade, Kreisdelegierter im<br />

damals zu Württemberg-Hohenzollern gehörigen Landkreis Tuttl<strong>in</strong>gen, <strong>der</strong> die Auffassung<br />

vertrat, dass die Angehörigen <strong>der</strong> Militärregierung zugleich „Diplomaten, Botschafter<br />

<strong>der</strong> demokratischen Ideen, Berater <strong>und</strong> Wegweiser“ 424 zu se<strong>in</strong> hätten. Die<br />

„ungeheuer große <strong>und</strong> vielschichtige Aufgabe“ könnten, wie er weiter ausführt, „wohl nur<br />

419 Délégation Provenciale du Bade Sud, L 1-101; Délégation de District de Constance, Cab<strong>in</strong>et Dossier:<br />

Rapports périodiques 1945-1949; MAE AOFAA, C 1101/1.<br />

420 Monatsbericht <strong>der</strong> Militärregierung, Kreis <strong>Konstanz</strong>, vom September 1945; MAE AOFAA, C 1101/1.<br />

421 Bericht <strong>der</strong> Militärregierung, Kreis <strong>Konstanz</strong>, vom 07.11.1945; MAE AOFAA, C 1101/1.<br />

422 Affaires Adm<strong>in</strong>istratives 1ère Partie, Interieur et cultes vom 10.11.1945; MAE AOFAA, C 1101/1.<br />

423 Gouvernement militaire d’Allemagne, Pays de Bade, Detachement I de Constance, 17.09.1945,<br />

2me partie, Chapitre VII (jeunesse); MAE AOFAA, C 1101/1; vgl. Anhang A 1.1.<br />

424 ESTRADE, Tuttl<strong>in</strong>gen April 1945-September 1949, S. 142; vgl. auch die folgenden Zitate.


III.4 JUGENDLICHE LEBENSWELTEN UND ALLTAGSNÖTE 101<br />

kompetente, erfahrende [sic] Kräfte übernehmen, die sich ihrer Verantwortung bewusst“<br />

wären. Zugleich räumte er allerd<strong>in</strong>gs realistischerweise e<strong>in</strong>, dass „unser Beamter“ –<br />

geme<strong>in</strong>t war wohl <strong>der</strong> zuständige Jugendoffizier – zwar „alle diese Fähigkeiten“ hätte,<br />

jedoch se<strong>in</strong> Arbeitsbereich […] viel zu umfassend wäre, als dass er se<strong>in</strong>er Aufgabe so<br />

gerecht werden könnte, „wie es se<strong>in</strong> sollte <strong>und</strong> es leicht machbar wäre, hätte er nur e<strong>in</strong>en<br />

Kreis unter sich.“ Zugleich lässt dieser Bericht darauf schließen, dass sich die Lage <strong>der</strong><br />

<strong>Konstanz</strong>er Jugend nicht von <strong>der</strong>jenigen <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Kreisgebieten unterschied. So<br />

beschreibt <strong>der</strong> Tuttl<strong>in</strong>ger Kreisdelegierte die Situation <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Sprengel folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

[…] Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs erlebt die Jugend den E<strong>in</strong>sturz <strong>der</strong><br />

ganzen HJ-Organisation <strong>und</strong> <strong>der</strong> von ihr gepredigten Ideale. Sie war aus <strong>der</strong> Fassung<br />

gebracht <strong>und</strong> konnte das ganze Ausmaß <strong>der</strong> Katastrophe, die auf sie nie<strong>der</strong>g<strong>in</strong>g, noch<br />

nicht absehen <strong>und</strong> kannte auch nicht die wahren Gründe, die sie herbeigeführt hatten.<br />

Allmählich hat sie sich wie<strong>der</strong> gefasst, hat gelernt, sich umzusehen, zu vergleichen<br />

<strong>und</strong> nachzudenken … [sic]. Auch wenn wir mit Freude feststellen, daß [sic] die<br />

zugelassenen Vere<strong>in</strong>igungen <strong>in</strong>sgesamt immer mehr Aktivitäten entwickeln [sic], so<br />

steht auch fest, daß [sic] unsere Aufgabe erst anfängt. […] 425<br />

Noch im Jahr 1947 schätzten die französischen Verantwortlichen die Situation <strong>der</strong> Jugend,<br />

mit Blick auf die beiden Kreise <strong>Konstanz</strong> weiterh<strong>in</strong> als kritisch e<strong>in</strong>. Den Berichten <strong>der</strong><br />

Militärregierung zufolge blickten viele junge Menschen im Kreisgebiet skeptisch <strong>und</strong><br />

besorgt <strong>in</strong> die Zukunft. 426 H<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Bewertung <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> wird erstmals<br />

etwas Optimismus erkennbar, wobei es allerd<strong>in</strong>gs tief greifende weltanschauliche<br />

Unterschiede zwischen politischen <strong>und</strong> konfessionell geb<strong>und</strong>enen Jugendgruppen gab.<br />

Beson<strong>der</strong>s skeptisch betrachtete man den großen E<strong>in</strong>fluss, den die katholische Kirche, die<br />

<strong>in</strong> Baden nach E<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> Franzosen nicht gerade e<strong>in</strong> Hort des Wi<strong>der</strong>stands gegen<br />

den Nationalsozialismus gewesen war, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong>nahm.<br />

Erst ab 1948 dokumentieren die Berichte entscheidende Verbesserungen <strong>und</strong> <strong>in</strong>formieren<br />

über zahlreiche Initiativen <strong>und</strong> Projekten im Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en<br />

Kulturarbeit <strong>und</strong> auf sportlichem Gebiet. 427 E<strong>in</strong> ausführlicher Jugendbericht von<br />

1950/1951, dessen Kernaussagen im Laufe dieser Untersuchung im E<strong>in</strong>zelnen mehrfach<br />

zur Sprache kommen werden, zeichnet schließlich e<strong>in</strong> differenziertes Bild zur Lage <strong>der</strong><br />

Jugend <strong>und</strong> dokumentiert zahlreiche Sport- <strong>und</strong> Jugendaktivitäten im Kreisgebiet. 428<br />

425<br />

ESTRADE, Tuttl<strong>in</strong>gen April 1945-September 1949, S. 142.<br />

426<br />

Jahresbericht <strong>der</strong> Militärregierung, Bezirk <strong>Konstanz</strong>, vom 1947, hier Abteilung Sport et Jeunesse; MAE<br />

AOFAA, C 1101/1.<br />

427<br />

Jahresberichte <strong>und</strong> Rapports Trimestriels <strong>der</strong> Abteilung Sport et Jeunesse <strong>der</strong> Militärregierung, Kreis<br />

<strong>Konstanz</strong>, 1948-1949; MAE AOFAA, C 1101/1 <strong>und</strong> 1950-1951; MAE AOFAA, C 1101/2.<br />

428<br />

Berichte <strong>der</strong> Militärregierung, Distrikt <strong>Konstanz</strong>, <strong>der</strong> Jahre 1950-1951; MAE AOFAA, C 1101/2.


IV Der Neubeg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> nach<br />

dem Ende des Zweiten Weltkriegs (1945-1949)<br />

1 Gr<strong>und</strong>züge <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Den wissenschaftlichen Untersuchungen zur Besatzungszeit <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> von KLÖCKLER<br />

zufolge glie<strong>der</strong>t sich die unmittelbare Phase, die nach <strong>der</strong> Lehrme<strong>in</strong>ung <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en<br />

Geschichtsschreibung 1945 mit Kriegsende e<strong>in</strong>setzte <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>esrepublik im Herbst 1949 beendet war, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Anfangsphase zwischen Frühjahr<br />

<strong>und</strong> Herbst 1945, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Konsolidierungsphase von Herbst 1945 bis Herbst 1946, als sich<br />

die Militärregierung auf Geme<strong>in</strong>de- <strong>und</strong> Landkreis-, Bezirks-, Landes- <strong>und</strong> Zonenebene<br />

organisierte, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Phase zwischen November 1946 bis Anfang 1948, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Besatzungsherrschaft<br />

vor Ort ihren Höhepunkt erreichte, sowie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Spätphase von 1948 bis<br />

September 1949, <strong>während</strong> <strong>der</strong> den deutschen Behörden die Entscheidungskompetenzen<br />

zurückgegeben wurden. 429 Dieses Zeit-Phasen-Schema ist auf die Gegebenheiten <strong>der</strong><br />

außerschulischen <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> durchaus übertragbar. Nach Kriegsende <strong>und</strong><br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> militärischen Phase <strong>der</strong> Besatzung waren die ersten Aktivitäten auf dem<br />

Gebiet <strong>der</strong> Jugendpolitik <strong>in</strong> allen Besatzungszonen zunächst „Negativmaßnahmen“, das<br />

heißt: Sie bestanden aus Verboten. Die Schulen wurden geschlossen <strong>und</strong> Jugendorganisationen<br />

untersagt. Das Verbot <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit betraf alle NS-Jugendorganisationen,<br />

namentlich die Hitler-Jugend <strong>und</strong> alle dazugehörigen Untergruppierungen <strong>und</strong> angeschlossenen<br />

Organisationen wie Jungvolk, BDM, Studentenb<strong>und</strong> etc. 430<br />

Den Maßnahmen lagen e<strong>in</strong>erseits Sicherheits<strong>in</strong>teressen <strong>der</strong> Alliierten zugr<strong>und</strong>e,<br />

an<strong>der</strong>erseits zielten sie auf die Ausschaltung des Nationalsozialismus <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

Jugend. 431 Die Planungsphase fällt zeitlich mit dem Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Konsolidierungsphase im<br />

Herbst 1945 zusammen. In dieser Phase kamen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Kreisen erste Maßnahmen <strong>in</strong><br />

Gang: Jugendorganisationen gründeten sich neu, e<strong>in</strong>zelne Jugendhäuser etwa <strong>in</strong> Vill<strong>in</strong>gen<br />

<strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong> wurden eröffnet etc. Alles <strong>in</strong> allem konzentrierten sich die jugendpolitischen<br />

Aktivitäten <strong>in</strong> dieser Phase jedoch vorwiegend auf den schulischen Bereich.<br />

Da die westlichen Besatzungsmächte <strong>Jugendarbeit</strong> als politische Notwendigkeit im<br />

Rahmen des demokratischen Neubeg<strong>in</strong>ns <strong>in</strong> Deutschland begriffen, wurde sie nach e<strong>in</strong>er<br />

kurzen Übergangsphase, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie generell verboten war, bald restituiert. Nachdem die<br />

Schulen <strong>und</strong> Universitäten wie<strong>der</strong>eröffnet worden waren, erlebte schließlich auch die<br />

außerschulische <strong>Jugendarbeit</strong> r<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Dreivierteljahr nach Beendigung des Zweiten<br />

Weltkriegs e<strong>in</strong>en Aufschwung. Die französische Jugendpolitik machte sich im gesamten<br />

Zonengebiet außerhalb <strong>der</strong> Schulen „<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er aktiven Politik gegenüber den Jugendbe-<br />

wegungen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anregung <strong>und</strong> Betreuung <strong>der</strong> Volkshochschulen sowie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Initiierung<br />

429<br />

KLÖCKLER, Besatzungspolitik, S. 17-19; DERS., <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit<br />

(1945-1947), <strong>in</strong>: MONTFORT 47 (1995), S. 216-230.<br />

430<br />

Zur Organisationsstruktur nach dem Stand vom 01.07.1933 siehe KRAFELD, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 111.<br />

431 STADTARCHIV ROTTWEIL (Hg.), Chronik, S. 12.


104 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

<strong>in</strong>ternationaler Begegnungen“ 432 bemerkbar. In e<strong>in</strong>em ersten Schritt gründeten sich mit<br />

Genehmigung <strong>der</strong> Franzosen Anfang 1946 die Jugendorganisationen wie<strong>der</strong> neu. In e<strong>in</strong>em<br />

weiteren Schritt wurde noch im gleichen Jahr nach dem bisherigen Kenntnisstand<br />

zum<strong>in</strong>dest im südbadischen Landesteil mit dem Neuaufbau <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege<br />

begonnen. Jugendhäuser, Jugendbildungswerke <strong>und</strong> Volkshochschulen wurden gegründet,<br />

Abteilungen für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung bei den Stadtverwaltungen e<strong>in</strong>gerichtet,<br />

433 wobei es bei diesem Teilbereich <strong>der</strong> außerschulischen <strong>Jugendarbeit</strong> wohl große<br />

regionale Unterschiede <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Landesteilen <strong>der</strong> französischen Zone gab.<br />

Ziel aller jugendpolitischen Maßnahmen im außerschulischen Bereich war es, <strong>der</strong><br />

Jugend e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Freizeitbeschäftigung anzubieten, um dadurch <strong>der</strong> Verwahrlosung<br />

<strong>der</strong> jungen Generation <strong>in</strong> den Wirren <strong>der</strong> Nachkriegszeit vorzubeugen. Allerd<strong>in</strong>gs wurde<br />

die <strong>Jugendarbeit</strong> stets kontrolliert <strong>und</strong> reglementiert. Erst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Spätphase <strong>der</strong> Besatzung<br />

wurde die strenge Beaufsichtigung gelockert <strong>und</strong> den Verantwortlichen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

wie<strong>der</strong> eigene Entscheidungsbefugnisse zugestanden. Am Ende dieser Phase verlor<br />

Frankreich im Gefolge des Besatzungsstatuts <strong>und</strong> den Wahlen <strong>der</strong> ersten B<strong>und</strong>esregierung<br />

ab 1949 se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss im deutschen Südwesten auf die Jugendpolitik, vornehmlich<br />

zugunsten von B<strong>und</strong>, Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den. 434<br />

Betrachten wir die soeben skizzierten Gr<strong>und</strong>züge dieser <strong>Entwicklung</strong> im Folgenden<br />

etwas näher. Aus methodischen Gründen wird zwischen <strong>der</strong> öffentlichen <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>der</strong><br />

Kommunen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit freier Träger unterschieden. Dazu ist anzumerken,<br />

dass beide Bereiche <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> h<strong>in</strong>sichtlich ihrer Trägerschaft formell erst<br />

im Zuge <strong>der</strong> Novellierung des Jugendwohlfahrtsgesetzes von 1953 unterschieden werden,<br />

sodass seither für die Jugendverbände <strong>der</strong> Begriff „freie Träger“, für die geme<strong>in</strong>dliche<br />

Jugendpflege die Bezeichnung „öffentliche Träger“ gebräuchlich ist. 435 Die folgenden<br />

Abschnitte befassen sich zunächst mit <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> örtlichen Jugendverbände,<br />

bevor es anschließend um die Strukturen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> kommunalen <strong>Jugendarbeit</strong><br />

nach 1945 gehen wird.<br />

2 Reorganisation <strong>der</strong> Jugendverbände<br />

Jugendverbände def<strong>in</strong>ieren sich als Zusammenschlüsse von Gleichges<strong>in</strong>nten, die<br />

h<strong>in</strong>sichtlich ihrer Freizeitgestaltung <strong>und</strong> Hobbys ähnliche Interessen wie sportliche<br />

Betätigung, geme<strong>in</strong>sames Musizieren, Wan<strong>der</strong>n verb<strong>in</strong>den. Neben dem Aspekt <strong>der</strong><br />

Geselligkeit ist meist e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Beschäftigung mit <strong>der</strong> <strong>in</strong>haltlichen Orientierung <strong>der</strong><br />

jeweiligen Gruppierung charakteristisch. Kennzeichnend s<strong>in</strong>d darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e von den<br />

432 PLUM, Französische Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland, S. 280.<br />

433 Zu den e<strong>in</strong>zelnen Komponenten <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> vgl. etwa das Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums<br />

des Inneren an die Landratsämter <strong>und</strong> Stadtverwaltungen <strong>der</strong> Städte Baden-Baden, Freiburg <strong>und</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> betreffend die Stellung <strong>der</strong> Jugendorganisationen, Jugendbildungswerke <strong>und</strong> Jugendausschüsse<br />

im Lande Baden, Anhang A 2.2.<br />

434 ROSENWALD; THEIS, Enttäuschung <strong>und</strong> Zuversicht, S. 20.<br />

435 KRAFELD, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 133.


IV.2 REORGANISATION DER JUGENDVERBÄNDE 105<br />

Jugendlichen weitgehend selbst organisierte Struktur sowie die Form <strong>der</strong> Gruppenarbeit<br />

<strong>und</strong> regelmäßige Zusammenkünfte etwa <strong>in</strong> Form von Heimabenden, Ausflügen, Fahrten<br />

als Organisationspr<strong>in</strong>zip. Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit stehen neben <strong>der</strong><br />

Pflege <strong>der</strong> Geselligkeit die spezifischen weltanschaulichen Interessen des jeweiligen<br />

Verbands.<br />

Charakteristisch für die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Jugendbewegung vom Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

bis zur „Machtergreifung“ im Jahr 1933 war ihre Teilung <strong>in</strong> zwei unterschiedliche<br />

weltanschauliche Richtungen, die zum e<strong>in</strong>en durch die bürgerliche Jugendbewegung,<br />

zum an<strong>der</strong>en durch die Arbeiterjugendbewegung repräsentiert wurden. Die Ursprünge <strong>der</strong><br />

bürgerlichen Jugendverbände reichen zurück bis zur Entstehung <strong>der</strong> bündischen Jugendbewegung<br />

auf dem Hohen Meißner bei Kassel im Jahr 1913. Den Anlass bildete das<br />

Gedenken an die Völkerschlacht von Leipzig 1813. 436 Im Vergleich zur Arbeiterjugend<br />

handelte es sich entsprechend <strong>der</strong> sozialen Schichtung <strong>der</strong> Gesellschaft im Fall <strong>der</strong><br />

bürgerlichen Jugendbewegung um e<strong>in</strong>e verhältnismäßig kle<strong>in</strong>e Gruppe. Hauptsächlich bot<br />

sie Jugendlichen, die aus <strong>der</strong> Oberschicht stammten, e<strong>in</strong>e weltanschauliche Heimat.<br />

Die Arbeiterjugendbewegung entwickelte sich ab 1903 im Kontext <strong>der</strong> zeitgleich<br />

gegründeten zahlreichen Arbeiterbildungsvere<strong>in</strong>e. Ihre Entstehung ist auf den gesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlichen Wandel im Gefolge <strong>der</strong> Industrialisierung zurückzuführen.<br />

437 Zu den Begleitersche<strong>in</strong>ungen dieser <strong>Entwicklung</strong> zählten unter an<strong>der</strong>em<br />

Faktoren wie die Ausbildung <strong>in</strong>dustriell geprägter Ballungszentren, <strong>der</strong> Bevölkerungsanstieg,<br />

das Entstehen neuer gesellschaftlicher Gruppen <strong>und</strong> das Anwachsen <strong>der</strong><br />

Industriearbeiterschaft. Im Gegensatz zur bürgerlichen Jugendbewegung waren die Ziele<br />

<strong>der</strong> Arbeiterjugend vorrangig politischer Natur. Im Mittelpunkt des Interesses standen vor<br />

allem Fragen <strong>der</strong> Weiterbildung <strong>und</strong> des Lehrl<strong>in</strong>gsschutzes. Ab den 1920er-Jahren erfolgte<br />

e<strong>in</strong>e stärkere Anb<strong>in</strong>dung an die Arbeiterparteien KPD, SPD <strong>und</strong> USPD. Neben zahlreichen<br />

Unterschieden wiesen beide Lager <strong>der</strong> Jugendbewegung auch e<strong>in</strong>e ganze Reihe an<br />

Geme<strong>in</strong>samkeiten auf. Dazu zählten die Organisationsform des B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> die damit<br />

verb<strong>und</strong>enen Ausdrucksformen <strong>der</strong> jugendlichen Freizeitarbeit, vor allem Wan<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>und</strong> Fahrten sowie das für die Jugendbewegung typische Liedgut.<br />

In <strong>der</strong> Weimarer Zeit zersplitterte sich die Jugendbewegung <strong>in</strong> viele Jugendverbände<br />

mit unterschiedlichen ideologischen Ausrichtungen, <strong>und</strong> es bildete sich e<strong>in</strong> kaum zu überschauendes<br />

Spektrum an Bünden heraus. Die größten <strong>und</strong> beständigsten Jugendorganisationen<br />

waren <strong>der</strong> Deutsche Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>b<strong>und</strong> sowie die Jugendbünde <strong>der</strong> katholischen <strong>und</strong><br />

protestantischen Kirchen. In <strong>Konstanz</strong> gab es Ansätze e<strong>in</strong>er organisierten Jugendgruppenarbeit,<br />

bevor im Zuge <strong>der</strong> nationalsozialistischen „Machtübernahme“ im Jahr 1933 sämtliche<br />

Jugendverbände verboten o<strong>der</strong> <strong>in</strong> die Hitler-Jugend überführt wurden. 438<br />

Die Wie<strong>der</strong>gründungsphase <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugendverbände zwischen 1946 <strong>und</strong> 1949<br />

verlief <strong>in</strong> vielerlei H<strong>in</strong>sicht parallel zur allgeme<strong>in</strong>en <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> westdeutschen<br />

436 An dieser Stelle sei auf folgende Überblicksdarstellungen h<strong>in</strong>gewiesen: GIESECKE, Wan<strong>der</strong>vogel; JAIDE,<br />

Generationen; BAACKE (Hg.), Jugend; BÖHNISCH, Handbuch Jugendverbände.<br />

437 BETTERMANN, Strukturen, <strong>in</strong>: WOLLENWEBER, Jugendbildung <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 54-55.<br />

438 BURCHARDT, Jugend <strong>und</strong> Schule, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), Alltagswelten, S. 108-115, hier S. 109.


106 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Jugendverbandsarbeit. Als die Franzosen Anfang 1946 die Gründung von Jugendverbänden<br />

wie<strong>der</strong> erlaubten, wurden auch <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> rasch die ersten Jugendorganisationen<br />

<strong>in</strong>s Leben gerufen. Zusammenschlüsse <strong>der</strong> „ersten St<strong>und</strong>e“ waren die Jugendgruppen <strong>der</strong><br />

Kirchen, die Naturfre<strong>und</strong>ejugend, die „Freie Jugend“ sowie Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen. Im Juli<br />

1946 gab es <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> bereits jeweils Ortsgruppen <strong>der</strong> Katholischen Jugend, des<br />

Evangelischen Jugendwerks, <strong>der</strong> Freien Jugend, <strong>der</strong> Naturfre<strong>und</strong>ejugend sowie diverse<br />

Sportgruppen. 439 Im Laufe <strong>der</strong> Jahre 1947/1948 wurden die katholische Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppe<br />

St. Michael, die Alt-katholische Jugend <strong>und</strong> die Ortsgruppe <strong>der</strong> Gewerkschaftsjugend <strong>in</strong>s<br />

Leben gerufen. 440<br />

Ortsgruppen <strong>der</strong> <strong>in</strong> Baden<br />

zugelassenen Organisationen<br />

1947 1948 1949<br />

Anzahl <strong>der</strong> Jugendgruppen<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Ortsverbände<br />

1. Katholische Jugend 13 13 13<br />

2. Evangelische Jugend 3 4 3<br />

3. Alt-katholische Jugend -- 1 1<br />

4. Naturfre<strong>und</strong>ejugend 1 2 2<br />

5. Freie demokratische Jugend -- -- 1<br />

6. Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppe St. Michael 1 1 1<br />

Summe 18 21 21<br />

TABELLE 1: Jugendverbände im Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> 1947-1949 441<br />

Die obige Tabelle macht zweierlei deutlich: Zum e<strong>in</strong>en war nur e<strong>in</strong>e überschaubare<br />

Anzahl an Jugendorganisationen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> genehmigt, <strong>und</strong> zwar ausschließlich die<br />

Ortsgruppen <strong>der</strong> im Lande Baden zugelassenen Jugendorganisationen. 442 Zum an<strong>der</strong>en<br />

än<strong>der</strong>ten sich bis 1949 die Anzahl <strong>und</strong> Zusammensetzung <strong>der</strong> lizenzierten Jugendorganisationen<br />

kaum. 443 Analog zur Praxis <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Zonen wurden die Jugendorganisationen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone außerdem aufgr<strong>und</strong> des alliierten Dezentralitätspostulates<br />

zunächst nur auf örtlicher Ebene erlaubt.<br />

439 StAK, S II 12360.<br />

440 StAK, S XII.<br />

441 Die Zusammenstellung basiert auf den Angaben <strong>in</strong> den Monats- bzw. Vierteljahresberichten <strong>der</strong><br />

Abteilung Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendpflege bei <strong>der</strong> Stadtverwaltung <strong>Konstanz</strong> an die Militärregierung im<br />

StA <strong>Konstanz</strong>, Abteilung Jugendpflege, Statistiken 041, begonnen im Oktober 1947.<br />

442 FEHRLEN; SCHUBERG, Westdeutsche Jugendverbandsarbeit, S. 70.<br />

443 Während <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> amerikanischen Zone das Jugendverbandswesen auf breiter Basis wie<strong>der</strong><br />

entstand, verfuhren, wie ZAUNER <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Untersuchung zur französischen Kulturmission im besetzten<br />

Deutschland feststellt, die Franzosen „im Jugendverbandswesen nach dem Pr<strong>in</strong>zip des e<strong>in</strong>geschränkten<br />

Pluralismus“ <strong>und</strong> ließen aus Sicherheitsgründen nur wenige Jugendgruppen zu; vgl. ZAUNER,<br />

Kulturmission, S. 164.


IV.2 REORGANISATION DER JUGENDVERBÄNDE 107<br />

2.1 För<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> Kontrolle durch die französischen Behörden<br />

Der französische Leiter <strong>der</strong> Landesabteilung Jugendbildung <strong>und</strong> Sport <strong>in</strong> Freiburg,<br />

Jacques Deshayes, betonte im Dezember 1946 anlässlich e<strong>in</strong>er Sitzung des <strong>Konstanz</strong>er<br />

Jugendausschusses, dass „die Arbeit <strong>der</strong> Militärregierung nicht e<strong>in</strong>e Kontrolle <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

darstellen solle“; vielmehr wolle man „nur Richtl<strong>in</strong>ien geben <strong>und</strong> beim Neuaufbau<br />

<strong>der</strong> Jugend <strong>und</strong> Jugendorganisationen behilflich se<strong>in</strong>“. 444 In die gleiche Richtung wiesen<br />

zeitgleiche Verlautbarungen <strong>der</strong> Abteilung Jugend <strong>und</strong> Sport des Badischen M<strong>in</strong>isteriums<br />

des Innern <strong>in</strong> Freiburg, wonach die monatlichen Berichte, welche die Jugendorganisationen<br />

<strong>der</strong> Militärregierung abliefern mussten, nicht als Kontrollmaßnahmen aufzufassen<br />

wären, son<strong>der</strong>n lediglich dazu dienten, festzustellen, „ob irgendwelche Schwierigkeiten<br />

auftauchten, damit diesen abgeholfen werden könne“. 445<br />

Diese wohlgewählten Worte konnten <strong>in</strong>dessen nicht darüber h<strong>in</strong>wegtäuschen, dass<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Besatzungsphase <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit nichts ohne<br />

Kontrollen <strong>und</strong> Genehmigungen durch die französische Militärbürokratie vonstatten gehen<br />

konnte. Mithilfe e<strong>in</strong>er ganzen Reihe von Auflagen wollte man die Neuformierung von<br />

Organisationen, die <strong>der</strong> verbotenen Hitler-Jugend nahestanden, verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> jedes<br />

Wie<strong>der</strong>aufkeimen nazistischer <strong>und</strong> militanter Bewegungen unterb<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Mittel,<br />

um dieses Ziel zu erreichen, war die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es klar umschriebenen Lizenzierungsverfahrens,<br />

demzufolge alle gründungswilligen Jugendgruppen e<strong>in</strong>en Antrag auf Zulassung<br />

bei <strong>der</strong> örtlichen Militärbehörde zu stellen hatten. 446 Dabei war Folgendes<br />

anzugeben: Zahl, Alter, Geschlecht <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>und</strong> Betreuer. Zudem mussten m<strong>in</strong>destens<br />

zehn m<strong>in</strong><strong>der</strong>jährige Mitglie<strong>der</strong> nachgewiesen <strong>und</strong> die Satzung e<strong>in</strong>gereicht werden.<br />

Die <strong>in</strong>haltliche Arbeit <strong>der</strong> neuen Jugendverbände beschränkte sich zunächst auf körperliche,<br />

sportliche, moralische, soziale, künstlerische o<strong>der</strong> berufliche Ausbildungsarbeit,<br />

<strong>während</strong> jegliche politische Betätigung <strong>und</strong> selbstverständlich jegliche Form von nationalsozialistischer<br />

Propaganda sowie das Tragen von Uniformen <strong>und</strong> militärischen Emblemen<br />

untersagt waren. Die Militärregierung behielt sich vor, Gruppierungen, die problematische<br />

weltanschauliche Richtungen vertraten o<strong>der</strong> organisatorisch schwer zu kontrollieren<br />

waren, zu verbieten. PLUM bewertet diese Haltung <strong>der</strong> Franzosen als Ausdruck e<strong>in</strong>er<br />

„kontrollierten Demokratisierung“ <strong>und</strong> als wichtige Zielsetzung französischer Jugend- <strong>und</strong><br />

Umerziehungspolitik. Als Hauptmerkmale französischer Jugendpolitik benennt sie zudem<br />

die beiden Komponenten Pluralismus <strong>und</strong> Kontrolle. Der Wunsch nach Pluralismus<br />

äußere sich demzufolge dar<strong>in</strong>, dass „die Jugendorganisationen e<strong>in</strong> breites, aber begrenztes<br />

Spektrum konfessioneller <strong>und</strong> weltanschaulicher Strömungen abdecken sollten“, 447<br />

<strong>während</strong> die Kontrolle <strong>der</strong> Jugendgruppen länger beibehalten wurde als <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en<br />

westlichen Zonengebieten.<br />

Während <strong>in</strong> <strong>der</strong> amerikanischen Zone bereits Kreisjugendkomitees frühzeitig als<br />

untere Instanz bei <strong>der</strong> Überprüfung von Jugendgruppen mitwirkten, oblag die Genehmi-<br />

444 StAK, S II 15150.<br />

445 StAK, S II 15147.<br />

446 StAK, S II 13200.<br />

447 PLUM, Französische Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland, S. 280.


108 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

gung von Jugendgruppen <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Besatzungszone zunächst den Behörden <strong>der</strong><br />

örtlichen Militärregierung, bevor ab Frühjahr 1946 <strong>der</strong> örtliche Jugendausschuss die<br />

Lizenzen vergab. Im Jahr 1947 g<strong>in</strong>g diese Aufgabe an die Stadt- bzw. Kreisjugendpflege<br />

über. Diese <strong>Entwicklung</strong> entsprach e<strong>in</strong>em allgeme<strong>in</strong>en Trend französischer Jugendpolitik,<br />

<strong>der</strong> dah<strong>in</strong> g<strong>in</strong>g, die Aufgaben <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> von den Jugendausschüssen auf die Kommunalverwaltung<br />

zu verlagern. Nach dem Erhalt <strong>der</strong> Lizenz standen die Jugendorganisationen<br />

weiterh<strong>in</strong> unter Aufsicht <strong>und</strong> mussten <strong>der</strong> Besatzungsbehörde über ihre Mitglie<strong>der</strong>stärke<br />

<strong>und</strong> die geplanten Aktivitäten periodisch Rechenschaft abliefern. Beispielsweise<br />

<strong>in</strong>formierte Oberbürgermeister Knapp <strong>während</strong> e<strong>in</strong>er Sitzung des Jugendausschusses im<br />

September 1946 die Vertreter <strong>der</strong> Jugendverbände darüber, dass auf Anweisung <strong>der</strong><br />

Besatzungsmacht alle Jugendorganisationen jeweils zum 10. e<strong>in</strong>es Monats dem Sekretariat<br />

<strong>der</strong> Stadtverwaltung „e<strong>in</strong>en Bericht über ihre Tätigkeit im vergangenen Monat <strong>und</strong> über<br />

das, was sie künftig machen wollen“, 448 vorzulegen hätten. In den ersten beiden Besatzungsjahren<br />

waren Monatsberichte obligatorisch, bevor diese Praxis im Zuge <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en<br />

Entspannungspolitik gelockert wurde. Anfang 1948 gab das Badische M<strong>in</strong>isterium<br />

des Innern bekannt, dass künftig „alle örtlichen Gruppen <strong>der</strong> <strong>in</strong> Baden zugelassenen<br />

Jugendbewegungen“ 449 nur noch vierteljährlich über ihren Mitglie<strong>der</strong>stand zu berichten<br />

hätten. Seit 1950 genügten dann Halbjahresberichte. 450<br />

Anfangs sichtete <strong>der</strong> französische Bezirksdelegierten Degliame persönlich die<br />

Monatsberichte <strong>der</strong> Jugendorganisationen. 451 Nachdem die Stadtverwaltung ab 1948<br />

wie<strong>der</strong> vermehrt Kompetenzen <strong>in</strong> Jugendangelegenheiten wahrnehmen durfte, prüfte die<br />

Abteilung Jugendpflege bei <strong>der</strong> Stadtverwaltung die Berichte, die <strong>in</strong> dreifacher Ausfertigung<br />

jeweils <strong>in</strong> deutscher <strong>und</strong> <strong>in</strong> französischer Sprache bis zum 18. e<strong>in</strong>es Monats dem<br />

Kreisjugendbeauftragten e<strong>in</strong>gereicht werden mussten. 452 Dieser ergänzte sie um die<br />

Angaben <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege <strong>und</strong> gab sie an die Militärregierung weiter. 453 Zu<br />

nennen waren jeweils drei Verantwortliche, die genaue Zahl <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>und</strong> die Zu-<br />

<strong>und</strong> Abgänge. Unter die Meldepflicht fiel zudem jede Än<strong>der</strong>ung auf <strong>der</strong> Leiterebene, denn<br />

vor allem die Jugendleiter wurden genau <strong>in</strong>spiziert – vorrangig <strong>in</strong>teressierte <strong>der</strong>en<br />

politische Vergangenheit. Von jedem über 20 Jahre alten Verantwortlichen e<strong>in</strong>er Jugendorganisation<br />

waren jeweils Name, Titel, Dienstgrad <strong>in</strong> <strong>der</strong> ehemaligen Wehrmacht <strong>und</strong><br />

Zugehörigkeit zur NSDAP o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Glie<strong>der</strong>ungen aufzuführen. 454<br />

Nicht alle Jugendverbände erfüllten die Auflagen stets ordnungsgemäß <strong>und</strong> term<strong>in</strong>gerecht.<br />

Der Jugendausschuss befasste sich mehrfach mit Klagen <strong>der</strong> Militärregierung<br />

über Versäumnisse e<strong>in</strong>zelner Jugendverbände beim Berichtswesen; bei gravierenden<br />

Säumnissen schaltete sich gelegentlich sogar e<strong>in</strong> Vertreter <strong>der</strong> Militärregierung e<strong>in</strong>. So<br />

448<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 02.09.1947; StAK, S XII.<br />

449<br />

Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isterium des Innern vom 19.01.1948 an die Stadtverwaltung; StAK,<br />

S II 13260.<br />

450<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 13.10.1950; StAK, S XII.<br />

451<br />

StAK, S II 12360.<br />

452<br />

Badisches M<strong>in</strong>isterium des Innern vom 19.01.1948; StAK, S II 13260.<br />

453<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 26.08.1947; StAK, S XII.<br />

454<br />

KrAFN, Bestand Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, ÜB-A 49a.


IV.2 REORGANISATION DER JUGENDVERBÄNDE 109<br />

stellte Jugendoffizier Marot im Sommer 1947 aus Anlass e<strong>in</strong>er Jugendausschusssitzung<br />

klar, dass man exakte Angaben über Zeit, Ziel <strong>und</strong> Teilnehmer erwarte. Ke<strong>in</strong>esfalls dürfe<br />

es „e<strong>in</strong>fach heißen, […] gelegentlich werde e<strong>in</strong>e Wan<strong>der</strong>ung unternommen“. 455<br />

Zwar mussten die Jugendverbände <strong>in</strong> früher Nachkriegszeit zahlreiche E<strong>in</strong>schränkungen<br />

<strong>und</strong> Kontrollmaßnahmen akzeptieren, dennoch nahmen sie im französischen<br />

Besatzungsgebiet e<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung beim Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong> – galten sie<br />

doch als „notwendige <strong>und</strong> wichtige Ergänzung zur Erziehung des Elternhauses <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Schule“, wie es Marcel Nordmann, damals noch Staatssekretär des Badischen M<strong>in</strong>isteriums<br />

des Innern, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben an die Landratsämter <strong>und</strong> Stadtverwaltungen <strong>in</strong><br />

Baden vom April 1947 formulierte. 456 Die Franzosen för<strong>der</strong>ten die Neu- bzw. Wie<strong>der</strong>gründung<br />

von Verbänden, sofern sie gewissen Auflagen entsprachen. Außerdem hatten<br />

alle Jugendorganisationen Sitz <strong>und</strong> Stimme im örtlichen Jugendausschuss. Überregionale<br />

Zusammenschlüsse blieben den Jugendorganisationen jedoch, wie schon an früherer Stelle<br />

<strong>der</strong> Arbeit gezeigt wurde, untersagt, da sie mit französischen Sicherheits<strong>in</strong>teressen <strong>und</strong><br />

den damit verb<strong>und</strong>enen For<strong>der</strong>ungen nach e<strong>in</strong>er strikten Dezentralisierung im H<strong>in</strong>blick auf<br />

deutsche Verwaltungen <strong>und</strong> Verbandsstrukturen kollidierten.<br />

Das strenge Reglement bedeutete freilich nicht, dass Jugendverbände nicht unterstützt<br />

worden wären. Die badischen Jugendverbände hatten beispielsweise Teil an Sammlungen<br />

<strong>und</strong> Hilfslieferungen, die auf Initiative <strong>der</strong> Militärregierung gestartet wurden. Die<br />

materielle För<strong>der</strong>ung fiel allerd<strong>in</strong>gs im Vergleich zu den an<strong>der</strong>en Westzonen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

französischen Zone deutlich bescheidener aus, da die Jugendför<strong>der</strong>ung neben an<strong>der</strong>en<br />

Gebieten <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Zonen unterschiedlich gehandhabt wurde. Im Gegensatz zu den<br />

Jugendgruppen im amerikanischen Zonengebiet konnten die Jugendverbände <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

französischen Zone nicht auf e<strong>in</strong> gezieltes <strong>und</strong> umfassendes f<strong>in</strong>anzielles Unterstützungsangebot<br />

durch die Franzosen hoffen, das etwa dem amerikanischen GYA-Programm <strong>der</strong><br />

US-Armee vergleichbar gewesen wäre. 457<br />

Die Gründe für diese Haltung s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> <strong>der</strong> politischen E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong><br />

politisch Handelnden <strong>in</strong> Frankreich gegenüber dem besetzten Deutschland, an<strong>der</strong>erseits <strong>in</strong><br />

den dortigen ökonomischen Möglichkeiten zu suchen. Denn zum e<strong>in</strong>en war das Land nach<br />

den Jahren <strong>der</strong> Besatzung <strong>und</strong> des Krieges selbst wirtschaftlich geschwächt. Zum an<strong>der</strong>en<br />

sahen die Franzosen im Gegensatz zu den Amerikanern, <strong>der</strong>en GYA-Programm im<br />

Wesentlichen zur F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong> Jugendverbände diente, die materielle Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Jugendverbände hauptsächlich als staatliche Aufgabe deutscher Behörden an. Sofern<br />

die Kommunalverwaltungen aus Sicht <strong>der</strong> Militärregierung ihrer Aufgabe <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

Jugendför<strong>der</strong>ung aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> kommunalen F<strong>in</strong>anznot <strong>der</strong> Nachkriegszeit nicht gerecht<br />

wurden, griff die örtliche Militärbehörde regulierend e<strong>in</strong> <strong>und</strong> stellte sich h<strong>in</strong>ter die<br />

Jugendorganisationen. Beispielsweise for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> französische Bezirksdelegierte Marcel<br />

Degliame 1946 die <strong>Konstanz</strong>er Stadtverwaltung schriftlich dazu auf, die aus se<strong>in</strong>er Sicht<br />

455 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 28.08.1947; StAK, S XII.<br />

456 KrAFN, Bestand Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, Nr. Ü-A 49a.<br />

457 RATHFELDER u. a., GYA, S. 17-23.


110 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

„außerordentlich kle<strong>in</strong>liche Sparsamkeit gegenüber den Jugendorganisationen“ 458 zu<br />

beenden <strong>und</strong> diese materiell stärker zu unterstützen.<br />

Während Unterstützungsleistungen aus Beständen des Militärs o<strong>der</strong> Requisitionen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> US-Zone durchaus e<strong>in</strong>e gebräuchliche Praxis zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendverbände<br />

waren, standen <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone nur sporadisch <strong>und</strong> eher unsystematisch<br />

Hilfsgüter für die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendorganisationen zur Verteilung bereit. Im Frühjahr<br />

1947 stellte <strong>der</strong> französische Landesdelegierte Deshayes beispielsweise e<strong>in</strong>ige<br />

Verpflegungsportionen <strong>in</strong> Aussicht, die über die Jugendherbergen, die Kreisjugendpfleger<br />

sowie die Volkhochschulen an Jugendliche verteilt werden sollten. 459 1948 wurden den<br />

S<strong>in</strong>gener Jugendorganisationen mit ihren mehr als 900 Mitglie<strong>der</strong>n 21 Paar „von <strong>der</strong><br />

M[ilitär]R[egierung] freigegebene Le<strong>der</strong>schnürschuhe <strong>der</strong> Marke Riecker [sic]“ 460 angeboten.<br />

Im Sommer desselben Jahres verteilte man Ski-Anzüge für Damen <strong>und</strong> Herren,<br />

sowie Bergschuhe <strong>und</strong> Rucksäcke mit Traggestell an die <strong>Konstanz</strong>er Jugendverbände.<br />

Eher alltagstauglich mögen die mit gleicher Lieferung aufgeführten Slips sowie die<br />

Damen- <strong>und</strong> Herren-Sweater <strong>und</strong> Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsanzüge gewesen se<strong>in</strong>. Zwar ließen sich sicherlich<br />

etliche <strong>der</strong> hier aufgezählten Güter weiterverkaufen o<strong>der</strong> auf dem Schwarzmarkt<br />

absetzen – auch wenn dies freilich verboten war –, die wenigen Beispiele zeigen jedoch,<br />

dass von gezielten o<strong>der</strong> speziell auf den Bedarf von Jugendlichen abgestimmten För<strong>der</strong>maßnahmen<br />

ke<strong>in</strong>e Rede se<strong>in</strong> konnte.<br />

Ungeklärte Zuständigkeiten machten es den Jugendorganisationen zudem bisweilen<br />

nicht gerade leicht, an Beihilfen zu kommen. Als die Naturfre<strong>und</strong>esektion <strong>Konstanz</strong> 1947<br />

bei <strong>der</strong> örtlichen Militärbehörde anfragte, ob es möglich wäre, durch Vermittlung <strong>der</strong><br />

Militärregierung an Wan<strong>der</strong>geräte zu kommen, verwies man sie an die Landesbehörden <strong>in</strong><br />

Freiburg weiter. Die Aktenlage lässt ke<strong>in</strong>e weiteren Rückschlüsse darauf zu, ob die Angelegenheit<br />

dort Beachtung fand. 461 Mo<strong>der</strong>ne Formen <strong>der</strong> Jugendför<strong>der</strong>ung, die aus staatlichen<br />

<strong>und</strong> geme<strong>in</strong>dlichen Mitteln (B<strong>und</strong>esjugendplan, Landesjugendpläne, kommunale<br />

Haushaltspläne) gespeist wurden, kamen erst nach 1949, als sich auf Ebene <strong>der</strong> Län<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> des B<strong>und</strong>es Dachverbände gegründet hatten, zum Tragen.<br />

458 StAK, S II 12360.<br />

459 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 19.01.1948; StAK, S XII.<br />

460 Protokoll des Jugendausschusses für den Landkreis <strong>Konstanz</strong> vom 11.02.1948; StAK, S XII.<br />

461 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 15.12.1947; StAK, S XII.


IV.2 REORGANISATION DER JUGENDVERBÄNDE 111<br />

2.2 Organisationsstrukturen <strong>und</strong> Mitglie<strong>der</strong>daten<br />

In <strong>Konstanz</strong> wirkte die Spaltung <strong>der</strong> Jugendverbände, die e<strong>in</strong> Relikt aus <strong>der</strong> Weimarer Zeit<br />

war, <strong>in</strong> Teilen <strong>der</strong> Jugendbewegung nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gründung ab 1945 zunächst weiter<br />

nach. 462 Die beiden folgenden Tabellen bilden die Strukturdaten <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugendverbände<br />

ab. Sie spiegeln die für die Jugendbewegung bis 1933 charakteristische Unterteilung<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> bürgerliches Lager <strong>und</strong> <strong>in</strong> die Arbeiterjugendbewegung wi<strong>der</strong>.<br />

Jahre 1947 (31.12.) 1948 (31.12.) 1949 (20.6.)<br />

1. Katholische Jugend 867 737 758<br />

2. Evangelische Jugend 284 154 185<br />

3. Alt-katholische Jugend -- 20 21<br />

4. Naturfre<strong>und</strong>ejugend 112 74 87<br />

5. Freie Jugend -- -- 10<br />

6. Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong> 23 50 50<br />

Summe 1.286 1.035 1.111<br />

TABELLE 2: Mitglie<strong>der</strong>zahlen <strong>der</strong> Jugendorganisationen im Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> 1947-1949<br />

(absolute Zahlen) 463<br />

Jahre 1947 (31.12.) 1948 (31.12.) 1949 (20.6.)<br />

1. Katholische Jugend 67,4 % 71,2 % 68,2 %<br />

2. Evangelische Jugend 22,1 % 14,9 % 16,7 %<br />

3. Alt-katholische Jugend -- 1,9 % 1,9 %<br />

4. Naturfre<strong>und</strong>ejugend 8,7 % 7,2 % 7,8 %<br />

5. Freie Jugend -- -- 0,9 %<br />

6. Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong> 1,8 % 4,8 % 4,5 %<br />

Summe 100 % 100 % 100 %<br />

TABELLE 3: Mitglie<strong>der</strong>zahlen <strong>der</strong> Jugendorganisationen im Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> 1947-1949<br />

(relative Zahlen)<br />

Erstmalig <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit begannen sich die Jugendverbände<br />

jedoch <strong>in</strong> dieser Phase allmählich gegenüber an<strong>der</strong>en Trägern <strong>und</strong> Formen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

nach außen h<strong>in</strong> zu öffnen. Zu dieser <strong>Entwicklung</strong> trug die französische Jugend-<br />

462 BURCHARDT, Jugend <strong>und</strong> Schule, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), Alltagswelten, S, 108-115, hier S. 109.<br />

463 Zusammengestellt aus den Monats- bzw. Vierteljahresberichten <strong>der</strong> Abteilung Jugendbildung <strong>und</strong><br />

Jugendpflege bei <strong>der</strong> Stadtverwaltung an die Militärregierung nach den Kopien im StAK, S XII.


112 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

politik, welche die Strukturen für e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Begegnung von Stadtjugendpflege,<br />

offener <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong> Jugendverbandsarbeit schuf, maßgeblich bei. Berührungspunkte<br />

ergaben sich beispielsweise <strong>in</strong> <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen Nutzung des Jugendhauses sowie durch<br />

die geme<strong>in</strong>samen Treffen des Jugendausschusses, <strong>in</strong> dem Repräsentanten <strong>der</strong><br />

Jugendverbände, <strong>der</strong> Stadtverwaltung, Schulen, Kirchen, Wohlfahrtsverbände <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>e<br />

an e<strong>in</strong>em Tisch saßen. Die Verbände waren auf diese Weise <strong>in</strong> alle zentralen Entscheidungsprozesse<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> lokalen <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en. Der Ausschuss bot<br />

den Jugendorganisationen e<strong>in</strong> Forum, um über Wege <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> mitzudiskutieren<br />

<strong>und</strong> eigene Interessen e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen, auch wenn <strong>der</strong> Gestaltungs- <strong>und</strong><br />

Handlungsspielraum <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Ortsgruppen ger<strong>in</strong>g war <strong>und</strong> sich die Militärbehörde<br />

bei allen anstehenden Entscheidungen die Entscheidungsbefugnis vorbehielt. Doch letztlich<br />

diente erst die Bildung von Jugendr<strong>in</strong>gen auf Landes- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esebene zum Abbau<br />

von Rivalitäten zwischen <strong>der</strong> organisierten konfessionell geb<strong>und</strong>enen Jugend <strong>und</strong> bürgerlichen<br />

Jugendverbänden. 464 E<strong>in</strong>e herausragende Rolle fiel <strong>in</strong> diesem Zusammenhang dem<br />

Deutschen B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>g zu.<br />

Interessant ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang die Tatsache, dass im christlich-konservativen,<br />

mittelständisch geprägten <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit vor allem die<br />

Kirchen die Jugendverbandsarbeit vor Ort dom<strong>in</strong>ierten. Insgesamt gehörten zwischen 80<br />

<strong>und</strong> 90 Prozent <strong>der</strong> organisierten Jugend e<strong>in</strong>er kirchlichen Jugendorganisation an. Von<br />

diesen waren zwei Drittel als Mitglied <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er römisch-katholischen Jugendgruppe<br />

engagiert. Alle im Ort vertretenen Konfessionen riefen ab 1946 jeweils eigene Jugendgruppen<br />

<strong>in</strong>s Leben. Im E<strong>in</strong>zelnen handelt es sich um die Katholische Jugend, die<br />

Evangelische Jugend <strong>und</strong> die Alt-katholische Jugend sowie die konfessionell ausgerichtete<br />

Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppe St. Michael, wobei sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> kirchlichen <strong>Jugendarbeit</strong> die für <strong>Konstanz</strong><br />

typische dreigeteilte Konfessionsstruktur wi<strong>der</strong>spiegelt. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> spezifischen<br />

Religionsstruktur <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung, die noch <strong>in</strong> den 1950er-Jahren etwa zu<br />

zwei Dritteln katholisch war, hatte die Katholische Jugend <strong>Konstanz</strong> die meisten<br />

Mitglie<strong>der</strong>. Zudem war sie zum damaligen Zeitpunkt als e<strong>in</strong>zige Glaubensrichtung <strong>in</strong><br />

Baden landesweit tätig. Zwar behielt die römisch-katholische Kirche nach 1945 <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> ihre Vorrangstellung weiter bei. Allerd<strong>in</strong>gs wuchs <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> evangelischen<br />

Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg parallel zum Zuzug von Heimatvertriebenen<br />

an. Bereits im ausgehenden 19. Jahrh<strong>und</strong>ert hatte sich vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> politischer<br />

<strong>und</strong> kirchenrechtlicher Verän<strong>der</strong>ungen die tradierte Religionsstruktur <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

zugunsten <strong>der</strong> alt-katholischen Kirche verschoben. Christlich orientierte Gruppierungen<br />

zählten vor allem deshalb zu den ersten Jugendorganisationen nach 1945, weil sie die<br />

„Gleichschaltung“ zwischen 1933 <strong>und</strong> 1945 organisatorisch besser überstanden hatten als<br />

die Jugendgruppen <strong>der</strong> Arbeiterbewegung. 465<br />

Während die zuletzt Genannten nahezu vollständig zerschlagen worden waren, waren<br />

<strong>in</strong> christlichen Kreisen teilweise noch alte Strukturen erhalten geblieben, die nach<br />

Kriegsende bald wie<strong>der</strong> reaktiviert werden konnten. Vor allem die katholische Kirche<br />

464 KRAFELD, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 130 f.<br />

465 KRAFELD, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 132.


IV.2 REORGANISATION DER JUGENDVERBÄNDE 113<br />

hatte beim Wie<strong>der</strong>aufbau von Jugendgruppen e<strong>in</strong>en gewissen organisatorischen <strong>und</strong><br />

personellen Vorsprung gegenüber neuartigen Gruppierungen o<strong>der</strong> den Kommunen, da<br />

anfangs die Pfarrer Jugendleiterfunktionen übernahmen, bis geeignete Gruppenleiter<br />

ausgebildet waren. Geistliche wie <strong>der</strong> evangelische Dekan Mono o<strong>der</strong> Dekan Heischen<br />

von <strong>der</strong> alt-katholischen Christusgeme<strong>in</strong>de vertraten die Jugendgruppen zudem im<br />

Jugendausschuss. 466<br />

Die Vorherrschaft <strong>der</strong> Kirche <strong>in</strong> <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> wi<strong>der</strong>sprach allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>igen zentralen Punkten den jugendpolitischen Positionen <strong>der</strong> Franzosen. Nach <strong>der</strong>en<br />

Willen sollte zum e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> organisierten <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong> möglichst breites<br />

Spektrum aller gesellschaftlich relevanten Gruppierungen vertreten se<strong>in</strong>. Zum an<strong>der</strong>en<br />

stand das starke kirchliche Engagement <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> dem <strong>in</strong> Frankreich<br />

verfassungsmäßig verankerten obersten Pr<strong>in</strong>zip des Laizismus, demzufolge die Religion<br />

als Privatsache gilt <strong>und</strong> im öffentlichen Leben ke<strong>in</strong>e Relevanz hat, entgegen. Der römischkatholische<br />

Zentralismus passte außerdem nicht zur besatzungspolitischen For<strong>der</strong>ung nach<br />

dezentralen Strukturen im Vere<strong>in</strong>s- <strong>und</strong> Verbandwesen. H<strong>in</strong>zu kam, dass viele französische<br />

Besatzungspolitiker den deutschen Klerus als ehemals mehrheitlich nationalistisch<br />

e<strong>in</strong>gestellt e<strong>in</strong>stuften. 467 Die E<strong>in</strong>beziehung <strong>der</strong> katholischen Kirche <strong>in</strong> den Wie<strong>der</strong>aufbau<br />

<strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit war allerd<strong>in</strong>gs bei aller Skepsis vonseiten <strong>der</strong> Militärregierung<br />

aus traditionellen Gründen unumgänglich.<br />

Neben den konfessionellen Gruppen entstanden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit die bürgerlich<br />

sowie die sozialistisch orientierten Jugendorganisationen wie<strong>der</strong> neu. In <strong>Konstanz</strong><br />

handelte es sich um die Ortsgruppen <strong>der</strong> Naturfre<strong>und</strong>e 468 <strong>und</strong> <strong>der</strong> Freien Jugend. Die<br />

Jugendgruppen <strong>der</strong> sozialistisch orientierten Kultur- o<strong>der</strong> Freizeitorganisationen waren<br />

beim Neuaufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> nach Kriegsende mit sehr viel größeren Problemen als<br />

die Kirchen konfrontiert. Ihr Rückstand gegenüber kirchlichen Gruppen war neben <strong>der</strong><br />

konfessionellen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Zusammensetzung <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung<br />

e<strong>in</strong> Resultat ihrer völligen Unterdrückung <strong>während</strong> <strong>der</strong> NS-Zeit. Daher stand <strong>der</strong><br />

Arbeiterbewegung nach 1945 zunächst kaum Personal für die <strong>Jugendarbeit</strong> zur Verfügung.<br />

Hemmend wirkte sich das christlich-ländlich bis kle<strong>in</strong>städtisch geprägte Milieu des<br />

deutschen Südwestens auf <strong>der</strong>en <strong>Entwicklung</strong> aus. Sieht man von Industriestandorten wie<br />

S<strong>in</strong>gen ab, war die Arbeiterbewegung bereits vor 1933 landesweit geschwächt. Die<br />

Mitglie<strong>der</strong>daten aus <strong>Konstanz</strong> spiegeln diese <strong>Entwicklung</strong> wi<strong>der</strong>. So schloss sich weniger<br />

als e<strong>in</strong> Zehntel <strong>der</strong> organisierten Jugend <strong>in</strong> unmittelbarer Nachkriegszeit den Naturfre<strong>und</strong>en<br />

an. Die „Freie Jugend“ hatte mit zehn Mitglie<strong>der</strong>n bzw. e<strong>in</strong>em prozentualen<br />

Anteil von knapp unter e<strong>in</strong>em Prozent statistisch gesehen ebenfalls lediglich e<strong>in</strong>e<br />

marg<strong>in</strong>ale Bedeutung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong>.<br />

466<br />

Protokolle des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 02.09.1946 <strong>und</strong> vom 28.03.1948;<br />

StAK, S XII.<br />

467<br />

MOMBERT, Jeunesse et livre, S. 79-82.<br />

468<br />

Zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Naturfre<strong>und</strong>e sei auf den Sammelband von ZIMMER (Hg.), Naturfre<strong>und</strong>e, h<strong>in</strong>gewiesen,<br />

speziell zur Nachkriegszeit siehe dar<strong>in</strong> den Beitrag von DULK, Neubeg<strong>in</strong>n, S. 118-140.


114 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

2.3 Angebote, Freizeitarbeit <strong>und</strong> <strong>in</strong>haltliche Ausrichtung<br />

Bei <strong>der</strong> Gestaltung ihres Angebots griffen die Jugendorganisationen zum damaligen<br />

Zeitpunkt häufig auf Methoden zurück, die schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendbewegung <strong>der</strong> Weimarer<br />

Zeit verbreitet waren, so beispielsweise Heimabende o<strong>der</strong> Ausflüge <strong>in</strong> die Natur. Viel<br />

mehr blieb den Verbänden freilich nicht übrig. Schmale F<strong>in</strong>anzen <strong>und</strong> strenge Reglements<br />

<strong>der</strong> Militärregierung schränkten die Möglichkeiten, das Angebot ansprechend zu gestalten,<br />

stark e<strong>in</strong>. So waren bis Ende 1947 Fahrten über die Landesgrenze nach Württemberg<br />

sowie Wan<strong>der</strong>ungen über die Kreisgrenzen <strong>in</strong>nerhalb Badens verboten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bodensee<br />

blieb bis 1949 für den Wassersport gesperrt.<br />

Neben traditionellen Aktivitäten fanden zudem neue Gedanken E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die<br />

<strong>Jugendarbeit</strong>. Als Beispiel sei das „Jugendforum“, e<strong>in</strong>e Initiative <strong>der</strong> Katholischen Jugend,<br />

die von <strong>der</strong> örtlichen Militärbehörde als äußerst <strong>in</strong>novativ gewürdigt wurde, erwähnt. Das<br />

Forum war e<strong>in</strong> Gesprächskreis, bestehend aus jungen Menschen <strong>und</strong> Vertretern <strong>der</strong><br />

Stadtverwaltung sowie diverser gesellschaftlicher Gruppen, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> offenen Diskussionsr<strong>und</strong>en<br />

über politische, soziale <strong>und</strong> religiöse Themen austauschte. Allerd<strong>in</strong>gs soll<br />

sich e<strong>in</strong>em französischen Bericht zufolge die Jugend rar gemacht haben, weil sie den<br />

freien Me<strong>in</strong>ungsaustausch nicht gewohnt war. 469 Das Beispiel macht deutlich, dass die<br />

Jugend demokratische Gesprächsformen wie die offene Diskussion, das Äußern <strong>und</strong><br />

Tolerieren an<strong>der</strong>er Me<strong>in</strong>ungen etc. erst e<strong>in</strong>üben musste. Den Inhalten nach vermittelten<br />

die Verbände – abhängig von ihrer weltanschaulichen Ausrichtung – vorrangig christliche<br />

bzw. bürgerliche Werte. Ob e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem Nationalsozialismus <strong>und</strong><br />

dem Krieg <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit stattfand, bleibt <strong>in</strong>des fraglich. Im<br />

Mittelpunkt <strong>der</strong> folgenden Kapitel stehen die Strukturen <strong>und</strong> Aktivitäten <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er<br />

Jugendorganisationen für die Zeit um 1950.<br />

2.4 Kurzportraits <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugendverbände<br />

2.4.1 Katholische Jugend <strong>und</strong> Kolp<strong>in</strong>g-Jugend<br />

Als den Jugendorganisationen im Programmheft des Jugendbildungswerkes des W<strong>in</strong>terhalbjahres<br />

1950/51 Gelegenheit gegeben wurde, ihre Ziele <strong>und</strong> Angebote zu formulieren,<br />

gab die Katholische Jugend beispielsweise an, sie wolle neben den spirituellen Aspekten<br />

die Mitglie<strong>der</strong> „<strong>in</strong> gegenseitigem Helfen unter Leitung erfahrener Jugendseelsorger auf<br />

ihre Aufgaben <strong>in</strong> Familie, Beruf, Geme<strong>in</strong>de, Kirche <strong>und</strong> Volk“ 470 vorbereiten. Die Mittel<br />

zur Umsetzung dieser Aufgaben waren wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen Jugendverbandsarbeit üblich:<br />

wöchentliche Heimst<strong>und</strong>en <strong>der</strong> Mannes- <strong>und</strong> Frauenjugend, Pflege von Lied, Spiel, Frohs<strong>in</strong>n,<br />

Fahrten, Lager <strong>und</strong> Wan<strong>der</strong>ungen.<br />

Mit diesem Angebot bildete die Katholische Jugend ke<strong>in</strong>e Ausnahme. In allen<br />

Gruppen erfreuten sich viele <strong>der</strong> althergebrachten Jugendaktivitäten aus bündischer Zeit<br />

469 Etude sur la Jeunesse, S. 13; MAE AOFAA, C 4381.<br />

470 W<strong>in</strong>terprogramm des Jugendbildungswerks <strong>Konstanz</strong>, 1950/51; Privatarchiv Rudolf Kutscha.


IV.2 REORGANISATION DER JUGENDVERBÄNDE 115<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg noch lange großer Beliebtheit. Insbeson<strong>der</strong>e Wan<strong>der</strong>ungen,<br />

Fahrten <strong>und</strong> Zeltlager, die hauptsächlich an Pf<strong>in</strong>gsten stattfanden, trafen das Zeitgefühl<br />

vieler junger Menschen. Wie aus den vorherigen Kapiteln hervorgeht, war die Katholische<br />

Jugend vor Ort die mitglie<strong>der</strong>stärkste <strong>und</strong> wichtigste Jugendorganisation. Sie unterhielt<br />

jeweils Jugendgruppen für Mädchen <strong>und</strong> Jungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Münsterpfarrei sowie den<br />

Pfarreien St. Stefan, St. Dreifaltigkeit, St. Gebhard, St. Suso, St. Georg <strong>und</strong> St. Maria. Die<br />

folgende Tabelle bildet den Mitglie<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> Jugendgruppen <strong>in</strong>sgesamt, nach E<strong>in</strong>zelpfarreien<br />

sowie getrennt nach Geschlechtern <strong>während</strong> <strong>der</strong> späten 1940er-Jahre ab.<br />

Katholische Jugend Mitglie<strong>der</strong>zahl davon männlich davon weiblich<br />

Gruppe Münster 67 28 39<br />

Gruppe St. Stephan 155 65 90<br />

Gruppe St. Dreifaltigkeit 140 90 50<br />

Gruppe St. Gebhard 220 100 120<br />

Gruppe St. Georg 70 30 40<br />

Gruppe St. Suso 135 50 85<br />

Gruppe St. Mart<strong>in</strong> 80 80 --<br />

Summe 867 443 424<br />

TABELLE 4: Katholische Jugendgruppen im Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> nach Pfarreien, Stand 1947<br />

Innerhalb <strong>der</strong> Katholischen Jugend bildete die Kolp<strong>in</strong>gfamilie e<strong>in</strong>e spezielle<br />

Gruppierung. 471 Sie war bereits vor 1933 <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> aktiv <strong>und</strong> organisierte e<strong>in</strong><br />

spezielles Angebot für jugendliche Mitglie<strong>der</strong>, das Bildungsangebote, Kulturveranstaltungen<br />

<strong>und</strong> Exkursionen u. v. m. umfasste <strong>und</strong> sich vor allem an die christliche Arbeiterjugend<br />

richtete. Nach 1945 gründete sich zudem die Kolp<strong>in</strong>g-Jugend zusammen mit<br />

an<strong>der</strong>en kirchlichen Gruppen frühzeitig neu. 472 Um 1950 bestanden im Stadtkreis zwei<br />

Gruppen mit <strong>in</strong>sgesamt etwa 100 Mitglie<strong>der</strong>n. Innerhalb des Landkreises gab es darüber<br />

h<strong>in</strong>aus weitere Ortsgruppen <strong>in</strong> Radolfzell, S<strong>in</strong>gen, Engen <strong>und</strong> Allensbach, die zusammen<br />

r<strong>und</strong> 460 Mitglie<strong>der</strong> zählten.<br />

2.4.2 Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen<br />

Die weltweite Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>bewegung wurde um 1908 von Lord Robert Baden-Powell of<br />

Gilwell <strong>in</strong>s Leben gerufen. 1909 entstanden erste Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen <strong>in</strong> Deutschland, aus<br />

denen sich e<strong>in</strong>e große Zahl an unterschiedlichsten Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>bünden entwickelte. Im Frühsommer<br />

1912 formierte sich im Zuge dieser <strong>Entwicklung</strong> erstmals <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>e Orts-<br />

471 SÜDKURIER vom 26.07.1949.<br />

472 StAK, S II 13260.


116 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

gruppe des deutschen Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>trupps. 473 Die erste Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppe, die nach Ende des<br />

Zweiten Weltkriegs <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong>s Leben gerufen wurde, war die Gruppe St. Michael,<br />

die zeitweise nach ihrem Antragsteller auch als „Gruppe Vollmar“ bezeichnet wurde. Sie<br />

wurde im Herbst 1947 als Gruppe <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong> gegründet <strong>und</strong> war e<strong>in</strong>e<br />

konfessionell orientierte Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppe, die <strong>in</strong>ternationale Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gesetze mit katholischem<br />

Glauben verband. Dies kam unter an<strong>der</strong>em <strong>in</strong> <strong>der</strong> christlichen Komponente <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Bezeichnung <strong>der</strong> Gruppe, die den heiligen Michael zum Namenspatron wählte, zum<br />

Ausdruck. In französischen Quellen wird die Gruppe unter <strong>der</strong> zusätzlichen Bezeichnung<br />

Scouts geführt – <strong>in</strong> Abgrenzung zu den Eclaireurs, den Anhängern Baden-Powells.<br />

Wie schon dargelegt wurde, hatten die Franzosen Vorbehalte gegenüber den<br />

charakteristischen Ausdrucksformen <strong>und</strong> Attributen <strong>der</strong> Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>bewegung, vor allem<br />

was Uniformen, Gelöbnisse <strong>und</strong> strenge Hierarchien anbelangte. Das führte dazu, dass die<br />

Reorganisation <strong>der</strong> Bewegung im französischen Zonengebiet verhältnismäßig spät<br />

erfolgte. Während die Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong> ihre offizielle Anerkennung als Jugendbewegung im<br />

amerikanischen Besatzungsgebiet schon im Jahr 1947 <strong>und</strong> im britischen Zonengebiet zur<br />

Jahreswende 1947/48 erhielten, erfolgte dieser Schritt im französisch besetzten Gebiet erst<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Jahreshälfte 1948. 474 Allerd<strong>in</strong>gs wurde den Bünden bereits zuvor <strong>in</strong>ternes<br />

Arbeiten erlaubt.<br />

Aber selbst nachdem die Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>bewegung im Zonengebiet wie<strong>der</strong> zugelassen war,<br />

wurden den Verbänden geson<strong>der</strong>te Auflagen gemacht. Schon das Lizenzierungsverfahren<br />

war im Vergleich zu den übrigen Jugendorganisationen für gründungswillige Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>organisationen<br />

unterschiedlich geregelt. An<strong>der</strong>s als im Fall <strong>der</strong> <strong>in</strong> Baden zugelassenen<br />

Jugendorganisationen, wo <strong>der</strong> Antrag e<strong>in</strong>er Ortsgruppe zu diesem Zeitpunkt <strong>der</strong> Besatzung<br />

bereits e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Formsache war, durften deutsche Kommunalverwaltungen zunächst<br />

ke<strong>in</strong>e Zulassung für Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>organisationen aussprechen. Vielmehr behielt sich die<br />

Militärregierung diese Befugnis vor. Die Unkenntnis dieser Regelung führte <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

im Vorfeld <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> Gruppe St. Michael zu e<strong>in</strong>iger Verwirrung, da die Bestimmungen<br />

den verantwortlichen Stellen vor Ort nicht bekannt waren.<br />

Als Antragsteller fungierte Walter Vollmar, <strong>der</strong> die Gruppe später <strong>in</strong> den Sitzungen<br />

des Jugendausschusses mitvertrat. Nachdem se<strong>in</strong> Antrag im August über das Landratsamt<br />

zunächst <strong>der</strong> Stadtverwaltung zugeleitet worden war, schaltete sich die Militärregierung<br />

im Oktober 1947 <strong>in</strong> das Verfahren e<strong>in</strong> <strong>und</strong> wies die deutschen Kommunalverwaltungen<br />

darauf h<strong>in</strong>, dass für die deutsche Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>bewegung alle<strong>in</strong> die Militärregierungen <strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>zelnen Zonen zuständig wären.<br />

Die <strong>Konstanz</strong>er Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong> bestanden im Gründungsjahr 1947 aus e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en<br />

Gruppe von zunächst 23 Mitglie<strong>der</strong>n. Im ersten Jahr ihres Bestehens handelte es sich um<br />

e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> männlich strukturierte Jugendorganisation. Als sich diese Organisation e<strong>in</strong> Jahr<br />

später für weibliche Mitglie<strong>der</strong> öffnete, wuchs <strong>in</strong>nerhalb kurzer Zeit die Mitglie<strong>der</strong>zahl<br />

sprunghaft an, sodass ihr im September 1948 bereits 12 Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> 38 Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

473 Vgl. etwa den Beitrag zu <strong>der</strong>en 40. Gründungsjubiläum im SÜDKURIER vom 05.05.1952.<br />

474 SÜDKURIER vom 20./21.11.1948.


IV.2 REORGANISATION DER JUGENDVERBÄNDE 117<br />

angehörten. Doch schon Anfang 1949 gab die Gruppe ihre Selbstauflösung im Jugendausschuss<br />

bekannt. Zwar wurden ke<strong>in</strong>e näheren H<strong>in</strong>tergründe genannt, vermutlich steht<br />

die Auflösung jedoch im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Umstrukturierung zugunsten e<strong>in</strong>er<br />

weltanschaulich neutralen neuen Formation, die dem deutschen Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>b<strong>und</strong> angeschlossen<br />

war <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Gründung zeitgleich zum Auflösungsbeschluss <strong>der</strong> Gruppe<br />

Vollmer bekannt gegeben wurde. Die neue Gruppierung wurde von Konstant<strong>in</strong> Wiesner<br />

geleitet <strong>und</strong> repräsentierte die Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong> künftig im Jugendausschuss anstelle <strong>der</strong><br />

bisherigen „Gruppe Vollmer“. Die Neugründung manifestiert <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er<br />

Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>schaft e<strong>in</strong>en Richtungswechsel von <strong>der</strong> konfessionell orientierten h<strong>in</strong> zur im<br />

deutschen Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>b<strong>und</strong> organisierten überkonfessionell ausgerichteten Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>bewegung,<br />

<strong>der</strong> im Zuge <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>zulassung überörtlicher Verbandsstrukturen ab den<br />

späten 1940er-Jahren im französischen Zonengebiet allgeme<strong>in</strong> vollzogen wurde.<br />

Im Raum <strong>Konstanz</strong> gewann die christliche Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>bewegung <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />

im Gefolge <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> Deutschen Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>schaft St. Georg (DPSG) wie<strong>der</strong>um<br />

an Bedeutung. Dieser katholische Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>verband – heute <strong>der</strong> größte Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>verband<br />

<strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong> Mitglied im R<strong>in</strong>g deutscher Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>verbände (RdP) – unterhielt<br />

zum damaligen Zeitpunkt bereits Ortsgruppen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> S<strong>in</strong>gen. 475 Unabhängig<br />

von ihrer weltanschaulichen Ausrichtung ähnelte sich die Angebotspalette <strong>der</strong> Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen,<br />

die durch regelmäßige Ausflüge, Fahrten, Zeltlager, Gruppenabende, Filmvorführungen<br />

<strong>und</strong> geme<strong>in</strong>sam unternommene kulturelle Aktivitäten geprägt wurde. 476<br />

2.4.3 Die Evangelische Jugend<br />

Von allen fünf <strong>Konstanz</strong>er Jugendorganisationen, die es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit gab, nahm<br />

die Evangelische Jugend die wohl rasanteste <strong>Entwicklung</strong>. Sie gehörte zu den ersten<br />

Jugendorganisationen, die nach 1945 vor Ort <strong>in</strong>s Leben gerufen wurden, <strong>und</strong> entwickelte<br />

sich schon im ersten Jahr ihrer Gründung zur zweitstärksten örtlichen Jugendorganisation.<br />

Diese <strong>Entwicklung</strong> ersche<strong>in</strong>t umso bemerkenswerter, weil die Evangelische Jugend im<br />

Gegensatz zur Katholischen Jugend <strong>und</strong> zur Naturfre<strong>und</strong>ejugend kaum nennenswerte<br />

Rückgriffe auf die Zeit vor 1933 vornehmen konnte.<br />

Der schwungvolle Aufstieg <strong>der</strong> evangelischen <strong>Jugendarbeit</strong> nach Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs hatte se<strong>in</strong>e tiefere Ursache im vermehrten Zuzug von Protestanten, die nach<br />

Kriegsende nach <strong>Konstanz</strong> kamen. Wie schon dargelegt wurde, verschob sich <strong>in</strong>folge von<br />

Krieg <strong>und</strong> Vertreibung nach 1945 die Konfessionsstruktur <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> zugunsten <strong>der</strong><br />

evangelischen Bevölkerung, sodass ihr Anteil an <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wohnerschaft von 21,5 Prozent<br />

im letzten Friedensjahr 1939 auf 27 Prozent im Jahr 1950 anwuchs. Als Folge dieser<br />

<strong>Entwicklung</strong> wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit neue evangelische Pfarreien <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

gegründet, die frühzeitig die <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> den Mittelpunkt ihrer Geme<strong>in</strong>dearbeit<br />

rückten. Beson<strong>der</strong>s im Stadtkreis waren die jungen Protestanten stark vertreten, hier lebten<br />

von den <strong>in</strong>sgesamt etwa 700 organisierten Jugendlichen, die um 1950 <strong>in</strong> beiden Kreisen<br />

475 HINKEL, Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>verbände.<br />

476 Etude sur la Jeunesse, S. 14; MAE AOFAA, C 4381.


118 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

<strong>Konstanz</strong> als Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Evangelischen Jugend registriert wurden, r<strong>und</strong> 280 junge<br />

Protestanten. 477 Davon waren 150 Jugendliche alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Gruppe Altstadt“ aktiv, die<br />

übrigen verteilten sich auf die beiden Gruppen <strong>der</strong> Pfarreien <strong>in</strong> Petershausen <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

Wollmat<strong>in</strong>gen.<br />

Aufgr<strong>und</strong> ihrer spezifischen Nachkriegsentwicklung bot die Evangelische Kirche<br />

<strong>Konstanz</strong> vor allem den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen von Neubürgern, darunter den vielen<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Heimatvertriebenen, die aus protestantisch geprägten Regionen<br />

zugezogen waren, e<strong>in</strong>e geistige Heimat im protestantischen Glauben. Neben <strong>der</strong><br />

Vermittlung religiöser Ziele <strong>und</strong> Inhalte umfasste das Angebot <strong>der</strong> Evangelischen Jugend<br />

vor Ort Gespräche über Politik, Wissenschaft, Technik sowie gesellige Abende, Fußball,<br />

Freizeiten, Fahrten <strong>und</strong> Wan<strong>der</strong>ungen. 478<br />

2.4.4 Die Alt-katholische Jugend<br />

Innerhalb des religiösen Lebens <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> hat seit dem ausgehenden 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

auch die Alt-katholische Kirche ihren festen Platz. 479 Unter den kirchlichen Jugendorganisationen<br />

war die Alt-katholische Jugend, die sich aus jungen Alt-Katholiken im<br />

Alter von 14 bis 25 Jahren zusammensetzte, nach 1945 als dritte kirchliche Kraft eigenständig<br />

vertreten. Wie für konfessionelle Gruppen typisch, verband die Alt-katholische<br />

Kirche <strong>in</strong> ihrer Arbeit mit Jugendlichen spirituelle mit geistigen, kulturellen <strong>und</strong><br />

geselligen Aspekten. Das weltliche Programm be<strong>in</strong>haltete Gruppenabende, Gesang,<br />

Laienspiel sowie Gesprächskreise über zeitnahe Themen, die Gestaltung von Familienabenden<br />

für die Pfarrgeme<strong>in</strong>de <strong>und</strong> Wan<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> freier Natur. Die Alt-katholische<br />

Jugend war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> ausgesprochen kle<strong>in</strong>er Kreis. Die<br />

Ortsgruppe <strong>Konstanz</strong>-Stadt zählte lediglich r<strong>und</strong> 20 Mitglie<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Ortsgruppe <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen<br />

gehörten 25 bis 30 junge alt-katholische Christ<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Christen an. Aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong><br />

Franzosen, die durchaus Sympathien für die alt-katholische Bewegung hegten, existierte<br />

die Alt-katholische Jugend im Kreisgebiet aufgr<strong>und</strong> dieser ger<strong>in</strong>gen Mitglie<strong>der</strong>zahlen, wie<br />

es im Jugendbericht von 1951 heißt, „mehr symbolisch als wirklich“. 480<br />

2.4.5 Die Naturfre<strong>und</strong>ejugend<br />

Der Touristenvere<strong>in</strong> „Die Naturfre<strong>und</strong>e“ wurde 1896 durch Wiener Sozialisten gegründet.<br />

1905 formierten sich <strong>in</strong> Deutschland erste Ortsgruppen, die sich 1921 auf Reichsebene<br />

zusammenschlossen; die Sektion <strong>Konstanz</strong> wurde 1907 gegründet. 481 Die Naturfre<strong>und</strong>ejugend<br />

wurde als eigenständige Jugendorganisation des Gesamtverbandes im Oktober<br />

477 Etude sur la Jeunesse, S. 13; MAE AOFAA, C 4381.<br />

478 W<strong>in</strong>terprogramm des Jugendbildungswerks <strong>Konstanz</strong>, 1950/51; Privatarchiv Rudolf Kutscha.<br />

479 Im Zuge des Ersten Vatikanischen Konzils 1870 <strong>und</strong> des Kulturkampfes spalteten sich die Alt-Katholiken<br />

von Rom ab. Ab 1844 wurde <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>e erste deutschkatholische Geme<strong>in</strong>de gegründet, <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> den 1870er-Jahren die Gründung <strong>der</strong> alt-katholischen Christuspfarrei <strong>Konstanz</strong> folgte.<br />

480 Etude sur la Jeunesse, S. 14; MAE AOFAA, C 4381.<br />

481 Bericht zur 50-Jahrfeier <strong>der</strong> Naturfre<strong>und</strong>e, Sektion <strong>Konstanz</strong>; SÜDKURIER vom 28.10.1957.


IV.2 REORGANISATION DER JUGENDVERBÄNDE 119<br />

1926 <strong>in</strong> Würzburg <strong>in</strong>s Leben gerufen. 482 Da sich <strong>der</strong>en Anhänger entschieden gegen<br />

Militarismus <strong>und</strong> Nationalismus wandte <strong>und</strong> sich für Frieden <strong>und</strong> Völkerverständigung<br />

e<strong>in</strong>setzte <strong>und</strong> obendre<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Kultur- <strong>und</strong> Freizeitorganisation <strong>der</strong> Arbeiterbewegung war,<br />

wurde sie 1933 als e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> ersten Gruppierungen durch die Nationalsozialisten verboten.<br />

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs zählte die Naturfre<strong>und</strong>ejugend mit zu den ersten<br />

deutschen Jugendorganisationen, die landesweit wie<strong>der</strong> zugelassen wurden. Ausschlaggebend<br />

waren neben <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Verfolgung <strong>während</strong> <strong>der</strong> NS-Zeit vor allem die<br />

politische Ausrichtung <strong>und</strong> die Zielsetzungen <strong>der</strong> Naturfre<strong>und</strong>e, die <strong>in</strong> wesentlichen<br />

Punkten mit den Nachkriegszielen <strong>der</strong> Franzosen konform g<strong>in</strong>gen. In <strong>Konstanz</strong> entstand<br />

bald nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>zulassung <strong>der</strong> Jugendverbände bereits Anfang des Jahres 1946 e<strong>in</strong>e<br />

Ortsgruppe, die bald e<strong>in</strong>en deutlichen Anstieg <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>zahl von 42 zu Gründungsbeg<strong>in</strong>n<br />

auf 250 Mitglie<strong>der</strong> Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre verbuchen konnte. Weitere Ortsgruppen,<br />

die 1950/51 zusammen r<strong>und</strong> 350 Mitglie<strong>der</strong> zählten, gab es <strong>in</strong> Wollmat<strong>in</strong>gen,<br />

S<strong>in</strong>gen, Radolfzell, Engen <strong>und</strong> Gottmad<strong>in</strong>gen. 483 Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Freizeitaktivitäten<br />

standen das geme<strong>in</strong>same Naturerleben sowie das Kennenlernen <strong>der</strong> Heimat. Das Angebot<br />

<strong>der</strong> Naturfre<strong>und</strong>e umfasste regelmäßige Treffen <strong>in</strong> Jugend- o<strong>der</strong> Projektgruppen, Wan<strong>der</strong>ungen,<br />

Fahrten, Camp<strong>in</strong>g, Sport, Gruppenabende, Feiern, geme<strong>in</strong>sames Werken, Malen,<br />

Fotografieren, Musizieren, Spielen, Kulturangebote <strong>und</strong> Filmvorführungen. 484 Die Gruppenabende<br />

<strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Sektion fanden im Jugendhaus statt; die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sektion<br />

Wollmat<strong>in</strong>gen trafen sich zunächst im Gasthaus „Alpenblick“, später <strong>in</strong> eigenen Räumen.<br />

Die Naturfre<strong>und</strong>ejugend traf sich frühzeitig auf überregionaler Ebene, so nahm beispielsweise<br />

im Juni 1948 die Sektion <strong>Konstanz</strong> mit ca. 80 Jugendlichen an e<strong>in</strong>em Zeltlager <strong>in</strong><br />

Lörrach teil. 485<br />

2.4.6 Die Freie (Deutsche) Jugend (FDJ)<br />

Die Freie Jugend, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit unter an<strong>der</strong>em <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>e Ortsgruppe<br />

unterhielt, war e<strong>in</strong> Ableger <strong>der</strong> FDJ im Osten. Während diese <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR die e<strong>in</strong>zige<br />

staatlich anerkannte <strong>und</strong> geför<strong>der</strong>te Jugendorganisation <strong>und</strong> Mitglied im Weltb<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Demokratischen Jugend <strong>und</strong> im Internationalen Studentenb<strong>und</strong> war, wurde die ehemals<br />

organisatorisch eigenständige FDJ <strong>in</strong> Westdeutschland 1951 wegen Verfassungsfe<strong>in</strong>dlichkeit<br />

verboten. Als sozialistischer Jugendverband stand sie parteipolitisch im Westen<br />

bis 1951 <strong>der</strong> KPD, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sowjetischen Zone <strong>der</strong> SED nahe. 486 Erste Gruppen <strong>der</strong> FDJ<br />

wurden ab Sommer 1936 von Mitglie<strong>der</strong>n, die im Exil <strong>in</strong> Paris <strong>und</strong> Prag lebten, gegründet.<br />

Deren Arbeit kam nach <strong>der</strong> deutschen Besetzung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tschechoslowakei <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

Frankreich zwar zum Erliegen, dafür entstanden ab April 1939 <strong>in</strong> Großbritannien erneut<br />

FDJ-Gruppen, die landesweit agierten <strong>und</strong> jüdische Emigranten unterstützen. In<br />

482 BÖHNISCH (Hg.), Handbuch Jugendverbände, S. 1012-1013.<br />

483 Etude sur la Jeunesse, S. 14; MAE AOFAA, C 4381.<br />

484 ERDMANN; ZIMMER (Hgg.), Illustrierte <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Naturfre<strong>und</strong>e, S. 10-37.<br />

485 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 18.02.1948; StAK, S XII.<br />

486 KRAHULEC, FDJ, <strong>in</strong>: BÖHNISCH (Hg.), Handbuch, S. 79-81.


120 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Großbritannien stellte die FDJ im Sommer 1946 ihre Tätigkeit e<strong>in</strong>, nachdem <strong>der</strong> Großteil<br />

ihrer Mitglie<strong>der</strong> nach Deutschland zurückgekehrt war. 487<br />

Die Freie Jugend zählte zwar zu den ersten Jugendverbänden, die im französischen<br />

Zonengebiet e<strong>in</strong>e Zulassung erhielten, ihre Arbeit war jedoch an gewisse Auflagen <strong>der</strong><br />

Besatzungsmacht geb<strong>und</strong>en. Zum e<strong>in</strong>en war ihr jede politische Betätigung untersagt. Das<br />

Verbot bezog sich auf alle „Vorträge <strong>und</strong> Versammlungen, die von <strong>der</strong> ‚Freien Jugend‘<br />

organisiert werden könnten“. 488 Zum an<strong>der</strong>en war die Jugendorganisation zonenweit nur<br />

unter <strong>der</strong> Bezeichnung Freie Jugend zugelassen. Diese Regelung galt allerd<strong>in</strong>gs nicht für<br />

diese Gruppierung alle<strong>in</strong>, vielmehr war es den Jugendorganisationen im französischen<br />

Zonengebiet unmittelbar nach 1945 generell verboten, die Bezeichnung „deutsch“ im<br />

Namen zu führen. 489<br />

Die Ortsgruppe <strong>der</strong> Freien Jugend <strong>Konstanz</strong> ist erstmals für Herbst 1946 bezeugt. Sie<br />

bestand aus e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Gruppe gleichges<strong>in</strong>nter Jugendlicher, die jedoch immer wie<strong>der</strong><br />

zeitweise ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>fiel <strong>und</strong> sich wie<strong>der</strong> neu konstituierte. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> dürftigen<br />

Quellenlage ist über <strong>der</strong>en Organisationsstruktur, Ziele <strong>und</strong> Aktivitäten lei<strong>der</strong> nur wenig<br />

bekannt, <strong>und</strong> auch die Mitglie<strong>der</strong>daten s<strong>in</strong>d unvollständig. An <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> Gruppe stand<br />

Studienassessor Karl Sigrist – <strong>der</strong> von den Franzosen e<strong>in</strong>gesetzte erste geme<strong>in</strong>same<br />

Jugendbeauftragte <strong>der</strong> beiden Kreise <strong>Konstanz</strong>. Das hatte zur Folge, dass Sigrist zeitweise<br />

den Vorsitz im Jugendausschuss führte <strong>und</strong> gleichzeitig dort die Interessen <strong>der</strong> Freien<br />

Jugend vertrat. Als er Anfang 1947 außerdem Landesführer <strong>der</strong> Freien Jugend wurde, bat<br />

er um Auflösung dieser für alle Parteien ungünstigen „Personal-Union“, die er nach se<strong>in</strong>en<br />

eigenen Worten selbst „nicht für tragbar“ 490 hielt. Bald nach dieser Entscheidung gab<br />

Sigrist – jedoch ohne auf die näheren H<strong>in</strong>tergründe e<strong>in</strong>zugehen – die Auflösung <strong>der</strong><br />

Ortsgruppen <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> Radolfzell ab Mai 1947 bekannt <strong>und</strong> verkündete gleichzeitig<br />

se<strong>in</strong>en Austritt aus <strong>der</strong> Freien Jugend. 491<br />

Anfang 1949 erfolgte noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Neugründung <strong>der</strong> Freien Jugend <strong>Konstanz</strong><br />

unter <strong>der</strong> Leitung von Hermann Frick. Die Ortsgruppe <strong>Konstanz</strong> zählte zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong><br />

1950er-Jahre allerd<strong>in</strong>gs lediglich zehn männliche Mitglie<strong>der</strong>. Auf Landkreisebene<br />

verteilten sich weitere 25 Mitglie<strong>der</strong> auf die Ortsgruppen S<strong>in</strong>gen, Radolfzell <strong>und</strong><br />

Rielas<strong>in</strong>gen. Die Militärregierung führte das relativ ger<strong>in</strong>ge Interesse <strong>der</strong> Jugend an <strong>der</strong><br />

Arbeit <strong>der</strong> FDJ auf die vorherrschend katholische Prägung <strong>der</strong> Bevölkerung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region<br />

<strong>Konstanz</strong> zurück. Im Jugendbericht von 1951 heißt es dazu: „La FDJ quoique très active,<br />

n’obtient guère de succès dans un cercle comme Constance dont la grande majorité de la<br />

population est catholique“. 492<br />

487 http://www.fdj.de [Stand 10.09.2009].<br />

488 Dies geht aus e<strong>in</strong>em Schreiben des Überl<strong>in</strong>ger Kreisdelegierten an Landrat Belzer von 1947 hervor;<br />

KrAFN, Bestand Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, ÜB-A 49a.<br />

489 Vgl. dazu die Richtl<strong>in</strong>ien des französischen Generalverwalters Emile Laffon, „Circulaire d'application an<br />

die Délégués Supérieurs“ vom 14.12.1945, zitiert bei ZAUNER, Kulturmission, S. 164.<br />

490 Schreiben von Sigrist an die Landeskommission; StAK, S II. 13260.<br />

491 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 28.05.1947; StAK, S XII.<br />

492 Etude sur la Jeunesse, S. 20; MAE AOFAA, C 4381.


IV.2 REORGANISATION DER JUGENDVERBÄNDE 121<br />

Im Gefolge <strong>der</strong> überregionalen <strong>Entwicklung</strong> hatte die Ortsgruppe <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

neuen Zusammensetzung nur für kurze Zeit Bestand. Nach <strong>der</strong> Gründung des Deutschen<br />

B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>ges Anfang Oktober 1949 verschärfte sich zunächst <strong>der</strong> Gegensatz<br />

zwischen den etablierten Jugendverbänden sowie den autonomen Bünden <strong>und</strong> <strong>der</strong> FDJ. 493<br />

Die FDJ, die sich zur parteipolitischen Arbeit <strong>der</strong> KP im Westen bzw. <strong>der</strong> SED im Osten<br />

bekannte, wurde aufgr<strong>und</strong> ihrer politischen Orientierung nicht <strong>in</strong> diesen b<strong>und</strong>esweiten<br />

Zusammenschluss <strong>der</strong> deutschen Jugendverbände aufgenommen. 494 Der Konflikt zeitigte<br />

Auswirkungen bis <strong>in</strong> die örtliche Jugendverbandsarbeit <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. Die Ortsgruppe <strong>der</strong><br />

Freien Jugend <strong>Konstanz</strong> gab im Dezember 1949 ihre „Selbstauflösung“ 495 mit dem<br />

H<strong>in</strong>weis darauf bekannt, dass „alle Gruppenmitglie<strong>der</strong> die politische Anglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

FDJ an die KPD <strong>und</strong> SED“ 496 ablehnten. Demzufolge vollzog die Ortsgruppe <strong>Konstanz</strong><br />

die übergeordnete Verbandspolitik <strong>der</strong> FDJ nicht mit, son<strong>der</strong>n setzte vielmehr e<strong>in</strong>en<br />

Schlussstrich unter ihre Arbeit, lange bevor die Freie Jugend 1951 <strong>in</strong> Westdeutschland als<br />

Gesamtverband verboten wurde, weil es verfassungsschutzrechtliche Vorbehalte gegenüber<br />

ihrer politischen Ausrichtung gab.<br />

2.4.7 Die Esperanto-Jugend<br />

Die Anfang 1946 gegründete Esperanto-Jugend war ke<strong>in</strong>e Jugendorganisation im<br />

eigentlichen S<strong>in</strong>ne, son<strong>der</strong>n ist – vor allem mit Blick auf ihre spätere <strong>Entwicklung</strong> – eher<br />

den örtlichen Vere<strong>in</strong>en h<strong>in</strong>zuzurechnen. Aufgr<strong>und</strong> <strong>in</strong>haltlicher, weltanschaulicher <strong>und</strong><br />

struktureller Ähnlichkeiten lässt sich die Arbeit dieser Gruppierung mit <strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong><br />

zugelassenen Jugendorganisationen <strong>in</strong>dessen durchaus vergleichen, nicht zuletzt weil die<br />

Anhängerschaft <strong>der</strong> Esperantisten vor Ort vorwiegend aus Jugendlichen <strong>und</strong> jungen<br />

Erwachsenen bestand. Zudem erlangte sie unter <strong>der</strong> Bezeichnung „Esperanto-Jugend-Klub<br />

<strong>Konstanz</strong>“ erst Anfang 1951 Vere<strong>in</strong>sstatut. Zu diesem Zeitpunkt wurden 30 Mitglie<strong>der</strong><br />

gezählt. Der Vere<strong>in</strong> war dem Esperanto-Landesverband Baden, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>en Sitz <strong>in</strong> Freiburg<br />

hatte, angeschlossen. Außerdem pflegte man Verb<strong>in</strong>dung zur <strong>in</strong>ternationalen Organisation<br />

junger Esperantisten „TUTMONDA JANULAR ORGONZIZO“.<br />

Die Bewegung fasste zwar nicht flächendeckend im Lande Fuß, fand aber <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

nicht wenige Anhänger. Zum e<strong>in</strong>en trugen vermutlich historische Gründe dazu bei, dass<br />

die Esperanto-Bewegung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bodenseeregion auf großes Interesse stieß. So wurde im<br />

nahen Litzelstetten bereits <strong>in</strong> den 1880er-Jahren durch den Pfarrer Mart<strong>in</strong> Schleyer das<br />

Volapük, e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> ersten Weltsprachen, die praktisch gesprochen wurden, geschaffen. Bis<br />

zur Jahrh<strong>und</strong>ertwende gab Schleyer mehrere Wörterbücher zu dieser Sprache heraus. In<br />

Friedrichshafen <strong>und</strong> München fanden 1884 <strong>und</strong> 1887 jeweils „Volapük-Kongresse“ statt.<br />

Vor dem ersten Weltkrieg wurde das Volapük vom Esperanto, dessen Wurzeln <strong>in</strong><br />

493<br />

Unter <strong>der</strong> Fülle <strong>der</strong> Veröffentlichungen sei an dieser Stelle auf die Kurzbeschreibung bei BÖNISCH,<br />

Handbuch Jugendverbände, S. 813-821, h<strong>in</strong>gewiesen.<br />

494<br />

KRAFELD, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 137.<br />

495<br />

Zu diesem <strong>und</strong> dem folgenden Zitat vgl. das Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis<br />

<strong>Konstanz</strong> vom 02.12.1949; StAK, S XII.<br />

496<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 02.12.1949; StAK, S XII.


122 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Osteuropa liegen, verdrängt. Vermutlich trafen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weimarer Zeit<br />

die ersten Fre<strong>und</strong>e dieser neuen Weltsprache, die <strong>während</strong> <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus<br />

<strong>in</strong> Deutschland verboten wurde, zusammen. Darauf deutet zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong><br />

Aufruf vom April 1946 an alle „ehemalige[n] Esperantisten <strong>und</strong> weitere Interessierte “497<br />

h<strong>in</strong>, man möge sich unter <strong>der</strong> Kontaktadresse e<strong>in</strong>es gewissen Rudolf Hofmann <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> zwecks <strong>der</strong> Gründung e<strong>in</strong>es „Esperanto-Klubs“ melden. Die Esperanto-<br />

Bewegung erlebte nach Kriegsende <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>en raschen Aufschwung. Neben <strong>der</strong><br />

Arbeit <strong>der</strong> Esperanto-Jugend <strong>Konstanz</strong> wirkte das Jugendbildungswerk an dieser <strong>Entwicklung</strong><br />

maßgeblich mit, <strong>in</strong>dem es e<strong>in</strong>e Esperanto-AG, die stets gut besucht war, anbot. 498<br />

Diese damals neuartige kommunale Jugende<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> die weltweite Interessengeme<strong>in</strong>schaft<br />

<strong>der</strong> Esperantisten ähnelten sich <strong>in</strong> ihrer politisch neutralen <strong>und</strong> überkonfessionellen<br />

Ausrichtung.<br />

Die zentralen Gedanken <strong>der</strong> Esperanto-Jugend, für die die Weltsprache e<strong>in</strong> wichtiges<br />

Instrument zur Völkerverständigung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Beitrag zum Weltfrieden darstellte, g<strong>in</strong>gen<br />

mit den demokratie- <strong>und</strong> jugendpolitischen Vorstellungen <strong>der</strong> Franzosen konform. Neben<br />

<strong>der</strong> Vermittlung <strong>und</strong> Verbreitung des Esperanto schrieben sich die Anhänger dieser Weltsprache<br />

auf ihr Programm, <strong>in</strong>ternationale Kontakte von Jugendlichen zu för<strong>der</strong>n sowie die<br />

Jugend zu Demokratie <strong>und</strong> Pazifismus zu erziehen. Sie lehnten Militarismus ab, strebten<br />

die Verbesserung <strong>der</strong> gesellschaftlichen Situation <strong>der</strong> Jugend an <strong>und</strong> sprachen sich für e<strong>in</strong>e<br />

deutsch-französische Verständigung aus. Zusammenschlüsse von Esperantisten wurden<br />

daher vonseiten <strong>der</strong> französischen Behörden frühzeitig geför<strong>der</strong>t. Schon im Frühjahr 1946<br />

wurden mit Genehmigung <strong>der</strong> Militärregierung Esperanto-Vere<strong>in</strong>igungen <strong>in</strong> Südbaden<br />

<strong>und</strong> Südwürttemberg gegründet; e<strong>in</strong> Lehrbuch war <strong>in</strong> Arbeit. An <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> Ortsgruppe<br />

<strong>Konstanz</strong> stand seit den ausgehenden 1940er-Jahren Michel Schmidt als Erster Vorsitzen<strong>der</strong><br />

des Esperanto-Jugend-Klubs <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> stellvertreten<strong>der</strong> Vorsitzen<strong>der</strong> des<br />

Landesverbands. 499 Se<strong>in</strong>e überregionalen Kontakte mögen dazu beigetragen haben, dass<br />

sich die Bodenseemetropole ab 1950 zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Zentren <strong>der</strong> Bewegung entwickelte.<br />

Seit den späten 1940er-Jahren tagten hier mehrfach Esperantisten aus aller Welt. 500<br />

2.5 Jungen- <strong>und</strong> Mädchenarbeit <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugendverbänden<br />

Bürgerliche <strong>und</strong> christlich orientierte Jugendverbände unterschieden sich nicht nur <strong>in</strong><br />

weltanschaulicher H<strong>in</strong>sicht, son<strong>der</strong>n wiesen zudem h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> geschlechtsspezifischen<br />

Verteilung ihrer Mitglie<strong>der</strong> markante Unterschiede auf. Insgesamt waren über die<br />

Hälfte aller Mitglie<strong>der</strong>, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Jugendorganisation <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> engagierten,<br />

weiblichen Geschlechts. Beson<strong>der</strong>s stark waren die Mädchen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> kirchlichen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> vertreten. Die Arbeit <strong>in</strong> politischen Organisationen war zum damaligen Zeit-<br />

497 SÜDKURIER vom 12.04.1946.<br />

498 W<strong>in</strong>terprogramme des Jugendbildungswerks ab 1947; Privatarchiv Rudolf Kutscha.<br />

499 Etude sur la jeunesse, S. 17; MAE AOFAA, C 4381.<br />

500 SÜDKURIER vom 23.01.1948.


IV.2 REORGANISATION DER JUGENDVERBÄNDE 123<br />

punkt e<strong>in</strong>e männliche Domäne. So engagierten sich bei den weltlich bzw. politisch<br />

orientierten Jugendgruppen deutlich mehr Jungen. Die Ortsgruppen <strong>der</strong> Freien Jugend <strong>in</strong><br />

S<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Rielas<strong>in</strong>gen hatten ebenso wie die Rielas<strong>in</strong>ger Falkenjugend stets doppelt so<br />

viele männliche wie weibliche Mitglie<strong>der</strong>. 501 Die Ortsgruppe <strong>Konstanz</strong> war sogar e<strong>in</strong><br />

re<strong>in</strong>er Männerb<strong>und</strong>. 502 Lediglich die <strong>Konstanz</strong>er Naturfre<strong>und</strong>ejugend wies e<strong>in</strong> annähernd<br />

ausgewogenes Geschlechterverhältnis auf. 503<br />

Jugendorganisation Mitglie<strong>der</strong> davon männlich davon weiblich<br />

1. Katholische Jugend 758 353 405<br />

2. Evangelische Jugend 185 85 100<br />

3. Alt-katholische Jugend 21 9 12<br />

4. Naturfre<strong>und</strong>ejugend 87 45 42<br />

5. Freie Jugend 10 10 --<br />

6. Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong> 50 38 12<br />

Summe 1.111 540 571<br />

Anteil <strong>in</strong> % 100 48,6 51,4<br />

TABELLE 5: Geschlechtsspezifische Zusammensetzung <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> den <strong>Konstanz</strong>er<br />

Jugendorganisationen nach dem Stand von 1949 504<br />

Des Weiteren sprach das damalige Programm <strong>der</strong> Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong> tendenziell eher die<br />

männliche als die weibliche Jugend an. Dieser Bef<strong>und</strong> resultiert nicht nur aus <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong>haltlichen Ausrichtung. Tatsächlich nahm die Gruppe St. Michael erst ab 1948<br />

überhaupt weibliche Mitglie<strong>der</strong> auf. Doch selbst nachdem sich die Gruppe für Mädchen<br />

geöffnet hatte, blieben Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong><strong>in</strong>nen unterrepräsentiert. Ende <strong>der</strong> 1940er-Jahre betrug<br />

das Verhältnis von männlichen gegenüber weiblichen Mitglie<strong>der</strong>n etwa 2:1, <strong>und</strong> unter den<br />

67 Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> neuen Gruppe Wiesner verzeichnete man im W<strong>in</strong>terhalbjahr 1950/51<br />

nur sieben Mädchen. 505<br />

Während bei den meisten Jugendorganisationen gemischtgeschlechtliche Gruppen die<br />

Norm darstellten, unterhielt e<strong>in</strong>zig die Katholische Jugend als e<strong>in</strong>e weiter Beson<strong>der</strong>heit<br />

dieses Verbandes pr<strong>in</strong>zipiell getrennte Jugendgruppen für Mädchen <strong>und</strong> Jungen. Von den<br />

<strong>in</strong>sgesamt 13 katholischen Jugendgruppen des Stadtkreises <strong>Konstanz</strong> waren sechs ausschließlich<br />

den Mädchen <strong>und</strong> sieben den Jungen vorbehalten. Der Trennung nach<br />

Geschlechtern <strong>in</strong> <strong>der</strong> Katholischen Jugend lagen sowohl traditionsgeb<strong>und</strong>ene als auch<br />

501<br />

Aufstellung des Kreisjugendbeauftragten vom 12.11.1946 bis 04.02.1954; KrAK, Bestand Landratsamt<br />

<strong>Konstanz</strong>, 352.105/I.<br />

502<br />

Vierteljahresbericht <strong>der</strong> Jugendorganisationen vom 31.03.1949; StAK, S XII.<br />

503<br />

Allgeme<strong>in</strong>: ERDMANN; ZIMMER (Hgg.), Illustrierte <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Naturfre<strong>und</strong>e, S. 10-36.<br />

504<br />

Vierteljahresberichte <strong>der</strong> Abteilung Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung bei <strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong> vom<br />

30.06.1949; StAK, S XII, Statistiken 031.<br />

505 StAK, S XII, Statistiken.


124 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

religiöse Motive zugr<strong>und</strong>e. Die Separierung vom an<strong>der</strong>en Geschlecht brachte allerd<strong>in</strong>gs<br />

nicht zwangsläufig Nachteile für Mädchen mit sich. So konnten viele von ihnen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Katholischen Jugend nicht nur ihren spezifischen Interessen nachgehen, son<strong>der</strong>n zudem<br />

Führungspositionen als Gruppenleiter<strong>in</strong>nen zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt übernehmen, als die Übernahme<br />

von höheren Ämtern <strong>und</strong> Funktionen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Verbandsarbeit üblicherweise<br />

<strong>in</strong> nahezu allen Gesellschaftsbereichen e<strong>in</strong>e fast re<strong>in</strong> männliche Angelegenheit war.<br />

2.6 Jugendverbände im Landkreis <strong>Konstanz</strong><br />

Die Strukturen <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit im Landkreis <strong>Konstanz</strong> ähnelten <strong>in</strong> vielerlei<br />

H<strong>in</strong>sicht <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit denjenigen im Stadtkreis, wobei es allerd<strong>in</strong>gs<br />

zusätzlich e<strong>in</strong>ige regionale Beson<strong>der</strong>heiten zu beachten gilt. Die markanteste Geme<strong>in</strong>samkeit<br />

bei<strong>der</strong> Kreise bestand <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>deutigen Dom<strong>in</strong>anz <strong>der</strong> kirchlichen Gruppierungen.<br />

Die folgende Auflistung zeigt, dass kreisweit <strong>der</strong> weitaus größte Teil <strong>der</strong> organisierten<br />

Jugend, <strong>und</strong> zwar über 80 Prozent, e<strong>in</strong>er kirchlichen, <strong>und</strong> hier wie<strong>der</strong>um überwiegend<br />

e<strong>in</strong>er katholischen Jugendorganisation, angehörte. Analog zur Situation im Stadtkreis<br />

waren <strong>in</strong>nerhalb des Landkreises vor allem Mädchen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Katholischen Jugend<br />

engagiert. So gab es nach dem Stand von 1949 <strong>in</strong> <strong>in</strong>sgesamt 31 Kreisgeme<strong>in</strong>den jeweils<br />

e<strong>in</strong>e Mädchengruppe <strong>der</strong> Katholischen Jugend, <strong>während</strong> die männliche Jugend lediglich <strong>in</strong><br />

23 Geme<strong>in</strong>den vertreten war. 506 Im Gr<strong>und</strong>e basierte diese <strong>Entwicklung</strong> auf ähnlichen<br />

traditionellen <strong>und</strong> strukturellen E<strong>in</strong>flussfaktoren, wie sie bereits für den Stadtbezirk<br />

<strong>Konstanz</strong> beschrieben wurden. Doch mehr noch als im Stadtkreis war die Katholische<br />

Kirche auf Landkreisebene führende Kraft <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> organisierten <strong>Jugendarbeit</strong>. In<br />

den überwiegend katholisch geprägten kle<strong>in</strong>en Landgeme<strong>in</strong>den im Hegau <strong>und</strong> Bodenseeraum<br />

stand K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen, die sich e<strong>in</strong>er Jugendorganisation anschließen<br />

wollten, meist lediglich die Katholische Jugend offen. Als e<strong>in</strong>ziger Jugendverband war<br />

diese flächendeckend <strong>in</strong> allen 31 Kreisgeme<strong>in</strong>den präsent. 507<br />

506<br />

Vierteljahresbericht <strong>der</strong> örtlichen Jugendgruppen <strong>der</strong> genehmigten Jugendorganisationen, Landkreis<br />

<strong>Konstanz</strong>, 1. Quartal 1949; KrAK 352.105/I.<br />

507<br />

KRAMER, Landkreis <strong>Konstanz</strong>, <strong>in</strong>: ARBEITSGEMEINSCHAFT DER KREISARCHIVE (Hg.), Amtsvorsteher,<br />

S. 75-79.


IV.2 REORGANISATION DER JUGENDVERBÄNDE 125<br />

Jugendorganisation Anzahl <strong>der</strong><br />

Ortsgruppen<br />

Mitglie<strong>der</strong>zahl<br />

Anteil an <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong><br />

Gesamtmitglie<strong>der</strong><br />

Katholische Jugend 54 1.699 77,0 %<br />

Evangelische Jugend 3 101 4,6 %<br />

Alt-katholische Jugend 1 22 1,0 %<br />

Naturfre<strong>und</strong>ejugend 5 280 12,7 %<br />

Freie Jugend 2 57 2,6 %<br />

Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong> 1 22 1,0 %<br />

Falkenjugend 1 24 1,1 %<br />

Summe 67 2.205 100 %<br />

TABELLE 6: Jugendorganisationen im Landkreis <strong>Konstanz</strong>, Stand 30.06.1949 508<br />

Die übrigen Jugendverbände verteilten sich auf jeweils regionale Schwerpunkte. Freilich<br />

entstanden Ortsgruppen <strong>der</strong> Evangelischen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Alt-katholischen Jugend nur <strong>in</strong><br />

solchen Orten, wo es jeweils selbstständige Pfarreien dieser Konfessionen gab. So war<br />

beispielsweise die Alt-katholische Jugend außerhalb des Stadtbezirks <strong>Konstanz</strong> nur noch<br />

<strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen vertreten; <strong>und</strong> die Evangelische Jugend unterhielt Ortsgruppen <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen <strong>und</strong><br />

Radolfzell sowie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Exklave Büs<strong>in</strong>gen, <strong>der</strong>en Bevölkerung aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren<br />

Nachbarschaft zur reformierten Schweiz protestantisch geprägt war. Jugendorganisationen,<br />

die <strong>der</strong> Abeiterjugend nahestanden, hatten zwar <strong>in</strong>sgesamt auf Landkreisebene e<strong>in</strong><br />

etwas stärkeres Gewicht als im Stadtkreis <strong>Konstanz</strong>, allerd<strong>in</strong>gs begrenzte sich ihr E<strong>in</strong>fluss,<br />

ähnlich wie es bei den mitglie<strong>der</strong>schwächeren kirchlichen Vere<strong>in</strong>igungen <strong>der</strong> Fall war,<br />

ebenfalls auf wenige Orte.<br />

Das Verbreitungsgebiet sozialistisch orientierter Jugendorganisationen im Landkreis<br />

lässt e<strong>in</strong> ausgeprägtes Gefälle zwischen Städten bzw. Industriestandorten <strong>und</strong> dörflich<br />

geprägten Landgeme<strong>in</strong>den erkennen. Vor allem die Stadt S<strong>in</strong>gen entwickelte sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Nachkriegszeit zu e<strong>in</strong>em Zentrum <strong>der</strong> Arbeiterjugendbewegung, was neben <strong>der</strong> Verbreitung<br />

<strong>der</strong> Industrie vor allem darauf zurückzuführen ist, dass hier die Traditionen eigener<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendgruppen <strong>in</strong> den Kulturorganisationen <strong>der</strong> Arbeiterschaft <strong>in</strong> die Zeit vor<br />

<strong>der</strong> „Machtübernahme“ durch die Nationalsozialisten zurückreichten. 509 So existierten <strong>in</strong><br />

S<strong>in</strong>gen mit <strong>der</strong> Freien Jugend sowie <strong>der</strong> Falkenjugend gleich zwei Ortsgruppen, die den<br />

sozialistisch orientierten Jugendverbänden h<strong>in</strong>zuzurechnen s<strong>in</strong>d. 510<br />

508<br />

Die Daten basieren auf den Monats- bzw. Vierteljahresberichten <strong>der</strong> Jugendorganisationen an die<br />

Militärregierung, KrAK, Bestand Landratsamt <strong>Konstanz</strong>, 352.105, Fasz. I., Abteilung Jugendpflege beim<br />

Landkreis <strong>Konstanz</strong>, „Jugendbildungswerk <strong>und</strong> Haus <strong>der</strong> Jugend“, hier die Aufstellung des Kreisjugendbeauftragten<br />

vom 12.11.1946 bis 04.02.1954.<br />

509<br />

FREI, Arbeiterkultur, <strong>in</strong>: S<strong>in</strong>gener Jahrbuch (1982), S. 23-38; DERS. (Hg.), Habermus <strong>und</strong> Suppenwürze,<br />

S. 9-65.<br />

510<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Landkreis KN vom 11.05.1948; StAK, S XII.


126 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Ähnliches gilt für die Naturfre<strong>und</strong>e, <strong>der</strong>en Wurzeln wie erwähnt ebenfalls <strong>in</strong> die<br />

Arbeiterbewegung zurückreichen. Entsprechend konzentrierte sich ihr E<strong>in</strong>flussbereich im<br />

Hegau <strong>und</strong> am westlichen Bodensee auf Industriestandorte wie <strong>Konstanz</strong>, S<strong>in</strong>gen,<br />

Radolfzell, Engen, Allensbach <strong>und</strong> Gottmad<strong>in</strong>gen.<br />

Weitere Ortsgruppen sozialistischer Verbände gab es zudem <strong>in</strong> <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Textil<strong>in</strong>dustrie<br />

geprägten Stadt Radolfzell sowie <strong>in</strong> Rielas<strong>in</strong>gen. Die Falkenjugend wurde unter<br />

<strong>der</strong> offiziellen Bezeichnung „Sozialistische Jugend Deutschlands. Die Falken“ im<br />

Jahr 1946 als Nachfolgeorganisation <strong>der</strong> Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Reichsarbeitsgeme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>fre<strong>und</strong>e Deutschlands (Rote Falken) gegründet. 511<br />

Während es <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>-Stadt e<strong>in</strong>e Ortsgruppe <strong>der</strong> Freien Jugend <strong>in</strong> früher Nachkriegszeit<br />

gab, konstituierte sich die Falkenjugend dort erst Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre.<br />

2.7 <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>der</strong> Sportvere<strong>in</strong>e, Gewerkschaften <strong>und</strong> Parteien<br />

Die Gründungserlaubnis für Jugendorganisationen ist, wie an früherer Stelle <strong>der</strong> Untersuchung<br />

dargelegt wurde, im allgeme<strong>in</strong>en Kontext <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>s- <strong>und</strong> Parteiengründungen<br />

zu sehen. Den bisher behandelten Jugendorganisationen s<strong>in</strong>d daher weitere Jugendgruppen<br />

h<strong>in</strong>zuzurechnen, <strong>der</strong>en Wurzeln im Bereich <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> <strong>der</strong> politischen bzw. berufsbezogenen<br />

Organisationen zu suchen s<strong>in</strong>d. Neben den Jugendverbänden im engeren S<strong>in</strong>ne<br />

nahmen Sportvere<strong>in</strong>e, Parteien <strong>und</strong> Gewerkschaften etwa zeitgleich ihre <strong>Jugendarbeit</strong><br />

ebenfalls wie<strong>der</strong> auf. Für <strong>Konstanz</strong> s<strong>in</strong>d die Gewerkschaftsjugend, die Sportjugend <strong>und</strong><br />

die Ortsgruppe <strong>der</strong> Jungen Union zu nennen. Es ist nicht auszuschließen, dass es überdies<br />

kle<strong>in</strong>ere o<strong>der</strong> lose Gruppierungen gab, denn zuverlässige Mitglie<strong>der</strong>daten liegen erst für<br />

die Zeit nach 1950 vor.<br />

Im Frühjahr 1945 hatten die Franzosen die Auflösung aller noch bestehenden Vere<strong>in</strong>e<br />

im Zonengebiet verfügt. Die meisten waren jedoch längst <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Gleichschaltungspolitik zum Opfer gefallen o<strong>der</strong> hatten im Krieg ihre Aktivitäten<br />

e<strong>in</strong>gestellt. Ab Anfang 1946 entstanden im Gefolge <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung des Vere<strong>in</strong>srechts<br />

auch <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> wie im gesamten Zonengebiet viele Vere<strong>in</strong>e mit sportlichen,<br />

kulturellen, musischen o<strong>der</strong> geselligen Schwerpunkten neu. 512 Die Vere<strong>in</strong>e mussten analog<br />

zu den Jugendorganisationen bei <strong>der</strong> Kulturabteilung <strong>der</strong> örtlichen Kreismilitärregierung<br />

e<strong>in</strong>en Genehmigungsantrag zur Wie<strong>der</strong>gründung stellen. Verboten blieben zunächst solche<br />

Vere<strong>in</strong>e, <strong>der</strong>en Aktivitäten schwer zu kontrollieren waren. Dazu zählten etwa die Ortsgruppen<br />

des Alpenvere<strong>in</strong>s o<strong>der</strong> Camp<strong>in</strong>gvere<strong>in</strong>e. Gruppierungen, die potenziell militärischen<br />

Zwecken dienen könnten bzw. <strong>der</strong>en Aktivität militärischen Interessen <strong>der</strong><br />

Franzosen entgegenstand wie etwa Luftsport- o<strong>der</strong> Schützenvere<strong>in</strong>e blieben gleichfalls<br />

511 BETTERMANN, Strukturen, <strong>in</strong>: WOLLENWEBER, Jugendbildung <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 64.<br />

512 Beispielhaft genannt seien die beiden All-Sportvere<strong>in</strong>e – <strong>der</strong> Sportvere<strong>in</strong> (SV) <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong> für<br />

Leibesübungen (VfL) (1946) – , sowie <strong>der</strong> Radsportvere<strong>in</strong> (1947), Ortsgruppen überregionaler Vere<strong>in</strong>e<br />

wie <strong>der</strong> Schwarzwaldvere<strong>in</strong> (1946), <strong>der</strong> Schwäbisch-Alemannische Heimatb<strong>und</strong> (1946) o<strong>der</strong> lokale<br />

Kulturvere<strong>in</strong>e wie <strong>der</strong> Bürgervere<strong>in</strong> (1947); Narrenvere<strong>in</strong>e konnten ab 1948 wie<strong>der</strong> gegründet werden.


IV.2 REORGANISATION DER JUGENDVERBÄNDE 127<br />

untersagt. Von diesem Verbot war vor Ort <strong>der</strong> Ru<strong>der</strong>club <strong>Konstanz</strong> betroffen, dessen<br />

Gelände nahe <strong>der</strong> unter militärstrategischen Gesichtspunkten für die Franzosen bedeutenden<br />

Rhe<strong>in</strong>brücke lag, zumal <strong>der</strong> See ohneh<strong>in</strong> bis Ende <strong>der</strong> 1940er-Jahre für Sportzwecke<br />

generell gesperrt blieb. Alle Vere<strong>in</strong>e wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frühphase <strong>der</strong> Besatzung durch die<br />

französischen Behörden streng kontrolliert.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e die Sportvere<strong>in</strong>e hatten bald nach Kriegsende wie<strong>der</strong> großen Zulauf. So<br />

nahm <strong>der</strong> FC <strong>Konstanz</strong> 1900 bereits Ende Januar 1946 se<strong>in</strong>en Spielbetrieb wie<strong>der</strong> auf. 513<br />

Die örtlichen Sportorganisationen waren <strong>in</strong> unmittelbarer Nachkriegszeit <strong>in</strong> zwei All-<br />

Sportvere<strong>in</strong>en zusammengefasst. 514 Davon zählte <strong>der</strong> VfL <strong>Konstanz</strong> um 1950 r<strong>und</strong> 1.450<br />

Mitglie<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Sportvere<strong>in</strong> r<strong>und</strong> 400 Mitglie<strong>der</strong>. Im Kreis wurden 5.800 Mitglie<strong>der</strong> von<br />

Sportvere<strong>in</strong>en registriert. 515 Die bis 1933 üblichen Gräben, die zwischen bürgerlichen<br />

Sportclubs <strong>und</strong> Arbeitersportvere<strong>in</strong>en bestanden, wurden nach 1945 bald überw<strong>und</strong>en.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs waren die Sportler an viele Auflagen <strong>der</strong> Besatzungsmacht geb<strong>und</strong>en. E<strong>in</strong>zelne<br />

Sportarten waren <strong>in</strong> unmittelbarer Nachkriegszeit verboten. E<strong>in</strong>ige Freizeit- <strong>und</strong> Wan<strong>der</strong>betätigungen<br />

konnten nur e<strong>in</strong>geschränkt ausgeübt werden. So war von E<strong>in</strong>schränkungen<br />

vor allem <strong>der</strong> Wassersport betroffen. Denn erst im Sommer 1949 wurde <strong>der</strong> See für<br />

Freizeit <strong>und</strong> Sport wie<strong>der</strong> freigegeben. Mitglie<strong>der</strong> von Jugendorganisationen durften ab<br />

Sommer 1949 auf Antrag Wassersport treiben. 516 Noch kurz vor Inkrafttreten <strong>der</strong> neuen<br />

Regel war e<strong>in</strong> entsprechen<strong>der</strong> Antrag <strong>der</strong> Naturfre<strong>und</strong>e vom März 1949 abschlägig<br />

behandelt worden. 517 Ebenso waren Wettbewerbe genehmigungspflichtig. Obwohl sich<br />

die Sportverbände ab Mitte 1948 auf Landesebene zusammenschließen durften, blieb ihre<br />

Zuständigkeit auf die Grenzen Südbadens beschränkt. 518 Außerdem hatte die Sportjugend<br />

im örtlichen Jugendausschuss ke<strong>in</strong> Stimmrecht. H<strong>in</strong>ter solchen Auflagen für Sportvere<strong>in</strong>e<br />

stand e<strong>in</strong> tiefes Misstrauen <strong>der</strong> Franzosen gegenüber dem Vere<strong>in</strong>ssport. Es basierte<br />

e<strong>in</strong>erseits auf <strong>der</strong> nationalsozialistischen Vergangenheit, an<strong>der</strong>erseits <strong>in</strong>teressierten sich<br />

die jungen Sportler aus Sicht <strong>der</strong> Franzosen nur für ihren Sport <strong>und</strong> ließen sich daher nur<br />

schwer <strong>in</strong> den Gesamtkontext <strong>der</strong> rééducation <strong>in</strong>tegrieren. 519 Auch <strong>der</strong> Kreisjugendbeauftragte<br />

bestätigte diese E<strong>in</strong>schätzung, <strong>in</strong>dem er darauf verwies, dass die jungen<br />

Sportler nur wenig Neigung zeigten, sich e<strong>in</strong>er Jugendorganisation, Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er kulturellen Aktivität des Jugendbildungswerks anzuschließen.<br />

Die neuen Parteien riefen bald nach ihrer Gründung seit Herbst 1946 ebenfalls jeweils<br />

eigene Jugendorganisationen <strong>in</strong>s Leben. H<strong>in</strong>zuzurechnen s<strong>in</strong>d die parteipolitisch<br />

orientierten Jugendorganisationen <strong>der</strong> sozialistischen Jugendbünde, die FDJ <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen <strong>und</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> die Falkenjugend <strong>in</strong> Rielas<strong>in</strong>gen. Von den Jugendorganisationen <strong>der</strong><br />

Parteien hatte entsprechend <strong>der</strong> überwiegend katholischen Struktur <strong>der</strong> Bevölkerung die<br />

Junge Union als Jugendorganisation <strong>der</strong> CDU erwartungsgemäß größten Zulauf. Die drei<br />

513<br />

SÜDKURIER vom 20.11.1945.<br />

514<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 152-153.<br />

515<br />

Etude sur la Jeunesse, S. 18; MAE AOFAA, C 4381.<br />

516<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 12.08.1949; StAK, S XII.<br />

517<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 28.03.1949; StAK, S XII.<br />

518<br />

StAK, S XII, Allgeme<strong>in</strong>es.<br />

519<br />

Etude sur la Jeunesse, S. 18; MAE AOFAA, C 4381.


128 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

zugelassenen Ortsgruppen <strong>Konstanz</strong>, S<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Radolfzell zählten 1950 zusammen r<strong>und</strong><br />

250 Mitglie<strong>der</strong>. 520 Neben <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>werbung schreiben sich alle westdeutschen<br />

Parteien Jugendthemen auf das Programm, um Wählerstimmen zu gew<strong>in</strong>nen. Als im<br />

Herbst 1946 die ersten demokratischen Kommunalwahlen <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone<br />

genehmigt wurden, versuchten die Parteien die jugendliche Wählerschaft mithilfe ausführlicher<br />

Pressewerbung gezielt anzusprechen. Beispielsweise rief die CDU die Jugend zur<br />

Mitarbeit am Parteileben, an <strong>der</strong> politischen Erziehung <strong>und</strong> beim Aufbau <strong>der</strong> Demokratie<br />

auf. 521 Die Demokratische Partei verlangte e<strong>in</strong>e „umfassende För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> jungen<br />

Generation im öffentlichen Leben“ 522 <strong>und</strong> for<strong>der</strong>te größtmögliche Unterstützung vor allem<br />

für die Kriegsversehrten unter <strong>der</strong> Jugend. Die Kommunistische Partei g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> vielen<br />

For<strong>der</strong>ungen mit den Postulaten <strong>der</strong> französischen Jugendpolitik <strong>in</strong> Deutschland konform.<br />

So schrieb sie unter an<strong>der</strong>em die Schaffung von Jugendausschüssen zur E<strong>in</strong>beziehung <strong>der</strong><br />

Jugend <strong>in</strong> alle die Jugend betreffenden Geme<strong>in</strong>deangelegenheiten <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>richtung von<br />

Jugendheimen auf ihr Programm. Außerdem machte man sich für e<strong>in</strong>e gesicherte<br />

Berufsausbildung für Jugendliche stark. 523 Als Spätfolge des Nationalsozialismus waren<br />

jedoch weite Kreise <strong>der</strong> Jugend gegenüber jeglicher Parteipolitik skeptisch <strong>und</strong> blieben<br />

den Parteien fern. Die politisch <strong>in</strong>teressierte Jugend tendierte eher dazu, sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gewerkschaftsjugend zu engagieren, die <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit, vor<br />

allem aber <strong>in</strong> den 1950er-Jahren im politischen Leben <strong>der</strong> Stadt sehr engagiert war. 524<br />

Die Gewerkschaftsjugend <strong>Konstanz</strong> setzte sich zum überwiegenden Teil aus berufstätigen<br />

Jugendlichen <strong>und</strong> Auszubildenden zusammen. 525 Im Mittelpunkt des geme<strong>in</strong>samen<br />

Interesses standen die Verbesserung <strong>der</strong> Arbeitsverhältnisse <strong>in</strong> den Fabriken <strong>und</strong><br />

Werkstätten, Büros <strong>und</strong> Verkaufsläden sowie die Beratung <strong>in</strong> allen Fragen des Berufs- <strong>und</strong><br />

Arbeitslebens, wie beispielsweise Fragen zur beruflichen Weiterbildung, wobei noch nicht<br />

nach E<strong>in</strong>zelgewerken (Textil, Metall etc.) unterschieden wurde. Neben ihrem politischen<br />

Engagement pflegten die jungen Gewerkschaftsmitglie<strong>der</strong> die Geselligkeit <strong>in</strong> regelmäßigen<br />

Gruppenst<strong>und</strong>en, bei Heimabenden mit Gesang <strong>und</strong> Spiel sowie mittels<br />

Wan<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> Fahrten. Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre gehörten ca. 1.400 bis 1.600 Jugendliche<br />

unter 21 Jahren <strong>der</strong> Gewerkschaftsjugend an, mit regionalen Schwerpunkten <strong>in</strong><br />

S<strong>in</strong>gen, Radolfzell <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>. An regelmäßigen Zusammenkünften <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

nahmen etwa 40 bis 60 Jugendliche pro Abend teil. 526 Die örtliche Militärregierung sympathisierte<br />

mit den Zielsetzungen <strong>der</strong> deutschen Gewerkschaften <strong>und</strong> unterstützte <strong>der</strong>en<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> etwa dadurch, dass sie Filmvorführungen erlaubte o<strong>der</strong> Vorträge durch die<br />

Bereitstellung von Vorführgeräten för<strong>der</strong>te.<br />

520<br />

Etude sur la Jeunesse, S. 20; MAE AOFAA, C 4381.<br />

521<br />

SÜDKURIER vom 09.09.1946.<br />

522<br />

SÜDKURIER vom 06.09.1946.<br />

523<br />

SÜDKURIER vom 03.09.1946.<br />

524<br />

Vgl. hierzu Kap. VII.5.3.<br />

525<br />

W<strong>in</strong>terprogramm des Jugendbildungswerks <strong>Konstanz</strong>, 1950/51; Privatarchiv Rudolf Kutscha.<br />

526<br />

Etude sur la Jeunesse, S. 20; MAE AOFAA, C 4381.


IV.3 BEHÖRDLICHE JUGENDARBEIT 129<br />

3 Behördliche <strong>Jugendarbeit</strong><br />

Während die Wurzeln <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit <strong>in</strong> ganz Deutschland bereits bis zur<br />

Wan<strong>der</strong>vogelbewegung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrh<strong>und</strong>ert bzw. <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> bis<br />

<strong>in</strong> die Zeit <strong>der</strong> Weimarer Republik zurückreichen, gab es im Bereich <strong>der</strong> kommunalen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> bis zum Zweiten Weltkrieg hierzulande ke<strong>in</strong>e Vorläuferstrukturen. Vielmehr<br />

konzentrierte sich die behördliche <strong>Jugendarbeit</strong> vor 1945 auf die Jugendfürsorge. Somit<br />

begannen die Kommunalverwaltungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem<br />

Gebiet <strong>der</strong> präventiven <strong>Jugendarbeit</strong> praktisch bei null. Das Neuartige an <strong>der</strong> kommunalen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> war das weltanschauliche neutrale, überparteiliche, überkonfessionelle <strong>und</strong><br />

offene Angebot, das sich von <strong>der</strong> <strong>in</strong>teressengeb<strong>und</strong>en Jugendverbandsarbeit unterschied.<br />

Die wichtigste Zielgruppe <strong>der</strong> Jugendpflege waren Jugendliche, die sich nicht langfristig<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vere<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Verband engagieren wollten, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e lose o<strong>der</strong> temporäre<br />

B<strong>in</strong>dung – etwa e<strong>in</strong>e Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft beim Jugendbildungswerk o<strong>der</strong> den offenen<br />

Treff im Jugendhaus – bevorzugten. Die rechtliche <strong>und</strong> organisatorische Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong><br />

behördlichen <strong>Jugendarbeit</strong> bildeten <strong>in</strong> Südbaden e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Anweisungen,<br />

welche vonseiten <strong>der</strong> Abteilung Jugendpflege <strong>und</strong> Volksbildung beim M<strong>in</strong>isterium des<br />

Innern seit <strong>der</strong> zweiten Jahreshälfte 1946 an die Landratsämter <strong>und</strong> Stadtkreisverwaltungen<br />

erg<strong>in</strong>gen. Im ersten Schritt wurden die Aufgaben <strong>der</strong> Jugendausschüsse def<strong>in</strong>iert<br />

<strong>und</strong> die E<strong>in</strong>richtung von Jugendhäusern <strong>und</strong> Jugendbildungswerken empfohlen. 527 Anfang<br />

Mai 1947 schließlich gab das M<strong>in</strong>isterium im weiteren Schritt zwei Landesordnungen zur<br />

Stellung <strong>der</strong> Kreisbeauftragten für die Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e<br />

weitere betreffend die E<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> Strukturen <strong>der</strong> Jugendbildung bekannt. 528 Im<br />

Kern verpflichteten die erwähnten Bestimmungen die Stadt <strong>und</strong> den Landkreis <strong>Konstanz</strong><br />

jeweils dazu, bestimmte vorgegebene Institutionen für die Jugend <strong>und</strong> Jugendbildung<br />

e<strong>in</strong>zurichten <strong>und</strong> die personellen Voraussetzungen für <strong>der</strong>en Betreuung zu schaffen.<br />

Auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage dieser Bestimmungen wurde <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> nur knapp zwei Jahren<br />

e<strong>in</strong> bis dah<strong>in</strong> neuartiges offenes Jugendangebot auf die Füße gestellt. Zwischen Ende 1946<br />

<strong>und</strong> Herbst 1947 entstanden im ersten Schritt <strong>der</strong> Jugendausschuss, das Jugendhaus <strong>und</strong><br />

das Jugendbildungswerk. Innerhalb <strong>der</strong> Stadtverwaltung wurde die Abteilung für<br />

Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung mit e<strong>in</strong>em Jugendbeauftragten an <strong>der</strong> Spitze <strong>in</strong>s Leben<br />

gerufen, welche für die Organisation <strong>und</strong> Koord<strong>in</strong>ation <strong>der</strong> Jugendpflege im Kreis<br />

zuständig war. An dieser Stelle ist auf e<strong>in</strong>e Beson<strong>der</strong>heit <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> örtlichen<br />

Jugendpflege h<strong>in</strong>zuweisen, die dar<strong>in</strong> bestand, dass Strukturen, Organisation <strong>und</strong><br />

Aufgabenfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendpflege anfangs auf Stadtkreis- <strong>und</strong> Landkreisebene eng<br />

mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verwoben waren. Diese Aussage trifft zeitlich vor allem auf die Phase<br />

527 Badisches M<strong>in</strong>isterium des Innern, Erlass Nr. 3743, „Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isterium des Innern<br />

Nr. 12418 an die Oberbürgermeister <strong>der</strong> Städte Baden-Baden, Freiburg i. Br. <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong> vom<br />

26.08.1946, betr. Jugendbildungswerk <strong>und</strong> Haus <strong>der</strong> Jugend“; StAK, S II 13260. E<strong>in</strong>e Abschrift <strong>der</strong><br />

Version für Landratsämter bef<strong>in</strong>det sich im KrAK, Bestand Landratsamt <strong>Konstanz</strong>, Nr 352.105, Fasz.I.<br />

528 „Landesverordnung vom 3. Mai 1947 über die Stellung <strong>der</strong> Kreisbeauftragten für die Jugendbildung <strong>und</strong><br />

Jugendbewegung“; „Landesverfügung vom 3. Mai 1947 über die E<strong>in</strong>richtungen für die Jugendbildung“,<br />

veröffentlicht im Amtsblatt <strong>der</strong> Landesverwaltung Baden Nr. 20 vom 24.05.1947, S. 127.


130 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

zwischen Ende 1946 <strong>und</strong> Herbst 1947 zu. In diesem Zeitraum betreute <strong>der</strong> Landkreis den<br />

Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> auf dem Gebiet <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung<br />

weitestgehend mit. 529 Bis 1947 bildete <strong>der</strong> Stadtkreis im weitern Schritt sukzessive vom<br />

Kreis diesbezüglich unabhängige kommunale Strukturen aus <strong>und</strong> nahm seither alle<br />

Aufgaben im Bereich <strong>der</strong> Jugendpflege eigenständig wahr. Diese <strong>Entwicklung</strong> kam <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gründung e<strong>in</strong>er eigenen Abteilung für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung bei <strong>der</strong><br />

Stadtverwaltung, die E<strong>in</strong>stellung e<strong>in</strong>es Stadtjugendpflegers <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schaffung des<br />

städtischen Jugendbildungswerks zum Ausdruck. Die E<strong>in</strong>zelheiten dieser <strong>Entwicklung</strong><br />

kommen <strong>in</strong> den nachfolgenden Abschnitten zur Sprache.<br />

3.1 Gründung von Jugendausschüssen im Stadt- <strong>und</strong> im Landkreis<br />

<strong>Konstanz</strong><br />

Die Aufgaben des Jugendausschusses, <strong>der</strong> am 2. September 1946 im Stadtratssaal <strong>in</strong>s<br />

Leben gerufen wurde, erläuterte <strong>der</strong> damalige Kreisjugendbeauftragte Karl Sigrist 1946<br />

mit den folgenden Worten:<br />

„Der Jugendausschuss betrachtet sich als Organ <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugend, vorläufig <strong>und</strong><br />

vorübergehend ist er auch mit Aufgaben des gesamten Landkreises <strong>Konstanz</strong> beauftragt.<br />

Se<strong>in</strong>e Hauptaufgabe wird es se<strong>in</strong>, über die notwendigen organisatorischen <strong>und</strong><br />

bürokratischen Zuständigkeitsfragen h<strong>in</strong>weg, <strong>der</strong> Jugend unmittelbar gegenüber zu<br />

treten <strong>und</strong> sie von Mensch zu Mensch anzusprechen.“ 530<br />

An<strong>der</strong>e Quellen deuten auf die Existenz e<strong>in</strong>er Vorläufer<strong>in</strong>stanz h<strong>in</strong>, so wird <strong>während</strong> <strong>der</strong><br />

Vorbereitungen zum <strong>Konstanz</strong>er „Jugendtag“ bereits e<strong>in</strong> Jugendausschuss erwähnt, 531<br />

jedoch f<strong>in</strong>den sich ke<strong>in</strong>e näheren H<strong>in</strong>weise auf dessen Zusammensetzung <strong>und</strong> Aufgaben.<br />

Möglicherweise handelte es sich <strong>in</strong> diesem Fall um e<strong>in</strong>en projektbezogenen Aktionsausschuss,<br />

<strong>der</strong> sich speziell mit <strong>der</strong> Organisation des Jugendtages <strong>und</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>weihung des<br />

neuen Jugendhauses beschäftigte.Das obige Zitat macht zweierlei deutlich. Erstens: Der<br />

im Herbst 1946 auf Basis <strong>der</strong> Bestimmungen aus Freiburg 532 gegründete Jugendausschuss<br />

<strong>Konstanz</strong>-Stadt koord<strong>in</strong>ierte <strong>in</strong> unmittelbarer Besatzungszeit sämtliche Jugendaktivitäten<br />

529 Zur Nachkriegsgeschichte des <strong>Konstanz</strong>er Landratsamts: GIRRES, Landratsamt <strong>Konstanz</strong>, <strong>in</strong>:<br />

Landkreisnachrichten Baden-Württemberg 24 (1985), Heft 2, S. 49.<br />

530 Vgl. das Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 19.09.1946; StAK, S XII.<br />

531 Es f<strong>in</strong>den sich Protokolle des <strong>Konstanz</strong>er Jugendausschusses vom Mai <strong>und</strong> Juni 1946 <strong>in</strong> den Handakten<br />

des Rechtsrats Kirchgässner: StAK, S II 13260; zu den weiteren Protokollen siehe die Unterlagen zur<br />

Abteilung Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung im StAK, S XII.<br />

532 Konkret def<strong>in</strong>ierten diese Weisungen für die Jugendausschüsse <strong>in</strong> Südbaden im E<strong>in</strong>zelnen folgende Aufgabengebiete:<br />

Schaffung e<strong>in</strong>es Hauses <strong>der</strong> Jugend; Errichtung <strong>und</strong> Durchführung des Jugendbildungswerks;<br />

Schaffung e<strong>in</strong>er Volkshochschule; Hilfe bei <strong>der</strong> Berufsberatung <strong>der</strong> Jugendlichen; Vorbereitung<br />

<strong>und</strong> Gestaltung von Festen für die Jugend; Durchführung dr<strong>in</strong>glicher E<strong>in</strong>sätze (Ernte, Aufräumarbeiten,<br />

Wie<strong>der</strong>aufbau, Wie<strong>der</strong><strong>in</strong>standsetzung von Sportplätzen u. Ä.); Betreuung <strong>der</strong> dem Landkreis zugehörigen<br />

Jugendherbergen; Schaffung e<strong>in</strong>es Theaterr<strong>in</strong>gs <strong>der</strong> Jugend; Badisches M<strong>in</strong>isterium des Innern,<br />

Erlass Nr. 3743, „Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isterium des Innern Nr. 12418 an die Oberbürgermeister<br />

<strong>der</strong> Städte Baden-Baden, Freiburg i. Br. <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong> vom 26.08.1946, betr. Jugendbildungswerk <strong>und</strong><br />

Haus <strong>der</strong> Jugend“; StAK, S II 13260.


IV.3 BEHÖRDLICHE JUGENDARBEIT 131<br />

vor Ort. Se<strong>in</strong> weit gestecktes Aufgabenspektrum umfasste den gesamten Aufbau <strong>der</strong><br />

behördlichen Jugendpflege <strong>und</strong> die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendorganisationen <strong>und</strong> des<br />

Jugendsports, wobei e<strong>in</strong>e enge Kooperation mit an<strong>der</strong>en Partnern (Jugend- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsämtern,<br />

Schulen, Kirchen, Sportvere<strong>in</strong>en <strong>und</strong> politischen Verbänden) ausdrücklich<br />

erwünscht war. 533 Zweitens: Der Stadtjugendausschuss war anfangs zunächst für den<br />

Landkreis <strong>Konstanz</strong> zuständig, bis im Herbst 1947 e<strong>in</strong> eigenständiger Kreisjugendausschuss<br />

gegründet wurde. 534 Dieser wie<strong>der</strong>um wurde 1948 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Ortsausschuss S<strong>in</strong>gen<br />

umgewandelt.<br />

Dem Ausschuss <strong>Konstanz</strong>-Stadt gehörten Vertreter aus Kommunalverwaltung, <strong>der</strong><br />

Stadt- <strong>und</strong> Jugendfürsorge, des Ges<strong>und</strong>heitsamtes sowie <strong>der</strong> Jugendverbände, Schulen,<br />

Kirchen, Vere<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Wohlfahrtsverbände an. Außerdem war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong><br />

Repräsentant <strong>der</strong> Militärregierung bei den Sitzungen anwesend. Meist handelte es sich um<br />

den Jugendoffizier. Bei wichtigen Aussprachen waren außerdem höherrangige<br />

Besatzungsangehörige zugegen. Beispielsweise setzte sich das Gremium nach dem Stand<br />

vom Mai 1947 aus folgenden Personen zusammen: Oberbürgermeister Knapp als<br />

Vorsitzen<strong>der</strong>, Landrat Astfäller als stellvertreten<strong>der</strong> Vorsitzen<strong>der</strong>, Karl Sigrist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Eigenschaft als Kreisjugendbeauftragter <strong>und</strong> Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freien Jugend sowie die<br />

Vertreter des Stadtjugendamtes, des Ges<strong>und</strong>heitsamtes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugendorganisationen<br />

sowie Jugendoffizier Marot als Repräsentant des Gouvernements Militaire. Bei den<br />

Vertretern <strong>der</strong> Jugendorganisationen handelte sich im E<strong>in</strong>zelnen um Kooperator Wunsch,<br />

Katholische Jugend, Dekan Mono, Evangelische Jugend, Assessor Sigrist, Freie Jugend<br />

<strong>und</strong> Karl He<strong>in</strong>z Wallenwe<strong>in</strong>, Naturfre<strong>und</strong>ejugend.<br />

Die Auflistung macht deutlich, dass <strong>in</strong> <strong>der</strong> Aufbauphase <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> zunächst nur<br />

wenige gesellschaftliche Kräfte für diese Aufgaben zur Verfügung standen. Als erste nicht<br />

behördliche Träger waren die beiden großen christlichen Kirchen von Anfang an im<br />

Jugendausschuss vertreten. Bereits früh drängte die Militärregierung zudem darauf, dass<br />

Schulen <strong>und</strong> Gewerkschaften im Jugendausschuss repräsentiert waren. 535<br />

Die Zusammensetzung <strong>der</strong> Teilnehmer entwickelte sich parallel zum Aufbau <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> vor Ort. So wurde <strong>der</strong> Teilnehmerkreis deutlich erweitert; <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

wuchs <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Vertreter <strong>der</strong> freien Träger merklich an. Diese <strong>Entwicklung</strong> spiegelt<br />

Ereignisse wie die Genehmigung weiterer örtlicher Jugendgruppen, die Gründung von<br />

Bildungse<strong>in</strong>richtungen wie Volkshochschule <strong>und</strong> Jugendbildungswerk <strong>und</strong> die Wie<strong>der</strong>entstehung<br />

<strong>der</strong> Wohlfahrtsbände <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>e wi<strong>der</strong>, vor allem wird die Ausweitung <strong>der</strong><br />

freien Träger <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> zwischen 1947 <strong>und</strong> 1949 dokumentiert. So waren<br />

nach dem Stand von März 1949 folgende Jugendverbände mit e<strong>in</strong> bis drei Repräsentanten<br />

im Jugendausschuss vertreten: die katholische weibliche Jugend, die Evangelische Jugend,<br />

die Katholische Jugend, die Naturfre<strong>und</strong>ejugend, die Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppe St. Michael, die<br />

Sportjugend, die Freie Jugend sowie die nichtorganisierte Jugend.<br />

533 EBERHARDT, Sozialleistungen, <strong>in</strong>: STAATLICHE ARCHIVVERWALTUNG BADEN-WÜRTTEMBERG;<br />

LANDKREIS KONSTANZ, Kreisbeschreibung, Band II, S. 334-351, S. 340 f.<br />

534 Die erste Sitzung fand unter dem Vorsitz des Landrats am 13. 10. 1947 <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen statt.<br />

535 Schreiben Degliames an Landrat Belzer vom 09.10.1946; StAK, S XII.


132 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Dem Gremium lag <strong>der</strong> <strong>in</strong>novative Gedanke zugr<strong>und</strong>e, alle Vertreter <strong>der</strong> freien <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

behördlichen Jugendpolitik, Jung <strong>und</strong> Alt, sowie hauptamtlich <strong>und</strong> ehrenamtlich Tätige an<br />

e<strong>in</strong>em Tisch zusammenzubr<strong>in</strong>gen. In <strong>der</strong> Praxis blieb diese Idee <strong>in</strong>dessen oftmals eher<br />

e<strong>in</strong>e Wunschvorstellung. Denn neben unterschiedlichen Standpunkten <strong>und</strong> Interessenlagen<br />

<strong>der</strong> Träger verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten zahlreiche Schwierigkeiten wie vor allem die ungeregelte Kompetenzverteilung<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e äußerst hohe Fluktuation <strong>der</strong> Teilnehmer die effiziente Arbeit<br />

des Gremiums. Dies trug vermutlich zu den Umstrukturierungen h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er kommunal<br />

gelenkten <strong>Jugendarbeit</strong> um das Jahr 1948 bei. 536<br />

3.1.1 Ziele <strong>und</strong> Aufgaben des örtlichen Jugendausschusses<br />

Die Ziele <strong>und</strong> Aufgaben des Jugendausschusses wurden Anfang Oktober 1946, <strong>und</strong> damit<br />

nur wenige Wochen nach se<strong>in</strong>er Gründung, im Rahmen e<strong>in</strong>es „offenen Ausspracheabends“<br />

<strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugend <strong>und</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit vorgestellt. E<strong>in</strong>e solche Jugendveranstaltung,<br />

bei <strong>der</strong> man jungen Menschen, wie es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lokalpresse hieß, Raum für<br />

„das freie Wort“ bot, war e<strong>in</strong> Novum <strong>in</strong> <strong>der</strong> lokalen <strong>Jugendarbeit</strong>. Die Tatsache, dass<br />

Jugendliche aufgefor<strong>der</strong>t waren, ihre Me<strong>in</strong>ung frei <strong>und</strong> deutlich zu sagen, war nach den<br />

vorausliegenden zwölf Jahren Diktatur e<strong>in</strong> völlig neuer Ansatz, um mit Jugendlichen <strong>in</strong>s<br />

Gespräch zu kommen. Dah<strong>in</strong>ter stand <strong>der</strong> Versuch, im Rahmen <strong>der</strong> französischen Politik<br />

<strong>der</strong> rééducation die Deutschen nach dem verlorenen Krieg zu Demokraten umzuerziehen,<br />

wobei es zudem darum g<strong>in</strong>g, neue Formen <strong>der</strong> Gesprächskultur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft zu<br />

manifestieren, die auf Gedankenaustausch <strong>und</strong> Me<strong>in</strong>ungsvielfalt basierten. 537 Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus sollte die Arbeit des Jugendausschusses sowohl nach außen als auch gegenüber <strong>der</strong><br />

eigenen Verwaltung transparent gemacht werden. Aus demselben Gr<strong>und</strong> referierte <strong>der</strong><br />

Jugendbeauftragte bei vielen Anlässen immer wie<strong>der</strong> über den Stand <strong>der</strong> Jugendpflege <strong>und</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> vor Ort. So wurde beispielsweise Rudolf Kutscha im März 1948 vom<br />

Stadtrat gebeten, „<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> nächsten Sitzungen e<strong>in</strong> kurzes aufklärendes Referat […]<br />

über die Tätigkeit des Jugendausschusses <strong>in</strong>nerhalb unserer Stadt <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Person als<br />

Jugendbeauftragter des Stadtkreises <strong>Konstanz</strong>“ 538 zu halten.<br />

Insgesamt kam <strong>der</strong> Jugendausschuss <strong>während</strong> <strong>der</strong> gesamten Zeit se<strong>in</strong>es Bestehens von<br />

Ende 1946 bis Mitte 1950 zu über 20 Sitzungen zusammen. Auf <strong>der</strong> Tagesordnung<br />

standen nahezu alle relevanten Fragen zur freien <strong>und</strong> behördlichen <strong>Jugendarbeit</strong>. In den<br />

ersten e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahren fanden die Sitzungen nahezu jeden Monat statt, was darauf<br />

h<strong>in</strong>weist, dass <strong>während</strong> <strong>der</strong> Aufbauphase <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong>e Fülle von Themen <strong>und</strong><br />

neuen Regelungen abzuhandeln war. In <strong>der</strong> Konsolidierungsphase ab 1948 reduzierten<br />

sich die Treffen auf sechs Sitzungen. Ab 1949 fanden nurmehr halbjährliche Treffen statt.<br />

Über die Inhalte <strong>der</strong> Sitzungen s<strong>in</strong>d wir aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Tatsache, dass regelmäßig<br />

darüber Protokoll geführt wurde, sehr gut <strong>in</strong>formiert. Der Anstoß, Sitzungsprotokolle zu<br />

führen, stammte vom Leiter <strong>der</strong> Abteilung für Jugendpflege beim Badischen M<strong>in</strong>isterium<br />

536 Vgl. hierzu Kap. IV.3.1.3.<br />

537 SÜDKURIER vom 04.10.1946.<br />

538 Schreiben des Stadtrats August Ba<strong>der</strong> an den Oberbürgermeister vom 08.03.1948; StAK, S II 13260.


IV.3 BEHÖRDLICHE JUGENDARBEIT 133<br />

des Innern, Dr. Joseph Epp. Aus Anlass <strong>der</strong> Sitzung im Dezember 1946, bei <strong>der</strong> es um die<br />

Klärung strittiger Punkte <strong>in</strong>nerhalb des Jugendausschusses <strong>und</strong> <strong>der</strong> örtlichen Jugendpflegearbeit<br />

g<strong>in</strong>g, regte er „nachdrücklichst die Führung e<strong>in</strong>es Protokolls pro Sitzung“ 539<br />

an. Diese Protokolle, die glücklicherweise aufbewahrt wurden <strong>und</strong> heute zusammen mit<br />

an<strong>der</strong>en Unterlagen <strong>der</strong> Jugendpflege archiviert s<strong>in</strong>d, vermitteln e<strong>in</strong>en exzellenten<br />

E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Praxisfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong>. Insbeson<strong>der</strong>e werden thematische<br />

Schwerpunkte erkennbar; dazu gehörten die Gründung, Durchführung <strong>und</strong> F<strong>in</strong>anzierung<br />

<strong>der</strong> Jugende<strong>in</strong>richtungen.<br />

Zu den Dauerthemen zählte erstens <strong>der</strong> Betrieb des „Heims <strong>der</strong> deutschen Jugend“,<br />

zweitens die Durchführung des Jugendbildungswerks. In diesem Zusammenhang wurden<br />

alle Fragen, die für den Betrieb dieser E<strong>in</strong>richtung wichtig waren, erörtert; das Spektrum<br />

reichte von <strong>der</strong> Programmgestaltung über die Unfall- <strong>und</strong> Haftpflichtversicherung bis h<strong>in</strong><br />

zu Kursleiterhonoraren <strong>und</strong> speziellen Schwierigkeiten e<strong>in</strong>zelner Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften.<br />

Auch die Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>und</strong> Instandsetzung <strong>der</strong> Jugendherberge Allmannshöhe sowie<br />

allgeme<strong>in</strong>e Bestimmungen zum Wie<strong>der</strong>aufbau des Jugendherbergswesens im Land<br />

standen mehrfach auf <strong>der</strong> Geschäftsordnung. E<strong>in</strong> wichtiges Thema war die Ausschreibung<br />

<strong>und</strong> Besetzung <strong>der</strong> Stelle des <strong>Konstanz</strong>er Stadtjugendpflegers, die zwischen Mai <strong>und</strong><br />

Oktober 1947 erfolgte. 540 Über die regelmäßig besprochenen Themen h<strong>in</strong>aus befasste sich<br />

die Kommission zeitnah mit Projekten <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelveranstaltungen wie etwa Gastspielen<br />

französischer Theatergruppen, Jugendausstellungen, Werkwochen o<strong>der</strong> Unterhaltungsabenden.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus dienten die Treffen dem Informationsaustausch. Hier erfuhren<br />

beispielsweise die Vertreter <strong>der</strong> Jugendgruppen von den Landesbestimmungen <strong>und</strong> Anordnungen<br />

<strong>der</strong> Militärbehörden bzw. des Innenm<strong>in</strong>isteriums h<strong>in</strong>sichtlich Lizenzierungsfragen,<br />

<strong>der</strong> Führung von Monatsberichten, dem Erlass von Reiseerleichterungen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Durchführung<br />

von Zeltlagern. Somit war sichergestellt, dass die übergeordneten Vorgaben zur<br />

Neuregelung <strong>der</strong> Jugendhilfe den örtlichen Vertretern <strong>der</strong> freien <strong>und</strong> <strong>der</strong> behördlichen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> bekannt waren – zum<strong>in</strong>dest bot <strong>der</strong> Jugendausschuss allen Beteiligten bei<br />

Interesse die Möglichkeit, sich entsprechend zu <strong>in</strong>formieren.<br />

Damit ist jedoch nicht gesagt, dass es ke<strong>in</strong>e Informationsmangel o<strong>der</strong> Kommunikationsprobleme<br />

gegeben hätte bzw. dass die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> vor Ort völlig<br />

harmonisch vonstatten gegangen wäre. Ebenso kann <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wand e<strong>in</strong>iger Vertreter <strong>der</strong><br />

Militärbehörden, die <strong>in</strong> späteren Befragungen über mangelnde Informationen ihrer vorgesetzten<br />

Behörden berichteten, nicht ignoriert werden.<br />

Auch wenn sich auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> bisherigen quellengestützten Bef<strong>und</strong>e noch ke<strong>in</strong>e<br />

allgeme<strong>in</strong>gültigen Aussagen generieren lassen, ist mit Blick auf die lokalgeschichtliche<br />

Situation zu konstatieren, dass die angesprochenen Kommunikationsprobleme auf diesem<br />

Gebiet offenbar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kurzen Zeitphase auftraten, als sich die <strong>Jugendarbeit</strong> vor Ort noch<br />

im Aufbau befand. Dabei handelte es sich vor allem um die Zeit von Ende 1945 bis Ende<br />

539 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 13.12.1946; StAK, S II 15147.<br />

540 Protokolle des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 28.05. <strong>und</strong> 29.09.1947; StAK, S XII.


134 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

1946. Dieser Zeitraum war für die örtliche <strong>Jugendarbeit</strong> durch drei wi<strong>der</strong>sprüchliche<br />

<strong>Entwicklung</strong>sl<strong>in</strong>ien gekennzeichnet: Erstens gaben die übergeordneten Stellen <strong>in</strong> Baden-<br />

Baden <strong>und</strong> Freiburg erst nach <strong>und</strong> nach verb<strong>in</strong>dliche Richtl<strong>in</strong>ien bekannt, zweitens hatten<br />

die Bezirks- <strong>und</strong> Kreisdelegierten <strong>der</strong> Militärregierung <strong>in</strong> vielen Fragen <strong>der</strong> lokalen<br />

Besatzungspolitik, darunter die Jugendpolitik, unmittelbar das Sagen <strong>und</strong> drittens kam es<br />

vor, dass Vorgaben aus Baden-Baden wi<strong>der</strong>sprüchlich waren o<strong>der</strong> unterschiedliche<br />

Deutungsmuster zuließen. Letzteres lässt sich am Beispiel <strong>der</strong> Diskussionen, die um den<br />

Vorsitz im Jugendausschuss geführt wurden, im folgenden Abschnitt dokumentieren.<br />

3.1.2 Differenzen zwischen Stadt <strong>und</strong> Militärregierung im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

Strukturen <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong><br />

Die Protokolle spiegeln zudem Unstimmigkeiten zwischen <strong>der</strong> Stadtverwaltung <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Militärregierung h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> wi<strong>der</strong>. So sorgte vor allem die Frage, ob <strong>der</strong><br />

Vorsitzende des Jugendausschusses durch die freien o<strong>der</strong> durch die behördlichen Träger<br />

gestellt werden müsse, <strong>in</strong>nerhalb des Jugendausschusses für reichlich Konfliktstoff<br />

zwischen den Vertretern <strong>der</strong> Militärregierung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stadtverwaltung. Nach dem Wunsch<br />

<strong>der</strong> Franzosen sollten die örtlichen Jugendgruppen den Vorsitzenden aus ihren Reihen<br />

wählen. Die Stadtverwaltung vertrat dagegen die Auffassung, dass es sich im Fall des<br />

Jugendausschusses um e<strong>in</strong> kommunales Gremium handele, das gemäß Geme<strong>in</strong>deordnung<br />

vom Stadtrat e<strong>in</strong>gesetzt <strong>und</strong> durch den Oberbürgermeister o<strong>der</strong> dessen Stellvertreter<br />

geführt werden müsse. Der städtische Rechtsrat Kirchgässner plädierte dafür, den Jugendausschuss<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en stadträtlichen Ausschuss für Jugendpflege <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en eigentlichen<br />

Jugendausschuss zu unterteilen. Ersterer sollte sich unter Vorsitz des Oberbürgermeisters<br />

mit gr<strong>und</strong>sätzlichen Aspekten <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> wie F<strong>in</strong>anzfragen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Überlassung<br />

städtischer Räumlichkeiten sowie Spiel- <strong>und</strong> Sportplätzen <strong>und</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung von<br />

Jugendheimen <strong>und</strong> Jugendherbergen befassen. Der Jugendausschuss im engeren S<strong>in</strong>ne, <strong>der</strong><br />

durch die Jugendgruppen repräsentiert wurde, sollte sich dagegen mit allgeme<strong>in</strong>en Fragen<br />

zur Jugendbildung, Jugendbewegung <strong>und</strong> zum Jugendsport beschäftigen.<br />

Diese Konzeption, die naturgemäß primär an den <strong>in</strong>ternen Interessen <strong>der</strong> Stadtverwaltung<br />

orientiert war, lief auf e<strong>in</strong>e strikte Trennung zwischen öffentlicher <strong>und</strong> freier<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> h<strong>in</strong>aus <strong>und</strong> hätte zudem <strong>der</strong> Stadtverwaltung weitgehende Entscheidungsbefugnisse<br />

über die För<strong>der</strong>mittel <strong>und</strong> die Raumnutzung im H<strong>in</strong>blick auf die von <strong>der</strong><br />

Militärregierung gefor<strong>der</strong>ten Jugende<strong>in</strong>richtungen garantiert. So war beispielsweise<br />

angedacht, die Benutzung des Jugendhauses nur nach vorheriger Zustimmung durch das<br />

Stadtjugendamt zu erlauben. E<strong>in</strong>e weitere französische Vorgabe, wonach dem Jugendausschuss<br />

e<strong>in</strong> Sekretariat zugeordnet werden sollte, hätte ebenfalls problemlos <strong>und</strong> ohne die<br />

E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>er weiteren Personalstelle umgesetzt werden können, <strong>in</strong>dem das Sekretariat<br />

des Jugendamtes mit dieser Aufgabe beauftragt worden wäre. Die Ansiedlung <strong>der</strong> Jugendpflege<br />

beim Jugendamt wi<strong>der</strong>sprach jedoch <strong>der</strong> von den Franzosen gefor<strong>der</strong>ten Schaffung<br />

<strong>der</strong> Abteilung für Jugendbewegung <strong>und</strong> Jugendbildung, für die e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Planstellen<br />

vorgesehen waren.


IV.3 BEHÖRDLICHE JUGENDARBEIT 135<br />

Die Aufzeichnungen werfen zudem e<strong>in</strong> Licht auf die Formen des Umgangs zwischen<br />

den e<strong>in</strong>zelnen Beteiligten <strong>und</strong> den örtlichen Behördenvertretern, vor allem Rechtsrat<br />

Kirchgässner <strong>und</strong> Oberbürgermeister Knapp, welche die Interessen <strong>der</strong> Stadt mit<br />

Nachdruck selbst gegenüber den übergeordneten Stellen <strong>und</strong> den Vertretern <strong>der</strong><br />

Militärregierung verteidigten. Die Konzeption <strong>der</strong> Stadtverwaltung zur Strukturierung <strong>der</strong><br />

örtlichen Jugendpflege <strong>und</strong> zur Zusammensetzung des Jugendausschusses orientierte sich<br />

an den örtlichen Gegebenheiten e<strong>in</strong>er <strong>Jugendarbeit</strong>, die sich soeben im Neu- bzw.<br />

Wie<strong>der</strong>aufbau befand. Dass hierbei darüber h<strong>in</strong>aus vor allem Eigen<strong>in</strong>teressen gewahrt<br />

werden sollten, ist verständlich. Interessanterweise g<strong>in</strong>gen die Jugendverbände mit dem<br />

Vorschlag <strong>der</strong> Stadt konform <strong>und</strong> erklärten sich bereit, auf den Vorsitz im<br />

Jugendausschuss zu verzichten. Offenbar sahen sich die Jugendgruppen so kurz nach ihrer<br />

Lizenzierung <strong>und</strong> Wie<strong>der</strong>gründung außerstande, e<strong>in</strong>e leitende Position <strong>in</strong>nerhalb des<br />

Jugendausschusses auszuüben. Zudem taten die freien Träger sich schwer, e<strong>in</strong>stimmige<br />

Beschlüsse zu fassen, solange noch ke<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Interessenvertretung etwa <strong>in</strong> Form<br />

des 1950 gegründeten Stadtjugendr<strong>in</strong>gs existierte.<br />

Letztlich scheiterten die Vorschläge <strong>der</strong> Stadtverwaltung jedoch am E<strong>in</strong>spruch <strong>der</strong><br />

Militärbehörde, die auf <strong>der</strong> Bildung des Jugendausschusses <strong>in</strong> <strong>der</strong> vorgesehenen Form als<br />

geme<strong>in</strong>samem Zusammenschluss behördlicher <strong>und</strong> freier Träger bestand. 541 Nachdem die<br />

Diskussion <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> offensichtlich über längere Zeit kontrovers geführt wurde,<br />

schalteten sich schließlich die übergeordneten Freiburger Behörden e<strong>in</strong> <strong>und</strong> entschieden<br />

über die strittigen Fragen, die h<strong>in</strong>sichtlich des Aufbaus <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> bestanden. So nahmen im Dezember 1946 <strong>der</strong> Chef <strong>der</strong> französischen Jugendbehörde<br />

<strong>in</strong> Freiburg, Deshayes, sowie Regierungsrat Epp vom M<strong>in</strong>isterium des Innern, <strong>der</strong><br />

bei dieser Gelegenheit auf „bestehende Spannungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>“ h<strong>in</strong>wies, an e<strong>in</strong>er<br />

Sitzung des Jugendausschusses <strong>Konstanz</strong> teil. 542 Dabei <strong>in</strong>formierte Deshayes zunächst<br />

allgeme<strong>in</strong> über die künftigen Aufgaben, die <strong>der</strong> Stadt- <strong>und</strong> Landkreisverwaltung im<br />

Bereich <strong>der</strong> Jugendpflege nach französischem Willen oblagen. Sodann for<strong>der</strong>te er die<br />

Stadtverwaltung auf, nicht erst e<strong>in</strong>e befriedigende Lösung <strong>der</strong> Ernährungsfrage abzuwarten,<br />

son<strong>der</strong>n alle von den Franzosen gefor<strong>der</strong>ten Projekte gemäß den Richtl<strong>in</strong>ien des<br />

M<strong>in</strong>isteriums des Innern vom August 1946 möglichst bald <strong>und</strong> zügig durchzuführen.<br />

Zugleich wies er den Jugendausschuss an, die örtliche <strong>Jugendarbeit</strong> absolut zu unterstützen,<br />

zumal die Zusammenarbeit, se<strong>in</strong>en Worten zufolge, <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Städten angeblich<br />

reibungslos funktioniere. Die Anwesenden wurden außerdem darüber <strong>in</strong> Kenntnis gesetzt,<br />

dass Deshayes Anweisung habe, die übergeordneten Dienststellen <strong>der</strong> Militärregierung<br />

sowie Innenm<strong>in</strong>ister Nordmann über den Verlauf <strong>der</strong> Unterredung <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> zu<br />

<strong>in</strong>formieren.<br />

Die Beispiele zeigen, dass die Franzosen mit Nachdruck darauf bestanden, dass die<br />

entsprechenden Richtl<strong>in</strong>ien des Innenm<strong>in</strong>isteriums h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Neugestaltung <strong>der</strong><br />

Jugendpflege auf lokaler Ebene umgesetzt wurden. Dies lässt erkennen, dass <strong>der</strong> Aufbau<br />

541 Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern Nr. 18385 (Abschrift); StAK, S XII.<br />

542 (Vertrauliches) Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 13.12.1946, StAK,<br />

S II 15147.


136 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

<strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> im Land ke<strong>in</strong>eswegs dem Zufall überlassen werden sollte <strong>und</strong> es sich bei<br />

den Maßnahmen, die zwischen 1946 <strong>und</strong> 1948 im Bereich <strong>der</strong> Jugendpflege <strong>in</strong> Südbaden<br />

erfolgten, nicht nur um Resultate lokaler Initiativen gehandelt haben kann.<br />

Die Protokolle <strong>der</strong> Jugendausschüsse spiegeln außerdem die wesentlichen Themen,<br />

mit denen sich die Verantwortlichen <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugendpflege <strong>während</strong> <strong>der</strong> ersten<br />

Nachkriegsjahre befassten, deutlich wi<strong>der</strong>. 543 Zusammenfassend seien genannt: die<br />

Schaffung von Jugende<strong>in</strong>richtungen, Haussammlungen, Berichte des Kreisjugendbeauftragten<br />

über die Teilnahme an überregionalen Tagungen, Bestimmungen über die<br />

Benützung von Jugendherbergen, das Berichtswesen <strong>der</strong> Jugendorganisationen, Verteilung<br />

von Gebrauchsgütern an die Jugendorganisationen <strong>und</strong> Fragen des Jugendschutzes. Die<br />

Vermutung liegt nahe, dass diese Angelegenheiten alle Kreisverwaltungen gleichermaßen<br />

beschäftigten.<br />

E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Ursachen für die geschil<strong>der</strong>ten Unstimmigkeiten zwischen deutschen <strong>und</strong><br />

französischen Behördenvertretern lag <strong>in</strong> den bisweilen vagen Anweisungen <strong>der</strong><br />

französischen Behörden. Erst allmählich herrschte im Gefolge e<strong>in</strong>er verbesserten<br />

Kommunikation zwischen den Landes- <strong>und</strong> Kreisbehörden bei<strong>der</strong> Nationalitäten mehr<br />

Klarheit im Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>. Wie sehr diese vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frühphase <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> unterschiedliche Interpretationsmuster zuließen o<strong>der</strong> <strong>in</strong> sich wi<strong>der</strong>sprüchlich<br />

waren, belegt das folgende Beispiel. Während <strong>der</strong> französische Jugendoffizier Marot dem<br />

Jugendbeauftragten Sigrist auf dessen Anfrage im September 1946 mitgeteilt hatte, dass<br />

die örtlichen Jugendgruppen den Vorsitzenden aus ihren Reihen wählen sollten, sahen die<br />

späteren Richtl<strong>in</strong>ien aus Freiburg e<strong>in</strong>en Vertreter <strong>der</strong> Kommunalbehörden für diesen<br />

Posten vor. Nachdem zunächst abwechselnd Landrat Astfäller bzw. <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er<br />

Oberbürgermeister Knapp, gelegentlich auch <strong>der</strong> Kreisjugendbeauftragte o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Vertreter<br />

e<strong>in</strong>er Jugendorganisation den Vorsitz im örtlichen Jugendausschuss, geführt hatten, 544<br />

gab Jugendoffizier Marot dem Jugendausschuss Anfang Mai 1947 bekannt, dass dieser<br />

künftig so zusammengesetzt se<strong>in</strong> solle, „wie es das Innenm<strong>in</strong>isterium verlange“. 545<br />

Demzufolge hatte <strong>der</strong> Oberbürgermeister den Vorsitz zu führen.<br />

Im Jahresverlauf 1947 wies die Militärbehörde den Vorsitz wie<strong>der</strong>um ausschließlich<br />

dem Landrat zu. Möglicherweise gründete diese Regelung auf Konflikten zwischen<br />

Stadtverwaltung <strong>und</strong> Bezirksgouverneur Degliame. Dafür spricht, dass die Militärbehörde<br />

kurz nach dem Amtsantritt des neuen Gouverneurs André No!l im Februar 1948<br />

Oberbürgermeister Knapp den Vorsitz im Jugendausschuss erneut zusprach. Denkbar<br />

543 Vgl. die Protokolle des Jugendausschusses für den Landkreis <strong>Konstanz</strong> vom 1947: 13.10; 17.11;<br />

10.12.1947 sowie vom 1948: 21.01.; 11.02.; 13.04; 11.05., StAK, S XII.<br />

544 Von Mai bis Juli 1945 führte Karl Josef Astfäller als Regierungsrat die Geschäfte im Landratsamt;<br />

danach bis Ende 1946 versah Landeskommissar Marcel Nordmann den Dienst; zwischen 1947 <strong>und</strong> 1948<br />

war er erneut (kommissarischer) Landrat des Landkreises <strong>Konstanz</strong>. KRAMER, Landkreis <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong>:<br />

ARBEITSGEMEINSCHAFT DER KREISARCHIVE, Amtsvorsteher, S. 75 ff.; RUCK, selber Band, S. 155.<br />

545 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 03.05.1947; StAK, S XII.


IV.3 BEHÖRDLICHE JUGENDARBEIT 137<br />

wäre zudem e<strong>in</strong> Zusammenhang mit den allgeme<strong>in</strong>en Bestrebungen <strong>der</strong> Franzosen, die<br />

Stellung <strong>der</strong> Landräte auszuweiten. 546<br />

3.1.3 Stärkung <strong>der</strong> kommunalen Verantwortung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Jugendpflege<br />

Wie alle badischen Jugendausschüsse überdauerte das <strong>Konstanz</strong>er Gremium nicht die<br />

unmittelbare Besatzungszeit. Der Jugendausschuss <strong>Konstanz</strong> erfuhr bereits e<strong>in</strong>ige Zeit vor<br />

se<strong>in</strong>er endgültigen Auflösung im Herbst 1950 e<strong>in</strong>en erheblichen Bedeutungsverlust,<br />

<strong>während</strong> seit 1947 immer mehr zentrale Bereiche <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege <strong>in</strong><br />

kommunale Verantwortung überführt wurden. Diese <strong>Entwicklung</strong> entsprach e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en<br />

Tendenz im Land, wonach seit 1947 <strong>in</strong> ganz Südbaden das Konzept e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong> von<br />

Jugendausschüssen getragenen örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> aufgegeben <strong>und</strong> die Aufgabengebiete<br />

<strong>der</strong> Jugendpflege sukzessive <strong>in</strong> die kommunale Verantwortung überführt wurden.<br />

Stattdessen wies die Landesabteilung für Jugendpflege des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des<br />

Innern die Landratsämter <strong>und</strong> Verwaltungen <strong>der</strong> drei kreisfreien Städte Baden-Baden,<br />

Freiburg <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong> an, eigene Dienststellen zu diesem Zweck e<strong>in</strong>zurichten. 547 H<strong>in</strong>ter<br />

dieser <strong>Entwicklung</strong> stand die Tatsache, dass es für alle südbadischen Kreise seit <strong>der</strong><br />

Jahreswende 1946/1947 obligatorisch geworden war, personelle <strong>und</strong> verwaltungstechnische<br />

Voraussetzungen auf dem Gebiet <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege zu schaffen.<br />

Konkret bezog sich diese For<strong>der</strong>ung auf die Gründung von Jugendbildungswerken <strong>und</strong><br />

Volkshochschulen sowie auf die E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> Verwaltung <strong>der</strong> Jugendhäuser. Dabei<br />

handelte es sich um Aufgabenschwerpunkte, mit denen zuvor die örtlichen Jugendausschüsse<br />

befasst waren <strong>und</strong> denen nun die neuen kommunalen Behörden zur Seite<br />

gestellt wurden. Im Herbst 1946 wurde gemäß <strong>der</strong> m<strong>in</strong>isteriellen Vorgaben aus Freiburg 548<br />

zunächst beim Landratsamt <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>e Abteilung für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung<br />

e<strong>in</strong>gerichtet, die r<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Jahr lang zusätzlich für die Belange im Stadtkreis zuständig war.<br />

Im Oktober 1947 schuf die Stadtverwaltung wohl auf Druck aus Freiburg schließlich e<strong>in</strong>e<br />

eigene Abteilung für Jugendpflege, die dem Hauptamt angeglie<strong>der</strong>t war. Zum Behördenleiter<br />

wurde im Herbst 1947 <strong>der</strong> gelernte Kaufmann Rudolf Kutscha bestellt.<br />

Nach <strong>der</strong> Neuregelung oblagen diese Aufgabenbereiche <strong>der</strong> Stadtverwaltung.<br />

Gleichzeitig wurden die E<strong>in</strong>flussmöglichkeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> bei den<br />

Verwaltungen gebündelt. Ab 1947 regelte die Abteilung Jugendpflege bei <strong>der</strong> Stadtverwaltung<br />

alle zentrale Angelegenheiten <strong>der</strong> örtlichen Jugendpflege. In gleichem Maße, wie<br />

sich die Jugendpflege zunehmend zur Kommunalaufgabe zu wandeln begann, liefen<br />

seither hier die Fäden auf diesem Gebiet zusammen. Zugleich g<strong>in</strong>g die Trägerschaft <strong>der</strong><br />

546 Vgl. dazu die R<strong>und</strong>verfügung des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern über die Stellung <strong>und</strong> Aufgaben<br />

<strong>der</strong> Landräte vom 07.03.1947, Amtsblatt <strong>der</strong> Landesverwaltung, Nr. 13 vom 02.04.1947, S. 66.<br />

547 Richtl<strong>in</strong>ie des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern Nr. 12418 (Abschrift); StAK, S II 13260.<br />

548 Vgl. dazu die Ausführungsbestimmungen des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern bezüglich <strong>der</strong> Gründung<br />

von Abteilungen für Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendpflege an die Landratsämter vom 06.06.1947 unter<br />

Bezugnahme auf die Landesverordnung vom 24.05.1947 im Anhang dieser Arbeit, A 2.4 <strong>und</strong> 2.5.


138 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

örtlichen Jugende<strong>in</strong>richtungen vom Jugendausschuss auf die Abteilung für Jugendpflege<br />

<strong>und</strong> Jugendbildung über. 549<br />

Obwohl <strong>der</strong> Jugendausschuss formell <strong>in</strong> allen Jugendangelegenheiten nach wie vor e<strong>in</strong><br />

Mitspracherecht behielt, schränkte diese Umstrukturierungsmaßnahme die jugendliche<br />

Selbstverwaltung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> weiter e<strong>in</strong>. Allerd<strong>in</strong>gs war es, wie<br />

schon gezeigt wurde, um den E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> diesem Forum ohneh<strong>in</strong> nicht sehr<br />

weit bestellt, zumal mehrheitlich Erwachsene vertreten waren. 550<br />

3.2 Die personelle Situation<br />

Wenn heute viele Kommunen vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> ungelöster Probleme mit <strong>und</strong> von<br />

Jugendlichen die Notwendigkeit präventiver Maßnahmen <strong>der</strong> Jugendpflege neu entdecken<br />

<strong>und</strong> nach längerer Pause <strong>in</strong> vielen Kreisgeme<strong>in</strong>den im Landkreis wie<strong>der</strong> vermehrt<br />

hauptamtliche Jugendpfleger e<strong>in</strong>gestellt werden, so ist dies ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e völlig neue<br />

<strong>Entwicklung</strong>. In <strong>der</strong> französischen Zone waren Jugendpfleger bereits kurz nach Kriegsende<br />

<strong>in</strong> vielen Kreisen im E<strong>in</strong>satz. 551<br />

Die Initiative zur Schaffung dieses neuen Postens g<strong>in</strong>g von den französischen<br />

Besatzungsbehörden aus, <strong>während</strong> es dem Badischen M<strong>in</strong>isterium des Innern oblag,<br />

Durchsetzungsbestimmungen für die Landratsämter <strong>und</strong> Verwaltungen <strong>der</strong> drei Stadtkreise<br />

zu entwerfen.<br />

Die gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage für die E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> „Kreisbeauftragten für Jugendpflege<br />

<strong>und</strong> Jugendbildung“, wie die späteren Kreis- bzw. Stadtjugendpfleger <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

genannt wurden, bildeten im badischen Teil <strong>der</strong> französischen Zone die Richtl<strong>in</strong>ien<br />

des Innenm<strong>in</strong>isteriums, die im Mai 1947 als Landesverordnung „Zur Stellung <strong>der</strong> Kreisbeauftragten<br />

für die Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung“ im Amtsblatt <strong>der</strong> Landesverwaltung<br />

Baden publiziert wurden. 552 In späteren Jahren geriet die Tatsache, dass <strong>in</strong><br />

unmittelbarer Besatzungszeit die E<strong>in</strong>stellung von Jugendpflegern e<strong>in</strong>e Pflichtaufgabe <strong>der</strong><br />

Landkreise <strong>und</strong> kreisfreien Städte <strong>in</strong> Südbaden gewesen war, nahezu gänzlich <strong>in</strong><br />

Vergessenheit. Freilich lässt sich die Arbeit <strong>der</strong> damaligen Jugendpfleger nicht mehr mit<br />

den heutigen Gegebenheiten gleichsetzen, da sich die gesellschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong>zwischen gr<strong>und</strong>legend verän<strong>der</strong>t haben.<br />

Die Bestellung von Jugendpflegern im französischen Zonengebiet ist eng verb<strong>und</strong>en<br />

mit <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Abteilungen für Jugendpflege bei den Kreisverwaltungen. Die<br />

personelle <strong>Entwicklung</strong> verlief <strong>in</strong> diesem Fall parallel zum Aufbau <strong>der</strong> Verwaltungs-<br />

549 Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern „An die Herren Landräte <strong>und</strong> Oberbürgermeister <strong>der</strong><br />

Städte Baden-Baden, Freiburg <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>“, Nr. 6183 vom 18.03.1947; Kopie im StAK, S II 13260.<br />

550 Richtl<strong>in</strong>ie des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern Nr. 18385 (Abschrift); StAK, S XII.<br />

551 Die Situation <strong>in</strong> Hessen <strong>in</strong>nerhalb des amerikanischen Besatzungsgebiets mit zahlreichen lokalen<br />

Beispielen aus den Kreisen Kassel <strong>und</strong> Marburg behandeln ROSENWALD; THEIS, Enttäuschung <strong>und</strong><br />

Zuversicht, v. a. S. 34 f., S. 92-94 sowie S. 122 f.<br />

552 Amtsblatt Nr. 20 vom 24.05.1947; vgl. Anhang A 2.4.


IV.3 BEHÖRDLICHE JUGENDARBEIT 139<br />

strukturen. Die ersten <strong>Konstanz</strong>er Jugendpfleger waren nebenamtlich tätig <strong>und</strong> für beide<br />

Kreisgebiete zuständig. Erst ab Januar 1947 wurde dem Kreisjugendpfleger für se<strong>in</strong>e<br />

Tätigkeit e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gfügige Entlohnung aus Mitteln des Kreishaushalts, an denen sich die<br />

Stadt <strong>Konstanz</strong> f<strong>in</strong>anziell beteiligte, zugestanden.<br />

In <strong>Konstanz</strong> nahmen zunächst die beiden Lehramtsanwärter Göpfrich (September bis<br />

Dezember 1946) <strong>und</strong> Sigrist diese Aufgabe wahr. Als <strong>der</strong> Letztgenannte zum Schuljahresbeg<strong>in</strong>n<br />

1947/48 <strong>in</strong> den Schuldienst übernommen wurde, gab er den Posten auf. Die Nachfolge<br />

trat am 1. August 1947 Anton Auer an, wobei <strong>der</strong> Amtswechsel zugleich mit zwei<br />

organisatorischen Neuerungen verb<strong>und</strong>en war. Zum e<strong>in</strong>en wurde Anton Auer im Gegensatz<br />

zu den vorherigen Kreisjugendpflegern, die ehrenamtlich arbeiteten, zum ersten<br />

hauptamtlichen „Kreisbeauftragten für Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung“ ernannt. 553<br />

Zum an<strong>der</strong>en beschränkte sich se<strong>in</strong> Tätigkeitsbereich auf den Landkreis <strong>Konstanz</strong>, da die<br />

Stadt <strong>Konstanz</strong> im Herbst 1947 e<strong>in</strong>en eigenen Jugendpfleger e<strong>in</strong>stellte.<br />

Das Jugendbildungswerk <strong>Konstanz</strong>-Land konzentrierte sich nach <strong>der</strong> Eigenständigwerdung<br />

des Stadtkreises <strong>in</strong> Sachen Jugendpflege fortan im Wesentlichen auf den Aufbau<br />

e<strong>in</strong>es Jugendbildungsangebots <strong>in</strong> den kle<strong>in</strong>eren Orten des Landkreises. Als Anton Auer im<br />

Oktober 1950 zum Kreiswohlfahrtsamt wechselte, g<strong>in</strong>g das Amt an Otto Irrgang über, <strong>der</strong><br />

das Kreisjugendbildungswerk bis zu se<strong>in</strong>em Tod im Jahr 1958 leitete. 554 Zum Zeitpunkt<br />

des Amtsantritts von Anton Auer lief gleichzeitig das Bewerbungsverfahren zur E<strong>in</strong>stellung<br />

des ersten fest angestellten Jugendpflegers im Stadtkreis. Solange es noch nicht<br />

abgeschlossen war, betreute Auer den Stadtkreis knappe zwei Monate bis zum Amtsantritt<br />

se<strong>in</strong>es neuen Kollegen Rudolf Kutscha, <strong>der</strong> am 1. Oktober 1947 se<strong>in</strong> Amt als erster hauptamtlicher<br />

städtischer Jugendpfleger bei <strong>der</strong> Stadtverwaltung antrat, mit. Dieser Schritt ist<br />

als Reaktion auf die Bestimmungen des M<strong>in</strong>isteriums des Innern <strong>und</strong> <strong>der</strong> Militärregierung<br />

zu werten. Der Jugendausschuss wurde <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Sitzung vom 26. August 1947 von <strong>der</strong><br />

Stellenbesetzung durch Kutscha, <strong>der</strong> künftig direkt dem Oberbürgermeister unterstellt war,<br />

<strong>in</strong>formiert. Im Protokoll <strong>der</strong> Stadtratssitzung heißt es dazu:<br />

553 Anton Auer, geb. 1925, gest. 2005; 01.08.1947 Amtsantritt beim Landratsamt <strong>Konstanz</strong>, zunächst als<br />

Kreisjugendbeauftragter; zwischen 1950 <strong>und</strong> 1959 Tätigkeit als Sachbearbeiter beim Kreiswohlfahrtsamt;<br />

ab 1963 Leiter des Kreissozialamts; von 1979 bis zum Ruhestand im Jahr 1986 Dezernent des<br />

Sozialdezernats; außerdem Mitglied bzw. stellvertreten<strong>der</strong> Vorsitzen<strong>der</strong> des Personalrats. Se<strong>in</strong> Name ist<br />

<strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> bis heute mit sozialem, kulturellem Engagement verb<strong>und</strong>en. Auer engagierte sich ehrenamtlich<br />

auf vielen Gebieten, so unter an<strong>der</strong>em als Ortsvorsitzen<strong>der</strong> des Deutschen Roten Kreuzes, als<br />

ehrenamtlicher Richter beim Sozialgericht, Personalrat, Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at <strong>der</strong> CDU-Fraktion <strong>und</strong> als Fre<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> För<strong>der</strong>er <strong>der</strong> Philharmonie <strong>und</strong> des Stadttheaters; die Angaben basieren auf dem Bericht zum Tod<br />

Anton Auers im SÜDKURIER vom 25./26.01.2005.<br />

554 Otto Irrgang, geb. 1900 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, gest. 1958 <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>; Studium <strong>der</strong> Philosophie <strong>und</strong> des Fürsorgewesens;<br />

Staatsexamen als Fürsorger; nach kurzer Tätigkeit beim Landratsamt Emmend<strong>in</strong>gen trat er 1946<br />

<strong>in</strong> den Dienst <strong>der</strong> Landkreisverwaltung <strong>Konstanz</strong>, zunächst als Sachbearbeiter des Wohlfahrtsamtes;<br />

1950-1958 Kreisjugendpfleger; die biografischen Angaben s<strong>in</strong>d dem Nachruf im SÜDKURIER vom<br />

17.05.1958 entnommen.


140 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

„Der Stadtrat hat mit Beschluß [sic] vom 10.7.1947 die Berufung von Herrn Rudolf<br />

Kutscha, <strong>Konstanz</strong> beschlossen <strong>und</strong> die MR hat schon am 2.7. ihre Zustimmung dazu<br />

gegeben. Herr Kutscha beabsichtigt, am 15.9.1947 se<strong>in</strong>e Tätigkeit aufzunehmen. In<br />

<strong>der</strong> Zwischenzeit wird ihn <strong>der</strong> Kreisjugendbeauftragte <strong>Konstanz</strong>-Land, Anton Auer,<br />

vertreten.“ 555<br />

Für die ersten Jugendpfleger nach dem Krieg, die <strong>während</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit<br />

ihr Amt antraten, war zunächst ke<strong>in</strong>e eigene Ausbildung vorgeschrieben. Maßgeblich<br />

waren die erwähnten Richtl<strong>in</strong>ien des M<strong>in</strong>isteriums des Innern von 1947, wonach die<br />

Auswahl <strong>der</strong> „Person des Jugendbeauftragten aufgr<strong>und</strong> ihrer beson<strong>der</strong>en Fähigkeiten <strong>in</strong><br />

Jugendfragen“ erfolgen sollte. Neben pädagogischem Fachwissen waren praktische<br />

Erfahrungen mit Jugendlichen <strong>und</strong> Verwaltungswissen erwünscht. Jugendoffizier Marot<br />

stellte im Vorfeld des Bewerbungsverfahrens für den <strong>Konstanz</strong>er Stadtjugendpfleger zwar<br />

fest, dass „<strong>der</strong> künftige Kreisbeauftragte für Jugendsachen nach Tauglichkeits-, nicht nach<br />

politischen Gesichtspunkten berufen werden“ 556 müsse. Dennoch war e<strong>in</strong>e politisch nicht<br />

durch den Nationalsozialismus belastete Vergangenheit e<strong>in</strong>e wichtige Eignungsvoraussetzung<br />

für die badischen Jugendbeauftragten <strong>der</strong> Nachkriegszeit.<br />

Dieses Merkmal erfüllte <strong>der</strong> angehende Stellen<strong>in</strong>haber Rudolf Kutscha 557 vollständig.<br />

Für se<strong>in</strong>e Person sprachen e<strong>in</strong>erseits se<strong>in</strong>e langjährigen Erfahrungen als Jugendleiter <strong>der</strong><br />

Katholischen Jugend <strong>Konstanz</strong>, an<strong>der</strong>erseits galt er aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> langen Jahre, die er <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Schweiz gelebt <strong>und</strong> gearbeitete hatte, als politisch unbelastet – e<strong>in</strong> damals wichtiges<br />

E<strong>in</strong>stellungskriterium. Die Dienstbezeichnung „Jugendpfleger“ wurde erst <strong>in</strong> den frühen<br />

1950er-Jahren gebräuchlich. In unmittelbarer Nachkriegszeit sprach man offiziell vom<br />

„Jugendbeauftragten für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung“. Das Tätigkeitsfeld war weit<br />

gefasst. Der Jugendpfleger war mit <strong>der</strong> Planung <strong>und</strong> Koord<strong>in</strong>ation <strong>der</strong> vielfältigen<br />

Jugendtätigkeiten im Stadtgebiet bzw. im Landkreis beauftragt. Se<strong>in</strong>e Hauptaufgabe war<br />

die Leitung des Jugendhauses <strong>und</strong> <strong>der</strong> Aufbau des Jugendbildungswerks. H<strong>in</strong>zu kamen die<br />

Durchführung von Jugen<strong>der</strong>holungsmaßnahmen, Beschaffung von Material für das<br />

Jugendhaus <strong>und</strong> das Jugendbildungswerk, die Programmgestaltung, Verpflichtung <strong>und</strong><br />

Vergütung von Kursleitern, Presse- <strong>und</strong> Öffentlichkeitsarbeit, Haushaltplanung <strong>und</strong><br />

allgeme<strong>in</strong>e Verwaltungsaufgaben <strong>und</strong> die regelmäßige Teilnahme an den Sitzungen des<br />

Jugendausschusses. Zudem hatte <strong>der</strong> Jugendpfleger die Aufgabe, mit den übergeordneten<br />

Behörden <strong>der</strong> Militärregierung <strong>und</strong> des Landes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriums „<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zu<br />

555<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 26.09.1947; StAK, S XII.<br />

556<br />

Marot vor dem Jugendausschuss; laut Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom<br />

03.05.1947, StAK, S XII.<br />

557<br />

Geboren <strong>in</strong> Duisburg, hatte Kutscha se<strong>in</strong>e früheste Jugend <strong>und</strong> Schulzeit zunächst <strong>in</strong> Zürich <strong>und</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> verbracht. Ab 1926 absolvierte er e<strong>in</strong>e kaufmännische Lehre <strong>in</strong> Kreuzl<strong>in</strong>gen/Schweiz, wo er<br />

auch die ersten Arbeitsjahre verbrachte. Im Jahr 1939 verlor er aufgr<strong>und</strong> des Kriegsausbruchs zunächst<br />

die schweizerische Arbeitsbewilligung, bevor er ab 1940 zum Wehrdienst <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>gezogen<br />

wurde. Nach dem Krieg <strong>und</strong> <strong>der</strong> sowjetischen Gefangenschaft kam er Ende 1945 zurück nach <strong>Konstanz</strong>,<br />

wo er zunächst bei <strong>der</strong> AOK als Kassenführer tätig war; laut persönlichem Gespräch mit Rudolf Kutscha<br />

vom 22.10.1998.


IV.3 BEHÖRDLICHE JUGENDARBEIT 141<br />

bleiben, woher laufend genaue Richtl<strong>in</strong>ien ergehen“. 558 Im Jugendausschuss berichtete <strong>der</strong><br />

Jugendpfleger daher nicht nur über die örtliche <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, son<strong>der</strong>n<br />

gab überregionale Entscheidungen an die Mitglie<strong>der</strong> weiter. Somit fungierte er auch als<br />

B<strong>in</strong>deglied zwischen <strong>der</strong> lokalen Ebene <strong>und</strong> den höheren Dienststellen <strong>in</strong> Freiburg.<br />

Gemäß den m<strong>in</strong>isteriellen Richtl<strong>in</strong>ien hatten die Jugendpfleger im Land Baden<br />

„politisch e<strong>in</strong>wandfrei“ zu se<strong>in</strong>. Diese Vorgabe hatte unter an<strong>der</strong>em zur Folge, dass die<br />

ersten Jugendpfleger, die dieses Amt nach dem Zweiten Weltkrieg ausübten, oftmals noch<br />

jung waren. Dazu zählten <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> die beiden Lehramtsassessoren Sigrist <strong>und</strong><br />

Göpfrich. Im an<strong>der</strong>en Fall handelte es sich um Personen, die wie Otto Irrgang bei<br />

Dienstantritt schon etwas älter waren. Die mittlere Altersschicht dagegen war bei diesem<br />

Berufsbild <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit unterrepräsentiert, da weite Teile <strong>der</strong> Altersgruppe <strong>der</strong><br />

damals zwischen 25 <strong>und</strong> 40 Jahre alten Männer sich <strong>während</strong> <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus<br />

<strong>in</strong> Parteiorganisationen betätigt hatten. Rudolf Kutscha, <strong>der</strong> zum Zeitpunkt<br />

se<strong>in</strong>es Amtsbeg<strong>in</strong>ns 36 Jahre alt war, bildete diesbezüglich aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en<br />

biografischen Situation e<strong>in</strong>e Ausnahme, da er <strong>während</strong> <strong>der</strong> gesamten Phase des Aufbaus<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Etablierung des nationalsozialistischen Systems bis zum Beg<strong>in</strong>n des Zweiten<br />

Weltkriegs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz gelebt <strong>und</strong> gearbeitet hatte.<br />

Diese Berufsgruppe war <strong>in</strong> den Anfangsjahren <strong>der</strong> Jugendpflege nicht nur h<strong>in</strong>sichtlich<br />

ihrer Altersstruktur, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> Bezug auf ihre Ausbildung sehr heterogen<br />

zusammengesetzt. Der erste hauptamtliche Jugendbeauftragte <strong>und</strong> spätere Sozialdezernent<br />

des Landkreises <strong>Konstanz</strong>, Anton Auer, war vor se<strong>in</strong>em Wechsel <strong>in</strong> das Fürsorgewesen<br />

zunächst gelernter Buchhalter; 559 Stadtjugendpfleger Kutscha war Kaufmann. Aufgr<strong>und</strong><br />

des speziellen Anfor<strong>der</strong>ungsprofils entstammten außerdem viele <strong>der</strong> ersten Jugendpfleger<br />

nach dem Krieg aus dem Kreis <strong>der</strong> gelernten Pädagogen <strong>und</strong> Lehramtsanwärter. Als<br />

Beamte im Vorbereitungsdienst verfügten sie sowohl über die nötigen organisatorischen<br />

Fähigkeiten als auch über entsprechende fachliche Kenntnisse. Außerdem war es ihnen<br />

zunächst nicht möglich, <strong>in</strong> ihrem studierten Beruf zu arbeiten, solange das Unterrichtswesen<br />

<strong>in</strong> Baden noch nicht wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Gang gekommen war. Das im Ehrenamt bzw. später<br />

auf Angestelltenbasis ausgeübte jugendpflegerische Engagement bedeutete für viele<br />

Lehramtsanwärter allerd<strong>in</strong>gs wohl eher e<strong>in</strong>e Zwischenstation auf dem Weg <strong>in</strong> den Schuldienst,<br />

<strong>der</strong> nicht zuletzt aufgr<strong>und</strong> des damit verb<strong>und</strong>enen Beamtenstatus verständlicherweise<br />

attraktiver war als <strong>der</strong> Posten des Jugendbeauftragten beim Landratsamt o<strong>der</strong> bei<br />

<strong>der</strong> Stadtverwaltung. Deren E<strong>in</strong>stellung erfolgte tendenziell auf Angestelltenbasis, obwohl<br />

die Landesverordnung vom 3. Mai 1947 verfügte, dass die Kreisbeauftragten für Jugendbildung<br />

<strong>und</strong> Jugendbewegung <strong>der</strong> Landkreise für die Dauer ihrer Tätigkeit „Beamteneigenschaften“<br />

erlangen sollten.<br />

Ke<strong>in</strong>eswegs soll mit diesen H<strong>in</strong>weisen auf die berufliche Herkunft den Jugendpflegern<br />

<strong>der</strong> ersten Nachkriegsjahre mangelndes Fachwissen unterstellt werden. Alle Persönlich-<br />

558 Schreiben des Staatssekretärs Marcel Nordmann beim Badischen M<strong>in</strong>isterium des Innern Nr. 20471 „an<br />

die Landräte <strong>und</strong> Oberbürgermeister betr. Kreisbeauftragte für Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung“<br />

vom 20.05.1947; KrAK, Bestand Landratsamt <strong>Konstanz</strong>, 352.105/I (siehe auch im Folgenden).<br />

559 SCHMIDT-LIEBICH (Hg.), Volkshochschule, S. 14.


142 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

keiten, die dieses Amt <strong>in</strong> früher Nachkriegszeit im Land- <strong>und</strong> Stadtkreis <strong>Konstanz</strong><br />

<strong>in</strong>nehatten, übten ihre Tätigkeit überaus engagiert aus <strong>und</strong> verfügten über die dazu nötigen<br />

fachlichen Fähigkeiten. Rudolf Kutscha konnte bei se<strong>in</strong>em Amtsantritt langjährige<br />

Kenntnisse <strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeit mit Jugendlichen vorweisen. Bereits vor 1933 war er mehr als e<strong>in</strong><br />

Jahrzehnt <strong>in</strong> <strong>der</strong> lokalen organisierten bündisch geprägten <strong>Jugendarbeit</strong> tätig gewesen,<br />

unter an<strong>der</strong>em als Jugendleiter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Katholischen Jugend. Se<strong>in</strong> Wirken als Jugendpfleger<br />

war durch se<strong>in</strong> hohes persönliches Engagement <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e guten menschlichen Kontakte,<br />

vor allem zum Bezirksdelegierten No!l, geprägt. Er zählt ohne Zweifel zu den zentralen<br />

Persönlichkeiten, welche die örtliche <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit entscheidend<br />

mitgeprägt haben. Bekanntermaßen zeichnete sich, um e<strong>in</strong> weiteres Beispiel zu<br />

nennen, auch Anton Auer, <strong>der</strong> erste hauptamtliche Jugendbeauftragte <strong>und</strong> spätere<br />

Sozialdezernent beim Landratsamt <strong>Konstanz</strong>, auf dem Gebiet des Fürsorgewesens durch<br />

se<strong>in</strong> herausragendes Fachwissen aus. Aus diesem Gr<strong>und</strong> würdigte ihn se<strong>in</strong> damaliger<br />

Dienstherr, Landrat Robert Maus, im Jahr 1986 aus Anlass se<strong>in</strong>es altersbed<strong>in</strong>gten<br />

Ausscheidens aus dem Dienst als „Inbegriff <strong>der</strong> Sachkompetenz <strong>in</strong> allen sozialen<br />

Fachfragen“. 560<br />

4 Kommunale E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> Jugendpflege<br />

4.1 Jugendpflege zwischen Demokratieerziehung <strong>und</strong> Dom<strong>in</strong>anzpolitik<br />

am Beispiel <strong>der</strong> Gründung des Jugendhauses<br />

Zeitlich betrachtet war das Jugendhaus die erste Jugende<strong>in</strong>richtung vor Ort, räumlich<br />

gesehen war es, <strong>während</strong> des Untersuchungszeitraums, an <strong>in</strong>sgesamt drei verschiedenen<br />

Stätten im Stadtbezirk untergebracht. Das erste städtische Jugendhaus <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> war im<br />

Nebenraum des Rhe<strong>in</strong>torturms untergebracht <strong>und</strong> wurde bis zum Umzug <strong>in</strong> die<br />

Ma<strong>in</strong>austraße unter <strong>der</strong> Bezeichnung „Heim <strong>der</strong> deutschen Jugend“ geführt. Se<strong>in</strong>e<br />

Eröffnung erfolgte an Pf<strong>in</strong>gsten 1946 <strong>und</strong> damit lange, bevor <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Städten <strong>der</strong><br />

Region, mit Ausnahme von Vill<strong>in</strong>gen, vergleichbare E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong>s Leben gerufen<br />

wurden. Die E<strong>in</strong>weihungsfeier des Jugendhauses fand im Rahmen <strong>der</strong> „<strong>Konstanz</strong>er<br />

Kunstwoche“ statt. 561 Dabei handelte es sich um e<strong>in</strong>e Schau, die vonseiten <strong>der</strong><br />

Stadtverwaltung mit Unterstützung <strong>der</strong> französischen Militärregierung vom 1. bis 11. Juni<br />

1946 als e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> ersten Veranstaltungen dieser Art am See nach 1945 durchgeführt<br />

wurden. 562 Gezeigt wurde e<strong>in</strong> Querschnitt durch das künstlerische Schaffen <strong>in</strong> Europa. Im<br />

Mittelpunkt standen Bil<strong>der</strong>, die im Nationalsozialismus als „entartete Kunst“ verboten<br />

waren. Das Programm, das überregional Beachtung fand, wurde durch weitere Kultur-<br />

560<br />

Siehe den Bericht zum Tod Anton Auers; SÜDKURIER vom 25./26.01.2005.<br />

561<br />

STARK, <strong>Konstanz</strong>er Kunstwoche 1946, <strong>in</strong>: Städtische Wessenberg Galerie <strong>Konstanz</strong> (Hg.), Konturen<br />

neuer Kunst, S. 23-26.<br />

562<br />

E. MOSER, Rückkehr <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne, <strong>in</strong>: INTERNATIONALER ARBEITSKREIS BODENSEEAUSSTELLUNGEN<br />

(Hg.): Endlich Friede!, S. 67-76.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 143<br />

veranstaltungen wie Konzerte, e<strong>in</strong>e Modeschau <strong>und</strong> die erwähnte Jugendhause<strong>in</strong>weihung<br />

ergänzt. 563<br />

Die Eröffnung des Jugendhauses datiert auf den Nachmittag des 9. Juni 1946. Es<br />

handelte sich um den Pf<strong>in</strong>gstmontag, <strong>der</strong> eigens als „Jugendtag“ <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

Kunstwoche ausgewiesen wurde. Jugendliche aus <strong>der</strong> näheren <strong>und</strong> weiteren Umgebung<br />

waren dazu e<strong>in</strong>geladen worden. Auf dem Programm standen diverse Aufführungen <strong>der</strong><br />

Jugendgruppen, e<strong>in</strong>e Theateraufführung im Konzilsaal sowie e<strong>in</strong> abendliches Jugendkonzert<br />

im Rathaushof sowie die Eröffnungsfeier für das Jugendhaus, die vermutlich<br />

<strong>während</strong> e<strong>in</strong>es Programmpunktes unter <strong>der</strong> Bezeichnung „Jugendk<strong>und</strong>gebungen“ <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zeit von 14 bis 16 Uhr stattfand. 564 Die Tatsache, dass <strong>während</strong> dieser Veranstaltung das<br />

Jugendhaus eröffnet wurde, unterstreicht zum e<strong>in</strong>en die enge Verb<strong>in</strong>dung, die nach<br />

französischem Verständnis Kultur- <strong>und</strong> Jugendpolitik zugeschrieben wurde. Zum an<strong>der</strong>en<br />

bot diese Veranstaltung vermutlich nach Auffassung des Bezirksdelegierten Degliame,<br />

von dem die Jugendhaus<strong>in</strong>itiative maßgeblich ausg<strong>in</strong>g, e<strong>in</strong>en probaten Rahmen, um mit<br />

diesem Projekt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit auf lokaler <strong>und</strong> überregionaler Ebene<br />

Aufmerksamkeit zu wecken. Dafür spricht die Tatsache, dass unter den Teilnehmern <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>weihungsveranstaltung viele Vertreter <strong>der</strong> örtlichen <strong>und</strong> regionalen Politik <strong>und</strong><br />

Verwaltung waren wie Jugendoffizier Marot, Landeskommissar Nordmann, Oberbürgermeister<br />

Knapp o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Leiter des Kulturausschusses <strong>und</strong> Vorsitzende des<br />

Bodenseegeschichtsvere<strong>in</strong>s Bruno Le<strong>in</strong>er, <strong>der</strong> für die Gesamtveranstaltung verantwortlich<br />

zeichnete. 565 Die Szene wurde damals von e<strong>in</strong>em Berichterstatter des SÜDKURIERs im Bild<br />

festgehalten. Es zeigt die genannten Personen aus Anlass <strong>der</strong> Eröffnungsfeier geme<strong>in</strong>sam<br />

im neuen „Haus <strong>der</strong> Jugend“. 566 Im Gegensatz zu diesem Foto, das <strong>der</strong> Nachwelt das<br />

Geschichtsbild e<strong>in</strong>er Interessengeme<strong>in</strong>schaft von Menschen unterschiedlicher Nationalität<br />

<strong>und</strong> Position vermittelt, belegen die Bef<strong>und</strong>e des Aktenstudiums, dass die Zusammenarbeit<br />

zwischen französischen <strong>und</strong> deutschen Behörden im Vorfeld des Jugendhauses<br />

äußerst kompliziert <strong>und</strong> schwierig verlief.<br />

Die Entstehungsgeschichte des Jugendhauses <strong>Konstanz</strong> ist nicht nur aus ereignisgeschichtlichen<br />

Gründen <strong>in</strong>teressant. Vielmehr stehen viele damit verb<strong>und</strong>ene Verläufe<br />

paradigmatisch für die allgeme<strong>in</strong>en jugendpolitischen <strong>Entwicklung</strong>en im Land. So lassen<br />

sich anhand <strong>der</strong> Jugendhausentwicklung beispielsweise die Umsetzung gesetzlicher<br />

Vorgaben, die F<strong>in</strong>anzierung von Jugende<strong>in</strong>richtungen o<strong>der</strong> signifikante Verän<strong>der</strong>ungen<br />

wie die materiellen Verbesserungen ab 1948 o<strong>der</strong> die zunehmende Überantwortung <strong>der</strong><br />

Jugendpflege an die Kommunalverwaltungen nachzeichnen. Die <strong>Geschichte</strong> des<br />

<strong>Konstanz</strong>er Jugendhauses <strong>in</strong> unmittelbarer Nachkriegszeit ist darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong> Paradebeispiel<br />

für die Ambivalenz, die für die französische Deutschlandpolitik <strong>während</strong> <strong>der</strong><br />

ersten Nachkriegszeit <strong>in</strong>sgesamt charakteristisch war. Gerade die Entstehungs- <strong>und</strong><br />

Frühgeschichte des Jugendhauses <strong>Konstanz</strong> zeigt, wie sehr sich die Jugendpflege immer<br />

563 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 147-150.<br />

564 Die Angaben entstammen dem Exemplar im KrAVS, LRA Vill<strong>in</strong>gen, Nr. 2417.<br />

565 GLEICHENSTEIN, Das kulturelle Leben, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), Alltagswelten, S. 100-107.<br />

566 Orig<strong>in</strong>al im Archiv des SÜDKURIER; abgedruckt bei BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong><br />

Universitätsgründung, S. 211.


144 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

wie<strong>der</strong> zwischen den beiden Polen Demokratieerziehung <strong>und</strong> Dom<strong>in</strong>anzpolitik bewegte.<br />

Degliame betrieb die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es Jugendhauses vor Ort, was <strong>der</strong> Theorie nach e<strong>in</strong><br />

nutzbr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> Beitrag zur Demokratieerziehung <strong>der</strong> Jugend se<strong>in</strong> sollte, mit solch e<strong>in</strong>er<br />

Vehemenz voran, dass diese jugendpolitische Maßnahme eher e<strong>in</strong>em besatzungspolitischen<br />

Zwangsakt, als e<strong>in</strong>em konstruktiven Beitrag im Rahmen <strong>der</strong> rééducation<br />

gleichkam.<br />

Alle<strong>in</strong> schon den Eröffnungsfeierlichkeiten g<strong>in</strong>gen konfliktgeladene Situationen<br />

zwischen Stadtverwaltung <strong>und</strong> dem Bezirksdelegierten voraus. Im April 1946, nur zwei<br />

Monate vor <strong>der</strong> geplanten Eröffnung, wies <strong>der</strong> Delegierte die Stadtverwaltung persönlich<br />

an, Räume im Rhe<strong>in</strong>torturm für das geplante „Heim <strong>der</strong> deutschen Jugend“ zur Verfügung<br />

zu stellen. 567 Zu diesem Zweck musste die dort untergebrachte Stadtbibliothek verlegt<br />

werden, wobei die Bestände an Jugendliteratur sowie das Mobiliar zurückgelassen <strong>und</strong><br />

dem Jugendhaus zur Verfügung gestellt werden mussten.<br />

Die Wahl des Standortes sche<strong>in</strong>t <strong>der</strong> Delegierte <strong>in</strong>dessen nicht unbed<strong>in</strong>gt im<br />

Alle<strong>in</strong>gang getroffen zu haben. In den Protokollen des Jugendausschusses f<strong>in</strong>den sich<br />

H<strong>in</strong>weise auf e<strong>in</strong>e Beteiligung <strong>der</strong> Jugendabteilung <strong>der</strong> Landesmilitärregierung Freiburg,<br />

möglicherweise <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem örtlichen Jugendausschussvorsitzenden Sigrist,<br />

dem vonseiten e<strong>in</strong>iger Ausschussmitglie<strong>der</strong> vorgeworfen wurde, er hätte den Vorschlag,<br />

das Jugendhaus im Rhe<strong>in</strong>torturm e<strong>in</strong>zurichten, „an übergeordneter Stelle“ 568 <strong>in</strong>s Gespräch<br />

gebracht. Sigrist räumte daraufh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>, mit Vertretern <strong>der</strong> Landesabteilung Sports et<br />

Jeunesse über die Unterbr<strong>in</strong>gung des Hauses <strong>der</strong> Jugend im Rhe<strong>in</strong>torturm gesprochen zu<br />

haben, wies aber den Vorwurf zurück, für die damit verb<strong>und</strong>ene Räumung <strong>der</strong> Stadtbibliothek,<br />

die bis dah<strong>in</strong> <strong>in</strong> dem Gebäude untergebracht war, verantwortlich zu se<strong>in</strong>. Vielmehr<br />

wäre er nach eigener Aussage „selbst überrascht“ gewesen, dass die Stadtbibliothek, <strong>der</strong>en<br />

geplante Wie<strong>der</strong>eröffnung nun durch die Jugendhauspläne gefährdet war, für die E<strong>in</strong>richtung<br />

des Hauses <strong>der</strong> deutschen Jugend „beschlagnahmt“ 569 worden wäre. Obgleich sich<br />

die E<strong>in</strong>zelheiten im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> nicht mehr vollständig rekonstruieren lassen, so wird dennoch<br />

deutlich, dass die E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugendräume zum<strong>in</strong>dest mit Kenntnis,<br />

möglicherweise sogar auf Weisung des Landesgouvernements <strong>in</strong> Freiburg erfolgte. Dass<br />

<strong>der</strong>en Leiter, Deshayes, gelegentlich zu Fragen <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er <strong>Jugendarbeit</strong> persönlich<br />

Stellung bezog, war nicht ungewöhnlich, wie schon am Beispiel <strong>der</strong> kontroversen<br />

Diskussionen zur Führung des örtlichen Jugendausschusses <strong>während</strong> des Jahres 1946<br />

gezeigt wurde. 570 Im Jahr 1948 reiste Deshayes, um e<strong>in</strong> weiteres Beispiel zu nennen,<br />

wie<strong>der</strong>um nachweislich nach <strong>Konstanz</strong>, um geme<strong>in</strong>sam mit Gouverneur No!l, Jugendoffizier<br />

Marot, Volkshochschullektoren, dem Landrat, Volkshochschulleiter Venedey<br />

sowie den Kreisjugendbeauftragten bei<strong>der</strong> Kreise, Kutscha <strong>und</strong> Auer, über örtliche<br />

567 WELSCH, Kulturpolitik, S. 53.<br />

568 StAK, S II 15146.<br />

569 So <strong>der</strong> Vorsitzende des Jugendausschusses, Studienassessor Göpfrich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben vom<br />

09.05.1946 an Oberbürgermeister Arnold; StAK, S II 15146.<br />

570 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 13.12.1946; StAK, S XII; vgl. hierzu<br />

Kap. IV.3.1.2.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 145<br />

Jugendfragen zu konferieren, wobei es <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e um das für Juli des gleichen Jahres<br />

geplante <strong>in</strong>ternationale Studententreffen vor Ort g<strong>in</strong>g. 571<br />

Die Stadtverwaltung hatte zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Jugendhausgründung ke<strong>in</strong>e Entscheidungsfreiheit<br />

<strong>in</strong> Jugendfragen, da sie unter direkter französischer Kontrolle stand. Der von<br />

<strong>der</strong> Besatzungsmacht e<strong>in</strong>gesetzte Oberbürgermeister Fritz Arnold, dessen Amtsperiode<br />

von Januar bis September 1946 dauerte, hatte nur e<strong>in</strong>geschränkte Befugnisse <strong>und</strong> musste<br />

den Anordnungen <strong>der</strong> Militärregierung <strong>in</strong> allen Punkten une<strong>in</strong>geschränkt Folge leisten. 572<br />

Unter diesen Voraussetzungen wurden alle Arbeiten, die zur E<strong>in</strong>richtung des Jugendhauses<br />

notwendig waren, trotz <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong> schwierigen Situation durchgeführt. So<br />

wurde <strong>der</strong> Rhe<strong>in</strong>torturm geräumt, das Gebäude für die Nutzung durch Jugendliche<br />

umgebaut <strong>und</strong> das nötige Mobiliar beschafft. Zudem erfolgte auf ausdrücklichen Wunsch<br />

Degliames auf drei Seiten des Turmes jeweils die Anbr<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>er 1,50 m hohen<br />

dreifarbigen Holztafel mit <strong>der</strong> Inschrift „Heim <strong>der</strong> deutschen Jugend“. 573 Dennoch musste<br />

<strong>der</strong> für Mai geplante E<strong>in</strong>zugsterm<strong>in</strong> verschoben werden, da sich die geplante Räumung <strong>der</strong><br />

Bibliothek <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Umzug <strong>in</strong>s Wessenberghaus, wo zunächst das städtische Wirtschaftsamt<br />

umquartiert werden musste, verzögerte. Jugendoffizier Marot zeigte sich<br />

angesichts dieser Tatsache gegenüber dem Hauptamtsleiter <strong>der</strong> Stadtverwaltung als „sehr<br />

ungehalten“ 574 , gewährte aber dennoch immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>wöchigen Aufschub.<br />

Die Militärbehörden sahen mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>weihung des Jugendhauses ihre Aufsichtspflicht<br />

über diese E<strong>in</strong>richtung vor Ort ke<strong>in</strong>eswegs als beendet an. Daran än<strong>der</strong>ten die<br />

Geme<strong>in</strong>dewahlen vom Herbst 1946, welche die Handlungsfähigkeit <strong>der</strong> Kommunalverwaltungen<br />

erweiterten, nur wenig. Die Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Militärregierung, vertreten<br />

durch den Bezirksdelegierten Degliame, se<strong>in</strong>en Stellvertreter Ayzac <strong>und</strong> Jugendoffizier<br />

Marot, konzentrierte sich nun vor allem auf die Garantie e<strong>in</strong>es geregelten Jugendhausbetriebs.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e wurde darauf geachtet, dass die Stadtverwaltung die Räume <strong>in</strong>stand<br />

setzte <strong>und</strong> ausgestalten ließ. Im Dezember 1946 for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Bezirksdelegierte die Stadtverwaltung<br />

unter Bezugnahme auf die entsprechenden Landesbestimmungen beispielsweise<br />

auf, „schnell e<strong>in</strong>en Beweis von Initiative auf materiellem Gebiet“ zu zeigen <strong>und</strong><br />

Mobiliar für das Jugendhaus anzuschaffen. Als sich die Stadtverwaltung außerstande<br />

erklärte, die Vorgaben des Innenm<strong>in</strong>isteriums zu erfüllen, autorisierte die französische<br />

Militärregierung die Behörden, auf dem Requisitionsweg 200 Bände an Jugendbüchern<br />

aus dem Bestand <strong>der</strong> Stadtbibliothek sowie Stühle, Tische <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Klavier zu beschaffen.<br />

575 Im harten W<strong>in</strong>ter 1946/47 machte sich die allgeme<strong>in</strong>e kritische Versorgungslage<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> beson<strong>der</strong>s negativ bemerkbar. So fehlte im Jugendhaus <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

571<br />

StAK, S II 13260.<br />

572<br />

KLÖCKLER, Besatzungspolitik, S. 37-41.<br />

573<br />

Degliame <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben an die Stadtverwaltung vom 20.04.1946; StAK, S II 15146; vgl. die<br />

Transkription im Anhang dieser Arbeit, A 3.1; das Foto, dessen Orig<strong>in</strong>al sich im Südkurierarchiv<br />

bef<strong>in</strong>det, ist abgedruckt bei BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 211.<br />

574<br />

Zu diesem <strong>und</strong> dem folgenden Zitat siehe Schreiben Marots an die Stadtverwaltung vom 13.05.1946 <strong>und</strong><br />

Aktennotiz des Hauptamtsleiters; StAK, S II 15146.<br />

575<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 211; vgl. auch das Schreiben <strong>der</strong><br />

„Zentral-Requisitionsstelle <strong>Konstanz</strong> an den Oberbürgermeister vom 17.02.1947 betreffend die E<strong>in</strong>richtung<br />

des Jugendheims Rhe<strong>in</strong>steig“; StAK, S II 15146, wie<strong>der</strong>gegeben im Anhang dieser Arbeit, A 3.2.


146 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

allen öffentlichen Gebäuden vor allem Heizmaterial. Im Januar 1947 hielt <strong>der</strong> Jugendausschuss<br />

daher das geplante Vorhaben, e<strong>in</strong>e Lesehalle im „Haus <strong>der</strong> Jugend“ e<strong>in</strong>zurichten,<br />

nur unter <strong>der</strong> Voraussetzung für möglich, dass sich die Stadt an den Heizkosten beteiligte.<br />

Die Militärregierung reagierte umgehend, sobald sie die Gefahr sah, dass die Stadt<br />

ihren Pflichten nicht nachkam. Jugendoffizier Marot mahnte beispielsweise im W<strong>in</strong>ter<br />

1947/1948 die Stadtverwaltung an, die Jugendräume „unter allen Umständen genauso“ zu<br />

beheizen „wie das bei den übrigen städtischen Büros <strong>der</strong> Fall wäre“. 576 Die Stadtverwaltung<br />

war außerdem <strong>in</strong> den wirtschaftlichen Notzeiten <strong>der</strong> ersten Nachkriegszeit an<br />

e<strong>in</strong>er Mehrfachnutzung <strong>der</strong> Räume sehr <strong>in</strong>teressiert. So gab es Überlegungen, den großen<br />

Saal im W<strong>in</strong>ter 1947 nachmittags als dritte städtische Wärmehalle für Erwachsene zur<br />

Verfügung zu stellen, wogegen jedoch <strong>der</strong> Jugendausschuss se<strong>in</strong> Veto e<strong>in</strong>legte. In diesem<br />

Fall schritten die französischen Behörden wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong>, <strong>und</strong> verboten e<strong>in</strong>e Nutzung des<br />

Gebäudes, die über den engeren Verwendungszweck h<strong>in</strong>ausreichte. Anfang 1947 verbot<br />

Degliame jegliche Fremdnutzung des Jugendhauses „durch Gruppen [...], die dar<strong>in</strong> nichts<br />

zu suchen haben“, <strong>und</strong> for<strong>der</strong>te die Stadtverwaltung auf, „Missgriffe umgehend<br />

abzustellen“. 577 Gleichzeitig stellte er klar, dass das Jugendhaus künftig nur durch die von<br />

<strong>der</strong> Militärregierung genehmigten Jugendorganisationen o<strong>der</strong> durch die Arbeitsgruppen<br />

des Jugendbildungswerks benutzt werden könne. An<strong>der</strong>en Gruppen wie dem Städtischen<br />

Orchester <strong>und</strong> dem Handharmonika-Orchester, die das Jugendhaus als Proberaum nutzten,<br />

wurde fortan <strong>der</strong> Zugang zu diesen Räumlichkeiten verwehrt.<br />

Die Stadtverwaltung trug <strong>in</strong> ihrer Eigenschaft als Träger<strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendpflegee<strong>in</strong>richtungen<br />

die f<strong>in</strong>anzielle Hauptlast für die örtliche Jugendpflege <strong>und</strong> erkannte ihre<br />

durch die Militärbehörden auferlegten Verpflichtungen gegenüber <strong>der</strong> Jugend gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

an. Schon 1946 wurde im Haushaltsplan, <strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>em Gesamtvolumen <strong>in</strong> Höhe<br />

von 6.217.270 RM 578 verabschiedet wurde, erstmals e<strong>in</strong> eigener Posten für „E<strong>in</strong>richtungen<br />

<strong>der</strong> Jugen<strong>der</strong>tüchtigungen“ zur Unterstützung aller bestehenden kommunalen Jugende<strong>in</strong>richtungen,<br />

namentlich Jugendhaus, Jugendbildungswerk, Jugendherberge <strong>und</strong> Lager<br />

Egg, e<strong>in</strong>gerichtet. Für das Jugendhaus wurden Ausgaben <strong>in</strong> Höhe von 1.000 RM bewilligt.<br />

Da im ersten Betriebsjahr ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>nahmen veranschlagt werden konnten, war <strong>der</strong> Ausgabenanteil<br />

identisch mit dem errechneten Zuschussbedarf. Außerdem war beim Jugendtag<br />

e<strong>in</strong> Überschuss von über 90 RM erzielt worden, die dem Jugendhaus für Anschaffungen<br />

<strong>und</strong> die Innene<strong>in</strong>richtung als Gr<strong>und</strong>stock zur Verfügung gestellt wurden. 579<br />

Im Haushaltsjahr 1947/48 standen den E<strong>in</strong>nahmen <strong>in</strong> Höhe von 540 RM Ausgaben von<br />

4.800 RM gegenüber. Daraus ergab sich e<strong>in</strong> Zuschussbedarf von 4.260 RM, was<br />

gemessen an den Ausgaben e<strong>in</strong>en Anteil von r<strong>und</strong> 88 Prozent ausmachte. Diese Zahlen<br />

umfassen neben dem Bildungswerk zudem den F<strong>in</strong>anzbedarf des Jugendhauses <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Abteilung für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung. E<strong>in</strong>e genauere Differenzierung nach<br />

576 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 17.11.1947; StAK, S XII.<br />

577 Persönliches Schreiben Degliames an die Stadtverwaltung, zitiert nach dem Protokoll des Jugendausschusses<br />

für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 13.01.1947; StAK, S XII.<br />

578 Haushaltplan 1946; StAK, gedruckte Quellen.<br />

579 Das geht aus dem Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 02.09.1946 hervor;<br />

StAK, S XII; vgl. auch DIETRICH, <strong>Konstanz</strong> 1945-1966, S. 64; WELSCH, Kulturpolitik, S. 53.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 147<br />

E<strong>in</strong>zelposten ist für diesen frühen Zeitraum nicht möglich, da erst Anfang <strong>der</strong> 1950er-<br />

Jahre im Haushaltsplan die e<strong>in</strong>zelnen Jugende<strong>in</strong>richtungen geson<strong>der</strong>t aufgeführt wurden.<br />

Wenngleich die Quellen diesbezüglich unvollständig s<strong>in</strong>d, kann an dieser Stelle im<br />

Ergebnis festgehalten werden, dass alle örtlichen Jugend- <strong>und</strong> Bildungse<strong>in</strong>richtungen zu<br />

diesem Zeitpunkt auf e<strong>in</strong>en hohen Anteil an öffentlich bereitgestellten f<strong>in</strong>anziellen<br />

Zuwendungen angewiesen waren, <strong>während</strong> die E<strong>in</strong>nahmen noch kaum zu Buche schlugen.<br />

Den größten Teil <strong>der</strong> Ausgaben machten erwartungsgemäß die Personalkosten für die<br />

Abteilung Jugendpflege <strong>und</strong> die Unterhaltung des Jugendhauses aus. Die Honorare <strong>der</strong><br />

Kursleiter beim Jugendbildungswerk wurden 1949 auf 2.500 DM veranschlagt. Die Aufwendungen<br />

für Veranstaltungen sowie den Sachaufwand <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften setzte<br />

man mit jeweils 1.500 DM an. Für die Neuanschaffung von Gegenständen für das Jugendhaus<br />

stellte die Stadt 3.400 DM bereit. Die Ausgaben wurden zu etwa e<strong>in</strong>em Drittel durch<br />

E<strong>in</strong>künfte aus beiden E<strong>in</strong>richtungen gedeckt. Den größten Posten erzielten die Mietz<strong>in</strong>sen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Kostenersatz für Heizung, Strom <strong>und</strong> Re<strong>in</strong>igung für das Jugendhaus, die von<br />

fremden Gruppen für die Benutzung des Gebäudes aufzubr<strong>in</strong>gen waren. Die E<strong>in</strong>nahmen<br />

des Jugendbildungswerks betrugen 500 DM. H<strong>in</strong>zu kamen weitere 250 DM E<strong>in</strong>nahmen,<br />

<strong>der</strong>en Herkunft nicht näher spezifiziert wurde. 580<br />

Der hohe Zuschussbedarf bestand nach <strong>der</strong> Währungsumstellung zunächst weiterh<strong>in</strong><br />

fort, auch wenn er aufgr<strong>und</strong> neuer E<strong>in</strong>künfte anteilsmäßig etwas verr<strong>in</strong>gert werden konnte.<br />

Im zweiten Jahr des Betriebs 1949 <strong>und</strong> nach E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> DM wurden an sogenannten<br />

„fortdauernden Ausgaben“ im ordentlichen Haushaltsplan 39.300 DM veranschlagt. Die<br />

E<strong>in</strong>nahmen konnten zwar auf 12.600 DM gesteigert werden, gleichzeitig wuchs <strong>der</strong><br />

Bedarf an Zuschüssen aber auf 26.700 DM an, sodass letztlich mehr als zwei Drittel <strong>der</strong><br />

Unterhaltskosten für beide Jugende<strong>in</strong>richtungen aus städtischen Mitteln subventioniert<br />

wurden. Angesichts dieser Daten darf bezweifelt werden, dass die öffentliche Hand sich<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit auf die Schaffung von Jugende<strong>in</strong>richtungen fokussiert hätte,<br />

wenn die französischen Militärbehörden nicht nachdrücklich darauf bestanden hätten.<br />

In den ersten Betriebsjahren des Jugendhauses bemühte sich die Stadtverwaltung,<br />

trotz Wirtschaftskrise e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>igermaßen geregelten Betrieb zu garantieren. Das<br />

beson<strong>der</strong>e Dilemma dabei bestand dar<strong>in</strong>, dass die wirtschaftliche Notsituation e<strong>in</strong>erseits<br />

den Handlungsspielraum <strong>der</strong> Verwaltung sehr begrenzte, an<strong>der</strong>erseits die Militärregierung<br />

jedoch ungeachtet dieser Schwierigkeiten strikt auf die Umsetzung <strong>der</strong> jugendpolitischen<br />

Vorgaben beharrte. Aufgr<strong>und</strong> dieser ungünstigen Konstellation waren Konflikte zwischen<br />

Militärregierung, Jugendausschuss <strong>und</strong> Stadtverwaltung bei <strong>der</strong> Unterhaltung des<br />

Gebäudes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Durchführung des laufenden Betriebs vorprogrammiert.<br />

Beim Versuch, die hohen Ansprüche <strong>der</strong> Militärregierung bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong><br />

Ausstattung des Jugendhauses zu erfüllen, wurden mitunter unkonventionelle Methoden<br />

angewandt. So regte <strong>der</strong> städtische Rechtsrat Kirchgässner im Rahmen e<strong>in</strong>er Sitzung des<br />

Jugendausschusses e<strong>in</strong>e Sammlung im Bekanntenkreis an, mit dem Ziel, Jugendbücher für<br />

die Bibliothek im Jugendhaus zu beschaffen. Neben diesem durchaus praktikablen<br />

580 Ordentliche Haushaltspläne für die Rechnungsjahre 1946-1949; StAK, gedruckte Quellen.


148 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Vorschlag wurden <strong>in</strong> diesem Forum zudem Möglichkeiten <strong>der</strong> Beschaffung von Materialien<br />

<strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungsgegenständen für das Jugendhaus, die aus heutiger Sicht kurios<br />

anmuten, diskutiert, wie das folgende Beispiel belegt. So fiel im Rahmen <strong>der</strong> Überlegungen,<br />

auf welchem Wege man Spiele <strong>und</strong> Geräte für das Jugendhaus beschaffen könnte,<br />

<strong>während</strong> e<strong>in</strong>er Sitzung im Februar 1946 <strong>der</strong> Vorschlag, die Bestände <strong>der</strong> aufgelösten<br />

Ortsgruppe <strong>der</strong> Hitler-Jugend dah<strong>in</strong>gehend zu überprüfen, ob „noch solches vorhanden“ 581<br />

wäre. Ob tatsächlich durch nationalsozialistisches Gedankengut kontam<strong>in</strong>ierte Spiele aus<br />

HJ-Beständen im <strong>Konstanz</strong>er Jugendhaus nach 1945 verwendet wurden, ist nicht<br />

überliefert; das Beispiel macht jedoch deutlich, dass e<strong>in</strong>igen <strong>der</strong> örtlichen Jugendverantwortlichen<br />

zum damaligen Zeitpunkt <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht ganz offensichtlich das<br />

Problembewusstse<strong>in</strong> fehlte.<br />

Des Weiteren führten strittige Kompetenz- <strong>und</strong> F<strong>in</strong>anzierungsregelungen zu<br />

Konflikten zwischen Jugendausschuss, Stadtverwaltung <strong>und</strong> Militärregierung. E<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong><br />

Differenzen basierte auf wi<strong>der</strong>sprüchlichen Regelungen, die sich auf die Trägerschaft <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>richtung bezogen. Nach den Bestimmungen des Innenm<strong>in</strong>isteriums galten die Kreise<br />

<strong>und</strong> kreisfreien Städte als Besitzer <strong>der</strong> Jugendhäuser, gleichzeitig aber räumten sie an<strong>der</strong>en<br />

Trägern <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong> Mitspracherecht e<strong>in</strong>, wenn es um den laufenden Betrieb<br />

g<strong>in</strong>g. 582 Die Problematik dieser Regelung bestand dar<strong>in</strong>, dass die öffentliche Hand bei<br />

allen F<strong>in</strong>anzfragen r<strong>und</strong> um das Jugendhaus die Hauptlast zu tragen hatte, an<strong>der</strong>erseits alle<br />

wesentlichen Entscheidungen nur kollektiv <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Jugendausschuss<br />

getroffen werden konnten. Dass diese Lösung reichlich Konfliktstoff barg, belegt das<br />

folgende Beispiel, welches die F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong> Aufsichtspflicht im Jugendhaus<br />

beschreibt. Zunächst war geplant, die freien Träger <strong>und</strong> die Jugendlichen selbst <strong>in</strong> die<br />

Pflicht zu nehmen, sodass jeden Nachmittag e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Jugendorganisationen jeweils e<strong>in</strong>e<br />

Aufsichtsperson stellen sollte.<br />

Nachdem dies <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis nicht funktioniert hatte, wurde Anfang 1947 auf<br />

Beschlussfassung des Jugendausschusses e<strong>in</strong> Kriegs<strong>in</strong>vali<strong>der</strong> als Aufsicht e<strong>in</strong>gestellt, für<br />

dessen Entlohnung die Stadtverwaltung alle<strong>in</strong> aufkam. 583 Mit an<strong>der</strong>en Worten wurde die<br />

F<strong>in</strong>anzierung des Postens <strong>in</strong> kommunale Verantwortung übergeben, nachdem die<br />

Selbstverwaltung durch die Jugendorganisationen an ihre Grenzen gestoßen war. Aus<br />

Sicht <strong>der</strong> Franzosen war die F<strong>in</strong>anzierungsfrage jedoch völlig korrekt gelöst. Denn die<br />

Militärregierung sah <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Kommunen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflicht, wenn es darum g<strong>in</strong>g, die<br />

Jugende<strong>in</strong>richtungen vor Ort zu unterhalten.<br />

Der <strong>Konstanz</strong>er Bezirksdelegierte stellte dezidiert <strong>und</strong> unmissverständlich klar, dass<br />

alle E<strong>in</strong>richtungskosten für das Jugendhaus „immer über den städtischen Haushalt zu<br />

laufen“ hätten 584 , wobei er sich auf die Landesverfügung des Innenm<strong>in</strong>isteriums von<br />

Anfang Mai 1947 berief, welche die E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> F<strong>in</strong>anzierung von Jugendhäusern als<br />

581<br />

Protokolle des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 16.02.1946 <strong>und</strong> 13.01.1947;<br />

StAK, S XII.<br />

582<br />

StAK, S II 13260.<br />

583<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 13.01.1947; StAK, S XII.<br />

584 StAK, S II 15146.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 149<br />

Stätten <strong>der</strong> Jugendbildung unter Berufung auf das RJWG als Pflichtaufgabe <strong>der</strong><br />

Kommunalverwaltungen def<strong>in</strong>ierte.<br />

Der entsprechende Passus dieser Verfügung, die über die Verkündigung im Amtsblatt<br />

<strong>der</strong> Landesregierung allen Kommunalverwaltungen zugänglich gemacht wurde, lautete<br />

wie folgt:<br />

„Die Gründung <strong>und</strong> Unterhaltung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtungen für die Jugendbildung („Häuser<br />

<strong>der</strong> Jugend“) ist, soweit e<strong>in</strong> Bedürfnis besteht, Pflichtaufgabe <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>den <strong>und</strong><br />

Kreise, denen die dadurch erwachsenden Kosten zur Last fallen.“ 585<br />

Nach anfänglichen Problemen entwickelte sich das Jugendhaus bald zum Zentrum <strong>der</strong><br />

örtlichen Jugendbewegung <strong>und</strong> Jugendpflege. Es bildete <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit e<strong>in</strong>e Plattform<br />

für die Durchführung <strong>der</strong> Volksbildungs-, Jugend- <strong>und</strong> Kulturarbeit. E<strong>in</strong>en neuen<br />

Bedeutungszuwachs erfuhr die E<strong>in</strong>richtung im Herbst 1947, als das Stadtjugendbildungswerk<br />

gegründet wurde. 1948 präsentierte sich die E<strong>in</strong>richtung als „Heim für alle<br />

Jugendliche, <strong>in</strong> dem sie sich zu ernsthaftem Streben nach höheren Persönlichkeitswerten<br />

vere<strong>in</strong>t, ebenso zur beruflichen Vervollkommnung wie auch zu geselligem Tun <strong>und</strong> Haus,<br />

<strong>in</strong> dem sich die Jugend ‚daheim’ fühlt <strong>und</strong> für das sie Verantwortung trägt“. 586 Zu diesem<br />

Zeitpunkt wurden die Räume als Treffpunkt für Heim- <strong>und</strong> Gruppenabende <strong>der</strong> Jugendverbände,<br />

für die Durchführung von Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften des städtischen Jugendbildungswerks,<br />

als Geschäftsstelle <strong>und</strong> Sekretariat des Stadtjugendbildungswerks genutzt.<br />

Das Spiel- <strong>und</strong> Lesezimmer diente als offener Sammelpunkt für die örtliche Jugend.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus hatten das Kreisjugendbildungswerk <strong>und</strong> die Volkshochschule hier ihre<br />

Büros. Indem das Jugendhaus frühzeitig Raum für alle lokalen Ausdrucksformen <strong>der</strong><br />

außerschulischen <strong>Jugendarbeit</strong> auf breiter Basis bot, dürfte es den französischen<br />

Vorstellungen entsprochen haben.<br />

Entsprechend dieser Nutzungsformen nutzten zwei unterschiedliche Zielgruppen die<br />

Räumlichkeiten. Zum e<strong>in</strong>en waren dies die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> örtlichen Jugendgruppen, zum<br />

an<strong>der</strong>en die nichtorganisierten Jugendlichen. Auf die zuletzt genannte Gruppe <strong>der</strong> Jugend<br />

zielten speziell die Angebote des Jugendbildungswerkes. Zahlenmäßig hielten sich die<br />

organisierten Jugendlichen <strong>und</strong> die Teilnehmer des Jugendbildungswerks Ende <strong>der</strong><br />

1940er-Jahre <strong>in</strong> etwa die Waage, wobei e<strong>in</strong> leichtes Plus zugunsten des Jugendbildungswerks<br />

zu verzeichnen war. Im W<strong>in</strong>terhalbjahr 1950/51 besuchten 1.319 Jugendliche die<br />

<strong>in</strong>sgesamt 68 Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften des Jugendbildungswerks. Die fünf genehmigten<br />

Jugendorganisationen zählten zum Jahresende 1949 zusammen 1.111 Mitglie<strong>der</strong>. Es ist<br />

darüber h<strong>in</strong>aus von e<strong>in</strong>er größeren Anzahl Jugendlicher auszugehen, die das Jugendhaus<br />

regelmäßig o<strong>der</strong> nur gelegentlich als offenen Treff nutzten, ohne sich e<strong>in</strong>er Jugendorganisation<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft des Jugendbildungswerks anzuschließen.<br />

Diese Gruppe nahm vor allem das offene Angebot im Jugendhaus an.<br />

585 Amtsblatt <strong>der</strong> Landesverwaltung Nr. 20 vom 24.05.1947.<br />

586 Programme des Jugendbildungswerkes (ab 1954 Volks- <strong>und</strong> Jugendbildungswerk, dann Volksbildungswerk<br />

<strong>Konstanz</strong>): 1947/48-1971, hier das Programm vom W<strong>in</strong>tersemester 1948/49; Privatarchiv Rudolf<br />

Kutscha.


150 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Die Ausstattung entsprach im Wesentlichen den m<strong>in</strong>isteriellen Richtl<strong>in</strong>ien des<br />

Innenm<strong>in</strong>isteriums vom August 1946. Demzufolge sollten die badischen „Häuser <strong>der</strong><br />

Jugend“ mit „mehreren Räume[n] zur Abhaltung <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften, <strong>der</strong> Heim-<br />

<strong>und</strong> S<strong>in</strong>gabende genehmigter Jugendverbände“ sowie mit Lesezimmer, Jugendbibliothek<br />

<strong>und</strong> Beratungszimmer ausgestattet se<strong>in</strong>. 587 Entsprechend dieser Vorgaben, verfügte das<br />

Jugendhaus <strong>Konstanz</strong> von Anfang über e<strong>in</strong>en Geme<strong>in</strong>schaftsraum, wo die Jugend<br />

Tischtennis, Schach <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Spiele spielen konnte. An den Sonntagnachmittagen im<br />

W<strong>in</strong>ter wurde <strong>der</strong> Raum außerdem für Filmvorführungen <strong>und</strong> Unterhaltungsveranstaltungen<br />

genutzt. Des Weiteren gab es e<strong>in</strong>e fachlich betreute <strong>und</strong> beaufsichtigte<br />

Bibliothek, die alle Jugendlichen kostenlos benutzen konnten. Sie umfasste Bücher aller<br />

Wissensgebiete sowie alle damals gängigen Jugendzeitschriften. 1947 wurde e<strong>in</strong> separates<br />

Lesezimmer e<strong>in</strong>gerichtet, das täglich von 16 bis 21 Uhr geöffnet war. E<strong>in</strong>zig die Maßgabe,<br />

wonach „möglichst je<strong>der</strong> Verband e<strong>in</strong>en eigenen Raum besitzen sollte“, erwies sich <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> begrenzten Platzverhältnisse im Rhe<strong>in</strong>torturm als<br />

illusorisch. Stattdessen wurde <strong>der</strong> größte Raum im Wechsel sowohl von den Jugendgruppen<br />

als auch von den Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften des Jugendbildungswerks genutzt.<br />

Ebenso wenig war man <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, e<strong>in</strong> „abgetrenntes Beratungszimmer für berufliche<br />

o<strong>der</strong> persönliche Orientierungsgespräche“ zu bieten.<br />

Mit dem Wirtschaftsaufschwung ab 1948 g<strong>in</strong>gen zwar viele Verbesserungen im<br />

Jugendhausbetrieb e<strong>in</strong>her, die Innene<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> die Ausstattung blieben jedoch<br />

weiterh<strong>in</strong> sehr e<strong>in</strong>fach. Noch im Frühjahr 1949 beklagte sich <strong>der</strong> Jugendbeauftragte, dass<br />

die vorhandenen 40 Stühle <strong>und</strong> drei Tische, die zudem <strong>in</strong> Größe <strong>und</strong> Höhe unterschiedlich<br />

waren, im großen Saal des Jugendhauses für Veranstaltungen des Jugendbildungswerks<br />

„völlig unzureichend“ 588 wären. Außerdem schränkten die beengten Verhältnisse im<br />

Rhe<strong>in</strong>torturm die Gestaltungsmöglichkeiten <strong>der</strong> expandierenden <strong>Jugendarbeit</strong> bald merklich<br />

e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e spürbare Verbesserung <strong>in</strong> räumlicher H<strong>in</strong>sicht trat erst im Frühjahr 1949 e<strong>in</strong>,<br />

als das Jugendhaus vom Rhe<strong>in</strong>steig <strong>in</strong> die Ma<strong>in</strong>austraße verlegt wurde. 589 Auf Initiative<br />

No!ls fand diese Jugende<strong>in</strong>richtung zunächst im ehemaligen Gasthaus „Rhe<strong>in</strong>perle“ e<strong>in</strong>e<br />

neue Bleibe. 590 Diese neue Perspektive ergab sich vor allem <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> parallel<br />

erfolgenden Auflösung <strong>der</strong> statistischen Abteilung <strong>der</strong> Militärregierung, die zuvor <strong>in</strong><br />

diesem Gebäude untergebracht war. Des Weiteren gaben Überlegungen, die Stadtbücherei<br />

wie<strong>der</strong> im Anbau des Rhe<strong>in</strong>torturms unterzubr<strong>in</strong>gen, Anlass für die Verlegung <strong>der</strong><br />

Jugendräume <strong>in</strong> die Ma<strong>in</strong>austraße. Allerd<strong>in</strong>gs war diese Lösung von Anfang an zeitlich<br />

begrenzt, da sich das Gebäude <strong>in</strong> Privatbesitz befand <strong>und</strong> <strong>der</strong> Mietvertrag bis 1954<br />

587<br />

Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isterium des Innern Nr. 12418 vom 26.08.1946; Exemplar im StAK,<br />

S II 13260.<br />

588<br />

Vorschläge <strong>der</strong> Abteilung Jugendpflege zum Haushaltsplan für das Rechnungsjahr 1949 nach e<strong>in</strong>em<br />

Schreiben vom 09.03.1949 an das Hauptamt <strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong>; StAK, S XII.<br />

589<br />

StAK, S II 15155, S II 15149; vgl. auch WELSCH, Kulturpolitik, S. 56.<br />

590<br />

An weiteren Möglichkeiten standen zur Diskussion: das kreiseigene Gebäude <strong>in</strong> <strong>der</strong> Seestraße 21; die<br />

Villa Herosé <strong>in</strong> <strong>der</strong> Spanierstraße; die heutige Ma<strong>in</strong>auwache, ehemals Sitz <strong>der</strong> Gestapo, Ma<strong>in</strong>austr. 29;<br />

das Haus „Greif“, Ma<strong>in</strong>austr. 38; WELSCH, Kulturpolitik, S. 56, Anm. 28.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 151<br />

befristet war. Langfristig tragfähige Perspektiven ergaben sich erst Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre<br />

im Zuge des Neubaus des Jugendhauses Raiteberg.<br />

4.2 Gründung von Jugendbildungswerken im Land- <strong>und</strong> im Stadtkreis<br />

Neben <strong>der</strong> Gründung des Jugendhauses bildete die Schaffung von Jugendbildungswerken<br />

beim Landratsamt <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Stadtverwaltung e<strong>in</strong>en weiteren wichtigen Eckpunkt<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> regionalen Jugendpflege. Bevor <strong>der</strong> Stadtkreis im Herbst 1947 e<strong>in</strong><br />

eigenständiges Jugendbildungswerk e<strong>in</strong>richtete, war die Jugendbildungsarbeit zwischen<br />

Ende 1946 <strong>und</strong> Herbst 1947 zunächst auf <strong>der</strong> Landkreisebene angesiedelt. 591 Das Landratsamt<br />

richtete gemäß den Vorgaben aus Freiburg im Oktober 1946 e<strong>in</strong> Jugendbildungswerk<br />

e<strong>in</strong>, das den Stadtkreis betreute, bis Ende 1947 das städtische Jugendbildungswerk<br />

<strong>in</strong>s Leben gerufen wurde. 592 Die Kosten für das geme<strong>in</strong>same Jugendbildungswerk wurden<br />

zwischen den beiden Kreisen aufgeteilt. Die Gesamtausgaben des Jugendbildungswerks<br />

wurden für die Zeit <strong>der</strong> Gründung am 1. September 1946 bis zur Neustrukturierung <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>richtungen am 31. Juli 1947 auf 7.500 RM veranschlagt. An dieser Summe beteiligte<br />

sich <strong>der</strong> Stadtkreis zu etwa e<strong>in</strong>em Drittel. Die Personalkosten wurden auf beide Kreisverwaltungen<br />

umgelegt, wobei möglicherweise e<strong>in</strong> Zuschuss aus Freiburg bereitgestellt<br />

wurde. Die Leitung dieser E<strong>in</strong>richtung oblag zunächst dem Vorsitzenden des Kreisjugendausschusses.<br />

Als erste Geschäftsstelle des Kreisjugendwerks diente die Privatwohnung des Jugendbildungswerksleiters<br />

Sigrist, <strong>der</strong> zum damaligen Zeitpunkt bereits über e<strong>in</strong>en eigenen<br />

Telefonanschluss verfügte, sodass die Kursanmeldungen werktags <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit von 18 bis<br />

19 Uhr telefonisch vorgenommen werden konnten. Nachdem die Trägerschaft vom<br />

Jugendausschuss auf den Landkreis übergegangen war, leitete <strong>der</strong> Jugendpfleger des<br />

Landratsamts <strong>Konstanz</strong>, Anton Auer, das Jugendbildungswerk. Se<strong>in</strong> Tätigkeitsschwerpunkt<br />

konzentrierte sich auf die kreisfreien Städte <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den. 593 Vor allem <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen<br />

entwickelte sich unter <strong>der</strong> Leitung von Amtsrat Albert Sauer (1948-1955) bald e<strong>in</strong><br />

umfangreiches Kursangebot. 594 Im W<strong>in</strong>tersemester 1948/1949 bot das dortige Jugendbildungswerk<br />

13 E<strong>in</strong>zelveranstaltungen (Lichtbil<strong>der</strong>vorträge, Konzerte etc.) <strong>und</strong> zwölf<br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften an. Bald schon entwickelte sich das Bildungswerk neben dem<br />

Stadttheater zur zweiten wichtigen kulturellen Institution vor Ort, wie aus e<strong>in</strong>em<br />

Pressebericht von 1948 hervorgeht. Dar<strong>in</strong> heißt es unter an<strong>der</strong>en:<br />

591<br />

Zur <strong>Geschichte</strong> dieser E<strong>in</strong>richtung SCHMIDT-LIEBICH (Hg.), Volkshochschule, S. 9-56, S. 14-17.<br />

592<br />

SÜDKURIER vom 19.11.1946.<br />

593<br />

Das geht aus dem Vierteljahresbericht <strong>der</strong> Abteilung Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung beim Landratsamt<br />

<strong>Konstanz</strong> an die Militärregierung für die Monate Oktober bis Dezember 1949 hervor; KrAK, Bestand<br />

Landratsamt <strong>Konstanz</strong>, 352.105/I.<br />

594<br />

SCHMIDT-LIEBICH (Hg.), Volkshochschule, S. 14.


152 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

„[…] nicht nur wegen se<strong>in</strong>es ausgedehnten kulturellen Programms <strong>und</strong> des großen<br />

Personenkreises, <strong>der</strong> davon erfasst o<strong>der</strong> angesprochen wird, son<strong>der</strong>n vor allem wegen<br />

se<strong>in</strong>er tiefernsten <strong>und</strong> bedeutungsvollen Zielsetzung, weil es sich nämlich neben den<br />

offiziellen Bildungse<strong>in</strong>richtungen ganz bewusst die große entscheidende Aufgabe<br />

stellt, mitzuhelfen an <strong>der</strong> geistigen Wie<strong>der</strong>aufrichtung <strong>der</strong> jungen Generation.“ 595<br />

Neben den genannten Bildungse<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> Städte S<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Radolfzell, die bald<br />

eigene E<strong>in</strong>richtungen gründeten, betreute die Abteilung Jugendbildung beim Landratsamt<br />

außerdem Bildungswerke <strong>in</strong> den kle<strong>in</strong>eren Kreisgeme<strong>in</strong>den wie etwa Hilz<strong>in</strong>gen, Tengen,<br />

Rielas<strong>in</strong>gen, Allensbach <strong>und</strong> Gottmad<strong>in</strong>gen. Die regionalen Bildungswerke funktionierten<br />

allerd<strong>in</strong>gs bis <strong>in</strong> die 1950er-Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> nur unregelmäßig. Anstelle ständiger Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften<br />

wurden Vorträge <strong>und</strong> Lichtbil<strong>der</strong>schauen auf Initiative des Landratsamts<br />

an unterschiedlichen Orten wechselseitig aufgeführt. 596 In den Landgeme<strong>in</strong>den stieß die<br />

Bildung von Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften auf viele Schwierigkeiten. E<strong>in</strong>e Ursache war <strong>der</strong><br />

Mangel an geeigneten kommunalen Räumlichkeiten. Selbst größere Geme<strong>in</strong>den wie<br />

Allensbach hatten ke<strong>in</strong>e eigenen Jugendräume. Sofern nicht wie <strong>in</strong> Engen Schulräume<br />

genützt wurden, dienten Turnhallen <strong>und</strong> – entgegen dem Willen von Eltern, Lehrern <strong>und</strong><br />

Pfarrern – sogar Wirtshäuser als Veranstaltungsorte.<br />

In kle<strong>in</strong>eren Orten erwies sich die Zahl <strong>der</strong> Jugendlichen oftmals als zu ger<strong>in</strong>g, um<br />

e<strong>in</strong>e Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft <strong>in</strong>s Leben zu rufen. In an<strong>der</strong>en Fällen war die Konkurrenz <strong>der</strong><br />

Jugendorganisationen zu groß, um Kurse zustande zu br<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong> weiteres Problem<br />

bildete <strong>der</strong> Mangel an geeigneten Kursleitern. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> landwirtschaftlichen Struktur<br />

<strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>den war die Landjugend <strong>in</strong> die häusliche Arbeit stark e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> hatte<br />

noch weniger Freizeit als die Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt. E<strong>in</strong>e Zusammenfassung von Jugendlichen<br />

aus mehreren Orten, wie es später im Zuge e<strong>in</strong>er hohen <strong>in</strong>dividuellen Mobilität<br />

üblich wurde, war damals vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> weiter Wege, <strong>der</strong> besatzungsbed<strong>in</strong>gten<br />

E<strong>in</strong>schränkung <strong>der</strong> Reisefreiheit sowie des Fehlens von Transportmitteln kaum möglich.<br />

Bisweilen sche<strong>in</strong>t nicht allen Verantwortlichen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Zweck <strong>der</strong> neuen Jugende<strong>in</strong>richtungen<br />

klar gewesen zu se<strong>in</strong>. So vermerkt das Protokoll des Kreisjugendausschusses<br />

vom Januar 1947, dass sich die Durchführung <strong>der</strong> Jugendbildungswerke <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen<br />

Landgeme<strong>in</strong>den im Kreis <strong>Konstanz</strong> nicht zuletzt deshalb als schwierig gestalte, weil die<br />

entsprechenden Richtl<strong>in</strong>ien dazu „von den Bürgermeistern falsch verstanden“ worden<br />

wären. E<strong>in</strong>ige Geme<strong>in</strong>devertreter hätten die Auffor<strong>der</strong>ung, Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften <strong>in</strong>s<br />

Leben zu rufen, als e<strong>in</strong>e Maßnahme zur „geme<strong>in</strong>same[n] Bewirtschaftung <strong>der</strong> Fel<strong>der</strong>“ 597<br />

missverstanden.<br />

Als kreisfreie Stadt war <strong>Konstanz</strong> verpflichtet, e<strong>in</strong> eigenes Jugendbildungswerk<br />

aufzubauen; die „E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> Durchführung <strong>der</strong> Jugendbildungswerke“ war e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

wichtigsten Aufgaben <strong>der</strong> Abteilung Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung. 598 Die örtliche<br />

Militärregierung legte im Bereich <strong>der</strong> außerschulischen Bildungsarbeit großen Wert<br />

595<br />

Nach e<strong>in</strong>em nicht näher datierten Bericht <strong>in</strong> <strong>der</strong> BADISCHEN ZEITUNG von 1948; KrAK, Bestand<br />

Landratsamt <strong>Konstanz</strong>, 352.105/I.<br />

596<br />

Etude sur la jeunesse, S. 14-15; MAE AOFAA, C 4381.<br />

597<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Landkreis <strong>Konstanz</strong> vom 13.01.1947; StAK, S XII.<br />

598<br />

Badisches M<strong>in</strong>isterium des Innern, Richtl<strong>in</strong>ie Nr. 12418, zitiert nach <strong>der</strong> Abschrift im StAK, S II 12418.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 153<br />

darauf, dass die e<strong>in</strong>schlägigen Richtl<strong>in</strong>ien des M<strong>in</strong>isteriums umgesetzt wurden. Der<br />

französische Jugendoffizier Marot for<strong>der</strong>te Oberbürgermeister Knapp im Juli 1947 auf,<br />

„dem Jugendbildungswerk die größte Aufmerksamkeit zu schenken“. In diesem Zusammenhang<br />

verwies er auf „den diesbezüglichen Erlass des Innenm<strong>in</strong>isteriums vom 26.8.46.<br />

Konkret waren die Richtl<strong>in</strong>ien vom August 1946 bzw. März 1947 geme<strong>in</strong>t, die zugleich<br />

für die Gründung <strong>der</strong> Jugendhäuser <strong>und</strong> Jugendausschüsse relevant waren. 599 Detaillierte<br />

E<strong>in</strong>zelbestimmungen erläuterten Aufgaben, Organisationsstrukturen, <strong>in</strong>haltliche Ausrichtung<br />

<strong>und</strong> behandelten des Weiteren Fragen zur Anmeldung, Raumnutzung <strong>und</strong> den Teilnahmebed<strong>in</strong>gungen.<br />

Der bildungspolitische Auftrag <strong>der</strong> neuen kommunalen E<strong>in</strong>richtung bestand dar<strong>in</strong>, im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Kulturarbeit <strong>und</strong> Demokratieerziehung dazu beizutragen, die negativen<br />

Folgen <strong>der</strong> nationalsozialistischen Erziehung abzufangen. 600 Diese Funktion spiegeln die<br />

Worte des Jugendoffiziers Marot wi<strong>der</strong>, <strong>der</strong> das Jugendbildungswerk 1946 <strong>während</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Sitzung des Jugendausschusses als Maßnahme zur „Wie<strong>der</strong>erziehung <strong>der</strong> Jugend, vor<br />

allem <strong>der</strong> nichtorganisierten“ 601 bezeichnete. Darüber h<strong>in</strong>aus sollten die neuen E<strong>in</strong>richtungen<br />

dazu beitragen, die abseits stehende Jugend <strong>in</strong> außerschulische Jugendprogramme<br />

e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den. So stand das Programm des W<strong>in</strong>tersemesters 1949/50 unter dem Motto „Wie<br />

br<strong>in</strong>gen wir die Jugend von <strong>der</strong> Straße weg“.<br />

Die Stadt <strong>Konstanz</strong> setzte die Vorgaben aus Freiburg bezüglich <strong>der</strong> Gründung e<strong>in</strong>es<br />

eigenen Jugendbildungswerks erst <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte des Jahres 1947 um, nachdem<br />

zuvor e<strong>in</strong>e Kooperation mit dem Landkreis bestanden hatte. Die Verzögerung hatte den<br />

Vorteil, dass die Gründung des Stadtjugendbildungswerks zum e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Zeit fiel, als<br />

die größte wirtschaftliche Not bereits überw<strong>und</strong>en war. Zum an<strong>der</strong>en wurde die E<strong>in</strong>richtung<br />

von Anfang an als kommunale Stelle geführt <strong>und</strong> mit Mitteln aus dem städtischen<br />

Haushalt geför<strong>der</strong>t. An<strong>der</strong>s als im Fall des Jugendbildungswerks <strong>Konstanz</strong>-Land sowie<br />

des Jugendhauses unterlag das städtische Jugendbildungswerk zudem nicht dem breit<br />

angelegten Modell <strong>der</strong> Trägerschaft vonseiten des Jugendausschusses, das oftmals e<strong>in</strong>e<br />

effektive Entscheidungsf<strong>in</strong>dung erschwerte. Vielmehr wurde die E<strong>in</strong>richtung von Anfang<br />

an unter ausschließlich kommunaler Trägerschaft, die durch die Abteilung Jugendpflege<br />

<strong>und</strong> Jugendbildung organisiert wurde, geführt. Wie das Jugendhaus wurde das Bildungswerk<br />

ebenfalls durch den Jugendbeauftragten betreut. Allerd<strong>in</strong>gs hatte <strong>der</strong> Jugendausschuss<br />

weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Mitspracherecht <strong>in</strong> allen Belangen <strong>der</strong> Jugendbildung. Auch nach <strong>der</strong><br />

Umbildung kooperierten beide Bildungswerke im Land- <strong>und</strong> im Stadtkreis weiterh<strong>in</strong>, vor<br />

allem was die Durchführung von Fahrten o<strong>der</strong> den Austausch von Kursen <strong>und</strong> Kursleitern<br />

anbelangte, gelegentlich wurde sogar das Bildungswerk Überl<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>bezogen.<br />

Das städtische Jugendbildungswerk wurde im Rahmen e<strong>in</strong>er Feierst<strong>und</strong>e im Bürgersaal<br />

am 19. November 1947 offiziell eröffnet. 602 In den kommenden Jahren fanden solche<br />

599<br />

Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern vom 16.08.1946, Nr. 12418; <strong>in</strong> diesem Fall wurde das<br />

Exemplar im StAK, S II 13260, herangezogen.<br />

600<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 12.08.1947; StAK, S XII.<br />

601<br />

Marot erläuterte Ende 1946 die Aufgaben <strong>der</strong> Jugendbildungswerke vor dem Jugendausschuss; Protokoll<br />

des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 16.12.1946; StAK, S XII.<br />

602<br />

Ankündigungen im SÜDKURIER vom 15. <strong>und</strong> 18.11.1947.


154 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Eröffnungsabende, an denen das Programm <strong>der</strong> Öffentlichkeit vorgestellt wurde, regelmäßig<br />

zu Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es jeden W<strong>in</strong>tersemesters statt. 603 Die Bildungse<strong>in</strong>richtung startete<br />

zunächst mit zwei Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften <strong>und</strong> 25 Teilnehmern <strong>in</strong> das erste W<strong>in</strong>tersemester<br />

1947/48. Doch aus diesen bescheidenen Anfängen heraus entfaltete sich bald schon e<strong>in</strong>e<br />

gut besuchte Jugendbildungse<strong>in</strong>richtung, 604 , die <strong>der</strong> gesamten Jugend offen stand <strong>und</strong><br />

überkonfessionell <strong>und</strong> überparteilich strukturiert war. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> weltanschaulich<br />

neutralen Ausrichtung bildete das Jugendbildungswerk e<strong>in</strong> Novum <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

kommunalen Jugendpflege. Die E<strong>in</strong>teilung <strong>in</strong> lose Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften, ähnlich wie es<br />

im Fall <strong>der</strong> Volkshochschulen bereits gängig war, ermöglichte den Jugendlichen, ihren<br />

<strong>in</strong>dividuellen Interessen für e<strong>in</strong>e begrenzte Zeit ohne langfristige B<strong>in</strong>dung o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>weitige Verpflichtung nachzugehen. Solche Ausdrucksformen waren <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> bis dah<strong>in</strong> unbekannt. In den genannten Punkten unterschied sich diese<br />

Institution von allen bisher bekannten Ausdrucksformen <strong>der</strong> außerschulischen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong>, vor allem <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Jugendverbände <strong>und</strong> Parteien. Diesen markanten<br />

Unterschied dokumentiert e<strong>in</strong> Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern vom<br />

April 1947 an die Landratsämter <strong>und</strong> Stadtverwaltungen <strong>der</strong> kreisfreien Städte. Dort heißt<br />

es unter an<strong>der</strong>em:<br />

„Die Jugendorganisationen bilden e<strong>in</strong>e notwendige <strong>und</strong> wichtige Ergänzung zur<br />

Erziehung des Elternhauses <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schule. Insbeson<strong>der</strong>e för<strong>der</strong>n sie die Selbsterziehung<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>schaftlicher Zusammenarbeit. Mit den Zielen<br />

<strong>und</strong> Idealen <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Jugendverbände ist auch gleichzeitig <strong>der</strong>en Wirkungsbereich<br />

umrissen. Demgegenüber fungiert das Jugendbildungswerk auf e<strong>in</strong>er völlig<br />

neutralen Basis. Es steht <strong>der</strong> gesamten Jugend offen <strong>und</strong> arbeitet mit an den wissens-<br />

<strong>und</strong> bildungsmäßigen Voraussetzungen für das staatsbürgerliche Leben.“ 605<br />

4.2.1 Voraussetzungen für e<strong>in</strong>en geregelten Betrieb: Räume, f<strong>in</strong>anzielle<br />

Beihilfen, Kursleiter<br />

Im Wesentlichen mussten drei Voraussetzungen erfüllt se<strong>in</strong>, damit die konzeptionellen<br />

Vorgaben aus <strong>der</strong> Landeshauptstadt umgesetzt werden konnten. Erstens mussten Räumlichkeiten<br />

vorhanden se<strong>in</strong>, zweitens e<strong>in</strong>e gewisse f<strong>in</strong>anzielle Ausstattung garantiert<br />

werden, drittens geeignete Kursleiter gef<strong>und</strong>en werden.<br />

Was den ersten Punkt anbelangt, waren die Ausgangsbed<strong>in</strong>gungen aufgr<strong>und</strong> des<br />

frühzeitigen Vorhandense<strong>in</strong>s e<strong>in</strong>es Jugendhauses im Vergleich zu an<strong>der</strong>en Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> anfangs günstig. Die räumlichen Kapazitäten reichten jedoch wegen <strong>der</strong><br />

Beengtheit im Rhe<strong>in</strong>torturm für das expandierende Jugendbildungswerk bald nicht mehr<br />

aus. Manche Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften konnten nur <strong>in</strong> Schulen durchgeführt werden, da<br />

603 StAK, S II 12106.<br />

604 Zu den ersten Kursen zählten die „Historische Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft“, die „Laienspielschar“, <strong>der</strong><br />

„S<strong>in</strong>gkreis“ sowie die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften für „Literatur, altes Volkstum <strong>und</strong> Jugendwan<strong>der</strong>n“,<br />

„Plakat <strong>und</strong> Kunstschrift“, „Nähen“ <strong>und</strong> „Basteln“; vgl. Protokoll des Jugendausschusses für den<br />

Stadtkreis vom 13.12.1947; StAK, S II 13260.<br />

605 Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern an die Landkreisverwaltungen <strong>und</strong> Stadtverwaltungen<br />

Baden-Baden, Freiburg, <strong>Konstanz</strong> vom 22.04.1947; zitiert nach <strong>der</strong> Abschrift im StAK, S II 12320.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 155<br />

diese zum damaligen Zeitpunkt als e<strong>in</strong>zige öffentliche E<strong>in</strong>richtungen über Werkstätten,<br />

Materialien <strong>und</strong> Werkzeuge verfügten. Allerd<strong>in</strong>gs war e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Schulgebäude durch<br />

die Militärregierung beschlagnahmt <strong>und</strong> somit e<strong>in</strong>er Nutzung für Bildungszwecke<br />

entzogen. H<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> wirtschaftlichen Lage des Bildungswerks ist zu konstatieren,<br />

dass dieses <strong>in</strong> den Anfangsjahren mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte wie die<br />

übrigen Jugende<strong>in</strong>richtungen. Ähnlich, wie es im schulischen Bereich <strong>der</strong> Fall war,<br />

machte sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> außerschulischen Jugendbildung die Mangelwirtschaft <strong>und</strong> Not<br />

<strong>der</strong> ersten Nachkriegsjahre bemerkbar. So fehlte es dem Jugendbildungswerk an den notwendigen<br />

Lehr- <strong>und</strong> Lernmitteln, angefangen von Bleistiften bis h<strong>in</strong> zur Schreibmasch<strong>in</strong>e<br />

o<strong>der</strong> zu Arbeitskitteln für die Werk-AG. Die Mangelwirtschaft erwies sich als <strong>der</strong>art<br />

h<strong>in</strong><strong>der</strong>lich, dass <strong>der</strong> Stadtjugendpfleger anfangs e<strong>in</strong>en großen Teil se<strong>in</strong>er Tätigkeit damit<br />

verbrachte, Materialien <strong>und</strong> Inventar für das Jugendbildungswerk zu beschaffen. So<br />

wandte sich Kutscha im Februar 1948 zum Beispiel an die Militärregierung mit <strong>der</strong> Bitte<br />

um „Zuweisung e<strong>in</strong>es Papierkont<strong>in</strong>gents von 25 kg“. 606 Da es ke<strong>in</strong>e überregionalen<br />

För<strong>der</strong>mittel zu verteilen gab, war das Jugendbildungswerk ausschließlich auf kommunale<br />

Beihilfen angewiesen. Diese flossen jedoch meist spärlich. 607 Kurzfristige Abhilfen<br />

brachten neben privaten Spenden die Haus- <strong>und</strong> Straßensammlungen, die im Auftrag des<br />

Freiburger Innenm<strong>in</strong>isteriums 1948 <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Südbaden<br />

zugunsten <strong>der</strong> Jugendherbergen <strong>und</strong> Jugendbildungswerke durchgeführt wurden.<br />

Wie viele Kultur- <strong>und</strong> Bildungse<strong>in</strong>richtungen sah sich das <strong>Konstanz</strong>er Bildungswerk<br />

nach <strong>der</strong> Währungsreform mit e<strong>in</strong>er prekären F<strong>in</strong>anzlage konfrontiert. Im Frühjahr 1949<br />

beschwerte sich Anton Auer bei se<strong>in</strong>em Dienstherrn, dass seit dem Tage <strong>der</strong> Währungsumstellung<br />

für die Belange <strong>der</strong> Jugendbildung vonseiten des Kreises ke<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anzielle<br />

Unterstützung mehr geleistet <strong>und</strong> vorgesehene Beträge aus <strong>der</strong> Zeit vor E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong><br />

DM nicht vollständig ausbezahlt worden wären. Daher bat er um Beihilfen aus Mitteln des<br />

alten Haushaltsplans aus <strong>der</strong> Zeit vor <strong>der</strong> Währungsumstellung, <strong>in</strong>dem er sich auf die<br />

Landesverfügung über die E<strong>in</strong>richtungen für die Jugendbildung vom Mai 1947, welche<br />

die E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> Unterhaltung von Jugendbildungsstätten als Pflichtaufgabe <strong>der</strong> Kreise<br />

def<strong>in</strong>ierte, berief 608 <strong>und</strong> erreichte immerh<strong>in</strong>, dass <strong>der</strong> Landkreis noch im gleichen Jahr<br />

9.720 DM für Jugendbildung im Haushaltsplan bereitstellte. 609<br />

Analog zur allgeme<strong>in</strong>en <strong>Entwicklung</strong> verbesserte sich die Lage zum Ende <strong>der</strong><br />

1940er-Jahre h<strong>in</strong>. Im Gefolge gelockerter Besatzungsbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> verbesserter<br />

wirtschaftlicher Aussichten nach <strong>der</strong> Währungsreform von 1948 erweiterten sich die<br />

Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich des Jugendbildungsangebots. 1949 beantragte das<br />

Jugendbildungswerk gleich mehrere Anschaffungsgegenstände, die sowohl die Möglichkeiten<br />

im Bereich <strong>der</strong> Verwaltungsarbeit als auch die Durchführung von Kursen o<strong>der</strong><br />

606 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 12.02.1948; StAK, S II 13260.<br />

607 Dies geht aus e<strong>in</strong>em Schreiben des Jugendbeauftragten Sigrist an den Landrat vom Dezember 1946 mit<br />

<strong>der</strong> Bitte um Bereitstellung geldlicher Mittel für das Jugendbildungswerk vom 02.12.1946 hervor;<br />

KrAK, Bestand Landratsamt <strong>Konstanz</strong>, Nr. 352.105/I.<br />

608 Schreiben Auers an Landrat Belzer vom 04.04.1949; KrAK, Bestand Landratsamt <strong>Konstanz</strong>,<br />

Nr. 352.105/I.<br />

609 SCHMIDT-LIEBICH (Hg.), Volkshochschule, S. 15.


156 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Veranstaltungen erheblich ausweiteten – im E<strong>in</strong>zelnen handelte es sich um e<strong>in</strong>e neue<br />

Schreibmasch<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong>e Hobelbank mit Werkzeugen <strong>und</strong> Schnitzmessern, Webapparate <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>en Kle<strong>in</strong>bildprojektor für Lichtbildvorträge. 610<br />

Ähnlich wie die Schulen hatten die Jugendbildungswerke <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren<br />

ebenfalls Schwierigkeiten, geeignete Lehrkräfte zu f<strong>in</strong>den. Denn zum e<strong>in</strong>en<br />

befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch viele Männer <strong>in</strong> Kriegsgefangenschaft; zum<br />

an<strong>der</strong>en waren die Entnazifizierungsverfahren entwe<strong>der</strong> nicht abgeschlossen o<strong>der</strong> ihr<br />

Ausgang hatte negative Folgen. Gleichsam wie es <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en Bereichen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

ebenfalls <strong>der</strong> Fall war, so mangelte es <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> außerschulischen Jugendbildung<br />

an fachlich kompetenten <strong>und</strong> zugleich politisch unbelasteten Kursleitern. Nach<br />

Angaben von Karl Sigrist war im Jahr 1948 „e<strong>in</strong> großer Teil“ <strong>der</strong> qualifizierten Personen,<br />

die „sich zur Mitarbeit anbieten, durch e<strong>in</strong>e kulturelle Mitarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> HJ o<strong>der</strong> Partei<br />

belastet“ <strong>und</strong> schied daher als Kursleiter aus. 611 Die Übernahme e<strong>in</strong>er Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

erschien außerdem für viele kaum erstrebenswert zu se<strong>in</strong>, solange diese Aufgabe, wie<br />

anfangs üblich, auf ehrenamtlicher Basis erfolgen musste.<br />

Um den Posten etwas attraktiver zu gestalten, stellte <strong>der</strong> Jugendbeauftragte für die<br />

Leiter <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften Anträge auf Ernährungsbeihilfen beim städtischen<br />

Ernährungsamt. 612 In den beiden ersten Jahren nach Kriegsende hatten die Kursleiter <strong>und</strong><br />

die Teilnehmer <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften Anspruch auf diese Unterstützungen.<br />

Beispielsweise stellte das städtische Ernährungsamt im April 1948 400 Zusatzportionen an<br />

Lebensmitteln bereit, die je zur Hälfte an die Teilnehmer <strong>der</strong> Jugendbildungswerke<br />

<strong>Konstanz</strong>-Land bzw. <strong>Konstanz</strong>-Stadt verteilt werden sollten. Die Portionen wurden<br />

<strong>während</strong> e<strong>in</strong>er Abendveranstaltung verteilt, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Rahmen <strong>der</strong> französische Volkshochschullektor<br />

Mansord zur Freude <strong>der</strong> Anwesenden e<strong>in</strong>e für damalige Verhältnisse<br />

ausgefallene Gabe beisteuerte. Nachdem es ihm, wie es <strong>in</strong> zeitgenössischen Quellen heißt,<br />

gelungen war, „noch e<strong>in</strong> Quantum We<strong>in</strong> freizubekommen“, konnte jedem Teilnehmer „e<strong>in</strong><br />

Viertel davon gereicht werden“. 613 Nach <strong>der</strong> Währungsreform wurden die naturalen<br />

Beihilfen e<strong>in</strong>gestellt. Ab dem W<strong>in</strong>tersemester 1947/1948 erhielten die Kursleiter für ihre<br />

Tätigkeiten beim Jugendbildungswerk schließlich e<strong>in</strong> Honorar. 614 Auffallend viele Kursleiter<br />

<strong>der</strong> ersten St<strong>und</strong>e waren Lehrkräfte, darunter Studienräte, Handarbeitslehrer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Gewerbeschullehrer. Beispielhaft genannt sei an dieser Stelle Oberstudiendirektor Dr.<br />

Hermann Venedey, Rektor des späteren Alexan<strong>der</strong>-von-Humboldt-Gymnasiums, damals<br />

noch Mädchen-Oberrealschule, <strong>und</strong> Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Volkshochschule <strong>Konstanz</strong>. In früher<br />

Nachkriegszeit leitete er neben se<strong>in</strong>em Beruf <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Leitungsfunktion bei <strong>der</strong><br />

Volkshochschule ferner die Laienspielschar des städtischen Jugendbildungswerks.<br />

Neben dieser Berufsgruppe konnten außerdem e<strong>in</strong>ige Persönlichkeiten aus Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Kultur gewonnen werden. Beispielsweise stand die „Historische Arbeits-<br />

610 Vorschläge <strong>der</strong> Abt. Jugendpflege zum Haushaltsplan für das RJ 1949. Schreiben vom 09.03.1949 an das<br />

Hauptamt; Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 28.03.1949; StAK, S XII.<br />

611 StAK, S II 12106.<br />

612 Schriftwechsel zwischen Stadt <strong>und</strong> Jugendbildungswerk; StAK, S XII.<br />

613 Protokoll des Jugendausschusses für den Landkreis <strong>Konstanz</strong> vom 12.04.1948; StAK, S XII.<br />

614 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 30.06.1947; StAK, S II 13260.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 157<br />

geme<strong>in</strong>schaft“ des Stadtjugendbildungswerks 1948 unter <strong>der</strong> Leitung des damaligen Stadtarchivleiters<br />

Dr. Otto Feger. Auch Mitarbeiter des deutschen Theaters o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Leiter des<br />

<strong>Konstanz</strong>er Orchesters, Kapellmeister Butzengeiger, leiteten zeitweise e<strong>in</strong>e Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

beim Jugendbildungswerk. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> des allgeme<strong>in</strong>en Mangels an<br />

geeigneten Lehrkräften kooperierten außerdem die Jugendbildungswerke <strong>der</strong> Region<br />

Hegau <strong>und</strong> westlicher Bodensee. So leitete beispielsweise <strong>der</strong> Überl<strong>in</strong>ger Kreisjugendbeauftragte<br />

Ernst Genth 1948 zunächst den S<strong>in</strong>gkreis des <strong>Konstanz</strong>er Jugendbildungswerks.<br />

615<br />

Um den Mangel an Kursleitern <strong>in</strong> den badischen Jugendbildungswerken zu beheben,<br />

wurden auf Initiative des Abteilungsleiters für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung beim<br />

Innenm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Freiburg, Joseph Epp, auf überregionaler Ebene Kurse für Lehrkräfte<br />

<strong>der</strong> Jugendbildungswerke durchgeführt. Diesem Zweck diente e<strong>in</strong>e Tagung <strong>der</strong> Abteilung<br />

Sports et Jeunesse <strong>der</strong> badischen Landesmilitärregierung im Oktober 1946 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendherberge<br />

Titisee zu den Themen „Volkshochschule“ <strong>und</strong> „Jugendbildungswerk“. Die Zielgruppe<br />

dieser Veranstaltung waren Jugendbeauftragte, Leiter von Jugendbildungswerken,<br />

Volkshochschulen <strong>und</strong> Dozenten von Kursen <strong>und</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften im Rahmen <strong>der</strong><br />

Jugend- <strong>und</strong> Erwachsenenbildung. 616 Im Raum <strong>Konstanz</strong> fand, um e<strong>in</strong> Beispiel aus <strong>der</strong><br />

näheren Region zu nennen, im September 1947 e<strong>in</strong>e Kursleiterschulung statt. Hierbei<br />

unterwiesen erfahrene Kursleiter die künftigen Dozenten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Durchführung von Näh-<br />

<strong>und</strong> Bastelkursen, Laienspiel <strong>und</strong> Musik. Die Teilnehmer wurden <strong>in</strong> den Jugendherbergen<br />

<strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong> kostenfrei untergebracht. In den Abendst<strong>und</strong>en referierten<br />

Regierungsrat Dr. Epp, Stadtarchivar Dr. Feger, Kapellmeister Butzengeiger <strong>und</strong> Studienassessor<br />

Sigrist über den S<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Zweck <strong>der</strong> Jugendbildung <strong>in</strong> Baden <strong>und</strong> ermunterten<br />

die künftigen Kursleiter zur Übernahme e<strong>in</strong>er eigenen Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft. 617<br />

4.2.2 <strong>Entwicklung</strong> des Kursangebots <strong>und</strong> <strong>der</strong> Teilnehmerzahlen<br />

E<strong>in</strong> Blick auf die Kurs<strong>in</strong>halte zeigt, dass das Programm des Jugendbildungswerks<br />

<strong>Konstanz</strong>-Stadt <strong>in</strong> den 1940er-Jahren drei charakteristische Merkmale aufwies: erstens<br />

war es bildungsbürgerlich ausgerichtet, zweitens praxisorientiert, drittens trug es neben<br />

den genannten <strong>in</strong>haltlichen Gesichtspunkten den bescheidenen Möglichkeiten <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Mangelwirtschaft Rechnung. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschränkten Mobilität, <strong>der</strong><br />

Raumnot <strong>und</strong> dem Mangel an Geld, Kursleitern, Ausrüstungsgegenständen, Werkzeugen,<br />

Bastelmaterialien <strong>und</strong> Sportgeräten versuchte man aus dem wenigen Vorhandenen das<br />

Beste zu machen. Vor allem <strong>in</strong> den ersten Jahren se<strong>in</strong>es Bestehens trug das Programm des<br />

Jugendbildungswerks <strong>Konstanz</strong>, wie BURCHARDT konstatiert, gewisse „bürgerlich<br />

altväterische Züge“. 618 Die Ursachen für diese traditionelle Ausrichtung s<strong>in</strong>d verschiedenartig.<br />

E<strong>in</strong>erseits basierte die Angebotsentwicklung auf Erfahrungen, die viele <strong>der</strong><br />

615<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 16.02.1948; StAK, S XII.<br />

616<br />

E<strong>in</strong> Exemplar des Protokolls dieser Tagung, die vom 15. bis zum 23.10.1946 stattfand, bef<strong>in</strong>det sich im<br />

KrAVS, LRA Vill<strong>in</strong>gen, Nr. 2417.<br />

617<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 36.08.1947; StAK, S XII.<br />

618<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 210.


158 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Lehrkräfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> vor 1933 <strong>in</strong> ihrer damaligen Eigenschaft als Jugendleiter<br />

gesammelt hatten. An<strong>der</strong>erseits waren neuere musikalische E<strong>in</strong>flüsse aus den USA o<strong>der</strong><br />

Late<strong>in</strong>amerika vielen Jugendverantwortlichen entwe<strong>der</strong> nicht bekannt o<strong>der</strong> nicht geheuer.<br />

Manchem Zeitgenossen galten solche Trends sogar als jugendgefährdend. Darauf verweist<br />

e<strong>in</strong>e Bemerkung e<strong>in</strong>es Bürgermeister aus e<strong>in</strong>er Kreisgeme<strong>in</strong>de, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Durchführung<br />

<strong>der</strong> S<strong>in</strong>gtage von 1948 <strong>in</strong> solchen Veranstaltungen e<strong>in</strong>en Beweis dafür zu erkennen<br />

glaubte, „dass die ges<strong>und</strong>e Jugend noch höheren Idealen“ nacheifere, „als Rumba <strong>und</strong><br />

Samba sie zu bieten vermögen“. 619 Neue Trends etwa <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mode, bei Musikgeschmack<br />

o<strong>der</strong> den Tanzgewohnheiten erreichten <strong>Konstanz</strong> erst im Laufe <strong>der</strong> späten 1950er-Jahre. In<br />

dieser H<strong>in</strong>sicht bildete die Lage <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e Ausnahme. In den ersten<br />

Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten Kurse auf den Gebieten Volksmusik,<br />

Laienspiel, Basteln <strong>und</strong> Volkstanz zum gängigen Angebot <strong>der</strong> badischen Jugendbildungswerke.<br />

Vergleichbare Angebote, etwa auf dem Gebiet des Laienspiels, gab es im<br />

amerikanischen Zonengebiet. Im Kreis Kassel beispielsweise war <strong>der</strong> Abteilung für<br />

Jugendpflege e<strong>in</strong>e öffentlich zugängliche Laienspielberatungsstelle angeglie<strong>der</strong>t, die Texte<br />

verlieh <strong>und</strong> fachmännischen Rat bei <strong>der</strong> Vorbereitung von Laienspielaufführungen<br />

erteilte. 620<br />

Neben solchen eher traditionell ausgerichteten Kursangeboten war das Jugendbildungswerk<br />

von Anfang an bemüht, stets Themen <strong>der</strong> Zeit zu behandeln. Wie erwähnt,<br />

wurden schon seit 1946 Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften zum Erlernen <strong>der</strong> Weltsprache Esperanto<br />

<strong>und</strong> seit dem W<strong>in</strong>tersemester 1948/49 für Elektro- <strong>und</strong> Radiotechnik angeboten. Ende <strong>der</strong><br />

1940er-Jahre gewann außerdem <strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung im Rahmen <strong>der</strong><br />

Programmgestaltung zunehmend an Bedeutung. Um e<strong>in</strong>e unnötige Konkurrenzsituation zu<br />

an<strong>der</strong>en Institutionen zu vermeiden, verzichtete das Jugendbildungswerk bewusst auf<br />

Kurse wie Stenografie, Fremdsprachen, Gymnastik, weil diese Bereiche über die<br />

Volkshochschule o<strong>der</strong> die örtlichen Vere<strong>in</strong>e abgedeckt wurden. 621 Während die<br />

Programmgestaltung bis 1948 sehr durch den Sparzwang geprägt war, wies das<br />

W<strong>in</strong>terhalbjahr 1949/50 e<strong>in</strong>e Vielzahl neuer Kurse aus. Die günstige wirtschaftliche<br />

<strong>Entwicklung</strong> zeitigte positive Effekte auf die Programmentwicklung, wie die folgende<br />

Auflistung belegt.<br />

619 Laut Bericht des Jugendbeauftragten Anton Auer an den Landrat; KrAK, LRA <strong>Konstanz</strong>, 352.105/I.<br />

620 ROSENWALD; THEIS, Enttäuschung <strong>und</strong> Zuversicht, S. 132.<br />

621 SÜDKURIER vom 06.10.1948.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 159<br />

Stand 31. März 1948 Stand 30. Sept. 1949<br />

1. S<strong>in</strong>gkreis<br />

2. Handharmonika-Orchester<br />

3. Laienspielschar<br />

4. Literatur, Volkstum <strong>und</strong> Jugendwan<strong>der</strong>n<br />

5. Historische AG<br />

6. Plakat- <strong>und</strong> Kunstschrift<br />

7. Werkarbeit <strong>und</strong> Basteln<br />

8. Nähen<br />

9. Briefmarkentauschr<strong>in</strong>g<br />

1. Literatur-Kreis<br />

2. Buchb<strong>in</strong>den<br />

3. Elektro- <strong>und</strong> Radiotechnik<br />

4. Werkarbeit <strong>und</strong> Basteln<br />

5. Handharmonika-Orchester<br />

6. Volkstanzkreis<br />

7. Laienspielschar<br />

8. Volkstum <strong>und</strong> Jugendwan<strong>der</strong>n<br />

9. Schach<br />

10. Tischtennis<br />

11. Esperanto Gruppe A<br />

12. Esperanto Gruppe B<br />

13. Naturk<strong>und</strong>liche AG<br />

14. Gitarrenkreis<br />

TABELLE 7: Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften des Jugendbildungswerks <strong>Konstanz</strong>-Stadt<br />

Im Jahr 1949 setzte sich e<strong>in</strong>e Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft des Jugendbildungswerks aus durchschnittlich<br />

16 Teilnehmern zusammen. Beson<strong>der</strong>s gut besucht waren die Tischtennisgruppe<br />

mit 43 Teilnehmern <strong>und</strong> das Handharmonika-Orchester mit 44 Musiker<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

Musikern, die sich auf zwei Gruppen verteilten. Auch die Bastelkurse <strong>und</strong> die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften<br />

für Volkstanz, Laienspiel, Volkswan<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Esperanto waren mit 20 <strong>und</strong><br />

mehr Teilnehmern gut frequentiert.<br />

Als beson<strong>der</strong>s erfolgreich erwies sich e<strong>in</strong> neuartiges Konzept, das als kunstgeschichtlicher<br />

Zyklus angeboten <strong>und</strong> von r<strong>und</strong> 200 Jugendlichen besucht wurde. Diese<br />

Veranstaltungsreihe bestand aus mehreren Vorträgen über Bau- <strong>und</strong> Kunstgeschichte,<br />

Literatur <strong>und</strong> Musikgeschichte. Zur Beliebtheit trug aber vor allem die Abschlussexkursion<br />

bei, die beispielsweise zu oberschwäbischen Barockkirchen führte. 622 E<strong>in</strong><br />

solcher Ausflug stellte für viele Jugendliche <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen Zeit e<strong>in</strong>e Novität dar, <strong>in</strong>dem<br />

sie erstmals <strong>in</strong> ihrem Leben die Möglichkeit erhielten, sich über die Kreisgrenze<br />

h<strong>in</strong>auszubewegen. Die Exkursion im Anschluss an den kunstgeschichtlichen Zyklus<br />

bildete den Auftakt zu e<strong>in</strong>er ganzen Reihe erfolgreich durchgeführter Fahrten, die sich <strong>in</strong><br />

den 1950er-Jahren zum festen Bestandteil <strong>der</strong> örtlichen Jugendbildungsarbeit entwickelten.<br />

Soweit es die Möglichkeiten zuließen, wurden zudem frühzeitig neue Medien<br />

e<strong>in</strong>gesetzt. Anfang 1949 erwarb das Jugendbildungswerk e<strong>in</strong> eigenes „Epidiaskop“ für<br />

Vorträge <strong>und</strong> Diaschauen. 623 Die begonnene <strong>Entwicklung</strong> wurde <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />

<strong>in</strong>tensiviert. Darüber h<strong>in</strong>aus versuchten die Verantwortlichen mittels e<strong>in</strong>er ganzen Reihe<br />

<strong>in</strong>novativer Ideen, neue Zielgruppen zu erschließen <strong>und</strong> weitere Interessenten für die<br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften <strong>und</strong> Veranstaltungen des Jugendbildungswerks zu gew<strong>in</strong>nen. Dazu<br />

622 SÜDKURIER vom 24.01.1950.<br />

623 SÜDKURIER vom 28.03.1949.


160 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

zählten Son<strong>der</strong>veranstaltungen, e<strong>in</strong> ausgereiftes System an Vergünstigungen für Teilnehmer<br />

sowie umfassende Werbemaßnahmen durch öffentliche Auftritte <strong>und</strong> Pressearbeit.<br />

Die Teilnahmegebühr <strong>in</strong> Höhe von 1 DM war akzeptabel, e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Kurse war sogar<br />

umsonst.<br />

Seit 1949 konnten sich die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschäftsstelle<br />

des Jugendbildungswerks Teilnehmersche<strong>in</strong>e ausstellen lassen, mit denen Vergünstigungen<br />

beim Besuch vieler städtischen E<strong>in</strong>richtungen verb<strong>und</strong>en waren. So berechtigte<br />

<strong>der</strong> Teilnehmersche<strong>in</strong> des Jugendbildungswerks unter an<strong>der</strong>em zum vergünstigten E<strong>in</strong>tritt<br />

im Kur- <strong>und</strong> Hallenbad an bestimmten Tagen <strong>und</strong> zu vorgegebenen Zeiten. Außerdem<br />

erhielten die Besucher des Jugendbildungswerks 50 Prozent Ermäßigung auf alle Kurse<br />

<strong>der</strong> Volkshochschule. Allerd<strong>in</strong>gs waren die Son<strong>der</strong>konditionen an den regelmäßigen<br />

Besuch <strong>der</strong> Veranstaltungen geb<strong>und</strong>en. Wer den Kursen über vier Wochen lang unentschuldigt<br />

fernblieb, verlor den Teilnehmersche<strong>in</strong>. 624<br />

Die neue Jugende<strong>in</strong>richtung versuchte des Weiteren, ihre Bekanntheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

dadurch zu steigern, dass e<strong>in</strong>zelne Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften an<strong>der</strong>weitige Veranstaltungen<br />

künstlerisch umrahmten. So präsentierte sich das <strong>Konstanz</strong>er Jugendbildungswerk<br />

im W<strong>in</strong>ter 1947 unter an<strong>der</strong>em mit e<strong>in</strong>er Son<strong>der</strong>schau auf dem Weihnachtsmarkt. 625<br />

Zur Informationspolitik gehörte ferner die regelmäßige Bekanntgabe <strong>der</strong> Aktivitäten <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Presse. Seit dem W<strong>in</strong>tersemester 1948/49 wurden gedruckte Programme e<strong>in</strong>geführt, die <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Geschäftsstelle <strong>und</strong> <strong>in</strong> vielen <strong>Konstanz</strong>er Läden erhältlich waren. Die Informationsbroschüren<br />

enthielten, ähnlich wie die späteren Volkshochschulprogramme, ausführliche<br />

H<strong>in</strong>weise auf Inhalte, Zeiten <strong>und</strong> Kosten <strong>der</strong> Kurse. Die Jugend nahm das Angebot <strong>der</strong><br />

neuen Bildungse<strong>in</strong>richtung gut an. Die Beliebtheit des Jugendbildungswerks spiegelt sich<br />

<strong>in</strong> den ansteigenden Teilnehmerzahlen <strong>der</strong> Jahre 1947 bis 1949 wi<strong>der</strong>. 626 Die folgende<br />

Auflistung zeigt, dass die Zahl <strong>der</strong> Teilnehmer parallel zum Angebot kont<strong>in</strong>uierlich<br />

anwuchs.<br />

Jahr Zahl <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften Anzahl <strong>der</strong> Teilnehmer<br />

1947 4 75<br />

1948 16 411<br />

1949 52 535<br />

TABELLE 8: Anzahl <strong>der</strong> Teilnehmer <strong>und</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften des Jugendbildungswerks<br />

<strong>Konstanz</strong>-Stadt 1947-1949<br />

Zum Erfolg des Jugendbildungswerks trug e<strong>in</strong>erseits die Tatsache bei, dass es vor Ort <strong>in</strong><br />

früher Nachkriegszeit kaum Freizeitangebote o<strong>der</strong> Unterhaltungsmöglichkeiten für junge<br />

Leute gab. An<strong>der</strong>erseits sprach das offene Angebot des Jugendbildungswerks, das als<br />

lockere <strong>und</strong> nur kurzfristige Zusammenkunft von Interessengruppen konzipiert war, die<br />

624<br />

SÜDKURIER vom 28.03.1949.<br />

625<br />

StAK, S XII.<br />

626<br />

Statistik; StAK, S II 12106.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 161<br />

Jugend an. Wie bereits an früherer Stelle <strong>der</strong> Untersuchung gezeigt wurde, verspürten<br />

viele Jugendliche nach den Jahren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hitler-Jugend wenig Neigung, e<strong>in</strong>e feste<br />

Mitgliedsb<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vere<strong>in</strong> o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Jugendorganisation e<strong>in</strong>zugehen. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong> ersche<strong>in</strong>t es wenig überraschend, dass Ende <strong>der</strong> 1940er-Jahre etwa 80 Prozent <strong>der</strong><br />

Teilnehmer des städtischen bzw. r<strong>und</strong> 75 Prozent des kreiseigenen Jugendbildungswerks<br />

ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong> örtlichen Jugendorganisationen angehörten. Somit konnten die Bildungswerke<br />

<strong>in</strong> beiden Kreisen <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> zentralen Gedanken <strong>der</strong> französischen Bildungs-<br />

<strong>und</strong> Jugendpolitik erfolgreich umsetzten, <strong>in</strong>dem es ihnen gelang, mithilfe offener<br />

Angebote vor allem die nichtorganisierten Jugendlichen zu mobilisieren. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

engagierten sich zeitgleich deutlich mehr Jugendliche <strong>in</strong> den Jugendverbänden als im<br />

Jugendbildungswerk. So standen im Jahr 1949 <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> 1.111 Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Jugendverbände<br />

nur 535 Teilnehmer des Jugendbildungswerks gegenüber. 627 Die Zahlen machen<br />

zugleich deutlich, dass beide Bereiche <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> zusammengenommen nicht<br />

e<strong>in</strong>mal die Hälfte <strong>der</strong> Jugendlichen mit ihren Angeboten erreichten, wodurch e<strong>in</strong>e allzu<br />

optimistische E<strong>in</strong>schätzung über den Erfolg französischer Jugendpolitik <strong>in</strong> Deutschland zu<br />

relativieren ist.<br />

R<strong>und</strong> 70 Prozent <strong>der</strong> Teilnehmer waren nicht älter als 20 Jahre. Die Mehrheit<br />

entstammte den oberen bis mittleren Bevölkerungsschichten. Bei über <strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong> Teilnehmer<br />

handelte es sich um Schüler <strong>und</strong> Studenten. Handwerker, Arbeiter <strong>und</strong> Lehrl<strong>in</strong>ge<br />

mit e<strong>in</strong>em prozentualen Anteil von 35 Prozent waren ebenfalls gut vertreten. Lediglich<br />

zehn Prozent waren Angestellte, Arbeitslose o<strong>der</strong> im Forst- <strong>und</strong> Landwirtschaftssektor<br />

beschäftigt. Diese Zusammensetzung gründete zum e<strong>in</strong>en auf <strong>der</strong> bildungsbürgerlich<br />

orientierten Angebotsstruktur. Zum an<strong>der</strong>en war es Schülern im Vergleich zu den<br />

Auszubildenden <strong>in</strong> Industrie <strong>und</strong> Handwerk nicht nur f<strong>in</strong>anziell, son<strong>der</strong>n vor allem zeitlich<br />

eher möglich, e<strong>in</strong>er Freizeitbeschäftigung nachzugehen.<br />

4.2.3 Son<strong>der</strong>veranstaltungen – Der S<strong>in</strong>gkreis Ulli Ulner<br />

Parallel zu den Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften, die sich allmählich zu regelmäßigen Kursen<br />

entwickelten, führte das Bildungswerk <strong>in</strong> Ergänzung des Angebots e<strong>in</strong>e ganze Reihe von<br />

punktuell stattf<strong>in</strong>denden Son<strong>der</strong>- <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelveranstaltungen durch, <strong>der</strong>en Angebot stetig<br />

ausgeweitet wurde. Dazu gehörten etwa Vorträge o<strong>der</strong> Diaschauen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> bunte Abend<br />

am Fastnachtssonntag, <strong>der</strong> sich zur festen Tradition <strong>in</strong>nerhalb des <strong>Konstanz</strong>er Veranstaltungskalen<strong>der</strong>s<br />

entwickelte. Auf e<strong>in</strong>e beliebte Son<strong>der</strong>veranstaltung des Jugendbildungswerks,<br />

die offenen S<strong>in</strong>gtreffen, aus denen <strong>der</strong> spätere „S<strong>in</strong>gkreis Ulli Ulner“ hervorg<strong>in</strong>g,<br />

sei an dieser Stelle exemplarisch e<strong>in</strong>gegangen. 628 Diese Veranstaltungsform war bis weit<br />

<strong>in</strong> die 1950er-Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> unter <strong>der</strong> örtlichen Jugend stets gut besucht. 629 Den Anstoß zur<br />

Gründung dieser Formation gab e<strong>in</strong>e persönliche Bekanntschaft, die <strong>der</strong> örtliche<br />

627<br />

Vierteljahresberichte <strong>der</strong> Militärregierung, Bezirk <strong>Konstanz</strong>, vom 30.09.1948 <strong>und</strong> 31.12.1949; MAE<br />

AOFAA, C 1101/1.<br />

628<br />

StAK, S II 12106.<br />

629<br />

Nach dem Bericht Anton Auers über die S<strong>in</strong>gwochen <strong>in</strong> den Jugendbildungswerken des Landkreises<br />

<strong>Konstanz</strong>; KrAK, Bestand Landratsamt <strong>Konstanz</strong>, 352.105/I.


162 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Stadtjugendpfleger Kutscha <strong>und</strong> <strong>der</strong> aus Neiße <strong>in</strong> Oberschlesien stammende<br />

Musikpädagoge Ulner, nach dem <strong>der</strong> S<strong>in</strong>gkreis benannt wurde, bereits seit 1925 pflegten.<br />

Ulner (1904-1989) entstammte <strong>der</strong> frühen Volksbildungsbewegung <strong>der</strong> 1920er-Jahre <strong>und</strong><br />

hatte bereits <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er früheren Heimat e<strong>in</strong> Volksbildungshaus <strong>der</strong> Heimgarten-Spielschar<br />

geleitet. 630 Schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weimarer Zeit hatte diese Truppe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bodenseeregion gastiert.<br />

Zur Aufführung kamen damals zwei S<strong>in</strong>gspiele, das „Überl<strong>in</strong>ger Münsterspiel“ <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

„Totentanz“, die nach 1945 durch den „S<strong>in</strong>gkreis Ulli Ulner“ wie<strong>der</strong>um <strong>in</strong> beiden Städten<br />

dargeboten wurden. 631 Krieg <strong>und</strong> Vertreibung führten Ulner 1947 zunächst nach<br />

<strong>Konstanz</strong>, wo er neben se<strong>in</strong>er Tätigkeit als Volkschullehrer die Leitung des S<strong>in</strong>gkreises<br />

übernahm. 632 Darüber h<strong>in</strong>aus leitete er <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>, Überl<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Waldshut freiberuflich<br />

Laientheater- <strong>und</strong> Volkstanzgruppen <strong>und</strong> referierte gelegentlich über die Durchführung<br />

kultureller Veranstaltungen. 633<br />

Das erste <strong>Konstanz</strong>er S<strong>in</strong>gtreffen fand im Juli 1948 statt. 634 Die Teilnahme stand<br />

jedem Jugendlichen offen. Dabei wurden mehrstimmige Sätze erarbeitet. Notenkenntnisse<br />

waren nicht erfor<strong>der</strong>lich. 635 E<strong>in</strong> zentraler pädagogischer Gedanke <strong>der</strong> S<strong>in</strong>gtreffen war<br />

neben <strong>der</strong> Pflege des geme<strong>in</strong>samen Liedguts <strong>und</strong> <strong>der</strong> Musikerziehung <strong>der</strong> Jugend <strong>der</strong><br />

Gesichtspunkt, e<strong>in</strong>en möglichst großen Kreis Jugendlicher <strong>in</strong> ihrer Freizeit s<strong>in</strong>nvoll zu<br />

beschäftigen. Diese Absicht verfehlte nicht ihr Ziel. Schon das erste Treffen war so<br />

erfolgreich, dass bereits im Oktober desselben Jahres e<strong>in</strong> weiteres veranstaltet wurde, zu<br />

dem bis zu 160 Sänger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Sänger kamen. Bereits am ersten Abend fanden sich r<strong>und</strong><br />

50 Sänger e<strong>in</strong>. Am Ende <strong>der</strong> Woche hatte sich die Zahl <strong>der</strong> Mitwirkenden auf ca. 120<br />

Jugendliche <strong>und</strong> junge Erwachsenen mehr als verdoppelt. Man traf sich zu den Proben <strong>in</strong><br />

den Abendst<strong>und</strong>en. Den Abschluss <strong>der</strong> S<strong>in</strong>gwoche bildete das offene S<strong>in</strong>gen vor Publikum<br />

im Rathaussaal.<br />

Der „S<strong>in</strong>gkreis Ulli Ulner“ entwickelte sich im Laufe <strong>der</strong> Zeit immer mehr zu e<strong>in</strong>er<br />

„hochgeschätzten Institution im Bodenseeraum“. 636 Alle<strong>in</strong> im ersten Jahr se<strong>in</strong>es Bestehens<br />

sollen bereits 600 Jugendliche an den S<strong>in</strong>gwochen an verschiedenen Orten teilgenommen<br />

haben. Zur Beliebtheit <strong>der</strong> Treffen trug nicht nur die Art <strong>der</strong> Veranstaltung selbst bei.<br />

Vielmehr lebten die S<strong>in</strong>gtreffen auch mit <strong>und</strong> durch die als charismatisch geschil<strong>der</strong>te<br />

Person des Chorleiters. 637 Die beson<strong>der</strong>e Begabung Ulners bestand zeitgenössischen<br />

Berichten zufolge vor allem dar<strong>in</strong>, durch freiwillige Musik- <strong>und</strong> Spielerziehung weite<br />

Kreise <strong>der</strong> Jugend ungeachtet aller Unterschiede h<strong>in</strong>sichtlich des Alters sowie <strong>der</strong><br />

Herkunft <strong>und</strong> Bildung anzusprechen. Aufgr<strong>und</strong> dieser ganz speziellen Befähigung erzielte<br />

<strong>der</strong> S<strong>in</strong>gkreis bald e<strong>in</strong>e enorme Breitenwirkung. 638 Darüber h<strong>in</strong>aus umrahmten Ulner <strong>und</strong><br />

630<br />

Laut mündlicher Auskunft von Rudolf Kutscha vom 22.10.1998.<br />

631<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 24.05.1948; StAK, S II 13260.<br />

632<br />

Lebenslauf Ulli Ulners; StAK, S XII.<br />

633<br />

Schreiben Kutschas bezüglich <strong>der</strong> „<strong>Jugendarbeit</strong> von Ulli Ulner im Stadt- <strong>und</strong> Landkreis <strong>Konstanz</strong>“ an<br />

den <strong>Konstanz</strong>er Oberbürgermeister; o. D. ca. 1948; StAK, S XII.<br />

634<br />

StAK, S II 12106.<br />

635<br />

Laut mündlicher Auskunf von Rudolf Kutscha vom 22.10.1998.<br />

636 SCHMIDT-LIEBICH (Hg.), Volkshochschule, S. 21.<br />

637 So Kutscha im Gespräch vom 22.10.1998.<br />

638 StAK, S II 12106.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 163<br />

se<strong>in</strong> S<strong>in</strong>gkreis viele Jugend- <strong>und</strong> Kulturveranstaltungen im Hegau <strong>und</strong> im Bodenseegebiet,<br />

wie etwa die E<strong>in</strong>weihung des S<strong>in</strong>gener Hauses <strong>der</strong> Jugend im Oktober 1948. 639 Selbst<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> örtlichen Jugendorganisationen, die ansonsten dem Angebot des<br />

Jugendbildungswerks eher skeptisch gegenüberstanden, machten bei den S<strong>in</strong>gwochen mit.<br />

Der Kreisjugendbeauftragte wertete es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht vom Juli 1948 über die erste<br />

S<strong>in</strong>gwoche als „erfreuliche Tatsache, dass fast alle Jugendgruppen, teilweise sogar recht<br />

stark“ 640 vertreten waren.<br />

Nach den erfolgreichen Anfängen im Jahr 1948 nahmen die Jugendbildungswerke <strong>der</strong><br />

Kreise <strong>Konstanz</strong> die S<strong>in</strong>gtreffen als regelmäßige Son<strong>der</strong>veranstaltung <strong>in</strong> ihr jeweiliges<br />

Programm auf. Anfang 1949 lud das Jugendbildungswerk alle Musikbegeisterten, die bis<br />

dato an verschiedenen Orten an den offenen S<strong>in</strong>gtreffen teilgenommen hatten, zu e<strong>in</strong>er<br />

kreisübergreifenden S<strong>in</strong>gwoche <strong>in</strong> die Jugendherberge Allmannshöhe e<strong>in</strong>. Später wurden<br />

<strong>in</strong>folge beruflicher Verän<strong>der</strong>ungen des Chorleiters, <strong>der</strong> <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> den Schuldienst<br />

gewechselt hatte <strong>und</strong> am Hochrhe<strong>in</strong> lebte, Zusammenkünfte an Wochenenden üblich. 641<br />

Aus <strong>der</strong> überregionalen Arbeit Ulners, <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> 1980er-Jahre den Dirigentenstab an<br />

Kurt Gallmann weitergab, entwickelten sich <strong>in</strong> den späten 1940er-Jahren im Bodenseeraum<br />

regelmäßige Treffen <strong>in</strong> den Städten Radolfzell, S<strong>in</strong>gen, Engen, Stockach <strong>und</strong><br />

Überl<strong>in</strong>gen, die <strong>in</strong> den 1950er-Jahren <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> regionalen <strong>Jugendarbeit</strong> ihren festen<br />

Platz behielten. 642 Die Treffen fanden bis <strong>in</strong> die Gegenwart h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> abwechselnd an<br />

verschiedenen Orten am Bodensee statt <strong>und</strong> folgten im Jahresverlauf e<strong>in</strong>em festgefügten<br />

Turnus, <strong>der</strong> mit dem Passionslie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen im März <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> begann, sich mit dem<br />

Frühl<strong>in</strong>gslie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> Meersburg im Mai, dem Sommerlie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen im Juli <strong>in</strong><br />

Überl<strong>in</strong>gen sowie dem Herbstlie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen im Reichenauer Münster im Oktober fortsetzte<br />

<strong>und</strong> mit dem Advents- <strong>und</strong> Weihnachtslie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> Radolfzell beendet wurde. Die von<br />

Anfang an zwanglose Form <strong>der</strong> Zusammentreffen begünstigte den Fortbestand dieses<br />

losen Kreises begeisterter Sänger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Sänger, dessen Wurzeln <strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeit des<br />

Jugendbildungswerks <strong>Konstanz</strong> zu suchen s<strong>in</strong>d. Viele ehemalige Teilnehmer blieben noch<br />

als Erwachsene dem Kreis über Jahre treu 643 . Im Oktober 1965 fand das 100. Treffen auf<br />

<strong>der</strong> Reichenau statt.<br />

Obwohl dem Wirken des S<strong>in</strong>gkreises im Laufe <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> ursprüngliche Gedanke<br />

e<strong>in</strong>er Jugendveranstaltung verloren g<strong>in</strong>g, ist die <strong>Geschichte</strong> dieser Gruppierung e<strong>in</strong><br />

wichtiger Beleg dafür, dass neben strukturgegebenen Aspekten stets engagierte Persönlichkeiten<br />

zum Gel<strong>in</strong>gen jugendpflegerischer Maßnahmen entscheidend beitrugen.<br />

639<br />

Schreiben des Kreisjugendbeauftragten Anton Auer über die „Eröffnung <strong>und</strong> E<strong>in</strong>weihung des Hauses <strong>der</strong><br />

Jugend <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen“ an die Stadtverwaltung <strong>Konstanz</strong> vom 25.10.1048; StAK, S II 12106.<br />

640<br />

StAK, S XII.<br />

641<br />

StAK, S II 12106.<br />

642<br />

SÜDKURIER vom 12.10. <strong>und</strong> 19.10.1948 <strong>und</strong> Südwestdeutsche Volkszeitung vom 11. <strong>und</strong> 15.10.1948.<br />

643 Laut Telefonat mit Kurt Gallmann vom 02.06.1999.


164 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

4.3 Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Jugendherberge<br />

Den örtlichen Jugende<strong>in</strong>richtungen ist die 1946 wie<strong>der</strong>eröffnete Jugendherberge<br />

<strong>Konstanz</strong>, die heutige Jugendherberge „Otto-Moericke-Turm“, welche damals unter<br />

Bezugnahme auf ihre Lage unter <strong>der</strong> Bezeichnung „Jugendherberge Allmannshöhe“<br />

geführt wurde, h<strong>in</strong>zuzurechnen. Die Nachkriegsentwicklung dieser Jugende<strong>in</strong>richtung<br />

weist jedoch neben zahlreichen Parallelen zudem Unterschiede im Vergleich zur<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> übrigen örtlichen Jugend<strong>in</strong>stitutionen auf. Während das Jugendhaus <strong>und</strong><br />

das Jugendbildungswerk neuartige E<strong>in</strong>richtungen nach dem Krieg waren, reichen die<br />

Wurzeln <strong>der</strong> Jugendherberge bereits <strong>in</strong> die 1920er-Jahre zurück. Ihre Entstehungsgeschichte<br />

ist eng mit <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit verb<strong>und</strong>en. Außerdem<br />

fiel <strong>der</strong> Jugendherberge e<strong>in</strong>e stärkere regionale Bedeutung zu, <strong>während</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zugskreis<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Jugende<strong>in</strong>richtungen lokal begrenzt blieb.<br />

Mit <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Jugende<strong>in</strong>richtungen hatte die örtliche Jugendherberge<br />

jedoch vieles geme<strong>in</strong>. Erstens war im Zuge ihrer Instandsetzung nach 1945 <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> französischen Jugendpolitik unverkennbar, zweitens steht die Nachkriegsgeschichte<br />

<strong>der</strong> Jugendherberge <strong>Konstanz</strong> paradigmatisch für zahlreiche Probleme, die<br />

allgeme<strong>in</strong> für den Neubeg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone <strong>während</strong> <strong>der</strong><br />

unmittelbaren Besatzungszeit symptomatisch waren. So mussten ähnlich wie im Bereich<br />

<strong>der</strong> Schulen <strong>und</strong> beim Aufbau des Jugendbildungswerks zunächst die nötigen<br />

Voraussetzungen geschaffen werden, bevor e<strong>in</strong> geregelter Herbergsbetrieb möglich war.<br />

Vorrangig mussten die Spuren <strong>der</strong> kriegsbed<strong>in</strong>gten Fremdnutzung beseitigt, die<br />

Ausstattung komplettiert <strong>und</strong> politisch unbelastete Herbergseltern gef<strong>und</strong>en werden.<br />

Zudem befand sich die Jugendherberge ebenso wie die übrigen Jugende<strong>in</strong>richtungen vor<br />

Ort zunächst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Trägerschaft des Jugendausschusses, dann <strong>in</strong> <strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong><br />

Stadtverwaltung. Dieser Status unterschied sie von den an<strong>der</strong>en Jugendherbergen im<br />

Land, die dem badischen Jugendherbergsausschuss unterstellt waren. Mit diesem H<strong>in</strong>weis<br />

ist e<strong>in</strong> weiteres charakteristisches Merkmal <strong>der</strong> Jugendherbergsentwicklung nach 1945<br />

angesprochen, <strong>und</strong> zwar die Tatsache, dass die Wie<strong>der</strong><strong>in</strong>standsetzung <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er<br />

Jugendherberge zwar <strong>in</strong> vielerlei H<strong>in</strong>sicht parallel zum Wie<strong>der</strong>aufbau des badischen<br />

Jugendherbergswesens verlief, an<strong>der</strong>erseits g<strong>in</strong>g man vor Ort auf <strong>der</strong> Basis e<strong>in</strong>er<br />

städtischen Trägerschaft e<strong>in</strong>en Son<strong>der</strong>weg gegenüber den übrigen Jugendherbergen im<br />

Land. Betrachten wir diese Verläufe im Folgenden näher.<br />

Die erste Jugendherberge <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> wurde 1920 auf Betreiben des 1919 gegründeten<br />

Stadtausschusses für Leibesübungen <strong>und</strong> Jugendpflege, dem alle Turn- <strong>und</strong> Sportvere<strong>in</strong>e<br />

<strong>und</strong> Schulen <strong>der</strong> Stadt angehörten, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Militärbaracken <strong>in</strong> <strong>der</strong> unteren<br />

Laube e<strong>in</strong>gerichtet. 644 Die bescheidenen Anfänge genügten bald nicht mehr den Anfor<strong>der</strong>ungen,<br />

was zu e<strong>in</strong>er Verlegung nach Allmannsdorf führte.<br />

644 SÜDKURIER vom 04.05.1950.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 165<br />

Die Jugendherberge <strong>Konstanz</strong>-Allmannshöhe wurde 1927 erbaut <strong>und</strong> 1931 durch den<br />

damaligen Oberbürgermeister Otto Moericke 645 <strong>der</strong> wan<strong>der</strong>nden Jugend übergeben. Die<br />

Gründungsphase <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugendherberge fällt zeitlich mit dem Aufschwung des<br />

deutschen Jugendherbergswesens <strong>und</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Tourismusentwicklung zusammen.<br />

Schon die Zwischenkriegszeit brachte für die Seegeme<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>en Fremdenverkehrsboom.<br />

Im Zuge des wachsenden Wohlstands entdeckten immer mehr Bevölkerungsschichten das<br />

Reisen für sich. Nach <strong>der</strong> „Machtübernahme“ durch die Nationalsozialisten entwickelte<br />

sich beför<strong>der</strong>t durch die fortschreitende Mobilität <strong>der</strong> Menschen <strong>und</strong> die organisierten<br />

KdF-Reisen 646 <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Massentourismus, <strong>der</strong> <strong>in</strong> den 1930er-Jahren die gesamte<br />

Bodenseeregion erfasste. 647 Die <strong>Konstanz</strong>er Jugendherberge war <strong>in</strong> den Jahren 1933 <strong>und</strong><br />

1945 zunächst den nationalsozialistischen Zielen unterworfen <strong>und</strong> entwickelte sich <strong>in</strong><br />

diesem Rahmen zur Anlaufstelle für die wan<strong>der</strong>nde Hitler-Jugend <strong>und</strong> als<br />

Veranstaltungsort für überörtliche Jugendtreffen. Bis zum Krieg zählte man jährlich<br />

zwischen 12.000 <strong>und</strong> 18.000 Übernachtungen. 648 Im Krieg diente <strong>der</strong> Turm als<br />

Luftwaffenunterkunft, dann als Quartier für e<strong>in</strong>en Bautrupp, <strong>der</strong> das Wehrertüchtigungslager<br />

Egg anlegte. Schließlich wurde das Gebäude von <strong>der</strong> Firma Dornier angemietet,<br />

nachdem das Unternehmen e<strong>in</strong>en Teil se<strong>in</strong>er Produktion aus dem bombengefährdeten<br />

Friedrichshafen ausgelagert hatte. 649<br />

Die Wie<strong>der</strong>eröffnung dieser Jugende<strong>in</strong>richtung nach Beendigung des Zweiten<br />

Weltkriegs gestaltete sich aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Fremdnutzung im Krieg kompliziert; die<br />

Instandsetzung war mit größeren Investitionen verb<strong>und</strong>en. 650 Im ersten Nachkriegsjahr<br />

war die Herberge außerdem durch die Franzosen für „militärische Zwecke <strong>und</strong> zur<br />

Unterbr<strong>in</strong>gung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n“ 651 beschlagnahmt. Aufgr<strong>und</strong> des desolaten Zustands des<br />

Gebäudes, konnte die Wie<strong>der</strong><strong>in</strong>betriebnahme <strong>der</strong> Herberge „erst nach Ersatz <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> vollständiger Überholung“ 652 erfolgen. E<strong>in</strong> weiteres Problem bildete die<br />

Belegung <strong>der</strong> Herberge mit Flüchtl<strong>in</strong>gen. Dieses Relikt aus <strong>der</strong> Zeit des Krieges wurde<br />

erst 1951 beseitigt, als die letzten dort verbliebenen Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien, <strong>in</strong>sgesamt 20 Personen,<br />

<strong>in</strong> das Lager Egg o<strong>der</strong> <strong>in</strong> stadteigene Wohnungen umquartiert wurden.<br />

645<br />

In Würdigung <strong>der</strong> Verdienste Moerickes um die Realisierung des Neubaus wurde <strong>der</strong> Turm <strong>der</strong> neuen<br />

Jugendherberge auf Stadtratsbeschluss vom 31.07.1931 „Otto-Moericke-Turm“ benannt. Dieser<br />

Beschluss wurde nach <strong>der</strong> „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten mit Beschluss vom 1. Juni<br />

1933 rückgängig gemacht. Ende 1946 wurde <strong>der</strong> Beschluss von 1931 wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Kraft gesetzt. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

blieb die Bezeichnung auf den Turm beschränkt, <strong>während</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit für die Jugendherberge<br />

die Bezeichnung „Jugendherberge Allmannshöhe“ gebräuchlich wurde; SAF, C 16/, Nr. 39; zur<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung, die <strong>in</strong> den 1990er-Jahren auf Betreiben des DJH<br />

durchgeführt wurde; vgl. SÜDKURIER v. 10.10.2009 anlässlich des 100-jährigen Bestehens.<br />

646<br />

Nationalsozialistische Geme<strong>in</strong>schaft „Kraft durch Freude“ (KdF) (1933-1945); politische Organisation<br />

mit <strong>der</strong> Aufgabe, die Freizeit <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung zu gestalten <strong>und</strong> gleichzuschalten;<br />

Unterorganisation <strong>der</strong> Deutschen Arbeitsfront (DAF).<br />

647<br />

TRAPP, Seh-Zeichen, S. 21-22; S. 42-45.<br />

648<br />

Vgl. den Bericht über das 25-jährige Bestehen <strong>der</strong> Herberge im SÜDKURIER vom 04.08.1956.<br />

649<br />

Das Folgende nach BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 410.<br />

650<br />

StAK, S II 4184.<br />

651<br />

Das geht aus e<strong>in</strong>em Schreiben des <strong>Konstanz</strong>er Oberbürgermeisters an das Innenm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Freiburg<br />

vom 11.02.1946 hervor; SAF, C 16/1, Nr. 39.<br />

652 SAF, C 16/1, Nr. 39.


166 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Ungeachtet dieser Probleme stand die Wie<strong>der</strong><strong>in</strong>betriebnahme <strong>der</strong> Jugendherberge<br />

Ende 1946 auf <strong>der</strong> Agenda <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong> wurde bereits zur Sommersaison<br />

1947 realisiert. Die Idee, die Jugendherberge möglichst bald nach Kriegsende<br />

wie<strong>der</strong> ihrer ursprünglichen Bestimmung zuzuführen, geht weniger auf lokale als vielmehr<br />

auf überregionale Bestrebungen im Zuge des allgeme<strong>in</strong>en Wie<strong>der</strong>aufbaus des badischen<br />

Jugendherbergswesens zurück. Fe<strong>der</strong>führend war das M<strong>in</strong>isterium des Innern <strong>in</strong> Freiburg<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit <strong>der</strong> französischen Landesdelegation <strong>der</strong> Militärregierung. Wie schon<br />

gezeigt wurde, hatte vor allem <strong>der</strong> Landesjugendherbergsausschuss, welcher <strong>der</strong> Abteilung<br />

für Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung beim M<strong>in</strong>isterium des Innern angeglie<strong>der</strong>t war,<br />

bis zur Gründung des badischen Landesjugendherbergswerks im Jahr 1949 maßgeblichen<br />

E<strong>in</strong>fluss auf die <strong>Entwicklung</strong> des Jugendherbergswesens. 653 Dies belegen die nachfolgenden<br />

Beispiele. So nahm das Badische M<strong>in</strong>isterium des Innern schon zum Jahresende<br />

1946 zur Trägerschaft <strong>der</strong> Jugendherbergen im Land Stellung 654 <strong>und</strong> verfügte, dass die<br />

Betreuung <strong>der</strong> Jugendherbergen e<strong>in</strong>e Aufgabe <strong>der</strong> Jugendausschüsse wäre. 655 Dieser<br />

veröffentlichte bereits im November des gleichen Jahres e<strong>in</strong>e detaillierte Bestimmung<br />

über die Benutzung <strong>der</strong> Jugendherbergen <strong>in</strong> <strong>der</strong> französisch besetzten Zone, <strong>in</strong> denen die<br />

Nutzungsberechtigten aufgeführt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e für alle Jugendherbergen im Land gültige<br />

Herbergsordnung wie<strong>der</strong>gegeben wurde. 656 Im August 1947 wurden die Jugendherbergen<br />

schließlich <strong>in</strong> das Berichtswesen zwischen den Kreisen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Militärregierung<br />

e<strong>in</strong>bezogen. Seither musste den Berichten <strong>der</strong> Jugendorganisationen <strong>und</strong> des Jugendbildungswerks<br />

e<strong>in</strong>e standardisierte Liste <strong>der</strong> Jugendherbergsbesucher h<strong>in</strong>zugefügt<br />

werden 657 , die – wie <strong>der</strong> stellvertretende <strong>Konstanz</strong>er Gouverneurs Ayzac <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben<br />

an die übergeordnete Dienststelle <strong>in</strong> Freiburg ausführte – dem Muster des Herbergsverzeichnisses,<br />

„wie vom vorläufigen Ausschuss <strong>der</strong> badischen Jugendherbergen<br />

vorgeschrieben“ 658 entsprach. Des Weiteren erg<strong>in</strong>g im September 1947 e<strong>in</strong> Erlass des<br />

Landesjugendausschusses, wonach die Wegweiser zu den Jugendherbergen erneuert <strong>und</strong><br />

ergänzt werden müssten. 659 Im August 1948 traten im weiteren Schritt landesweite<br />

Bestimmungen über die Benützung <strong>der</strong> badischen Jugendherbergen <strong>in</strong> Kraft. 660 So wurden<br />

Ausweise des Badischen Jugendherbergswerks sowie e<strong>in</strong>e Kennkarte e<strong>in</strong>geführt, <strong>während</strong><br />

es zuvor genügt hatte, die Mitgliedsausweise <strong>der</strong> Jugendorganisationen, Sportvere<strong>in</strong>e,<br />

Jugendbildungswerke <strong>und</strong> Volkshochschulen vorzuweisen. Die neuen Ausweise konnten<br />

über die Kreisjugendbeauftragten o<strong>der</strong> die Herbergseltern bezogen werden. Künftig<br />

durften Jugendliche bis 25 Jahre, die im Besitz e<strong>in</strong>es gültigen Herbergsausweises waren,<br />

653 Vgl. hierzu Kapitel II.5.2<br />

654 R<strong>und</strong>erlass des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern vom 10.10.1946, Nr. 16385, Ziffer II,5.<br />

655 Entsprechend dieser Bestimmungen erörterte <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugendausschuss noch im Dezember des<br />

gleichen Jahres mögliche Schritte zur Wie<strong>der</strong><strong>in</strong>betriebnahme <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung, die dann jedoch aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> erwähnten Problematik zunächst nicht zur Umsetzung kamen.<br />

656 StAK, S II 12097; vgl. Anhang A 1.2.<br />

657 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 28.08.1947; StAK, S XII.<br />

658 Schreiben Ayzacs vom 18.08.1947 an die Freiburger Landesdelegation. Der Oberbürgermeister <strong>der</strong> Stadt<br />

<strong>Konstanz</strong> erhielt e<strong>in</strong>en Durchschlag, den das Stadtarchiv verwahrt; StAK, S II 13260.<br />

659 In <strong>Konstanz</strong> wurde diese Aufgabe dem städtischen Hochbauamt übertragen; Protokoll des Jugendausschusses,<br />

für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 29.09.1947; StAK, S XII.<br />

660 SÜDKURIER vom 30.06.1947.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 167<br />

<strong>in</strong> allen südbadischen Jugendherbergen <strong>und</strong> Naturfre<strong>und</strong>ehäusern übernachten. Für<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong> Südbaden zugelassenen Jugendorganisationen bestand ke<strong>in</strong>e Altersbegrenzung.<br />

Umgekehrt befugte <strong>der</strong> Mitgliedsausweis des Touristenvere<strong>in</strong>s „Die Naturfre<strong>und</strong>e“<br />

zur Übernachtung <strong>in</strong> den Jugendherbergen. Außerdem wurden die Preise für die<br />

Ausstellung e<strong>in</strong>es Herbergsausweises, für die Übernachtung <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Nutzungsmöglichkeiten<br />

bis h<strong>in</strong> zu Kochgebühren für die Zubereitung von Suppen für alle badischen<br />

Jugendherbergen landese<strong>in</strong>heitlich festgesetzt. Verstöße gegen diese Vorschriften wurden<br />

mit Schließung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung bzw. Strafmaßnahmen gegen Herbergseltern o<strong>der</strong><br />

Benutzer geahndet.<br />

Fragt man danach, wie sich diese <strong>Entwicklung</strong>en auf den Betrieb <strong>der</strong> Jugendherberge<br />

<strong>Konstanz</strong> auswirkten, ist Folgendes festzustellen. Als touristische E<strong>in</strong>richtung hatte die<br />

örtliche Jugendherberge <strong>in</strong> den ersten beiden Nachkriegsjahren zunächst nur e<strong>in</strong>e<br />

marg<strong>in</strong>ale Bedeutung. Die Gründe für diese <strong>Entwicklung</strong> s<strong>in</strong>d wenig verw<strong>und</strong>erlich. Denn<br />

zum e<strong>in</strong>en erholte sich <strong>der</strong> Tourismus am See erst nach <strong>der</strong> Währungsreform von 1948. 661<br />

Zum an<strong>der</strong>en wirkten sich die von <strong>der</strong> Militärregierung verhängten Reisebeschränkungen<br />

nachteilig aus. E<strong>in</strong>en wichtigen Impuls brachte Ende 1947 die Lockerung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>schränkenden<br />

Bestimmungen über die Benützung <strong>der</strong> Jugendherbergen <strong>in</strong> Baden <strong>und</strong><br />

Württemberg sowie die Aufhebung <strong>der</strong> Beschränkungen für badische Jugendorganisationen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Durchführung von Reisen nach Württemberg <strong>und</strong> umgekehrt. 662<br />

Seither konnte die wan<strong>der</strong>nde Jugend aus beiden Län<strong>der</strong>teilen wie<strong>der</strong> Jugendherbergen <strong>in</strong><br />

Baden bzw. Württemberg besuchen. 663 Noch wenige Monate zuvor, im Juli des genannten<br />

Jahres, hatte die Nichte<strong>in</strong>haltung dieser Bestimmung zu Konflikten zwischen e<strong>in</strong>em<br />

Vertreter des Stadtrats <strong>und</strong> Jugendoffizier Marot geführt, als es um die vorübergehende<br />

Unterbr<strong>in</strong>gung von Studenten <strong>der</strong> Universität Frankfurt <strong>in</strong> <strong>der</strong> örtlichen Jugendherberge<br />

g<strong>in</strong>g. Dabei zeigte sich „Oberleutnant Marot“, wie es hieß, „sehr ungehalten <strong>und</strong> machte<br />

Herrn Stadtrat Ba<strong>der</strong> Vorwürfe, ob er denn nicht wisse, dass e<strong>in</strong>e Verfügung vom<br />

M[<strong>in</strong>isterium] d[es] I[<strong>in</strong>nern] erlassen worden sei, nach welcher nur badische Stadtangehörige<br />

die Jugendherberge benützen dürfen“. 664<br />

Dass sich für die <strong>Konstanz</strong>er Herberge Nachteile aus dieser Beschränkung ergaben,<br />

belegt e<strong>in</strong> Schreiben des <strong>Konstanz</strong>er Oberbürgermeisters an die Abteilung Jugendbildung<br />

<strong>und</strong> Jugendpflege beim Innenm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Freiburg vom Sommer 1947. Es besagt, dass<br />

unter den 614 Besuchern <strong>der</strong> Jugendherberge <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> laufenden Saison 414<br />

Jugendliche <strong>und</strong> damit r<strong>und</strong> 67 Prozent <strong>der</strong> Besucher aus Württemberg stammten. Wenn<br />

diese Regelung, so führte Oberbürgermeister Knapp weiter aus, „dass nur Badener<br />

aufgenommen werden dürfen“ 665 , <strong>in</strong> <strong>der</strong> geplanten Form <strong>in</strong> Kraft träte, bedeute dies für<br />

<strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>en rapiden Rückgang des Jugendherbergsbetriebs, weil man dadurch vom<br />

661<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 323.<br />

662<br />

StAK, S XII; vgl. Anhang A 2.3.<br />

663<br />

Dem Jugendausschuss wurde dieser Sachverhalt im Dezember 1947 bekannt gegeben. Degliame setzte<br />

den Landrat als Vorsitzenden des Ausschusses am 04.10.1947 davon <strong>in</strong> Kenntnis; Protokoll des Jugendausschusses<br />

für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 15.12.1947; StAK, S XII sowie S II 12097.<br />

664<br />

StAK, S II 12097.<br />

665<br />

Oberbürgermeister Knapp an das Badische M<strong>in</strong>isterium des Innern vom 12.07.1947; SAF C 16/1, Nr. 39.


168 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

württembergischen H<strong>in</strong>terland abgeschnitten werde. Glücklicherweise wurde e<strong>in</strong> Großteil<br />

<strong>der</strong> Reisebeschränkungen noch im gleichen Jahr (1947) aufgehoben. Konkret entfiel die<br />

Passiersche<strong>in</strong>pflicht für Fußgänger <strong>und</strong> Radfahrer <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Kreisgrenzen, die<br />

Regelungen zur Benutzung <strong>der</strong> Jugendherbergen auf die Län<strong>der</strong> Südbaden <strong>und</strong><br />

Württemberg-Hohenzollern wurden ausgeweitet <strong>und</strong> <strong>der</strong> Reiseverkehr zwischen den<br />

französisch besetzten Landesteilen erleichtert. 666<br />

Im Gefolge <strong>der</strong> genannten Lockerungen <strong>und</strong> vor allem des wirtschaftlichen Aufschwungs<br />

stiegen die Übernachtungszahlen zum Ende des Jahrzehnts merklich an, so dass<br />

die Jugendherberge <strong>Konstanz</strong> im Jahr 1948 bereits an die 5.000 Übernachtungen verzeichnen<br />

konnte. 667 E<strong>in</strong> weiterer Anstieg erfolgte <strong>in</strong> den nächsten beiden Jahren <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>er<br />

äußerst <strong>in</strong>tensiven <strong>und</strong> breit gefächerten Nutzung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung; schon im Jahr 1949<br />

verbuchte die E<strong>in</strong>richtung die stolze Bilanz von nahezu 28.000 Übernachtungen.<br />

E<strong>in</strong>en zentralen Wendepunkt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegsentwicklung <strong>der</strong> Jugendherberge<br />

<strong>Konstanz</strong> bildete das Jahr 1948. Die Jugendherberge profitierte seither nicht nur vom<br />

allmählichen Anstieg des Tourismus, son<strong>der</strong>n zudem von e<strong>in</strong>er Kongress- <strong>und</strong> Tagungswelle<br />

668 , die <strong>Konstanz</strong> zu diesem Zeitpunkt verzeichnete. So trafen sich hier mehrfach<br />

überregionale Zusammenkünfte unterschiedlicher Berufsgruppen, darunter <strong>der</strong> Börsenvere<strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Buchhändler. Zudem wurde die Jugendherberge nun als Veranstaltungsort für<br />

die Durchführung <strong>der</strong> überregionalen S<strong>in</strong>gwochen genutzt. Gleichzeitig erfuhr sie e<strong>in</strong>en<br />

weiteren Bedeutungszuwachs als Tagungsort für Jugend- <strong>und</strong> Studententreffen, für die<br />

zuvor das Lager Egg gedient hatte. Die Initiative g<strong>in</strong>g für diese Tagungen mehrheitlich<br />

vom Badischen M<strong>in</strong>isterium des Innern aus. Vor Ort traf dieses Engagement <strong>in</strong>dessen<br />

nicht ausschließlich auf Verständnis. So befürchtete <strong>der</strong> Herbergsvater „Störungen im<br />

eigentlichen Herbergsbetrieb“ <strong>und</strong> erwirkte vom Innenm<strong>in</strong>isterium den Beschluss, „dass<br />

wenigstens e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Herberge für ihren ursprünglichen Zweck beibehalten“ werden<br />

konnte. 669 Diese <strong>Entwicklung</strong> hatte für die E<strong>in</strong>richtung <strong>in</strong>dessen den positiven Effekt, dass<br />

nun längst notwendige Instandsetzungsarbeiten durchgeführt wurden <strong>und</strong> die Ausstattung<br />

etwas verbessert wurde. 670<br />

Zwar erfolgte die Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Jugendherberge <strong>Konstanz</strong> nach 1945 ke<strong>in</strong>eswegs<br />

losgelöst vom allgeme<strong>in</strong>en Wie<strong>der</strong>aufbau des badischen Jugendherbergswesens,<br />

allerd<strong>in</strong>gs war die E<strong>in</strong>richtung zu diesem Zeitpunkt we<strong>der</strong> dem Freiburger Jugend-<br />

666<br />

Schreiben <strong>der</strong> Militärregierung an den Landrat Nr. 4457/307 vom 04.10.1947 betreffend die Regelung<br />

<strong>der</strong> Benutzung <strong>der</strong> württembergischen Jugendherbergen durch badische Jugendliche <strong>und</strong> umgekehrt; vgl.<br />

dazu auch die Erlasse Nr. 2654 <strong>und</strong> 2655 des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern, Abteilung<br />

Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung; die genannten Beschlüsse wurden den beiden Jugendausschüssen<br />

<strong>Konstanz</strong>-Land <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>-Stadt im Herbst 1947 bekannt gegeben; vgl. die Protokolle des<br />

Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 20.10.1947 sowie für den Landkreis <strong>Konstanz</strong> vom<br />

10.12.1947; StAK, S XII.<br />

667<br />

StAK, S XII, Statistiken.<br />

668<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 324.<br />

669<br />

Dies geht aus e<strong>in</strong>em Schreiben von Rechtsrat Kirchgässner an den Oberbürgermeister vom 31.05.1948<br />

hervor; StAK, S II 12097.<br />

670<br />

Beispielsweise wurden vor Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>ternationalen Studententreffens im September 1948 wichtige<br />

Reparaturen durchgeführt; vgl. das Protokoll des Jugendausschusses für den Landkreis <strong>Konstanz</strong> vom<br />

19.09. 1947; StAK, S XII.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 169<br />

herbergsausschuss noch dem späteren Landesjugendherbergswerk angeglie<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n<br />

sie befand sich, wie schon e<strong>in</strong>gangs angedeutet wurde, <strong>in</strong> städtischer Trägerschaft. Dieser<br />

Son<strong>der</strong>status führte immer wie<strong>der</strong> zu Konflikten zwischen <strong>der</strong> Stadtverwaltung <strong>und</strong> dem<br />

Landesjugendherbergsausschuss h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Kompetenzverteilung. Diese Strukturen<br />

waren e<strong>in</strong> Relikt <strong>der</strong> frühen 1940er-Jahre. Zwar hatte es bereits um das Jahr 1940<br />

Bestrebungen gegeben, die <strong>Konstanz</strong>er Jugendherberge – zu diesem Zeitpunkt die e<strong>in</strong>zige<br />

badische Jugendherberge, die sich noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Trägerschaft e<strong>in</strong>er Kommunalverwaltung<br />

befand – <strong>in</strong> den Reichsverband für deutsche Jugendherbergen e. V. zu <strong>in</strong>tegrieren, <strong>in</strong>folge<br />

<strong>der</strong> Schließung im Krieg wurde die Angelegenheit jedoch nicht weiterverfolgt.<br />

Nach Kriegsende wurde die Herberge wie bisher <strong>in</strong> kommunaler Verantwortung<br />

weitergeführt. 671 Die Stadtverwaltung trat allen Versuchen des Landesjugendherbergsausschusses,<br />

die Trägerschaft zu übernehmen, entschlossen entgegen. Oberbürgermeister<br />

Knapp stellte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben, das im Sommer 1947 an den Landesjugendherbergsausschuss<br />

erg<strong>in</strong>g, unmissverständlich klar,<br />

„[…] dass die örtliche Jugendherberge zwar den gleichen Bestimmungen h<strong>in</strong>sichtlich<br />

<strong>der</strong> Benützung <strong>und</strong> des Betriebs unterliegt, dass die Besitz- <strong>und</strong> Eigentumsverhältnisse<br />

an<strong>der</strong>e als bei den sonstigen Jugendherbergen s<strong>in</strong>d. Wie ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em<br />

Schreiben vom 4.4.1947 bereits mitgeteilt habe, ist die <strong>Konstanz</strong>er Jugendherberge<br />

Eigentum des Stadtkreises <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> wurde auch früher nicht durch den<br />

badischen Jugendherbergsverband, son<strong>der</strong>n durch die Stadt <strong>Konstanz</strong> selbst verwaltet,<br />

wobei ganz erhebliche Kosten für Betrieb <strong>und</strong> Unterhaltung aufgewandt worden s<strong>in</strong>d.<br />

Im Gegensatz zu den an<strong>der</strong>en badischen Jugendherbergen unterliegt die hiesige<br />

Jugendherberge deshalb auch nicht <strong>der</strong> Beschlagnahme [...] <strong>und</strong> steht nicht unter <strong>der</strong><br />

Verwaltung des badischen Landesamtes für kontrollierte Vermögen. Ferner wird <strong>der</strong><br />

Betrieb <strong>der</strong> Jugendherberge <strong>in</strong> vollem Umfange durch die Stadt selbst durchgeführt.<br />

Diese trägt die Lasten für die bauliche Instandhaltung <strong>und</strong> betriebliche Unterhaltung,<br />

ferner ist <strong>der</strong> Herbergsvater Josef Seifritz <strong>in</strong> städtischen Diensten. Dementsprechend<br />

gehen aber auch die laufenden E<strong>in</strong>nahmen <strong>und</strong> Ausgaben aus dem Herbergsbetrieb<br />

selbst auf Rechnung <strong>der</strong> Stadt. Da es sich somit <strong>in</strong> gleicher Weise wie <strong>in</strong> früheren<br />

Zeiten bei <strong>der</strong> hiesigen Jugendherberge um e<strong>in</strong>en städtischen Betrieb handelt, kann<br />

von dem Abschluss e<strong>in</strong>es Mietvertrags abgesehen werden. Ebenso ist auch <strong>der</strong><br />

Abschluss e<strong>in</strong>er Feuerversicherung durch den Landesjugendherbergen-Verband nicht<br />

notwendig, da die Stadtverwaltung <strong>Konstanz</strong> dies von sich aus veranlasst hat.“ 672<br />

Der Son<strong>der</strong>weg, den die <strong>Konstanz</strong>er Jugendherberge <strong>in</strong> Bezug auf die Trägerschaft<br />

<strong>in</strong>nehatte, brachte <strong>der</strong> Stadtverwaltung zwar e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>e große Autonomie, wenn es um<br />

Entscheidungen g<strong>in</strong>g, an<strong>der</strong>erseits trug sie nahezu die gesamten f<strong>in</strong>anziellen Lasten <strong>der</strong><br />

Inbetriebnahme <strong>und</strong> Instandhaltung. Dass dieser Gesichtspunkt nicht nur Vorteile für die<br />

E<strong>in</strong>richtung hatte, lässt sich am folgenden Beispiel nachzeichnen. So kam die Jugendherberge<br />

<strong>Konstanz</strong> im Gegensatz zu den vom Herbergsverband betreuten E<strong>in</strong>richtungen<br />

nicht <strong>in</strong> den Genuss allgeme<strong>in</strong>er Zuwendungen <strong>und</strong> Sammlungen, die ab 1946 für das<br />

badische Jugendherbergswesen mehrfach durchgeführt wurden. Das hatte zur Folge, dass<br />

sie sehr karg ausgestattet war, was bald nicht mehr den üblichen Standards <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

671 StAK, S II 17806.<br />

672 Schreiben des städtischen Rechtsrats Kirchgässner (Vorentwurf) bzw. des Oberbürgermeisters an das<br />

Badische M<strong>in</strong>isterium des Innern, Freiburg vom 12.07.194; StAK, S II 12097 <strong>und</strong> SAF, C 16/1, Nr. 39.


170 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Herbergen <strong>in</strong> Baden entsprach. Im März 1949 machte Stadtjugendpfleger Kutscha anlässlich<br />

<strong>der</strong> Haushaltsberatungen die Stadtverwaltung auf diesen Misstand aufmerksam. 673<br />

Se<strong>in</strong>en Ausführungen zufolge war die <strong>Konstanz</strong>er Jugendherberge „mit ihren 400 Übernachtungsmöglichkeiten<br />

[…] zwar die größte Jugendherberge im französischen Besatzungsgebiet<br />

von Baden. Gleichzeitig hatte sie aber als e<strong>in</strong>zige badische Jugendherberge<br />

[...] nicht e<strong>in</strong>e Schlafdecke aufzuweisen.“ 674 Kutscha machte überdies deutlich, dass alle<br />

„übrigen Jugendherbergen des französischen Besatzungsgebiets“, die durch den badischen<br />

Jugendherbergsausschuss verwaltet wurden, besser ausgestattet waren. Am Ende se<strong>in</strong>er<br />

Ausführungen beantragte <strong>der</strong> Kreisjugendbeauftragte die Anschaffung von 100<br />

Schlafdecken <strong>und</strong> schlug vor, für <strong>der</strong>en F<strong>in</strong>anzierung den Erlös <strong>der</strong> Straßensammlung, die<br />

das M<strong>in</strong>isterium des Innern im Herbst 1948 zugunsten <strong>der</strong> badischen Jugendherbergen <strong>und</strong><br />

Jugendbildungse<strong>in</strong>richtungen durchführen ließ, zu verwenden. 675<br />

Wie erwähnt, wurden die Kosten für die E<strong>in</strong>richtungen im Land unter an<strong>der</strong>em aus<br />

dem Schulpfennig <strong>und</strong> dem Ergebnis <strong>der</strong> Sammlungen für die Jugendherbergen getragen.<br />

Zwar hatten sich die örtlichen Jugendgruppen <strong>und</strong> das Jugendbildungswerk <strong>Konstanz</strong> an<br />

dieser Aktion beteiligt <strong>und</strong> mehr als 2.000 DM gesammelt, aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> fehlenden<br />

Zugehörigkeit zum badischen Jugendherbergsverband konnte die Stadtverwaltung als<br />

Träger<strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendherberge jedoch ke<strong>in</strong>en Anspruch auf dieses Geld erheben. 676 Freiburg<br />

jedenfalls hielt sich bei <strong>der</strong> Vergabe von För<strong>der</strong>gel<strong>der</strong>n unter H<strong>in</strong>weis auf die Trägerschaft<br />

durch die Stadtverwaltung merklich zurück. 677<br />

Die Beispiele zeigen, wie sehr sich die Wie<strong>der</strong><strong>in</strong>betriebnahme <strong>der</strong> Jugendherberge<br />

Allmannshöhe im Spannungsfeld zwischen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> die überörtlichen Gegebenheiten<br />

<strong>und</strong> den Autonomiebestrebungen <strong>der</strong> Stadtverwaltung vollzog. Dieser Aspekt<br />

machte sich auch im Fall <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>besetzung <strong>der</strong> Stelle des Herbergsvaters bemerkbar.<br />

In dieser Frage reklamierte die Stadtverwaltung unter H<strong>in</strong>weis darauf, dass die Herberge<br />

„e<strong>in</strong>wandfrei Eigentum <strong>der</strong> Stadt sei“, 678 weitreichende Entscheidungsbefugnisse für sich.<br />

Gleichzeitig wi<strong>der</strong>sprach man <strong>der</strong> Auffassung des <strong>Konstanz</strong>er Jugendoffiziers Marot, <strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Stadt lediglich e<strong>in</strong>e Interimslösung zubilligte, <strong>während</strong> die endgültige Besetzung des<br />

Postens durch „die zuständige Stelle des M<strong>in</strong>isteriums des Innern zu erfolgen“ hätte.<br />

Die Neuausschreibung wurde deshalb nötig, da politisch belastetes Personal <strong>in</strong> allen<br />

westdeutschen Herbergen gr<strong>und</strong>sätzlich für untragbar angesehen wurde. Daher mussten<br />

neben Lehrern <strong>und</strong> Jugendleitern auch alle Herbergseltern im Land e<strong>in</strong> Entnazifizierungs-<br />

673<br />

Dieses <strong>und</strong> die folgenden Zitate entstammen e<strong>in</strong>em Schreiben Kutschas an den Oberbürgermeister;<br />

StAK, XII, Abt. Jugendpflege 003, Schriftverkehr Jugendbildungswerk <strong>und</strong> Stadt.<br />

674<br />

Kutscha an Oberbürgermeister Knapp; StAK, S XII, hier „Schriftverkehr Jugendbildungswerk <strong>und</strong><br />

Stadt“; siehe auch die folgenden Zitate.<br />

675<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 27.05.1947; StAK, S XII.<br />

676<br />

Von dieser Regelung wurden die Landräte <strong>und</strong> Oberbürgermeister <strong>der</strong> kreisfreien Städte Mitte März<br />

1947 <strong>in</strong> Kenntnis gesetzt, Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern vom 18.03.1947 an die<br />

Herren Landräte <strong>und</strong> Oberbürgermeister <strong>der</strong> Städte Baden-Baden, Freiburg <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>, Nr. 6181,<br />

Abschrift im StAK, S II 12097.<br />

677<br />

Aktenvermerk des Landesjugendherbergsausschuss vom 08.07-1947; SAF, C 16/1, Nr. 39.<br />

678<br />

Dieses <strong>und</strong> das folgende Zitat entstammen dem Schreiben vom Rechtsrat Kirchgässner an den<br />

Oberbürgermeister vom 18.12.1946; StAK, S II 12097.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 171<br />

verfahren durchlaufen. Da <strong>der</strong> bisherige Stellen<strong>in</strong>haber, <strong>der</strong> die E<strong>in</strong>richtung seit Ende<br />

1928 geleitet hatte, Mitglied <strong>der</strong> NSDAP gewesen war, wurde er nach Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs „aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Parteizugehörigkeit“ für „untragbar“ erachtet, um diese<br />

Position weiterzuführen. Obwohl er e<strong>in</strong>wendete, dass er sich bis 1937 dem Zugriff <strong>der</strong><br />

Partei zu entziehen versucht hätte 679 , musste er se<strong>in</strong>en Posten räumen <strong>und</strong> die Wohnung <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Jugendherberge, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Herbergseltern lebten, verlassen. 680 Dies entsprach dem<br />

Vorgehen <strong>in</strong> vielen an<strong>der</strong>en Regionen. So wurden etwa <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen ebenfalls politisch<br />

vorbelastete Herbergseltern von ihrem Dienst suspendiert <strong>und</strong> <strong>der</strong> Posten neu besetzt. 681<br />

Das M<strong>in</strong>isterium des Innern drängte frühzeitig darauf, die Stelle des Herbergsvaters <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> neu zu besetzen. Dort empfand man die Vorgehensweise <strong>der</strong> Stadt <strong>in</strong> dieser<br />

Frage offenbar bisweilen als schleppend <strong>und</strong> benannte Anfang 1947 zunächst selbst e<strong>in</strong>ige<br />

Bewerber. 682 Die Kandidaten entsprachen <strong>in</strong>dessen nicht den Vorstellungen <strong>der</strong> Stadtverwaltung,<br />

wobei sich die Kritik hauptsächlich auf die mangelnde Ortsk<strong>und</strong>igkeit <strong>der</strong><br />

Bewerber bezog. Dazu stellte Rechtsrat Kirchgässner fest, dass „<strong>der</strong> Herbergsvater die<br />

Jugend nicht nur materiell, son<strong>der</strong>n auch h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> ideellen Güter <strong>und</strong> Möglichkeiten,<br />

die <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> Umgebung biete, betreuen müsse“. 683 Im nächsten Schritt führte<br />

die Stadtverwaltung e<strong>in</strong> eigenes Bewerbungsverfahren durch. Allerd<strong>in</strong>gs bestand das<br />

Innenm<strong>in</strong>isterium darauf, E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Bewerbungsunterlagen zu nehmen. 684 Anfang<br />

März 1947 fiel im <strong>Konstanz</strong>er Stadtrat die Entscheidung für den neuen Herbergsvater. Das<br />

Badische M<strong>in</strong>isterium des Innern bestätigte r<strong>und</strong> zwei Wochen später die Ernennung unter<br />

<strong>der</strong> Voraussetzung, dass „<strong>der</strong> Genannte 1. den erzieherischen Voraussetzungen e<strong>in</strong>es<br />

Herbergsvaters entspricht <strong>und</strong> 2. ke<strong>in</strong>e polizeilichen Vorstrafen hat, jedoch vorbehaltlich<br />

des Entscheides <strong>der</strong> politischen Re<strong>in</strong>igungskommission“. 685 Die E<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong><br />

Bestimmungen dürfte im Fall des neuen Herbergsvaters Joseph Seifritz, e<strong>in</strong>em erklärten<br />

Gegner des Nationalsozialismus, re<strong>in</strong>e Formsache gewesen se<strong>in</strong>. 686<br />

679<br />

Dieses <strong>und</strong> die folgenden beiden Zitate enstammen dem Protokoll des Jugendausschusses für den<br />

Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 13.12.1946; StAK, S XII sowie Schreiben des früheren Jugendherbergsvaters,<br />

Jerg, an den Jugendreferenten beim Badischen M<strong>in</strong>isterium des Innern, Dr. Epp, vom 18.12.1946; SAF,<br />

C 16/1, Nr. 90.<br />

680<br />

Jugendoffizier Marot erk<strong>und</strong>igte sich Anfang Mai 1947 im Jugendausschuss, ob <strong>der</strong> Auszug des<br />

Herbergsvaters erfolgt wäre, was vonseiten des Jugendbeauftragten bejaht wurde; vgl. Protokoll des<br />

Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 03.05.1947.<br />

681<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Landkreis <strong>Konstanz</strong> vom 10.12.1947; StAK, S XII.<br />

682<br />

Ernannt wurde zunächst Karl-He<strong>in</strong>z Dull<strong>in</strong> aus Lahr; Schreiben Deshayes an das Badische M<strong>in</strong>isterium<br />

des Innern, Abt. Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung vom 14.02.1947; SAF, C 16/1, Nr. 39.<br />

683<br />

Die Stelle wurde im SÜDKURIER vom 11.01.1947 ausgeschrieben.<br />

684<br />

Sigrist begab sich um den 20.12.1946 diesbezüglich nach Freiburg zur Unterredung im Badischen<br />

M<strong>in</strong>isterium des Innern; StAK, S II 12097.<br />

685<br />

Badisches M<strong>in</strong>isterium des Innern, Landeswohlfahrts- <strong>und</strong> Jugendamt, Abt. Jugendbildung <strong>und</strong><br />

Jugendbewegung an Oberbürgermeister Knapp, 11.04.1947; SAF, C 16/1, Nr. 90.<br />

686<br />

Seifritz war vor <strong>der</strong> „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten KPD-Stadtrat <strong>und</strong> Mitglied <strong>der</strong><br />

Demokratischen Partei. Er fügte se<strong>in</strong>em Bewerbungsschreiben u. a. e<strong>in</strong>e Bestätigung <strong>der</strong> DP, Ortsgruppe<br />

<strong>Konstanz</strong>, bei. SAF, C 16/1, Nr. 90.


172 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

4.4 Das „Jugendlager Egg“ – E<strong>in</strong> Jugendprojekt von kurzer Dauer<br />

Die <strong>Geschichte</strong> des Lagers Egg <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit wurde bisher <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lokalgeschichtsforschung<br />

vorwiegend unter dem Aspekt se<strong>in</strong>er späteren Eigenschaft als<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gslager betrachtet. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass dieses Lager <strong>in</strong> den<br />

Jahren 1946/47 zunächst als Landverschickungsheim für Jugendliche unter <strong>der</strong><br />

Bezeichnung „Landheim <strong>der</strong> deutschen Jugend“ geführt wurde. Dieser Teilaspekt <strong>der</strong><br />

Nutzung dieses Geländes ist für die Fragestellung dieser Arbeit gleich aus mehreren<br />

Gründen <strong>in</strong>teressant.<br />

Das Vorhaben, das Lager für Jugendgruppen zu nutzen, war zum e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>es <strong>der</strong><br />

ersten Jugendprojekte, die vor Ort nach Kriegsende durchgeführt wurden, was darauf<br />

schließen lässt, dass die Gr<strong>und</strong>idee, dieses Lager zu errichten, auf überregionale<br />

Erwägungen aus Freiburg zurückzuführen ist. Während die bisher aufgeführten Jugende<strong>in</strong>richtungen<br />

dauerhaften Bestand hatten, blieb <strong>der</strong> Versuch, auf dem Gelände des<br />

ehemaligen Wehrertüchtigungslagers Egg e<strong>in</strong> Jugendlager zu etablieren, zum an<strong>der</strong>en e<strong>in</strong>e<br />

Episode <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong>. 687 Die <strong>Geschichte</strong> dieser Jugende<strong>in</strong>richtung<br />

macht außerdem deutlich, dass <strong>der</strong> Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> nach 1945 ke<strong>in</strong>eswegs immer<br />

gradl<strong>in</strong>ig verlief. Sie ist e<strong>in</strong> Beleg dafür, dass es im französischen Zonengebiet<br />

offensichtlich e<strong>in</strong>ige Projekte gab, die aus unterschiedlichen Gründen wie<strong>der</strong> aufgegeben<br />

wurden. Der Fall er<strong>in</strong>nert <strong>in</strong> gewisser Weise an den Werdegang des Umerziehungslagers<br />

„Höllhof“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ortenau. Denn obwohl das Jugendlager Egg an sich e<strong>in</strong>em guten<br />

Gedanken Rechnung trug, <strong>in</strong>dem hier Räumlichkeiten für die ersten überregionalen<br />

Jugendtreffen nach dem Krieg zur Verfügung gestellt wurden, trugen zahlreiche Faktoren<br />

zum Missl<strong>in</strong>gen des Projektes bei. Dazu zählten vor allem wechselnde Zuständigkeiten<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Geldmangel.<br />

In <strong>der</strong> ersten Zeit se<strong>in</strong>es Bestehens unterstand das Jugendlager Egg dem Landesjugendausschuss<br />

mit Sitz <strong>in</strong> Freiburg. Die Landesbehörden verfolgten das Projekt mit<br />

Interesse <strong>und</strong> entsendeten gelegentlich Vertreter an den Bodensee. So besuchte <strong>der</strong> spätere<br />

Leiter des Innenm<strong>in</strong>isteriums, Alfred Schühly, <strong>der</strong> zu diesem Zeitpunkt noch M<strong>in</strong>isterialrat<br />

war, im Sommer 1946 zusammen mit e<strong>in</strong>er Delegation aus dem Freiburger Innenm<strong>in</strong>isterium<br />

das Lager, wobei er lobende Worte für die E<strong>in</strong>richtung fand. Parallel zu den<br />

Jugendlichen waren übrigens auf dem Gelände <strong>während</strong> des Jahres 1946 für mehrere<br />

Monate zusätzlich 70 Angehörige jüdischen Glaubens untergebracht.<br />

Zum 1. September 1946 g<strong>in</strong>g die Trägerschaft vom Landesjugendausschuss auf die<br />

Stadtverwaltung über. Das Lager wurde seither durch das städtische Jugendamt verwaltet<br />

<strong>und</strong> somit organisatorisch als Institution <strong>der</strong> Jugendfürsorge geführt. Zudem befasste sich<br />

<strong>der</strong> örtliche Jugendausschuss mehrfach mit dem Thema. Unter an<strong>der</strong>em sprach sich das<br />

Gremium frühzeitig dafür aus, e<strong>in</strong>en hauptamtlichen Mitarbeiter zur Betreuung <strong>der</strong><br />

Jugendgruppen e<strong>in</strong>zusetzen. 688 Jugendausschuss <strong>und</strong> Stadtverwaltung verfügten jedoch<br />

687<br />

Hierzu ausführlich BURCHARDT, <strong>Konstanz</strong> im Zweiten Weltkrieg, <strong>in</strong>: BURCHARDT U. A., <strong>Konstanz</strong> im 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert, S. 348-424, hier v. a. 411.<br />

688<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 19.09.1946; StAK, S XII.


IV.4 KOMMUNALE EINRICHTUNGEN DER JUGENDPFLEGE 173<br />

nicht über die alle<strong>in</strong>ige Entscheidungsbefugnis h<strong>in</strong>sichtlich des Lagers Egg, son<strong>der</strong>n<br />

mussten <strong>in</strong> vielen Angelegenheiten Rücksprache mit dem Landesjugendamt <strong>in</strong> Freiburg<br />

halten, so etwa, als es um die Erhebung e<strong>in</strong>er Benutzungsgebühr g<strong>in</strong>g.<br />

In se<strong>in</strong>er Eigenschaft als K<strong>in</strong><strong>der</strong>landheim war das Jugendlager Egg e<strong>in</strong>e überregionale<br />

Jugend<strong>in</strong>stitution <strong>und</strong> konnte von allen Jugendgruppen aus <strong>der</strong> französischen Zone genutzt<br />

werden. Die ersten Jugendlichen, die hier Unterkunft fanden, kamen wohl zur E<strong>in</strong>weihung<br />

des <strong>Konstanz</strong>er „Heims <strong>der</strong> Deutschen Jugend“ an Pf<strong>in</strong>gsten 1946. In den Quellen ist von<br />

r<strong>und</strong> 400 Jugendlichen, die für e<strong>in</strong>e Nacht im Lager Egg logierten, die Rede. Im August<br />

desselben Jahres weilten dort 127 K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> 15 Begleitpersonen aus S<strong>in</strong>gen, Kehl,<br />

Waldshut <strong>und</strong> Lahr für vier Wochen zur Erholung. Obwohl es <strong>der</strong> Theorie nach <strong>der</strong><br />

gesamten Jugend zur Verfügung stehen sollte, wurde das Lager offenbar beson<strong>der</strong>s rege<br />

durch den Landesverband <strong>der</strong> Freien Jugend Baden genutzt. Jugendoffizier Marot<br />

rechtfertigte diese Nutzungsart unter H<strong>in</strong>weis darauf, dass die christlichen Organisationen<br />

e<strong>in</strong> eher ger<strong>in</strong>ges Interesse zeigten, hier ihre Gruppentreffen abzuhalten. 689 Bereits<br />

anlässlich <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Kunstwoche hatte sich e<strong>in</strong>e Ortsgruppe <strong>der</strong> Freien Jugend des<br />

Stadtkreises Baden-Baden im Lager Egg aufgehalten, wobei sich die dort untergebrachten<br />

Jugendlichen sehr angetan von <strong>der</strong> dortigen Aufnahme gezeigt hatten, wie sie nach ihrer<br />

Rückkehr nach Baden-Baden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben an die Lagerleitung bek<strong>und</strong>eten. Dar<strong>in</strong><br />

bedankten sie sich beson<strong>der</strong>s<br />

„für die fre<strong>und</strong>liche Aufnahme <strong>und</strong> Bewirtung <strong>in</strong> Ihrem Lager. […]. Sie haben mit<br />

Ihrer fre<strong>und</strong>lichen Fürsorge nicht zum wenigsten dazu beigetragen, dass die<br />

<strong>Konstanz</strong>er Tagung uns allen e<strong>in</strong> großes <strong>und</strong> schönes Erlebnis wurde.“ 690<br />

Im Herbst 1946 führte <strong>der</strong> Badische Landesverband <strong>der</strong> FDJ erstmals e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>landverschickung<br />

im größeren Stil an den Bodensee durch. An dieser Freizeit, die vom 16. bis<br />

29. Oktober 1946 durchgeführt wurde, nahmen Ortsgruppen aus Vill<strong>in</strong>gen, Rastatt, Bühl<br />

<strong>und</strong> Baden-Baden mit fast 170 K<strong>in</strong><strong>der</strong>n teil. Im Gegensatz zum Aufenthalt anlässlich <strong>der</strong><br />

Kunstwoche geriet diese Jugendfreizeit <strong>in</strong>dessen zum Debakel, wie e<strong>in</strong> mehrseitiger<br />

Beschwerdebrief, den <strong>der</strong> Vorsitzende <strong>der</strong> Vill<strong>in</strong>ger Ortsgruppe nach se<strong>in</strong>er Rückkehr an<br />

den Landesverband verfasste, ausführlich dokumentiert. Demzufolge müssen im Lager<br />

Egg chaotische Zustände geherrscht haben, die auf organisatorische Mängel <strong>und</strong> die<br />

schlechte Ausstattung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung zurückgeführt wurden. So hätten sich, wie <strong>der</strong><br />

Jugendleiter ausführte, bei <strong>der</strong> Ankunft <strong>der</strong> Gruppen r<strong>und</strong> weitere 120 K<strong>in</strong><strong>der</strong> ohne<br />

nennenswerte Verpflegung im Lager bef<strong>und</strong>en.<br />

Infolge <strong>der</strong> Überbelegung wurden Brennholz <strong>und</strong> Nahrung knapp, sodass auf die<br />

mitgebrachte Verpflegung <strong>der</strong> Ortsgruppe Vill<strong>in</strong>gen zurückgegriffen werden musste. Des<br />

Weiteren wurden die schlechte Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>und</strong> die offenbar unhaltbaren hygienischen<br />

Zustände moniert. Wie es hieß, wären die Unterkünfte dürftig ausgestattet <strong>und</strong> schlecht<br />

geheizt gewesen. Es hätte außerdem an <strong>der</strong> Beleuchtung, an geeigneten Waschgelegen-<br />

689 StAK, S II 13260.<br />

690 So die Freie Deutsche Jugend, Stadtkreis Baden-Baden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben vom 14.06.1946 an die<br />

Lagerleitung des Jugendlagers <strong>Konstanz</strong>-Egg/Bodensee; StAK, 13260.


174 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

heiten <strong>und</strong> Wäschetrockenräumen gefehlt. Viele Jugendliche hätten sich trotz <strong>der</strong><br />

herbstlichen Temperaturen <strong>und</strong> entgegen den Verboten <strong>der</strong> Lagerleitung im See waschen<br />

müssen. Beson<strong>der</strong>s heftig fiel die Kritik an den Mitarbeitern <strong>der</strong> Landes- <strong>und</strong> Lagerleitung<br />

aus, denen nationalsozialistisches <strong>und</strong> militaristisches Auftreten gegenüber dem Begleitpersonal<br />

<strong>und</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n vorgeworfen wurde. Diese Aussagen trugen schließlich mit<br />

dazu bei, dass <strong>der</strong> stellvertretende Lagerleiter durch die Krim<strong>in</strong>alpolizei <strong>Konstanz</strong><br />

verhaftet wurde. Im Zuge <strong>der</strong> Ermittlungen hatte sich herausgestellt, dass dieser aufgr<strong>und</strong><br />

unterschiedlicher Vergehen steckbrieflich gesucht wurde.<br />

Aus heutiger Sicht völlig unverständlich ersche<strong>in</strong>t die Tatsache, dass diese Jugendfreizeit<br />

trotz <strong>der</strong> unhaltbaren Zustände nicht abgebrochen wurde. Vielmehr wurde die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>landverschickung auf Drängen <strong>der</strong> Landesleitung bis zum Ende <strong>der</strong> vorgesehenen<br />

Zeit fortgeführt. Die Haltung des Begleitpersonals <strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugendleiter war offensichtlich<br />

durch ausgeprägtes Pflichtgefühl <strong>und</strong> Gehorsam gegenüber <strong>der</strong> Landesleitung sowie<br />

möglicherweise von Ängsten vor e<strong>in</strong>em etwaigen Gesichtsverlust angesichts des<br />

Scheiterns geprägt, sodass die Betreuer allen Problemen zum Trotz mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n bis<br />

zum Ende <strong>der</strong> vorgesehenen Zeit im Lager Egg ausharrten. Erstaunlicherweise handelten<br />

die Jugendbegleiter gegen die ausdrücklichen Weisungen des Vill<strong>in</strong>ger Landrats<br />

Bienzeisler, <strong>der</strong> sofort die vorzeitige Abreise <strong>der</strong> Ortsgruppe anordnete, als er von den<br />

unhaltbaren Zuständen erfuhr.<br />

Die Probleme im Zuge <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>landverschickung <strong>der</strong> Freien Jugend Baden trugen<br />

offenbar dazu bei, dass bereits Ende 1946 die Trägerschaft des Jugendlagers erneut zur<br />

Disposition stand, obwohl das Jugendamt diese erst seit September <strong>in</strong>nehatte. Anfang<br />

1947 wurde die Leitung des Lagers dem städtischen Jugendausschuss übertragen, <strong>während</strong><br />

die übrigen Jugende<strong>in</strong>richtungen zum damaligen Zeitpunkt <strong>in</strong> die Trägerschaft <strong>der</strong><br />

Stadtverwaltung überführt wurden. Im Fall des Jugendlagers sche<strong>in</strong>en jedoch we<strong>der</strong> freie<br />

noch öffentliche Träger bereit gewesen zu se<strong>in</strong>, die E<strong>in</strong>richtung weiterzuführen. Als<br />

Jugendoffizier Marot die örtlichen Jugendorganisationen fragte, ob sie e<strong>in</strong> Interesse an <strong>der</strong><br />

Übernahme des Lagers Egg hätten 691 , w<strong>in</strong>kten diese mit dem H<strong>in</strong>weis auf die schlechten<br />

hygienischen Verhältnisse <strong>und</strong> die aus damaliger Sicht relativ abgelegene Lage <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>richtung, die e<strong>in</strong>e Beaufsichtigung <strong>und</strong> Führung erschwerte, ab.<br />

Nach <strong>der</strong> Übernahme durch den Jugendausschuss wurde nur noch e<strong>in</strong> Teilbereich des<br />

Lagers sporadisch zur Unterbr<strong>in</strong>gung auswärtiger jugendlicher Besuchergruppen genutzt.<br />

1947 wurden hier beispielsweise Jugendliche, die an den ersten regionalen Jugendtreffen<br />

teilnahmen, untergebracht. Im August 1947 fanden die Teilnehmer e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>ternationalen<br />

Treffens, das <strong>der</strong> „Kulturkreis Junges Europa“ am Bodensee durchführte, im Lager Egg<br />

e<strong>in</strong>e Unterkunft. 692 Im Kontext <strong>der</strong> Durchführung <strong>in</strong>ternationaler Jugendtreffen fiel dem<br />

Lager Egg allerd<strong>in</strong>gs lediglich e<strong>in</strong>e marg<strong>in</strong>ale Bedeutung zu. Zeitlich blieb die Unterbr<strong>in</strong>gung<br />

von Teilnehmern <strong>der</strong> Jugendtreffen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> des Lagers e<strong>in</strong>e kurze<br />

Episode, die auf die ersten Anfänge dieser Treffen beschränkt blieb. Stattdessen wurde ab<br />

ca. 1948 verstärkt die Jugendherberge als Unterkunft für auswärtige Besuchergruppen,<br />

691 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 13.01.1947; StAK, S XII.<br />

692 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 26.08.1947; StAK, S XII.


IV.5 NICHT KOMMUNALE JUGENDEINRICHTUNGEN UND SONSTIGE JUGENDANGEBOTE 175<br />

darunter die Teilnehmer <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Jugendtreffen, genutzt. Ende 1947 gab <strong>der</strong><br />

Jugendausschuss den Standort Egg als Jugendlager auf.<br />

Im Gefolge überregionaler Ereignisse wurde das Areal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folgezeit e<strong>in</strong>er neuen<br />

Nutzung als Auffangstätte für Flüchtl<strong>in</strong>ge zugeführt. Der erste Transport, dem <strong>in</strong> den<br />

kommenden Monaten weitere folgten, traf schon im August 1947 e<strong>in</strong>. 693 Dabei handelte es<br />

sich um Kriegsflüchtl<strong>in</strong>ge, die vorwiegend aus Ostpreußen kamen <strong>und</strong> zuvor <strong>in</strong> dänischen<br />

Lagern untergebracht waren. In <strong>der</strong> Folgezeit entwickelte sich das Lager Egg zum größten<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gslager <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. Zeitweise waren hier bis zu 400 Menschen <strong>in</strong> mehr als zehn<br />

Baracken untergebracht. Obwohl das Areal <strong>in</strong> diesem Zusammenhang baulich erweitert<br />

wurde <strong>und</strong> zahlreiche Umbauten <strong>und</strong> Instandsetzungsarbeiten erfolgten, blieben die<br />

Probleme, die bereits zur Zeit des Jugendlagers existiert hatten, weiterh<strong>in</strong> aktuell. Nicht<br />

nur die Jugendlichen, die zwischen 1946 <strong>und</strong> 1947 im Zuge von K<strong>in</strong><strong>der</strong>landverschickungen<br />

o<strong>der</strong> Jugendtreffen im Lager Egg untergebracht waren, auch die später dort<br />

lebenden Flüchtl<strong>in</strong>ge litten unter den schlechten hygienischen Bed<strong>in</strong>gungen, <strong>der</strong> dürftigen<br />

Ausstattung <strong>und</strong> <strong>der</strong> nach wie vor schlechten Beheizung <strong>der</strong> Räume.<br />

5 Nicht kommunale Jugende<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> sonstige<br />

Jugendangebote<br />

5.1 Volkshochschule <strong>Konstanz</strong> e. V.<br />

Schon ab <strong>der</strong> Jahrh<strong>und</strong>ertwende hatte es <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> mehrfach Bestrebungen gegeben, auf<br />

privater Basis e<strong>in</strong> Volkbildungsangebot zu schaffen. 694 Die Bemühungen waren allerd<strong>in</strong>gs<br />

erfolglos geblieben. In <strong>der</strong> nationalsozialistischen Phase wurden e<strong>in</strong>ige Volksbildungskurse,<br />

die re<strong>in</strong>e NS-Veranstaltungen waren, vor Ort angeboten. Nach dem Ende des<br />

Zweiten Weltkriegs machten sich die französischen Bemühungen um e<strong>in</strong>e Demokratisierung<br />

<strong>und</strong> Umerziehung <strong>der</strong> deutschen Jugend auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> außerschulischen Bildungspolitik<br />

im Bereich <strong>der</strong> Volkshochschulen bemerkbar. Wie bereits dargelegt wurde,<br />

bildeten die Volkshochschulen aus französischer Sicht e<strong>in</strong>e wichtige Ergänzung zur staatsbürgerlichen<br />

Erziehung deutscher Jugendlicher, zumal die Mehrheit von ihnen lediglich<br />

e<strong>in</strong>e kurze Schulzeit im Rahmen <strong>der</strong> Volksschule absolviert hatte.<br />

Haupt<strong>in</strong>itiator, Kurator <strong>und</strong> erster Leiter <strong>der</strong> neuen Volkshochschulgründung vor Ort<br />

nach 1945 war <strong>der</strong> Oberstudienrat <strong>und</strong> spätere Rektor <strong>der</strong> Mädchenoberrealschule<br />

Hermann Venedey. Dieser genoss bei <strong>der</strong> Militärregierung e<strong>in</strong> hohes Ansehen, vor allem,<br />

wie es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em französischen Bericht von 1951 heißt, aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er „demokratische[n]<br />

Ges<strong>in</strong>nung“, 695 <strong>während</strong> später das baden-württembergische Kultusm<strong>in</strong>isterium <strong>der</strong> Unan-<br />

693 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 171-173.<br />

694 Die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Volkshochschule <strong>Konstanz</strong> ist ausführlich beschrieben worden, sodass auf e<strong>in</strong>e<br />

detailreiche Darstellung im Rahmen dieser Arbeit verzichtet werden kann. Es sei an dieser Stelle auf die<br />

ausführliche Darstellung von Schmidt-Liebich (Hg.), Volkshochschule, S. 9-56, h<strong>in</strong>gewiesen; vgl. auch<br />

DREHER, Anfänge <strong>der</strong> VHS <strong>Konstanz</strong>, <strong>in</strong>: KONSTANZER ALMANACH 30 (1984), S. 64-67.<br />

695 Jahresbericht 1947 <strong>der</strong> Abteilung Sports et Jeunesse, Kreis <strong>Konstanz</strong>; MAE AOFAA, C 1101/1.


176 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

gepasstheit des streitbaren Demokraten, <strong>der</strong> politisch zunächst <strong>der</strong> Deutschen Volkspartei<br />

(DVP), dann <strong>der</strong> Deutschen Friedensunion (DFU) nahestand <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> zahlreichen<br />

Kultur- <strong>und</strong> Friedens<strong>in</strong>itiativen, darunter die „Friedensfre<strong>und</strong>e vom Bodensee“, engagierte,<br />

äußerst kritisch gegenüberstand. 696 Nach mehreren Vorgesprächen zwischen<br />

Venedey, <strong>der</strong> lokalen Militärregierung <strong>und</strong> Oberbürgermeister Knapp billigte <strong>der</strong> Stadtrat<br />

Ende August 1946 die Gründung <strong>der</strong> Volkshochschule <strong>Konstanz</strong>. Als Bürgermeister<br />

Knapp diesen Beschluss im Jugendausschuss bekanntgab, betonte er, dass ke<strong>in</strong>erlei<br />

Konkurrenz zum Jugendbildungswerk zu befürchten wäre. Vielmehr ließen sich „<strong>in</strong> die<br />

Kurse <strong>der</strong> Volkshochschule die vorgesehenen Vorträge über die Jugendbildung [...] gut<br />

e<strong>in</strong>reihen“. 697 Die neue E<strong>in</strong>richtung wurde am 10. November 1946 im Rahmen e<strong>in</strong>er<br />

Feierst<strong>und</strong>e im <strong>Konstanz</strong>er Stadttheater eröffnet. Zu diesem Anlass wurde, ähnlich wie es<br />

bei <strong>der</strong> Eröffnung des Jugendbildungswerks <strong>der</strong> Fall war, e<strong>in</strong>erseits das Programm<br />

vorgestellt, an<strong>der</strong>erseits den Anwesenden <strong>der</strong> S<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Zweck dieser E<strong>in</strong>richtung<br />

erläutert. Im November 1946 nahm die Volkshochschule <strong>Konstanz</strong> erstmals ihren Betrieb<br />

auf. Für das erste W<strong>in</strong>tersemester 1946/47 waren Kurse aus den Bereichen Philosophie,<br />

Literatur, <strong>Geschichte</strong>, Staats- <strong>und</strong> Gesellschaftslehre, Recht, Mediz<strong>in</strong>, Technik, Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> Soziales vorgesehen. Wie viele Kurse zustande kamen, ist nicht bekannt.<br />

Die Nachkriegsentwicklung dieser Bildungse<strong>in</strong>richtung ist vor allem aus dreierlei<br />

Gründen <strong>in</strong>teressant: Erstens basierte, wie schon erwähnt wurde, die E<strong>in</strong>richtung von<br />

Volkshochschulen nach dem Zweiten Weltkrieg <strong>in</strong> Südbaden auf ähnlichen politischen<br />

Motiven <strong>und</strong> denselben m<strong>in</strong>isteriellen Bestimmungen wie die badischen Jugendbildungswerke.<br />

Zweitens richteten die Volkshochschulen nach 1945 ihr Angebot vorwiegend auf<br />

Jugendliche <strong>und</strong> junge Erwachsene aus. Drittens gab es zwischen dem Jugendbildungswerk<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Volkshochschule viele Berührungspunkte, was die Nutzung von Räumen,<br />

Austausch von Kursleitern etc. anbelangte. Beispielsweise führte Hermann Venedey Ende<br />

<strong>der</strong> 1940er-Jahre neben se<strong>in</strong>er Funktion als Leiter <strong>der</strong> Volkshochschule zeitweise den<br />

Literaturkreis des Jugendbildungswerks. 698<br />

Die Anfangsschwierigkeiten bei<strong>der</strong> Bildungse<strong>in</strong>richtungen ähnelten sich ebenfalls.<br />

Wie das Jugendbildungswerk kämpfte auch die Volkshochschule mit den bekannten<br />

Problemen, vor allem <strong>der</strong> ungünstigen Raumsituation, dem Mangel an Heizmaterial,<br />

Möbeln, Schreibmasch<strong>in</strong>en etc. Immerh<strong>in</strong> standen 1948 bereits 24 Lehrkräfte zur Verfügung.<br />

Zusammen mit dem Jugendbildungswerk nutzte man Räume <strong>in</strong> Schulen <strong>und</strong> im<br />

Jugendhaus. Das Sekretariat <strong>der</strong> Volkshochschule <strong>Konstanz</strong> war ebenso wie das Sekretariat<br />

des Jugendbildungswerks <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit im Jugendhaus untergebracht.<br />

Zudem wurde die Volksbildungse<strong>in</strong>richtung wie die an<strong>der</strong>en Jugende<strong>in</strong>richtungen vor Ort<br />

von den französischen Behörden kontrolliert. In den Anfangsjahren <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung<br />

unmittelbar nach Kriegsende musste das Programm <strong>der</strong> Volkshochschule durch den<br />

Bezirksdelegierten Degliame genehmigt werden. Zusätzlich wurden französische Lektoren<br />

696 Manfred BOSCH, Hermann Venedey, <strong>in</strong>: Michael BOSCH; NIESS, Wi<strong>der</strong>stand, S. 236-245, hier S. 245.<br />

697 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 02.09.1946; StAK, S XII.<br />

698 Jugendbildungswerk, Volkshochschule, Jugendverbände <strong>Konstanz</strong>, Arbeitsplan W<strong>in</strong>ter 1952/53, S. 34;<br />

Privatarchiv Rudolf Kutscha.


IV.5 NICHT KOMMUNALE JUGENDEINRICHTUNGEN UND SONSTIGE JUGENDANGEBOTE 177<br />

e<strong>in</strong>gesetzt, die e<strong>in</strong>erseits den Französischunterricht übernahmen, an<strong>der</strong>erseits aber offensichtlich<br />

Kontrollfunktionen <strong>in</strong>nehatten. Dass die Volkshochschule analog zum Jugendbildungswerk<br />

bei ihrer Programmgestaltung <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie junge Menschen im Blick hatte,<br />

belegen Zahlen zur altersmäßigen Zusammensetzung <strong>der</strong> Hörerschaft. E<strong>in</strong>er Erhebung<br />

vom Juni 1949 zufolge war fast die Hälfte <strong>der</strong> 164 Kursteilnehmer unter 25 Jahre alt. 699<br />

Die Volkshochschule unterschied sich vom Jugendbildungswerk jedoch vor allem<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Organisationsform <strong>und</strong> ihrer <strong>Geschichte</strong>. Zum e<strong>in</strong>en waren Volksbildungse<strong>in</strong>richtungen<br />

im Gegensatz zu den Jugendbildungswerken nach 1945 streng<br />

genommen ke<strong>in</strong>e neuen E<strong>in</strong>richtungen. Allerd<strong>in</strong>gs stellte die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

gegründete Volkshochschule <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> organisatorischer H<strong>in</strong>sicht <strong>und</strong> <strong>in</strong>haltlicher Ausrichtung<br />

zweifellos e<strong>in</strong>e neuartige E<strong>in</strong>richtung gegenüber früheren Strukturen <strong>der</strong> Erwachsenenbildung<br />

dar. 700 Zum an<strong>der</strong>en stand die Volkshochschule dem Rechtsstatus nach<br />

zunächst unter <strong>der</strong> Leitung e<strong>in</strong>es Kuratoriums, bevor sie ab Dezember 1946 als e<strong>in</strong>getragener<br />

Vere<strong>in</strong> weitergeführt wurde, <strong>während</strong> das Jugendbildungswerk e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> kommunale<br />

E<strong>in</strong>richtung war. Die Stadtverwaltung stellte allerd<strong>in</strong>gs För<strong>der</strong>mittel aus dem städtischen<br />

Haushalt bereit <strong>und</strong> überließ <strong>der</strong> Volkshochschule unentgeltlich städtische Räume.<br />

Im ersten Semester 1946/47 sollen <strong>der</strong> örtlichen Presse zufolge über 1.000 Hörer die<br />

VHS-Kurse besucht haben. Doch schon Ende <strong>der</strong> 1940er-Jahre verzeichnete die<br />

E<strong>in</strong>richtung rückläufige Hörerzahlen <strong>und</strong> führte um 1952, wie SCHMIDT-LIEBICH ausführt,<br />

nur noch e<strong>in</strong> „Schattendase<strong>in</strong>“. 701 Der Teilnehmerrückgang vollzog sich im Gefolge<br />

struktureller <strong>und</strong> gesellschaftlicher Verän<strong>der</strong>ungen zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1950er-Jahre. Wie im<br />

Fall vieler Kulture<strong>in</strong>richtungen im Land trug die Währungsreform des Jahres 1948 zum<br />

Hörerschw<strong>und</strong> bei. Der Rückgang <strong>der</strong> Teilnehmerzahlen betraf hauptsächlich die<br />

klassischen Betätigungsfel<strong>der</strong>, das Vortragswesen <strong>und</strong> die Sprachenschule. Als h<strong>in</strong><strong>der</strong>lich<br />

erwies sich außerdem die Tatsache, dass das berufliche Weiterbildungsangebot <strong>der</strong><br />

Volkshochschule zum damaligen Zeitpunkt ger<strong>in</strong>g war. An<strong>der</strong>s als heute konnte diese<br />

Bildungse<strong>in</strong>richtung noch ke<strong>in</strong>e Zeugnisse, die im Rahmen <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung<br />

von Schulen <strong>und</strong> Ausbildungsbetrieben anerkannt worden wären, ausstellen. 702<br />

Die rückläufigen Hörerzahlen führten zusammen mit weiteren Faktoren dazu, dass die<br />

Volkshochschule <strong>in</strong> den 1950er-Jahren e<strong>in</strong>e engere Zusammenarbeit mit dem Jugendbildungswerk<br />

anstrebte, die mit <strong>der</strong> Zusammenlegung <strong>der</strong> beiden E<strong>in</strong>richtungen im Jahr<br />

1955 vollendet wurde. Geme<strong>in</strong>sam mit diesem <strong>und</strong> den Jugendverbänden präsentierte sich<br />

die Volkshochschule erstmals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Arbeitsprogramm für das W<strong>in</strong>tersemester<br />

1952/53. Das Angebot umfasste vier Kurse <strong>und</strong> fünf E<strong>in</strong>zelveranstaltungen aus<br />

den Bereichen Musik, Literatur, Kunst <strong>und</strong> Naturwissenschaften. Im Jahr 1955 fusionierten<br />

Stadtjugendbildungswerk <strong>und</strong> Volkshochschule. Die neu entstandene E<strong>in</strong>richtung<br />

wurde zunächst als Volks- <strong>und</strong> Jugendbildungswerk, dann Volksbildungswerk, später<br />

699<br />

Vierteljahresbericht <strong>der</strong> Abt. Jugendpflege für das 4. Quartal vom 31.12.1948 <strong>und</strong> für das 2. Quartal vom<br />

30.06.1949; StAK, S XII, Statistiken.<br />

700<br />

Ausführlich dargestellt bei SCHMIDT-LIEBICH (Hg.), Volkshochschule, S. 17-21.<br />

701<br />

SCHMIDT-LIEBICH (Hg.), Volkshochschule, S. 21.<br />

702<br />

Jugendbildungswerk, Volkshochschule, Arbeitsplan W<strong>in</strong>ter 1952/53, S. 34 f.; Privatarchiv Rudolf<br />

Kutscha.


178 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Volkshochschule dem Rechtsstatus nach als e<strong>in</strong>getragener Vere<strong>in</strong> unter Leitung e<strong>in</strong>es<br />

Kuratoriums weitergeführt. Nach erneuter Umstrukturierung 1971 g<strong>in</strong>g die Volkshochschule<br />

<strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Volkshochschule <strong>Konstanz</strong>-S<strong>in</strong>gen e. V. auf. 703<br />

5.2 Die ersten <strong>in</strong>ternationalen Jugendtreffen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

Die ersten <strong>in</strong>ternationalen Jugendtreffen fanden im Rahmen <strong>der</strong> französischen<br />

Bestrebungen zum <strong>in</strong>ternationalen Jugendaustausch <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> ab 1947 statt. So gab<br />

Jugendoffizier Marot im Herbst 1947 zunächst grünes Licht für den Aufenthalt von<br />

40 Studenten <strong>der</strong> Ma<strong>in</strong>zer Gutenberg-Universität <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. 704 Vom 24. bis 31. August<br />

1947 führte <strong>der</strong> Kulturkreis Junges Europa auf Initiative von Hans Hagen aus Heidelberg<br />

e<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationales Treffen durch, wobei die Teilnehmer im Lager Egg untergebracht<br />

wurden. Über ihre Herkunft <strong>und</strong> Zusammensetzung ist nichts Näheres bekannt. Die<br />

überlokale Veranstaltung musste von <strong>der</strong> Militärregierung <strong>und</strong> dem M<strong>in</strong>isterium des<br />

Innern <strong>in</strong> Freiburg genehmigt werden, <strong>während</strong> die Durchführung dem Jugendausschuss<br />

oblag. 705 Solche Frühformen <strong>in</strong>ternationaler Begegnungen zielten darauf ab, deutsche<br />

Jugendliche zunächst mit jungen Franzosen, später auch mit Jugendlichen aus an<strong>der</strong>en<br />

Län<strong>der</strong>n <strong>in</strong> Kontakt zu br<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> sich nach außen h<strong>in</strong> nach zwölfjähriger Isolation<br />

<strong>in</strong>folge des Nationalsozialismus wie<strong>der</strong> zu öffnen. Die Umsetzung dieser Zielsetzung, die<br />

nicht zuletzt wie die gesamte <strong>Jugendarbeit</strong> im Interesse französischen Sicherheitsstrebens<br />

lag, vollzog sich jedoch nach dem Muster, das <strong>der</strong> französischen Jugendpolitik <strong>in</strong>sgesamt<br />

zugr<strong>und</strong>e lag, im kontrollierten <strong>und</strong> vorgegebenen Rahmen. So folgten die Jugendtreffen<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit nach e<strong>in</strong>heitlichem Muster im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

Themenstellungen, die Veranstaltungsorte <strong>und</strong> die Zusammensetzung <strong>der</strong> Teilnehmer, wie<br />

sich anhand <strong>der</strong> nachfolgenden Beispiele anschaulich nachzeichnen lässt.<br />

Vom 2. August bis 5. September 1948 war <strong>Konstanz</strong> Teilstation e<strong>in</strong>es ersten überregionalen<br />

Jugendtreffens, das im größeren Stil stattfand <strong>und</strong> von <strong>der</strong> französischen Militärregierung<br />

zusammen mit deutschen Partnern organisiert wurde. Die Planung oblag auf<br />

deutscher Seite dem badischen Staatssekretariat sowie <strong>der</strong> Stadt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Universität<br />

Freiburg. Vor Ort waren die Abteilung Jugendpflege, die Schulen <strong>und</strong> die Volkshochschule<br />

<strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> die Durchführung dieses Treffens <strong>in</strong>volviert. Zum Veranstaltungsort<br />

hatte man die Petershauser Volksschule, die zu diesem Zeitpunkt noch von <strong>der</strong> Militärregierung<br />

beschlagnahmt war, bestimmt. Am E<strong>in</strong>gang des Schulhauses brachte man e<strong>in</strong><br />

weith<strong>in</strong> sichtbares Schild mit dem Wortlaut „Recontre <strong>in</strong>ternational de jeunesse, Centre<br />

Constance –Internationales Jugendtreffen, Zentrum <strong>Konstanz</strong>“ 706 an, um auf die<br />

Veranstaltung aufmerksam zu machen. An dem Treffen beteiligten sich jeweils 120 junge<br />

703 Vgl. Kap. VII. 2 3.6.<br />

704 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 29.09.1947; StAK, S XII.<br />

705 Das geht aus den Protokollen des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 12.06.1947 <strong>und</strong><br />

26.08.1947 hervor; StAK, S XII.<br />

706 SÜDKURIER vom 07.09.1948.


IV.5 NICHT KOMMUNALE JUGENDEINRICHTUNGEN UND SONSTIGE JUGENDANGEBOTE 179<br />

Franzosen <strong>und</strong> Deutsche sowie 60 Jugendliche an<strong>der</strong>er Nationalitäten im Alter zwischen<br />

20 <strong>und</strong> 26 Jahren. 707 Zu den Teilnehmern zählten mehrheitlich Student<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

Studenten, die aus ganz Europa, Afrika <strong>und</strong> Südostasien stammten. Die Militärregierung<br />

unterstützte die Durchführung <strong>der</strong> Jugendtreffen <strong>in</strong> organisatorischer, f<strong>in</strong>anzieller <strong>und</strong><br />

personeller H<strong>in</strong>sicht <strong>und</strong> scheute oftmals ke<strong>in</strong>e Mühen, wenn es um die Bereitstellung von<br />

Sachmitteln <strong>und</strong> <strong>der</strong> Logistik g<strong>in</strong>g. So stellte man eigens e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>masch<strong>in</strong>e zur<br />

Verfügung, um e<strong>in</strong>e Studentengruppe aus Berl<strong>in</strong> nach <strong>Konstanz</strong> zu fliegen. Die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften tagten an bestimmten Orten <strong>und</strong> beschäftigten sich mit<br />

vorgefassten Themen. Weitere Stationen waren neben <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> Umgebung Titisee<br />

<strong>und</strong> Freiburg. In Freiburg wurden vier Gruppen gebildet, die sich mit wirtschaftlichen <strong>und</strong><br />

sozialen Fragen, Philosophie <strong>und</strong> Politik, <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> R<strong>und</strong>funk befassten. In Titisee<br />

tagte die Gruppe „Jugendbewegungen“. In <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> Umgebung stand das Thema<br />

„Künstlerische <strong>und</strong> dramatische Studien“ auf dem Programm. Die Lehrgänge wurden von<br />

französischen <strong>und</strong> deutschen Lehrern geleitet.<br />

Ob das große Interesse an <strong>der</strong> Theaterarbeit, die am Standort <strong>Konstanz</strong> angeboten<br />

wurde, o<strong>der</strong> die bevorzugte landschaftliche Lage am See den Ausschlag dafür gaben, dass<br />

diese Gruppe beson<strong>der</strong>s stark frequentiert wurde, ist ihm Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> nicht mehr<br />

festzustellen. Jedenfalls belegten 60 Austauschstudenten das <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> angebotene<br />

Programm, <strong>während</strong> sich die Gruppenstärke an den übrigen Veranstaltungsorten zwischen<br />

25 <strong>und</strong> 35 Personen bewegte. 708 E<strong>in</strong>em zeitgenössischen Pressebericht zufolge führte die<br />

Literatur die Jugend zusammen. Wie es dort heißt, hätten die jungen Menschen<br />

„Geme<strong>in</strong>sames <strong>und</strong> Völkerverb<strong>in</strong>dendes“ <strong>in</strong> „[...] Goethe, Hoffmannsthal, Anouilh, Sartre<br />

<strong>und</strong> Zuckmayer“ gef<strong>und</strong>en. 709 Interessanterweise wurden diese Autoren von den<br />

Jugendlichen abhängig von ihrer jeweiligen Nationalität auf unterschiedliche Weise<br />

rezipiert. So beurteilten die französischen Studenten die Werke Jean Paul Sartres<br />

wesentlich kritischer als deutsche Jugendliche, <strong>während</strong> sie Carl Zuckmayrs „Des Teufels<br />

General“ vergleichsweise positiv bewerteten. Neben den Programmpunkten war genügend<br />

Zeit für geme<strong>in</strong>same Freizeitaktivitäten <strong>und</strong> Gespräche, die <strong>der</strong> Völkerverständigung<br />

dienen sollten, obwohl viele Unterhaltungen aufgr<strong>und</strong> mangeln<strong>der</strong> Sprachkenntnisse, wie<br />

es hieß, <strong>in</strong> „deutsch-französisch-englischem Kau<strong>der</strong>welsch“ geführt wurden. Re<strong>in</strong><br />

äußerliche Ungleichheiten spielten nach anfänglichem Erstaunen ke<strong>in</strong>e nennenswerte<br />

Rolle bei <strong>der</strong> Verständigung, auch wenn sich e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> deutschen Zuschauer, wie die<br />

Presse berichtete, zunächst erst an e<strong>in</strong>en „schwarzlockigen Faust aus Marseille“ o<strong>der</strong> an<br />

das „brünette Gretchen“ gewöhnen mussten.<br />

Wie PLUM 710 nachweist, fiel den bestehenden französischen Jugendbewegungen im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Jugendtreffen e<strong>in</strong>e wichtige Bedeutung zu. Vor allem Jean Moreau war <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Zeit als Leiter <strong>der</strong> Abteilung Sports et Jeunesse bemüht, deutsche <strong>und</strong> französische<br />

Jugendorganisationen im Rahmen <strong>in</strong>ternationaler Begegnungen zusammenzuführen. Diese<br />

707 SÜDKURIER vom 07.05.1948.<br />

708 SÜDKURIER vom 06.08.1948.<br />

709 SÜDKURIER vom 07.09.1948, siehe auch die folgenden Zitate.<br />

710 PLUM, S. 252 f.


180 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

<strong>Entwicklung</strong> war jedoch, was <strong>Konstanz</strong> betrifft, e<strong>in</strong>er späteren Zeit vorbehalten. Die<br />

ersten Treffen vor Ort waren zunächst re<strong>in</strong>e Studententreffen, bevor ab Ende <strong>der</strong><br />

1940er-Jahre zunächst Begegnungen von Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Jugendorganisationen auf<br />

<strong>in</strong>ternationaler Ebene <strong>und</strong> <strong>in</strong> den 1950er-Jahren schließlich zudem Schüleraustauschprogramme<br />

<strong>in</strong>itiiert wurden.<br />

5.3 Theater, Musik <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>kunst<br />

Der Neu- bzw. Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> im französisch besetzten deutschen<br />

Südwesten zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949 vollzog sich, wie an früherer Stelle <strong>der</strong> Arbeit schon<br />

ausführlich dargestellt wurde, vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> des allgeme<strong>in</strong>en demokratischen<br />

Neubeg<strong>in</strong>ns, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone eng mit <strong>der</strong> Kulturmission verknüpft war. 711<br />

Kulturpolitik hatte im französischen Zonengebiet neben <strong>der</strong> Sicherheits- <strong>und</strong> Wirtschaftspolitik<br />

e<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung im Zuge <strong>der</strong> Umerziehungspolitik. Neben dem Aspekt <strong>der</strong><br />

rééducation zielte die Kulturpolitik <strong>der</strong> Franzosen überdies darauf, „französische Kultur<br />

mit Hilfe von Kunstausstellungen, Filmen <strong>und</strong> Theaterstücken <strong>in</strong> ihrer Besatzungszone<br />

bekannt zu machen“ 712 . In vielen Städten <strong>der</strong> französischen Zone setzte auch <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>beg<strong>in</strong>n des Kulturbetriebs frühzeitig e<strong>in</strong>. Vor allem <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren<br />

bis zur Währungsreform erlebten Kunst <strong>und</strong> Kultur e<strong>in</strong>e neue Blütezeit. In<br />

<strong>Konstanz</strong> wurden <strong>in</strong> dieser Phase die Stadtbibliothek <strong>und</strong> das Theater wie<strong>der</strong> eröffnet<br />

sowie das Bodenseesymphonieorchester gegründet. Zudem wurde e<strong>in</strong>e ganze Reihe<br />

musikalischer Aufführungen, Literaturabende, Vorträge <strong>und</strong> Kunstausstellungen organisiert.<br />

Des Weiteren wurde das Vere<strong>in</strong>swesen sowie die Erwachsenenbildung reorganisiert,<br />

die <strong>der</strong> Bevölkerung nach dem Krieg Zerstreuung <strong>und</strong> Unterhaltung brachten.<br />

E<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> umfangreichen Kulturarbeit, die zum Zwecke <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung von<br />

Ausstellungen, Theater, Musik <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>kunst <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone nach 1945 <strong>in</strong>s<br />

Leben gerufen wurde, diente durchaus jugendpolitischen Zwecken. Mithilfe von Kulturveranstaltungen<br />

sollte die deutsche Nachkriegsjugend wie<strong>der</strong> an demokratische <strong>und</strong><br />

humanistische Werte herangeführt werden. Zur „Bewältigung <strong>der</strong> kulturellen <strong>Jugendarbeit</strong>“<br />

bildete sich bereits im Juni 1945 auf Initiative des damaligen Kreisjugendbeauftragten<br />

Göpfrich e<strong>in</strong>e Gruppe „Schöpferische Jugend“, die sich für die Gründung e<strong>in</strong>es<br />

Kulturorchesters <strong>der</strong> Jugend e<strong>in</strong>setzte, das aber ansche<strong>in</strong>end nicht zustande kam. 713<br />

E<strong>in</strong> wichtiger Teilbereich <strong>der</strong> Kulturvermittlung für Jugendliche war die<br />

Theaterarbeit. In <strong>Konstanz</strong> entstanden analog zu an<strong>der</strong>en Städten <strong>der</strong> französischen Zone<br />

im Rahmen <strong>der</strong> Bildungswerke zahlreiche Theater- <strong>und</strong> Laienspielgruppen, <strong>in</strong> denen die<br />

Jugend sich aktiv auf <strong>der</strong> Bühne beteiligten konnte. Darüber h<strong>in</strong>aus sollte <strong>der</strong><br />

Theaterbesuch geför<strong>der</strong>t werden. Um die Jugend für das Theater zu begeistern, wurden<br />

auf Anregung <strong>der</strong> Franzosen frühzeitig nach Kriegsende sogenannte „Theaterr<strong>in</strong>ge <strong>der</strong><br />

711 Vgl. hierzu Kap. II.1.2.2.<br />

712 BECKER, Kultur im Schatten <strong>der</strong> Trikolore, Umschlag.<br />

713 SÜDKURIER vom 05.07.1945.


IV.5 NICHT KOMMUNALE JUGENDEINRICHTUNGEN UND SONSTIGE JUGENDANGEBOTE 181<br />

deutschen Jugend“ <strong>in</strong>s Leben gerufen. 714 Das <strong>Konstanz</strong>er Stadttheater bot ab <strong>der</strong> Spielsaison<br />

1948/49 im Rahmen e<strong>in</strong>es „Theaterr<strong>in</strong>gs für die Jugend“ bestimmte Aufführungen<br />

eigens für diese Zielgruppe zu günstigen Preisen an. 715 Bis diese Aktion schließlich<br />

zustande kam, bedurfte es mehrerer Anläufe. Schon Ende 1946 wurde <strong>der</strong> Jugendausschuss<br />

mit <strong>der</strong> Gründung des „Theaterr<strong>in</strong>gs <strong>der</strong> deutschen Jugend“ beauftragt, ohne dass<br />

diese Bemühungen zu e<strong>in</strong>em Ergebnis geführt hätten. Anfang 1947 gab es erneute<br />

Planungen, die darauf abzielten, im Rahmen des Jugendbildungswerks Veranstaltungen<br />

kultureller Art zusammen mit dem Stadttheater <strong>und</strong> eventuell mit <strong>Konstanz</strong>er Lichtspieltheatern<br />

durchzuführen. Das Vorhaben wurde zwar immerh<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Tat umgesetzt, die<br />

Durchführung blieb <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge jedoch auf wenige Aufführungen beschränkt. 716 Erst <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> zweiten Hälfte 1948 konnte das Projekt schließlich realisiert werden. Zu dieser<br />

<strong>Entwicklung</strong> trugen wichtige Verän<strong>der</strong>ungen auf <strong>der</strong> Leitungsebene des Stadttheaters bei.<br />

So bildete die Verpflichtung He<strong>in</strong>z Hilperts, <strong>der</strong> Anfang August 1948 zum neuen<br />

Intendanten ernannt wurde, nicht nur den Auftakt für e<strong>in</strong>e überaus <strong>in</strong>novative Phase <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Geschichte</strong> des „Deutschen Theaters <strong>Konstanz</strong>“ 717 , son<strong>der</strong>n brachte auch e<strong>in</strong>en funktionierenden<br />

„Theaterr<strong>in</strong>g für die Jugend“, <strong>der</strong> von Vertretern <strong>der</strong> Stadtverwaltung, des<br />

Jugendbildungswerks, <strong>der</strong> Schulen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Leitung des Deutschen Theaters geme<strong>in</strong>sam<br />

getragen wurde, auf den Weg. 718 Um die Jugend an das Theater heranzuführen, g<strong>in</strong>g je<strong>der</strong><br />

Aufführung e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führungsveranstaltung des Jugendbildungswerks voraus, gefolgt<br />

durch e<strong>in</strong>e Nachbesprechung unter Leitung e<strong>in</strong>es Schauspielers des Deutschen Theaters<br />

<strong>Konstanz</strong>. Darüber h<strong>in</strong>aus erhielten Jugendliche preisliche Vergünstigungen für den<br />

Theaterbesuch.<br />

Ebenfalls mit dem Ziel das kulturelle Interesse junger Menschen <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Liebe zum<br />

Theater zu wecken, gastierten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit zahlreiche deutsche Theater, größere<br />

Bühnen sowie Wan<strong>der</strong>theater <strong>in</strong> den südbadischen Städten <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den. Unter den<br />

Gastgruppen befanden sich viele französische Wan<strong>der</strong>bühnen. Speziell <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

gastierte beispielsweise 1947 <strong>und</strong> 1948 die französische Spieltruppe Théâtre de la Petite<br />

Ourse mit dem Theaterstück „Der Hirschkönig“ sowie dem Märchenspiel „Die Posse vom<br />

Drachenhaupt“. 719 Vor Ort hatte man für die Bewerbung <strong>und</strong> Organisation solcher Gastspieltruppen,<br />

die <strong>in</strong> ganz Baden auftraten, zu sorgen. Die Hauptverantwortung lag auf<br />

organisatorischem Gebiet beim Jugendbeauftragten, <strong>während</strong> das Rahmenprogramm von<br />

Jugendgruppen, Orchestern, Schauspielern des Stadttheaters o<strong>der</strong> Teilnehmern <strong>der</strong><br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften des Jugendbildungswerks <strong>und</strong> Schüler mitgestaltet wurde.<br />

Interessanterweise wurden für die Aufführungen französischer Wan<strong>der</strong>bühnen oftmals<br />

überaus große Veranstaltungsorte gewählt, so etwa <strong>der</strong> große Konzilsaal, <strong>der</strong> damals 900<br />

714<br />

Vgl. dazu das Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern an die Landräte <strong>und</strong> Oberbürgermeister<br />

<strong>der</strong> kreisfreien Städte <strong>in</strong> Baden vom 18.03.1947 im Anhang A 1.3.<br />

715<br />

StAK, S XII, „Leiter <strong>der</strong> AGs des Jugendbildungswerks <strong>Konstanz</strong>“.<br />

716<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 13.01.1947; StAK, S XII.<br />

717<br />

ABELE, Theater, S. 160 f.; BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 451-453;<br />

KOCH, Theater <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>.<br />

718<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 06.10.1948; StAK, S XII.<br />

719<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 16.02.1948; StAK, S XII.


182 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Sitzplätze hatte. Für e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Veranstaltung dieser Art, die im Februar 1948 stattfand,<br />

ließ die Militärregierung 300 Sitzplätze für Jugendliche im Stadttheater reservieren. Ob<br />

solche Dimensionen dem tatsächlichen Interesse <strong>der</strong> Jugend Rechnung trugen o<strong>der</strong> ob sie<br />

eher propagandistischen Zwecken dienten, ist im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> schwer zu ermitteln. Fakt ist,<br />

dass die Militärregierung nachweislich aktiv dazu beitrug, dass die Gastspiele gut besucht<br />

waren. E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Aufführungen, die e<strong>in</strong>e französische Schauspieltruppe vor Ort durchführte,<br />

besuchten französischen Berichten zufolge r<strong>und</strong> 500 Jugendliche, von denen<br />

vermutlich e<strong>in</strong> Teil aus an<strong>der</strong>en Orten angereist war. Denn zu e<strong>in</strong>er weiteren Aufführung<br />

am folgenden Tag brachte e<strong>in</strong> Son<strong>der</strong>schiff r<strong>und</strong> 50 Jugendliche von <strong>Konstanz</strong> nach<br />

Überl<strong>in</strong>gen.<br />

Neben diesen Erfolgsmeldungen gibt es jedoch an<strong>der</strong>e Berichte, die davon zeugen,<br />

dass <strong>der</strong>artige kultur- <strong>und</strong> jugendpolitischen Aktivitäten <strong>der</strong> Franzosen eher auf<br />

Zurückhaltung bei <strong>der</strong> Jugend stießen. E<strong>in</strong>e Ursache ist <strong>in</strong> den Sprachbarrieren zu suchen,<br />

da die Gastspiele <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>in</strong> französischer Sprache aufgeführt wurden. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

stellten Beobachter <strong>der</strong> Kunstszene e<strong>in</strong>en gewissen Übersättigungsfaktor fest. So f<strong>in</strong>det<br />

sich im Protokoll des Jugendausschusses vom Sommer 1947 <strong>der</strong> H<strong>in</strong>weis, dass „die<br />

<strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung mit kulturellen Veranstaltungen wirklich übersättig wäre <strong>und</strong><br />

auch vom hiesigen Stadttheater durchgeführte beson<strong>der</strong>e Jugendveranstaltungen regelmäßig<br />

e<strong>in</strong>en sehr schlechten Besuch aufzuweisen“ 720 hätten. Dass die örtliche Jugend die<br />

Durchführung überregionaler Kulturveranstaltungen unter Benutzung des Jugendhauses<br />

bisweilen als h<strong>in</strong><strong>der</strong>lich empfand, machte sich zudem im Vorfeld <strong>der</strong> Ausstellung „Jugend<br />

<strong>und</strong> Kunst“, die im Kontext des <strong>in</strong>ternationalen Studentenaustauschs <strong>der</strong> Universität<br />

Tüb<strong>in</strong>gen im Sommer 1948 gezeigt wurde, bemerkbar. Die Vertreter <strong>der</strong> örtlichen<br />

Jugendgruppen beklagten den Verlust <strong>der</strong> Räumlichkeiten für ihre Zusammenkünfte <strong>und</strong><br />

for<strong>der</strong>ten den Jugendausschuss auf, sie künftig über die Durchführung <strong>der</strong>artiger<br />

Veranstaltungen besser zu <strong>in</strong>formieren.<br />

Die Währungsreform im Juni 1948 führte im Kulturbereich zu e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en<br />

Krise, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Folge die Besucherzahlen <strong>der</strong> Theater, Ausstellungen <strong>und</strong> K<strong>in</strong>os spürbar<br />

zurückg<strong>in</strong>gen. Nach <strong>der</strong> Umstellung auf die D-Mark gaben die Menschen ihr Geld<br />

verstärkt für Gebrauchs- <strong>und</strong> Konsumgegenstände aus. Gleichzeitig verloren im Zuge<br />

wirtschaftlicher Verbesserungen kulturelle Veranstaltungen ihre Funktion „als Fluchtmöglichkeit<br />

aus dem tristen Alltag“ 721 , die <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Rolle gespielt hatte. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, <strong>der</strong> im Gefolge <strong>der</strong><br />

Währungsreform e<strong>in</strong>setzte, fanden viele kulturelle Projekte, die aus <strong>der</strong> französischen<br />

Besatzungspolitik resultierten, wie die Wan<strong>der</strong>theater <strong>in</strong> französischer Sprache o<strong>der</strong> die<br />

Wan<strong>der</strong>ausstellungen, aus den genannten Gründen e<strong>in</strong> baldiges Ende. 722 Gleichzeitig<br />

begannen sich kommerzielle Jugendangebote <strong>in</strong> Form von K<strong>in</strong>o <strong>und</strong> Tanzveranstaltungen<br />

seit den späten 1940er-Jahren zunehmen<strong>der</strong> Beliebtheit bei <strong>der</strong> Jugend zu erfreuten.<br />

720 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 12.07.1947; StAK, S XII.<br />

721 BECKER, Kultur im Schatten <strong>der</strong> Trikolore, S. 168.<br />

722 WOLFRUM, Zeit <strong>der</strong> „schönen Not“, <strong>in</strong>: DERS. U. A. (Hgg.), Krisenjahre, S. 211.


IV.6 JUGENDARBEIT ALS RESULTAT VON INDIVIDUELLER MOTIVATION 183<br />

6 <strong>Jugendarbeit</strong> als Resultat von <strong>in</strong>dividueller Motivation<br />

– Das Engagement <strong>der</strong> Bezirksdelegierten Degliame <strong>und</strong> No!l<br />

E<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> strukturgeschichtliche Deutungsweise würde zu kurz greifen, will man die<br />

H<strong>in</strong>tergründe <strong>der</strong> außergewöhnlichen Dynamik, mit <strong>der</strong> Jugende<strong>in</strong>richtungen im gesamten<br />

Bezirk <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> Gang kamen, angemessen erklären. So spricht vieles dafür, dass die<br />

Ereignisse über die allgeme<strong>in</strong>en Anweisungen h<strong>in</strong>aus durch <strong>in</strong>dividuelle Prämissen<br />

bee<strong>in</strong>flusst wurden. Wie gezeigt, gab es auf den übergeordneten Ebenen <strong>der</strong> französischen<br />

Militärverwaltung Menschen, welche die Kultur-, Bildungs- <strong>und</strong> Jugendpolitik<br />

maßgeblich bee<strong>in</strong>flussten. Erwähnt seien an dieser Stelle nochmals <strong>der</strong> Generalverwalter<br />

<strong>der</strong> französischen Zone, Emile Laffon, <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> DEP, Raymond Schmittle<strong>in</strong>, <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

badische Landesdelegierte Jacques Deshayes.<br />

Wie schon an früherer Stelle <strong>der</strong> Arbeit beschrieben wurde, machten es ungewiss<br />

formulierte Direktiven aus Paris möglich, dass die Akteure auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Zonen-,<br />

Landes- <strong>und</strong> Bezirksverwaltungen bei <strong>der</strong> praktischen Gestaltung <strong>der</strong> Umerziehungspolitik<br />

im Vergleich zu an<strong>der</strong>en besatzungspolitischen Bereichen verhältnismäßig große<br />

Handlungsspielräume hatten. Aus dieser Situation heraus konnten e<strong>in</strong>zelne<br />

Persönlichkeiten je nach <strong>in</strong>dividueller Motivation, sozialer Herkunft, Vorgeschichte <strong>und</strong><br />

nach eigenem Zugang zur Jugend- <strong>und</strong> Kulturpolitik sowie entsprechend den örtlich<br />

vorgef<strong>und</strong>enen Gegebenheiten über die allgeme<strong>in</strong>en Rahmenbed<strong>in</strong>gungen h<strong>in</strong>aus ihr<br />

persönliches Engagement im Rahmen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> entfalten.<br />

Im Mittelpunkt <strong>der</strong> nachfolgenden Betrachtungen steht das Wirken zweier <strong>Konstanz</strong>er<br />

Bezirksdelegierter, die <strong>in</strong> diesem Zeitraum den Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> vor Ort maßgeblich<br />

vorangebracht haben. Es handelt sich dabei zum e<strong>in</strong>en um Marcel Degliame, zum<br />

an<strong>der</strong>en um André No!l. Dabei ist im H<strong>in</strong>blick auf die ausgedehnte Diskussion <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Literatur zur französischen Besatzungspolitik danach zu fragen, <strong>in</strong>wieweit beim Aufbau<br />

jugendpolitischer Projekte, die <strong>während</strong> <strong>der</strong> Amtszeit dieser beiden Bezirksdelegierten <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong>s Leben gerufen wurden, neben strukturellen <strong>und</strong> adm<strong>in</strong>istrativen Vorgaben<br />

persönliches Engagement <strong>und</strong> die jeweils eigene Interessenlage zu bewerten s<strong>in</strong>d.<br />

6.1 Ambivalente Jugendpolitik – Marcel Deliame (Amtszeit 1946-1948)<br />

Die Frühphase des Aufbaus <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> wurde <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> durch den <strong>Konstanz</strong>er<br />

Bezirksdelegierten Marcel Degliame 723 geprägt. In se<strong>in</strong>e Amtszeit, die von Ende 1946 bis<br />

Anfang 1948 währte, fielen entscheidende Schritte beim Aufbau <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong>.<br />

Zum e<strong>in</strong>en wurden die meisten Ortsgruppen <strong>der</strong> Jugendorganisationen gegründet,<br />

zum an<strong>der</strong>en alle zentralen E<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> Gremien <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege <strong>in</strong>s<br />

723 Vita bei BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 54 <strong>und</strong> 212; MAITRON,<br />

Degliame-Fouché, Marcel, <strong>in</strong>: DERS.; PENNETIER, Dictionnaire Biographique du Mouvement Ouvrier<br />

Français, Band 24, auch zitiert bei BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 579,<br />

Anm. 195.


184 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Leben gerufen <strong>und</strong> die personellen Voraussetzungen für die Durchführung <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

geschaffen. Im E<strong>in</strong>zelnen s<strong>in</strong>d zu nennen: die Gründung des Jugendhauses sowie<br />

<strong>der</strong> beiden Jugendbildungswerke im Land- <strong>und</strong> Stadtkreis, die Schaffung <strong>der</strong> Abteilung<br />

Jugendpflege bei <strong>der</strong> Stadtverwaltung <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> Jugendpfleger beim<br />

Landratsamt <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Stadtverwaltung. Zudem fanden zahlreiche überlokale Projekte<br />

vor Ort wie <strong>in</strong>ternationale Jugendtreffen, Aufführungen französischer Wan<strong>der</strong>bühnen <strong>und</strong><br />

Wan<strong>der</strong>ausstellungen zu Jugendthemen statt. Degliame regte zudem „offene Diskussionsabende“,<br />

die zum damaligen Zeitpunkt <strong>in</strong> <strong>der</strong> lokalen <strong>Jugendarbeit</strong> völlig unbekannt<br />

waren, für Jugendliche an. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> dieser Fülle an Jugendaktivitäten, die<br />

zwischen 1946 <strong>und</strong> 1947 <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> zur Umsetzung kamen, stellt BURCHARDT zu Recht<br />

fest, dass sich Degliame <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> durch die För<strong>der</strong>ung „richtungsweisen<strong>der</strong> Initiativen<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong> Denkmal gesetzt hat“. 724 Gleichzeitig weist er auf die<br />

Tatsache h<strong>in</strong>, dass die Bemühungen des Bezirksdelegierten heute „fast <strong>in</strong> Vergessenheit“<br />

725 geraten s<strong>in</strong>d. Um diesen sche<strong>in</strong>baren Wi<strong>der</strong>spruch begreiflich zu machen, ist es<br />

notwendig, e<strong>in</strong>erseits auf die Persönlichkeit Degliames, an<strong>der</strong>erseits auf die zeitbed<strong>in</strong>gten<br />

politischen H<strong>in</strong>tergründe <strong>während</strong> se<strong>in</strong>er Amtsperiode e<strong>in</strong>zugehen.<br />

Weshalb sich Degliame auf dem Gebiet <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> im Bezirk <strong>Konstanz</strong> so stark<br />

engagierte, ist im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> nicht mehr <strong>in</strong> allen E<strong>in</strong>zelheiten transparent zu machen.<br />

Hatte er klare Anweisungen o<strong>der</strong> hatte er e<strong>in</strong>e persönliche Beziehung zu dieser Thematik?<br />

Stand er etwa <strong>der</strong> französischen Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungsbewegung „Peuple et Culture“<br />

nahe? 726 Spielten, wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur vielfach angenommen wurde, die eigenen Karrierechancen<br />

o<strong>der</strong> persönliches Prestigedenken e<strong>in</strong>e Rolle? 727 Viele <strong>der</strong> angesprochenen<br />

Gesichtspunkte lassen sich nur vermuten. Denkbar ist auch, dass mehrere <strong>der</strong> genannten<br />

Faktoren gleichzeitig zutreffen. Dass Degliame, wie gerüchteweise von Zeitgenossen<br />

vermutet wurde, direkte Anweisungen aus <strong>der</strong> Zentrale <strong>in</strong> Paris erhalten hätte, ist<br />

zum<strong>in</strong>dest für den Bereich Jugendpolitik auszuschließen.<br />

Ebenfalls ist es unwahrsche<strong>in</strong>lich, dass er stets auf eigene Faust <strong>und</strong> damit ohne<br />

Absprache mit se<strong>in</strong>en Vorgesetzten <strong>in</strong> Freiburg gehandelt hätte. Das hätte dem Verständnis<br />

<strong>der</strong> französischen Verwaltungshierarchie entgegengestanden <strong>und</strong> wäre, wie HÜSER<br />

bereits im H<strong>in</strong>blick auf die Verflechtungen zwischen den Vertretern <strong>der</strong> französischen<br />

Regierungspolitik <strong>und</strong> denjenigen <strong>der</strong> Besatzungspolitik dargestellt hat, schon aus re<strong>in</strong><br />

f<strong>in</strong>anzpolitischen Gründen kaum zu rechtfertigen gewesen. 728 Zudem wurden im Verlauf<br />

<strong>der</strong> Arbeit genügend Beispiele dafür aufgeführt, dass die Behörden <strong>in</strong> Freiburg <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung mit den örtlichen Dienststellenleitern, darunter Degliame, E<strong>in</strong>fluss auf die<br />

Gestaltung <strong>und</strong> Umsetzung <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> vor Ort zu nehmen versuchten.<br />

Dass Degliame neben an<strong>der</strong>en Aspekten e<strong>in</strong> starkes persönliches Interesse an<br />

Kulturarbeit hatte, kann nach dem heutigen Kenntnisstand als gesichert gelten. Obwohl<br />

724<br />

Degliames Aktivitäten im Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> beschreibt BURCHARDT, Zwischen<br />

Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 210.<br />

725<br />

Zitiert nach BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 212.<br />

726<br />

Dazu ausführlich ZAUNER, Kulturmission, S. 47-58 <strong>und</strong> S. 152-162.<br />

727<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 210-212.<br />

728<br />

HÜSER, Frankreichs „Doppelte Deutschlandpolitik“, S. 577.


IV.6 JUGENDARBEIT ALS RESULTAT VON INDIVIDUELLER MOTIVATION 185<br />

die Biografie Degliames durch e<strong>in</strong>ige Brüche gekennzeichnet ist, sprechen gleich mehrere<br />

H<strong>in</strong>weise für diese Vermutung. Degliames persönlicher <strong>und</strong> beruflicher Werdegang ist<br />

durch drei charakteristische Merkmale geprägt: erstens ist se<strong>in</strong> Wirken als kommunistischer<br />

Gewerkschaftsmann bis 1939 hervorzuheben, zweitens <strong>der</strong> Kampf als Colonel<br />

Fouché <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Résistance-Armee zu nennen <strong>und</strong> drittens auf die Tätigkeit<br />

als Filmproduzent im Kontext des vom Existentialismus geprägten geistigen <strong>und</strong><br />

künstlerischen Lebens im Frankreich <strong>der</strong> 1950er-Jahre zu verweisen. Der gelernte Tischler<br />

war seit den 1920er-Jahren Mitglied <strong>der</strong> Gewerkschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kommunistischen Partei<br />

Frankreichs. Im Krieg gehörte Degliame <strong>der</strong> französischen Wi<strong>der</strong>standsbewegung unter<br />

<strong>der</strong> Führung de Gaulles an. Er war unter an<strong>der</strong>em Mitglied des nationalen Rats <strong>der</strong><br />

Resistance, Conseil National de la Resistance (CNR), <strong>und</strong> Träger des Kreuzes <strong>der</strong><br />

Befreiung, Ordre de la Libération, <strong>der</strong> wichtigsten Medaille <strong>der</strong> französischen Wi<strong>der</strong>standsbewegung.<br />

729 In den 1960er- bis 1980er-Jahren arbeitete er schließlich an <strong>der</strong><br />

historischen Aufarbeitung dieses Abschnitts <strong>der</strong> französischen <strong>Geschichte</strong> mit. So ist er<br />

unter an<strong>der</strong>em Mitherausgeber <strong>der</strong> mehrbändigen <strong>Geschichte</strong> des französischen Wi<strong>der</strong>stands<br />

von Henri NOGUÈRE. Ende <strong>der</strong> 1960er-Jahre wirkte Degliame zusammen mit vielen<br />

Repräsentanten des französischen Wi<strong>der</strong>stands <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dokumentarfilm mit, <strong>der</strong> die<br />

<strong>Geschichte</strong> e<strong>in</strong>er südfranzösischen Stadt zwischen 1940 <strong>und</strong> 1944 unter <strong>der</strong> Vichy-<br />

Regierung thematisiert.<br />

E<strong>in</strong>ige dieser Stationen standen <strong>in</strong> direktem Bezug zu Degliames Wirken vor Ort. So<br />

verdankte er zum e<strong>in</strong>en se<strong>in</strong> Amt als Bezirksgouverneur von <strong>Konstanz</strong> zwischen<br />

November 1945 <strong>und</strong> Anfang 1948 se<strong>in</strong>er politischen Überzeugung <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Verdiensten<br />

um die Befreiung Frankreichs. 730 Zum an<strong>der</strong>en verlor Degliame diesen Posten im Gefolge<br />

e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tern durchgeführten „Säuberungsaktion“, die sich hauptsächlich gegen Wi<strong>der</strong>standskämpfer<br />

<strong>und</strong> Kommunisten richtete, woraufh<strong>in</strong> er aus <strong>der</strong> Kommunistischen Partei<br />

Frankreichs austrat.<br />

Auf se<strong>in</strong>e Aff<strong>in</strong>ität zur Kulturarbeit verweist nicht zuletzt se<strong>in</strong> späteres Wirken seit<br />

Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre, als sich Degliame als Produzent <strong>und</strong> För<strong>der</strong>er des zeitgenössischen<br />

französischen Films zu betätigen begann. Größere Bekanntheit erlangten<br />

Degliames Boris-Vian-Verfilmungen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Regisseur Pierre Kast. 731<br />

Degliame lernte den Schriftsteller, Ingenieur, Autor, Schauspieler, Sänger <strong>und</strong> Jazzmusiker<br />

1952 kennen. Bis zu dessen Tod im Jahr 1959 pflegten beide Männer e<strong>in</strong>e<br />

künstlerische <strong>und</strong> persönliche Bekanntschaft. Wie <strong>der</strong> Vian-Biograf VÖLKER 732 berichtet,<br />

729 Das gleichnamige Museum <strong>in</strong> Paris thematisiert die <strong>Geschichte</strong> des von General de Gaulle <strong>in</strong>s Leben<br />

gerufenen Ordre de la Libération. Das Ersche<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>er Biografie Degliames ist zudem angekündigt;<br />

vgl. http://www.ordredelaliberation.fr [Stand 14.08.2006].<br />

730 KLÖCKLER, Besatzungspolitik, S. 33.<br />

731 Beispielhaft genannt seien folgende Produktionen: „Le bel age“, Regie <strong>und</strong> Drehbuch: Pierre Kast nach<br />

<strong>der</strong> Novelle „E<strong>in</strong> alter Schwachkopf“ von Alberte Moravia, Produktionsleitung: Georges Bouvier;<br />

Marcel Degliame; Les Films du Centaure, Les Films d'Aujourd'hui, Paris, Overseas Films; „Son et<br />

Lumière“; gedreht 1958, uraufgeführt am 10.02.1960 <strong>in</strong> Paris; „Chères vielles choses/Teurer alter<br />

Krempel“; Regie: Raymond Vogel; Produktion: Les Films d’Aujourd’hui (Marcel Degliame),<br />

Spieldauer: 20 M<strong>in</strong>., gedreht 1957; vgl. VÖLKER, Vian, S. 140-141.<br />

732 VÖLKER, Vian, S. 111.


186 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

hatte Degliame an Vians „dezidierter politischer E<strong>in</strong>stellung <strong>in</strong> den fünfziger Jahren“<br />

großen Anteil <strong>und</strong> diesen ermutigt, „alle Möglichkeiten zu nutzen, mit den Mitteln des<br />

Kabaretts <strong>und</strong> des Schlagers politische Störfeuer zu entzünden <strong>und</strong> humorvolle<br />

Gegenpropaganda zu betreiben. “<br />

Der französische Vian-Chronist BOGGIO 733 befasst sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Biografie über den<br />

Künstler <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kurzen Abschnitt unter an<strong>der</strong>em mit Degliames Wirken <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>.<br />

Der Text ist <strong>in</strong>sofern <strong>in</strong>teressant, als er etwas von <strong>der</strong> Atmosphäre, die im Umfeld <strong>der</strong><br />

Bezirksmilitärregierung zum damaligen Zeitpunkt geherrscht haben soll, wi<strong>der</strong>spiegelt.<br />

Die Beschreibung trägt geradezu operettenhafte Züge, etwa wenn geschil<strong>der</strong>t wird, dass<br />

Degliame „<strong>während</strong> se<strong>in</strong>er Zeit als ‚Generalgouverneur’ [...] e<strong>in</strong>e gewisse Grandezza mit<br />

rauschenden Festen, dem Glanz <strong>der</strong> Kultur <strong>und</strong> proletarischem revolutionärem Geist“<br />

verb<strong>und</strong>en hätte. Wie se<strong>in</strong> Habitus auf Außenstehende gewirkt haben muss, wird wie folgt<br />

beschreiben. „Viele Kriegsberichterstatter“ wären „von diesem Gouverneur <strong>und</strong> großen<br />

Frauenliebhaber, <strong>der</strong> sie zu D<strong>in</strong>ers bei Fackellicht am Ufer des Bodensees lud, ebenso<br />

e<strong>in</strong>genommen gewesen wie später die Intellektuellen im ‚Flore‘“ – dem legendären<br />

Künstler-Treff <strong>der</strong> Existentialisten am Pariser Boulevard St. Germa<strong>in</strong>, Stammcafé Jean<br />

Paul Sartres sowie <strong>der</strong> „Oktobergruppe“ um den belgischen Chansonier Jaques Prévert.<br />

Interessanterweise gehen die Me<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Bewertung von Leben <strong>und</strong><br />

Wirken Degliames weit ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, je nachdem, ob es sich um französische o<strong>der</strong><br />

deutsche E<strong>in</strong>schätzungen handelt. So werden <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Heimat vor allem se<strong>in</strong>e Anstrengungen<br />

um die Befreiung Frankreichs <strong>in</strong> den Jahren 1940 bis 1944, verb<strong>und</strong>en mit se<strong>in</strong>en<br />

späteren Bemühungen um e<strong>in</strong>e umfassende wissenschaftlich-historische Aufarbeitung<br />

dieser Jahre positiv er<strong>in</strong>nert. Im Gegensatz dazu hat die Kultur- <strong>und</strong> Jugendpolitik, die<br />

unter se<strong>in</strong>er Ägide <strong>in</strong> den Jahren 1946 bis 1948 <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> durchgeführt wurde, bei <strong>der</strong><br />

örtlichen Bevölkerung kaum Spuren im kollektiven Gedächtnis h<strong>in</strong>terlassen. Gerade <strong>in</strong><br />

Bezug auf se<strong>in</strong>e Person klaffen die Erfahrungen <strong>der</strong> Zeitgenossen <strong>und</strong> die historischen<br />

Fakten, die sich aus den zeitgeschichtlichen Quellen erschließen, beson<strong>der</strong>s weit ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>.<br />

Die Gründe für diese Diskrepanz liegen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Amtsführung Degliames begründet.<br />

Se<strong>in</strong> Auftreten gegenüber deutschen Behördenvertretern, Bürgern <strong>und</strong> französischen<br />

Mitarbeitern wird als dom<strong>in</strong>ant geschil<strong>der</strong>t. Beispielhaft sei an dieser Stelle nochmals an<br />

se<strong>in</strong>e bereits beschriebene Vorgehensweise im Kontext <strong>der</strong> Jugendhausgründung er<strong>in</strong>nert.<br />

Zahlreiche archivalische Quellen zeugen vom harschen Umgangston, den <strong>der</strong> Delegierte<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong> Stellvertreter Ayzac gegenüber den deutschen Behörden pflegten. Die „Ära<br />

Degliame“ war dadurch gekennzeichnet, dass <strong>der</strong> Bezirksdelegierte trotz zahlreicher<br />

konstruktiver Ansätze, die er auf kulturellem <strong>und</strong> jugendpolitischem Gebiet maßgeblich<br />

<strong>in</strong>itiierte, bei den deutschen Ansprechpartnern, die mit ihm <strong>in</strong> Fragen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> zu<br />

tun hatten, äußerst unbeliebt war. Dieser Antagonismus zieht sich wie e<strong>in</strong> roter Faden<br />

durch die gesamte „Ära Degliame“ <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. Die soeben erwähnten Episoden machen<br />

deutlich, dass das Spannungsfeld von Dom<strong>in</strong>anz <strong>und</strong> Demokratieerziehung <strong>während</strong> <strong>der</strong><br />

Amtszeit Degliames e<strong>in</strong>e typische lokalhistorische Ausprägung sowie e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle<br />

Note erfuhr. Diese Zwiespältigkeit trug entscheidend dazu bei, dass die Zeitgenossen die<br />

733 Die folgenden Zitate entstammen <strong>der</strong> Vian-Biografie von BOGGIO, Vian, S. 413.


IV.6 JUGENDARBEIT ALS RESULTAT VON INDIVIDUELLER MOTIVATION 187<br />

demokratiepolitischen Maßnahmen aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> autoritären Methoden, mit denen diese<br />

vermittelt wurden, oftmals kaum als solche aufzufassen vermochten.<br />

Degliame steht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenschaft als Bezirksdelegierter damit geradezu paradigmatisch<br />

für die ambivalente Haltung, die viele Vertreter <strong>der</strong> französischen Politik <strong>und</strong><br />

Militärregierung vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frühphase <strong>der</strong> Besatzung gegenüber den Deutschen<br />

e<strong>in</strong>nahmen. Diese Haltung stieß zuweilen selbst an übergeordneter Stelle auf Kritik. So<br />

hätte nach Auffassung des Leiters <strong>der</strong> Abteilung Sports et Jeunesse, Jean Moreau, die<br />

Politik e<strong>in</strong>iger französischer Besatzungsmitarbeiter auf Kreisebene zwischen übertriebenem<br />

Dirigismus <strong>und</strong> konstruktiven Initiativen von Format geschwankt. 734<br />

Gewiss wären jedoch viele Jugende<strong>in</strong>richtungen vermutlich nicht so rasch entstanden<br />

o<strong>der</strong> – wie dies <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Kreisen oftmals <strong>der</strong> Fall war – bald wie<strong>der</strong> aufgegeben worden,<br />

wenn die damals amtierende Riege <strong>der</strong> Militärregierung um Degliame <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong><br />

Durchsetzung von jugendpolitischen Maßnahmen nicht so beharrlich geblieben wäre. So<br />

beschwerlich diese Haltung für die deutschen Behördenvertreter <strong>und</strong> Jugendleiter gewesen<br />

se<strong>in</strong> mag, <strong>der</strong> örtlichen Jugend kam sie, wie am Beispiel des Jugendhausbetriebs<br />

beschrieben wurde, zugute. Degliame stand mit dieser Haltung vor Ort ke<strong>in</strong>eswegs alle<strong>in</strong>.<br />

Auch se<strong>in</strong> Stellvertreter Ayzac sowie Jugendoffizier Marot monierten, möglicherweise als<br />

verlängerter Arm des Delegierten, des Öfteren die langsame Vorgehensweise <strong>der</strong><br />

Stadtverwaltung <strong>in</strong> Sachen <strong>Jugendarbeit</strong>. Vor allem Marot zeigte sich nachweislich mehrfach<br />

ungehalten darüber, dass die Stadtverwaltung <strong>und</strong> <strong>der</strong> örtliche Jugendausschuss aus<br />

se<strong>in</strong>er Sicht <strong>in</strong> Bezug auf die Umsetzung <strong>der</strong> jugendpolitischen Maßnahmen des Innenm<strong>in</strong>isteriums<br />

vor Ort nicht den nötigen Elan aufbrachten, um angeordnete Vorhaben zügig<br />

umzusetzen. So warf er beispielsweise dem Jugendausschuss zu Jahresanfang 1946 vor, <strong>in</strong><br />

mehreren Fällen ke<strong>in</strong>e Antwort auf wichtige Fragen erhalten zu haben, etwa wenn es um<br />

die Neubesetzung des Postens des Herbergsvaters o<strong>der</strong> die „Ausstattung des Jugendheimes,<br />

des Jugendbildungswerkes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Volkshochschule mit entsprechenden Möbeln“ 735<br />

g<strong>in</strong>g. Die angespannte Lage beruhigte sich zum e<strong>in</strong>en, nachdem Degliame Anfang 1948<br />

aus <strong>Konstanz</strong> abberufen wurde. Zum an<strong>der</strong>en trugen die ab Herbst veröffentlichten Richtl<strong>in</strong>ien<br />

aus Freiburg h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> kommunalen Jugende<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> den badischen<br />

Kreisen entscheidend zur Versachlichung vieler strittiger Punkte auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />

Jugendpflege, darunter im Bereich des Jugendhausbetriebs, bei.<br />

6.2 Im Zeichen <strong>der</strong> Entspannung – André No!l (Amtszeit 1948-1951)<br />

Das Engagement des Bezirksdelegierten André No!l ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> lokalen Geschichtsschreibung<br />

<strong>und</strong> Publizistik bereits mehrfach Gegenstand zahlreicher Darstellungen zur<br />

Regional- <strong>und</strong> Stadtgeschichte gewesen. Dabei wurde se<strong>in</strong> Wirken stets positiv gewürdigt.<br />

Die wichtigsten Lebensstationen s<strong>in</strong>d bekannt <strong>und</strong> können an dieser Stelle daher <strong>in</strong> Kürze<br />

734 PLUM, Französische Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland, S. 286.<br />

735 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 13.12.1936, StAK, S XII.


188 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

wie<strong>der</strong>gegeben werden: Ausbildung als Landwirt, vor dem Krieg Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verwaltung<br />

<strong>in</strong> Marokko, im Krieg Offizier <strong>der</strong> Magreb-Truppen, Kreisdelegierter Landkreis<br />

Donauesch<strong>in</strong>gen (1945-1947), Bezirksdelegierter <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> 1948-1951, dann <strong>in</strong> Trier,<br />

nach Ausscheiden aus <strong>der</strong> Besatzungsverwaltung Direktor des Informationsdienstes bei<br />

<strong>der</strong> Generalsresidenz <strong>in</strong> Marokko, Direktor bei Citroën <strong>in</strong> Paris, Aufsichtsratmitglied bei<br />

Michel<strong>in</strong> <strong>und</strong> Varta. 736<br />

André No!l wird von allen Menschen, die ihn persönlich kannten, übere<strong>in</strong>stimmend<br />

als e<strong>in</strong> „überzeugter Europäer“ <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Umgang mit Menschen als „fair <strong>und</strong> menschlich“<br />

beschrieben. 737 Brigitte WEYL beispielsweise charakterisiert ihn als e<strong>in</strong>en Menschen, für<br />

den „Aussöhnung, Annäherung <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaft“ zwischen Deutschen <strong>und</strong> Franzosen<br />

„die Basis e<strong>in</strong>er friedlichen zukunftsweisenden europäischen“ <strong>Entwicklung</strong> bildeten. 738 Im<br />

Gegensatz zur Person Degliames bestehen <strong>in</strong> Bezug auf No!l ke<strong>in</strong>erlei Diskrepanzen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Bewertung se<strong>in</strong>es Wirkens zwischen zeitgenössischen Beobachtern <strong>und</strong><br />

denjenigen Menschen, die ihm später nach Ablauf se<strong>in</strong>er Amtsperiode begegneten. Schon<br />

<strong>der</strong> damalige <strong>Konstanz</strong>er Landrat Belzer bezeichnete No!l anlässlich dessen Verabschiedung<br />

aus <strong>Konstanz</strong> im Mai 1951 als „Franzosen edelster nationaler Ges<strong>in</strong>nung <strong>und</strong> wahren<br />

Europäer“ 739 , wobei er ausdrücklich dessen jugendpolitische Verdienste hervorhob.<br />

Man könnte e<strong>in</strong>wenden, dass No!l se<strong>in</strong> Amt <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt antrat,<br />

als die Zeichen im deutsch-französischen Verhältnis bereits auf Entspannung <strong>und</strong><br />

Annäherung standen. Im Gegensatz dazu agierten Männer wie Degliame, Aysac o<strong>der</strong><br />

Marot <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit, als das Verhältnis zwischen Deutschen <strong>und</strong> Franzosen noch extrem<br />

belastet war. Das Bemerkenswerte an <strong>der</strong> Person No!ls jedoch ist, dass er an<strong>der</strong>s als se<strong>in</strong>e<br />

Vorgänger bereits unmittelbar nach dem Krieg se<strong>in</strong>en Willen zur Kooperation im Umgang<br />

mit se<strong>in</strong>en Mitarbeitern, deutschen Bürgermeistern, Landräten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

ausdrückte. Schon <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Zeit als Kreisdelegierter <strong>in</strong> Donauesch<strong>in</strong>gen (1945-1946)<br />

zeigte sich No!l nachweislich von <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>der</strong> Aussöhnung zwischen beiden<br />

Völkern überzeugt. 740 Se<strong>in</strong> Haupt<strong>in</strong>teresse galt <strong>in</strong> dieser Zeit zunächst Wirtschaftsfragen.<br />

Hauptsächlich g<strong>in</strong>g es darum, die Auswirkungen <strong>der</strong> Kriegszerstörungen <strong>in</strong><br />

Donauesch<strong>in</strong>gen zu beseitigen sowie die Schwarzwäl<strong>der</strong> Uhren<strong>in</strong>dustrie <strong>und</strong> die Landwirtschaft<br />

wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Gang zu br<strong>in</strong>gen. Sehr bald begann No!l zudem damit, das kulturelle<br />

Leben im Landkreis Donauesch<strong>in</strong>gen zu för<strong>der</strong>n. Aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er persönlichen Bemühungen<br />

fanden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kreisstadt frühzeitig Gastspiele französischer Künstler statt. Ebenso<br />

geht die „Donauesch<strong>in</strong>ger Kunstwoche“ im Herbst 1946 auf No!ls Initiative zurück.<br />

736 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 267 f.<br />

737 Persönliche Mitteilung von Rudolf Kutscha vom 22.10.1998.<br />

738 Der Beitrag ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitschrift HALLO/BONJOUR <strong>der</strong> deutsch-französischen Vere<strong>in</strong>igung, <strong>der</strong>en<br />

Mitbegrün<strong>der</strong> er war, veröffentlicht; vgl. WEYL, André No!l, <strong>in</strong>: HALLO/BONJOUR, 8. Jg., Nr. 33<br />

(August/September 2002); siehe auch das folgende Zitat; BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong><br />

Universitätsgründung, S. 216-220; zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> DVF <strong>Konstanz</strong> siehe SCHLEGEL, 50 Jahre DFV<br />

<strong>Konstanz</strong>, <strong>in</strong>: KONSTANZER ALMANACH (2001), S. 31-33.<br />

739 Landrat Belzer, hier zitiert nach dem SÜDKURIER vom 05.05.1951.<br />

740 ROTHERMEL, Zum Tod von Dr. Robert Lienhart, <strong>in</strong>: ALMANACH SCHWARZWALD-BAAR-KREIS 2001, 25<br />

(2000), S. 105-107.


IV.6 JUGENDARBEIT ALS RESULTAT VON INDIVIDUELLER MOTIVATION 189<br />

Schon früh galt dort se<strong>in</strong> spezielles Augenmerk <strong>der</strong> Jugend. So vermittelte er unter<br />

an<strong>der</strong>em Jugendräume <strong>und</strong> regte junge Menschen zur aktiven kulturellen Betätigung an. 741<br />

Als No!l Anfang 1948 nach <strong>Konstanz</strong> wechselte, entspannte sich das Verhältnis<br />

zwischen deutscher Bevölkerung <strong>und</strong> Militärregierung. 742 Oberbürgermeister Knapp beschrieb<br />

diesen Wandel anlässlich <strong>der</strong> Verabschiedung No!ls im Jahr 1951 wie folgt:<br />

„Während man früher mit pe<strong>in</strong>lichen Gefühlen <strong>in</strong> das Gouvernement gegangen war,<br />

wusste man jetzt, dass e<strong>in</strong> Mann dort wirkte, dem man unbed<strong>in</strong>gtes Vertrauen<br />

entgegenbr<strong>in</strong>gen durfte.“ 743<br />

Damit spielte er auf die charakteristische Art <strong>der</strong> „Verständigungspolitik“ No!ls an.<br />

Beispielhaft erwähnt seien etwa dessen Laisser-faire gegenüber <strong>der</strong> Stadtverwaltung <strong>und</strong><br />

se<strong>in</strong>e vielen guten Kontakte zu Vere<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Verbänden <strong>und</strong> zum Jugendausschuss.<br />

Schon bei se<strong>in</strong>em Antrittsbesuch am 12. April 1948 präsentierte sich <strong>der</strong> neue Gouverneur<br />

im Beise<strong>in</strong> des scheidenden Landrats Belzer, dessen designiertem Nachfolger Astfäller,<br />

Oberbürgermeister Knapps, den Jugendbeauftragten Auer <strong>und</strong> Kutscha, Vertretern <strong>der</strong><br />

Schulbehörde, <strong>der</strong> Volkshochschule, des Jugendamts, <strong>der</strong> Jugendorganisationen sowie des<br />

Jugendbildungswerks mit versöhnlichen Worten. Der neue Gouverneur betonte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

kurzen Ansprache, dass es „ke<strong>in</strong>eswegs die Absicht <strong>der</strong> Militärregierung wäre, aus <strong>der</strong><br />

deutschen Jugend junge Franzosen zu machen“ 744 ; vielmehr wolle man nur <strong>in</strong>sofern<br />

„E<strong>in</strong>fluss nehmen, als es zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n gelte, dass die deutsche Jugend wie<strong>der</strong> für Idole<br />

missbraucht <strong>und</strong> [auf] Wege geführt werde, die <strong>in</strong> Zuständen enden, unter denen heute<br />

ganz Europa leide“. Seit se<strong>in</strong>em Dienstantritt löste e<strong>in</strong>e durch Kooperation geprägte<br />

Zusammenarbeit auf dem Gebiet <strong>der</strong> Jugendpflege die vorhergehende durch Befehl <strong>und</strong><br />

Kontrolle bestimmte Amtsführung ab. Von dieser <strong>Entwicklung</strong> profitierten die örtlichen<br />

Kulturschaffenden, die Vertretern <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Jugendverbände sowie die Mitarbeiter<br />

im Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> gleichermaßen. Der neue Delegierte för<strong>der</strong>te die Arbeit <strong>der</strong><br />

Jugendorganisationen, unterstützte die bestehenden Jugende<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> pflegte zum<br />

Stadtjugendpfleger e<strong>in</strong>en „guten persönlichen Draht“, 745 wie Kutscha es später formulierte.<br />

Wie schon se<strong>in</strong> Vorgänger Degliame setzte sich No!l ebenso für die Belange des<br />

Jugendhauses e<strong>in</strong>. Beispielsweise war er 1948 bei <strong>der</strong> Suche nach neuen Räumlichkeiten<br />

für die Jugend behilflich.<br />

Neben <strong>der</strong> Fortführung bereits bestehen<strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtungen erfuhr die örtliche <strong>Jugendarbeit</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Amtszeit No!ls neue Impulse durch die För<strong>der</strong>ung von Austauschprogrammen,<br />

die erstmals nach dem Krieg junge <strong>Konstanz</strong>er mit ausländischen Jugendlichen<br />

zusammenbrachten. Landrat Belzer zufolge hatte sich No!l auch auf diesem Gebiet<br />

„<strong>in</strong> außerordentlich starkem Maße für die Verständigung zwischen <strong>der</strong> deutschen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

741 SÜDKURIER vom 05.05.1951.<br />

742 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 219.<br />

743 SÜDKURIER vom 05.05.1951.<br />

744 Zu diesem <strong>und</strong> dem folgenden Zitat vgl. das Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis<br />

<strong>Konstanz</strong> vom 12.04.1948; StAK, S XII.<br />

745 Mündliche Auskunft von Rudolf Kutscha vom 22.10.1998 sowie Privatunterlagen, die Herr Kutscha<br />

dankenswerterweise für diese Arbeit zur Verfügung gestellt hat.


190 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

französischen Jugend e<strong>in</strong>gesetzt“. 746 So wäre er bei „fast jedem Jugendtreffen dabei“<br />

gewesen, <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht wäre ihm „nichts zu viel“ gewesen. Diese Haltung korrespondierte<br />

mit No!ls kulturpolitischem Engagement im Zusammenhang mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung<br />

<strong>und</strong> Führung des Europa-Hauses o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>em Bemühen im Rahmen <strong>der</strong> deutschfranzösischen<br />

Vere<strong>in</strong>igung. Aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Toleranz <strong>und</strong> menschenfre<strong>und</strong>lichen E<strong>in</strong>stellung<br />

wurde No!l, obschon er die Militärregierung repräsentierte, an allen se<strong>in</strong>en<br />

Wirkungsorten <strong>in</strong> Deutschenland sehr geschätzt. Se<strong>in</strong>e Versetzung nach Trier wurde <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> von vielen Menschen <strong>und</strong> Behördenvertretern, die mit ihm <strong>und</strong> <strong>der</strong> Militärregierung<br />

zu tun hatten, mit Bedauern gesehen. Oberbürgermeister Knapp sprach gar von<br />

e<strong>in</strong>em „unersetzlichen Verlust“.<br />

Se<strong>in</strong> Wirken als Kreisdelegierter an verschiedenen Wirkungsorten h<strong>in</strong>terließ Spuren,<br />

die lange über se<strong>in</strong>e Amtszeit h<strong>in</strong>ausreichten. Neben zahlreichen Ehrungen <strong>und</strong><br />

Würdigungen, wozu beispielsweise die Benennung e<strong>in</strong>er Straße nach se<strong>in</strong>em Namen <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> zählt, wurde No!l 1969 auf Antrag des langjährigen Donauesch<strong>in</strong>ger Landrats<br />

Dr. Robert Lienhart (Amtsperiode: 1946-1972) für se<strong>in</strong> Bemühen um die deutschfranzösische<br />

Verständigung das B<strong>und</strong>esverdienstkreuz verliehen.<br />

7 Die <strong>Konstanz</strong>er <strong>Jugendarbeit</strong> im Regionalvergleich<br />

Die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> kann <strong>in</strong> Bezug auf den<br />

Untersuchungszeitraum nicht losgelöst von den Strukturen <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Kreisen betrachtet<br />

werden. Spätestens seit die landese<strong>in</strong>heitlichen Bestimmungen h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Schaffung<br />

kommunaler E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> Baden ab 1946/47 <strong>in</strong> Kraft traten, wurden nicht nur im<br />

Stadt- bzw. im Landkreis <strong>Konstanz</strong>, son<strong>der</strong>n darüber h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Städten <strong>und</strong><br />

Geme<strong>in</strong>den im Lande <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Nachkriegszeit die <strong>Jugendarbeit</strong> reorganisiert bzw. neu<br />

aufgebaut. Im Mittelpunkt <strong>der</strong> folgenden Überlegungen steht daher die Überlegung, wie<br />

sich die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> im Landesvergleich auf unterschiedlichen<br />

Gebieten verorten lässt. Um sich dieser Frage zu nähern, wurde die <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong><br />

zwei ausgewählten Kreisgebieten, e<strong>in</strong>erseits dem früheren Landkreis Vill<strong>in</strong>gen, an<strong>der</strong>erseits<br />

dem Altkreis Überl<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong>er näheren Betrachtung unterzogen. Parallelen zur<br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> den Kreisen des Bezirks <strong>Konstanz</strong> f<strong>in</strong>den sich zudem für die Landkreise<br />

Rottweil 747 <strong>und</strong> Tuttl<strong>in</strong>gen 748 , für die mittlerweile jeweils Quelleneditionen vorliegen.<br />

746 So Landrat Belzer nach dem Bericht im SÜDKURIER vom 05.05.1951 anlässlich <strong>der</strong> Verabschiedung<br />

André No!ls als Bezirksdelegierter von <strong>Konstanz</strong>; siehe auch die folgenden Zitate.<br />

747 STADTARCHIV ROTTWEIL; KLÖCKLER (Bearb.), Chronique du cercle de Rottweil.<br />

748 ESTRADE, Tuttl<strong>in</strong>gen April 1945-September 1949.


IV.7 DIE KONSTANZER JUGENDARBEIT IM REGIONALVERGLEICH 191<br />

7.1 Vorbildliche <strong>Jugendarbeit</strong> im Landkreis Vill<strong>in</strong>gen – E<strong>in</strong> Modell für<br />

an<strong>der</strong>e Kreise <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den im Land?<br />

Die Aufbauphase <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> im Kreis Vill<strong>in</strong>gen weist zwei bemerkenswerte<br />

Beson<strong>der</strong>heiten gegenüber an<strong>der</strong>en Kreisgebieten auf. 749 Zum e<strong>in</strong>en erfolgte <strong>der</strong> Aufbau<br />

<strong>der</strong> Vill<strong>in</strong>ger <strong>Jugendarbeit</strong> im Vergleich zu an<strong>der</strong>en Kreisen sehr bald nach Kriegsende.<br />

Die ersten konkreten jugendpolitischen Maßnahmen wurden hier bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten<br />

Jahreshälfte 1946 e<strong>in</strong>geleitet, sodass hier schon Mitte 1946 alle Jugende<strong>in</strong>richtungen<br />

existierten, das heißt lange, bevor es offizielle Richtl<strong>in</strong>ien vonseiten des Innenm<strong>in</strong>isteriums<br />

zur Gestaltung <strong>und</strong> Durchführung <strong>der</strong> kommunalen <strong>Jugendarbeit</strong> gab. Zum<br />

an<strong>der</strong>en spricht e<strong>in</strong>iges dafür, dass Vill<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>e Art Vorreiterrolle beim Aufbau <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> Baden gespielt haben könnte. Diese Vermutung wird durch e<strong>in</strong>en zeitgenössischen<br />

Pressebericht vom April 1946 unterstützt, demzufolge die ehemalige<br />

Zähr<strong>in</strong>gerstadt unter „den süddeutschen Städten, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Neuorientierung <strong>der</strong><br />

Jugend nach dem Zusammenbruch des Nazisystems e<strong>in</strong>e führende Rolle e<strong>in</strong>nehmen, [...]<br />

mit an erster Stelle“ 750 stand. Im Folgenden ist danach zu fragen, welche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

zu dieser beson<strong>der</strong>en Situation im Kreisgebiet beitrugen.<br />

Der wichtigste Impulsgeber für den Aufbau e<strong>in</strong>er koord<strong>in</strong>ierten <strong>Jugendarbeit</strong> im<br />

Landkreis Vill<strong>in</strong>gen war Pierre Robert. 751 In se<strong>in</strong>er Zeit als Kreisdelegierter <strong>in</strong> Vill<strong>in</strong>gen<br />

(1945-1946) bemühte er sich neben an<strong>der</strong>en Bereichen äußerst <strong>in</strong>tensiv um die För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>. Nicht nur im H<strong>in</strong>blick auf die Umerziehungspolitik im engeren S<strong>in</strong>ne,<br />

auch auf dem Gebiet <strong>der</strong> Wirtschaftspolitik behielt er Jugendfragen stets im Blick. So<br />

setzte er sich etwa nachweislich für die baldige Wie<strong>der</strong>eröffnung von Berufsschulen <strong>und</strong><br />

Lehrwerkstätten <strong>der</strong> Industriebetriebe e<strong>in</strong>. 752 Darüber h<strong>in</strong>aus war Robert auf dem Gebiet<br />

<strong>der</strong> Kulturarbeit aktiv. So för<strong>der</strong>te er beispielsweise das Stadttheater, die örtliche<br />

Musikschule <strong>und</strong> <strong>in</strong>itiierte Französischunterricht für Deutsche. Roberts herausragendes<br />

jugendpolitisches Engagement gründete ähnlich wie im Fall <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bezirksdelegierten<br />

e<strong>in</strong>erseits auf persönlichen Motivationen, an<strong>der</strong>erseits auf se<strong>in</strong>er beruflichen<br />

Herkunft. So war er aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er früheren Tätigkeit als Bürgermeister e<strong>in</strong>er südwestfranzösischen<br />

Geme<strong>in</strong>de vor dem Krieg e<strong>in</strong>erseits mit kommunalpolitischen Fragen<br />

vertraut, an<strong>der</strong>erseits pflegte er gute persönliche Kontakte zum Leiter <strong>der</strong> <strong>in</strong> Freiburg<br />

ansässigen Abteilung <strong>der</strong> Militärregierung für Jugendpflege <strong>in</strong> Baden, Deshayes. Se<strong>in</strong><br />

Engagement auf den Gebieten Kultur, Schule, Jugendpflege <strong>und</strong> Lehrl<strong>in</strong>gsausbildung<br />

basierte, wie er selbst angab, auf <strong>der</strong> Überzeugung, dass e<strong>in</strong> funktionierendes Schul- <strong>und</strong><br />

Ausbildungswesen die Jugend vor Gefahren <strong>und</strong> Verwahrlosung schützen könne.<br />

749 Der Landkreis Vill<strong>in</strong>gen wurde im Zuge <strong>der</strong> Kreisreform am 01.01.1973 mit dem Kreis Donauesch<strong>in</strong>gen<br />

<strong>und</strong> bei weiteren Gebietsbere<strong>in</strong>igungen mit den heutigen Kreisen Tuttl<strong>in</strong>gen, Rottweil <strong>und</strong> Breisgau-<br />

Hochschwarzwald zum Schwarzwald-Baar-Kreis zusammengeschlossen; STURM, Schwarzwald-Baar-<br />

Kreis, <strong>in</strong>: ARBEITSGEMEINSCHAFT DER KREISARCHIVE (Hg.), Amtsvorsteher, S. 123-124.<br />

750 SÜDKURIER vom 09.04.1946.<br />

751 Pierre Robert wurde 1896 <strong>in</strong> Paris geboren <strong>und</strong> starb 1959 <strong>in</strong> Arcachon/Südfrankreich. Biografische<br />

Angaben nach RIEDEL, Vill<strong>in</strong>gen, S. 87.<br />

752 KrAVS, Bestand Landratsamt Vill<strong>in</strong>gen, Nr. 2417.


192 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Doch selbst, wenn <strong>in</strong> diesem Fall Roberts persönliche Interessen <strong>und</strong> gute<br />

Beziehungen zur Landesdelegation <strong>in</strong> die Arbeit des Delegierten e<strong>in</strong>flossen, ist se<strong>in</strong><br />

jugendpolitisches Engagement nicht alle<strong>in</strong> als E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>itiative zu werten. Denn e<strong>in</strong>erseits<br />

konnte diese Aufgabe nicht ohne das Zutun vieler Helfer bewältigt werden; an<strong>der</strong>erseits<br />

waren die badischen Kreisdelegierten Ende 1945, wie bereits dargelegt wurde, durch die<br />

übergeordneten Behörden <strong>in</strong> Baden-Baden bzw. Freiburg <strong>in</strong>struiert worden, sich zwecks<br />

des Aufbaus e<strong>in</strong>es außerschulischen Jugendangebots deutsche Persönlichkeiten aus<br />

Kommunalverwaltungen, Schulen, Kirchen, Verbänden <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>en etc. <strong>in</strong>s Boot zu<br />

holen. 753 Wie <strong>der</strong> Kreisdelegierte mit diesem Auftrag umg<strong>in</strong>g <strong>und</strong> welche Mitstreiter er<br />

gewann, ist anhand <strong>der</strong> Aktenlage gut dokumentiert. In e<strong>in</strong>em ersten Schritt rief Robert<br />

Ende 1945 den Landrat <strong>und</strong> alle Geme<strong>in</strong>devertreter zur geme<strong>in</strong>samen Aufbauarbeit <strong>in</strong><br />

Jugendfragen auf. 754 In se<strong>in</strong>er Ansprache, die er vor <strong>der</strong> Bürgermeisterversammlung Mitte<br />

Dezember 1945 hielt, bezeichnete er die „Not <strong>der</strong> Jugend“ als wichtigstes Motiv für den<br />

Aufbau e<strong>in</strong>er organisierten <strong>Jugendarbeit</strong> im besetzten deutschen Südwesten. Vor <strong>der</strong>en<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> müsse, so Robert, „möglichst schnell <strong>und</strong> unter Beteiligung deutscher Stellen<br />

mit dem Aufbau e<strong>in</strong>er konkreten <strong>Jugendarbeit</strong> vor Ort begonnen“ werden. Des Weiteren<br />

gab er bekannt, dass die Militärregierung e<strong>in</strong>e politische Lösung des Problems als<br />

dr<strong>in</strong>glich <strong>und</strong> notwendig erachtete. Ke<strong>in</strong>esfalls dürfe man, so Robert, die „deutsche<br />

Jugend [...] sich selbst überlassen“, vielmehr müsse sie „geführt“ werden. Der Delegierte<br />

zeigte sich entschlossen, aktiv bei „<strong>der</strong> neuen Erziehung <strong>der</strong> Jugend mitzuhelfen“, wobei<br />

er sich ausdrücklich auf die Instruktionen <strong>der</strong> Baden-Badener Erziehungsbehörde berief.<br />

Für die Thematik <strong>der</strong> Arbeit s<strong>in</strong>d die Worte Roberts, die anhand e<strong>in</strong>es dazu gefertigten<br />

Protokolls, das heute das Kreisarchiv Schwarzwald-Baar verwahrt, nachvollzogen werden<br />

können, aus mehreren Gründen von Interesse. Erstens markieren sie zeitlich den Wendepunkt,<br />

von dem an <strong>Jugendarbeit</strong> aus <strong>der</strong> Phase <strong>der</strong> Theorie <strong>in</strong> die Phase <strong>der</strong> Praxis<br />

übergeleitet wurde. Zweitens s<strong>in</strong>d dar<strong>in</strong> alle zentralen Aspekte französischer Jugendpolitik<br />

zusammengefasst, drittens wird ersichtlich, dass die wichtigsten Bestimmungen h<strong>in</strong>sichtlich<br />

des Aufbaus <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> nicht nur den Kreisdelegierten son<strong>der</strong>n zudem den<br />

kommunalen Spitzenvertretern im Kreis Vill<strong>in</strong>gen bekannt waren.<br />

Das Ergebnis <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen Bemühungen war e<strong>in</strong> „breit angelegtes jugendkulturelles<br />

Angebot“. 755 Wie dieses konkret aussehen sollte, war zunächst offen. Schließlich<br />

regten die bis dah<strong>in</strong> erstellten Richtl<strong>in</strong>ien aus Baden-Baden vom Herbst 1945 lediglich die<br />

Schaffung e<strong>in</strong>es außerschulischen Jugendangebots allgeme<strong>in</strong> an, ohne konkrete Handlungsanweisungen<br />

zu enthalten. Die nähere Ausarbeitung oblag <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge den Kreisdelegierten<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit deutschen Kommunalpolitikern <strong>und</strong> ehrenamtlichen Helfern.<br />

Diese Situation ähnelte zu weiten Teilen <strong>der</strong> Vorgehensweise im Bereich <strong>der</strong><br />

allgeme<strong>in</strong>en Kulturpolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone. Auch auf diesem Gebiet ergriffen<br />

753 ZAUNER, Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission, S. 167. Vgl. hierzu Kap. II.4.2.<br />

754 Kreisdelegierter Robert am 14.12.1945 <strong>in</strong> Vill<strong>in</strong>gen vor den Bürgermeistern des Kreises Vill<strong>in</strong>gen.<br />

Schriftliches Redemanuskript im KrAVS, Bestand Landratsamt Vill<strong>in</strong>gen, Nr. 2417. Auch die<br />

nachfolgenden Zitate, sofern nicht an<strong>der</strong>s angegeben, entstammen diesem Text.<br />

755 SÜDKURIER vom 18.01.1946.


IV.7 DIE KONSTANZER JUGENDARBEIT IM REGIONALVERGLEICH 193<br />

zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frühphase oftmals die Verantwortlichen vor Ort mangels e<strong>in</strong>deutiger<br />

Anweisungen zunächst die Initiative, wenn es um die Durchführung kulturpolitischer<br />

Maßnahmen g<strong>in</strong>g. Trotz ungenauer Bestimmungen folgten den Worten des Vill<strong>in</strong>ger<br />

Kreisgouverneurs, was den Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> im Kreisgebiet anbelangte, bald<br />

Taten. Wie überall im Land hatte zunächst die Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Schulen im Herbst<br />

1945 Priorität vor an<strong>der</strong>en jugendpolitischen Aufgaben. Doch bereits Anfang des Jahres<br />

1946 wurden erste Konzeptionen für den Aufbau e<strong>in</strong>er präventiven <strong>Jugendarbeit</strong><br />

außerhalb <strong>der</strong> Schulen erstellt. Roberts wichtigster Ansprechpartner auf deutscher Seite<br />

war Karl Paul Bienzeisler, <strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Zeit als Landrat von Juni 1945 bis Februar 1947<br />

die jugendpolitischen Vorstellungen des französischen Kreisdelegierten konsequent <strong>in</strong> die<br />

Tat umsetzte. 756 Schon Anfang Januar lud er Eltern, Lehrer, Geistliche, Richter, Amtvorstände,<br />

Künstler, Industrielle <strong>und</strong> Handwerksmeister zu e<strong>in</strong>er Tagung zum Thema Jugen<strong>der</strong>ziehung<br />

<strong>und</strong> Jugendführung <strong>in</strong> das „Theater am R<strong>in</strong>g“ <strong>in</strong> Vill<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong>formierte<br />

dabei über die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er neuen Art <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>. 757 Anschließend rief <strong>der</strong><br />

Kreisdelegierte „alle gesellschaftlichen Kräfte“ zum „Zusammenwirken bei <strong>der</strong> Erziehung<br />

<strong>der</strong> Jugend“ 758 auf. Bald darauf wurde e<strong>in</strong> „Aktionsausschuss“ zur För<strong>der</strong>ung von Jugen<strong>der</strong>ziehung<br />

gegründet, dem unter dem Vorsitz des Landrats Vertreter aller gesellschaftlichen<br />

Gruppierungen angehörten.<br />

Ende Februar 1946 <strong>in</strong>formierte Robert se<strong>in</strong>en Vorgesetzten, den Landesdelegierten<br />

General Schwartz <strong>in</strong> Freiburg, ausführlich über den Stand <strong>der</strong> Aufbauarbeiten <strong>der</strong> Jugendpflege<br />

<strong>in</strong> Vill<strong>in</strong>gen. Dieser Rapport ist für die Fragestellung dieser Arbeit aus zweierlei<br />

Gründen aufschlussreich: Erstens wird deutlich, dass <strong>der</strong> Aufbau <strong>der</strong> Vill<strong>in</strong>ger Jugendpflege<br />

ke<strong>in</strong>e isolierte lokale Angelegenheit war, son<strong>der</strong>n die französische Landesmilitärregierung<br />

für Südbaden von allen diesbezüglichen Aktivitäten Kenntnis hatte. Zweitens<br />

zeichnet das Schreiben das geradezu generalstabsmäßig durchgeführte Vorgehen <strong>der</strong><br />

Vill<strong>in</strong>ger Verantwortlichen bei <strong>der</strong> Umsetzung jugendpolitischer Zielvorstellungen e<strong>in</strong>drucksvoll<br />

nach. Demzufolge gab es e<strong>in</strong>en klar umrissenen Zeit- <strong>und</strong> Arbeitsplan, <strong>der</strong><br />

folgende Punkte vorsah: Aufruf an die Bevölkerung des Kreises Vill<strong>in</strong>gen zur Mithilfe,<br />

Registrierung <strong>der</strong> gemeldeten Mitarbeiter, Erfassung <strong>der</strong> Jugendlichen durch die Bürgermeisterämter,<br />

E<strong>in</strong>teilung <strong>der</strong> Arbeitsgruppen <strong>in</strong> den Stadtgeme<strong>in</strong>den, E<strong>in</strong>richtung von<br />

Werkstätten, Sammeln von Werkzeugen <strong>und</strong> Materialien, Vorbereitungskurs für Mitarbeiter<br />

<strong>und</strong> Helfer; Kontaktaufnahme zu höheren Schulen <strong>und</strong> Gewerbeschulen. Obwohl<br />

die Vorbereitungszeit lediglich e<strong>in</strong> Vierteljahr betrug, konnte <strong>der</strong> Zeitplan pünktlich<br />

e<strong>in</strong>gehalten werden. Schon im Januar 1946 wurden alle Jugendlichen <strong>und</strong> Eltern im<br />

Kreisgebiet mithilfe von Plakaten zum Mitmachen beim geme<strong>in</strong>samen Spielen, Basteln<br />

756 Karl Paul Bienzeisler, geb. 1893, gest. 1958; beruflicher Werdegang: 1919-1921: Ausbildung zum<br />

Kaufmann; Generalkonsulat Zürich, Kanzleisekretär; 1923-1935: Badisches M<strong>in</strong>isterium des Innern;<br />

1935-?: Fa. Henkel Cie., Düsseldorf <strong>und</strong> Reisen<strong>der</strong> <strong>der</strong> IG Farben; nach dem 20.04.1945: Dolmetscher<br />

für Französisch beim Bürgermeisteramt Vill<strong>in</strong>gen; Juni 1945-Februar 1947: Landrat des Landkreises<br />

Vill<strong>in</strong>gen. Schriftliche Auskunft des KrAVS vom 17.11.2003 sowie STURM, Bienzeisler, <strong>in</strong>:<br />

ARBEITSGEMEINSCHAFT DER KREISARCHIVE (Hg.), Amtsvorsteher, S. 186.<br />

757 SÜDKURIER vom 18.01.1946.<br />

758 KrAVS, Bestand Landratsamt Vill<strong>in</strong>gen, Nr. 2417.


194 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

o<strong>der</strong> Musizieren <strong>in</strong> den neuen Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften aufgerufen. Nach Angaben <strong>der</strong><br />

Militärregierung trugen sich kreisweit r<strong>und</strong> 1.200 K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Listen e<strong>in</strong>, die beim<br />

Landratsamt <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Verwaltungen aller Kreisgeme<strong>in</strong>den auslagen. 759 Im März wurde<br />

e<strong>in</strong> Jugendausschuss, <strong>der</strong> die <strong>Jugendarbeit</strong> koord<strong>in</strong>ierte <strong>und</strong> plante, gegründet. 760 Im<br />

gleichen Monat wurde das Vill<strong>in</strong>ger Jugendhaus „Waldschlössle“ als vermutlich e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

ersten E<strong>in</strong>richtungen dieser Art <strong>in</strong> Baden eröffnet. Bei <strong>der</strong> Übergabe <strong>der</strong> neuen Räume<br />

äußerte <strong>der</strong> Landrat den Wunsch, dass von hier aus „e<strong>in</strong>e neue Jugendbewegung ihren<br />

Ausgang nehmen“ 761 möge. Zugleich betonte er aber, dass aus <strong>der</strong> Existenz <strong>der</strong> neuen<br />

E<strong>in</strong>richtung ke<strong>in</strong>esfalls e<strong>in</strong>e Konkurrenz zur <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>der</strong> Kirchen <strong>und</strong> Schulen<br />

erwachsen dürfe. Des Weiteren ermahnte er die Jugendlichen, das Jugendhaus erst dann<br />

aufzusuchen, wenn „ihr [...] eure Pflichten <strong>der</strong> Schule <strong>und</strong> dem Religionsunterricht<br />

gegenüber geleistet habt“. Darüber h<strong>in</strong>aus sprach Bienzeisler den demokratie- <strong>und</strong><br />

jugendpolitischen Aspekt dieser E<strong>in</strong>richtung an. Se<strong>in</strong>en Worten zufolge wollte man mit<br />

<strong>der</strong> neuen E<strong>in</strong>richtung Jugendlichen e<strong>in</strong>e Plattform bieten, wo sie Formen „demokratischer<br />

Gesprächskultur <strong>und</strong> Kommunikation“ erlernen <strong>und</strong> eigenverantwortlich ihre Freizeit<br />

gestalten konnten. Die Räume wurden nicht nur für das offene Jugendangebot, son<strong>der</strong>n<br />

auch von Jugendgruppen genutzt. Beispielsweise hielt die Vill<strong>in</strong>ger Ortsgruppe <strong>der</strong> Freien<br />

Jugend im September 1946 hier ihre Gründungsversammlung ab.<br />

Im Juni 1946 wurde als zweite jugendpolitische Maßnahme im Landkreis das<br />

Jugendbildungswerk errichtet, dessen Geschäftsstelle dem Landratsamt angeglie<strong>der</strong>t war.<br />

Noch im gleichen Jahr wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren Schritt die Jugendherberge wie<strong>der</strong>eröffnet.<br />

Das Jugendangebot blieb zudem nicht auf die Kreisstadt beschränkt. Ähnliche<br />

E<strong>in</strong>richtungen entstanden <strong>in</strong> Triberg, St. Georgen <strong>und</strong> Königsfeld. Im Beise<strong>in</strong> vieler<br />

Vertreter <strong>der</strong> Staatsbehörden, <strong>der</strong> Stadt- <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>deverwaltungen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Lehrerschaft<br />

wurden die Vill<strong>in</strong>ger <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong> ihre E<strong>in</strong>richtungen mit e<strong>in</strong>em Kreisjugendfest, das<br />

als e<strong>in</strong>e bunte Mischung von Gewerbeschau, Heimattagen <strong>und</strong> Jugendk<strong>und</strong>gebung<br />

konzipiert war, am Osterwochenende im April 1946 <strong>der</strong> Öffentlichkeit vorgestellt. Beim<br />

feierlichen Abschlussakt fasste <strong>der</strong> Landrat die viermonatige Aufbauarbeit des Jugendwerkes<br />

zusammen, dankte allen, „die mitgeholfen haben, unsere Jugend neuen Zielen<br />

zuzuführen“. 762 Das Landratsamt unterstützte <strong>in</strong> den nachfolgenden Jahren alle kommunalen<br />

Jugende<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> die örtlichen Jugendverbände mit Lebensmittel- <strong>und</strong><br />

Sachleistungen.<br />

Betrachtet man die e<strong>in</strong>zelnen Maßnahmen im Landkreis Vill<strong>in</strong>gen, so liegt <strong>der</strong><br />

Gedanke nahe, dass die hier geleistete Aufbauarbeit für die Gestaltung <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

im gesamten Landeskommissariat <strong>Konstanz</strong> modellhaften Charakter hatte. So deutet e<strong>in</strong><br />

Pressebericht vom April 1946 an, dass die <strong>in</strong> Vill<strong>in</strong>gen „durchgeführte Vorbereitungsarbeit<br />

den verschiedenen Jugendbewegungen, die sich <strong>in</strong> nächster Zukunft im ganzen<br />

französisch besetzten Gebiet entwickeln werden, den Weg bahnen“ 763 sollte. Um dieses<br />

759<br />

KrAFN, Bestand Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, ÜB-A 47g.<br />

760<br />

StAK, S II 15146.<br />

761<br />

Zu diesem <strong>und</strong> den folgenden Zitate vgl. SÜDKURIER vom 19.03.1946.<br />

762<br />

SÜDKURIER vom 24.04.1946.<br />

763<br />

SÜDKURIER (Ausgabe Vill<strong>in</strong>gen) vom 09.04.1946.


IV.7 DIE KONSTANZER JUGENDARBEIT IM REGIONALVERGLEICH 195<br />

Ziel zu erreichen, wurde offenbar gezielte Informationspolitik betrieben. Insbeson<strong>der</strong>e die<br />

regionale Presse, die im Besatzungsgebiet ab Herbst 1945 wie<strong>der</strong> frei berichten konnte,<br />

bildete e<strong>in</strong> wichtiges Medium zur Verbreitung <strong>der</strong> Geschehnisse vor Ort. Der <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

ersche<strong>in</strong>ende SÜDKURIER berichtete <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Vill<strong>in</strong>ger Ausgabe stets ausführlich über die<br />

jugendpflegerische Aufbauarbeit im Kreisgebiet.<br />

Außer <strong>der</strong> Presse trugen französische Delegierte <strong>und</strong> deutsche Behördenleiter im<br />

Raum Schwarzwald-Hochrhe<strong>in</strong>-Bodensee dazu bei, dass lokale jugendkulturelle<br />

Initiativen über die Kreisgrenzen h<strong>in</strong>weg bekannt wurden. Beispielsweise wurde <strong>der</strong><br />

Vill<strong>in</strong>ger Kreisdelegierte Robert zur <strong>Konstanz</strong>er Kunstwoche e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> Jugendhauseröffnung<br />

e<strong>in</strong>geladen. 764 Sicherlich hatte er zudem Kenntnis über die Aktivitäten <strong>in</strong><br />

Donauesch<strong>in</strong>gen, wo beispielsweise im W<strong>in</strong>ter 1946 e<strong>in</strong>e Schau des kulturellen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Lebens stattfand. 765 Initiator war <strong>der</strong> Kreisdelegierte André No!l, <strong>der</strong> spätere<br />

Bezirksgouverneur von <strong>Konstanz</strong>, <strong>der</strong> zum damaligen Zeitpunkt <strong>in</strong> Donauesch<strong>in</strong>gen<br />

stationiert war. Zudem gibt es Anzeichen, dass weitere Kreise im Bezirk <strong>Konstanz</strong> über<br />

die <strong>in</strong>novative Aufbauarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendpflege <strong>in</strong> Vill<strong>in</strong>gen Kenntnis hatten. So geht aus<br />

e<strong>in</strong>em Schreiben Roberts an den Landesdelegierter General Schwartz <strong>in</strong> Freiburg von<br />

1946 hervor, dass <strong>der</strong> Landrat des Kreises Überl<strong>in</strong>gen über den Stand <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong><br />

Vill<strong>in</strong>gen <strong>in</strong>formiert war. 766<br />

Unter den Angehörigen <strong>der</strong> französischen Militärregierung hatte vor allem <strong>der</strong><br />

<strong>Konstanz</strong>er Bezirksdelegierte Marcel Degliame e<strong>in</strong>e Schlüsselstellung, wenn es um die<br />

kreisübergreifende Übermittlung von Informationen über Jugendaktivitäten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />

Kreisen g<strong>in</strong>g. Als französischer Delegierter für den Regierungsbezirk <strong>Konstanz</strong> war er den<br />

Kreisgouverneuren vorgesetzt <strong>und</strong> kontrollierte <strong>in</strong>sgesamt acht Landkreise. In se<strong>in</strong>er<br />

Position boten sich daher viele Gelegenheiten, auf die Gestaltung besatzungspolitischer<br />

Themen <strong>in</strong> dem Gebiet zwischen westlichem Bodensee <strong>und</strong> Hochrhe<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Jahren 1946<br />

<strong>und</strong> 1947 E<strong>in</strong>fluss zu nehmen.<br />

Degliame nutzte dies <strong>und</strong> setzte sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Zeit als Bezirksdelegierter dafür e<strong>in</strong>,<br />

dass jugendkulturelle Maßnahmen, darunter die vorbildliche Aufbauarbeit des Kreises<br />

Vill<strong>in</strong>gen, im Regierungsbezirk publik wurden. Wie aus den Unterlagen des Kreisarchivs<br />

Schwarzwald-Baar hervorgeht, referierte <strong>der</strong> Vill<strong>in</strong>ger Landrat auf ausdrücklichen<br />

„Wunsch des Obersten Degliane [sic]“ 767 im Mai 1946 <strong>in</strong> Säck<strong>in</strong>gen vor Mitarbeitern des<br />

Landratsamtes, Vertretern des Jugendausschusses, <strong>der</strong> Kirchen <strong>und</strong> Gewerkschaften, <strong>der</strong><br />

Geme<strong>in</strong>den <strong>und</strong> vor Gouverneur Chauchoy über den Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Heimatkreis. Anschließend wurden die Möglichkeiten, das „Modell Vill<strong>in</strong>gen" auf die<br />

764<br />

Programm <strong>der</strong> Kunstwoche 01.-11.06.1945, hier Exemplar KrAVS, Bestand Landratsamt Vill<strong>in</strong>gen, Nr.<br />

4164; vgl. auch WELSCH, 1992, S. 106 f.<br />

765<br />

Die Veranstaltung wurde von <strong>der</strong> Landkreisverwaltung auf Initiative des Delegierten No!l durchgeführt.<br />

E<strong>in</strong> gedrucktes Programmheft bef<strong>in</strong>det sich im KrAVS, Bestand Landratsamt Vill<strong>in</strong>gen: LANDKREIS UND<br />

STADT DONAUESCHINGEN (Hg.), Arbeit <strong>und</strong> Kunst <strong>in</strong> Donauesch<strong>in</strong>gen. Eröffnung 03.11.1946.<br />

766 KrAFN, Bestand Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, ÜB-A 47g. Der Bodenseekreis entstand 1973 im<br />

Zuge <strong>der</strong> Kreisreform durch Zusammenschluss des Landkreises Tettnang <strong>und</strong> des südlichen Hauptteils<br />

des Landkreises Überl<strong>in</strong>gen; vgl. KUHN, Bodenseekreis, <strong>in</strong>: ARBEITSGEMEINSCHAFT DER KREISARCHIVE<br />

(Hg.), Amtsvorsteher, S. 123-124.<br />

767 Bericht Landrat Bienzeislers <strong>und</strong> Protokoll <strong>in</strong>: KrAVS, Bestand Landratsamt Vill<strong>in</strong>gen, Nr. 2417.


196 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

dortigen Verhältnisse zu übertragen, diskutiert. Wenig später, im Juli 1946, trug<br />

Bienzeisler se<strong>in</strong>en „Erfahrungsbericht über das Jugendbildungswerk im Landkreis<br />

Vill<strong>in</strong>gen/Schw[arzwald]“ 768 anlässlich e<strong>in</strong>er Tagung des Jugendamtes Freiburg vor.<br />

Da Degliames überlokale Initiativen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichtsforschung bislang ke<strong>in</strong>e<br />

Beachtung fanden <strong>und</strong> darüber nur bruchstückhafte Informationen vorliegen, ersche<strong>in</strong>en<br />

allgeme<strong>in</strong>e Schlussfolgerungen <strong>in</strong> Ermangelung geeigneter Studien als verfrüht. So muss<br />

unter an<strong>der</strong>em die Fragen offen bleiben, <strong>in</strong>wieweit diese Ereignisse flächendeckend im<br />

Land bekannt waren. Innerhalb des Regierungsbezirks <strong>Konstanz</strong> fand, wie die hier<br />

aufgeführten Beispiele zeigen, jedoch nachweislich über die Kreisgrenzen h<strong>in</strong>weg e<strong>in</strong><br />

Informationsaustausch im H<strong>in</strong>blick auf die Gestaltung <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> statt. 769<br />

7.2 Anfangsphase <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> im Landkreis Überl<strong>in</strong>gen<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> für ganz Baden gültigen Vorgaben erfolgte <strong>der</strong> Aufbau <strong>der</strong> Jugendpflege im<br />

Kreis Überl<strong>in</strong>gen im Großen <strong>und</strong> Ganzen nach demselben Schema wie <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong><br />

an<strong>der</strong>en Kreisen. Dort wurden ebenfalls ab 1946 im ersten Schritt zunächst die ersten<br />

Ortsgruppen <strong>der</strong> Jugendorganisationen wie<strong>der</strong>gegründet, bevor im weiteren Verlauf<br />

zwischen 1946 <strong>und</strong> 1948 <strong>der</strong> Aufbau <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege erfolgte. In den<br />

Jahren 1947 bis 1949 wurden Jugendbildungswerke <strong>und</strong> Jugendhäuser e<strong>in</strong>gerichtet <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong> Kreisbeauftragter für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung beim Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen<br />

e<strong>in</strong>gestellt. 770 Außerdem fanden ab 1947 erste Jugendtreffen zwischen Franzosen <strong>und</strong><br />

Deutschen <strong>in</strong> Überl<strong>in</strong>gen statt.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs entwickelten sich die genannten Jugendprojekte je nach lokalen Gegebenheiten<br />

von Ort zu Ort unterschiedlich. Ähnlich wie es bereits am Beispiel des Landkreises<br />

<strong>Konstanz</strong> gezeigt werden konnte, bestand im Kreis Überl<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong> deutliches Stadt-Land-<br />

Gefälle, wenn es um die Schaffung von Jugende<strong>in</strong>richtungen g<strong>in</strong>g. Jugendhäuser <strong>und</strong><br />

Jugendbildungswerke gab es vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kreisstadt <strong>und</strong> den beiden Städten<br />

Pfullendorf <strong>und</strong> Meersburg. Dagegen kam <strong>der</strong> Aufbau <strong>der</strong> Jugendpflegee<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong><br />

den kle<strong>in</strong>eren Geme<strong>in</strong>den eher schleppend <strong>in</strong> Gang. Landrat Franz Illner (1945-1948)<br />

begründete diese strukturbed<strong>in</strong>gte <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht an das Innenm<strong>in</strong>isterium<br />

unter an<strong>der</strong>em mit H<strong>in</strong>weis auf die „nahezu re<strong>in</strong> katholische Zusammensetzung <strong>der</strong><br />

Bevölkerung“. 771 Diese führe dazu, dass sich die Jugend eher e<strong>in</strong>er konfessionellen<br />

Gruppierung anschließe, statt weltanschaulich neutrale Angebote zu beachten.<br />

768<br />

Jugendtagung am Dienstag, den 02.07.1946. Veranstalter Landrat <strong>und</strong> Jugendamt Freiburg i. Br.,<br />

Geme<strong>in</strong>desaal Mariahilf, Freiburg i. Br.; Programm im KrAVS, Bestand Landratsamt Vill<strong>in</strong>gen,<br />

Nr. 2417.<br />

769<br />

Bericht Roberts, Vill<strong>in</strong>gen, an General Schwartz, Freiburg, vom 28.02.1946, Exemplar im KrAFN,<br />

Bestand Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, ÜB-A 49a.<br />

770<br />

KrAFN, Bestand Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, ÜB-A 47g, 23d, 48a, 48b.<br />

771<br />

Bericht des Landrats an das Badische M<strong>in</strong>isterium des Innern, Abteilung Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung<br />

vom 12.11.1946; KrA FN, Bestand Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, ÜB-A 47g.


IV.8 RESÜMEE 197<br />

8 Resümee<br />

Die Darstellung <strong>der</strong> regionalen <strong>Entwicklung</strong> erlaubt es, die Entstehung jugendpflegerischer<br />

E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> den allgeme<strong>in</strong>en zeitlichen <strong>und</strong> <strong>in</strong>haltlichen<br />

<strong>Entwicklung</strong>sverlauf e<strong>in</strong>zuordnen <strong>und</strong> die Ergebnisse mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu vergleichen. Auch<br />

wenn die Datenbasis recht schmal ist <strong>und</strong> zahlreiche Fragen offen bleiben müssen, so<br />

lassen sich dennoch <strong>in</strong>sgesamt wichtige Erkenntnisse über die Situation <strong>während</strong> <strong>der</strong><br />

Aufbauphase <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> anhand <strong>der</strong> bisherigen Vergleichsstudien generieren. Die<br />

bislang gesichteten Quellen erlauben die Schlussfolgerung, dass <strong>Konstanz</strong> im Landesvergleich<br />

unter den südbadischen Kommunen, die nach dem Krieg Jugende<strong>in</strong>richtungen<br />

schufen, mit an erster Stelle war. Def<strong>in</strong>itiv war das <strong>Konstanz</strong>er „Heim <strong>der</strong> deutschen<br />

Jugend“ e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> frühesten E<strong>in</strong>richtungen dieser Art, die <strong>in</strong> Südbaden nach 1945<br />

gegründet wurden, sieht man von <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>entwicklung im Kreis Vill<strong>in</strong>gen ab. Diese<br />

beschleunigte <strong>Entwicklung</strong> ist Resultat des französischen Delegierten Degliame, <strong>der</strong> die<br />

Initiative zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt ergriff, noch bevor entsprechende Richtl<strong>in</strong>ien <strong>der</strong> Abteilung<br />

Jugendpflege beim Badischen M<strong>in</strong>isterium des Innern den Anstoß zur Gründung von<br />

Jugendhäusern gaben.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> führte <strong>Konstanz</strong>, was die Unterhaltung e<strong>in</strong>es Jugendhauses betraf,<br />

selbst vor größeren Städten wie Freiburg, dem Sitz <strong>der</strong> Landesregierung, wo erst im<br />

Oktober 1947 das Jugendhaus zusammen mit dem Jugendbildungswerk eröffnet wurde. 772<br />

In Baden-Baden, dem Sitz des französischen Oberkommandos <strong>und</strong> <strong>der</strong> zivilen Militärregierung,<br />

machte die Schaffung des Hauses <strong>der</strong> Jugend auf dem Karlsplatz noch Ende<br />

1947, wie es hieß, „nur wenig Fortschritte“ 773 . Ähnlich war die Situation <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Landkreisen des Landeskommissariats <strong>Konstanz</strong>. In Überl<strong>in</strong>gen wurde beispielsweise erst<br />

Anfang 1947 e<strong>in</strong> „Haus <strong>der</strong> Jugend“ im Obergeschoss des Gasthauses zum „Anker“<br />

e<strong>in</strong>gerichtet, <strong>während</strong> <strong>in</strong> Pfullendorf entsprechende Vorbereitungen immerh<strong>in</strong> im Gange<br />

waren. 774 In Radolfzell <strong>und</strong> S<strong>in</strong>gen, um weitere Beispiele zu nennen, erhielten die Jugendlichen<br />

sogar erst im Herbst 1948 eigene Räume. Das „Haus Ekkehard“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> S<strong>in</strong>gener<br />

Scheffelstraße wurde im Rahmen e<strong>in</strong>er Feierst<strong>und</strong>e im Beise<strong>in</strong> von Kreisgouverneur No!l,<br />

Bürgermeister Theopont Diez sowie e<strong>in</strong>es Vertreters des Landratsamts am 15. Oktober<br />

des genannten Jahres <strong>der</strong> Öffentlichkeit übergeben. 775 Für die dortige Jugend hatten diese<br />

Verzögerungen den Vorteil, dass die Ortsgruppen <strong>der</strong> Jugendverbände <strong>in</strong> die Vorberatungen<br />

e<strong>in</strong>bezogen wurden <strong>und</strong> sie über die Ausgestaltung „ihrer“ Räume mitbestimmen<br />

durfte. Dagegen erhielt die <strong>Konstanz</strong>er Jugend zwar frühzeitig Räume; sie hatte allerd<strong>in</strong>gs<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> „Ära Degliame“ ke<strong>in</strong>erlei Mitspracherecht, wenn es um die E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> Ausstattung<br />

des „Heims <strong>der</strong> deutschen Jugend“ vor Ort g<strong>in</strong>g. 776<br />

772<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 26.07.1948; StAK, S XII.<br />

773<br />

„Jugend-Bildungswerk. Werkblätter über das Schaffen <strong>der</strong> Jugend“, 1. Jg. Nr. 3/4, Dez. 1947, S. 3.<br />

774<br />

Schreiben des Landrats an das Badische M<strong>in</strong>isterium des Innern vom 23.01.1946. KrAFN, Bestand<br />

Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, ÜB-A 49a.<br />

775<br />

StAK, S II 12106.<br />

776<br />

Beim Besichtigungsterm<strong>in</strong> im April 1948 trugen Vertreter <strong>der</strong> Jugendorganisationen im Beise<strong>in</strong> von<br />

Bürgermeister <strong>und</strong> Stadtbaumeister ihre Wünsche vor; vgl. das Protokoll des Jugendausschusses für den<br />

Landkreis <strong>Konstanz</strong> vom 13.04.1948; StAK, S XII.


198 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

Trotz aller Härten hatte die rigide Vorgehensweise <strong>der</strong> französischen Behörde <strong>in</strong> allen<br />

Fragen, die das <strong>Konstanz</strong>er Jugendhaus betrafen, für die Jugend positive Effekte. Denn<br />

e<strong>in</strong>erseits besaß sie als Folge französischer Beharrlichkeit gegenüber <strong>der</strong> Stadtverwaltung<br />

bereits eigene Räumlichkeiten, lange bevor allgeme<strong>in</strong>e Richtl<strong>in</strong>ien den Geme<strong>in</strong>den <strong>der</strong>en<br />

E<strong>in</strong>richtung vorschrieben <strong>und</strong> damit bereits zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt, als Jugendhäuser sich <strong>in</strong><br />

den meisten an<strong>der</strong>en südbadischen Geme<strong>in</strong>den noch nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Planungsphase<br />

befanden. Zum an<strong>der</strong>en war das Jugendhaus <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> strengen französischen Auflagen<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> beiden Nachkriegsw<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> wenigen geheizten Orte, an denen sich die<br />

jungen <strong>Konstanz</strong>er nach <strong>der</strong> Schule wärmen <strong>und</strong> ihre Hausaufgaben machen konnten,<br />

<strong>während</strong> Schulen o<strong>der</strong> das Zuhause vielfach unbeheizt blieben.<br />

Betrachtet man den Bereich <strong>der</strong> Jugendbildung, so bestätigen sich diese Bef<strong>und</strong>e. 777<br />

Die nachstehende Auflistung macht deutlich, dass es Ende <strong>der</strong> 1940er-Jahre <strong>in</strong> vielen<br />

südbadischen Geme<strong>in</strong>den Jugendbildungswerke gab. Zugleich wird ersichtlich, dass<br />

Angebot <strong>und</strong> Teilnahme je nach Bevölkerungs- <strong>und</strong> Wirtschaftsstruktur <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Regionen deutlich variieren konnten.<br />

Kreise Geme<strong>in</strong>den mit Kursangeboten Teilnehmer<br />

<strong>Konstanz</strong>-Stadt 1 344<br />

<strong>Konstanz</strong>-Land 3 605<br />

Baden-Baden 1 419<br />

Bühl 6 5.106<br />

Donauesch<strong>in</strong>gen 1 21<br />

Emmend<strong>in</strong>gen 4 196<br />

Freiburg-Stadt 1 760<br />

Freiburg-Land 3 422<br />

Kehl 11 590<br />

Lahr 11 1.125<br />

Müllheim 5 270<br />

Offenburg 3 118<br />

Rastatt 2 294<br />

Stockach 4 496<br />

Überl<strong>in</strong>gen 3 481<br />

Vill<strong>in</strong>gen 3 471<br />

Wolfach 5 91<br />

777 StAK, S XII, Statistiken 041, 1947 ff.<br />

TABELLE 9: Jugendbildungswerke <strong>in</strong> Südbaden 1949


IV.8 RESÜMEE 199<br />

Das heißt: Der Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> gründete zwar im Lande Baden spätestens ab<br />

Frühjahr 1947 auf landese<strong>in</strong>heitlichen Regelungen. Je nach Wirtschaftsstruktur, Bevölkerungszusammensetzung<br />

<strong>und</strong> Regionalentwicklung konnte die <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />

Kreisen jedoch verschiedenartig verlaufen. Insbeson<strong>der</strong>e wurden die Strukturen von <strong>der</strong><br />

Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialstruktur e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de bee<strong>in</strong>flusst – je nachdem, ob es sich um<br />

e<strong>in</strong>e durch die Arbeiterschaft geprägte Stadt bzw. Geme<strong>in</strong>de wie S<strong>in</strong>gen/Htw. <strong>und</strong><br />

Rielas<strong>in</strong>gen o<strong>der</strong> um e<strong>in</strong>e von <strong>der</strong> bürgerlichen Mittelschicht geprägte Stadt wie <strong>Konstanz</strong><br />

handelte. Weitere Unterschiede fußten auf <strong>der</strong> Zusammensetzung <strong>der</strong> Bevölkerung <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Religionszugehörigkeit. Des Weiteren trugen Faktoren wie das Stadt-Land-Gefälle<br />

o<strong>der</strong> die Aufnahme von Neubürgern wesentlich zu strukturellen Unterschieden <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> bei. So kam die kommunale <strong>Jugendarbeit</strong> vorrangig <strong>in</strong> Städten zum Tragen,<br />

<strong>während</strong> die <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> ländlichen Geme<strong>in</strong>den, sofern sie überhaupt existierte,<br />

vorrangig durch die traditionelle Arbeit <strong>der</strong> katholischen Jugend geprägt war.<br />

Neben den wirtschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Aspekten ist die Rolle <strong>der</strong> Politik<br />

zu beachten. Der Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> kam vor allem <strong>in</strong> denjenigen Kreisgebieten<br />

voran, wo <strong>der</strong> politische Wille zur Umsetzung <strong>der</strong> Vorgaben aus Freiburg vorhanden war,<br />

wo genügend Helfer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Helfer organisiert werden konnten <strong>und</strong> die notwendigen<br />

f<strong>in</strong>anziellen Mittel durch die Kommunen bereitgestellt wurden. E<strong>in</strong>e gute Zusammenarbeit<br />

zwischen französischen <strong>und</strong> deutschen Behörden konnte <strong>in</strong> diesem Punkt för<strong>der</strong>lich<br />

wirken, wie am Beispiel Vill<strong>in</strong>gens gezeigt wurde. Sie sche<strong>in</strong>t aber nicht zw<strong>in</strong>gend nötig<br />

gewesen zu se<strong>in</strong>, wie anhand <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er <strong>Entwicklung</strong> <strong>während</strong> <strong>der</strong> Amtsperiode<br />

Degliames dargelegt wurde.<br />

Zudem kommt es bei <strong>der</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Vorgänge im Land e<strong>in</strong>erseits darauf an, <strong>in</strong><br />

welchem Zeitraum <strong>der</strong> Phase <strong>der</strong> Besatzung die e<strong>in</strong>zelnen Komponenten des demokratischen<br />

Wie<strong>der</strong>aufbaus durchgeführt wurden. An<strong>der</strong>erseits ist die Entstehungsgeschichte<br />

<strong>der</strong> französischen <strong>und</strong> deutschen Verwaltung im Zonengebiet zu beachten. So resultierte<br />

die Dezentralität, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit die Strukturen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> prägte, neben<br />

dem Sicherheitsgedanken hauptsächlich aus organisatorischen Gründen im Kontext des<br />

Aufbaus adm<strong>in</strong>istrativer Strukturen. Im Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> hatten die französischen<br />

Delegierten vor allem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Phase zwischen Ende 1945 bis Herbst 1947 größere<br />

Handlungsspielräume <strong>und</strong> Gestaltungsmöglichkeiten. Erst nach dem Aufbau französischer<br />

<strong>und</strong> deutscher Behördenstrukturen begann auf <strong>der</strong> Basis entsprechen<strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ien <strong>und</strong><br />

Durchführungsbestimmungen, die vom Innenm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Freiburg ausg<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong><br />

Prozess <strong>der</strong> zunehmenden Versachlichung auf dem Gebiet <strong>der</strong> Jugendpflege.<br />

Inwiefern die französischen Verantwortlichen selbst den Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> als<br />

gelungene Maßnahme im Rahmen <strong>der</strong> rééducation betrachteten, ist für den Raum<br />

<strong>Konstanz</strong> lei<strong>der</strong> nicht überliefert. E<strong>in</strong> Blick auf die Ereignisse im Kreis Tuttl<strong>in</strong>gen macht<br />

deutlich, dass auf Seiten <strong>der</strong> Franzosen neben e<strong>in</strong>er gewissen Zufriedenheit auch Skepsis<br />

h<strong>in</strong>sichtlich des Erreichten existierte, das im Übrigen durchaus selbstkritisch bewertet<br />

wurde. „Natürlich haben wir <strong>in</strong> allen Bereichen (Jugendvere<strong>in</strong>igungen, Jugendr<strong>in</strong>g,<br />

Volkshochschule, Sport) Wesentliches erreicht“, notierte beispielsweise <strong>der</strong> Kreis-


200 IV DER NEUBEGINN DER JUGENDARBEIT IN KONSTANZ (1945-1949)<br />

delegierte Julien Estrade 778 im September 1949 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Abschlussbericht. Zugleich<br />

bezweifelt er jedoch, dass „wir <strong>der</strong> Jugend auch e<strong>in</strong>e neue Denkart“ vermitteln konnten.<br />

Vielmehr standen aus se<strong>in</strong>er Sicht noch immer zahlreiche Jugendliche unter dem<br />

„unheilvollen E<strong>in</strong>fluß, <strong>der</strong> <strong>während</strong> des Naziregimes ausgeübt wurde.“<br />

Wie <strong>in</strong> den vorherigen Abschnitten gezeigt wurde, brachte die französische Jugendpolitik<br />

im besetzten deutschen Südwesten bei aller Problematik <strong>und</strong> aller Kritik durchaus<br />

spannende Resultate hervor. Denn auch wenn nicht <strong>in</strong> allen südbadischen Kreisen gleiche<br />

Ergebnisse auf dem Gebiet <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> erreicht wurden <strong>und</strong> letztlich nicht je<strong>der</strong> Plan<br />

<strong>in</strong> die Tat umgesetzt werden konnte, hätte wohl so manche Veranstaltung für Jugendliche<br />

nicht stattgef<strong>und</strong>en, wären <strong>in</strong>novative kommunale Jugende<strong>in</strong>richtungen wie das Jugendhaus<br />

o<strong>der</strong> das Jugendbildungswerk nicht frühzeitig gegründet worden. Die wichtigsten<br />

Hemmnisse wie dezentrale Strukturen, ungeklärte Kompetenzen, mangelnde f<strong>in</strong>anzielle<br />

Ausstattung <strong>und</strong> Personalmangel wurden ausführlich beschrieben.<br />

In den folgenden Untersuchungsteilen wird danach gefragt werden, welche E<strong>in</strong>richtungen<br />

<strong>und</strong> Projekte aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> direkten Besatzung im Bereich <strong>der</strong> außerschulischen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> unter den verän<strong>der</strong>ten politischen, gesellschaftlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen weiterh<strong>in</strong> Bestand hatten bzw. welche neuartigen E<strong>in</strong>flussfaktoren <strong>in</strong><br />

den 1950er- <strong>und</strong> frühen 1960er-Jahren auf Jugendliche e<strong>in</strong>wirkten <strong>und</strong> die Gestaltung <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> maßgeblich prägten.<br />

778 ESTRADE, Tuttl<strong>in</strong>gen April 1945-September 1949, S. 155.


V <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> westdeutschen Jugendhilfe (1949-1963)<br />

1 Neue Ansätze <strong>der</strong> französischen Besatzungspolitik<br />

– Von <strong>der</strong> Kontrollmacht zum Berater<br />

War die Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendverbandsarbeit <strong>während</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Phase <strong>der</strong><br />

Besatzung seit Frühjahr 1945 durch französische Zuständigkeiten geprägt, so bildete das<br />

Jahr 1949 <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>e wichtige Zäsur. In gleichem Maße wie sich Frankreich<br />

als Besatzungsmacht <strong>in</strong> Deutschland aus e<strong>in</strong>er Vielzahl gesellschaftspolitischer Arbeitsfel<strong>der</strong><br />

zurückzog, auf die es bis 1949 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Zonengebiet E<strong>in</strong>fluss genommen hatte,<br />

gewannen deutsche Stellen ihre Handlungsfreiheit unter an<strong>der</strong>em <strong>in</strong> den Bereichen Kultus<br />

<strong>und</strong> Jugend zurück. Speziell im Bereich des deutschen Bildungs- <strong>und</strong> Erziehungswesens<br />

verzichtete Frankreich fortan auf e<strong>in</strong>e direkte E<strong>in</strong>flussnahme. Auf dem Gebiet <strong>der</strong> außerschulischen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> wandelte sich die Rolle Frankreichs von <strong>der</strong> Kontroll- <strong>und</strong><br />

Ordnungsmacht h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er beratenden Funktion. Die geschil<strong>der</strong>te <strong>Entwicklung</strong> erfolgte<br />

<strong>in</strong> mehreren Etappen, auf die im Folgenden näher e<strong>in</strong>zugehen ist.<br />

Als das Besatzungsstatut, auf das sich die Außenm<strong>in</strong>ister <strong>der</strong> drei Westmächte im<br />

April 1949 <strong>in</strong> Wash<strong>in</strong>gton gee<strong>in</strong>igt hatten, am 21. September 1949 <strong>in</strong> Kraft trat, g<strong>in</strong>g die<br />

Besatzungszeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue Phase über. Das Abkommen regelte die Rechte <strong>der</strong> Besatzungsmächte<br />

neu <strong>und</strong> brachte für die Bevölkerung <strong>und</strong> Verwaltungen e<strong>in</strong>e ganze Reihe<br />

von Vere<strong>in</strong>fachungen im Besatzungsalltag mit sich. Zur obersten Kontrollbehörde <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>esrepublik wurde seither die neu gebildete Alliierte Hohe Kommission mit Hauptsitz<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> erhoben, <strong>während</strong> die Zonen- <strong>und</strong> Landesmilitärregierungen aufgelöst wurden.<br />

Diese <strong>Entwicklung</strong> brachte neue Gestaltungsmöglichkeiten <strong>und</strong> erweiterte Handlungsspielräume<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> mit sich.<br />

Das Besatzungsstatut stand am Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er Reihe weiterer <strong>in</strong>ternationaler Abkommen,<br />

die dazu führten, dass Westdeutschland <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> Europas allmählich<br />

wie<strong>der</strong> als gleichberechtigter Partner angesehen wurde. So wurde die Bildungs- <strong>und</strong><br />

Jugendpolitik <strong>in</strong> gleichem Maße, wie die B<strong>und</strong>esrepublik wie<strong>der</strong> die volle Souveränität<br />

über alle <strong>in</strong>neren Angelegenheiten erhielt, seither durch die deutsche Politik <strong>und</strong> Rechtsprechung<br />

geprägt. Die jugendpolitische <strong>Entwicklung</strong> wurde darüber h<strong>in</strong>aus vermehrt<br />

durch Län<strong>der</strong>rechte sowie durch kommunale Regelungen geformt.<br />

Den entscheidenden Wendepunkt <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> Besatzungsgeschichte<br />

bildeten die im Herbst 1954 geschlossenen Pariser Verträge zwischen Deutschland <strong>und</strong><br />

se<strong>in</strong>en ehemaligen westlichen Kriegsgegnern, wodurch das Besatzungsstatut aufgehoben<br />

wurde. Durch die Unterzeichnung des Vertragswerks erhielt die B<strong>und</strong>esrepublik die volle<br />

Hoheitsgewalt über alle <strong>in</strong>neren <strong>und</strong> äußeren politischen Angelegenheiten zurück. 779<br />

Per Zusatzprotokoll zum „Brüsseler Vertrag“ wurde die B<strong>und</strong>esrepublik im weiteren<br />

779 Zitiert nach dem Bericht im SÜDKURIER über die Ratifizierung <strong>der</strong> „Pariser Verträge“; SÜDKURIER vom<br />

25.10.1954.


202 V DIE ENTWICKLUNG DER WESTDEUTSCHEN JUGENDHILFE (1949-1963)<br />

Schritt <strong>in</strong> die „Brüsseler Union“ als Vorläuferorganisation <strong>der</strong> NATO aufgenommen. 780<br />

Als das Vertragswerk im Mai 1955 <strong>in</strong> Kraft trat, wurde <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong> Schlussstrich<br />

unter die r<strong>und</strong> zehnjährige Besatzung gezogen. Im Zuge dieser <strong>Entwicklung</strong> wurden unter<br />

an<strong>der</strong>em die französische Bezirksdelegation <strong>Konstanz</strong> aufgelöst, <strong>der</strong> letzte Kreisdelegierte<br />

Ruby <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Mitarbeiterstab abberufen <strong>und</strong> die restlichen noch von den Franzosen<br />

genutzten Gebäude geräumt; e<strong>in</strong>zig die Garnison verblieb bis 1978 <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. 781<br />

Damit e<strong>in</strong>her g<strong>in</strong>gen organisatorische <strong>und</strong> konzeptionelle Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong> französischen Besatzungsverwaltung, die auch die Jugendpolitik bee<strong>in</strong>flussten. Beson<strong>der</strong>s<br />

von Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen war die Erziehungsbehörde <strong>der</strong> Militärregierung<br />

<strong>in</strong> Baden-Baden, die ihren direkten E<strong>in</strong>fluss auf die Gestaltung <strong>der</strong> Kultur-,<br />

Schul- <strong>und</strong> Jugendpolitik im Zonengebiet verlor. Es folgte die Auflösung von Abteilungen<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong> massiver Personalabbau. Die Abteilung für öffentliche Bildung wandelte sich zur<br />

Generaldirektion für kulturelle Angelegenheiten. Das vormalige „Büro für Jugend- <strong>und</strong><br />

Volksbildung“ wurde zum „Amt für Internationale Begegnungen“ <strong>und</strong> kümmerte sich<br />

seither vorrangig um die Organisation <strong>und</strong> Gestaltung <strong>in</strong>ternationaler Jugendtreffen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

französischen Zone. 782<br />

Gleichzeitig wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Hohen Kommission bis 1955 viele französische<br />

Son<strong>der</strong>wege <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bildungspolitik aufgegeben <strong>und</strong> stattdessen vermehrt amerikanische<br />

Konzeptionen adaptiert. 783 So wurden beispielsweise nach amerikanisch-britischem Vorbild<br />

auf Län<strong>der</strong>ebene Erziehungskommissionen, die sich je zur Hälfte aus Mitarbeitern <strong>der</strong><br />

Besatzungsmacht <strong>und</strong> <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>regierungen zusammensetzten, e<strong>in</strong>gerichtet. 784<br />

1.1 Blütezeit <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Jugendtreffen<br />

Während die französischen Reformen im Bereich <strong>der</strong> Schul- <strong>und</strong> Bildungspolitik weitestgehend<br />

rückgängig gemacht wurden, begannen sich viele Projekte im außerschulischen<br />

<strong>und</strong> jugendkulturellen Bereich, die <strong>in</strong> unmittelbarer Besatzungszeit nicht o<strong>der</strong> lediglich<br />

unter größeren Auflagen realisiert werden konnten, nach 1949 zu entfalten. Diese Aussage<br />

trifft vor allem auf die <strong>in</strong>ternationalen Jugendtreffen zu. Zwar wurden Jugendtreffen, wie<br />

an früherer Stelle <strong>der</strong> Arbeit dargelegt wurde 785 , vonseiten <strong>der</strong> Militärregierung bereits<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Besatzungszeit zugelassen, doch erst <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />

entwickelten sie sich zu wirklichen <strong>in</strong>ternationalen Begegnungen junger Menschen auf<br />

freiwilliger Basis, sodass diese Ausdrucksform von <strong>Jugendarbeit</strong> somit geradezu als symp-<br />

780 In <strong>der</strong> Neufassung des Generalvertrags; SÜDKURIER vom 26.05.1952.<br />

781 SÜDKURIER vom 29./30.04.1955; zu den Auswirkungen <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Besatzungssituation sowie <strong>der</strong><br />

Auflösung <strong>der</strong> Bezirksdelegation vgl. BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung,<br />

S. 271-272.<br />

782 MOREAU, <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong> Volksbildung, <strong>in</strong>: VAILLANT (Hg.), Kulturpolitik, S. 28.<br />

783 Erläuterungen zur Vere<strong>in</strong>fachung <strong>der</strong> französischen Militärregierung; vgl. dazu den Bericht im<br />

SÜDKURIER vom 02./03.07.1949.<br />

784 ZAUNER, Kulturmission, S. 137.<br />

785 Vgl. hierzu Kap. IV.5.2.


V.1 NEUE ANSÄTZE DER FRANZÖSISCHEN BESATZUNGSPOLITIK 203<br />

tomatisch für den neuen „Geist“ <strong>der</strong> deutsch-französischen Beziehungen <strong>während</strong> <strong>der</strong><br />

zweiten Phase <strong>der</strong> Besatzungszeit bezeichnet werden kann.<br />

Zu wichtigen Botschaftern <strong>der</strong> deutsch-französischen Verständigung entwickelten sich<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Schulen. Nach den ersten deutsch-französischen Schülertreffen am<br />

französischen Collège <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> ab den späten 1940er-Jahren öffnete sich beispielsweise<br />

die französische Schule im Jahr 1950 für deutsche Schüler. Im außerschulischen<br />

Jugendsektor wurden <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Austauschprogramme <strong>in</strong>tensiviert. Unter den Trägern<br />

firmierten <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> die beiden großen Kirchen, die Jugendverbände, das Jugendbildungswerk<br />

<strong>und</strong> das „Internationale Institut Schloss Ma<strong>in</strong>au“. Letzteres hatte se<strong>in</strong>e<br />

eigene Klientel <strong>und</strong> führte se<strong>in</strong>e Veranstaltungen weitestgehend außerhalb <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> durch. Es gab jedoch durchaus e<strong>in</strong>ige Berührungspunkte. So trafen aus Anlass<br />

e<strong>in</strong>es „Abends <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Begegnung“, den das Stadtjugendamt zusammen<br />

mit dem Volks- <strong>und</strong> Jugendbildungswerk im Saal des „St. Johann“ veranstaltete, Jugendliche<br />

aus <strong>Konstanz</strong> mit Jugendlichen aus Wales sowie e<strong>in</strong>er Gruppe von Gästen des<br />

Internationalen Instituts Schloss Ma<strong>in</strong>au, die sich aus jungen Franzosen, Englän<strong>der</strong>n,<br />

Nie<strong>der</strong>län<strong>der</strong>n, Afrikanern <strong>und</strong> In<strong>der</strong>n zusammensetzten, zusammen. 786 Auf überregionaler<br />

Ebene nahm das „Institut für <strong>in</strong>ternationale Begegnungen“ mit Sitz <strong>in</strong> Freiburg unter<br />

<strong>der</strong> Leitung des dortigen Volkshochschulleiters Riemensperger <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

bei <strong>der</strong> Durchführung <strong>und</strong> Planung <strong>der</strong> Jugendtreffen <strong>in</strong> Südbaden e<strong>in</strong>e fe<strong>der</strong>führende<br />

Rolle e<strong>in</strong>.<br />

Nach ersten Anfängen um 1947 erlebten die auf <strong>in</strong>ternationaler Ebene durchgeführten<br />

Jugendtreffen bed<strong>in</strong>gt durch den Wegfall besatzungspolitischer Beschränkungen e<strong>in</strong>en<br />

enormen Aufschwung, <strong>der</strong> mit Blick auf die Anzahl <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelveranstaltungen <strong>und</strong> die<br />

Besucherzahlen schon alle<strong>in</strong> re<strong>in</strong> quantitativ dokumentiert werden kann. So war <strong>Konstanz</strong><br />

im Jahr 1950 Station e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>ternationalen Jugendtreffens, welches das Freiburger Institut<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit <strong>der</strong> Association française pour les rencontres culturelles<br />

<strong>in</strong>ternationales <strong>in</strong> Paris für <strong>in</strong>ternationale Begegnungen landesweit <strong>in</strong>itiierte. Dabei kamen<br />

r<strong>und</strong> 70 junge Menschen verschiedener Nationalitäten zusammen, um sich Aktivitäten wie<br />

dem Theaterspiel o<strong>der</strong> dem Wassersport zu widmen. Bei Staad wurde für die Wassersportgruppe<br />

e<strong>in</strong> großes Zeltlager errichtet. Neben „Muse <strong>und</strong> Sport“ wurde den jungen<br />

Menschen dort –wie es <strong>in</strong> Pressemeldungen heißt – bewusst die Gelegenheit zur<br />

„Verständigung von Mensch zu Mensch“ 787 geboten. Die weitere <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen<br />

Jugendtreffen war <strong>in</strong> den fortgeschrittenen 1950er-Jahren dadurch gekennzeichnet,<br />

dass sich <strong>der</strong> Kreis <strong>der</strong> Veranstaltungen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Anbieter von Jugendtreffen allmählich<br />

auszuweiten begann. Zu den erwähnten Treffen des Freiburger Instituts kamen <strong>in</strong> den<br />

1950er-Jahren weitere Veranstalter <strong>in</strong>ternationaler Begegnungen h<strong>in</strong>zu. Vom 19. Juli bis<br />

4. August 1950 fand <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> mit r<strong>und</strong> 300 Teilnehmern aus 20 Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> 3. Internationale<br />

Esperanto-Jugendkongress statt. Veranstalter war das Orts-Komitee <strong>der</strong><br />

Esperanto-Weltjugendorganisation unter <strong>der</strong> Leitung von Michel Schmidt. 788 Im Juli 1951<br />

786 SÜDKURIER vom 10.08.1957.<br />

787 SÜDKURIER vom 12.08.1950.<br />

788 SÜDKURIER vom 01.06, 29.07, 01. 08. <strong>und</strong> 03.08.1950.


204 V DIE ENTWICKLUNG DER WESTDEUTSCHEN JUGENDHILFE (1949-1963)<br />

weilte <strong>der</strong> französische Schülerchor Chorale Mixte des Lycées d’Annecy <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. Aus<br />

diesem Treffen ergab sich wenig später die erste große Auslandsfahrt des<br />

Jugendbildungswerks nach Annecy. 789 Im November 1953 kam es auf Initiative e<strong>in</strong>es<br />

Züricher Privatmanns, Ernst Kägi, zu e<strong>in</strong>em ersten b<strong>in</strong>ationalen Treffen auf deutschem<br />

Boden zwischen r<strong>und</strong> 40 evangelischen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen im Alter von zehn bis<br />

14 Jahren. Die Teilnehmer stammten aus Zürich <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>. Als „Hauptattraktion“<br />

nahm Elsbeth Siegm<strong>und</strong> aus Zürich, die Hauptdarsteller<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> damals aktuellen<br />

Verfilmung des Heidi-Romans von Johanna Spyri, teil. Vorausgegangen waren e<strong>in</strong><br />

Briefaustauschprogramm <strong>und</strong> e<strong>in</strong> erstes Treffen <strong>in</strong> Zürich im Frühjahr desselben Jahres.<br />

Die Treffen fanden fortan <strong>in</strong> Zürich <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong> halbjährlich im Wechsel statt. 790 Im<br />

August 1957 weilte e<strong>in</strong>e Gruppe junger Menschen aus Wales im Rahmen des Jugendaustauschs<br />

zwischen <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> Montgomeryshire vor Ort. 791 Vom 3. bis 12. August 1959<br />

veranstaltete die „Fraternitas“ e<strong>in</strong> mehrtägiges <strong>in</strong>ternationales Jugendtreffen <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung mit dem Stadtjugendamt <strong>und</strong> <strong>der</strong> städtischen Jugendpflege. Diese private,<br />

politisch unabhängige Organisation mit Sitz <strong>in</strong> Genf, die zu diesem Zeitpunkt bereits<br />

mehrere Treffen <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en europäischen Städten durchgeführt hatte, wurde <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

durch Staatsanwalt Georg Otto repräsentiert. Gemäß <strong>der</strong> Zielsetzung <strong>der</strong> Organisation, die<br />

sich um Verständigung <strong>und</strong> Zusammenarbeit zwischen den Völkern bemühte, sollten <strong>in</strong><br />

Referaten <strong>und</strong> Diskussionen die Beziehungen Deutschlands zu den Völkern Asiens <strong>und</strong><br />

Afrikas erörtert werden. Der Teilnehmerkreis umfasste r<strong>und</strong> 150 junge Erwachsene im<br />

Alter zwischen 18 <strong>und</strong> 25 Jahren aus mehreren europäischen, afrikanischen <strong>und</strong> asiatischen<br />

Nationen, wobei es sich vorwiegend um Teilnehmer, die <strong>in</strong> Deutschland studierten,<br />

handelte. 792 Im August 1959 <strong>in</strong>itiierte das Jugendbildungswerk im Rahmen se<strong>in</strong>es<br />

Sommerprogramms den vermutlich ersten Jugendaustausch zwischen <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

französischen „Schwesternstadt“, <strong>der</strong> späteren Partnerschaftsgeme<strong>in</strong>de „Fonta<strong>in</strong>ebleau“<br />

(ab 1961). 793 Diese Auflistung ist ke<strong>in</strong>eswegs vollständig, sie vermittelt dennoch e<strong>in</strong>en<br />

E<strong>in</strong>druck von <strong>der</strong> damals neuartigen Vielgestaltigkeit, die die <strong>in</strong>ternationalen Jugendtreffen<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> 1950er-Jahre <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> erreichten.<br />

Die lokalgeschichtliche <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> Jugendtreffen korrespondiert mit den überregionalen<br />

Verläufen <strong>in</strong> den Län<strong>der</strong>n, die ehemals zur französischen Zone gehörten. So<br />

entwickelte das <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z ansässige „Amt für Internationale Begegnungen” zahlreiche<br />

Aktivitäten <strong>und</strong> Programme, um deutsche <strong>und</strong> französische Jugendliche zusammenzubr<strong>in</strong>gen.<br />

E<strong>in</strong>en Höhepunkt bildeten die <strong>in</strong>ternationalen Jugendtreffen vom 20. Juli<br />

bis 6. September 1951, bei denen <strong>in</strong>sgesamt 30.000 junge Menschen aus 15 Län<strong>der</strong>n<br />

jeweils für zehn Tage auf dem Loreley-Felsen zusammenkamen <strong>und</strong> zudem wegweisende<br />

Schritte für den weiteren Ausbau <strong>der</strong> Begegnungsprogramme getroffen wurden. Das<br />

Treffen auf <strong>der</strong> Loreley bereitete zudem nicht zuletzt den Weg für das am 5. Juli 1963<br />

unterzeichnete Abkommen über das Deutsch-Französische Jugendwerk vor.<br />

789 SÜDKURIER vom 21.07.1951.<br />

790 SÜDKURIER vom 17.11.1953.<br />

791 SÜDKURIER vom 10.08.1957.<br />

792 SÜDKURIER vom 20.05. <strong>und</strong> 01.08.1957.<br />

793 SÜDKURIER vom 19.08.1959.


V.1 NEUE ANSÄTZE DER FRANZÖSISCHEN BESATZUNGSPOLITIK 205<br />

Neben <strong>der</strong> re<strong>in</strong> zahlenmäßigen Zunahme an Veranstaltungen zeichneten sich die<br />

Treffen ab 1950 an<strong>der</strong>erseits durch e<strong>in</strong>e verän<strong>der</strong>te Beschaffenheit aus, <strong>in</strong>dem sie zunehmend<br />

<strong>in</strong>ternationaler <strong>und</strong> offener wurden. Handelte es sich bei den Jugendtreffen, die <strong>in</strong><br />

den späten 1940er-Jahren <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> durchgeführt wurden, vorwiegend um b<strong>in</strong>ationale<br />

Treffen unter Studenten, war <strong>der</strong> Teilnehmerkreis <strong>der</strong> späteren Treffen sowohl was die<br />

nationale als auch die schichtspezifischen Zusammensetzung betraf, fortan bunt gemischt.<br />

Zudem beschränkte sich das Rahmenprogramm nicht mehr auf geistesgeschichtliche <strong>und</strong><br />

weltpolitische Themen, son<strong>der</strong>n bot darüber h<strong>in</strong>aus viel Zeit zum Reden o<strong>der</strong> für<br />

Freizeitaktivitäten. E<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dendes Element stellte vor allem <strong>der</strong> Sport dar. So trafen<br />

etwa <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> Annecy französische <strong>und</strong> deutsche Wassersportler zusammen,<br />

<strong>während</strong> sich im Schwarzwald, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Normandie <strong>und</strong> <strong>in</strong> den französischen Alpen<br />

Alp<strong>in</strong>isten <strong>und</strong> Radsportler bei<strong>der</strong> Nationalitäten geme<strong>in</strong>sam sportlich betätigten.<br />

1.2 Ausdrucksformen französischer Kulturpolitik <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong>en Schnittstellen zur <strong>Jugendarbeit</strong> – Europa-Haus <strong>und</strong> Deutsch-<br />

Französische Vere<strong>in</strong>igung <strong>Konstanz</strong> (DFV)<br />

Die französische Jugendpolitik wies <strong>während</strong> <strong>der</strong> zweiten Phase <strong>der</strong> Besatzung weiterh<strong>in</strong><br />

Strukturähnlichkeiten zur allgeme<strong>in</strong>en Kulturpolitik auf. Analog zur <strong>Jugendarbeit</strong> bekam<br />

auch die Kulturarbeit <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen neue<br />

Impulse. Beispielhaft seien an dieser Stelle zwei herausragende lokal- <strong>und</strong> kulturpolitisch<br />

<strong>in</strong>teressante Konzepte genannt, die Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre <strong>in</strong>s Leben gerufen wurde.<br />

Dabei handelt es sich zum e<strong>in</strong>en um die Deutsch-Französische Vere<strong>in</strong>igung (DFV)<br />

<strong>Konstanz</strong>, zum an<strong>der</strong>en um das Europa-Haus. 794 Beide Projekte s<strong>in</strong>d Ausdruck des Wandels<br />

<strong>der</strong> französischen Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland <strong>während</strong> <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Hohen Kommission.<br />

Zugleich stehen sie paradigmatisch für e<strong>in</strong>e neue Qualität <strong>der</strong> deutsch-französischen<br />

Beziehungen, die auf die För<strong>der</strong>ung von Kunst, Kultur, Konzertveranstaltungen<br />

sowie die deutsch-französische Verständigung zielte <strong>und</strong> durch e<strong>in</strong> Mehr an Offenheit,<br />

Kooperationsbereitschaft, Freiheit <strong>und</strong> gleichberechtigtes Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> geprägt wurde.<br />

Die Gründung <strong>der</strong> DFV <strong>Konstanz</strong> erfolgte im Jahr 1950 auf maßgebliche Initiative<br />

André Noëls nach dem Vorbild ähnlicher E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> Frankreich <strong>und</strong> e<strong>in</strong>igen<br />

deutschen Großstädten wie zum Beispiel <strong>in</strong> Frankfurt, Hannover, Ma<strong>in</strong>z <strong>und</strong> Dortm<strong>und</strong>.<br />

Der Bezirksdelegierte charakterisierte die Vere<strong>in</strong>igung im Gründungsjahr als „e<strong>in</strong>en losen<br />

B<strong>und</strong> des guten Willens <strong>und</strong> des persönlichen Sichkennenlernens“. 795 Bereits im ersten<br />

Jahr ihres Bestehens gehörten <strong>der</strong> DFV <strong>Konstanz</strong> über 700 Mitglie<strong>der</strong> an. 796 Der Vere<strong>in</strong><br />

stand allen Interessierten aller Altersklassen <strong>und</strong> Bevölkerungsschichten offen, die sich für<br />

794 Zur Gründungsgeschichte <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong> des Europa-Hauses sowie <strong>der</strong> DFV <strong>Konstanz</strong> vgl.<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 272-275 (Europa-Haus); S. 276-278<br />

(DFV <strong>Konstanz</strong>). Kurzform: SEUFFERT, <strong>Konstanz</strong>, S. 252.<br />

795 Vgl. dazu den Bericht „Im Zeichen <strong>der</strong> Verständigung“ über die geplante Gründung des Europa-Hauses<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> DFV <strong>Konstanz</strong>; SÜDKURIER vom 19.01.1950.<br />

796 SÜDKURIER vom 09.01.1951.


206 V DIE ENTWICKLUNG DER WESTDEUTSCHEN JUGENDHILFE (1949-1963)<br />

den Europa-Gedanken engagieren wollten. Diesem Zweck dienten zahlreiche kulturelle,<br />

literarische sowie künstlerische <strong>und</strong> wissenschaftliche Veranstaltungen <strong>und</strong> Vorträge. Die<br />

DFV bot darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e Plattform, um sich mit Jugendfragen <strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong><br />

Frankreich ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen. So lud man im März 1954 den Herausgeber <strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

Offenburg ersche<strong>in</strong>enden deutsch-französischen Zeitschrift Dokumente – Documents,<br />

François Bourel, e<strong>in</strong>, um über die Situation <strong>und</strong> die Probleme <strong>der</strong> jungen Generation <strong>in</strong><br />

Frankreich zu referieren. 797<br />

E<strong>in</strong>en weiteren beson<strong>der</strong>en kulturpolitischen Akzent setzte Noël mit se<strong>in</strong>er Europa-<br />

Haus-Initiative. Die von ihm angeregten Räume <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ma<strong>in</strong>austraße 29 entwickelten sich<br />

bald zu e<strong>in</strong>er Stätte <strong>der</strong> Begegnung <strong>der</strong> Kulturen. Der kulturelle Auftrag des Hauses war<br />

äußerst vielgestaltig. Es war zugleich Kunsthalle, Konzerthaus <strong>und</strong> Vortragssaal <strong>und</strong> stand<br />

vielen kulturellen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> sportlichen Gruppierungen aller Nationen offen.<br />

So beherbergte es unter an<strong>der</strong>em den deutsch-französischen Bridge-Club <strong>und</strong> den<br />

Lyceum-Club <strong>Konstanz</strong> sowie die DFV <strong>Konstanz</strong>. Parallel dazu bot das Europa-Haus e<strong>in</strong><br />

Forum für e<strong>in</strong>e Vielzahl kultureller <strong>und</strong> politischer Veranstaltungen o<strong>der</strong> diente als<br />

Festsaal für Fastnachtsveranstaltungen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e gesellige Treffen. Dabei wäre das<br />

Haus, so BURCHARDT, „ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e Stätte platter Frankreich-Verehrung“ gewesen,<br />

vielmehr hätte es häufig auch als „Schauplatz überaus heftiger deutsch-französischer<br />

Diskussionen“ fungiert 798 . Während die DFV <strong>Konstanz</strong> bis <strong>in</strong> die Gegenwart Bestand<br />

hat 799 , musste das Europa-Haus jedoch ungeachtet se<strong>in</strong>es hohen Ansehens, das diese<br />

Kulture<strong>in</strong>richtung sowohl auf regionaler als auch auf überregionaler Ebene genoss,<br />

aufgr<strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzieller Schwierigkeiten Ende 1954 aufgegeben werden.<br />

2 Jugendhilfe im Spiegel gesetzlicher Vorgaben<br />

Wie dies bereits im vorherigen Untersuchungsteil mit Blick auf die Situation <strong>der</strong> Jahre<br />

1945 bis 1949 <strong>der</strong> Fall war, ist im Folgenden auf die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> gesetzlichen,<br />

politischen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, denen die lokale <strong>Jugendarbeit</strong><br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>jahre <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik unterworfen war, e<strong>in</strong>zugehen. Dabei<br />

s<strong>in</strong>d neben wirtschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftlich-kulturellen Prozessen politisch-rechtliche<br />

Neuerungen zu berücksichtigen. Maßgeblichen E<strong>in</strong>fluss hatte vor allem die Neuregelung<br />

des Jugendhilferechts <strong>in</strong> <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik im Jahr 1953. Aus diesem Gr<strong>und</strong> werden <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em ersten Schritt die Gr<strong>und</strong>züge <strong>der</strong> neuen westdeutschen Jugendhilfe im Beobachtungszeitraum<br />

beschrieben, bevor daran anschließend darauf e<strong>in</strong>gegangen wird, wie diese<br />

Neuerungen auf die örtliche <strong>Jugendarbeit</strong> ausstrahlten. Den genannten Faktoren<br />

h<strong>in</strong>zuzurechnen s<strong>in</strong>d zudem Neuerungen im Bereich des Jugendstrafrechts, beim Jugendschutz,<br />

bei <strong>der</strong> Sozialhilfe sowie auf dem Gebiet des Arbeitsrechts. In diesem Kontext s<strong>in</strong>d<br />

folgende Fragen relevant: Wie verän<strong>der</strong>te sich die örtliche <strong>Jugendarbeit</strong> vor dem H<strong>in</strong>ter-<br />

797 SÜDKURIER vom 11.03.1954.<br />

798 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 275.<br />

799 SEUFFERT, <strong>Konstanz</strong>, S. 252.


V.2 JUGENDHILFE IM SPIEGEL GESETZLICHER VORGABEN 207<br />

gr<strong>und</strong> neuer Gesetze <strong>in</strong> den Bereichen Jugendhilfe <strong>und</strong> Jugendschutz im Verlauf <strong>der</strong><br />

1950er-Jahre? Welche Mittel wendete <strong>der</strong> Gesetzgeber an, um erzieherisch auf die Jugend<br />

e<strong>in</strong>zuwirken <strong>und</strong> ihre Integration <strong>in</strong> die Gesellschaft zu för<strong>der</strong>n?<br />

2.1 Gr<strong>und</strong>züge des deutschen Jugendhilferechts von den Anfängen<br />

bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs<br />

Jugendhilfe als Oberbegriff von Jugendfürsorge <strong>und</strong> Jugendpflege lässt sich nach <strong>der</strong><br />

Def<strong>in</strong>ition von SUDMANN 800 als komplexes System an gesellschaftlichen Leistungen,<br />

Diensten <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen def<strong>in</strong>ieren. Es steht K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen außerhalb von<br />

Elternhaus, Schule <strong>und</strong> Betrieb zur Verfügung <strong>und</strong> dient <strong>der</strong> Verbesserung ihrer Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

sowie ihrer <strong>in</strong>dividuellen <strong>und</strong> sozialen <strong>Entwicklung</strong>. Dieses gegenwärtige<br />

Verständnis von Jugendhilfe hat sich historisch besehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts herausgebildet. Noch vor dem Ersten Weltkrieg <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weimarer<br />

Republik wurde zwischen Jugendbewegungen <strong>und</strong> jugendpflegerischer Fürsorge klar<br />

unterschieden, wobei <strong>der</strong> jugendpolitische Schwerpunkt hauptsächlich im Fürsorgebereich<br />

angesiedelt war, <strong>während</strong> präventive Maßnahmen bis nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> kaum <strong>in</strong>s Gewicht fielen. Vielmehr zielte die Mehrzahl <strong>der</strong><br />

politischen Maßnahmen für K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche auf die L<strong>in</strong><strong>der</strong>ung akuter Notlagen<br />

<strong>und</strong> konzentrierte sich auf bestimmte soziale Gruppen wie etwa Waisen, Arbeiterk<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />

jugendliche Industriearbeiter o<strong>der</strong> Handwerksgesellen.<br />

Mit dem Inkrafttreten des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes von 1922 wurde zwar<br />

erstmals e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches deutsches Jugendrecht geschaffen <strong>und</strong> dem Staat die Mitverantwortung<br />

für die Erziehung <strong>der</strong> jungen Generation übertragen, jugendpflegerische Maßnahmen<br />

blieben aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>anznot <strong>der</strong> 1920er-Jahre jedoch rudimentär.<br />

Ab 1932 entband das Ermächtigungsgesetz die Jugendämter von ihrer Durchführungspflicht,<br />

bevor, wie schon an früherer Stelle <strong>der</strong> Arbeit dokumentiert wurde, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit von<br />

1933 bis 1945 die Jugendhilfe schließlich, analog zu an<strong>der</strong>en politischen Arbeitsfel<strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> Gesellschaftsaufgaben, ganz <strong>der</strong> nationalsozialistischen Weltanschauung <strong>und</strong> Politik<br />

untergeordnet wurde. 801<br />

2.2 Jugendhilfe zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Gründung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren Maßnahmen im Bereich <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

zunächst den konzeptionellen Vorgaben <strong>der</strong> Alliierten unterworfen. Für sie war <strong>in</strong> unmittelbarer<br />

Besatzungszeit die Jugendpolitik e<strong>in</strong> bedeutsames Mittel, die im Potsdamer<br />

Abkommen manifestierte For<strong>der</strong>ung nach e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Demokratisierung <strong>der</strong><br />

800 SUDMANN, Jugendpolitik, <strong>in</strong>: WOLLENWEBER (Hg.), Jugendbildung <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 75-93.<br />

801 Vgl. hierzu Kap. II.2.3.


208 V DIE ENTWICKLUNG DER WESTDEUTSCHEN JUGENDHILFE (1949-1963)<br />

deutschen Bevölkerung weiter voranzubr<strong>in</strong>gen. Diese Zielsetzung wurde später von den<br />

Politikern <strong>der</strong> jungen B<strong>und</strong>esrepublik adaptiert <strong>und</strong> weitergeführt. Als Höhepunkt <strong>und</strong><br />

Signal dieser <strong>Entwicklung</strong> kann die Rede, die <strong>der</strong> erste B<strong>und</strong>espräsident <strong>der</strong> BRD,<br />

Theodor Heuss, unmittelbar nach se<strong>in</strong>em Amtsantritt am 25. September 1949 anlässlich<br />

<strong>der</strong> ersten „B<strong>und</strong>esfeier <strong>der</strong> deutschen Jugend <strong>und</strong> des deutschen Sports“ <strong>in</strong> Bonn an die<br />

Jugend richtete, gewertet werden. Dar<strong>in</strong> rief er das Ende <strong>der</strong> nationalsozialistischen Parole<br />

von <strong>der</strong> „deutschen Staatsjugend“ 802 aus <strong>und</strong> er<strong>in</strong>nerte Eltern <strong>und</strong> Erzieher an ihren Erziehungsauftrag.<br />

Die Äußerungen des B<strong>und</strong>espräsidenten wurden damals von vielen Zeitgenossen<br />

als richtungsweisend empf<strong>und</strong>en, weil sie deutlich machten, dass Westdeutschland<br />

künftig auch auf dem Gebiet <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Demokratie verwurzelt se<strong>in</strong> sollte.<br />

Die beson<strong>der</strong>e Bedeutung se<strong>in</strong>er Worte lag zum e<strong>in</strong>en dar<strong>in</strong> begründet, dass sie die<br />

endgültige Abkehr <strong>der</strong> deutschen Jugendpolitik von <strong>der</strong> im Nationalsozialismus<br />

praktizierten Gleichschaltung <strong>und</strong> Subsumierung von Schule <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> unter die<br />

Interessen von Partei <strong>und</strong> Staatsapparat symbolisierten. Zum an<strong>der</strong>en waren diese Worte<br />

e<strong>in</strong> öffentliches Bekenntnis zu Vielfalt, Offenheit sowie pluralistischen Strukturen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

westdeutschen <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong> e<strong>in</strong> deutliches Signal an Jugendliche, Eltern, Politiker<br />

<strong>und</strong> Jugendleiter. Die Ansprache wendete sich vor allem an die Vertreter aller<br />

Jugendorganisationen. Unter den mehr als 20.000 Zuschauern befanden sich auch<br />

Vertreter <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugend. So nahm unter an<strong>der</strong>em e<strong>in</strong>e Ru<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Paddelbootabordnung<br />

des Ru<strong>der</strong>clubs <strong>Konstanz</strong> teil.<br />

2.3 Die Neuregelung des Jugendhilferechts nach 1949<br />

Nach Gründung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik im Herbst 1949 wurde die <strong>Jugendarbeit</strong> fortan im<br />

Wesentlichen durch die Neuregelung <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong> des westdeutschen Jugendhilferechts<br />

bee<strong>in</strong>flusst. Nach Gründung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik im Jahr 1949 wurde die Hoheit<br />

über Kultus- <strong>und</strong> Erziehungsfragen den Län<strong>der</strong>n überantwortet. Neben dieser b<strong>und</strong>ese<strong>in</strong>heitlichen<br />

Regelung kam es speziell im deutschen Südwesten im Gefolge <strong>der</strong> Entstehung<br />

des Landes Baden-Württemberg im Frühjahr 1952 zu Umstrukturierungsmaßnahmen auf<br />

dem Gebiet <strong>der</strong> Jugendhilfe. So g<strong>in</strong>gen seither die Aufgabenbereiche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendhilfeplanung<br />

zusammen mit den weiteren Zuständigkeiten des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des<br />

Innern mit Sitz <strong>in</strong> Freiburg an die Landesm<strong>in</strong>isterien <strong>in</strong> Stuttgart über.<br />

Neben organisatorischen Umstrukturierungsmaßnahmen, die bald nach <strong>der</strong> Gründung<br />

<strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik ab Herbst 1949 erfolgten, führte die Neuregelung des b<strong>und</strong>esdeutschen<br />

Jugendhilferechts zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1950er- <strong>und</strong> 1960er-Jahre zu e<strong>in</strong>em entscheidenden<br />

Paradigmenwechsel <strong>in</strong> diesem Gesellschaftsbereich. Im ersten Schritt wurde 1953<br />

die Novelle des alten Jugendwohlfahrtsgesetzes von 1922 auf den Weg gebracht. 803 E<strong>in</strong>e<br />

weitere Novelle trat am 1. Juli 1962 <strong>in</strong> Kraft. Die dort getroffenen Regelungen blieben im<br />

802 Das Zitat entstammt dem SÜDKURIER vom 27.09.1947.<br />

803 BGB vom 28.08.1953.


V.2 JUGENDHILFE IM SPIEGEL GESETZLICHER VORGABEN 209<br />

Wesentlichen bis zur Verabschiedung des K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfegesetzes (KJHG) vom<br />

31. Dezember 1990 rechtskräftig.<br />

Das Jugendwohlfahrtsgesetz <strong>in</strong> den Fassungen von 1953 <strong>und</strong> 1961 stellte somit die<br />

Weichen für die künftige <strong>in</strong>haltliche Orientierung <strong>und</strong> Organisation <strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>esrepublik. 804 Es bildete künftig, wie die langjährige Vorsitzende <strong>der</strong> Internationalen<br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft für Jugendfragen, Christa HASENCLEVER, ausführt, die „zentrale<br />

Rechtsnorm für die Jugendhilfe“ 805 <strong>und</strong> schuf <strong>in</strong> rechtlicher, <strong>in</strong>haltlicher <strong>und</strong> organisatorischer<br />

H<strong>in</strong>sicht die Gr<strong>und</strong>lagen für die deutsche Jugendwohlfahrtspflege <strong>der</strong> Nachkriegszeit.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus wurden wesentliche Gr<strong>und</strong>sätze, die sich größtenteils noch im<br />

heutigen K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilferecht von 1991 wie<strong>der</strong>f<strong>in</strong>den, zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1950er-<br />

Jahre gesetzlich verankert. Hervorzuheben s<strong>in</strong>d zwei wichtige Pr<strong>in</strong>zipien: erstens die<br />

Pluralität <strong>der</strong> Träger unterschiedlicher weltanschaulicher Orientierung; zweitens das<br />

Primat freier Träger vor öffentlichen Trägern <strong>und</strong> <strong>der</strong> Elternfürsorge <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage des Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zips. 806 Nach diesem Gr<strong>und</strong>satz wird die<br />

öffentliche Jugendhilfe zugunsten freier Träger sowie gegenüber <strong>der</strong> Familie <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

freien Wohlfahrtsverbände als nachrangig e<strong>in</strong>gestuft. Das Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip wurde <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Novelle von 1961 beibehalten, 1967 nach Verfassungsbeschwerden durch das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

für zulässig erklärt <strong>und</strong> 1990 <strong>in</strong>s neue K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfegesetz<br />

übernommen. Der entsprechende Passus sieht vor, dass die „Kooperation von öffentlichen<br />

<strong>und</strong> freien Trägern <strong>der</strong> Jugendhilfe“ dem Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> „Subsidiarität“ (Nachrangigkeit) <strong>der</strong><br />

öffentlichen Jugendhilfe gegenüber freien Trägern wie Jugendverbände, Vere<strong>in</strong>e, Institutionen<br />

unterliegt (§ 4).<br />

E<strong>in</strong> weiterer wichtiger Schritt, welcher mit <strong>der</strong> Neuregelung des Jugendhilferechts<br />

Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre e<strong>in</strong>herg<strong>in</strong>g, war die Zusammenfassung <strong>der</strong> Bereiche Jugendpflege<br />

<strong>und</strong> Jugendfürsorge, die nun unter dem geme<strong>in</strong>samen Begriff „Jugendwohlfahrtspflege“<br />

subsumiert wurden. Die Jugendwohlfahrtspflege wurde seither explizit zur Selbstverwaltungsangelegenheit<br />

<strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>den (§ 8) erhoben. Zugleich wurde die präventive<br />

Jugendhilfe im Gegensatz zu den primären <strong>und</strong> hoheitlichen Pflichtaufgaben, welche die<br />

Jugendämter etwa im Bereich des Vorm<strong>und</strong>schaftswesens wahrnehmen, als freiwillige<br />

Leistung <strong>der</strong> Kommunen def<strong>in</strong>iert. Außerdem wurden die Aufgaben <strong>der</strong> Jugendwohlfahrtspflege<br />

um zwei zusätzliche Arbeitsfel<strong>der</strong>, e<strong>in</strong>erseits den „gesetzlichen Jugendschutz“,<br />

an<strong>der</strong>erseits die „Erziehungshilfe“, erweitert.<br />

804<br />

Zur <strong>Entwicklung</strong> des Vorm<strong>und</strong>schaftswesens vgl. MÜNDER, Hoheitliche Aufgaben, <strong>in</strong>: JORDAN;<br />

SENGELING, Jugendhilfe, S. 191-210.<br />

805<br />

HASENCLEVER, Jugendhilfe <strong>und</strong> Jugendgesetzgebung, hier zitiert nach JORDAN; SENGELING, Jugendhilfe,<br />

S. 95.<br />

806 JORDAN; SENGELING, Jugendhilfe, S. 59.


210 V DIE ENTWICKLUNG DER WESTDEUTSCHEN JUGENDHILFE (1949-1963)<br />

2.4 Organisatorische Verän<strong>der</strong>ungen, Umstrukturierung <strong>der</strong><br />

Jugendämter<br />

Nachdem ab 1953 die Leistungen <strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>in</strong> die Verantwortung freier <strong>und</strong><br />

öffentlicher Träger gelegt worden waren, erlangten die Kommunen mehr Autonomie auf<br />

dem Gebiet <strong>der</strong> Jugendpflege. Zugleich kamen für Kreise <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den erweiterte<br />

Aufgaben im Bereich <strong>der</strong> Fürsorgeerziehung <strong>und</strong> <strong>der</strong> präventiven Jugendhilfearbeit h<strong>in</strong>zu.<br />

Im Zuge dieser <strong>Entwicklung</strong> erhielten die kommunalen <strong>und</strong> landesweiten Jugendämter,<br />

<strong>der</strong>en E<strong>in</strong>richtung für ganz Westdeutschland verb<strong>in</strong>dlich vorgeschrieben wurde,<br />

neue Aufgaben <strong>und</strong> Organisationsstrukturen. Nach <strong>der</strong> Novelle des Jugendhilferechts von<br />

1953 glie<strong>der</strong>ten sich die Jugendämter künftig <strong>in</strong> die Verwaltung <strong>und</strong> den Jugendwohlfahrtsausschuss.<br />

Dieser neue kommunale beschließende Ausschuss trat seither <strong>in</strong> den<br />

Verwaltungen <strong>der</strong> südbadischen Kreise <strong>und</strong> kreisfreien Städte an die Stelle <strong>der</strong> bisherigen<br />

Jugendamtsausschüsse, die sich ausschließlich mit Fragestellungen h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong><br />

Jugendfürsorge befasst hatten. Zugleich wurden die Jugendausschüsse alter Prägung, die<br />

im französischen Zonengebiet für die Koord<strong>in</strong>ation <strong>der</strong> örtlichen Jugendpflege zuständig<br />

waren, aufgelöst. Neben adm<strong>in</strong>istrativen Än<strong>der</strong>ungen wurden die Aufgabenbereiche <strong>und</strong><br />

Kompetenzen <strong>der</strong> Jugendämter unter Bezugnahme auf das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz<br />

von 1922 erneut um den Bereich <strong>der</strong> präventiven Jugendpflege erweitert. Diese wurde<br />

seither wie<strong>der</strong>um zur Pflichtaufgabe <strong>der</strong> Jugendämter erhoben. Die e<strong>in</strong>schränkenden<br />

Bestimmungen, die dazu kraft Verordnung vom 14. Dezember 1924 verfasst worden<br />

waren, wurden aufgehoben. 807<br />

Die kommunalen Jugendämter hatten sich seit den ausgehenden 1940er-Jahren zudem<br />

mit e<strong>in</strong>er ganzen Reihe sozioökonomischer Verän<strong>der</strong>ungen ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen. Neue<br />

Arbeitsfel<strong>der</strong> kamen nach Kriegsende <strong>und</strong> im Verlauf <strong>der</strong> 1950er-Jahre vor allem auf den<br />

Gebieten des Sozialversicherungswesens, <strong>der</strong> Kriegsgefangenenentschädigung <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Unterhaltssicherung h<strong>in</strong>zu. Vor allem die Integration <strong>der</strong> Heimatvertriebenen <strong>und</strong> Ostflüchtl<strong>in</strong>ge<br />

stellte die Wohlfahrts- <strong>und</strong> Jugendämter <strong>der</strong> Städte <strong>und</strong> Kreise vor schwierige<br />

Aufgaben. Darüber h<strong>in</strong>aus wurde das alte Fürsorgerecht den verän<strong>der</strong>ten sozialen <strong>und</strong><br />

wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst, was sich unter an<strong>der</strong>em am Wandel <strong>der</strong><br />

Begrifflichkeiten ablesen lässt. So wurde die Bezeichnung „öffentliche Fürsorge“ im<br />

neuen B<strong>und</strong>essozialhilfegesetz von 1962 durch das Wort „Sozialhilfe“ ersetzt. Als Folge<br />

<strong>der</strong> Novellierung des Jugendhilferechts wandelten sich die alten Wohlfahrts- <strong>und</strong> Jugendämter<br />

zu mo<strong>der</strong>nen Sozialbehörden. Diese Verän<strong>der</strong>ungen schlugen sich seit Ende <strong>der</strong><br />

1950er-Jahre <strong>in</strong> <strong>der</strong> neuen Bezeichnung „Sozial- <strong>und</strong> Jugendamt“ ferner sprachlich nie<strong>der</strong>.<br />

2.5 För<strong>der</strong>ung jugendpolitischer Aktivitäten durch die Kommunen<br />

Mit <strong>der</strong> Novellierung des Jugendhilferechts g<strong>in</strong>g die Umgestaltung <strong>der</strong> Jugendhilfeplanung<br />

e<strong>in</strong>her. Innovative Züge trugen vor allem die für die damalige Zeit völlig<br />

807 JANS; HAPPE, Kommentar zum Jugendwohlfahrtsgesetz, S. 3.


V.2 JUGENDHILFE IM SPIEGEL GESETZLICHER VORGABEN 211<br />

neuartigen Jugendför<strong>der</strong>programme von B<strong>und</strong>, Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Kommunen. Unter die neuen<br />

För<strong>der</strong>richtl<strong>in</strong>ien fielen im Bereich <strong>der</strong> präventiven <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> beispielsweise<br />

Jugende<strong>in</strong>richtungen wie das Jugendhaus sowie Freizeit- <strong>und</strong> Bildungsangebote für<br />

die Jugend. Die neue Jugendhilfeplanung <strong>der</strong> 1950er-Jahre zeichnete sich zudem durch<br />

e<strong>in</strong>e Vielfalt bis dah<strong>in</strong> unbekannter Unterstützungsmaßnahmen für Jugendliche aus. Damit<br />

sollte auf die bestehenden sozialen Jugendprobleme <strong>in</strong> <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik, die vor allem<br />

<strong>in</strong> den frühen 1950er-Jahren noch vielerorts gravierend waren, politisch reagiert werden.<br />

Im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> frühen Jugendplanungen stand vorrangig die Behebung <strong>der</strong><br />

„materiellen Jugendnot“. 808 Dafür waren Maßnahmen zur Behebung <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>slosigkeit,<br />

zum Bau von Jugendwohnheimen <strong>in</strong> Regionen mit günstiger Arbeits- <strong>und</strong><br />

Ausbildungssituation sowie von Wohnheimen für jugendliche Flüchtl<strong>in</strong>ge, Aussiedler,<br />

Heimatvertriebene <strong>und</strong> die Bereitstellung von Integrationshilfen vorgesehen. 1950 stellte<br />

die B<strong>und</strong>esregierung für diese Zwecke zunächst 17,5 Millionen DM zur Verfügung. Bis<br />

1961 wuchsen die För<strong>der</strong>mittel auf 81 Millionen DM an.<br />

Den Auftakt zu dieser <strong>Entwicklung</strong> im Rahmen <strong>der</strong> Neugestaltung <strong>der</strong> Jugendhilfeplanung<br />

bildete <strong>der</strong> erste B<strong>und</strong>esjugendplan vom Oktober 1950, den <strong>der</strong> B<strong>und</strong>estag <strong>in</strong>s<br />

Leben rief. Der För<strong>der</strong>plan sollte e<strong>in</strong>erseits dazu beitragen, benachteiligte junge<br />

Menschen, beson<strong>der</strong>s die sogenannte „arbeits-, berufs- <strong>und</strong> heimatlose Jugend“ 809 , sozial<br />

<strong>und</strong> politisch zu <strong>in</strong>tegrieren. An<strong>der</strong>erseits enthielt <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esjugendplan zudem e<strong>in</strong>e<br />

weltanschaulich-politische Komponente, <strong>in</strong>dem er die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> staatsbürgerlichen<br />

Erziehungsarbeit vorsah.<br />

Im Jahr 1954 stellte die baden-württembergische Landesregierung erstmals zusätzlich<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> Ergänzung zum B<strong>und</strong>esjugendplan Landesmittel mit e<strong>in</strong>em Gesamtvolumen von<br />

fünf Millionen DM für dr<strong>in</strong>gende Maßnahmen zur Behebung <strong>der</strong> Jugendnot <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es<br />

Landesjugendplans zur Verfügung. In den Genuss e<strong>in</strong>er Bezuschussung kamen vor allem<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätten, Erziehungsheime, <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz von Fachpersonal <strong>in</strong> <strong>der</strong> öffentlichen<br />

<strong>und</strong> freien Jugendwohlfahrtspflege, Erziehungsberatungsstellen, Beobachtungsheime für<br />

schwer erziehbare Jugendliche sowie die örtliche Erholungsfürsorge. Weitere Mittel<br />

wurden für Jugendpflege, das Jugendherbergswerk, Fürsorgemaßnahmen für arbeitslose<br />

<strong>und</strong> heimatlose Jugendliche, berufsför<strong>der</strong>nde Maßnahmen für Lehrl<strong>in</strong>ge, die Betreuung<br />

<strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gsjugend sowie zur Gefangenenbetreuung <strong>und</strong> Nachsorge für jugendliche<br />

Straftäter bereitgestellt. 810<br />

Auf Basis des Landesjugendnotprogramms von 1952 gewährte das Land des Weiteren<br />

Zuschüsse für e<strong>in</strong>e ganze Reihe jugendpflegerischer E<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> Projekte. Unter die<br />

För<strong>der</strong>richtl<strong>in</strong>ien fielen beispielsweise Jugendheime <strong>und</strong> Häuser <strong>der</strong> Jugend, die <strong>der</strong><br />

organisierten <strong>und</strong> nichtorganisierten Jugend offenstanden <strong>und</strong> die sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Trägerschaft<br />

von Städten, Kreisen o<strong>der</strong> geme<strong>in</strong>nützigen Vere<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> den Jugendverbänden, die vom<br />

Staat als för<strong>der</strong>ungswürdig anerkannt waren, befanden. Darüber h<strong>in</strong>aus unterlag die<br />

Jugen<strong>der</strong>holung <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en För<strong>der</strong>ung, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im H<strong>in</strong>blick auf den Ausbau <strong>der</strong><br />

808 JORDAN; SENGELING, Jugendhilfe, S. 56.<br />

809 COLLM, B<strong>und</strong>esjugendplan, <strong>in</strong>: BÖHNISCH U. A. (Hgg.), Handbuch, S. 196-204.<br />

810 Zu den Details vgl. den Bericht im SÜDKURIER vom 16.07.1954.


212 V DIE ENTWICKLUNG DER WESTDEUTSCHEN JUGENDHILFE (1949-1963)<br />

Jugendherbergen, die Schulung <strong>der</strong> Herbergseltern auf pädagogischem <strong>und</strong> verwaltungstechnischem<br />

Gebiet sowie, was Zuschüsse für Schullandheimaufenthalte, Freizeiten, Zeltlager,<br />

Jugend- <strong>und</strong> Zeltplätze anbelangte.<br />

E<strong>in</strong>e weitere Kategorie för<strong>der</strong>ungswürdiger jugendpflegerischer Maßnahmen betraf<br />

den Bereich <strong>der</strong> Jugendbildung. Dieser Teilbereich des Landesjugendplans bezog sich auf<br />

Maßnahmen wie die För<strong>der</strong>ung von Jugendgruppenleiterlehrgängen, Maßnahmen <strong>der</strong><br />

staatsbürgerlichen Erziehung, Beihilfen für Städte zum Zwecke <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung von<br />

Jugendpflegern, Bezuschussung von Bildungse<strong>in</strong>richtungen für die Jugend, Anschaffung<br />

von Jugendschrifttum, Betreuung <strong>der</strong> nichtorganisierten Jugend <strong>und</strong> die Durchführung von<br />

Veranstaltungen im Rahmen <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Begegnungen. Spezielle Zuschüsse waren<br />

außerdem zur beson<strong>der</strong>en Betreuung <strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gsjugend <strong>und</strong> zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> verbandlichen<br />

<strong>und</strong> überverbandlichen <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong>geplant. Von diesen Beihilfen profitierten<br />

vor allem die Bezirks-, Kreis- <strong>und</strong> Stadtjugendr<strong>in</strong>ge, <strong>der</strong> Landesjugendr<strong>in</strong>g sowie <strong>der</strong><br />

R<strong>in</strong>g politischer Jugend.<br />

Bis zum Jahr 1957 erhöhten sich die Landesetats <strong>in</strong> diesem Bereich auf r<strong>und</strong> 6,21<br />

Millionen DM. Das Schwergewicht <strong>der</strong> Landesjugendhilfeplanung wurde <strong>in</strong> diesem Jahr<br />

noch stärker auf die Prävention gelegt. Mithilfe von Zuschussmitteln für Jugendorganisationen<br />

<strong>und</strong> jugendpflegerische E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> öffentlichen Hand sollte vor allem <strong>der</strong><br />

Bau von K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendheimen <strong>und</strong> die weitere Integration <strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gs- <strong>und</strong><br />

Heimatvertriebenenjugend geför<strong>der</strong>t werden. 811<br />

Den kommunalen Jugendplänen lagen vergleichbare Zielsetzungen wie den<br />

Jugendplänen des B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> zugr<strong>und</strong>e. Der im März 1956 erstmals durch<br />

den Kreisrat verabschiedete Jugendplan des Landkreises <strong>Konstanz</strong>, <strong>der</strong> auf Vorschlägen<br />

des Kreisjugendwohlfahrtsausschusses basierte, umfasste e<strong>in</strong>e Gesamtsumme <strong>der</strong><br />

För<strong>der</strong>maßnahmen von r<strong>und</strong> 86.000 DM, die über den Kreishaushalt zu f<strong>in</strong>anzieren waren.<br />

Damit wurden folgende E<strong>in</strong>zelprojekte im Landkreis <strong>Konstanz</strong> unterstützt: Aus- <strong>und</strong><br />

Weiterbildungsmaßnahmen für Fachkräfte <strong>der</strong> Jugendwohlfahrtspflege, Errichtung von<br />

Lehrl<strong>in</strong>gs- <strong>und</strong> Jugendwohnheimen sowie von Jugendgeme<strong>in</strong>schaftswerken <strong>und</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten, die Erziehungsberatungsstelle beim Landkreis <strong>Konstanz</strong>, För<strong>der</strong>ung von<br />

Maßnahmen im Rahmen des Jugendschutzes bzw. <strong>der</strong> E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungshilfe für jugendliche<br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge sowie <strong>der</strong> Jugen<strong>der</strong>holung, Aufbau von Jugendwan<strong>der</strong>büchereien <strong>und</strong><br />

Jugendfilmdiensten sowie Unterstützung <strong>der</strong> Jugendbildungswerke, Anschaffung von<br />

Schulmöbeln, Ausbau <strong>der</strong> Schulzahnpflege, Veranstaltungen zur Vermittlung von<br />

Staatsbürgerk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> das Jugendrotkreuz. 812<br />

811 SÜDKURIER vom 11.07.1957.<br />

812 SÜDKURIER vom 06.03.1956.


VI Die Lage <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />

1 Geschichtsbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> „Fünfzigerjahre“<br />

Den 1950er-Jahren wird <strong>in</strong> den Bereichen Film, Fernsehen, Publizistik <strong>und</strong> Ausstellungswesen<br />

breite Aufmerksamkeit geschenkt. 813 Im Mittelpunkt populärer Darstellungen<br />

stehen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Symbole <strong>der</strong> Konsumfreude <strong>und</strong> des Wohlstands wie Nierentisch,<br />

Waschmasch<strong>in</strong>e, Fernsehen, Vespa etc. Im H<strong>in</strong>blick auf die wirtschaftliche Lage werden<br />

die Grün<strong>der</strong>jahre <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> durch Begriffe wie „Wirtschaftsw<strong>und</strong>er“<br />

o<strong>der</strong> „Wie<strong>der</strong>aufbau“ charakterisiert. Sie gelten darüber h<strong>in</strong>aus als Zeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> nach den<br />

Wirren <strong>der</strong> Kriegs- <strong>und</strong> Nachkriegszeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik gesellschaftlich wie<strong>der</strong><br />

Beständigkeit e<strong>in</strong>trat. 814 Zu dieser stabilen Lage s<strong>in</strong>d auf politischer Ebene die <strong>in</strong>nenpolitischen<br />

Erfolge Adenauers <strong>und</strong> die Wie<strong>der</strong>aufnahme Deutschlands <strong>in</strong> die <strong>in</strong>ternationale<br />

Völker- <strong>und</strong> Wirtschaftsgeme<strong>in</strong>schaft h<strong>in</strong>zuzurechnen. Sofern Jugendthemen behandelt<br />

werden, stehen vorrangig die Entstehung <strong>der</strong> Jugendkultur <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Modetrends <strong>und</strong> Teenager-Attribute wie Rock ’n’ Roll, Jazz, Hula-Hoop, Petticoats,<br />

Pferdeschwanz sowie Jugendfilme im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. Große Aufmerksamkeit ist vor allem<br />

<strong>der</strong> Herausbildung autonomer jugendlicher Subkulturen wie den „Halbstarken“ o<strong>der</strong> den<br />

„Existentialisten“ sowie den Jugendunruhen, den sogenannten „Halbstarkenkrawallen“,<br />

gewiss. Dabei wird allerd<strong>in</strong>gs meist außer Acht gelassen, dass sich diese Spannungen<br />

räumlich auf wenige regionale Schwerpunkte, vor allem die westdeutschen Großstädte,<br />

sowie zeitlich auf die Endfünfziger konzentrierten. 815 Dagegen f<strong>in</strong>det die Situation <strong>der</strong><br />

Jugend <strong>in</strong> den kle<strong>in</strong>eren <strong>und</strong> mittleren westdeutschen Städten bislang nur marg<strong>in</strong>ale<br />

Beachtung 816 , obschon es auch hier entsprechende Muster gab, wie das folgende Exempel<br />

belegt.<br />

Als im November 1956 <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>der</strong> damals überaus populäre amerikanische<br />

Jugendfilm „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ anlief, veröffentlichte <strong>der</strong> SÜDKURIER <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Lokalausgabe e<strong>in</strong>e ausführliche Filmbesprechung. Dar<strong>in</strong> heißt es unter an<strong>der</strong>em:<br />

„Wenn aber das Elternhaus, Schule <strong>und</strong> alle an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen Institutionen<br />

ke<strong>in</strong>e Antwort auf die Fragen <strong>der</strong> Jugend f<strong>in</strong>den, wenn die Ordnungen, unter denen<br />

die Erwachsenen aufwuchsen, durch <strong>der</strong>en eigenes Versagen zerbrochen s<strong>in</strong>d, wem<br />

ist bei Irrwegen <strong>der</strong> Jugendlichen Schuld zuzumessen? Und wenn man, gleichsam<br />

entschuldigend o<strong>der</strong> sogar verzeihend sagen will, dass sie nicht wissen, was sie da<br />

813 Beispielhaft sei an dieser Stelle die Ausstellung „‘Wir s<strong>in</strong>d wie<strong>der</strong> wer.’ Die Fünfziger – Fotographien<br />

aus dem Wirtschaftsw<strong>und</strong>erland“, Haus <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong>, Bonn, vom 31.01.-01.06.1998 genannt.<br />

814 Unter <strong>der</strong> Fülle <strong>der</strong> Darstellungen über die 1950er-Jahre sei im Folgenden lediglich e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Auswahl<br />

an Überblickswerken angeführt: DOERING-MANTEUFFEL, B<strong>und</strong>esrepublik; LANDESZENTRALE FÜR<br />

POLITISCHE BILDUNG BADEN-WÜRTTEMBERG, Heft 4, Die fünfziger Jahre; DIES., Deutschland <strong>in</strong> den<br />

fünfziger Jahren; BENZ, Die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland; DÜWELL, Entstehung <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>esrepublik.<br />

815 ABELSHAUSER, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft, <strong>in</strong>: INSTITUT FÜR FERNSTUDIEN AN DER UNIVERSITÄT<br />

TÜBINGEN (Hg.), Deutsche <strong>Geschichte</strong> nach 1945, S. 68.<br />

816 Die Lage <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugend <strong>in</strong> den 1950er-Jahren ist v. a. aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Untersuchungen Lothar<br />

BURCHARDTs jedoch recht gut dokumentiert; vgl. BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e S. 61 f., 95-101, 412-441, 543-555.


214 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

tun, so stellt sich doch die viel schrecklichere Frage: Wissen denn die Eltern, was ihre<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> tun? Diese Frage gilt nicht nur <strong>in</strong> Amerika. Auch bei uns ist sie, lei<strong>der</strong>, ohne,<br />

zum<strong>in</strong>dest ohne befriedigende Antwort geblieben.“ 817<br />

Für die Analyse jugendlicher Lebenswelten <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit ist<br />

die Filmbeschreibung vor allem aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> dort e<strong>in</strong>geflochtenen zeitkritischen Bemerkungen<br />

zur Lage <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong>teressant. Solche Aussagen zeugen davon, dass auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

relativ überschaubaren, katholisch geprägten Stadt <strong>Konstanz</strong> Probleme mit Jugendlichen,<br />

die die damalige Politik <strong>und</strong> Öffentlichkeit landesweit beschäftigten, nicht unbekannt<br />

waren. 818 Zwar bemühte sich die Lokalpresse im Großen <strong>und</strong> Ganzen, Pauschalverurteilungen<br />

zu vermeiden. Vielmehr fragte man nach möglichen Ursachen für die Jugendprobleme<br />

<strong>der</strong> Zeit. Dennoch herrschte <strong>in</strong> den 1950er-Jahren <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> weiten Teilen<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft offenbar e<strong>in</strong>e große Ratlosigkeit <strong>in</strong> Jugendfragen vor, wenngleich ke<strong>in</strong>e<br />

gravierenden Jugendprobleme vorkamen.<br />

Die Ursachen dieser Unsicherheit s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umbruchgesellschaft nach 1945 zu<br />

suchen. Wie e<strong>in</strong>e jüngere Studie zur <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> b<strong>und</strong>esdeutschen <strong>Jugendarbeit</strong><br />

zutage gebracht hat, erreicht die Diskussion um Zielsetzungen, Inhalte <strong>und</strong> Methodik <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe immer dann e<strong>in</strong>e neue Dimension, wenn politische <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />

Brüche zu verzeichnen s<strong>in</strong>d. Gleichzeitig ist <strong>der</strong> Bruch zwischen Jugendlichen <strong>und</strong> Eltern<br />

<strong>in</strong> Zeiten des Umbruchs „beson<strong>der</strong>s dramatisch, wenn es darum geht, welche tradierten<br />

Werte <strong>und</strong> Normen <strong>der</strong> jungen Generation akzeptabel ersche<strong>in</strong>en“ 819 . Diese Feststellungen<br />

s<strong>in</strong>d auf die Situation <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugend nach dem Zweiten Weltkrieg übertragbar.<br />

Hatten bereits die Jahre des Nationalsozialismus bei vielen Jugendlichen, vor allem bei <strong>der</strong><br />

Flüchtl<strong>in</strong>gsjugend, tiefe Spuren h<strong>in</strong>terlassen, so wuchs die Jugend <strong>der</strong> 1950er-Jahre <strong>in</strong><br />

Zeiten e<strong>in</strong>er unsicheren Weltlage auf.<br />

Ohne Zweifel waren die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen <strong>und</strong> politischen Wie<strong>der</strong>aufbauleistungen,<br />

die Deutschland seit <strong>der</strong> Wirtschaftsreform von 1948 verzeichnete,<br />

enorm. 820 Die genannten Verläufe bilden freilich nur e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> Wirklichkeit ab. Denn<br />

neben vielen Kont<strong>in</strong>uitäten war das Jahrzehnt gleichzeitig durch e<strong>in</strong>e ganze Reihe wi<strong>der</strong>sprüchlicher<br />

<strong>Entwicklung</strong>en geprägt. 821 Beispielsweise standen Adenauers Politik <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong>neren Stabilität ernsthafte außenpolitische Gefahren entgegen. Die Weltlage wurde<br />

durch den Ost-West-Konflikt beherrscht. Die Differenzen zwischen den Westmächten <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Sowjetunion fanden ihren Ausdruck <strong>in</strong> globalen Krisen wie dem Bau <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er<br />

Mauer im Jahr 1961 o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kuba-Krise von 1962. Diese <strong>Entwicklung</strong>en wie<strong>der</strong>um<br />

för<strong>der</strong>ten den Rüstungswettlauf zwischen den Großmächten USA <strong>und</strong> UdSSR <strong>und</strong> die<br />

militärische „Teilung <strong>der</strong> Welt“ 822 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Ostblock <strong>und</strong> e<strong>in</strong> westliches Verteidigungsbündnis<br />

ab Mitte des Jahrzehnts.<br />

817<br />

SÜDKURIER vom 17.11.1956.<br />

818<br />

Zur <strong>Konstanz</strong>er Religions- <strong>und</strong> Bevölkerungsstruktur vgl. BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong><br />

Universitätsgründung; S. 297 <strong>und</strong> 412.<br />

819<br />

KARST; MIERAU (Hgg.), Freizeit – Jugend – Profit, S. 11-35, hier S. 26.<br />

820<br />

Zur Wirtschaftsentwicklung <strong>der</strong> jungen BRD: ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschichte <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland; DERS., Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft, S. 7.<br />

821<br />

Das Lebensgefühl <strong>in</strong> den 1950er-Jahren beschreibt KARASEK, Go West!.<br />

822 LOTH, Teilung <strong>der</strong> Welt, S. 309-331.


VI.1 GESCHICHTSBILDER DER „FÜNFZIGERJAHRE“ 215<br />

Die Grün<strong>der</strong>jahre <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik zeitigten auch <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>en heterogenen<br />

Verlauf. E<strong>in</strong>erseits verblassten die Er<strong>in</strong>nerungen an Krieg, Nachkriegszeit <strong>und</strong> Besatzung,<br />

welche das Leben <strong>der</strong> Menschen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> ebenso wie die Gestaltungsmöglichkeiten<br />

von <strong>Jugendarbeit</strong> über zehn Jahre teils stark überformt hatten. Das Wirtschaftswachstum<br />

brachte nachhaltige Verbesserungen auf vielen Gebieten, darunter im Bereich <strong>der</strong> schulischen<br />

<strong>und</strong> außerschulischen <strong>Jugendarbeit</strong>. So besserte sich beispielsweise die Lernsituation<br />

für Schüler aller Schultypen entscheidend. Die Erleichterungen erstreckten sich ferner<br />

auf die Bereiche Ausbildung <strong>und</strong> Beruf. So bildete sich, wie es allgeme<strong>in</strong> <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

<strong>der</strong> Fall war, <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> im Gefolge <strong>der</strong> wachsenden wirtschaftlichen Prosperität<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung <strong>und</strong> des technischen Fortschritts Ende <strong>der</strong> 1950er-Jahre allmählich<br />

e<strong>in</strong>e eigene Jugendkultur aus. 823<br />

An<strong>der</strong>erseits ließen die weltpolitischen Ereignisse, vor allem <strong>der</strong> Ost-West-Konflikt<br />

<strong>und</strong> viele daraus resultierende politische Gr<strong>und</strong>satzfragen, die örtliche Jugend nicht unberührt.<br />

Dies zeigten unter an<strong>der</strong>em die heftig geführten Debatten um die Wie<strong>der</strong>bewaffnung<br />

<strong>und</strong> die Gründung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eswehr. 824 Während im Bereich Wirtschaft <strong>und</strong> Technik<br />

e<strong>in</strong>e verhältnismäßig große Bandbreite an Innovationen zu verzeichnen war, war die<br />

Lokalpolitik durch Stabilität geprägt; <strong>und</strong> gleichwohl sich im Gefolge des wirtschaftlichen<br />

Strukturwandels das gesellschaftliche Gefüge <strong>in</strong> vielerlei H<strong>in</strong>sicht im Laufe des Jahrzehnts<br />

verän<strong>der</strong>te, so blieben dennoch viele bestehende Traditionen erhalten. 825<br />

Die kurze Skizze <strong>der</strong> „Fünfziger“ erhebt ke<strong>in</strong>eswegs Anspruch auf Vollständigkeit.<br />

Die genannten Aspekte machen aber bereits vorab deutlich, dass sich das Jahrzehnt nicht<br />

als <strong>in</strong>nere E<strong>in</strong>heit begreifen <strong>und</strong> darstellen lässt, <strong>und</strong> sie vermitteln e<strong>in</strong>en ersten E<strong>in</strong>druck<br />

von <strong>der</strong> Ambivalenz <strong>und</strong> Komplexität <strong>der</strong> damals relevanten politischen, wirtschaftlichen<br />

<strong>und</strong> gesellschaftlichen Abläufe, auf die im Folgenden vertiefend e<strong>in</strong>zugehen ist, da sie<br />

sich auf das Leben <strong>der</strong> Jugend <strong>und</strong> die <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> auf vielfältige Weise<br />

auswirkten.<br />

Wie können mit Blick auf die Lage <strong>der</strong> Jugend zukunftsorientierte Mo<strong>der</strong>nisierungsschritte<br />

<strong>und</strong> sozioökonomische Wandlungsprozesse mit gesellschaftspolitischen Kont<strong>in</strong>uitäten<br />

<strong>und</strong> Traditionen angemessen kenntlich gemacht werden? 826 Die nachfolgende<br />

Darstellung geht dieser Frage nach, <strong>in</strong>dem sie versucht, diesen Zeitabschnitt <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

unter dem Blickw<strong>in</strong>kel des gesellschaftlichen Strukturwandels, <strong>der</strong> sich vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

wirtschaftlicher Verän<strong>der</strong>ungen vollzog, zu h<strong>in</strong>terfragen. Die Kernfragen lauten:<br />

Was brachten die Fünfzigerjahre an Bleibendem <strong>und</strong> an Verän<strong>der</strong>ungen für die Jugend <strong>in</strong><br />

823 Vgl. den Beitrag zur Herausbildung <strong>der</strong> westdeutschen Teenager-Kultur <strong>in</strong> den 1950er-Jahren von<br />

SCHILDT, Not <strong>der</strong> Jugend, <strong>in</strong>: DERS.; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 335-349, hier S. 345.<br />

824 Die ersten Jahre <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eswehr vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Lage <strong>und</strong> des Kalten Krieges<br />

behandelt die Magisterarbeit von FRAUND, Anfänge <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eswehr.<br />

825 Vgl. dazu die Beiträge von RADKAU, Technische Mo<strong>der</strong>nität, <strong>in</strong>: SCHILDT; SYWOTTEK (Hgg.),<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 129-154 sowie SCHÄFERS, Die westdeutsche Gesellschaft, <strong>in</strong> SCHILDT; SYWOTTEK<br />

(Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 307-315.<br />

826 Die für diese Jahre charakteristische Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit bis h<strong>in</strong> zu makaber anmutenden Phänomenen,<br />

wie die Übertragung des Namens e<strong>in</strong>es Südseeatolls <strong>und</strong> Schauplatz amerikanischer Atombombenversuche<br />

auf die damals neuartige zweiteilige Bademode, thematisiert die Zusammenstellung aus Fotos,<br />

Texten, Comics <strong>und</strong> Analysen über Politik <strong>und</strong> Alltag <strong>in</strong> den 1950er-Jahren von SIEPMANN, Bik<strong>in</strong>i.


216 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

<strong>Konstanz</strong> mit sich? Welche Traditionen wurden beibehalten, welche aufgegeben? Welche<br />

Ausbildungsmöglichkeiten <strong>und</strong> Berufe standen den Jugendlichen offen? Welche Berufswünsche<br />

hatten sie? Wer profitierte vom wachsenden Wohlstand? Wie sahen die<br />

Bildungschancen aus? Um diese Fragen zu klären, werden im Folgenden zunächst die<br />

wichtigsten <strong>Entwicklung</strong>stendenzen skizziert, bevor <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren Schritt danach<br />

gefragt wird, wie sich die <strong>Jugendarbeit</strong> im Gefolge sozioökonomischer Verän<strong>der</strong>ungen<br />

entwickelte.<br />

2 Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für jugendliches Aufwachsen<br />

2.1 Die politische <strong>Entwicklung</strong><br />

Mit den folgenden Worten skizziert KLÖCKLER die zeitlich übergreifenden örtlichen<br />

politischen Gegebenheiten:<br />

„Die politische Lage <strong>der</strong> Stadt, die sich anhand <strong>der</strong> Wahlergebnisse <strong>der</strong> Parteien <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Besetzung wichtiger Ämter nachzeichnen lässt, verlief <strong>in</strong> den Jahrzehnten vom<br />

Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1960er Jahre ziemlich gleichförmig<br />

mit Tendenzen auf regionaler wie auf nationaler Ebene.“ 827<br />

Se<strong>in</strong>e Analyse steckt zugleich den Rahmen für jugendliches Aufwachsen im zeitlich<br />

engeren S<strong>in</strong>ne ab. Denn wie schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegsphase zwischen 1945<br />

<strong>und</strong> 1949 reifte die <strong>Konstanz</strong>er Jugend <strong>in</strong> den 1950er-Jahren unter politischen Verhältnissen<br />

heran, die sowohl auf lokaler als auch auf überregionaler Ebene durch die christlichkonservative<br />

Gr<strong>und</strong>haltung geprägt waren. Als Beleg für diese Annahme kann das Wahlverhalten<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung, das im Gr<strong>und</strong>satz auf allen politischen Ebenen e<strong>in</strong>e solide<br />

CDU-Mehrheit manifestierte, herangezogen werden. 828<br />

Die örtlichen Ergebnisse <strong>der</strong> B<strong>und</strong>estagswahlen von 1953 <strong>und</strong> 1957 machen deutlich,<br />

dass die <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung mit großer Mehrheit h<strong>in</strong>ter dem politischen Kurs <strong>der</strong><br />

CDU bzw. des B<strong>und</strong>eskanzlers Konrad Adenauer 829 stand. Während <strong>der</strong> Jahre 1949 bis<br />

1963 hatte dieser die Zugehörigkeit zur westlichen Welt <strong>und</strong> die Überw<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> Teilung<br />

Deutschlands mithilfe <strong>der</strong> sogenannten „Politik <strong>der</strong> Stärke“ 830 zum Ziel. Dieser b<strong>und</strong>esweite<br />

Trend e<strong>in</strong>er durch die CDU geführten Regierung wurde durch die lokalen bürger-<br />

827<br />

KLÖCKLER, Vom Kaiserreich zur B<strong>und</strong>esrepublik, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.) Alltagswelten,<br />

S. 29-39, hier S. 29.<br />

828<br />

E<strong>in</strong>e Ausnahme bildete die Landtagswahl von 1952. Hier fuhr die CDU <strong>in</strong>folge ihrer Zerrissenheit <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Südweststaatfrage herbe Verluste e<strong>in</strong>; vgl. BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung,<br />

S. 245; CRIVELLARI U. A., Baden am Scheideweg.<br />

829<br />

Konrad Adenauer wurde am 15.09.1949 mit 202 gegen 142 Stimmen bei 44 Enthaltungen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />

ungültigen Stimme zum ersten deutschen B<strong>und</strong>eskanzler gewählt.<br />

830<br />

Diese Ziele wurden bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Regierungserklärung Adenauers am 20.09.1949 vor dem<br />

Deutschen B<strong>und</strong>estag benannt. Zur Westb<strong>in</strong>dung als dom<strong>in</strong>antes Konzept <strong>der</strong> Adenauerschen<br />

Außenpolitik vgl. NIEDHART, Außenpolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ära Adenauer, <strong>in</strong>: SCHILDT; SYWOTTEK (Hgg.),<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 805-818, hier v. a. S. 813 f.


VI.2 RAHMENBEDINGUNGEN FÜR JUGENDLICHES AUFWACHSEN 217<br />

lich-katholischen Gesellschafts- <strong>und</strong> Religionsstrukturen zusätzlich verstärkt. 831 Auf<br />

kommunaler Ebene erzielten die Christdemokraten bei den Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>atswahlen von<br />

1953, die zum ersten Mal seit Kriegsende nicht unter Besatzungsbed<strong>in</strong>gungen stattfanden,<br />

fast 43 Prozent <strong>der</strong> Stimmen. Obwohl es <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Jahrzehnthälfte zu akzentuellen<br />

Verschiebungen zugunsten von SPD, Liberalen <strong>und</strong> „Freien Wählervere<strong>in</strong>igungen“ kam,<br />

blieb die CDU-Mehrheit im Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at nach den Kommunalwahlen vom Herbst 1956<br />

unangetastet. 832 Erst die Bürgermeisterwahlen von 1957/1959 leiteten e<strong>in</strong>en Wechsel <strong>in</strong><br />

personeller H<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Kommunalpolitik e<strong>in</strong>. 833 Am 15. September<br />

1959 trat <strong>der</strong> zunächst strittige CDU-Kandidat Bruno Helmle die Nachfolge Franz<br />

Knapps, <strong>der</strong> aus Altersgründen aus <strong>der</strong> aktiven Kommunalpolitik ausschied, als neuer<br />

Oberbürgermeister an <strong>und</strong> übte dieses Amt bis 1980 aus. 834<br />

Auf <strong>der</strong> überregionalen politischen Ebene wurde das Ende <strong>der</strong> Nachkriegszeit durch<br />

e<strong>in</strong>schneidende politische Krisen wie Mauerbau (1961) <strong>und</strong> Kuba-Krise (1962), als die<br />

Welt am Rande e<strong>in</strong>es weiteren Weltkriegs stand, sowie durch den Rücktritt Konrad<br />

Adenauers als Kanzler <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland (1963) markiert.<br />

2.2 Die wirtschaftliche <strong>Entwicklung</strong><br />

Während die Situation <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> 1940er-Jahre durch fehlende<br />

Bildungs- <strong>und</strong> Ausbildungsmöglichkeiten <strong>und</strong> Perspektivlosigkeit unter den Jugendlichen<br />

gekennzeichnet war, folgte auf diese <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> den 1950er-Jahren e<strong>in</strong>e lange Phase<br />

des wirtschaftlichen Aufschwungs, die gute Aussichten für junge Menschen versprach.<br />

Nachdem die ökonomischen F<strong>und</strong>amente dieser <strong>Entwicklung</strong> bereits <strong>in</strong> den späten<br />

1940er-Jahren mit dem Marshallplan <strong>und</strong> <strong>der</strong> Währungsreform angelegt worden waren,<br />

begünstigten im neuen Jahrzehnt Faktoren wie das Ende <strong>der</strong> Demontagen, <strong>der</strong> Korea-<br />

Boom <strong>der</strong> Rüstungs<strong>in</strong>dustrie, <strong>der</strong> Aufschwung <strong>der</strong> Weltwirtschaft, die Behebung von<br />

Kriegsschäden <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> westeuropäischen Märkte <strong>in</strong> den Welthandel das<br />

831 So erhielt die CDU bei den B<strong>und</strong>estagswahlen vom 06.09.1953 <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>en Stimmenanteil von<br />

60 %, die SPD kam auf r<strong>und</strong> 20 %, die FDP lag knapp unter 10 %. Auf B<strong>und</strong>esebene kam die CDU im<br />

Zweiten Kab<strong>in</strong>ett Adenauers 1953 auf 45,2 %, die SPD auf 28.8 %, FDP 9,5 %, <strong>der</strong> B<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Heimatvertriebenen (BHE) auf 5,9 %, DP 3,3 %; Wahlergebnisse für <strong>Konstanz</strong> nach BURCHARDT,<br />

Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 242.<br />

832 Die Freien Wähler waren <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> erstmals bei <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>atswahl von 1953 angetreten <strong>und</strong><br />

hatten damals bereits auf Anhieb fünf Sitze gewonnen. Der E<strong>in</strong>zug des ehemaligen NS-Bürgermeisters<br />

Leopold Mager als Vertreter <strong>der</strong> „freien Wählergruppe“ <strong>Konstanz</strong> wurde <strong>in</strong> politisch „l<strong>in</strong>ken“ Kreisen<br />

damals scharf kritisiert. Der Vorgang brachte vor Ort die Diskussion <strong>in</strong> Gang, ob ehemalige<br />

Nationalsozialisten, die e<strong>in</strong> Entnazifizierungsverfahren durchlaufen hatten, wie<strong>der</strong> politische Ämter<br />

übernehmen dürften; vgl. BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 261-262;<br />

KLÖCKLER, Vom Kaiserreich zur B<strong>und</strong>esrepublik, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), (Hg.) Alltagswelten,<br />

S. 29-39, hier S. 29.<br />

833 Ergebnisse <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>atswahlen vom 11.11.1956 nach BURCHARDT, Zwischen<br />

Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 262; vgl. auch die Berichte im SÜDKURIER vom 14.11.1956,<br />

14.09.1957, 18.09.1957.<br />

834 Die Ereignisse um die zunächst strittigen Bürgermeisterwahlen s<strong>in</strong>d ausführlich dargestellt bei<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 472-477.


218 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

sogenannte „Wirtschaftsw<strong>und</strong>er Deutschland“. Die Eckdaten dieser <strong>Entwicklung</strong> s<strong>in</strong>d<br />

bekannt <strong>und</strong> daher schnell aufgezählt: Zwischen 1949 <strong>und</strong> 1954 wuchs das deutsche<br />

Bruttosozialprodukt um 8,4 Prozent bzw. zwischen 1954 <strong>und</strong> 1959 um 6,6 Prozent. 835 E<strong>in</strong><br />

Indikator für den Aufschwung s<strong>in</strong>d die Beschäftigungszahlen, die bald wie<strong>der</strong> das<br />

Vorkriegsniveau erreichten. 836 Die Arbeitslosenrate fiel zur Mitte des Jahrzehnts dauerhaft<br />

unter e<strong>in</strong>e Million, sodass Ende <strong>der</strong> 1950er-Jahre praktisch überall im Land Vollbeschäftigung<br />

herrschte. Im Arbeitsamtsbezirk <strong>Konstanz</strong> stieg die Zahl <strong>der</strong> Arbeitnehmer von<br />

45.640 im Jahr 1948 auf 75.103 im Jahr 1957. Die Zahl <strong>der</strong> Arbeitslosen sank von 1.483<br />

auf 370, die Zahl <strong>der</strong> offenen Stellen g<strong>in</strong>g von 1.695 auf 1.055 zurück. 837 Weichenstellend<br />

wirkte vor allem die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> von Wirtschaftsm<strong>in</strong>ister Ludwig Erhard geprägten<br />

sozialen Marktwirtschaft <strong>in</strong> den Jahren 1949 bis 1963. Wirtschaftliche Freiheit, soziale<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Gerechtigkeit, so lauteten die Leitl<strong>in</strong>ien <strong>der</strong> neuen Wirtschaftsordnung, die<br />

<strong>der</strong> Wahlkampfslogan <strong>der</strong> CDU „Wohlstand für alle“ vor <strong>der</strong> B<strong>und</strong>estagswahl 1957<br />

versprach. Die <strong>Konstanz</strong>er Wirtschaft erholte sich parallel zum allgeme<strong>in</strong>en Aufschwung<br />

<strong>in</strong> Deutschland rasch, sodass die Not <strong>der</strong> direkten Nachkriegsphase bald überw<strong>und</strong>en war.<br />

Zum Motor des ökonomischen Wachstums entwickelte sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die<br />

Industrie. 838 Auch das traditionelle Handwerk profitierte noch bis zur Mitte des Jahrzehnts<br />

von den günstigen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> ersten Nachkriegsjahre, bevor es <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten<br />

Hälfte <strong>der</strong> 1950er-Jahre von e<strong>in</strong>em tief greifenden Strukturumbruch erfasst wurde. Die<br />

Auswirkungen dieser Krise machten sich zum e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> rückläufigen Zahl <strong>der</strong> Betriebe<br />

bemerkbar, zum an<strong>der</strong>en erfolgte <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> starken Ausrichtung auf die Industrie e<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>nergewerblicher Strukturwandel. Die Schwerpunkte <strong>in</strong> <strong>der</strong> handwerklichen Produktion<br />

verlagerten sich <strong>in</strong> den fortgeschrittenen 1950er-Jahre auf Zuliefererbereiche <strong>der</strong> Industrie<br />

o<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne technisch geprägte Sparten wie Elektrik <strong>und</strong> Kfz-Mechanik. Während <strong>in</strong><br />

diesen Bereichen zahlreiche Betriebsneugründungen vollzogen wurden, verloren althergebrachte<br />

Gewerke an Bedeutung. 839 Zur dritten Säule <strong>der</strong> Wirtschaft entwickelte sich neben<br />

Industrie <strong>und</strong> Handwerk im Laufe des Jahrzehnts vor Ort <strong>der</strong> Tourismus.<br />

Im Gefolge des wirtschaftlichen Wachstums vollzog sich <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> analog zur<br />

Situation <strong>in</strong> Westdeutschland im Verlauf des Jahrzehnts <strong>der</strong> Wandel von <strong>der</strong> „Mangelwirtschaft“<br />

zur „Arbeitsgesellschaft“. 840 Im Zuge dieser <strong>Entwicklung</strong> wurde die junge<br />

Generation <strong>der</strong> Berufstätigen „<strong>in</strong> das westdeutsche Beschäftigungssystem“ 841 <strong>in</strong>tegriert.<br />

Der Wirtschaftsaufschwung hatte überwiegend positive Effekte für die Arbeit suchende<br />

Jugend 842 , <strong>der</strong>en Aussichten, e<strong>in</strong>en Ausbildungs- bzw. später e<strong>in</strong>en Arbeitsplatz zu erhal-<br />

835 ABELSHAUSER, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft, S. 12.<br />

836 KLÖCKLER, <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> Wachstum, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), S. 40-48, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e S. 42.<br />

837 ARBEITSAMT KONSTANZ (Hg.), Festschrift 100 Jahre Arbeitsamt, S. 43.<br />

838 Zur <strong>Konstanz</strong>er <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> Industrie <strong>und</strong> Handwerk zwischen 1950 <strong>und</strong> 1957 vgl. BURCHARDT,<br />

Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 304 f. Zum ersten Nachkriegsjahrzehnt siehe DÜRR,<br />

Vom Fahnenstoff zur Flüssigseife. Die <strong>Konstanz</strong>er Industrie 1945-55, <strong>in</strong>: Schrr VG Bodensee 112<br />

(1994), S. 71-130.<br />

839 SÜDKURIER vom 25.08.1954.<br />

840 ABELSHAUSER, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft, S. 27 f.<br />

841 SCHILDT, Not <strong>der</strong> Jugend, <strong>in</strong>: DERS.; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 335-348, hier S. 348.<br />

842 Zur westdeutschen Industrieentwicklung: AMBROSIUS, Strukturwandel, <strong>in</strong>: SCHILDT; SYWOTTEK (Hgg.),<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 109; ABELSHAUSER, Die Langen Fünfziger Jahre, v. a. Quellenteil: Tabelle 2, S. 78.


VI.2 RAHMENBEDINGUNGEN FÜR JUGENDLICHES AUFWACHSEN 219<br />

ten, sich seither spürbar verbesserten. So war die <strong>Jugendarbeit</strong>slosenquote den Angaben<br />

<strong>der</strong> Militärbehörden zufolge <strong>in</strong> den Kreisen <strong>Konstanz</strong> schon im Jahr 1950 mit unter drei<br />

Prozent außergewöhnlich niedrig. Dieser Bef<strong>und</strong> ist deshalb umso bemerkenswerter, da<br />

die allgeme<strong>in</strong>e Arbeitslosigkeit <strong>in</strong> Westdeutschland zur selben Zeit ihren Höhepunkt erreichte.<br />

B<strong>und</strong>esweit wurden für 1951 r<strong>und</strong> 600.000 arbeitslose Jugendliche ermittelt. Auf<br />

dem Höhepunkt <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> um 1950 lag die Gesamtarbeitslosigkeit bei 11,9 Prozent.<br />

Im gesamten B<strong>und</strong>esgebiet waren 1950 1.579.800 Menschen arbeitslos gemeldet 843 ,<br />

bevor ab Mitte des Jahrzehnts die Arbeitslosenquote unter die Millionengrenze sank. Das<br />

Ende <strong>der</strong> Massenarbeitslosigkeit zeichnete sich mit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>setzenden Hochkonjunktur<br />

Ende <strong>der</strong> 1950er-Jahre ab.<br />

Der gute Ausbildungsstand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region <strong>Konstanz</strong> basierte nach Angaben <strong>der</strong> französischen<br />

Bezirksdelegation erstens auf <strong>der</strong> Existenz technischer, beruflicher <strong>und</strong> gewerblicher<br />

Schulen, zweitens auf <strong>der</strong> Tatsache, dass bereits e<strong>in</strong>ige Betriebe wie<strong>der</strong> wirtschaftlich<br />

Fuß gefasst hatten, drittens auf <strong>der</strong> regen Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes. In<br />

Verb<strong>in</strong>dung mit <strong>der</strong> Handelskammer <strong>und</strong> <strong>der</strong> Handwerkskammer war es alle<strong>in</strong> im Jahr<br />

1950 gelungen, 1.266 Jugendliche aus beiden Kreisen <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> privaten Unternehmen<br />

<strong>und</strong> Handwerksbetriebe unterzubr<strong>in</strong>gen. Darüber h<strong>in</strong>aus ist die günstige Regionalsituation<br />

aber auch auf e<strong>in</strong>e Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> damaligen Arbeitslosenstatistik, die nicht zwischen<br />

<strong>der</strong> Situation im Land- bzw. im Stadtkreis unterschied, zurückzuführen. 844<br />

Ort Firma Lehrl<strong>in</strong>ge<br />

absolute Zahlen Anteil <strong>in</strong> %<br />

<strong>Konstanz</strong> Rieter-Werke 33 8,1<br />

P<strong>in</strong>tsch-Elektro 31 7,6<br />

Radolfzell Allweiler 47 11,5<br />

Schiesser 27 6,6<br />

Schroff 19 4,7<br />

S<strong>in</strong>gen Alum<strong>in</strong>ium-Walzwerke 37 9,1<br />

Georg Fischer 63 15,4<br />

Maggi 22 5,4<br />

Gottmad<strong>in</strong>gen Fahr 129 31,6<br />

beide Kreise<br />

<strong>Konstanz</strong><br />

davon im Landkreis<br />

davon im Stadtkreis<br />

9 Betriebe<br />

7<br />

2<br />

Tabelle 10: Anzahl <strong>der</strong> Lehrl<strong>in</strong>ge nach Orten <strong>und</strong> Ausbildungsbetrieben; Stand 31.12.1950 845<br />

408<br />

344<br />

64<br />

100<br />

84,3<br />

15,7<br />

843<br />

WILL, Die verlorene Schlacht <strong>der</strong> Jugendhilfe, <strong>in</strong>: LENHARDT, <strong>Jugendarbeit</strong>slosigkeit, S. 130-172, hier<br />

S. 130.<br />

844<br />

Die Angaben entstammen <strong>der</strong> Jugendstudie <strong>der</strong> französischen Bezirksmilitärregierung, Etude sur la<br />

Jeunesse, S. 23; MAE AOFAA, C 4381.<br />

845<br />

Quelle: Etude sur la Jeunesse, S. 22; MAE AOFAA, C 4381.


220 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

Die obige Tabelle belegt, dass die günstigen Strukturen überwiegend von den <strong>in</strong>dustriellen<br />

Großbetrieben, die sich auf e<strong>in</strong>zelne Städte <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den im Landkreis <strong>Konstanz</strong><br />

verteilten, getragen wurden <strong>und</strong> etwa 85 Prozent <strong>der</strong> Lehrl<strong>in</strong>ge bei<strong>der</strong> Kreise <strong>in</strong> den<br />

Großunternehmen im Hegau beschäftigt waren. Alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> Landmasch<strong>in</strong>enhersteller Fahr<br />

<strong>in</strong> Gottmad<strong>in</strong>gen bildete e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> Lehrl<strong>in</strong>ge aus. Zu den weiteren wichtigen<br />

Ausbildungsbetrieben <strong>der</strong> Region zählten außerdem die Alum<strong>in</strong>ium-Walzwerke sowie die<br />

Firmen Georg Fischer <strong>und</strong> Maggi <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen. 846<br />

Im Stadtkreis sahen die Ausbildungsmöglichkeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Industrie zu Beg<strong>in</strong>n des<br />

Jahrzehnts deutlich weniger günstig aus. Am Beg<strong>in</strong>n des Jahrzehnts konnte weniger als<br />

e<strong>in</strong> Sechstel <strong>der</strong> Lehrl<strong>in</strong>ge bei<strong>der</strong> Kreise e<strong>in</strong>e Lehrstelle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> örtlichen Industriebetriebe<br />

f<strong>in</strong>den. Lediglich die Rieter-Werke <strong>und</strong> P<strong>in</strong>tsch-Elektro bildeten zusammen 64<br />

Lehrl<strong>in</strong>ge aus. Die Ursachen für die Unterschiede <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lehrl<strong>in</strong>gsvermittlung zwischen<br />

<strong>Konstanz</strong>-Land <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>-Stadt s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> den unterschiedlichen Zuwachsraten<br />

<strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Industriebranchen nach Kriegsende zu suchen. Da sich die Produktionsentwicklung<br />

an <strong>der</strong> Nachfrage orientierte, profitierten unmittelbar nach Kriegsende<br />

vor allem die überwiegend im Umland angesiedelten Betriebe <strong>in</strong> den Bereichen Metallverarbeitung,<br />

Masch<strong>in</strong>enbau- <strong>und</strong> Nahrungs<strong>in</strong>dustrie vom erhöhten Bedarf an Lebensmitteln<br />

<strong>und</strong> Gebrauchsgütern. Aufgr<strong>und</strong> ihrer starken Ausrichtung auf die Textilproduktion partizipierte<br />

die Industrie im Stadtgebiet erst mit Verzögerung vom Wirtschaftsaufschwung.<br />

Als sich im Verlauf des Jahrzehnts die örtliche Industrie zum Motor des Wirtschaftsaufschwungs<br />

entwickelte <strong>und</strong> besatzungsbed<strong>in</strong>gte Beschränkungen <strong>und</strong> Demontagen zu<br />

Ende g<strong>in</strong>gen, bildeten <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> Firmen wie Degussa, StandardZahn o<strong>der</strong> Herosé<br />

wie<strong>der</strong> zunehmend aus. 847 Infolge <strong>der</strong> erhöhten Nachfrage nach Bekleidung, Luxusgütern,<br />

Elektrogeräten, Autos <strong>und</strong> Motorrä<strong>der</strong>n expandierte zuerst die <strong>Konstanz</strong>er Textilbranche<br />

848 , bevor sich im Laufe des Jahrzehnts zusätzlich mo<strong>der</strong>ne Elektronikfirmen <strong>und</strong><br />

neue Unternehmen wie Byk Gulden, Faber-Castell <strong>und</strong> Dura <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> ansiedelten. 849<br />

Während <strong>der</strong> ersten Hälfte des Jahrzehnts sicherten Wirtschaftswachstum <strong>und</strong> Vollbeschäftigung<br />

den meisten <strong>Konstanz</strong>er Familien e<strong>in</strong> eher bescheidenes Auskommen. Erst<br />

seit Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre setzte sich <strong>der</strong> Trend zu mehr Wachstum <strong>und</strong> Konsum durch.<br />

Im Gefolge dieser <strong>Entwicklung</strong> machten die für die 1950er-Jahre typischen diversen Konsumwellen<br />

– die Ernährungs-, Bekleidungs-, Motorisierungswelle – vor <strong>Konstanz</strong> nicht<br />

halt. 850 Während die Lebenshaltungskosten stagnierten, wuchs die Kaufkraft <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

gleichzeitig an. Insbeson<strong>der</strong>e stieg die Nachfrage nach technischen Geräten für<br />

Haushalt <strong>und</strong> Freizeit. 851 An<strong>der</strong>erseits zeugte das damalige Konsumverhalten von erhöh-<br />

846 Etude sur la Jeunesse, S. 23; MAE AOFAA, C 4381.<br />

847 Zur <strong>Konstanz</strong>er <strong>Entwicklung</strong> ausführlich: BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung,<br />

S. 301-323.<br />

848 Mitte des Jahrzehnts zählte <strong>der</strong> Textilfabrikant Stromeyer mit 1.600 Beschäftigten zu den größten Arbeitgebern<br />

<strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>; SEUFFERT, <strong>Konstanz</strong>, S. 255.<br />

849 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 309-314 sowie SEUFFERT, <strong>Konstanz</strong>,<br />

S. 253-254.<br />

850 E<strong>in</strong>zelheiten bei BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 382-385.<br />

851 ZANG, Alltag, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), Alltagswelten, S. 81-99, hier S. 99.


VI.2 RAHMENBEDINGUNGEN FÜR JUGENDLICHES AUFWACHSEN 221<br />

ten Bedürfnissen <strong>der</strong> Bevölkerung, die dazu dienen sollten, die Notzeiten <strong>der</strong> Kriegs- <strong>und</strong><br />

Nachkriegsjahre auszugleichen. 852<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1960er-Jahre mehrten sich <strong>in</strong> Teilen <strong>der</strong> Industrie die Anzeichen für<br />

das Ende des Wirtschaftsw<strong>und</strong>ers. 853 Die damals zeittypischen, branchenübergreifenden<br />

Strukturkrisen trafen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> vor allem die Textil<strong>in</strong>dustrie, <strong>während</strong> die Sektoren<br />

Chemie, Arzneimittelherstellung <strong>und</strong> Elektrotechnik weiter florierten. 854 Die örtliche<br />

Tourismusbranche kämpfte <strong>in</strong> den 1960er-Jahren ebenfalls mit Schwierigkeiten, seit sich<br />

<strong>der</strong> Reisemarkt zunehmend auf ausländische Ziele verlagerte.<br />

2.2.1 Vom Lehrstellenmangel zum Lehrl<strong>in</strong>gsmangel – Strukturwandel im<br />

Ausbildungssektor<br />

Im Gefolge des wirtschaftlichen Strukturwandels verän<strong>der</strong>te sich die Ausbildungssituation<br />

für Jugendliche <strong>in</strong> nur e<strong>in</strong>em Jahrzehnt gr<strong>und</strong>legend. War die erste Hälfte <strong>der</strong> 1950er-<br />

Jahre noch durch e<strong>in</strong>en ausgeprägten Lehrstellenmangel geprägt, so wurde dieses Manko<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte durch e<strong>in</strong>en spürbaren Mangel an Lehrl<strong>in</strong>gen abgelöst. Zu den<br />

Verlierern dieser <strong>Entwicklung</strong> gehörte das Handwerk, <strong>während</strong> die Industrie, die Banken<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Handel die Bedürfnisse nach Nachwuchskräften weitestgehend decken konnten.<br />

Waren beispielsweise Ausbildungsbetriebe <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Ernährungsbranche <strong>in</strong> den<br />

Notjahren nach 1945 unter <strong>der</strong> Jugend sehr begehrt, so ließ im Arbeitsamtsbezirk<br />

<strong>Konstanz</strong> seit 1954 die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen <strong>in</strong> diesem Bereich spürbar<br />

nach. Als unterbesetzt erwiesen sich die Sparten Metall, Holz, Nahrungsmittel <strong>und</strong> das<br />

Baugewerbe, obwohl gerade <strong>in</strong> diesem Bereich aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> großen Nachfrage die<br />

Berufschancen groß waren. Somit war es <strong>in</strong> den Gewerken Bäcker, Metzger, Zimmerer,<br />

Gipser, Maler, Maurer, Fliesen- <strong>und</strong> Plattenleger, Former, Schnei<strong>der</strong> <strong>und</strong> Polsterer für<br />

viele Betriebe ab Mitte des Jahrzehnts schwer, geeigneten Nachwuchs zu f<strong>in</strong>den. 855 Bei<br />

den männlichen Lehrl<strong>in</strong>gen war <strong>der</strong> Andrang bei technischen Berufen groß. Sehr gefragt<br />

waren Lehrstellen im Bereich Masch<strong>in</strong>enbau wie beispielsweise als Masch<strong>in</strong>enschlosser,<br />

Werkzeugmacher o<strong>der</strong> Dreher. Die Bereiche Kraftfahrzeugtechnik <strong>und</strong> Kraftfahrzeugmechanik,<br />

Elektro<strong>in</strong>stallation sowie R<strong>und</strong>funk- <strong>und</strong> Fernsehtechnik waren ebenfalls begehrt.<br />

Trotz <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong> günstigen Wirtschaftlage befand sich die Nachfrage <strong>der</strong> Jugend<br />

nach Lehrstellen schon damals nicht immer im E<strong>in</strong>klang mit dem vorhandenen Angebot<br />

an offenen Stellen. Während das Handwerk ab Mitte des Jahrzehnts bereits unter<br />

Nachwuchsmangel litt, konnte die Industrie aufgr<strong>und</strong> ihrer begrenzten Ausbildungskapazitäten<br />

nicht allen Jugendlichen e<strong>in</strong>e Lehrstelle anbieten. Ähnlich sah es bei den<br />

Behörden <strong>und</strong> staatlichen Unternehmen aus. Auch im Bereich des Fremdenverkehrs<br />

klafften Interesse <strong>und</strong> Bedarf zum Teil weit ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Zwar <strong>in</strong>teressierten sich viele<br />

852 SYWOTTEK, Zwei Wege, <strong>in</strong>: SCHILDT; DERS. (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 269-274; WILDT, Privater<br />

Konsum, <strong>in</strong>: SCHILDT; DERS. (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 275-290.<br />

853 ABELSHAUSER, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft, S. 72 f.<br />

854 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 487 f. sowie S. 497-500; DERS., High-<br />

Tech Industrie.<br />

855 SÜDKURIER vom 03.08.1947.


222 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

Jugendliche für e<strong>in</strong>e Ausbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tourismusbranche. Das geht unter an<strong>der</strong>em aus<br />

<strong>der</strong> Tatsache hervor, dass die Schule für Hotelfach auf <strong>der</strong> Insel Reichenau 1950 bereits<br />

174 Absolventen zählte. Damit entließ sie fast so viele Absolventen <strong>in</strong>s Berufsleben wie<br />

die unter Jugendlichen sehr beliebte Höhere Handelsschule mit ihren 175 Abgängern im<br />

gleichen Jahr. 856 Infolge <strong>der</strong> wetterbed<strong>in</strong>gt kurzen Fremdensaison am See lag <strong>der</strong> tatsächliche<br />

Bedarf an Personal im örtlichen Hotel- <strong>und</strong> Gaststättengewerbe jedoch weit h<strong>in</strong>ter<br />

dem Angebot an Auszubildenden zurück, sodass mancher persönliche Berufswunsch e<strong>in</strong>es<br />

Jugendlichen entwe<strong>der</strong> unberücksichtigt bleiben o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Ortswechsel <strong>in</strong> Kauf genommen<br />

werden musste. 857<br />

Die Verän<strong>der</strong>ungen im Arbeitsleben blieben nicht ohne Wirkung auf die E<strong>in</strong>stellung<br />

<strong>der</strong> jungen Generation <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. Dass sich im Zuge <strong>der</strong> fortschreitenden<br />

Industrialisierung nicht nur die äußeren Strukturen <strong>der</strong> Arbeitswelt, son<strong>der</strong>n auch die<br />

<strong>in</strong>nere E<strong>in</strong>stellung vieler Menschen wandelte, belegt die Tatsache, dass <strong>in</strong> den 1950er-<br />

Jahren Berufsberater des Arbeitsamtes mit <strong>der</strong> unter Eltern <strong>und</strong> Schulabgängern<br />

neuartigen <strong>und</strong> verbreiteten Ansicht konfrontiert wurden, dass e<strong>in</strong>e Lehre aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

fortschreitenden Automatisierung ohneh<strong>in</strong> nicht mehr nötig wäre. Diese Haltung erwies<br />

sich <strong>in</strong>dessen langfristig als Trugschluss, da auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Industrie immer mehr Facharbeiter<br />

gefragt waren.<br />

Die Gründe für den vielschichtigen Wandel im Ausbildungssektor s<strong>in</strong>d mannigfaltig.<br />

Verlängerte Schulzeiten spielten ebenso wie demografische Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

Jugendgeneration e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle 858 , vor allem seit ab Mitte des Jahrzehnts die<br />

weniger starken Geburtsjahrgänge <strong>der</strong> im Krieg Geborenen <strong>in</strong>s Berufsleben wechselten. In<br />

gleichem Maße wie die Industrie <strong>in</strong> den 1950er-Jahren die Gesellschaft <strong>und</strong> Arbeitswelt<br />

zunehmend prägte <strong>und</strong> die Handwerksbetriebe ungünstige Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen vorwiesen,<br />

wan<strong>der</strong>ten Jugendliche vermehrt <strong>in</strong> die großen Firmen ab. Die Berufswünsche <strong>der</strong> jungen<br />

<strong>Konstanz</strong>er<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>er s<strong>in</strong>d somit e<strong>in</strong> Indikator für die „beschleunigte Industrialisierung“<br />

859 , die sich im Verlauf <strong>der</strong> 1950er-Jahre vollzog. Dass sich die Jugend von den<br />

traditionellen Handwerksberufen abwendete, lag zudem an den vergleichsweise ungünstigen<br />

Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> den schlechteren Verdienstmöglichkeiten, zumal es <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Industrie bald reichlich Alternativen gab, die <strong>der</strong> Jugend attraktiver erschienen. E<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

Ursachen, weshalb die Jugendlichen zunehmend Ausbildungsplätze <strong>in</strong> den Branchen<br />

Industrie, Handel, Banken <strong>und</strong> Dienstleistungen e<strong>in</strong>er Handwerkslehre vorzogen, lag vor<br />

allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> arbeitsrechtlichen Situation, <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Ausbildung <strong>und</strong> den Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen.<br />

Denn die Jugendlichen, die <strong>in</strong> den 1950er-Jahren <strong>in</strong> Ausbildung <strong>und</strong> Beruf<br />

standen, waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit des wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Wie<strong>der</strong>aufbaus von den<br />

späteren sozialen Errungenschaften im Arbeitsrecht <strong>der</strong> 1960er- <strong>und</strong> 1970er-Jahre weit<br />

856<br />

Daten nach dem Jugendbericht <strong>der</strong> Bezirksmilitärregierung, Etude sur la Jeunesse, S. 22-23; MAE<br />

AOFAA, C 4381.<br />

857<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 322 f.<br />

858<br />

Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre wurde für die Absolventen <strong>der</strong> Höheren Handelsschule, die bisher erst die<br />

Volksschule, dann zwei Jahre die weiterführende Schule besucht hatten, e<strong>in</strong>e Vorklasse e<strong>in</strong>geführt.<br />

859<br />

MOOSER, Arbeiter, Angestellte <strong>und</strong> Frauen, <strong>in</strong>: SCHILDT; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung,<br />

S. 362-376, hier S. 363.


VI.2 RAHMENBEDINGUNGEN FÜR JUGENDLICHES AUFWACHSEN 223<br />

entfernt. Überlange Wochenarbeitszeiten, Samstags-, Nachtarbeit <strong>und</strong> fehlende Urlaubsregelungen<br />

gehörten für sie zum Arbeitsalltag.<br />

Beson<strong>der</strong>en Anlass zur öffentlichen Kritik gaben immer wie<strong>der</strong> die äußerst langen<br />

Arbeitszeiten <strong>der</strong> Handwerkslehrl<strong>in</strong>ge, gerade, wenn diese mit denjenigen <strong>der</strong> Lehrl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong><br />

Industrie <strong>und</strong> Handel verglichen wurden. E<strong>in</strong>e Befragung, die <strong>der</strong> Kreisjugendausschuss<br />

des Deutschen Gewerkschaftsb<strong>und</strong>es 1952 im Gebiet <strong>Konstanz</strong> unter <strong>in</strong> Ausbildung<br />

stehenden Jugendlichen <strong>in</strong> Auftrag gegeben hatte, ergab, dass Lehrl<strong>in</strong>ge zum Teil bis zu<br />

80 St<strong>und</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche arbeiteten. 860 Mitte des Jahrzehnts waren Arbeitszeiten von etwa<br />

zehn St<strong>und</strong>en pro Tag <strong>in</strong> den kle<strong>in</strong>eren <strong>Konstanz</strong>er Handwerksbetrieben ke<strong>in</strong>e Seltenheit.<br />

Doch die lokale Situation bildete ke<strong>in</strong>e Ausnahmeersche<strong>in</strong>ung, denn lange Arbeitszeiten<br />

waren zu diesem Zeitpunkt b<strong>und</strong>esweit <strong>in</strong> vielen Branchen üblich. Laut Bericht des<br />

damaligen baden-württembergischen Arbeitsm<strong>in</strong>isters Erw<strong>in</strong> Hohlwegler von 1954 waren<br />

etwa im Bezirk Nordbaden Arbeitszeiten zwischen 60 <strong>und</strong> 70 St<strong>und</strong>en pro Woche durchaus<br />

gängige Praxis. In den badischen Landesteilen stützte man sich bezüglich <strong>der</strong> Arbeitszeitenregelung<br />

für Handwerkslehrl<strong>in</strong>ge juristisch noch auf das aus nationalsozialistischer<br />

Zeit stammende „Gesetz über K<strong>in</strong><strong>der</strong>arbeit <strong>und</strong> Arbeitszeit <strong>der</strong> Jugendlichen“ vom<br />

30.09.1938. Dieses erlaubte als Ausnahmeregelung mit Genehmigung <strong>der</strong> Gewerbeaufsichtsämter<br />

e<strong>in</strong>e Erhöhung <strong>der</strong> täglichen Arbeitszeit von acht auf zehn St<strong>und</strong>en. Somit<br />

bewegten sich die Betriebe h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Arbeitszeitregelung im gesetzlichen Rahmen,<br />

selbst wenn sie Arbeitszeiten von bis zu zehn St<strong>und</strong>en zuließen.<br />

Im Zuge des Wirtschaftsw<strong>und</strong>ers <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vollbeschäftigung wurden solche Zeiten,<br />

die zunächst als Ausnahmeregeln deklariert waren, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis zur stillschweigenden<br />

Dauerregelung. Und die Industrie zog nach. In e<strong>in</strong>er Zeit, als die Nachfrage deutlich das<br />

Angebot auf dem Arbeitsmarkt dom<strong>in</strong>ierte, wurden arbeitnehmerfre<strong>und</strong>liche Regelungen<br />

<strong>und</strong> die von den Gewerkschaften vorgetragenen For<strong>der</strong>ungen vor allem <strong>in</strong> den kle<strong>in</strong>eren,<br />

nicht tariflich geb<strong>und</strong>enen Betrieben <strong>und</strong> im Mittelstand kaum befolgt. Die unter den<br />

damaligen Ausbil<strong>der</strong>n gängige Floskel, wonach „Lehrjahre ke<strong>in</strong>e Herrenjahre“ wären, war<br />

auch <strong>in</strong> den <strong>Konstanz</strong>er Lehrl<strong>in</strong>gsbetrieben <strong>der</strong> 1950er-Jahre e<strong>in</strong>e weitverbreitete<br />

Me<strong>in</strong>ung. Viele Meister zeigten daher kaum Verständnis für Vorschläge, die auf e<strong>in</strong>e<br />

Reduzierung <strong>der</strong> Arbeitszeiten h<strong>in</strong>ausliefen, wie aus e<strong>in</strong>er Umfrage, die <strong>der</strong> SÜDKURIER<br />

1952 <strong>in</strong> den lokalen Betrieben zu diesem Thema durchführte, hervorgeht. So fragte<br />

beispielsweise e<strong>in</strong> Handwerksmeister, ob die „heutige Jugend“ 861 denn weniger leisten<br />

könne, als „se<strong>in</strong>e Generation“, die <strong>in</strong> ihrer Jugend zwölf bis dreizehn St<strong>und</strong>en am Tage<br />

gearbeitet hätte.<br />

Die Handwerkskammer <strong>Konstanz</strong> als Vertretung <strong>der</strong> Innung stellte sich im Fall von<br />

arbeitsrechtlichen Fragen tendenziell h<strong>in</strong>ter die Lehrmeister. Daher ersche<strong>in</strong>t es kaum<br />

verw<strong>und</strong>erlich, dass Anzeigen vonseiten <strong>der</strong> Lehrl<strong>in</strong>ge gegen Verstöße im <strong>Jugendarbeit</strong>sschutz<br />

gegenüber ihrer Gilde eher die Ausnahme darstellten. 1952 klagte nur e<strong>in</strong> halbes<br />

Prozent <strong>der</strong> r<strong>und</strong> 6.000 Lehrl<strong>in</strong>ge im Handwerkskammerbezirk <strong>Konstanz</strong> gegen ihren Ausbildungsbetrieb.<br />

Die meisten Jugendlichen waren froh, überhaupt e<strong>in</strong>en Ausbildungsplatz<br />

860 SÜDKURIER vom 18.10.1952.<br />

861 SÜDKURIER vom 15.10.1952.


224 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

zu haben, <strong>und</strong> nahmen daher Missstände wie die schlechte Behandlung durch die<br />

Ausbil<strong>der</strong> <strong>in</strong> Kauf. 862 Um ihren Ausbildungs- o<strong>der</strong> Arbeitsplatz zu behalten, leisteten die<br />

jugendlichen Arbeiter vermehrt Überst<strong>und</strong>en o<strong>der</strong> nahmen Nacht- <strong>und</strong> Sonntagsarbeit <strong>in</strong><br />

Kauf.<br />

2.2.2 Fortschritte im <strong>Jugendarbeit</strong>sschutz <strong>in</strong> den 1960er-Jahren<br />

Unter dem Druck <strong>der</strong> Gewerkschaften rückte die Verbesserung des <strong>Jugendarbeit</strong>sschutzes<br />

bald nach Gründung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik <strong>in</strong> die öffentliche Diskussion. So stritten die<br />

Tarifpartner etwa um das M<strong>in</strong>destalter <strong>der</strong> jugendlichen Beschäftigten, die Dauer <strong>der</strong><br />

Arbeitszeit, das Verhältnis von Arbeitszeit <strong>und</strong> Freizeit, Ruhepausen <strong>und</strong> Urlaub, Beschäftigungsverbote<br />

<strong>und</strong> Beschränkungen für gefährliche Arbeiten, Akkordarbeit <strong>und</strong> Arbeit<br />

unter Tage. Doch erst das neue Arbeitsschutzgesetz, das zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1960er-Jahre <strong>in</strong><br />

Kraft trat, brachte entscheidende Fortschritte im Arbeitsrecht für Jugendliche 863 , <strong>in</strong>dem es<br />

die Arbeitgeber zum Jugendschutz <strong>in</strong> ihren Betrieben verpflichtete <strong>und</strong> erstmals den<br />

sozialen Gedanken im H<strong>in</strong>blick auf Ges<strong>und</strong>heit, Erziehung, Beschäftigung <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>es<br />

Wohlergehen junger Arbeiter, Angestellter <strong>und</strong> Auszubilden<strong>der</strong> im Arbeitsschutz<br />

verankerte. An konkreten Maßnahmen auf diesem Gebiet s<strong>in</strong>d die E<strong>in</strong>führungen des<br />

Verbots von K<strong>in</strong><strong>der</strong>arbeit sowie von Nacht-, Sonntags-, Akkord- <strong>und</strong> Fließbandarbeit für<br />

Jugendliche 864 <strong>und</strong> die Verlängerung <strong>der</strong> gesetzlichen Ruhepausen zu nennen. Zudem<br />

wurde gegenüber den bisher üblichen Län<strong>der</strong>regelungen <strong>der</strong> gesetzliche Urlaubsanspruch<br />

auf 24 Werktage für die unter 17 Jahre alten Arbeitnehmer, auf 18 für alle über 17jährigen<br />

festgelegt. Wichtige Impulse auf dem Weg zu e<strong>in</strong>em verbesserten Arbeitschutz<br />

für Jugendliche setzte das neue Gesetz vor allem dadurch, dass es die körperliche<br />

Züchtigung jugendlicher Arbeitnehmer expliziert untersagte. E<strong>in</strong>em Pressebericht zufolge<br />

zählten bis dah<strong>in</strong> auch <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>er Handwerksbetrieben „Ohrfeigen durch den<br />

Lehrmeister“ durchaus zur gängigen Praxis im Ausbildungsalltag. 865<br />

2.2.3 Geschlechtsspezifische Unterschiede <strong>in</strong> Ausbildung <strong>und</strong> Beruf<br />

Der allgeme<strong>in</strong>e Wirtschaftsaufschwung för<strong>der</strong>te <strong>in</strong> ganz Westdeutschland die<br />

fortschreitende Fem<strong>in</strong>isierung <strong>der</strong> Arbeitswelt. Im Zuge dieser <strong>Entwicklung</strong> wurde die<br />

Erwerbsarbeit von Frauen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> wie überall im Land ganz allmählich ausgeweitet.<br />

866 Kriegs- <strong>und</strong> Nachkriegszeit hatten gerade <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> weiblichen<br />

Heimatvertriebenen gezeigt, wie wichtig es für Frauen ist, e<strong>in</strong>er eigenständigen Erwerbstätigkeit<br />

nachzugehen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> begann sich <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Gesellschaft nach<br />

<strong>und</strong> nach die Auffassung durchzusetzen, dass Mädchen zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e Ausbildung durch-<br />

862<br />

SÜDKURIER vom 18.10.1952.<br />

863<br />

Der Entwurf des <strong>Jugendarbeit</strong>sschutzgesetzes lag zwar bereits 1956 vor, die Verabschiedung des<br />

Gesetzes verzögerte sich jedoch aufgr<strong>und</strong> von Protesten v. a. <strong>der</strong> Landwirte <strong>und</strong> Handwerker; vgl.<br />

SÜDKURIER vom 18.08.1955.<br />

864<br />

Mit Ausnahme von Gaststätten <strong>und</strong> Bäckereibetrieben.<br />

865<br />

SÜDKURIER vom 20.04.1956.<br />

866<br />

MÜLLER, Frauenerwerbstätigkeit, <strong>in</strong>: DERS. U. A. (Hgg.), Strukturwandel <strong>der</strong> Frauenarbeit, S. 145 f.


VI.2 RAHMENBEDINGUNGEN FÜR JUGENDLICHES AUFWACHSEN 225<br />

laufen sollten. 867 Außerdem erfasste <strong>der</strong> umfassende Umschichtungsprozess <strong>in</strong>nerhalb des<br />

Beschäftigungssystems auch die weiblichen Erwerbstätigen. So s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong><br />

geschlechtsspezifischen Strukturen im Ausbildungssektor <strong>während</strong> <strong>der</strong> 1950er-Jahre <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> analog zu an<strong>der</strong>en Gesellschaftsbereichen gewisse Mo<strong>der</strong>nisierungstendenzen<br />

zu beobachten. Diese Wandlungen sagen freilich we<strong>der</strong> etwas über die tatsächlichen<br />

Berufschancen weiblicher Beschäftigter, ihre gesellschaftliche Anerkennung o<strong>der</strong> über die<br />

Qualität <strong>der</strong> Arbeit aus, noch ist von e<strong>in</strong>er Gleichberechtigung <strong>der</strong> Geschlechter auf dem<br />

Arbeitsmarkt auszugehen. Die Ursachen für diese E<strong>in</strong>schränkungen waren bereits frühzeitig<br />

im Vorfeld <strong>der</strong> Berufswahl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule angelegt. Im Vergleich zu Jungen brachten<br />

die Mädchen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mehrzahl bereits ger<strong>in</strong>gere schulische Qualifikationen mit. Am Ende<br />

des Jahrzehnts lag <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Mädchen, die Abitur machten, knapp über e<strong>in</strong>em Drittel<br />

<strong>der</strong> Schulabgänger. 868 Akademische Berufe wie das höhere Lehramt standen aufgr<strong>und</strong> des<br />

Schulgeldes <strong>und</strong> bestehen<strong>der</strong> Traditionen nur wenigen <strong>Konstanz</strong>er<strong>in</strong>nen offen. Ohneh<strong>in</strong><br />

vorhandene sozioökonomische Unterschiede wurden auf diese Weise durch geschlechtsspezifische<br />

Unterschiede zum Nachteil <strong>der</strong> Mädchen verstärkt.<br />

Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule vorgezeichnete <strong>Entwicklung</strong> setzte sich später auf dem Arbeitsmarkt<br />

zugunsten <strong>der</strong> männlichen Erwerbsbevölkerung weiter fort. Frauen kamen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>in</strong><br />

den oft schlechter bezahlten Tätigkeiten im Handel, <strong>in</strong> Verwaltungen, im Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

o<strong>der</strong> im Pflegebereich unter. In diesen Sparten gab es für sie Ausbildungsplätze<br />

etwa als Stenotypist<strong>in</strong>, Telefonist<strong>in</strong>, Sekretär<strong>in</strong>, Erzieher<strong>in</strong>, K<strong>in</strong><strong>der</strong>pfleger<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Krankenschwester.<br />

E<strong>in</strong>en weiteren Gr<strong>und</strong> für die E<strong>in</strong>schränkungen, die ausbildungswillige<br />

Mädchen <strong>in</strong> Kauf nehmen mussten, bildete <strong>der</strong> niedrige Stand <strong>der</strong> Automatisierung<br />

<strong>in</strong>nerhalb des Handwerks <strong>und</strong> <strong>der</strong> Industrie. Beide Sparten waren zum damaligen Zeitpunkt<br />

strukturbed<strong>in</strong>gt im Wesentlichen e<strong>in</strong>e Männerdomäne. So nahmen die beiden<br />

großen örtlichen Ausbildungsbetriebe – Rieter-Werke <strong>und</strong> P<strong>in</strong>tsch-Elektro – ausschließlich<br />

männliche Jugendliche auf. Ähnlich verfuhren die Betriebe im Umland, darunter<br />

Georg Fischer <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Landmasch<strong>in</strong>enhersteller Fahr <strong>in</strong> Gottmad<strong>in</strong>gen.<br />

Weiblichen Interessenten standen lediglich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Textil- <strong>und</strong> <strong>der</strong> Lebensmittel<strong>in</strong>dustrie<br />

Ausbildungsstätten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>geschränktem Maße offen. 869 Da sich <strong>der</strong> Aufschwung<br />

<strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Textil<strong>in</strong>dustrie jedoch verzögerte, waren die Chancen für weibliche<br />

Jugendliche, e<strong>in</strong>e Lehrstelle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Industrie zu erhalten, <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren<br />

äußerst ger<strong>in</strong>g. Die Lage <strong>der</strong> weiblichen Beschäftigten besserte sich zwar im Laufe des<br />

Jahrzehnts, erreichte jedoch niemals das Niveau <strong>der</strong> männlichen Arbeitnehmer. Denn nur<br />

wenige Gewerke wie das Friseur- <strong>und</strong> das Schnei<strong>der</strong>gewerbe, boten weiblichen<br />

Lehrl<strong>in</strong>gen annähernd gleiche Chancen, wenn auch freilich nicht den gleichen Verdienst.<br />

In <strong>der</strong> Industrie stellten, mit Ausnahme <strong>der</strong> Textilbranche, viele Firmen ausschließlich<br />

männlichen Bewerbern e<strong>in</strong>e Lehrstelle zur Verfügung. Beispiele s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Metallbau, die<br />

Elektro- <strong>und</strong> Radiotechnik sowie <strong>der</strong> Bereich Kraftfahrzeugmechanik.<br />

867 SCHILDT, Not <strong>der</strong> Jugend, <strong>in</strong>: DERS.; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 235-349, hier S. 337.<br />

868 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 544.<br />

869 Etude sur la Jeunesse, S. 22; MAE AOFAA, C 4381.


226 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d mentalitätsgeschichtliche Aspekte zu berücksichtigen. Zwar kann<br />

auf die Probleme erwachsener Frauen im damaligen Berufsleben im Rahmen dieser Untersuchung<br />

nicht e<strong>in</strong>gegangen werden, da diese nicht zur Zielgruppe <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> zu<br />

zählen s<strong>in</strong>d, jedoch sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Ausbildung von Frauen <strong>in</strong><br />

weiten Teilen <strong>der</strong> Bevölkerung zum damaligen Zeitpunkt als e<strong>in</strong>e Phase zwischen Schule<br />

<strong>und</strong> Eheschließung galt. Verheiratete Frauen, die e<strong>in</strong>er Vollzeittätigkeit nachg<strong>in</strong>gen, waren<br />

die Ausnahme, ebenso wie berufstätige Mütter. Deren Beschäftigung war sozialpolitisch<br />

bzw. gesellschaftlich <strong>in</strong> den 1950er-Jahren <strong>und</strong> weit darüber h<strong>in</strong>aus äußerst umstritten.<br />

Diese Haltung wurde durch Erklärungen damals führen<strong>der</strong> Wissenschaftler gesellschaftlich<br />

verankert. So unterstellte beispielsweise <strong>der</strong> Soziologe Otto SPECK arbeitenden<br />

Frauen Motive wie „Geldgier <strong>und</strong> Vergnügungssucht“, wenn es um die Ausübung e<strong>in</strong>er<br />

bezahlten Tätigkeit g<strong>in</strong>g. 870 Außerdem bee<strong>in</strong>flussten gesetzliche Bestimmungen die<br />

Denkweise <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>stellungen <strong>der</strong> Gesellschaft h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Frau.<br />

Er<strong>in</strong>nert sei an dieser Stelle an die Tatsache, dass Frauen erst nach E<strong>in</strong>führung des<br />

Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann <strong>und</strong> Frau, das zum 1. Juli 1958 <strong>in</strong> Kraft<br />

trat, eigenständig über Geldangelegenheiten <strong>und</strong> Berufsausübung entscheiden durften,<br />

<strong>während</strong> zuvor <strong>der</strong> Ehemann de jure <strong>in</strong> Ehe- <strong>und</strong> Familienfragen die Fe<strong>der</strong>führung<br />

<strong>in</strong>nehatte. 871<br />

2.3 Jugend <strong>und</strong> sozialer Wandel<br />

Die sozioökonomische Lage <strong>der</strong> Jugend <strong>während</strong> <strong>der</strong> 1950er-Jahre kann im Rahmen<br />

dieser Arbeit aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Vielfalt <strong>und</strong> Komplexität nur ansatzweise beschrieben werden.<br />

Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Überlegungen stehen stellvertretend für viele E<strong>in</strong>flussfaktoren auf<br />

diesem Gebiet im Folgenden exemplarisch drei Aspekte. Erstens wird auf die demografische<br />

Lage e<strong>in</strong>gegangen, zweitens h<strong>in</strong>terfragt, welche Auswirkungen <strong>der</strong> Wandel <strong>der</strong><br />

Familie als Institution auf die Jugend gehabt haben mag 872 , drittens gilt <strong>der</strong> Blick den<br />

Wohnverhältnissen, <strong>in</strong> denen Jugendliche <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

aufwuchsen.<br />

2.3.1 Die demografische <strong>Entwicklung</strong><br />

Die <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerungsdaten spiegeln das Bild e<strong>in</strong>er jungen Gesellschaft wi<strong>der</strong>.<br />

Nach dem Stand von Ende 1950 lebten <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> r<strong>und</strong> 8.300 K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche im<br />

Alter von sechs bis 20 Jahren. Das entsprach, gemessen an <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wohnerzahl von 42.780<br />

Personen, e<strong>in</strong>em Anteil an <strong>der</strong> Bevölkerung von etwas mehr als 18 Prozent. Wenn man<br />

außerdem weitere r<strong>und</strong> 5.300 Personen im Alter von 21 bis 30 Jahren, die nach französi-<br />

870<br />

Zitiert nach MOOSER, Arbeiter, Angestellte <strong>und</strong> Frauen, <strong>in</strong>: SCHILDT;<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 362-376, hier S. 369.<br />

871<br />

Gesetz vom 18.06.1957 (BGBL I, S. 609).<br />

SYWOTTEK (Hgg.),<br />

872<br />

Für die westdeutsche Gesellschaft <strong>der</strong> 1950er-Jahre siehe NIEHUS, Kont<strong>in</strong>uität <strong>und</strong> Wandel, <strong>in</strong>: SCHILDT ;<br />

SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 316-335.


VI.2 RAHMENBEDINGUNGEN FÜR JUGENDLICHES AUFWACHSEN 227<br />

schem Verständnis zur Zielgruppe <strong>der</strong> Jugendpolitik zählten, zur jungen Generation h<strong>in</strong>zurechnet,<br />

bleibt zunächst festzuhalten, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Jugendliche <strong>und</strong> junge Erwachsene im<br />

Alter von sechs bis 30 Jahren zusammengenommen damals mehr als e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>wohnerschaft des Stadtkreises <strong>Konstanz</strong> ausmachten. 873 Davon stellten Jugendliche<br />

zwischen 14 <strong>und</strong> 20 Jahren, die als eigentliche Klientel <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> anzusehen<br />

s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>en Anteil von 8,4 Prozent.<br />

Bis Ende des Jahrzehnts stieg die Zahl <strong>der</strong> Fünf- bis 18-Jährigen auf 8.900 an. 874<br />

Damit war 1959 r<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Sechstel <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wohnerschaft von <strong>Konstanz</strong> im K<strong>in</strong>des- o<strong>der</strong><br />

Jugendalter. Markant ist vor allem <strong>der</strong> Anstieg <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Zehn- bis 18-<br />

Jährigen. Sie wuchs um r<strong>und</strong> 700 Personen von 4.700 im Jahr 1950 auf 5.400 im Jahr<br />

1959 an. Der Vergleich mit den <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> vorherrschenden demografischen<br />

Gegebenheiten des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts vermag die Unterschiede zu verdeutlichen: Ende<br />

2003 lebten <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> 2.016 junge Menschen zwischen 15 <strong>und</strong> 18 Jahren. Ihr Anteil an<br />

<strong>der</strong> Wohnbevölkerung <strong>in</strong> Höhe von 2,5 Prozent lag etwa um die Hälfte niedriger als<br />

1959. 875<br />

Alter absolute Zahlen Anteil an <strong>der</strong> Bevölkerung <strong>in</strong> %<br />

6-14 Jahre 4.700 11,0<br />

14-20 Jahre 3.600 8,4<br />

21-30 Jahre 5.300 12,4<br />

Gesamtsumme 13.600 31,8<br />

Tabelle 11: Jugendliche <strong>und</strong> junge Erwachsene im Stadtkreis <strong>Konstanz</strong>, Stand: 31.12.1950<br />

Die quantitative Zunahme <strong>der</strong> Anzahl von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen vollzog sich parallel<br />

zum allgeme<strong>in</strong>en Bevölkerungsanstieg, den <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> diesem Zeitraum zu verbuchen<br />

hatte. Neben dem natürlichen Bevölkerungswachstum speiste sich diese Zunahme im<br />

Wesentlichen aus dem Zuzug von Neubürgern, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Heimatvertriebenen <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Ostzonenflüchtl<strong>in</strong>ge. Insgesamt stieg die E<strong>in</strong>wohnerzahl im Verlauf nur e<strong>in</strong>es<br />

Jahrzehnts zwischen 1950 <strong>und</strong> 1960 von knapp 43.000 auf über 53.000 <strong>und</strong> damit um fast<br />

19 Prozent. 876 Als ursächlich für den Bevölkerungsschub s<strong>in</strong>d zu nennen: die günstige<br />

Wirtschaftsentwicklung, die Folgen des Flüchtl<strong>in</strong>gsausgleichs <strong>und</strong> die e<strong>in</strong>setzende Fluchtwelle<br />

aus <strong>der</strong> sowjetischen Zone nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953. Zu den bekannten<br />

Folgen dieser <strong>Entwicklung</strong> zählen vor allem die älter werdende Gesellschaft <strong>und</strong> die<br />

Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Konfessionsstruktur zugunsten des evangelischen Bevölkerungsteils. 877<br />

873 Die Daten entstammen <strong>der</strong> Etude sur la Jeunesse, S. 2; MAE AOFAA, C 4381.<br />

874 Daten nach BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, Tabelle S. 412.<br />

875 Quelle: http://www.konstanz.de/rathaus/ämter/ha/sw/statistik/bevoelkerung/<strong>in</strong>dex.htm [Stand 3.09.2007].<br />

876 E<strong>in</strong>wohnerentwicklung zwischen 1948 <strong>und</strong> 1960 nach e<strong>in</strong>zelnen Jahren: BURCHARDT, Zwischen<br />

Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, Tabelle S. 297.<br />

877 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 298.


228 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

2.3.2 Der Wandel familiärer Strukturen<br />

Zwar war die Lage <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> katholischen Prägung <strong>der</strong> Bevölkerung <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> baulichen <strong>und</strong> <strong>in</strong>frastrukturellen Unversehrtheit <strong>der</strong> Stadt sich nicht ganz so prekär wie<br />

<strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Regionen Deutschlands. Dennoch blieb die e<strong>in</strong>heimische Jugend nicht von den<br />

Auswirkungen des Kriegs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vertreibung verschont. Allgeme<strong>in</strong> waren <strong>in</strong><br />

Westdeutschland nach Kriegsende nach 1945 kriegsbed<strong>in</strong>gt schätzungsweise r<strong>und</strong> 1,6<br />

Millionen K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu Halb- o<strong>der</strong> Vollwaisen geworden; Faktoren wie die Vaterlosigkeit<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e späte Rückkehr <strong>der</strong> Väter aus Kriegsgefangenschaften, die Entfremdung <strong>der</strong><br />

Eltern <strong>und</strong> hohe Scheidungsraten prägten bis weit <strong>in</strong> die 1950er-Jahre die Situation vieler<br />

Familien. Viele Jugendliche wuchsen <strong>in</strong> nicht „vollständigen“ Familien auf. Innerhalb <strong>der</strong><br />

Gesellschaft fand zwangsläufig e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem Phänomen <strong>der</strong><br />

Vaterlosigkeit vieler K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlicher statt. So wuchs etwa jedes vierte bis fünfte<br />

K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den 1950er-Jahren entwe<strong>der</strong> vaterlos auf o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vater kam spät aus <strong>der</strong><br />

Kriegsgefangenschaft zurück. 878 Erst bis Mitte des Jahrzehnts kehrten die letzten Spätheimkehrer<br />

aus <strong>der</strong> Gefangenschaft heim. 879 Wie SCHULZ darlegt, führten die zahlreichen<br />

Pflichten <strong>in</strong> früher K<strong>in</strong>dheit zu e<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en Persönlichkeitsstruktur <strong>der</strong> vaterlosen<br />

Jugend, die sich durch Pflichtbewusstse<strong>in</strong>, Organisationstalent, Genügsamkeit <strong>und</strong><br />

Zähigkeit im Beruf <strong>und</strong> Alltag auszeichnete. Den Werdegang vieler männlicher Jugendlicher,<br />

die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit ohne Vater aufwuchsen, beschreibt er wie folgt:<br />

„Nicht selten machten die vaterlosen Söhne <strong>in</strong> Gehorsam zum (fehlenden) Vater o<strong>der</strong><br />

zur (überfor<strong>der</strong>ten, tapferen) Mutter ihre Karriere, engagierten sich sozial o<strong>der</strong> politisch<br />

<strong>und</strong> unterdrückten ihre (unausgesprochene <strong>und</strong> unbewusste) Suche nach <strong>der</strong><br />

eigenen Identität zu Gunsten e<strong>in</strong>es Idealbildes von ‚Tapferkeit‘ <strong>und</strong> zu Lasten <strong>der</strong><br />

eigenen Selbstf<strong>in</strong>dung. In K<strong>in</strong>dheit <strong>und</strong> Jugend fanden sie selten angemessene Gesprächspartner,<br />

die sie auff<strong>in</strong>gen, Dialogfähigkeit herstellten, ihnen wirklich weiterhalfen.“<br />

880<br />

E<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> für die mangelnde Dialogfähigkeit, die für viele Erwachsene <strong>der</strong><br />

Nachkriegsgesellschaft im Umgang mit ihrem Nachwuchs symptomatisch war, bestand<br />

dar<strong>in</strong>, dass <strong>in</strong> weiten Kreisen <strong>der</strong> Bevölkerung die Me<strong>in</strong>ung vorherrschte, K<strong>in</strong><strong>der</strong> hätten<br />

traumatische Ereignisse wie Krieg, Vertreibung <strong>und</strong> Vaterlosigkeit gut überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

entwickelten sich nicht signifikant an<strong>der</strong>s als Altersgenossen. Im Mittelpunkt seelsorgerischer<br />

Tätigkeiten standen vielmehr die Kriegswitwen, <strong>während</strong> die Bef<strong>in</strong>dlichkeiten <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> wie Trauer <strong>und</strong> Angst nur wenig Beachtung fanden. 881<br />

In vielen Familien führte die lange Abwesenheit <strong>der</strong> Väter zu Konflikten. Für an<strong>der</strong>e<br />

Jugendliche dagegen wurde nun <strong>der</strong> Tod des Vaters endgültig zur Gewissheit. Neben<br />

solchen Auflösungstendenzen gab es jedoch gleichzeitig e<strong>in</strong>ige stabilisierende Effekte. So<br />

878 Daten <strong>und</strong> Fakten zur westdeutschen Nachkriegsgesellschaft bei RADEBOLD, Abwesende Väter, <strong>in</strong>:<br />

SCHULZ U. A., Söhne ohne Väter, S. 115-119, hier S.116-117.<br />

879 Vgl. dazu die Analyse über den Wandel <strong>der</strong> Familie <strong>in</strong> <strong>der</strong> westdeutschen Gesellschaft <strong>während</strong> <strong>der</strong><br />

Nachkriegszeit von NIEHUS, Kont<strong>in</strong>uität <strong>und</strong> Wandel, <strong>in</strong>: SCHILDT; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung,<br />

S. 316-335.<br />

880 SCHULZ, Beschädigte K<strong>in</strong>dheiten, <strong>in</strong>: DERS. U. A., Söhne ohne Väter, S. 14-20, hier S. 18.<br />

881 REULECKE, Vaterlose Söhne, <strong>in</strong>: SCHULZ U. A., Söhne ohne Väter, S. 144-159, hier S. 153-154.


VI.2 RAHMENBEDINGUNGEN FÜR JUGENDLICHES AUFWACHSEN 229<br />

pflegten speziell viele Familien mit Flüchtl<strong>in</strong>gs- <strong>und</strong> Heimatvertriebenenh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Situation fern <strong>der</strong> alten Heimat bisweilen e<strong>in</strong>en engen Familienzusammenhalt.<br />

Gerade diese Bevölkerungsgruppe rückte auf <strong>der</strong> Suche nach e<strong>in</strong>er eigenen<br />

kulturellen Identität <strong>in</strong> <strong>der</strong> neuen Umgebung eng zusammen.<br />

2.3.3 Stadtentwicklung <strong>und</strong> Wohnungsbau<br />

Wenn an dieser Stelle repräsentativ für viele prägende E<strong>in</strong>flüsse, die auf die gesellschaftliche<br />

Lage <strong>der</strong> Jugend e<strong>in</strong>wirkten, etwas ausführlicher auf die Wohnverhältnisse <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>gegangen wird, so geschieht dies vor allem aus zwei Gründen: Erstens<br />

prägten beengte Wohnverhältnisse die Lebensumstände vieler junger <strong>Konstanz</strong>er<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>er <strong>und</strong> ihrer Familien nachhaltig. Zweitens blieb die Wohnungsnot im<br />

Gegensatz zu vielen Problemen <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegsphase, darunter dem Ernährungsnotstand,<br />

noch lange aktuell. Selbst gegen Ende <strong>der</strong> 1950er-Jahre wurde <strong>der</strong> Fehlbestand<br />

an Wohnungen noch mit 4.746 E<strong>in</strong>heiten angegeben. 882 E<strong>in</strong>e Ursache für diesen<br />

Notstand war e<strong>in</strong>erseits das rapide Bevölkerungswachstum, das die schon seit den Kriegs-<br />

<strong>und</strong> Nachkriegszeiten bestehenden Wohnraumprobleme zusätzlich verstärkte. 883 An<strong>der</strong>erseits<br />

waren bis 1955 weiterh<strong>in</strong> Wohnungen durch die Franzosen belegt 884 , <strong>während</strong> viele<br />

Familien <strong>in</strong> Notwohnungen lebten.<br />

Mitte des Jahres 1950 nahm sich <strong>der</strong> SÜDKURIER dem Thema an <strong>und</strong> veröffentlichte<br />

e<strong>in</strong>e Serie über beson<strong>der</strong>s ungünstige Wohnverhältnisse <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. In e<strong>in</strong>em <strong>der</strong><br />

geschil<strong>der</strong>ten Beispiele wurde beschrieben, dass sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mehrstöckigen Gebäude,<br />

das sich im Eigentum des Bezirksbauamtes befand, drei Familien vier Räume <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Mansarde teilen mussten. Die <strong>in</strong>sgesamt sieben Bewohner nutzen e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen<br />

Raum, <strong>der</strong> gleichermaßen als Küche, Waschraum <strong>und</strong> Toilette diente. Die übrigen beiden<br />

Wohnungen im Haus waren von den Franzosen requiriert worden. 885 Die Berichte verweisen<br />

zudem auf die beson<strong>der</strong>s ungünstige Situation <strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Heimatvertriebenen.<br />

So wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren Fall das Schicksal e<strong>in</strong>er sechsköpfigen Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilie<br />

aus Danzig, die nach ihrer Übersiedlung nach <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Raum auf 14<br />

Quadratmetern untergebracht wurde, beschrieben. Jeweils zwei <strong>der</strong> vier K<strong>in</strong><strong>der</strong> von drei<br />

bis 18 Jahren mussten sich e<strong>in</strong> Bett teilen.<br />

Lässt man diese Extremfälle unberücksichtigt, waren selbst unter für damalige Zeiten<br />

„normalen“ Verhältnissen den Wünschen <strong>der</strong> Jugendlichen nach e<strong>in</strong>em eigenen Zimmer,<br />

Rückzug <strong>und</strong> Selbstbestimmung enge Grenzen gesteckt. Viele Jugendliche lebten daher<br />

vor allem im ersten Drittel <strong>der</strong> 1950er-Jahre <strong>in</strong> e<strong>in</strong>fachen Verhältnissen. Nur die Nachkommen<br />

aus wirtschaftlich besser gestellten Familien dürften <strong>in</strong> dieser Phase über e<strong>in</strong><br />

eigenes Zimmer verfügt haben, <strong>während</strong> wohl die Mehrheit <strong>der</strong> jungen <strong>Konstanz</strong>er<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>er entwe<strong>der</strong> mit mehreren Geschwistern o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Familienmitglie<strong>der</strong>n<br />

882 SÜDKURIER vom 23.12.1957.<br />

883 SÜDKURIER vom 31.12.1952.<br />

884 Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre wurden r<strong>und</strong> 400 Wohnungen als beschlagnahmt registriert; vgl. ZANG, Alltag,<br />

<strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), Alltagswelten, S. 81-99, hier S. 96.<br />

885 SÜDKURIER vom 17.06.1950.


230 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

e<strong>in</strong>en Schlafraum teilen musste. <strong>Konstanz</strong> bildete <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht gegenüber an<strong>der</strong>en<br />

Städten ke<strong>in</strong>e Ausnahme. Laut e<strong>in</strong>er zeitgenössischen Studie, die sich mit <strong>der</strong> Situation<br />

<strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> Darmstadt befasste, hatte dort noch um das Jahr 1950 r<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong><br />

unter zehn Jahre alten K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> nicht e<strong>in</strong>mal die Hälfte <strong>der</strong> über Zehnjährigen e<strong>in</strong><br />

eigenes Zimmer; davon wie<strong>der</strong>um besaß e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen sogar nicht<br />

e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> eigenes Bett. 886<br />

In <strong>Konstanz</strong> nahm sich das staatliche Ges<strong>und</strong>heitsamt, das 1954 <strong>in</strong>sgesamt über 1.000<br />

sozial Benachteiligte zu betreuen hatte, dieser Form <strong>der</strong> Jugendnot <strong>in</strong>tensiv an, <strong>in</strong>dem die<br />

Behörde sich für das Jahr 1954 zum Ziel setzte, jedem K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> eigenes Bett zu sichern. In<br />

materieller H<strong>in</strong>sicht stellte dieses Vorhaben zu diesem Zeitpunkt zwar bereits ke<strong>in</strong><br />

Problem mehr dar, denn im Gegensatz zur unmittelbaren Nachkriegszeit standen aufgr<strong>und</strong><br />

des Wirtschaftsaufschwungs <strong>in</strong>zwischen ausreichend Mittel für die Anschaffung von<br />

Mobiliar bereit. Vielmehr war es aus Platzgründen <strong>in</strong> vielen Fällen nicht möglich, diese<br />

Zielsetzung <strong>in</strong> die Tat umzusetzen, da bisweilen immer noch acht <strong>und</strong> mehr Menschen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Zimmer auf engstem Raum zusammenlebten. In schwerwiegenden Fällen wurden<br />

ges<strong>und</strong>heitsgefährdete K<strong>in</strong><strong>der</strong> über die Wohlfahrtsverbände Arbeiterwohlfahrt, Caritas,<br />

Rotes Kreuz <strong>und</strong> Evangelisches Hilfswerk <strong>in</strong> die sogenannte „Erholungsfürsorge“ o<strong>der</strong><br />

Kur geschickt. Zu diesem Zweck stockte die Stadt <strong>Konstanz</strong> ihren Kostenbeitrag <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>erholungsfürsorge bereits zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1950er-Jahre auf. Außerdem konnten pro<br />

Monat 40 K<strong>in</strong><strong>der</strong> im landkreiseigenen Erholungsheim auf dem Schiener-Berg betreut<br />

werden. 887 Die Schulspeisungen wurden ebenfalls aus Gründen <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsfürsorge<br />

bis Sommer 1950 aufrechterhalten. Die Beispiele machen deutlich, dass im ersten Nachkriegsjahrzehnt<br />

nicht alle Menschen gleichmäßig vom Wirtschaftsaufschwung profitierten.<br />

Was die Versorgung <strong>der</strong> Bevölkerung mit Wohnraum anbelangte, bremsten<br />

oftmals Relikte aus <strong>der</strong> Kriegs- <strong>und</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit den Fortschritt.<br />

Auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage e<strong>in</strong>er gezielten öffentlich geför<strong>der</strong>ten Bautätigkeit <strong>während</strong> <strong>der</strong><br />

1950er-Jahre wurden r<strong>und</strong> 6.000 Wohnungse<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> erstellt, sodass sich zum<br />

Ende des Jahrzehnts die desolate Lage auf dem Wohnungsmarkt allmählich entspannte. 888<br />

Die <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> wohnhaften K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen partizipierten an <strong>der</strong> baulichen<br />

<strong>Entwicklung</strong> dadurch, dass im Gefolge des Wohnungsbaus die beengten Verhältnisse <strong>der</strong><br />

ersten Nachkriegszeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> frühen 1950er-Jahre allmählich <strong>der</strong> Vergangenheit angehörten.<br />

Im Zuge dieser <strong>Entwicklung</strong> konnte <strong>der</strong> Wunsch nach e<strong>in</strong>em eigenen Zimmer für<br />

e<strong>in</strong>e größere Zahl jugendlicher <strong>Konstanz</strong>er<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>er <strong>in</strong> Erfüllung gehen.<br />

Die allgeme<strong>in</strong>e Verbesserung <strong>der</strong> Lebensverhältnisse führte ab den späten 1950er-<br />

Jahren wohl dazu, dass vermehrt Mansarden für die Jugend ausgebaut <strong>und</strong> Zimmer im<br />

Haus o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wohnung bereitgestellt wurden. Zwar war das typische K<strong>in</strong><strong>der</strong>zimmer <strong>in</strong><br />

den im Zuge des sozialen Wohnungsbaus entstandenen Mietwohnungen sehr beengt <strong>und</strong><br />

wurde oftmals von mehreren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen bewohnt, allerd<strong>in</strong>gs dürfte die<br />

damalige Jugend diese Verhältnisse nicht als e<strong>in</strong> Manko empf<strong>und</strong>en haben. Denn wie aus<br />

886 BAUMERT, Jugend <strong>der</strong> Nachkriegszeit, S. 28-31.<br />

887 SÜDKURIER vom 07.08.1954.<br />

888 Ausführlich beschrieben bei BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 385 f.


VI.2 RAHMENBEDINGUNGEN FÜR JUGENDLICHES AUFWACHSEN 231<br />

e<strong>in</strong>er neueren jugendsoziologischen Studie hervorgeht, entwickelte sich das Jugendzimmer<br />

erst im Kontext <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en jugendkulturellen <strong>Entwicklung</strong> nach 1957 zu<br />

e<strong>in</strong>em Bereich <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Wohnung, <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuell auf den Geschmack <strong>der</strong> damaligen<br />

Teenager abgestimmt war. Gleichzeitig kamen erstmals Ratgeber für Jugendliche, die über<br />

E<strong>in</strong>richtungs- <strong>und</strong> Gestaltungsmöglichkeiten <strong>in</strong>formierten, auf den Markt. 889 Bis weit <strong>in</strong><br />

die 1950er-Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> waren K<strong>in</strong><strong>der</strong>zimmer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel unbeheizte Schlafräume, die<br />

tagsüber nicht als Rückzugsbereich genutzt wurden.<br />

Trotz zahlreicher Verbesserungen lebten viele <strong>Konstanz</strong>er Familien <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten<br />

Hälfte <strong>der</strong> 1950er-Jahre <strong>in</strong> äußerst ungünstigen Wohnverhältnissen. Diesen Fakt<br />

erachteten e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> damaligen Jugendverantwortlichen als ursächlich für so manche<br />

Probleme von <strong>und</strong> mit Jugendlichen. So vermutete das Jugendamt, wie aus dem<br />

Jahresbericht für 1957 hervorgeht, e<strong>in</strong>en Zusammenhang zwischen <strong>der</strong> lokalen,<br />

ungünstigen Wohnungssituation <strong>und</strong> den „Erziehungsnotstände[n] <strong>und</strong> krim<strong>in</strong>ellen<br />

Vergehen junger Menschen“ 890 <strong>und</strong> begrüßte „jede Schaffung von Wohnraum [...] als<br />

wesentliche soziale Tat“. Unter an<strong>der</strong>em ließe sich auf diese Weise, wie es weiter heißt,<br />

das damals weit verbreitete Phänomen <strong>der</strong> Heimunterbr<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>es Großteils von<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n e<strong>in</strong>schränken, die, sofern die Wohnsituation besser wäre, „ohne weiteres <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

eigenen Familie gepflegt <strong>und</strong> erzogen werden könnten“. H<strong>in</strong>ter diesem Anspruch stand<br />

unter an<strong>der</strong>em <strong>der</strong> Gedanke, dass Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> physisch <strong>und</strong> psychisch beson<strong>der</strong>s<br />

krisenanfällig wären.<br />

Die höheren Anfor<strong>der</strong>ungen auf den Gebieten Wohnungsbau sowie Industrie <strong>und</strong><br />

Fremdenverkehr brachten zudem e<strong>in</strong>e ganze Reihe an <strong>in</strong>frastrukturellen Maßnahmen auf<br />

den Weg. 891 Infolge des starken Anwachsens des Autoverkehrs sowie <strong>der</strong> Zunahme des<br />

Fremdenverkehrs wurden vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte des Jahrzehnts zahlreiche<br />

verkehrstechnische Maßnahmen vonseiten <strong>der</strong> Stadtplanung durchgeführt, darunter die<br />

Anb<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> Innenstadt an den Fährehafen, <strong>der</strong> Ausbau von Ma<strong>in</strong>austraße, Sternenplatz<br />

<strong>und</strong> Rhe<strong>in</strong>brücke, die Renovierung des Strandbads Horn <strong>und</strong> die Ausweitung des Fährbetriebs.<br />

892 Die Jugend wurde <strong>in</strong> diesen Jahren somit Zeuge des rasanten <strong>und</strong> radikalen<br />

Wandels des Stadtbildes, <strong>der</strong> sich am e<strong>in</strong>drucksvollsten im Stadtteil Petershausen präsentierte.<br />

893 E<strong>in</strong>e weitere zeittypische Ersche<strong>in</strong>ung, die neue Mobilität <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />

erlebten junge Menschen, <strong>in</strong>dem sich e<strong>in</strong>erseits ihre Möglichkeiten, an<strong>der</strong>e Regionen <strong>und</strong><br />

fremde Län<strong>der</strong> kennenzulernen, verbesserten 894 , an<strong>der</strong>erseits durch das Anwachsen des<br />

Individualverkehrs, welches speziell <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>e wichtige Basis für den örtlichen<br />

Fremdenverkehr schuf. Neben <strong>der</strong> Belebung <strong>der</strong> Privatzimmervermietung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugendherberge<br />

brachte vor allem <strong>der</strong> neu aufkommende Camp<strong>in</strong>gtourismus im Sommer viele<br />

Jugendliche an den See.<br />

889<br />

PALLOWSKI, Jugendzimmer, <strong>in</strong>: BUCHER; POHL (Hgg.), Jugendästhetik, S. 284-290.<br />

890<br />

Jahresbericht des Stadtjugendamts <strong>Konstanz</strong> 1957, hier zitiert nach SÜDKURIER vom 10.12.1958; ebenso<br />

die folgenden Zitate.<br />

891<br />

KLÖCKLER, <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> Wachstum, <strong>in</strong>: ROSGARTENMUSEUM (Hg.), Alltagswelten, S, 40-48, hier<br />

S. 42.<br />

892<br />

STADTWERKE KONSTANZ (Hg.), Autofähre <strong>Konstanz</strong>-Meersburg.<br />

893<br />

E<strong>in</strong>zelheiten bei DIETRICH, Das geschah <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>, S. 126-136.<br />

894<br />

SÜDBECK, Motorisierung, <strong>in</strong>: SCHILDT; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 170-188.


232 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

2.4 Die beson<strong>der</strong>e Lage <strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gsjugend<br />

Die Lebensumstände, unter denen die Jugendlichen <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Bevölkerungsgruppen<br />

aufwuchsen, unterschieden sich zum Teil erheblich vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, sodass im Rahmen dieser<br />

Arbeit nicht auf alle Facetten <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong>gegangen werden kann. So gab es <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong> Jugend es starke <strong>in</strong>dividuelle Gegensätze bezüglich E<strong>in</strong>kommen, Lebensstil,<br />

Bildungschancen <strong>und</strong> Karrieremöglichkeiten. Wenn im Folgenden stellvertretend für viele<br />

soziale Nöte <strong>der</strong> Nachkriegsjugend die Situation <strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gsjugend beschrieben wird,<br />

so geschieht dies vor allem deshalb, weil die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> jugendlichen Neubürger <strong>in</strong><br />

das örtliche Sozialgefüge <strong>und</strong> Beschäftigungssystem e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung für<br />

die Politik, die Wirtschaft <strong>und</strong> die Gesellschaft <strong>der</strong> 1950er-Jahre darstellte. 895<br />

Um mit Blick auf die Situation <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>en ersten E<strong>in</strong>druck über die Größenordnung<br />

dieser <strong>Entwicklung</strong> zu vermitteln, seien folgende Daten genannt: Im Zuge des<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gsausgleichs ab 1950 nahm <strong>der</strong> Landkreis <strong>Konstanz</strong> bis zum 31. März 1952<br />

12.519 Neubürger auf. 896 Es handelte sich vorwiegend um Kriegsflüchtl<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Heimatvertriebene<br />

sowie um Sowjetzonenflüchtl<strong>in</strong>ge. 897 Im Stadtbezirk <strong>Konstanz</strong> wurden 1953<br />

4.430 Heimatvertriebene sowie 500 Sowjetzonenflüchtl<strong>in</strong>ge registriert. 898 H<strong>in</strong>zuzurechnen<br />

waren schätzungsweise 200 weitere nichtregistrierte Personen. 899 Bereits 1952 betrug <strong>der</strong><br />

Anteil <strong>der</strong> Neubürger an <strong>der</strong> Bevölkerung 9,5 Prozent. 900 Die räumliche Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>der</strong><br />

Neubürger hatte <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> örtlichen Gesellschaft große Spannungen zur Folge, da e<strong>in</strong><br />

Teil des ohneh<strong>in</strong> knappen Wohnraums von E<strong>in</strong>heimischen an Neubürger abgetreten<br />

werden musste, zumal die Aufnahmekapazität im Übergangslager Egg bald ausgeschöpft<br />

war. 901<br />

Unter <strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gsjugend bildeten ledige junge Männer <strong>und</strong> Frauen e<strong>in</strong>e spezielle<br />

Gruppe. 902 Die meisten von ihnen waren nach 1949 entwe<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Sowjetzone geflüchtet<br />

o<strong>der</strong> nach dem Anlaufen des <strong>in</strong>terzonalen Flüchtl<strong>in</strong>gsausgleichs als Heimatvertriebene<br />

<strong>und</strong> Kriegsflüchtl<strong>in</strong>ge aus Lagern <strong>in</strong> Dänemark <strong>und</strong> Norddeutschland umgesiedelt worden.<br />

Weitere Flüchtl<strong>in</strong>ge kamen nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR <strong>in</strong> den<br />

Westen. Bis Januar 1956 zogen <strong>in</strong>sgesamt r<strong>und</strong> 60 alle<strong>in</strong>stehende jugendliche Flüchtl<strong>in</strong>ge<br />

im Alter zwischen 18 <strong>und</strong> 25 Jahren nach <strong>Konstanz</strong>, nachdem sie zuvor die Jugendauffanglager<br />

<strong>in</strong> Bad Andogast <strong>und</strong> Sandbostel durchlaufen hatten. Die Betreuung <strong>der</strong> jungen<br />

Ostflüchtl<strong>in</strong>ge lag seit 1953 hauptsächlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand kirchlicher Organisationen, vor<br />

895<br />

Zu den Auswirkungen von Flucht <strong>und</strong> Vertreibung auf die westdeutsche Gesellschaft ABELSHAUSER,<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft, S. 39.<br />

896<br />

SÜDKURIER vom 24.04.1952.<br />

897<br />

Zu dieser Thematik sei an dieser Stelle auf folgende allgeme<strong>in</strong>e Darstellungen h<strong>in</strong>gewiesen:<br />

HEIDEMEYER, Flucht <strong>und</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung aus <strong>der</strong> SBZ/DDR; ACKERMANN, Der „echte Flüchtl<strong>in</strong>g“; sowie<br />

HAUS DER GESCHICHTE BADEN-WÜRTTEMBERG (Hg.), Ihr <strong>und</strong> Wir. Integration <strong>der</strong> Heimatvertriebenen<br />

<strong>in</strong> Baden-Württemberg.<br />

898<br />

Zur Situation dieser Bevölkerungsgruppe <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>: HAMANN, Integration <strong>der</strong> Heimatvertriebenen <strong>und</strong><br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge.<br />

899<br />

SÜDKURIER vom 18.10.1953.<br />

900<br />

Daten nach BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung; hier v. a. die Tabelle<br />

„Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> zwischen 1949 <strong>und</strong> 1952“, S. 284.<br />

901<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 172.<br />

902<br />

Zur Situation alle<strong>in</strong>stehen<strong>der</strong> Frauen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>: RUHL, Studien.


VI.2 RAHMENBEDINGUNGEN FÜR JUGENDLICHES AUFWACHSEN 233<br />

allem <strong>der</strong> Caritas <strong>und</strong> <strong>der</strong> Inneren Mission. Vertreter <strong>der</strong> katholischen Wohlfahrtsorganisationen<br />

nahmen die Ankömml<strong>in</strong>ge am <strong>Konstanz</strong>er Bahnhof bei ihrer Ankunft <strong>in</strong> Empfang<br />

<strong>und</strong> brachten sie <strong>in</strong> ihre Unterkünfte. Der speziellen Gruppe <strong>der</strong> ortsfremden Mädchen,<br />

von denen Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre etwa 900 im Stadtbezirk registriert worden waren,<br />

nahm sich das Bezirkssekretariat „Wan<strong>der</strong>nde Kirche“ <strong>der</strong> Erzdiözese Freiburg an <strong>und</strong><br />

vermittelte Unterkünfte <strong>und</strong> Stellen. 903 Nachdem sich die Arbeit des Bezirkssekretariats,<br />

das seit 1946 vor Ort e<strong>in</strong>e Außenstelle unterhielt, zunächst darauf konzentriert hatte, die<br />

Mädchen per Hausbesuch zu betreuen <strong>und</strong> sie zu erfassen, wurde im Sommer 1951 <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Ma<strong>in</strong>austraße e<strong>in</strong> Mädchenwohnheim e<strong>in</strong>gerichtet. Zusätzlich stellte die Stadt ab 1954 im<br />

neu gebauten Jugendhaus Raiteberg Unterkünfte für alle<strong>in</strong>stehende weibliche Ostflüchtl<strong>in</strong>ge<br />

bereit. Hier fanden all diejenigen jungen Mädchen, die nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haushalt<br />

unterkamen, e<strong>in</strong>e Bleibe. Auch das Kolp<strong>in</strong>ghaus nahm vorübergehend Jugendliche aus<br />

Ostdeutschland, die ke<strong>in</strong>e Familie mehr hatten o<strong>der</strong> von ihr getrennt lebten, auf. 904 Neben<br />

den genannten Organisationen kümmerte sich zudem <strong>der</strong> 1951 gegründete Kreisverband<br />

des „B<strong>und</strong>es <strong>der</strong> vertriebenen Deutschen“ mit Unterstützung <strong>der</strong> Stadtverwaltung bzw. des<br />

Landratsamtes <strong>und</strong> verschiedener Wohlfahrtsverbände um die Integration <strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gsjugend.<br />

905<br />

Infolge des wachsenden Wohlstands <strong>und</strong> <strong>der</strong> zunehmenden E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung junger<br />

Menschen <strong>in</strong> das Arbeitsleben konnten zahlreiche <strong>der</strong> geschil<strong>der</strong>ten Probleme, speziell<br />

diejenigen <strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gsjugend, bis Ende des Jahrzehnts abgemil<strong>der</strong>t werden. Zu dieser<br />

<strong>Entwicklung</strong> trugen des Weiteren sozialpolitische Maßnahmen wie <strong>der</strong> Lastenausgleich,<br />

die staatliche Eigenheimför<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> die kommunale Wohnungspolitik bei. 906 Nach dem<br />

Anlaufen e<strong>in</strong>er von B<strong>und</strong>, Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Kommunen f<strong>in</strong>anzierten umfassenden Wohnbauför<strong>der</strong>ung<br />

entstanden <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> erste Wohnungen <strong>und</strong> Siedlungen, die vorzugsweise<br />

von Neubürgern mit kriegsbed<strong>in</strong>gtem Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> besiedelt wurden, etwa im<br />

Haidelmoos, im Berchengebiet sowie vor allem im Stadtteil Petershausen. 907 Insgesamt<br />

betrachtet ist die Integration dieser Bevölkerungsgruppe <strong>in</strong> Westdeutschland als e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

größten wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Leistungen, die <strong>in</strong> diesem Jahrzehnt zu bewältigen<br />

waren, zu werten. 908<br />

903 SÜDKURIER vom 03.07.1951.<br />

904 SÜDKURIER vom 07.02.1956.<br />

905 SÜDKURIER vom 20.06.1958.<br />

906 E<strong>in</strong> Indiz für diese <strong>Entwicklung</strong> s<strong>in</strong>d die Wahlergebnisse <strong>der</strong> Partei <strong>der</strong> Heimatvertriebenen (BHE), die<br />

bei den B<strong>und</strong>estagswahlen von 1953 <strong>und</strong> 1957 mit nur jeweils knapp über drei Prozent <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er<br />

Wählerstimmen deutlich h<strong>in</strong>ter dem baden-württembergischen Trend zurückblieb. Ab 1957 kam diese<br />

Partei b<strong>und</strong>esweit ebenfalls nicht mehr über die Fünfprozentgrenze; ausführlich dargestellt bei<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, Tabellen: „Ergebnisse <strong>der</strong> B<strong>und</strong>estagswahlen<br />

vom 15.09.1957“, S. 244, sowie: „Ergebnisse <strong>der</strong> B<strong>und</strong>estagswahlen vom 06.09.1953“, S. 242.<br />

907 SEUFFERT, <strong>Konstanz</strong>., S. 254.<br />

908 HOLTMANN, Flüchtl<strong>in</strong>ge, <strong>in</strong>: SCHILDT; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 249-362. Unter <strong>der</strong> Fülle<br />

<strong>der</strong> Darstellungen zu dieser Thematik sei außerdem an dieser Stelle auf folgende Überblicksdarstellungen<br />

h<strong>in</strong>gewiesen: INNENMINISTERIUM BADEN-WÜRTTEMBERG (Hg.); EBERL, (Bearb.), Baden-<br />

Württemberg als neue Heimat; BETHLEHEM, Heimatvertreibung; BENZ, Vertreibung.


234 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

3 Tradition <strong>und</strong> Mo<strong>der</strong>ne im Bildungswesen<br />

Der Überblick über die Lage <strong>der</strong> Jugend wäre für die Zeitspanne <strong>der</strong> 1950er-Jahre nicht<br />

vollständig, würde man den schulischen Sektor nicht mit e<strong>in</strong>beziehen. Da dieser Aspekt<br />

<strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Stadtgeschichte für diesen Zeitraum gut dokumentiert ist 909 , gilt im<br />

Folgenden das Hauptaugenmerk den bislang weniger beachteten <strong>Entwicklung</strong>en auf<br />

diesem Gebiet. 910<br />

Im Anschluss an die Phase <strong>der</strong> Erneuerung des Schulwesens zwischen 1946 <strong>und</strong> 1948<br />

wurden nach 1949 mit Ausnahme des schriftlichen Zentralabiturs nahezu alle <strong>der</strong> von den<br />

Franzosen <strong>in</strong>itiierten Reformen unter dem E<strong>in</strong>fluss deutscher Bildungspolitik<br />

zurückgenommen. Was die Vermittlung von Lehr<strong>in</strong>halten anbelangt, ähnelten die Schulen<br />

im ersten Teil des Jahrzehnts <strong>in</strong> ihrer Struktur <strong>und</strong> den Lehrplänen nach denjenigen <strong>der</strong><br />

Weimarer Zeit aufgr<strong>und</strong> des zweigliedrigen Schulsystems, <strong>der</strong> traditionellen<br />

Fächerzusammenstellung, den verb<strong>in</strong>dlichen St<strong>und</strong>entafeln für jeden Schultyp, <strong>der</strong><br />

Aufrechterhaltung des Simultanschulwesens sowie <strong>der</strong> Beibehaltung des Schulgeldes.<br />

Der schlechte Ges<strong>und</strong>heitszustand vieler Schüler beschäftigte die Bildungspolitiker im<br />

neuen Jahrzehnt weiterh<strong>in</strong>. Noch 1958 kam e<strong>in</strong>e breit angelegte Untersuchung des<br />

Deutschen Gewerkschaftsb<strong>und</strong>es (DGB), die sich auf schulärztliche Bef<strong>und</strong>e von r<strong>und</strong><br />

vier Millionen Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Berufsschülern vorwiegend aus Norddeutschland <strong>und</strong><br />

Berl<strong>in</strong> für den Zeitraum von 1950 bis 1956 stützte, zu dem Ergebnis, dass nur e<strong>in</strong> Drittel<br />

<strong>der</strong> Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> als ges<strong>und</strong> angesehen werden konnte, <strong>während</strong> etwa bei <strong>der</strong> Hälfte aller<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> von e<strong>in</strong>em mittleren sowie bei elf Prozent von e<strong>in</strong>em ausgesprochen schlechten<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustand gesprochen wurde. Bei den ges<strong>und</strong>heitlichen Bee<strong>in</strong>trächtigungen <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen überwogen Haltungsschäden <strong>und</strong> sogenannte „nervöse<br />

Störungen“. 911<br />

Als charakteristisch für die Situation des Schulwesens <strong>während</strong> <strong>der</strong> 1950er-Jahre kann<br />

die vielschichtige Verwobenheit zwischen althergebrachten Strukturen <strong>und</strong> Mo<strong>der</strong>nisierungsbestrebungen<br />

angesehen werden. Während beispielsweise <strong>der</strong> Lehr- <strong>und</strong> Lernmittelmangel<br />

<strong>der</strong> frühen Nachkriegsphase an den <strong>Konstanz</strong>er Schulen im Zuge des<br />

wirtschaftlichen Aufschwungs bald flächendeckend überw<strong>und</strong>en war, blieben beson<strong>der</strong>s<br />

zwei „Altlasten“ aus <strong>der</strong> Vergangenheit noch längere Zeit aktuell: <strong>der</strong> Mangel an Schulräumen<br />

<strong>und</strong> geeignetem Lehrerpersonal. Der Lehrermangel an Volks- sowie an Berufsschulen<br />

bildete ke<strong>in</strong> lokal begrenztes ungelöstes Problem, son<strong>der</strong>n betraf bis weit <strong>in</strong> die<br />

1960er-Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> alle westdeutschen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> gleichermaßen. Denn <strong>der</strong> Zugang<br />

zum Lehrerberuf stand Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Verhältnis zum großen Bedarf<br />

an Nachwuchskräften. Zu dieser <strong>Entwicklung</strong> trug die ger<strong>in</strong>ge Besoldung dieses Berufs-<br />

909 Vgl. dazu folgende Überblicksdarstellungen: SCHRÖDER, <strong>Konstanz</strong>er Schulen; STADT KONSTANZ (Hg.),<br />

Die Stadt <strong>und</strong> ihre Schulen; dort f<strong>in</strong>den sich auch die entsprechenden Literaturangaben zur städtischen<br />

Schulentwicklung <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> e<strong>in</strong>zelner <strong>Konstanz</strong>er Schulen bis Mitte <strong>der</strong> 1990er-Jahre.<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 412-423; SEUFFERT, <strong>Konstanz</strong>,<br />

S. 259-260.<br />

910 E<strong>in</strong>en guten Überblick über die damaligen Angebote liefert die Darstellung von SCHWEIKERT,<br />

Bildungsmöglichkeiten, <strong>in</strong>: KONSTANZER ALMANACH (1959), S. 39-46.<br />

911 SÜDKURIER vom 18.12.1958.


VI.3 TRADITION UND MODERNE IM BILDUNGSWESEN 235<br />

zweigs, vor allem im Volksschulbereich, bei. Sie führte dazu, dass viele Abiturienten eher<br />

<strong>in</strong> besser bezahlte Berufszweige <strong>und</strong> <strong>in</strong> die Industrie abwan<strong>der</strong>ten.<br />

Die Ursachen für diese Misere waren vielschichtig: E<strong>in</strong>ige Probleme waren Relikte<br />

aus <strong>der</strong> Besatzungszeit. Dazu ist die späte Freigabe <strong>der</strong> Petershauser Volksschule (1955)<br />

zu rechnen 912 o<strong>der</strong> die mangelnde Investitionsbereitschaft <strong>in</strong> Schulhausbauten vonseiten<br />

<strong>der</strong> Träger. BURCHARDT 913 mutmaßt, dass e<strong>in</strong> „gewisser Konservativismus“ bzw. e<strong>in</strong>e<br />

„Ger<strong>in</strong>gschätzung <strong>der</strong> Volksschule“ <strong>der</strong> bildungspolitisch Verantwortlichen die Problematik<br />

verstärkt hätte. Anhand <strong>der</strong> nachfolgenden Zahlen lässt sich belegen, dass die<br />

damalige Not <strong>der</strong> Volksschulen e<strong>in</strong> Paradigma dafür ist, wie sehr alte ungelöste Probleme<br />

durch neue Zeitersche<strong>in</strong>ungen überlagert wurden. In den Jahren 1908/09, als die<br />

Petershauser Volksschule gebaut wurde, zählte <strong>Konstanz</strong> bei 27.000 E<strong>in</strong>wohnern etwa<br />

2.500 schulpflichtige K<strong>in</strong><strong>der</strong>. Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre betrug die E<strong>in</strong>wohnerzahl 45.000;<br />

die Zahl <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> im volksschulpflichtigen Alter lag bei r<strong>und</strong> 4.000. Der Schulraummangel<br />

spitzte sich im ersten Drittel des Jahrzehnts durch den Zuzug <strong>der</strong> Neubürger zu.<br />

Die Gründe für die desolate Lage des Bildungswesens <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit waren<br />

demzufolge vielschichtig <strong>und</strong> brachten gravierende Nachteile für die Situation <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Schüler, die Schichtunterricht, lange Schulwege <strong>und</strong> e<strong>in</strong> ungünstiges Lehrklima<br />

<strong>in</strong> Kauf nehmen mussten, mit sich. 914<br />

3.1 Bildungsreformen <strong>und</strong> qualitative Verbesserungen des Unterrichts<br />

Trotz zahlreicher Schwierigkeiten <strong>und</strong> obwohl viele traditionelle Strukturen aus <strong>der</strong><br />

Zwischenkriegszeit teilweise bis weit <strong>in</strong> die 1950er-Jahre erhalten blieben, wurde das<br />

Schulwesen unter dem E<strong>in</strong>fluss deutscher Nachkriegspolitik jedoch ke<strong>in</strong>esfalls ausschließlich<br />

restituiert. Auch <strong>in</strong> Baden diskutierten Bildungspolitiker <strong>und</strong> Lehrkräfte bereits Ende<br />

<strong>der</strong> 1940er-Jahre <strong>in</strong>tensiv darüber, wie das Bildungswesen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er besseren<br />

Chancengleichheit <strong>und</strong> sozialen Ausgewogenheit umgestaltet werden könnte. Zum<br />

Beispiel beschäftigte sich e<strong>in</strong>e Denkschrift des südbadischen M<strong>in</strong>isteriums für Kultus <strong>und</strong><br />

Unterricht vom Frühjahr 1949 mit <strong>der</strong> Frage, wie Schule sozial gerechter gestaltet werden<br />

könnte. 915<br />

An <strong>der</strong> Diskussion über Schulreformen <strong>in</strong> Baden beteiligte sich unter an<strong>der</strong>em <strong>der</strong><br />

<strong>Konstanz</strong>er Studienrat <strong>und</strong> spätere Rektor <strong>der</strong> Mädchen-Oberrealschule <strong>Konstanz</strong><br />

(1946/47) bzw. Oberrealschule <strong>Konstanz</strong> (ab 1948), Hermann Venedey. 916 Bereits damals<br />

vertrat Venedey Thesen, die vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> jüngster Diskussionen zum deutschen<br />

912 MAYER, 75 Jahre Petershauser Volksschule.<br />

913 E<strong>in</strong>zelheiten bei BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 415.<br />

914 Lehrer-Schüler-Relation 1953/54: In <strong>Konstanz</strong> kamen auf e<strong>in</strong>en Volksschullehrer im Schnitt 40 Schüler,<br />

auf e<strong>in</strong>en Gymnasiallehrer r<strong>und</strong> 20 Schüler. Daten u. a. bei SEUFFERT, <strong>Konstanz</strong>, S. 259. Durchschnittlich<br />

unterrichtete 1952 <strong>in</strong> Westdeutschland e<strong>in</strong> Lehrer an höheren Schulen 22 Schüler, e<strong>in</strong> Volksschullehrer<br />

46 Schüler. Quelle: SÜDKURIER vom 09.08.1951.<br />

915 Unter an<strong>der</strong>em wurde e<strong>in</strong>e sechsjährige Gr<strong>und</strong>schulausbildung für alle Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler<br />

angestrebt; vgl. SÜDKURIER vom 03.03.1949.<br />

916 Heute: Alexan<strong>der</strong>-von-Humboldt-Gymnasium.


236 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

Bildungssystem geradezu aktuell anmuten. 917 So trat er unter an<strong>der</strong>em für e<strong>in</strong>e verbesserte<br />

Chancengleichheit für K<strong>in</strong><strong>der</strong> aller sozialen Schichten e<strong>in</strong>. Im Kern sah se<strong>in</strong> Entwurf e<strong>in</strong>en<br />

Pflichtunterricht von vier geme<strong>in</strong>samen Gr<strong>und</strong>schuljahren <strong>und</strong> vier weiteren Jahren mit<br />

weiterführendem Unterricht für alle Schüler vor. Nach dieser ersten Schulphase sollte<br />

sodann allen jungen Menschen gr<strong>und</strong>sätzlich die Möglichkeit geboten werden, e<strong>in</strong>e<br />

höhere, e<strong>in</strong>e technische o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e berufliche Schule zu besuchen, sofern nicht e<strong>in</strong>e Lehre<br />

angestrebt wurde. Darüber h<strong>in</strong>aus sprach sich Venedey entschieden für die Abschaffung<br />

des Schulgeldes aus, das nach dem Landesgesetz pro Oberschüler <strong>und</strong> Jahr erhoben wurde<br />

<strong>und</strong> 200 DM betrug. Da es noch ke<strong>in</strong>e Lernmittelfreiheit gab, kamen zusätzlich zum<br />

Schulgeld <strong>und</strong> den üblichen Anschaffungen wie Hefte, Stifte etc. weitere Kosten für die<br />

Beschaffung von Büchern um r<strong>und</strong> 50 DM pro Schuljahr h<strong>in</strong>zu. 918 Diese sozialen Hürden<br />

verwehrten vielen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n den Zugang zum höheren Bildungswesen, wie sich anhand <strong>der</strong><br />

quantitativen Verteilung <strong>der</strong> Schüler auf e<strong>in</strong>zelne Schultypen ablesen lässt. Während etwa<br />

drei Viertel <strong>der</strong> Schulpflichtigen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1950er-Jahre e<strong>in</strong>e Volksschule<br />

besuchten 919 , g<strong>in</strong>gen nur 23,4 Prozent <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler auf e<strong>in</strong>e<br />

höhere Schule. 920 Im Landesvergleich wies <strong>Konstanz</strong> freilich noch e<strong>in</strong>e vergleichsweise<br />

hohe Zahl an Oberschülern auf. In <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik besuchten nach e<strong>in</strong>er Erhebung des<br />

Statistischen B<strong>und</strong>esamtes nach dem Stand vom 15. Mai 1951 von r<strong>und</strong> 6,8 Millionen<br />

Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schülern im schulpflichtigen Alter von sechs bis 14 Jahren sogar über<br />

90 Prozent die Volksschule, 2,9 Prozent die Mittelschule, aber nur 6,5 Prozent die höhere<br />

Schule. Die vergleichsweise hohe Abiturientendichte wurde <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> durch das bürgerlich-konservative<br />

Umfeld begünstigt. Offenbar galt im Gegensatz zu Arbeiterstädten wie<br />

S<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> vielen <strong>Konstanz</strong>er Familien <strong>der</strong> Besuch e<strong>in</strong>er Oberschule als erstrebenswert <strong>und</strong><br />

hatte zum Teil über mehrere Generationen Tradition.<br />

Nach Gründung des neuen B<strong>und</strong>eslandes Baden-Württemberg im Jahr 1952 kam es<br />

landesweit zu e<strong>in</strong>er ganzen Reihe an Neuerungen im Schulwesen. Nach dem Vorbild des<br />

württembergischen Schulsystems wurde Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> wie <strong>in</strong>sgesamt<br />

im badischen Landesteil das dreigliedrige Schulsystem sukzessive e<strong>in</strong>geführt. Seit<br />

Mitte des Jahrzehnts begann sich die Realschule als eigenständiger Schultyp zwischen den<br />

Volksschulen <strong>und</strong> den Gymnasien herauszubilden. 921 Im ersten Schritt entstanden ab 1955<br />

erste Mittelschulzüge für Jungen an <strong>der</strong> Stephansschule sowie für Mädchen an <strong>der</strong><br />

Mädchenschule Zoff<strong>in</strong>gen 922 , ab dem Schuljahr 1956 wurden die <strong>Konstanz</strong>er Volksschulen<br />

um Aufbauzüge erweitert. 923 Zeitgleich wurde die Schulpflicht von acht auf neun<br />

917<br />

SÜDKURIER vom 23./24.04.1949. Zur Person vgl. auch Manfred BOSCH, Hermann Venedey, <strong>in</strong>: Michael<br />

BOSCH; NIESS, Wi<strong>der</strong>stand, S. 236-245.<br />

918<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 422.<br />

919<br />

1950 waren von r<strong>und</strong> 5.759 Schülern 76,6 Prozent Volksschüler (absolut 4.400). Quelle: Etude sur la<br />

Jeunesse, S. 6-7; MAE AOFAA, C 4381.<br />

920<br />

Diese verteilten sich wie folgt auf die e<strong>in</strong>zelnen E<strong>in</strong>richtungen: Alexan<strong>der</strong>-von-Humboldt-Gymnasium<br />

481, Suso-Gymnasium 380, Ellenrie<strong>der</strong>-Gymnasium 385, Progymnasium Zoff<strong>in</strong>gen 186. Quelle:<br />

Jugendstudie <strong>der</strong> Bezirksmilitärregierung KN, 1951, Etude sur la Jeunesse, S. 7; MAE AOFAA, C 4381.<br />

921<br />

Dazu ausführlich BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 415-416.<br />

922 SÜDKURIER vom 06.04.1956.<br />

923 SÜDKURIER vom 28.01.1955.


VI.3 TRADITION UND MODERNE IM BILDUNGSWESEN 237<br />

Jahre heraufgesetzt. 924 Im Bereich <strong>der</strong> traditionellen Gymnasien etablierten sich zum e<strong>in</strong>en<br />

die humanistischen, neusprachlichen <strong>und</strong> mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweige,<br />

zum an<strong>der</strong>en wurden die Oberstufenprüfung <strong>und</strong> das Schulgeld, das bislang K<strong>in</strong><strong>der</strong>n aus<br />

ärmeren Schichten den Zugang zu den Oberschulen erschwert hatte, Ende <strong>der</strong> 1950er-<br />

Jahre abgeschafft, nachdem es bereits ab dem Schuljahr 1953/54 für breitere Bevölkerungsschichten<br />

reduziert worden war <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Vielzahl von Befreiungsmöglichkeiten,<br />

zum Beispiel für Geschwisterk<strong>in</strong><strong>der</strong> o<strong>der</strong> sozial schwächere Familien, e<strong>in</strong>geführt worden<br />

waren. Aussicht auf Ermäßigungen <strong>und</strong> Dispens hatten K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus großen Familien, von<br />

Sowjetzonenflüchtl<strong>in</strong>gen o<strong>der</strong> Heimatvertriebenen. Der seit <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>der</strong> 1950er-<br />

Jahre erkennbare Anstieg <strong>der</strong> Oberschülerzahlen ist teilweise auf die Schulgeldbefreiung<br />

zurückzuführen. 925<br />

1952 erhielt <strong>Konstanz</strong> wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> eigenständiges Stadtschulamt, das für Volks- <strong>und</strong><br />

Berufsschulen zuständig war. Die neue Behörde setzte sich alsbald für e<strong>in</strong>e Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Schul- <strong>und</strong> Lernsituation e<strong>in</strong>. 926 Nachdem ab 1953 auf Erlass des Kultusm<strong>in</strong>isteriums<br />

für alle Schularten, mit Ausnahme <strong>der</strong> Fachschulen, Elternbeiräte gebildet werden<br />

mussten 927 , machte sich seither <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Gesamtelternbeirat als Vertretung von<br />

r<strong>und</strong> 4.500 Schülern im Rahmen se<strong>in</strong>er Möglichkeiten ebenfalls für Fortschritte im<br />

Schulwesen stark.<br />

Neben den bildungspolitischen Maßnahmen trug <strong>der</strong> gesellschaftliche Wandel <strong>in</strong><br />

Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft zu Neuerungen im Bildungswesen bei. Beispielsweise<br />

beschleunigte <strong>der</strong> Zuzug von Flüchtl<strong>in</strong>gen aus protestantisch geprägten Regionen das<br />

Ende <strong>der</strong> bisherigen konfessionsgeb<strong>und</strong>enen Bildungse<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> Baden. Zudem<br />

g<strong>in</strong>gen ab 1955 die ersten städtischen Schulen, namentlich die Gebhardschule, die<br />

Sonnhaldeschule sowie das Ellenrie<strong>der</strong>- <strong>und</strong> das Alexan<strong>der</strong>-von-Humboldt-Gymnasium,<br />

zur Koedukation über. Im Laufe des Jahrzehnts führte <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>e Wirtschaftsaufschwung<br />

auch im Schulwesen zu vielen qualitativen Verbesserungen, die zunächst im<br />

H<strong>in</strong>blick auf die Beschaffung von Materialien <strong>und</strong> Unterrichtsmitteln, später ebenso <strong>in</strong><br />

Bezug auf den Um- <strong>und</strong> Neubau von Schulgebäuden zu beobachten s<strong>in</strong>d.<br />

3.2 Zukunftsperspektiven – Ausweitung <strong>der</strong> gewerblichen <strong>und</strong><br />

beruflichen Bildung – Ausbau des zweiten Bildungswegs<br />

Unter den zukunftsweisenden Aspekten damaliger Schulpolitik ist e<strong>in</strong>erseits die Ausweitung<br />

<strong>der</strong> technischen <strong>und</strong> beruflichen Bildung, an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong> Ausbau des zweiten<br />

Bildungswegs zu nennen. Gleich vier Schultypen aus dem genannten Bereich waren<br />

<strong>während</strong> des Untersuchungszeitraums <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> ansässig. Im E<strong>in</strong>zelnen handelte es sich<br />

924 SÜDKURIER vom 09.12.1953 <strong>und</strong> 17.04.1953.<br />

925 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 423.<br />

926 Nach Aufhebung <strong>der</strong> Schulämter im Jahr 1945 <strong>in</strong> den kreisfreien badischen Städten (außer Freiburg)<br />

waren die <strong>Konstanz</strong>er Schulen bis 1952 dem Kreisschulamt unterstellt.<br />

927 SÜDKURIER vom 05.05.1953.


238 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

um die Handelslehranstalten (heute Wessenberg-Schule), die gewerbliche Frauenfachschule<br />

Zoff<strong>in</strong>gen sowie die (Zeppel<strong>in</strong>-)Gewerbeschule. Die Handelslehranstalten<br />

umfassten <strong>in</strong> den 1950er-Jahren zum e<strong>in</strong>en die dreijährige kaufmännische Berufsschule,<br />

die kaufmännischen Lehrl<strong>in</strong>gen neben ihrer praktischen Tätigkeit zweimal wöchentlich<br />

Pflichtunterricht bot. Zum an<strong>der</strong>en bildete die zweijährige Handelsschule als Berufsfachschule<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Schreibkräfte für Wirtschaft <strong>und</strong> Verwaltung aus. Als e<strong>in</strong>zige<br />

südbadische Stadt besaß <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> den 1950er-Jahren außerdem e<strong>in</strong>e Ingenieur- <strong>und</strong><br />

Bauschule. Die heutige Fachhochschule <strong>Konstanz</strong> wurde 1906 als private E<strong>in</strong>richtung als<br />

„höhere technische Lehranstalt“ gegründet <strong>und</strong> ab 1934 staatlich geführt. Das Gebäude am<br />

Seerhe<strong>in</strong> aus dem Jahr 1909 g<strong>in</strong>g 1918 an die Stadt über. Das Staatstechnikum, das nach<br />

<strong>der</strong> Schließung nach Kriegsende am 1. Februar 1946 wie<strong>der</strong>eröffnet worden war, erfreute<br />

sich <strong>in</strong> den 1950er-Jahren großer Beliebtheit. Die Schule glie<strong>der</strong>te sich <strong>in</strong> die Abteilungen<br />

Masch<strong>in</strong>enbau, Elektrotechnik, Hochbau <strong>und</strong> Tiefbau. Der erfolgreiche Abschluss des<br />

Studiums, das <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel bei gymnasialer Vorbildung drei Jahre umfasste, berechtigte<br />

zur Bezeichnung des Titels des staatlich geprüften Ingenieurs, zur Führung e<strong>in</strong>es selbstständigen<br />

Unternehmens, zu freiberuflicher Tätigkeit o<strong>der</strong> zum E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> den gehobenen<br />

technischen Behördendienst. Sofern an das abgeschlossene Studium <strong>der</strong> e<strong>in</strong>jährige Besuch<br />

<strong>der</strong> Gewerbelehrerakademie angeschlossen wurde, führte dieser Ausbildungsweg weiter<br />

zum Beruf des Gewerbeschullehrers. Die Ingenieurausbildung am Staatstechnikum bot<br />

gute Berufschancen im Zuge <strong>der</strong> zunehmenden Technisierung. 1961 übernahm das Land<br />

Baden-Württemberg die alle<strong>in</strong>ige Trägerschaft über das Staatstechnikum, das im Zuge <strong>der</strong><br />

Hochschulreformen 1971 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Fachhochschule umgewandelt wurde. 928<br />

Somit trafen die jungen <strong>Konstanz</strong>er<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>er vor Ort e<strong>in</strong> äußerst reichhaltiges<br />

Angebot an kaufmännischen, technischen, hauswirtschaftlichen <strong>und</strong> gewerblichen<br />

Schulen an, das im Verlauf <strong>der</strong> 1950er-Jahre entscheidende Erweiterungen erfuhr.<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> sehr guten Ausbildungsqualität <strong>und</strong> <strong>der</strong> günstigen Berufsaussichten, die <strong>der</strong><br />

Abschluss e<strong>in</strong>er kaufmännischen, beruflichen o<strong>der</strong> technischen Ausbildung versprach,<br />

waren die beruflichen <strong>und</strong> kaufmännischen Schulen unter den Absolventen <strong>der</strong> Volks- <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> weiterführenden Schulen sehr beliebt. 1950 g<strong>in</strong>g von den im Stadtkreis registrierten<br />

r<strong>und</strong> 8.000 Schülern <strong>und</strong> Auszubildenden r<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Drittel auf e<strong>in</strong>e berufliche o<strong>der</strong> technische<br />

Schule. 929 Zudem besuchten viele junge Menschen aus <strong>der</strong> Region e<strong>in</strong>e weiterführende<br />

Schule <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. So stammten von den 530 jungen Männern, die im Schuljahr<br />

1953 am Staatstechnikum e<strong>in</strong>geschrieben waren, lediglich r<strong>und</strong> 15 Prozent aus <strong>Konstanz</strong>.<br />

Die übrigen pendelten entwe<strong>der</strong> o<strong>der</strong> lebten bei örtlichen Zimmervermietern „<strong>in</strong> Logis“.<br />

Die <strong>Entwicklung</strong> trug den wachsenden Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> dem gesellschaftlichen<br />

Strukturwandel Rechnung.<br />

Die zunehmende Ausweitung <strong>der</strong> beruflichen Fachausbildung korrespondierte mit<br />

dem wachsenden Bedarf an Arbeitskräften im gesamten Wirtschaftsleben. 930 So fanden<br />

928 Quelle: http://www.fh-konstanz.de [Stand 29.12.2006].<br />

929 Etude sur la Jeunesse, S. 22; MAE AOFAA, C 4381.<br />

930 E<strong>in</strong>en Überblick über die Vorgeschichte <strong>der</strong> kaufmännischen Berufsbildung <strong>in</strong> Baden am Beispiel <strong>der</strong><br />

<strong>Konstanz</strong>er Handelschule von den Anfängen bis zur vorläufigen Schließung 1945 gibt A. MOSER,<br />

Kaufmännische Schulen, <strong>in</strong>: WESSENBERG-SCHULE KONSTANZ (Hg.), Wessenberg-Schule, S. 9-25.


VI.3 TRADITION UND MODERNE IM BILDUNGSWESEN 239<br />

alle Absolventen <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Handelsschule <strong>der</strong> Abschlussklassen 1951 bis 1953 ohne<br />

Probleme e<strong>in</strong>e Stelle. 931 Vor allem die Kandidaten <strong>der</strong> Höheren Handelsschule, die als<br />

dritter Sektor den Handelslehranstalten angeglie<strong>der</strong>t war, erfreuten sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschaft<br />

e<strong>in</strong>er immer größer werdenden Beliebtheit. Sie hatten aber darüber h<strong>in</strong>aus hohe Chancen<br />

auf e<strong>in</strong>e Stelle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verwaltung, darunter im gehobenen Beamtendienst. Bei guten<br />

Zeugnissen w<strong>in</strong>kten ihnen viele Vergünstigungen, wie e<strong>in</strong>e verkürzte Lehrzeit <strong>und</strong><br />

lukrative Verdienstmöglichkeiten, oft sogar die Übernahme <strong>in</strong> e<strong>in</strong> festes Stellenverhältnis.<br />

Während <strong>der</strong> 1950er-Jahre erfuhr zudem <strong>der</strong> zweite Bildungsweg im Bereich <strong>der</strong><br />

kaufmännischen Berufsschulen e<strong>in</strong>e spürbare Expansion. Die <strong>Entwicklung</strong> wurde zum<br />

Schuljahresbeg<strong>in</strong>n 1951/52 dadurch e<strong>in</strong>geleitet, dass <strong>der</strong> Höheren Handelsschule e<strong>in</strong>e<br />

Wirtschaftsoberschule angeglie<strong>der</strong>t wurde. Beson<strong>der</strong>e Vorteile brachte <strong>der</strong> neue Zweig für<br />

Volksschüler, die bei guten Abschlüssen <strong>in</strong> sechs Jahren zum Abitur kommen konnten.<br />

Des Weiteren wurden Absolventen höherer Lehranstalten nach <strong>der</strong> vierten Klasse aufgenommen.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e qualifizierte dieser Schultyp zur Übernahme leiten<strong>der</strong> Posten etwa<br />

im Handel, Versicherungs- <strong>und</strong> Bankenwesen <strong>und</strong> führte direkt <strong>in</strong>s praktische Berufsleben.<br />

Die Reifeprüfung berechtigte darüber h<strong>in</strong>aus zum Studium an allen badenwürttembergischen<br />

Hochschulen. 932 Zur Mitte des Jahrzehnts wurde schließlich <strong>der</strong><br />

Zugang zu gehobenen Laufbahnen für Volkschüler über den zweiten Bildungsweg durch<br />

Neuregelungen für die Schüler <strong>der</strong> Höheren Handelsschule transparenter gestaltet. Hatte<br />

zuvor traditionell <strong>der</strong> Weg zu diesem weiterführenden Schulzweig über die Gymnasien<br />

geführt, so wurde <strong>der</strong> Übergang seit Mitte des Jahrzehnts schließlich zudem über die<br />

Mittelschulzüge (5. Klasse) <strong>der</strong> Realschulen ermöglicht. Zusätzlich führte man für begabte<br />

Volksschüler Vorklassen e<strong>in</strong>, <strong>der</strong>en Besuch nach e<strong>in</strong>em Jahr zum E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Höhere<br />

Handelsschule befähigte.<br />

Zu den Mo<strong>der</strong>nisierungstendenzen im Bildungswesen ist die zunehmende Integration<br />

von Frauen <strong>in</strong> die Berufsschulen zu rechnen. 933 Die <strong>Entwicklung</strong> trug <strong>der</strong> schon erwähnten<br />

Fem<strong>in</strong>isierung des Ausbildungswesens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeitswelt Rechnung. Viele <strong>der</strong> von<br />

Frauen bevorzugten Berufszweige setzten den Besuch entsprechen<strong>der</strong> beruflicher bzw.<br />

gewerblicher Schulen voraus. 1950 waren an <strong>der</strong> Höheren Handelsschule <strong>Konstanz</strong> etwa<br />

zwei Drittel <strong>der</strong> Schüler weiblichen Geschlechts. 934 E<strong>in</strong>e ähnliche Verteilung wies die<br />

Handelsschule, die mit 240 Schüler<strong>in</strong>nen, aber nur 125 Schülern belegt war, auf. Die<br />

beiden Haushaltsschulen <strong>in</strong> Hegne (80 Schüler<strong>in</strong>nen) <strong>und</strong> Radolfzell (35 Schüler<strong>in</strong>nen)<br />

wurden zu 100 Prozent von Frauen besucht. 935<br />

Die Ausbildungschancen von Mädchen wurden im Jahr 1956 durch die E<strong>in</strong>richtung<br />

<strong>der</strong> gewerblichen Frauenfachschule am Kloster Zoff<strong>in</strong>gen zum<strong>in</strong>dest kurzfristig entscheidend<br />

erweitert. 936 Diese Schule bot 30 jungen Frauen mit mittlerer Reife e<strong>in</strong>en Platz <strong>und</strong><br />

931<br />

SÜDKURIER vom 24.04.1953.<br />

932<br />

SCHWER, Wirtschaftsoberschule, <strong>in</strong>: WESSENBERG-SCHULE KONSTANZ (Hg.), Wessenberg-Schule,<br />

S. 64-65.<br />

933<br />

SCHILDT, Not <strong>der</strong> Jugend, <strong>in</strong>: DERS.; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 335-349, hier S. 337.<br />

934<br />

Absolute Zahlen: 175 Schüler, davon 119 Frauen <strong>und</strong> 56 Männer.<br />

935<br />

Daten nach Etude sur la Jeunesse, S. 22; MAE AOFAA, C 4381.<br />

936<br />

KLOSTER ZOFFINGEN (Hg.): 200 Jahre, S. 55.


240 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

stand Gymnasiast<strong>in</strong>nen nach Abschluss <strong>der</strong> Obersek<strong>und</strong>a sowie den Absolvent<strong>in</strong>nen <strong>der</strong><br />

Mittelschulen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Handelsschulen offen. 937 Nach dreijährigem Besuch <strong>und</strong> Abschlussexamen<br />

befähigte <strong>der</strong> Besuch dieser E<strong>in</strong>richtung etwa zur Ausübung von Berufen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Textil<strong>in</strong>dustrie, wie etwa dem <strong>der</strong> Modezeichner<strong>in</strong>. In Ergänzung e<strong>in</strong>es Besuchs <strong>der</strong><br />

pädagogischen Sem<strong>in</strong>are <strong>in</strong> Freiburg o<strong>der</strong> Karlsruhe stand den Schüler<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> Frauenfachschule<br />

Zoff<strong>in</strong>gen außerdem <strong>der</strong> Beruf als Hauswirtschafts-, Handarbeits- o<strong>der</strong> Turnlehrer<strong>in</strong><br />

offen. Da <strong>in</strong> diesen Berufszweigen <strong>in</strong> den 1950er-Jahren Nachwuchsmangel<br />

herrschte, waren die Berufsaussichten entsprechend günstig. Allerd<strong>in</strong>gs wurde die Frauenfachschule<br />

nach nur vier Jahren Betriebszeit geschlossen.<br />

3.3 Baumaßnahmen<br />

Die Beliebtheit <strong>der</strong> beruflichen, technischen <strong>und</strong> gewerblichen Schulen führte allgeme<strong>in</strong><br />

zu e<strong>in</strong>er gravierenden Raumnot, die alle Schultypen dieses Sektors betraf. Beispielhaft sei<br />

an dieser Stelle die Situation <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Gewerbeschule beschrieben. Die E<strong>in</strong>richtung<br />

umfasste im Untersuchungszeitraum zum e<strong>in</strong>en den traditionellen Sektor für Lehrl<strong>in</strong>ge<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> Dauer ihrer Lehrzeit. 938 Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1950er-Jahre waren 110 Berufszweige<br />

<strong>in</strong>nerhalb dieser Abteilung vertreten. Darüber h<strong>in</strong>aus gab es e<strong>in</strong>en Zweig für ungelernte<br />

Hilfskräfte sowie Fachklassen etwa für Technische Zeichner <strong>und</strong> Zahnarzthelfer<strong>in</strong>nen. Die<br />

Meisterschule für das Bauhandwerk wurde als weitere Abteilung Ende <strong>der</strong> 1920er-Jahre<br />

e<strong>in</strong>gerichtet. In dem Gebäude am Stephansplatz, das erst die Oberrealschule, dann das<br />

Alexan<strong>der</strong>-von-Humboldt-Gymnasium beherbergt hatte, erfolgten trotz kont<strong>in</strong>uierlich<br />

steigen<strong>der</strong> Schülerzahlen bis <strong>in</strong> die 1950er-Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e baulichen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

o<strong>der</strong> Erweiterungen. 939 Dieser Umstand macht nochmals deutlich, wie im Schulwesen<br />

Versäumnisse aus <strong>der</strong> Vergangenheit durch neuartige <strong>Entwicklung</strong>en überlagert wurden –<br />

mit gravierenden Auswirkungen auf den Schulbetrieb. So führte die Raumnot <strong>der</strong> Gewerbeschule<br />

zur Abwan<strong>der</strong>ung ganzer Ausbildungszweige wie beispielsweise <strong>der</strong> Meisterschule<br />

für das Malergewerbe, die Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre nach Lahr verlegt wurde. Erst<br />

<strong>der</strong> Neubau <strong>der</strong> kreiseigenen Graf-Zeppel<strong>in</strong>-Gewerbeschule im Jahr 1958 brachte entscheidende<br />

Entlastungen.<br />

Mit ähnlichen Problemen waren die Handelslehranstalten, die bis <strong>in</strong> die zweite Hälfte<br />

<strong>der</strong> 1950er-Jahre auf engstem Raum teils am Pfalzgarten, teils <strong>in</strong> Petershausen untergebracht<br />

waren, konfrontiert. 940 Wie aus e<strong>in</strong>er Denkschrift <strong>der</strong> Höheren Handelsschule<br />

hervorgeht, die zu Ostern 1953 dem <strong>Konstanz</strong>er Stadtrat überreicht wurde, standen für die<br />

annähernd 700 Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler lediglich zehn Schulräume zur Verfügung, die<br />

zusätzlich zum Unterricht vom Jugendbildungswerk <strong>und</strong> dem „Stenographenvere<strong>in</strong>“ <strong>in</strong><br />

den Abendst<strong>und</strong>en genutzt wurden.<br />

937 SÜDKURIER vom 07.03.1956.<br />

938 MÜLLER, 150 Jahre Zeppel<strong>in</strong>-Gewerbeschule.<br />

939 SCHWEICKERT, Bildungsmöglichkeiten, <strong>in</strong>: KONSTANZER ALMANACH (1959), S. 39-46.<br />

940 SÜDKURIER vom 06.06.1953.


VI.3 TRADITION UND MODERNE IM BILDUNGSWESEN 241<br />

Obwohl die Schulraumnot bekannt war, <strong>in</strong>vestierte die Stadt <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> den ersten<br />

Nachkriegsjahren zunächst vorrangig <strong>in</strong> den Wohnungsbau <strong>und</strong> <strong>in</strong> die Wie<strong>der</strong>herstellung<br />

von Versorgungsbetrieben. E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Bauentwicklung wurde außerdem dadurch<br />

verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, dass sich die Kompetenzen im Schulwesen aufgr<strong>und</strong> unterschiedlicher Trägerschaften<br />

(Stadtverwaltung, Landkreis, Kirche) auf verschiedene Behörden, namentlich das<br />

städtische, das erzbischöfliche <strong>und</strong> das Staatliche Hochbauamt, das Kreisbauamt <strong>und</strong> die<br />

Kreisbaubehörde verteilten. Erst als <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Jahrzehnthälfte unter dem Druck <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung von Schulbauten e<strong>in</strong> Umdenken e<strong>in</strong>setzte, begannen<br />

die Schulträger vor Ort erheblich <strong>in</strong> Schulhausbauten zu <strong>in</strong>vestierten. Sie reagierten<br />

damit nicht zuletzt auf die verän<strong>der</strong>ten demografischen Gegebenheiten <strong>in</strong>folge des<br />

Neubürgerzuzugs <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Auswirkungen auf die Situation an den <strong>Konstanz</strong>er Schulen.<br />

Als Ergebnis dieser Bemühungen wurden umfassende Um- <strong>und</strong> Neubaumaßnahmen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Jahrzehnthälfte an den örtlichen Schulgebäuden durchgeführt. 941 Als<br />

Neubaumaßnahme erfolgte im Jahr 1954 <strong>der</strong> Bau <strong>der</strong> Haidelmoosschule, bevor zwischen<br />

1958 <strong>und</strong> 1961 die Sonnhaldeschule, das Ellenrie<strong>der</strong>-Gymnasium 942 sowie die Volksschulen<br />

Allmannsdorf 943 , Wollmat<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Petershausen 944 erweitert wurden. Die städtischen<br />

Haushaltspläne spiegeln diese <strong>Entwicklung</strong> wi<strong>der</strong>. Während die Haushalte für 1952<br />

<strong>und</strong> 1953/54 für schulische Zwecke zusammengenommen lediglich e<strong>in</strong> Volumen von 1,2<br />

Millionen DM vorsahen, wurden 1959 für den Bau <strong>und</strong> die Unterhaltung <strong>der</strong> örtlichen<br />

Schulen bereits 2,1 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. 945 Der f<strong>in</strong>anzielle Aufwand<br />

<strong>der</strong> Stadt für die Schulen verdoppelte sich demzufolge im Laufe des Jahrzehnts nahezu.<br />

Zeitgleich erhöhte <strong>der</strong> Landkreis <strong>Konstanz</strong> se<strong>in</strong> Investitionsvolumen für Neu-, Erweiterungs-<br />

<strong>und</strong> Umbauten von Schulhäusern. Zwischen 1948 <strong>und</strong> 1957 wurden <strong>in</strong>sgesamt<br />

r<strong>und</strong> neun Millionen DM im Kreishaushalt für die kreiseigenen Schulgebäude zur<br />

Verfügung gestellt. E<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Mittel floss unter an<strong>der</strong>em <strong>in</strong> den Neubau <strong>der</strong> Gewerbeschule,<br />

<strong>der</strong>en Trägerschaft im Jahr 1954 von <strong>der</strong> Stadt auf den Landkreis übergegangen<br />

war. Im Bereich <strong>der</strong> landkreiseigenen bzw. staatlichen Schulen wurden Ende <strong>der</strong> 1950er-<br />

Jahre <strong>der</strong> Neubau <strong>der</strong> Graf-Zeppel<strong>in</strong>-Gewerbeschule <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erweiterungsbau des Staatstechnikums<br />

<strong>in</strong> Betrieb genommen, <strong>während</strong> die Handelslehranstalten bis zum Neubau am<br />

W<strong>in</strong>terersteig, <strong>der</strong> Ende 1968 realisiert wurde, <strong>in</strong> Petershausen blieben.<br />

Im Zuge <strong>der</strong> strukturellen <strong>und</strong> baulichen Maßnahmen im Schulsektor entstand letztlich<br />

trotz <strong>der</strong> erwähnten Probleme <strong>und</strong> zahlreicher Verzögerungen im Laufe des Jahrzehnts <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong> breit gefächertes Angebot an Bildungse<strong>in</strong>richtungen, das den Status von<br />

<strong>Konstanz</strong> als zentralen Schulstandort <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region manifestierte.<br />

941 SEUFFERT, <strong>Konstanz</strong>, S. 259-260.<br />

942 ELLENRIEDER-GYMNASIUM (Hg.), 175 Jahre, S. 35.<br />

943 GRUNDSCHULE ALLMANNSDORF (Hg.), 100 Jahre.<br />

944 Die Neu- <strong>und</strong> Umbaumaßnahmen s<strong>in</strong>d im E<strong>in</strong>zelnen ausführlich bei BURCHARDT, Zwischen Kriegsende<br />

<strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 418 f., dargestellt.<br />

945 SÜDKURIER vom 06.06.1953 <strong>und</strong> 30.05.1959.


242 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

4 Die <strong>Konstanz</strong>er Nachkriegsjugend – e<strong>in</strong>e „skeptische<br />

Generation“?<br />

4.1 Aspekte jugendlicher Politikverdrossenheit<br />

Interessierte sich die <strong>Konstanz</strong>er Nachkriegsjugend für Themen aus Politik <strong>und</strong> Kultur?<br />

Inwieweit wollte <strong>und</strong> konnte sie politische Mehrheitsverhältnisse mitgestalten? Fragen wie<br />

diese lassen sich kaum pauschal beantworten, da die Jugend wie jede an<strong>der</strong>e Bevölkerungs-<br />

<strong>und</strong> Altersschicht äußerst heterogen strukturiert war. Erschwerend kommt h<strong>in</strong>zu,<br />

dass im Gegensatz zu heutigen Wahlanalysen für die <strong>Konstanz</strong>er Kommunalwahlen <strong>der</strong><br />

1950er-Jahre ke<strong>in</strong>e exakten Prozentsätze bezüglich <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Erst- bzw. <strong>der</strong> Jungwähler<br />

bis ca. 30 Jahre überliefert s<strong>in</strong>d. Somit ist nicht bekannt, welche Parteien <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> den meisten Zuspruch <strong>der</strong> Jungwähler erhielten. Aus den genannten Gründen<br />

können im Folgenden lediglich Tendenzen aufgezeigt werden. E<strong>in</strong>iges deutet jedoch<br />

darauf h<strong>in</strong>, dass etliche Jugendliche von ihrem Recht, über lokalpolitische Belange<br />

mitzuentscheiden, ansche<strong>in</strong>end wenig Gebrauch machten. So waren bei den Kommunalwahlen<br />

vom Herbst 1956 Jungwähler zwischen 21 <strong>und</strong> 30 Jahren <strong>in</strong> allen 35 Wahlbezirken<br />

<strong>der</strong> Stadt deutlich unterrepräsentiert. 946 Dieses Wahlverhalten <strong>der</strong> Jugend, die damals erst<br />

nach Erlangung <strong>der</strong> Volljährigkeit im Alter von 21 Jahren zur Wahl gehen konnte, stand<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>tensiven Wahlwerbung diametral entgegen. 947 Denn alle Parteien versuchten anlässlich<br />

<strong>der</strong> Kommunalwahlen mit aufwendigen Wahlkampagnen gezielt junge Menschen für<br />

sich zu gew<strong>in</strong>nen.<br />

Hier stellt sich die Frage, weshalb die Appelle <strong>der</strong> Parteien, zur Wahl zu gehen, viele<br />

junge Menschen damals nicht o<strong>der</strong> nur unzureichend erreichten. Zum e<strong>in</strong>en ist dazu zu<br />

vermerken, dass die ger<strong>in</strong>ge Beteiligung junger Wähler an den Wahlen e<strong>in</strong>em unter <strong>der</strong><br />

westdeutschen Jugend <strong>der</strong> 1950er-Jahre weitverbreiteten Des<strong>in</strong>teresse an Politik entsprach.<br />

Laut e<strong>in</strong>er Umfrage, die das Institut für Demoskopie <strong>in</strong> Allensbach am Bodensee<br />

zwischen 1947 <strong>und</strong> 1955 unter statistisch repräsentativen Gruppen <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

durchführte, antworteten 72 Prozent <strong>der</strong> befragten Jugendlichen auf die Frage, ob sie sich<br />

für e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> „jetzigen“ Parteien <strong>in</strong>teressierten, mit „Ne<strong>in</strong>“. 948<br />

Zum an<strong>der</strong>en liegen die wichtigsten Ursachen für diese E<strong>in</strong>stellung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umbruchgesellschaft<br />

<strong>der</strong> Nachkriegszeit, die noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> 1950er-Jahre an den<br />

Folgen von Krieg <strong>und</strong> Vertreibung litt. So zitierte <strong>der</strong> SÜDKURIER im Gefolge <strong>der</strong> Wahlen<br />

vom November 1956 e<strong>in</strong>en nicht näher genannten Leiter e<strong>in</strong>es <strong>Konstanz</strong>er Wahlbezirks,<br />

<strong>der</strong> das Fernbleiben <strong>der</strong> jungen Generation bei den Kommunalwahlen auf den Zuzug e<strong>in</strong>er<br />

größeren Zahl von ledigen jungen Leuten, die se<strong>in</strong>er Ansicht nach „mit <strong>Konstanz</strong> zu<br />

wenig verwurzelt“ wären, zurückführte. 949 Die zeitgenössische Sozialpädagogik versuchte<br />

diese Haltung junger Menschen <strong>der</strong> 1950er-Jahre unter dem Begriff <strong>der</strong> „b<strong>in</strong>dungslosen<br />

946<br />

SÜDKURIER vom 12.11.1956.<br />

947<br />

Im Vorfeld <strong>der</strong> Kommunalwahl von 1956 fanden 16 Wahlveranstaltungen statt; vgl. SÜDKURIER vom<br />

12.11.1956.<br />

948<br />

NOELLE; NEUMANN, Jahrbuch <strong>der</strong> öffentlichen Me<strong>in</strong>ung 1947-1955, S. 100.<br />

949 SÜDKURIER vom 12.11.1956.


VI.4 DIE KONSTANZER NACHKRIEGSJUGEND – EINE „SKEPTISCHE GENERATION“? 243<br />

Jugend“ 950 zu fassen. Der zeitgenössische Sozial- <strong>und</strong> Jugendforscher Helmut SCHELSKY<br />

prägte den Begriff <strong>der</strong> „skeptischen Generation“. Die Wahl dieser Bezeichnung begründete<br />

er folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

„Wir haben uns dafür entschieden, den ebenfalls von allen Beurteilern dieser Jugend<br />

zugeschriebenen skeptischen <strong>und</strong> nüchternen Wirklichkeitss<strong>in</strong>n, <strong>der</strong> sie von <strong>der</strong><br />

romantischen Geisteshaltung <strong>der</strong> Jugendbewegung <strong>und</strong> dem ideologischen Denken<br />

<strong>der</strong> ‚politischen Jugend’ unterscheidet, zu ihrer vorläufigen Kennzeichnung zu<br />

wählen, <strong>und</strong> sprechen daher von <strong>der</strong> ‚skeptischen Generation’.“ 951<br />

Das Hauptaugenmerk SCHELSKYs galt <strong>der</strong> Generation, die um 1930 geboren war. Im<br />

Beson<strong>der</strong>en fokussierte er auf die Arbeitslosen <strong>und</strong> Heimatvertriebenen unter <strong>der</strong><br />

damaligen Jugend. Als Charakteristika dieser Jugendgeneration machte SCHELSKY unter<br />

an<strong>der</strong>em aus: politisches Des<strong>in</strong>teresse, Betonung <strong>der</strong> B<strong>in</strong>dungen im privaten Bereich,<br />

Neigung, sich frühzeitig an e<strong>in</strong>en Partner bzw. e<strong>in</strong>e Partner<strong>in</strong> zu b<strong>in</strong>den, Cliquenbildung<br />

bei gleichzeitiger Ablehnung ihrer organisatorischen Verfestigung, Skepsis gegenüber<br />

jeglichen Ideologien sowie e<strong>in</strong>e starke Konzentration auf das Berufliche. Die H<strong>in</strong>tergründe<br />

für diese geistige E<strong>in</strong>stellung wurden <strong>in</strong> den traumatisch wirkenden Erlebnissen<br />

<strong>der</strong> Zerstörung im Krieg <strong>und</strong> den Wirren <strong>der</strong> Nachkriegszeit gesehen. 952<br />

E<strong>in</strong> Jahrzehnt zuvor hatten französische Besatzungspolitiker den moralischen Zustand<br />

<strong>der</strong> Jugend im Bezirk <strong>Konstanz</strong> auf ganz ähnliche Weise <strong>in</strong>terpretiert. Ihnen erschien wie<br />

erwähnt die örtliche Jugend „skeptisch“, „misstrauisch“ <strong>und</strong> „pessimistisch“ 953 zu se<strong>in</strong>,<br />

wobei diese Haltung als e<strong>in</strong>e Reaktion auf die nationalsozialistische Vergangenheit<br />

gewertet wurde. Nach <strong>der</strong> Auflösung des Hitler-Regimes hätte die Jugend, wie e<strong>in</strong><br />

französischer Vertreter <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Kreismilitärregierung es ausdrückte, unter e<strong>in</strong>er<br />

Art „moralischem Schock“ 954 gelitten. Das Des<strong>in</strong>teresse <strong>der</strong> Jugend an Politik basierte<br />

demzufolge zum<strong>in</strong>dest teilweise auf e<strong>in</strong>er Abwehrhaltung <strong>der</strong> Nachkriegsjugend, die sich<br />

an<strong>der</strong>s als die Jugend im „Dritten Reich“ weigerte, für politische Zwecke <strong>in</strong>strumentalisiert<br />

zu werden. H<strong>in</strong>zu kam die Tatsache, dass die Demokratie hierzulande an<strong>der</strong>s als<br />

etwa <strong>in</strong> Frankreich <strong>und</strong> den angelsächsischen Län<strong>der</strong>n ke<strong>in</strong>e orig<strong>in</strong>är gewachsene<br />

Staatsform mit langer Tradition war. Die Zeitgenossen <strong>der</strong> frühen 1950er-Jahre erachteten<br />

die Weimarer Republik, wie MOMMSEN feststellt, nicht „als Anknüpfungspunkt für e<strong>in</strong>e<br />

Erneuerung <strong>der</strong> deutschen Demokratie“ 955 . Das Demokratieverständnis <strong>der</strong> Jugend war<br />

erst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entstehungsphase <strong>und</strong> durch die französische Umerziehungspolitik geprägt. Da<br />

die Bevölkerung an den politischen Entscheidungen nicht beteiligt wurde, hätten viele<br />

Jugendliche, laut Jugendbericht für den Bezirk <strong>Konstanz</strong> von 1951, die Demokratie als<br />

e<strong>in</strong>e Art Importprodukt – „produit importé“ 956 – <strong>der</strong> Siegermächte angesehen.<br />

950<br />

BONDY; EYFERTH, B<strong>in</strong>dungslose Jugend.<br />

951<br />

SCHELSKY, Die skeptische Generation, S. 77.<br />

952<br />

SCHELSKY, Die skeptische Generation, S. 74-83 <strong>und</strong> 351-363.<br />

953<br />

Jahresbericht <strong>der</strong> Militärregierung „Rapport Annuel 1947 Gouvernement Militaire en Allemagne, Pays<br />

de Bade, District de Constance“ vo 1947; MAE AOFAA, C 1101/1.<br />

954<br />

Etude sur la Jeunesse, MAE AOFAA, C 4381, „Aspect psychologique et moral“, S. 5.<br />

955<br />

MOMMSEN, Demokratieverständnis, <strong>in</strong>: SCHILDT; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 745-758, hier<br />

S. 745.<br />

956<br />

Etude sur la Jeunesse, S. 24; MAE AOFAA, C 4381.


244 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf die Beobachtung, dass weite Teile <strong>der</strong> Jugend auf die Sicherung des<br />

Lebensunterhalts <strong>und</strong> den Gel<strong>der</strong>werb ausgerichtet waren, deckten sich die soziologischen<br />

Thesen <strong>der</strong> späteren 1950er-Jahre mit den Auffassungen französischer Besatzungspolitiker.<br />

Nach E<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> Militärregierung war <strong>in</strong> beiden Kreisen <strong>Konstanz</strong> zusammengenommen<br />

etwa e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> r<strong>und</strong> 47.700 jungen Menschen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Altersgruppe <strong>der</strong> 15-<br />

bis 30-Jährigen ausschließlich mit ihrem Beruf befasst. Nur 15 Prozent schätzte man dagegen<br />

im weitesten S<strong>in</strong>ne als „kulturell <strong>in</strong>teressiert“ 957 e<strong>in</strong>.<br />

Dass diese E<strong>in</strong>stellung <strong>und</strong> Verhaltensweise <strong>der</strong> jungen Generation vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

langer Arbeitszeiten <strong>und</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> die aufblühende Wirtschaft<br />

wenig verw<strong>und</strong>erlich ersche<strong>in</strong>t, hat SCHILDT 958 längst zu Recht herausgestellt.<br />

Insofern greift die Skizze SCHELKYs, die dem Bereich <strong>der</strong> empirischen Soziologie<br />

entstammt, zu kurz. Erst schränkte die materielle Not, später die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong><br />

das Arbeitsleben die Entfaltungsmöglichkeiten <strong>der</strong> ersten Nachkriegsgeneration massiv<br />

e<strong>in</strong>. Die genannten E<strong>in</strong>flussfaktoren s<strong>in</strong>d an späterer Stelle wie<strong>der</strong> aufzugreifen, wenn es<br />

um die Darstellung <strong>der</strong> Gestaltungsspielräume, um Zielgruppenarbeit <strong>und</strong> Angebote <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Jugendpflege, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im Bereich <strong>der</strong> politischen Bildungsarbeit, gehen soll. Dabei<br />

wird ferner danach gefragt werden, welche Methoden die örtliche Jugendpflege e<strong>in</strong>setzte,<br />

um dem Phänomen <strong>der</strong> „Politikverdrossenheit“ zu begegnen. 959<br />

Während die Zurückhaltung vieler Jugendlicher am Beg<strong>in</strong>n des Jahrzehnts eher als<br />

Resultat negativer Er<strong>in</strong>nerungen an den Nationalsozialismus <strong>in</strong>terpretiert werden kann,<br />

erwies sich im fortgeschrittenen Jahrzehnt bei e<strong>in</strong>igen jungen Menschen bisweilen die<br />

Freude am Konsum als stärker motiviert als das Interesse an politischen <strong>Entwicklung</strong>en,<br />

wie das folgende Beispiel zu belegen vermag. Als 1958 die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft „Jugend,<br />

Politik <strong>und</strong> christlicher Glaube“, die das Internationale Institut Schloss Ma<strong>in</strong>au im<br />

Rahmen se<strong>in</strong>er Sommerakademie anbot, das Thema „jugendliche Politikverdrossenheit“<br />

auf europäischer Ebene diskutierte, äußerten mehrere Teilnehmer übere<strong>in</strong>stimmend die<br />

Me<strong>in</strong>ung, dass <strong>in</strong> den meisten europäischen Län<strong>der</strong>n wachsen<strong>der</strong> Wohlstand mit politischer<br />

Gleichgültigkeit verb<strong>und</strong>en wäre. 960 Das Beispiel macht deutlich, dass sich die<br />

Ressentiments vieler Jugendlicher gegenüber Politik <strong>in</strong> den späteren 1950er-Jahren offenbar<br />

weniger auf Erfahrungen aus <strong>der</strong> nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Besatzungssituation zurückführen lassen. Vielmehr wurden zur Mitte des Jahrzehnts<br />

traditionelle Denkschemata <strong>und</strong> Verhaltensnormen <strong>der</strong> Jugend von neuen Identifikationsmustern<br />

überlagert.<br />

Ergänzend sei an dieser Stelle darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass Politikverdrossenheit we<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong> re<strong>in</strong> deutsches Problem, noch e<strong>in</strong> Phänomen war, das alle<strong>in</strong> die Jugend betraf.<br />

Vielmehr sche<strong>in</strong>t diese Haltung <strong>in</strong> allen europäischen Industrienationen <strong>in</strong> weiten Bevölkerungskreisen<br />

verbreitet gewesen zu se<strong>in</strong>. Dass sich diese E<strong>in</strong>stellung außerdem nicht auf<br />

die Nachkriegszeit beschränkte, belegt die Tatsache, dass <strong>der</strong> Begriff „Politikverdrossen-<br />

957 Etude sur la Jeunesse, S. 24; MAE AOFAA, C 4381.<br />

958 SCHILDT, Not <strong>der</strong> Jugend, <strong>in</strong>: DERS.; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 335-348; hier S. 338 f.<br />

959 Vgl. hierzu Kap. VII. 3.2 <strong>und</strong> 3.3.<br />

960 SÜDKURIER vom 05.07.1958.


VI.4 DIE KONSTANZER NACHKRIEGSJUGEND – EINE „SKEPTISCHE GENERATION“? 245<br />

heit“ im Jahr 1994 <strong>in</strong> Deutschland zum Wort des Jahres gewählt wurde. Das nachstehende<br />

Beispiel, das <strong>der</strong> jüngeren Stadtgeschichte entnommen ist, lässt die Vermutung zu, dass<br />

bisweilen e<strong>in</strong> Zusammenhang zwischen Konsum- bzw. Freizeitverhalten <strong>und</strong> politischem<br />

Des<strong>in</strong>teresse bestehen könnte. Als <strong>der</strong> SÜDKURIER anlässlich <strong>der</strong> Jugendbürgerfeier 1999<br />

Jugendliche zu ihrem Wahlverhalten <strong>in</strong>terviewte, äußerte e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Befragten, er hätte<br />

nicht gewählt, wenn „die Skilifte zur Kommunalwahl nicht geschlossen gewesen<br />

wären “ . 961<br />

4.2 Ungarnaufstand, Wie<strong>der</strong>bewaffnung, Atompolitik – Politische<br />

Themen, welche die Jugend bewegten<br />

Obwohl Politik, wie im vorherigen Kapitel dargestellt wurde, offenbar im Alltag vieler<br />

junger <strong>Konstanz</strong>er<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>er nur e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle spielte, s<strong>in</strong>d<br />

Pauschalurteile <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht nicht angebracht. Denn erstens wirkten sowohl das<br />

politische Klima als auch die politischen Weichenstellungen zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong>direkt auf die<br />

Lebensverhältnisse <strong>der</strong> Jugend <strong>und</strong> auf die Gestaltungsmöglichkeiten <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong>.<br />

Zweitens gab es <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> durchaus e<strong>in</strong>e ganze Reihe politisch aktiver Jugendlicher, vor<br />

allem im Umfeld <strong>der</strong> Schulen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gewerkschaften. Drittens betrafen viele politische<br />

Themen <strong>der</strong> Nachkriegszeit die Jugend direkt. So brachten <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>führung<br />

<strong>der</strong> Wehrpflicht im Jahr 1956, die Solidarität mit den Opfern des Ungarnaufstands<br />

von 1953 <strong>und</strong> die westdeutsche Anti-Atombewegung <strong>der</strong> Jahre 1957/58 viele junge<br />

Menschen auf die Straße. So kam es 1953 <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> zu Solidaritätsk<strong>und</strong>gebungen im<br />

Rahmen <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Gedenkfeier an die Opfer des Ungarnaufstandes <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>esrepublik, wobei die Jugend eigene Akzente mit e<strong>in</strong>em Schweigemarsch durch die<br />

Innenstadt setzte. Daran beteiligten sich schätzungsweise r<strong>und</strong> 3.000 junge Menschen,<br />

vorwiegend Gymnasiasten, Studierende des Staatstechnikums sowie Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Gewerkschaften. 962<br />

In den späteren 1950er-Jahren mobilisierte vor allem das Thema „Atombewaffnung“<br />

viele junge Menschen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> war die im Jahr 1958 von <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung<br />

anvisierte atomare Aufrüstung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eswehr. Das Vorhaben scheiterte<br />

bekanntermaßen zwar nicht aufgr<strong>und</strong> solcher Proteste, die landesweit stattfanden, son<strong>der</strong>n<br />

am Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts; dennoch s<strong>in</strong>d Aktionen wie diese als Ausdruck<br />

e<strong>in</strong>er neuen Qualität <strong>der</strong> politischen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung zu werten, die darauf h<strong>in</strong>deutet,<br />

dass sich allmählich e<strong>in</strong>e kritische Öffentlichkeit herauszubilden begann.<br />

Das Thema „Wehrdienst“ ist e<strong>in</strong> weiteres Beispiel dafür, dass sich junge Menschen<br />

unabhängig von ihrer <strong>in</strong>neren E<strong>in</strong>stellung vielen politischen Entscheidungen, die ihr<br />

Leben betrafen, nicht entziehen konnten. Als <strong>der</strong> B<strong>und</strong>estag im Juli 1956 die Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>führung<br />

<strong>der</strong> Wehrpflicht beschloss, waren <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> die meisten wehrpflichtigen<br />

Männer zwischen 18 <strong>und</strong> 43 Jahren mit den Auswirkungen dieser zentralen politischen<br />

961 Zitiert nach SÜDKURIER vom 15.11.1999: „Junge Bürger 1999: Wir s<strong>in</strong>d halt die Fun-Generation“.<br />

962 SÜDKURIER vom 07.11.1956.


246 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

Gr<strong>und</strong>satzentscheidung unmittelbar konfrontiert. Die äußeren Fakten s<strong>in</strong>d schnell aufgezählt:<br />

Während <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>der</strong> 1950er-Jahre war zunächst e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Armee<br />

mit Frankreich <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Nachbarstaaten im Rahmen <strong>der</strong> Europäischen Verteilungsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

(EVG) vorgesehen. Der B<strong>und</strong>estag beschloss 1952 gegen die Stimmen <strong>der</strong><br />

SPD den Vertrag über die Europäische Verteidigung vom 8. Februar 1949. Dieser sah<br />

künftig unter an<strong>der</strong>em die Leistung e<strong>in</strong>es deutschen Beitrags vor. 963 Nach dem Scheitern<br />

des EVG-Vertrages wurde Westdeutschland 1955 Mitglied <strong>der</strong> NATO. Aus <strong>der</strong> provisorischen<br />

„Dienststelle Blank“ wurde das B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Verteidigung. Am 12.<br />

November des gleichen Jahres wurde die B<strong>und</strong>eswehr <strong>in</strong>s Leben gerufen. Verteidigungsm<strong>in</strong>ister<br />

Theodor Blank (CDU) verpflichtete <strong>in</strong> Bonn die ersten Freiwilligen. Am 7. Juli<br />

1956 beschloss <strong>der</strong> B<strong>und</strong>estag die Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Wehrpflicht. 964<br />

Bereits im Januar 1957 unterzogen sich <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> erstmals nach dem Krieg 92 Wehrpflichtige<br />

<strong>der</strong> Musterung, die das für <strong>Konstanz</strong> zuständige Kreiswehrersatzamt<br />

Donauesch<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> den Räumen des Staatstechnikums durchführte. 965 Etwa 60 Prozent <strong>der</strong><br />

jungen Männer wurden als tauglich e<strong>in</strong>gestuft. 20 junge <strong>Konstanz</strong>er verpflichteten sich<br />

über den 18-monatigen Gr<strong>und</strong>wehrdienst h<strong>in</strong>aus freiwillig. E<strong>in</strong> Drittel des Jahrgangs 1937<br />

beantragte die Zurückstellung für e<strong>in</strong> Jahr aus persönlichen, wirtschaftlichen o<strong>der</strong><br />

beruflichen Gründen. Mehrheitlich handelte es sich um Absolventen <strong>der</strong> höheren Schulen,<br />

die vor dem Abitur standen, o<strong>der</strong> um Auszubildende, die ihre Lehre noch nicht abgeschlossen<br />

hatten.<br />

Der sche<strong>in</strong>bar reibungslose Ablauf darf <strong>in</strong>des nicht darüber h<strong>in</strong>wegtäuschen, dass das<br />

Thema „Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Wehrpflicht“ äußerst kontrovers bewertet wurde. Zu<br />

Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1950er-Jahre waren lediglich 35 Prozent <strong>der</strong> westdeutschen Bevölkerung für<br />

e<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>bewaffnung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik. 966 Als im November 1958 Hans-Herrmann<br />

Köper, e<strong>in</strong> ehemaliger Fallschirmjäger <strong>und</strong> Kriegsbeschädigter <strong>und</strong> Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Gruppe <strong>der</strong> Wehrdienstverweigerer e. V., die b<strong>und</strong>esweit r<strong>und</strong> 10.000 Mitglie<strong>der</strong> zählte,<br />

vor r<strong>und</strong> 300 Wehrdienstgegnern aus <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> Umgebung referierte, kam es zu<br />

Tumulten unter den Diskussionsteilnehmern. 967 Gemäßigter verlief e<strong>in</strong> Ausspracheabend,<br />

den die Jugendorganisationen zum Thema „Für o<strong>der</strong> gegen die allgeme<strong>in</strong>e Wehrpflicht“<br />

im Jugendhaus etwa zeitgleich organisiert hatten. 968 Die Beispiele zeigen, dass weite Teile<br />

<strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung erhebliche Ressentiments gegen die von B<strong>und</strong>eskanzler<br />

Adenauer propagierte Wie<strong>der</strong>bewaffnung <strong>und</strong> Aufnahme <strong>in</strong> die NATO hegten. War für<br />

die B<strong>und</strong>esregierung die Remilitarisierung mit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>erlangung <strong>der</strong> staatlichen<br />

Souveränität Westdeutschlands verb<strong>und</strong>en, so berührte das Thema viele Menschen äußerst<br />

emotional, da kriegsbed<strong>in</strong>gte traumatische Ereignisse wie <strong>der</strong> Verlust naher Angehöriger<br />

<strong>und</strong> die Entwaffnung <strong>und</strong> Auflösung <strong>der</strong> Wehrmacht im Mai 1945 auf Befehl <strong>der</strong><br />

963<br />

Das Abkommen wird auch als „Generalvertrag“ bzw. „Bonner Konvention“ bezeichnet.<br />

964<br />

BALD, B<strong>und</strong>eswehr; DERS., „Bürger <strong>in</strong> Uniform“, <strong>in</strong>: SCHILDT; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung,<br />

S. 392-402.<br />

965<br />

SÜDKURIER vom 26.02.1957.<br />

966<br />

NOELLE; NEUMANN, Jahrbuch <strong>der</strong> öffentlichen Me<strong>in</strong>ung 1947-1955, S. 357-361.<br />

967 SÜDKURIER vom 08.11.1958.<br />

968 SÜDKURIER vom 19.11.1958.


VI.5 ENTSTEHUNG EINER AUTONOMEN JUGENDKULTUR – MODE, MUSIK, FILM 247<br />

Alliierten noch nicht weit zurücklagen. Laut e<strong>in</strong>er Umfrage sprachen sich Anfang <strong>der</strong><br />

1950er-Jahre drei Viertel <strong>der</strong> (West-)Deutschen gegen e<strong>in</strong>e eigene Armee aus. 969<br />

Das Thema spielte zudem im Wahlkampf für die bevorstehende B<strong>und</strong>estagswahl im<br />

September 1957 e<strong>in</strong>e große Rolle. Auf großes Interesse stieß bei <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung<br />

<strong>der</strong> Besuch des damaligen B<strong>und</strong>esverteidigungsm<strong>in</strong>isters Franz-Josef Strauss,<br />

CSU, im August 1957. R<strong>und</strong> 200 Interessierte waren <strong>in</strong> das Konzilgebäude gekommen,<br />

um die Ausführungen des Verteidigungsm<strong>in</strong>isters zu hören. Dieser g<strong>in</strong>g jedoch zur Enttäuschung<br />

vieler Anwesen<strong>der</strong> nur kurz auf das Thema Wie<strong>der</strong>bewaffnung e<strong>in</strong>, wobei er<br />

sich erwartungsgemäß unter H<strong>in</strong>weis auf die Bedrohung aus dem Osten entschieden für<br />

das Westbündnis aussprach, den von <strong>der</strong> Regierung geplanten Aufbau <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eswehr<br />

verteidigte <strong>und</strong> Konzeptionen <strong>der</strong> Opposition, die für e<strong>in</strong>e Freiwilligenarmee plädierte,<br />

e<strong>in</strong>e klare Absage erteilte.<br />

Unter den Parteien stellte sich b<strong>und</strong>esweit vor allem die KPD dezidiert gegen den von<br />

<strong>der</strong> CDU/CSU geführten Regierungskurs. Die KPD-Ortsgruppen aus Wollmat<strong>in</strong>gen <strong>und</strong><br />

Petershausen <strong>in</strong>itiierten im Vorfeld <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eswehrgründung Protestaktionen gegen die<br />

Remilitarisierungsbestrebungen <strong>der</strong> Regierungsparteien. 970 Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> antikommunistischen<br />

Stimmung im Land <strong>und</strong> <strong>der</strong> zunehmenden Verschärfung des Kalten<br />

Kriegs begann sich <strong>in</strong> den späten 1950er-Jahren die E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> Öffentlichkeit zu<br />

wandeln. Obwohl die Remilitarisierung die Menschen tief bewegte, kam es we<strong>der</strong> auf<br />

lokaler noch auf überregionaler Ebene zu e<strong>in</strong>er markanten Gegenbewegung. E<strong>in</strong>erseits<br />

trugen die günstige Wirtschaftslage <strong>und</strong> die fö<strong>der</strong>alen Strukturen <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik zur<br />

allgeme<strong>in</strong>en Besonnenheit bei, an<strong>der</strong>erseits wurden die herrschenden Verhältnisse, darunter<br />

Adenauers Westorientierung, <strong>in</strong> weiten Teilen <strong>der</strong> westdeutschen Gesellschaft<br />

damals kaum <strong>in</strong>frage gestellt.<br />

Die gemäßigte Haltung <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung gegenüber <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>führung<br />

<strong>der</strong> Wehrpflicht entsprach demzufolge dem allgeme<strong>in</strong>en b<strong>und</strong>esdeutschen Trend. „F<strong>und</strong>amentale<br />

Neuregelungen“ konnten sich, so beschreibt SYWOTTEK dieses Phänomen, „zum<br />

e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel auf e<strong>in</strong>e breite Zustimmung stützen. Zum an<strong>der</strong>en waren sie von e<strong>in</strong>er<br />

konstruktiven Opposition begleitet [...], die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel we<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage noch gesonnen<br />

war, die e<strong>in</strong>geschlagene <strong>Entwicklung</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich zu revidieren“. 971<br />

5 Entstehung e<strong>in</strong>er autonomen Jugendkultur – Mode, Musik, Film<br />

Unter dem Begriff „Jugendkultur“, wie ihn <strong>der</strong> Reformpädagoge Gustav Wyneken geprägt<br />

hat, versteht man kulturelle Aktivitäten <strong>und</strong> Subkulturen von Jugendlichen, die durch die<br />

Suche <strong>und</strong> Schaffung alternativer Wertesysteme durch Jugendliche charakterisiert werden<br />

können. Mit dieser Suche s<strong>in</strong>d Ausdrucksformen e<strong>in</strong>es neuen Lebensgefühls <strong>der</strong> neuen<br />

Jugendkultur verb<strong>und</strong>en. Beför<strong>der</strong>t durch K<strong>in</strong>o <strong>und</strong> Fernsehen gelten die „Endfünfziger“<br />

969 BALD, Bürger <strong>in</strong> Uniform, <strong>in</strong>: SCHILDT; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 392-402, hier S. 392.<br />

970 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 239-240.<br />

971 SYWOTTEK, Wege <strong>in</strong> die 1950er Jahre, <strong>in</strong>: SCHILDT; DERS. (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 17.


248 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> kollektiven Er<strong>in</strong>nerung geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> als die „eigentlichen 50er Jahre“. 972 Tatsächlich<br />

vollzogen sich viele gesellschaftliche <strong>Entwicklung</strong>en erst im letzten Drittel des Jahrzehnts.<br />

Diese Aussage trifft auch auf die <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong>er autonomen Jugendkultur zu.<br />

Die Teenager-Generation <strong>der</strong> späten 1950er-Jahre unterschied sich von den vorherigen<br />

Generationen vor allem durch eigene Ideale <strong>und</strong> Idole, die sich von denjenigen <strong>der</strong><br />

Erwachsenen abgrenzten. Geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> wird <strong>der</strong> Entstehungsbeg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> neuen westdeutschen<br />

Jugendkultur im Zeitraum 1955/57 angesetzt. Als Anhaltspunkt gelten musik- <strong>und</strong><br />

filmgeschichtliche Ereignisse, darunter die ersten Rockkonzerte amerikanischer Stars <strong>in</strong><br />

Deutschland, die Gründung <strong>der</strong> Beatles o<strong>der</strong> das Anlaufen von Filmen wie „Die Halbstarken“<br />

<strong>in</strong> deutschen K<strong>in</strong>os. 973 Obwohl viele jugendkulturelle <strong>Entwicklung</strong>en aufgr<strong>und</strong><br />

des katholischen, kle<strong>in</strong>bürgerlichen Milieus im abseits gelegenen <strong>Konstanz</strong>, an<strong>der</strong>s als<br />

etwa <strong>in</strong> deutschen Großstädten, e<strong>in</strong>en verzögerten <strong>und</strong> abgeschwächten Verlauf nahmen,<br />

blieb die <strong>Konstanz</strong>er Jugend von <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en <strong>Entwicklung</strong> im Land nicht unberührt.<br />

Ende <strong>der</strong> 1950er-Jahre zeigten sich hierzulande die Anzeichen e<strong>in</strong>er neuen Zeit im Denken<br />

<strong>und</strong> Verhalten <strong>der</strong> jungen Generation. 974<br />

Dem Wandel <strong>der</strong> jugendlichen Verhaltensmuster <strong>in</strong> den 1950er-Jahren lagen vor allem<br />

sozialgeschichtliche Ursachen zugr<strong>und</strong>e. Zum e<strong>in</strong>en vollzog sich Ende <strong>der</strong> 1950er-Jahre<br />

e<strong>in</strong> altersbed<strong>in</strong>gter Wechsel <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Jugend. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> des demografischen<br />

Wandels erreichten immer mehr junge Menschen, die zwischen 1920 <strong>und</strong> 1935<br />

geboren worden waren <strong>und</strong> daher zur ersten Nachkriegsgeneration gezählt werden, das<br />

Erwachsenenalter. Sie heirateten, gründeten Familien, kümmerten sich um ihren beruflichen<br />

Aufstieg <strong>und</strong> entfielen altersbed<strong>in</strong>gt allmählich als Zielgruppe für die Jugendpflege.<br />

Zum an<strong>der</strong>en wandelten sich im Laufe des Jahrzehnts, bed<strong>in</strong>gt durch die verbesserten<br />

Lebensverhältnisse, die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für jugendliches Aufwachsen. Von diesen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen profitierten speziell die Jahrgänge ab etwa 1940, <strong>der</strong>en Lebensumstände<br />

sich bereits gr<strong>und</strong>legend von denen <strong>der</strong> Jugendzeit <strong>der</strong> ersten Nachkriegsgeneration unterschieden.<br />

Während die Erfahrungen <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> unmittelbarer Nachkriegszeit noch stark<br />

durch den Krieg <strong>und</strong> die Besatzungsphase geprägt waren, lernte die zweite Nachkriegsgeneration<br />

bereits die Errungenschaften des wirtschaftlichen Aufbaus kennen: Konsumgüter,<br />

Nutzung von Technik im Alltag, im Beruf <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Freizeit, Mobilität, Radio,<br />

K<strong>in</strong>o, Fernsehen <strong>und</strong> Illustrierte. 975<br />

Gleichwohl viele <strong>der</strong> damaligen Modeersche<strong>in</strong>ungen vor Ort eher dezent adaptiert<br />

wurden, <strong>in</strong>teressierte sich die Jugend für die zeittypischen Teenager-Attribute <strong>in</strong> Bezug<br />

auf Kleidung, Frisuren, Rock- <strong>und</strong> Jazzmusik. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Verbreitung von Filmen,<br />

Radio <strong>und</strong> Illustrierten waren die damals neuartigen Trends <strong>in</strong> Mode, Musik <strong>und</strong> Freizeitverhalten<br />

<strong>in</strong> den späten 1950er-Jahren <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> selbstverständlich bekannt.<br />

972<br />

SYWOTTEK, Wege <strong>in</strong> die 1950er Jahre, <strong>in</strong>: SCHILDT; DERS. (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 35 f.<br />

973<br />

ZINNECKER, Jugendkultur, S. 90-95.<br />

974<br />

Beispiele bei KRÜGER (Hg.), Lebensgeschichte <strong>und</strong> jugendliche Alltagskultur.<br />

975<br />

JARREN, Medien <strong>und</strong> Kommunikation, <strong>in</strong>: SYWOTTEK; DERS. (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 433-438.


VI.5 ENTSTEHUNG EINER AUTONOMEN JUGENDKULTUR – MODE, MUSIK, FILM 249<br />

An dieser <strong>Entwicklung</strong> hatten die mo<strong>der</strong>nen Massenmedien <strong>der</strong> 1950er-Jahre, vor<br />

allem das Radio, das K<strong>in</strong>o sowie Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften, e<strong>in</strong>en nicht unerheblichen<br />

Anteil. 976 Die damals aktuellen Illustrierten <strong>und</strong> Zeitungen räumten <strong>der</strong> Berichterstattung<br />

über die <strong>Entwicklung</strong> von Mode <strong>und</strong> Musikgeschmack <strong>der</strong> Jugend breiten Raum e<strong>in</strong>. Die<br />

Lokalpresse berichtete ganz im Trend <strong>der</strong> damaligen Zeitungs- <strong>und</strong> Zeitschriftenlandschaft<br />

ebenfalls recht häufig <strong>und</strong> ausführlich über Jugendthemen. Insofern begleiteten <strong>und</strong><br />

beför<strong>der</strong>ten die Medien durch ihre Berichterstattung die Entstehung <strong>der</strong> neuen Jugendkultur<br />

<strong>und</strong> trugen maßgeblich zur Verbreitung mo<strong>der</strong>ner jugendkultureller Strömungen<br />

bei. In den K<strong>in</strong>os liefen etwa <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte des Jahrzehnts Filme wie „Denn sie<br />

wissen nicht, was sie tun“ 977 o<strong>der</strong> „Die Halbstarken“. Diese Streifen vermittelten <strong>der</strong><br />

Jugend neue Leitbil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Identifikationsmuster <strong>und</strong> sprachen erstmals <strong>in</strong> <strong>der</strong> Filmgeschichte<br />

spezifische Probleme junger Menschen beim Erwachsenwerden an. 978<br />

Darsteller wie Marlon Brando <strong>und</strong> James Dean, <strong>der</strong> <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>ofilmen <strong>der</strong> 1950er-Jahre<br />

die Symbolfigur des unangepassten Jugendlichen verkörperte, wurden zu Jugendidolen. In<br />

den 1950er-Jahren waren R<strong>und</strong>funkgeräte <strong>in</strong> nahezu allen Haushalten vorhanden. Über<br />

das Massenmedium Radio hatte die örtliche Jugend Zugang zu neuen Musikstilen wie<br />

Rock ’n’ Roll <strong>und</strong> Jazz, <strong>während</strong> das Schwarz-Weiß-Fernsehen erst <strong>in</strong> den 1960er-Jahren<br />

allmählich E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die Privatsphäre hielt. Zwar wurde b<strong>und</strong>esweit bereits 1957 <strong>der</strong><br />

millionste Zuschauer registriert, doch wurden zeitgleich <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> erste Apparate an<br />

öffentlichen Treffpunkten, wie <strong>in</strong> Gaststätten, aufgestellt. Im Jahr 1959 schaffte<br />

schließlich das Jugendhaus e<strong>in</strong> eigenes Gerät an.<br />

Auch die Pr<strong>in</strong>tmedien erlebten e<strong>in</strong>en Boom. Dabei brachte die Medienlandschaft<br />

neuartige journalistische <strong>und</strong> literarische Ausdrucksformen hervor. Begeistert war die<br />

Jugend vor allem von <strong>der</strong> neuen Gattung <strong>der</strong> Comics, die an vielen <strong>Konstanz</strong>er Kiosken<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> Schreibwarenläden erhältlich waren. Zudem stellte das 1947 gegründete<br />

Nachrichtenmagaz<strong>in</strong> DER SPIEGEL nach Kriegsende etwas völlig Neues dar, da es nicht auf<br />

alten deutschen journalistischen Mustern aufgebaut war <strong>und</strong> sich auf ausführliche Berichte<br />

über politische Themen im Land konzentrierte. Dagegen för<strong>der</strong>te die 1952 gegründete<br />

„Bildzeitung“ 979 den neuen Sensationsjournalismus, <strong>der</strong> bei vielen Leser<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lesern<br />

auf großes Interesse stieß. Beliebt waren ferner die neuen Illustrierten wie BUNTE <strong>und</strong><br />

STERN, die vorwiegend über Modetrends <strong>und</strong> das gesellschaftliche <strong>und</strong> kulturelle Leben<br />

von Prom<strong>in</strong>enten berichteten. In diese Kategorie fiel zunächst auch die 1956 gegründete<br />

Illustrierte BRAVO, die sich <strong>in</strong> den 1960er-Jahren zur re<strong>in</strong>en Jugendzeitschrift wandelte. 980<br />

976 Zum E<strong>in</strong>fluss <strong>und</strong> zur Verbreitung des R<strong>und</strong>funks <strong>in</strong> den 1950er-Jahren <strong>in</strong> Westdeutschland: SCHILDT,<br />

Hegemon <strong>der</strong> häuslichen Freiheit, <strong>in</strong>: DERS.; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 458-476.<br />

977 Die örtliche Presse widmete dem Film e<strong>in</strong>e ausführliche Besprechung aus Anlass se<strong>in</strong>es Anlaufens im<br />

Roxy-K<strong>in</strong>o <strong>Konstanz</strong>; vgl. SÜDKURIER vom 17.11.1956.<br />

978 „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, Drama, USA 1955, Regie: Nicolas Ray, Buch: Stewart Stern,<br />

Darsteller: James Dean, Natalie Wood, Dennis Hopper u. a.<br />

979 In <strong>der</strong> Schreibweise des Verlags BILD, umgangssprachlich <strong>und</strong> früher auch offiziell „Bildzeitung“.<br />

980 Die BRAVO, heute größte Jugendzeitschrift im deutschsprachigen Raum, erschien erstmals am<br />

26.08.1956 mit dem Untertitel „Die Zeitschrift für Film <strong>und</strong> Fernsehen“. Ab dem Jahrgang 1957 erschien<br />

Heft 13 am 31.März 1957 mit dem neuen Untertitel „Die Zeitschrift mit dem jungen Herzen“ <strong>und</strong> dem<br />

Zusatz „Film, Fernsehen, Schlager“. Ab Heft 34/57 (13.08.1957) gab es ke<strong>in</strong>e Untertitel mehr. Seit 1968<br />

ersche<strong>in</strong>t diese Jugendzeitschrift wöchentlich bei <strong>der</strong> Bauer Verlagsgruppe.


250 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

Neben den genannten Verän<strong>der</strong>ungen kam e<strong>in</strong>e ganze Reihe neuer Produkte auf den<br />

Markt. Dabei handelte es sich vorwiegend um neue Waren aus Amerika o<strong>der</strong> um Nachahmerprodukte<br />

aus Deutschland. Beispielhaft seien die unter <strong>der</strong> Jugend beliebten<br />

Konsumgüter Blue Jeans, Cola o<strong>der</strong> S<strong>in</strong>alco, Nylonstrümpfe o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bik<strong>in</strong>i genannt. So<br />

manche jugendkulturelle Strömung vermittelte auf diese Weise für die junge Generation<br />

nicht nur e<strong>in</strong> neues Lebensgefühl, son<strong>der</strong>n wirkte darüber h<strong>in</strong>aus äußerst konjunkturbelebend.<br />

Die Werbeangebote nahmen zu, sie wurden bunter <strong>und</strong> sprachen die Jugend als<br />

neue Konsumenten- <strong>und</strong> Zielgruppe direkt an. Auf großes Interesse stieß etwa die Modenschau,<br />

die das <strong>Konstanz</strong>er Modehaus Lorer 1959 durchführte, <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> erstmals Teenagermode<br />

vorgeführt wurde. 981 Doch vor allem die Musik wurde zur wichtigsten Ausdrucksform<br />

<strong>der</strong> neuen Jugendkultur. Die <strong>Entwicklung</strong> des jugendlichen Musikgeschmacks<br />

ist darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong> Indiz dafür, dass sich das deutsche Konsumverhalten im Verlauf <strong>der</strong><br />

1950er-Jahre zunehmend an <strong>in</strong>ternationalen, vor allem amerikanischen Vorbil<strong>der</strong>n zu<br />

orientieren begann <strong>und</strong> viele <strong>der</strong> dort verbreiteten Stilrichtungen hierzulande adaptiert<br />

wurden. Dazu gehört <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> Rock ’n’ Roll mit se<strong>in</strong>en damaligen Stars Bill<br />

Haley o<strong>der</strong> Elvis Presley. Im Jahr 1959 brachte außerdem <strong>der</strong> damalige Leiter des Jazzreferats<br />

beim Südwestfunk <strong>in</strong> Baden-Baden, Joachim Ernst Behrendt, im Zuge se<strong>in</strong>er<br />

Bemühungen, den Jazz <strong>in</strong> Deutschland nach Kriegsende bekannt zu machen, diesen<br />

Musikstil erstmals „live“ nach <strong>Konstanz</strong>. 982 Im Rahmen e<strong>in</strong>er Europa-Tournee trafen unter<br />

an<strong>der</strong>em <strong>der</strong> amerikanische Jazz-Trompeter Cootie Williams <strong>und</strong> <strong>der</strong> Saxophonist Lucky<br />

Thompson <strong>und</strong> weitere Musiker <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> zu e<strong>in</strong>er Jamsession zusammen. Die Veranstaltung<br />

war trotz <strong>der</strong> parallel stattf<strong>in</strong>denden Fastnachtsveranstaltungen fast ausverkauft.<br />

Über die altersmäßige Zusammensetzung <strong>der</strong> Konzertbesucher wissen wir lei<strong>der</strong> nichts. Es<br />

ist aber anzunehmen, dass es sich vorwiegend um e<strong>in</strong> jüngeres Publikum handelte. Dafür<br />

dass die <strong>Konstanz</strong>er Jugend Jazz mochte, gibt es weitere H<strong>in</strong>weise. So zog das Jugendhaus<br />

nach dem erfolgreichen SWF-Konzert im Oktober desselben Jahres nach <strong>und</strong> begann se<strong>in</strong>e<br />

Herbstarbeit mit e<strong>in</strong>em Jazz-Abend. Schon die erste Auftaktveranstaltung, <strong>der</strong> daraufh<strong>in</strong><br />

monatlich stattf<strong>in</strong>dende Jazzabende folgen sollten, fand großen Anklang. Fast 200 Jugendliche<br />

besuchten den Abend, <strong>der</strong> von regionalen Musikern gestaltet wurde.<br />

Auch wenn die genannten Beispiele ke<strong>in</strong>en Anspruch auf Vollständigkeit erheben,<br />

stehen sie paradigmatisch für viele jugendkulturelle <strong>Entwicklung</strong>en <strong>und</strong> Zusammenhänge<br />

<strong>der</strong> späten 1950er-Jahre, die E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die Jugendszene erhielten. Dabei kann kenntlich<br />

gemacht werden, dass sich die neue Jugendkultur im Kontext <strong>der</strong> geschil<strong>der</strong>ten gesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlichen Wandlungsprozesse entwickelte <strong>und</strong> es e<strong>in</strong>e ganze Reihe<br />

von Wechselwirkungen zwischen jugendkulturellen Phänomenen, wachsendem Wohlstand<br />

<strong>und</strong> Konsumgesellschaft gab. Neben <strong>der</strong> neuen Freude am Konsum im engeren<br />

S<strong>in</strong>ne spielten außerdem weitere Faktoren wie Lebens- <strong>und</strong> Freizeitstile, Medien, Mode,<br />

Mobilität etc. e<strong>in</strong>e Rolle.<br />

981 SÜDKURIER vom 13.05.1959.<br />

982 Joachim Ernst Behrendt (1923-2000), Musikjournalist <strong>und</strong> Musikkritiker mit Spezialgebiet Jazz,<br />

langjähriger Redakteur beim früheren Südwestfunk Baden-Baden, Initiator <strong>der</strong> Veranstaltung „Jazz-Time<br />

Baden-Baden“ <strong>und</strong> Mo<strong>der</strong>ator zahlreicher Jazzsendungen <strong>in</strong> R<strong>und</strong>funk, Film, Fernsehen sowie vieler<br />

Veranstaltungen; Autor zahlreicher Veröffentlichungen über den Jazz.


VI.5 ENTSTEHUNG EINER AUTONOMEN JUGENDKULTUR – MODE, MUSIK, FILM 251<br />

Viele Ausdrucksformen des jugendlichen Konsum- <strong>und</strong> Freizeitverhaltens riefen bei<br />

Eltern <strong>und</strong> konservativen Pädagogen Ängste hervor, darunter <strong>der</strong> Wandel des jugendlichen<br />

Musikgeschmacks. Während die Jugend <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e von <strong>der</strong> aus Amerika stammenden<br />

Rockmusik <strong>und</strong> vielen modischen Begleitersche<strong>in</strong>ungen begeistert war, reagierten viele<br />

Eltern, Pädagogen <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>er landesweit mit Unsicherheit, Ratlosigkeit o<strong>der</strong><br />

Ablehnung auf die neuen jugendkulturellen Phänomene im Tanzverhalten, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mode<br />

<strong>und</strong> im Auftreten <strong>der</strong> Jugend. Teenageridole wie beispielsweise Ted Herold wurden <strong>in</strong><br />

Teilen <strong>der</strong> Öffentlichkeit als „Schluckaufsänger“ betitelt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Rock ’n’ Roll wurde als<br />

sogenannte „Negermusik“ diffamiert. Selbst die Liebe <strong>der</strong> Jugend für den Jazz war damals<br />

mit vielen Vorurteilen vonseiten <strong>der</strong> erwachsenen Bevölkerung behaftet. Um diese Befangenheiten<br />

etwas zu zerstreuen, zitierte Stadtjugendpfleger Dannenmayer etwa zu<br />

Beg<strong>in</strong>n des ersten Jazz-Abends im Jugendhaus aus e<strong>in</strong>em zeitgenössischen psychologischen<br />

Gutachten, welches die positive Wirkung von Jazz auf den Hörer wissenschaftlich<br />

zu belegen versuchte. 983 Bereits die oben erwähnte SWF-Veranstaltung Joachim Ernst<br />

Behrends, die im Februar 1959 stattfand, war umstritten. Viele <strong>Konstanz</strong>er zeigten sich<br />

besorgt, das Mobiliar des Konzilsaals könnte <strong>während</strong> des Konzertes zu Bruch gehen, was<br />

freilich nicht <strong>der</strong> Fall war. 984<br />

Anlass für Befürchtungen dieser Art bildeten Ausschreitungen <strong>in</strong>folge sogenannter<br />

„Jugendkrawalle“, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Großstädten im Anschluss an Rockkonzerte amerikanischer<br />

Künstler wie Elvis Presley o<strong>der</strong> Bill Haley stattgef<strong>und</strong>en hatten, wobei es unter<br />

an<strong>der</strong>em zur Zertrümmerung von Mobiliar gekommen war. Allerd<strong>in</strong>gs wurden <strong>der</strong>artige<br />

Jugendkrawalle <strong>in</strong> <strong>der</strong> breiten Öffentlichkeit eher überbewertet. Die große Aufmerksamkeit,<br />

die diesen Phänomenen <strong>in</strong> den Medien geschenkt wurde, steht <strong>der</strong> Tatsache diametral<br />

entgegen, dass diese Ereignisse auf wenige größere europäische bzw. westdeutsche Städte,<br />

allen voran Berl<strong>in</strong> o<strong>der</strong> die Ruhrgebietsmetropolen, beschränkt waren. In den südlichen<br />

Landesteilen kam es zwischen 1955 <strong>und</strong> 1958 lediglich <strong>in</strong> Stuttgart, Mannheim, München<br />

<strong>und</strong> Augsburg vere<strong>in</strong>zelt zu angeblichen „Großkrawallen“ mit mehr als 50 Teilnehmern.<br />

985 Im christlich-konservativen kle<strong>in</strong>städtischen Milieu <strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong> war man<br />

von den „Halbstarkenproblemen“, die b<strong>und</strong>esweit große Aufmerksamkeit hervorriefen,<br />

jedoch weit entfernt. E<strong>in</strong>e heftige Jugendrebellion, die im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> neueren Sozialgeschichtsforschung<br />

als „Aufkündigung <strong>der</strong> bis dah<strong>in</strong> vorherrschenden jugendlichen<br />

Anpassung an die bestehenden materiellen <strong>und</strong> familiären Gegebenheiten“ 986 gewertet<br />

werden kann, sche<strong>in</strong>t es vor Ort nicht gegeben zu haben. We<strong>der</strong> die „Halbstarken“, die<br />

dem l<strong>in</strong>ken Arbeitermilieu <strong>der</strong> Industriestädte an Rhe<strong>in</strong> <strong>und</strong> Ruhr entstammten, noch die<br />

„Existentialisten“, die sich vorwiegend aus Jugendlichen aus <strong>der</strong> Mittelschicht rekrutierten,<br />

fanden <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> genügend jugendliche Anhänger. 987<br />

983 Siehe den Beitrag „Jazz im Jugendhaus fand Beifall“ im SÜDKURIER vom 06.10.1959.<br />

984 SÜDKURIER vom 03.02.1959 <strong>und</strong> 06.02.1959.<br />

985 ABELSHAUSER, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft, S. 111-113.<br />

986 ABELSHAUSER, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft, S. 69.<br />

987 Zu diesen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en jugendkulturellen Ausdrucksformen <strong>und</strong> Gruppierungen vgl. WENSIERSKI, Von<br />

den Halbstarken <strong>der</strong> 50er Jahre zu den Rockern <strong>der</strong> 60er <strong>und</strong> 70er Jahre, <strong>in</strong>: BREYVOGEL U.A.(Hgg.),<br />

Jugendkulturen im Ruhrgebiet, S. 172-186.


252 VI DIE LAGE DER JUGEND IN DEN 1950ER-JAHREN<br />

Die neuen jugendkulturellen <strong>Entwicklung</strong>en im Bereich Mode- <strong>und</strong> Musikgeschmack<br />

waren ebenfalls e<strong>in</strong> Versuch <strong>der</strong> Jugend, sich von <strong>der</strong> angebotenen Kultur <strong>der</strong> Erwachsenengeneration<br />

abzugrenzen. Die neuere sozialgeschichtliche Forschung <strong>in</strong>terpretiert<br />

mittlerweile jedoch die Entstehung <strong>der</strong> autonomen Jugendkultur <strong>in</strong> den Fünfzigerjahren<br />

weniger im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Rebellion gegen die Elterngeneration, son<strong>der</strong>n mit Blick auf die<br />

breite Mehrheit <strong>der</strong> westdeutschen Jugend vielmehr, wie SCHILDT 988 betont, als Ausdruck<br />

e<strong>in</strong>er „gesellschaftlichen Suche nach Orientierungssicherheit für die Zeit nach dem<br />

Wie<strong>der</strong>aufbau, bei <strong>der</strong> die junge Generation vorang<strong>in</strong>g“. Die Verän<strong>der</strong>ungen im Verhalten<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>stellungen <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> den „kurzen 1950er Jahren“ drücken den „sozialhistorischen<br />

Strukturbruch seismographisch beson<strong>der</strong>s deutlich aus.“<br />

6 Wilde Fünfziger o<strong>der</strong> langes Jahrzehnt <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>? – E<strong>in</strong>e<br />

Bilanz<br />

Obwohl bürgerliche, christdemokratische <strong>und</strong> kirchliche Wertvorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

auf breite Zustimmung stießen, s<strong>in</strong>d die 1950er-Jahre <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> nicht als e<strong>in</strong>e<br />

ausschließlich restaurative Phase zu bezeichnen. „Mo<strong>der</strong>ne“, zeittypische <strong>Entwicklung</strong>en<br />

<strong>in</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft wurden von den politischen Entscheidungsträgern<br />

ke<strong>in</strong>eswegs ignoriert. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> ambivalenten <strong>Entwicklung</strong>stendenzen verbietet sich<br />

freilich e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>dimensionale Beschreibung kultureller, sozialer, ökonomischer <strong>und</strong> politischer<br />

Gegebenheiten. Viele Lebensbereiche <strong>der</strong> jungen Generation waren durch althergebrachte<br />

Traditionen geprägt, <strong>während</strong> auf an<strong>der</strong>en Gebieten bereits Mo<strong>der</strong>nisierungsschübe<br />

zu verzeichnen waren. Insofern bestätigen die Bef<strong>und</strong>e dieser Untersuchung die<br />

Formel von <strong>der</strong> „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, die für die 1950er-Jahre als<br />

charakteristisch angesehen wird. 989<br />

Schon die zeitgenössischen Studien belegten, dass die Jugend im ersten Drittel des<br />

Jahrzehnts „eher unauffällig“ 990 war. Es ist das Verdienst <strong>der</strong> jüngeren Zeitgeschichtsforschung,<br />

dass dieser Beobachtung neben den zahlreichen Darstellungen über die<br />

Halbstarken-Szene <strong>und</strong> die Teenager-Kultur <strong>der</strong> sogenannten „Wilden fünfziger Jahre“<br />

wie<strong>der</strong> vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Bef<strong>und</strong>e <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Archivalien<br />

bestätigen die These, dass die Situation <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Hälfte des Jahrzehnts<br />

eher den Strukturen <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit entsprach, als dem <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Medienwelt verbreiteten Geschichtsbild <strong>der</strong> rebellischen Jugend. Erst am Ende des<br />

Jahrzehnts ist <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> im H<strong>in</strong>blick auf das Verhalten <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> Jugend<br />

e<strong>in</strong> Paradigmenwechsel zu beobachten, <strong>der</strong> den Schluss nahelegt, dass e<strong>in</strong> Mo<strong>der</strong>nisierungsschub,<br />

wie er für die westdeutsche Gesellschaft <strong>in</strong>sgesamt beobachtet wird, <strong>in</strong>ner-<br />

988<br />

Zu diesem <strong>und</strong> zum folgenden Zitat vgl. SCHILDT, Not <strong>der</strong> Jugend, <strong>in</strong>: DERS.; SYWOTHEK (Hgg.),<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 348.<br />

989<br />

KOSELLECK, Historia Magistra Vitae, <strong>in</strong>: DERS., Vergangene Zukunft, S. 38-66.<br />

990<br />

Mit bibliografischen Angaben zur älteren Forschung <strong>und</strong> Literatur: SCHILDT, Not <strong>der</strong> Jugend, <strong>in</strong>: DERS.;<br />

SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 335-349, hier S. 335 f.


VI.6 WILDE FÜNFZIGER ODER LANGES JAHRZEHNT IN KONSTANZ? – EINE BILANZ 253<br />

halb <strong>der</strong> jungen Generation stattgef<strong>und</strong>en hat. In den Bereichen Bildung, Ausbildung,<br />

Freizeit, Konsumverhalten, Jugendkultur etc. zeigten sich gegen Ende des Jahrzehnts die<br />

Anzeichen e<strong>in</strong>er neuen Zeit. Diese <strong>Entwicklung</strong> stimmt mit dem Bild, das die jüngere<br />

Sozialwissenschaft zeichnet, übere<strong>in</strong>. So glie<strong>der</strong>t SYWOTTEK die 1950er-Jahre <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Phase, die „eher <strong>der</strong> Rekonstruktion, dem ‚Wie<strong>der</strong>aufbau des kriegszerstörten Landes‘ <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> ‚Rückkehr zur Normalität‘ zuzurechnen“ ist, sowie ab 1957 <strong>in</strong> „jene kurzen 50er, <strong>in</strong><br />

denen dann erkennbar die Mo<strong>der</strong>nisierung dom<strong>in</strong>ierte.“ 991<br />

Sicherlich erlebte die Jugend im kle<strong>in</strong>städtischen <strong>Konstanz</strong> die „Wilden fünfziger<br />

Jahre“ jedoch weniger ausgeprägt als Jugendliche <strong>in</strong> Großstädten. Viele Errungenschaften<br />

<strong>und</strong> Zeitersche<strong>in</strong>ungen <strong>der</strong> neuen Jugendkultur wurden hier erst mit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1960er-<br />

Jahre bekannt. Für die <strong>Konstanz</strong>er Jugend <strong>der</strong> späten 1950er-Jahre ist das Jahr–zehnt<br />

daher eher mit dem durch die Wirtschaftsgeschichte <strong>der</strong> 1960er-Jahre geprägten Begriff<br />

<strong>der</strong> „langen fünfziger Jahre“ zu fassen. Damit s<strong>in</strong>d „jene <strong>in</strong> ihrer wirtschaftlichen <strong>und</strong><br />

sozialen Gr<strong>und</strong>entwicklung eng zusammenhängenden an<strong>der</strong>thalb Jahrzehnte“ zwischen<br />

Gründung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik bis zum ersten Konjunkture<strong>in</strong>bruch 1966 geme<strong>in</strong>t. 992 Erst<br />

am Ende des Jahrzehnts bzw. <strong>in</strong> den 1960er-Jahren begann die junge Generation, viele<br />

Werte <strong>und</strong> Verhaltensweisen zunehmend kritisch zu h<strong>in</strong>terfragen.<br />

991 SYWOTTEK, Wege <strong>in</strong> die 1950er Jahre, <strong>in</strong>: SCHILDT; DERS. (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 13-43, hier S. 35.<br />

992 Begriff nach ABELSHAUSER, Die langen fünfziger Jahre, S. 77.


VII <strong>Jugendarbeit</strong> nach 1949 bis zum Beg<strong>in</strong>n<br />

<strong>der</strong> 1960er-Jahre<br />

1 <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> kommunalen Jugendwohlfahrtspflege<br />

im Kontext übergeordneter Gesetze <strong>und</strong> Gebietsreformen<br />

Die Neuregelungen auf dem Gebiet des Jugendhilferechts, die Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre <strong>in</strong><br />

die Wege geleitet wurden, führten zwar nicht zu e<strong>in</strong>er völligen Umgestaltung <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>, sie brachten jedoch gr<strong>und</strong>legende Akzentverschiebungen sowie<br />

e<strong>in</strong>e ganze Reihe organisatorischer <strong>und</strong> <strong>in</strong>haltlicher Verän<strong>der</strong>ungen im Bereich <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe mit sich. Vor allem das novellierte Jugendwohlfahrtsgesetz, das im August<br />

1953 <strong>in</strong> Kraft trat, führte im H<strong>in</strong>blick auf die Handhabung <strong>der</strong> Jugendfürsorge <strong>und</strong><br />

Jugendpflege zu zahlreichen Neuerungen für die Kreise <strong>und</strong> kreisfreien Städte. 993<br />

Im Zuge <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> wurden viele Neuregelungen, die unter französischer<br />

Besatzung e<strong>in</strong>geführt worden waren, im Bereich <strong>der</strong> Jugendpflege rückgängig gemacht.<br />

Während die Schulpolitik bereits mit dem Übergang <strong>der</strong> Verantwortlichkeiten aus den<br />

Bereich Kultus <strong>und</strong> Bildung an die Län<strong>der</strong>regierungen e<strong>in</strong>e ähnliche <strong>Entwicklung</strong> erlebt<br />

hatte, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Gefolge die meisten Schulreformen aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> französischen<br />

Besatzung seit Inkrafttreten des Besatzungsstatuts für nichtig erklärt worden waren, trat<br />

e<strong>in</strong> vergleichbarer Prozess im Bereich <strong>der</strong> außerschulischen <strong>Jugendarbeit</strong> im Zuge des<br />

Jugendhilferechts ab dem Jahr 1953 e<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong>e direkte Folge dieser <strong>Entwicklung</strong> war die Auflösung <strong>der</strong> Abteilung Jugendpflege<br />

<strong>und</strong> Jugendbildung bei <strong>der</strong> Stadtverwaltung. Während das Jugendamt durch die neue<br />

Rechtslage zum Mittelpunkt <strong>der</strong> örtlichen Jugendpflege avancierte, verlor diese Dienststelle,<br />

die e<strong>in</strong> Produkt <strong>der</strong> Besatzungszeit war, ihre Funktion. Die Aufgabenbereiche auf<br />

dem Gebiet <strong>der</strong> präventiven <strong>Jugendarbeit</strong>, die bisher <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Stadtverwaltung durch<br />

e<strong>in</strong>e eigene Abteilung geführt worden waren, g<strong>in</strong>gen nun an das Jugendamt über. Nachdem<br />

unter dem Begriff Jugendwohlfahrtspflege die beiden ehemals getrennten Aufgabenbereiche<br />

Jugendfürsorge <strong>und</strong> präventive Jugendpflege zusammengefasst <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />

e<strong>in</strong>zigen Behörde unterstellt wurden, entwickelten sich die Jugendämter <strong>der</strong> Kommunen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> fortan zu öffentlichen Trägern <strong>der</strong> Jugendhilfe. Darüber h<strong>in</strong>aus wurde die<br />

Position <strong>der</strong> Kommunalverwaltungen im Bereich <strong>der</strong> Jugendpflege <strong>in</strong>sofern gestärkt, als<br />

diese ebenso wie <strong>der</strong> gesetzliche Jugendschutz zu Pflichtaufgaben <strong>der</strong> Stadtverwaltungen<br />

erhoben wurden.<br />

993 JORDAN; SENGELING, Jugendhilfe, S. 59-60.


256 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

1.1 Verän<strong>der</strong>ungen im Zuge <strong>der</strong> Kreisreform (1953) <strong>in</strong> Bezug<br />

auf die Jugendhilfe<br />

Neben <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Gesetzeslage brachte <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> Kreisfreiheit weitere<br />

organisatorische Verän<strong>der</strong>ungen im Bereich <strong>der</strong> lokalen Ausübung <strong>der</strong> Jugendhilfe mit<br />

sich. Nachdem die Stadt <strong>Konstanz</strong> zum 1. Oktober 1953 <strong>in</strong> den Landkreis <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>geglie<strong>der</strong>t<br />

worden war <strong>und</strong> den Status e<strong>in</strong>er großen Kreisstadt mit e<strong>in</strong>em Oberbürgermeister<br />

an <strong>der</strong> Spitze erhalten hatte, wurde die Geschäftsverteilung zwischen Stadt- <strong>und</strong><br />

Landkreisverwaltungen neu strukturiert. 994 So übernahm <strong>der</strong> Landkreis fortan Aufgabengebiete,<br />

wie die Schulverwaltung <strong>und</strong> die Jugendhilfe, die bisher <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verantwortung<br />

<strong>der</strong> Stadt gelegen hatten. Dazu zählte <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> gesamte Komplex <strong>der</strong><br />

Fürsorge. Dieser Bereich stellte e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>jenigen kommunalen Pflichtaufgaben dar, die<br />

schon damals beträchtliche Aufwendungen erfor<strong>der</strong>ten. 995 So schlug die Fürsorge im<br />

letzten ordentlichen Haushaltsplan, <strong>der</strong> vor <strong>der</strong> Umstrukturierung vom Mai 1953<br />

beschlossen worden war, bei e<strong>in</strong>em Gesamtvolumen von zehn Millionen DM mit e<strong>in</strong>em<br />

Aufwand von zwei Millionen DM zu Buche. Damit bildete dieser E<strong>in</strong>zelposten von allen<br />

dort aufgeführten Aufgabenbereichen den größten E<strong>in</strong>zelposten. 996<br />

Um solche Leistungen des Landkreises mitzuf<strong>in</strong>anzieren, musste die Stadt mit <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> den Kreis künftig wie alle Geme<strong>in</strong>den die Kreisumlage entrichten. Im<br />

Gegenzug flossen jedoch Kostenerstattungen für die Fürsorge, die Unterstützung von<br />

Pflegek<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> für die Unterhaltung <strong>der</strong> Erziehungsberatungsstelle zurück. Weitere<br />

Gel<strong>der</strong> kamen über den damals neu geschaffenen kommunalen F<strong>in</strong>anzausgleich an die<br />

Kreise <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den vom Land als Anteile <strong>der</strong> E<strong>in</strong>kommens- <strong>und</strong> Körperschaftssteuere<strong>in</strong>nahmen<br />

zurück, sodass diese Neuregelung alles <strong>in</strong> allem betrachtet zu e<strong>in</strong>er<br />

erheblichen f<strong>in</strong>anziellen Entlastung des städtischen Haushalts geführt haben dürfte.<br />

Während die Jugendfürsorge mit Wirkung vom 1. April 1954 durch den Kreis wahrgenommen<br />

wurde, verblieb die Verantwortung für die Jugendwohlfahrts- <strong>und</strong> Jugendpflege,<br />

selbst nachdem <strong>Konstanz</strong> kreisangehörige Stadt geworden war, weiterh<strong>in</strong> bei <strong>der</strong><br />

Stadtverwaltung.<br />

1.2 Der Wandel <strong>der</strong> Jugendämter zu Jugendwohlfahrtsbehörden mit<br />

erweiterten Aufgabengebieten<br />

Im Gebiet <strong>der</strong> Kreise <strong>Konstanz</strong> gab es jeweils e<strong>in</strong> Kreisjugendamt, das zuständig für alle<br />

Kreisgeme<strong>in</strong>den ohne eigenes Jugendamt war, sowie die beiden städtischen Jugendämter<br />

<strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen/Htw. <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>. Beide Behörden stehen paradigmatisch für die geschil<strong>der</strong>te<br />

<strong>Entwicklung</strong>. Beispielhaft sei auf die Organisationsstruktur <strong>und</strong> Geschäftsverteilung des<br />

Kreisjugendamtes <strong>Konstanz</strong> nach <strong>der</strong> Umstrukturierung von 1953 e<strong>in</strong>gegangen.<br />

994 E<strong>in</strong>zelheiten bei BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 256.<br />

995 SÜDKURIER vom 10.04.1954, 15.04.1954, 18.04.1954 <strong>und</strong> 19.01.1955.<br />

996 SÜDKURIER vom 03.06.1953.


VII.1 ENTWICKLUNG DER KOMMUNALEN JUGENDWOHLFAHRTSPFLEGE 257<br />

Nach dem Inkrafttreten des neuen Jugendwohlfahrtsgesetzes regelte das Kreisjugendamt<br />

satzungsgemäß ab <strong>der</strong> zweiten Hälfte des Jahres 1953 alle behördlichen Maßnahmen<br />

<strong>der</strong> Jugendwohlfahrtspflege. 997 Als Jugendwohlfahrtsbehörde war die Behörde e<strong>in</strong> Organ<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Jugendhilfe <strong>in</strong>nerhalb des Kreises. Zu den orig<strong>in</strong>ären Aufgaben im<br />

Bereich <strong>der</strong> Jugendfürsorge (u. a. Vorm<strong>und</strong>schaftswesen, Aufsicht über Pflege- <strong>und</strong> Waisenk<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />

Jugendgerichtshilfe, Fürsorgeerziehung <strong>und</strong> Schutzaufsicht etc.) kam von da an<br />

die präventive Jugendpflege, die zuvor von <strong>der</strong> Dienststelle für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung<br />

wahrgenommen wurde, als neues Aufgabengebiet h<strong>in</strong>zu. Auf diesem Teilgebiet<br />

<strong>der</strong> Jugendwohlfahrt hatte das Jugendamt die freiwillige Tätigkeit zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Jugendwohlfahrt unter Wahrung ihres satzungsgemäßen <strong>und</strong> eigenständigen Charakters<br />

<strong>der</strong> jeweiligen Träger zu unterstützen. Zudem war es die Schaltstelle <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong>.<br />

E<strong>in</strong>e Hauptaufgabe <strong>der</strong> Behörde bestand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Koord<strong>in</strong>ation <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugendhilfeplanung. Das Ziel war, e<strong>in</strong> planvolles Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> aller Organe<br />

<strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> öffentlichen <strong>und</strong> freien Jugendhilfe zu gestalten.<br />

Am Beispiel <strong>der</strong> neuen Aufgabenverteilungen des Stadtjugendamts <strong>Konstanz</strong>, die im<br />

Übrigen mit <strong>der</strong>jenigen des Kreisjugendamtes identisch war, lässt sich die Funktionserweiterung,<br />

die den Jugendämtern auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> neuen Jugendhilfegesetzgebung zu<br />

Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1950er-Jahre erwuchs, dokumentieren. Denn wie alle Jugendämter im Land<br />

entwickelte sich das Stadtjugendamt <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> den 1950er-Jahren im Zuge <strong>der</strong> neuen<br />

Gesetzgebung zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> wesentlichen Träger des staatlich-behördlichen Jugendschutzes.<br />

Die rechtliche Gr<strong>und</strong>lage auf dem Gebiet des erzieherischen Jugendschutzes bildete<br />

neben dem Jugendwohlfahrtsgesetz das „Gesetz zum Schutze <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit“<br />

aus dem Jahr 1952. Der im Jugendwohlfahrtsgesetz erstmals verankerte<br />

Gr<strong>und</strong>satz, wonach die öffentliche Jugendhilfe gegenüber <strong>der</strong> familiären <strong>und</strong> freien<br />

Jugendbetreuung als sek<strong>und</strong>är e<strong>in</strong>gestuft wurde, wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Satzung des<br />

Stadtjugendamtes <strong>Konstanz</strong>, die hier <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fassung vom 1. August 1964 wie<strong>der</strong>gegeben<br />

ist, mit folgendem Wortlaut <strong>in</strong> Anlehnung an den allgeme<strong>in</strong>en Gesetzestext verankert.<br />

Paragraf 2, <strong>der</strong> die Aufgaben des Jugendamtes regelte, lautete wie folgt:<br />

„Das Jugendamt hat sich um die Jugendhilfe vor allem durch Stärkung <strong>und</strong> Erhaltung<br />

<strong>der</strong> Familie zu bemühen. Das Jugendamt hat die Tätigkeit <strong>der</strong> Jugendverbände <strong>und</strong><br />

freien Vere<strong>in</strong>igungen <strong>der</strong> Jugendwohlfahrt unter Wahrung ihrer Selbständigkeit <strong>und</strong><br />

ihres satzungsgemäßen Charakters zu unterstützen <strong>und</strong> anzuregen. E<strong>in</strong> planvolles<br />

Zusammenwirken aller Organisationen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> öffentlichen <strong>und</strong> freien<br />

Jugendhilfe auf dem Gebiete <strong>der</strong> Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendfürsorge soll angestrebt<br />

werden.“ 998<br />

997 SÜDKURIER vom 03.03.1955.<br />

998 Städtisches Sozial- <strong>und</strong> Jugendamt <strong>Konstanz</strong>, Heft 1 (1953-1965), Jugendwohlfahrtsausschuss; StAK,<br />

Nr. 451/250.


258 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

Das <strong>Konstanz</strong>er Stadtjugendamt wurde durch das Landesjugendamt des Badischen<br />

M<strong>in</strong>isteriums des Innern per R<strong>und</strong>schreiben vom 1. Februar 1953 über die damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Sachverhalte <strong>und</strong> Neuerungen unterrichtet. Auf dieser Basis war die Behörde verpflichtet,<br />

Eltern, Jugendliche <strong>und</strong> Öffentlichkeit über Ziele, Inhalt <strong>und</strong> Durchführung des<br />

Gesetzes zu <strong>in</strong>formieren. Zudem oblag ihr die Kontrolle <strong>und</strong> Fürsorge über Jugendliche,<br />

die gegen das Gesetz verstießen. Darunter fielen Maßnahmen wie die Benachrichtigung<br />

von Eltern <strong>und</strong> Vorm<strong>und</strong>schaftsgerichten, Strafandrohungen an Eltern o<strong>der</strong> Gewerbetreibende,<br />

Beratungen über e<strong>in</strong>e Heimunterbr<strong>in</strong>gung o<strong>der</strong> freiwillige Schutzaufsicht. Zwar<br />

durften die Jugendämter im Fall von Verstößen nur erzieherische, nicht aber strafrechtliche<br />

Methoden anwenden, <strong>und</strong> die Mitarbeiter waren angehalten, <strong>in</strong> allen Fragen des<br />

Jugendschutzes eng mit Eltern, Erziehern, Lehrern, kirchlichen <strong>und</strong> städtischen <strong>Jugendarbeit</strong>ern<br />

zusammenzuarbeiten. 999 Doch wurde das Aufgabenspektrum <strong>der</strong> kommunalen<br />

Jugendämter weiterh<strong>in</strong>, wie die obige Auflistung verdeutlicht, durch Maßnahmen zum<br />

Schutz <strong>und</strong> zur Beaufsichtigung <strong>der</strong> Jugendlichen sowie Aspekte des Vorm<strong>und</strong>schaftswesens<br />

dom<strong>in</strong>iert, <strong>während</strong> die kommunale Jugendpflege zugleich vermehrt <strong>in</strong> die Hände<br />

freier Träger gelegt wurde. Zugleich wird deutlich, dass die Jugendämter <strong>in</strong> den frühen<br />

1950er-Jahren noch viele Merkmale e<strong>in</strong>er Ordnungsbehörde aufwiesen. Dass <strong>der</strong> erzieherische<br />

Jugendschutz zum damaligen Zeitpunkt stark ordnungspolitisch ausgerichtet war,<br />

spiegelt zudem die adm<strong>in</strong>istrative Aufgabenverteilung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Kommunalverwaltung<br />

wi<strong>der</strong>. So verteilten sich die Aufgaben im Bereich des Jugendschutzes auf mehrere<br />

Behörden. Neben dem Jugendamt regelte das Ordnungsamt die verwaltungsmäßige Seite,<br />

<strong>in</strong>dem es beispielsweise Wirtschaftskonzessionen erteilte o<strong>der</strong> Verstöße ahndete 1000 , <strong>während</strong><br />

die Gewerbeaufsichtsämter über die E<strong>in</strong>haltung des <strong>Jugendarbeit</strong>sschutzes wachten.<br />

Nachdem nach <strong>der</strong> Neuordnung des Jugendhilferechts von 1953 die Zweipoligkeit <strong>der</strong><br />

Jugendämter e<strong>in</strong>geführt worden war, setzte sich das Stadtjugendamt <strong>Konstanz</strong>, das von<br />

Verwaltungsdirektor Ludwig Eberhard geleitet wurde, organisatorisch aus zwei gleichberechtigten<br />

Gremien zusammen, <strong>der</strong> Jugendamtsverwaltung <strong>und</strong> dem Jugendwohlfahrtsausschuss.<br />

1001 Vor <strong>der</strong> Neuregelung des Jugendhilferechts hatte die Trägerschaft des<br />

Jugendamts vorwiegend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand des Jugendamtsauschusses gelegen, <strong>während</strong> die<br />

Dienststelle hauptsächlich als ausführende Behörde fungierte. Im Rahmen se<strong>in</strong>er Aufgabenverteilung<br />

<strong>und</strong> gemäß den damaligen zeitbed<strong>in</strong>gten Problemen <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

im Fürsorgewesen war <strong>der</strong> Jugendamtsausschuss <strong>Konstanz</strong>, <strong>der</strong> aus Vertretern <strong>der</strong><br />

<strong>Konstanz</strong>er Schulen, <strong>der</strong> karitativen Verbände sowie Sachbearbeitern des Ges<strong>und</strong>heits-<br />

<strong>und</strong> Jugendamts bestand, zwischen 1949 <strong>und</strong> 1950 hauptsächlich mit <strong>der</strong> Jugendfürsorge<br />

betraut gewesen. Zu se<strong>in</strong>en zentralen Aufgabenbereichen hatten <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Amtsvorm<strong>und</strong>schaften,<br />

Betreuung von Pflegek<strong>in</strong><strong>der</strong>n, Adoptionen, Schutzaufsicht für Jugendliche,<br />

999 SÜDKURIER vom 02.02.1952.<br />

1000 Anweisung zur Durchführung des Gesetzes zum Schutze <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit, R<strong>und</strong>erlass<br />

des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern, Abteilung Landesjugendamt vom 01.02.1952, Nr. 4200. E<strong>in</strong><br />

Exemplar des Schreibens bef<strong>in</strong>det sich im StAK, S XII.<br />

1001 Nach § 9 des JWG, BGB vom 28.08.1953.


VII.1 ENTWICKLUNG DER KOMMUNALEN JUGENDWOHLFAHRTSPFLEGE 259<br />

Fürsorgeerziehung <strong>und</strong> Jugendgerichtshilfe gezählt. 1002 1952 bearbeitete das Jugendamt<br />

etwa 1.160 Amtsmündelangelegenheiten <strong>und</strong> 50 Amtspflegschaften. Unter Schutzaufsicht<br />

<strong>und</strong> Fürsorgeerziehung standen zum selben Zeitpunkt 60 K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche. 1003<br />

Nach <strong>der</strong> Neuregelung von 1953 führte die Verwaltung die laufenden Geschäfte unter<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> Satzung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Beschlüsse <strong>der</strong> Vertretungskörperschaft sowie des<br />

neugegründeten Jugendwohlfahrtsausschusses, <strong>der</strong> e<strong>in</strong> Vorläufer des heutigen Jugendhilfeausschusses<br />

darstellte. In se<strong>in</strong>er Eigenschaft als kommunaler beschließen<strong>der</strong> Ausschuss<br />

setzte sich <strong>der</strong> Jugendwohlfahrtsausschuss aus Mitglie<strong>der</strong>n des Stadtrats zusammen.<br />

Zugleich war er Organ <strong>der</strong> Vertretungskörperschaft, d. h. des Kreisrats für die<br />

Landkreisselbstverwaltung. An weiteren Mitglie<strong>der</strong>n kamen Bürger, die auf dem Gebiet<br />

<strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> sachk<strong>und</strong>ig waren, sowie Repräsentanten <strong>der</strong> freien Träger <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Jugendwohlfahrtsverbände, die vom Stadtrat zu wählen bzw. zu bestätigen waren,<br />

h<strong>in</strong>zu. 1004 Den Vorsitz führte <strong>der</strong> Oberbürgermeister o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Stellvertreter. Das<br />

Gremium beschloss im Rahmen <strong>der</strong> Satzung <strong>und</strong> <strong>der</strong> vom Stadtrat genehmigten Mittel<br />

über alle Angelegenheiten <strong>der</strong> Jugendhilfe. Der Ausschuss beschäftigte sich unter an<strong>der</strong>em<br />

mit Fragen zu K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten, Jugendschrifttum, Filmarbeit, Freizeitarbeit sowie zum<br />

gesetzlichen Jugendschutz <strong>und</strong> <strong>der</strong> erzieherischen Fürsorge. 1005 Es bestand e<strong>in</strong> Anhörungsrecht<br />

gegenüber dem Stadtrat bei allen Fragen <strong>der</strong> Jugendwohlfahrt <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Mitspracherecht<br />

bei <strong>der</strong> praktischen Durchführung von Maßnahmen.<br />

Der erste Jugendwohlfahrtsausschuss nach neuer Rechtslage konstituierte sich <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> im Februar 1955. Se<strong>in</strong>e personelle Zusammensetzung macht deutlich, dass bei<br />

<strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>e parteipolitische <strong>und</strong> weltanschauliche Ausgewogenheit<br />

geachtet wurde <strong>und</strong> Vertreter aller im Stadtrat vertretenen Parteien <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wohlfahrtsverbände<br />

<strong>und</strong> Jugendorganisationen dort versammelt waren. Im Gegensatz zum<br />

früheren Jugendausschuss <strong>der</strong> Jahre 1946 bis 1950 waren die Stadtjugendpflege <strong>und</strong> das<br />

Bildungswerk im wichtigsten Gremium <strong>der</strong> Jugendwohlfahrtspflege nur noch <strong>in</strong>direkt<br />

über die Repräsentanten <strong>der</strong> Stadtverwaltung <strong>und</strong> des Stadtrats vertreten, wobei über diese<br />

Organe äußerst sachk<strong>und</strong>ige Bürger wie die beiden früheren Kreisjugendbeauftragen,<br />

Franz Göpfrich <strong>und</strong> Anton Auer, mit jugendpflegerischen Themen befasst waren.<br />

1002<br />

Sitzung des Jugendamtsausschusses vom Mai 1951; vgl. SÜDKURIER vom 17.05.1951.<br />

1003<br />

SÜDKURIER vom 05.07.1952.<br />

1004<br />

Die gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage bildet das K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfegesetz (KJHG) vom Mai 1990, § 9; BGB<br />

vom 28.06.1990; WIESNER; ZARBOCK (Hgg.), Das neue K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfegesetz, S. 30 f.;<br />

Kurzfassung: JORDAN; SENGELING, Jugendhilfe, S. 67.<br />

1005<br />

SÜDKURIER vom 24.11.1954.


260 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

Das Gremium setzte sich entsprechend den gesetzlichen Vorgaben wie folgt<br />

zusammen: 1006<br />

Vorsitzen<strong>der</strong>: Oberbürgermeister Knapp bzw. <strong>der</strong> stellvertretende Dezernent Bürgermeister<br />

Hermann Schnei<strong>der</strong><br />

Stellvertreten<strong>der</strong> Vorsitzen<strong>der</strong>: Direktor Ludwig Eberhart, Leiter des Stadtjugendamtes<br />

Stadträte <strong>und</strong> vom Stadtrat bestellte Persönlichkeiten: Stadtrat Eduard Schelle (CDU),<br />

stellvertretend Stadtrat Alfred Ellegast; Stadträt<strong>in</strong> Hilda Mayer (CDU), stellvertretend<br />

Stadträt<strong>in</strong> Hilde Sturm; Studienrät<strong>in</strong> Maria Beyerle (CDU), stellvertretend Anton Auer,<br />

Verwaltungsangestellter; Rudi Hartmann, Angestellter (CDU), stellvertretend Kaufmann<br />

Gustaf Deimler; Stadtrat Franz Göpfrich (SPD), stellvertretend Stadtrat Julius Grimm;<br />

Martha Heisler (SPD), stellvertretend Emmi Häuser; Dr. Erw<strong>in</strong> B<strong>und</strong>schuh, praktischer<br />

Arzt, stellvertretend Stadtrat Philipp Blum; Albert Kl<strong>in</strong>k, Hauptlehrer (FDP), stellvertretend<br />

Hildegard Kulsch; Kaufmann Manfred Ulrich, stellvertretend Installationsmeister Helmut<br />

Ber<strong>in</strong>ger<br />

Vertreter <strong>der</strong> Jugendwohlfahrtsverbände: Dr. Franz Koch, Caritasdirektor, Stellvertreter<strong>in</strong>:<br />

Maria Merkel, Fürsorger<strong>in</strong>; Dekan J. Fr. Mono, Vertreter <strong>der</strong> Inneren Mission <strong>und</strong> des<br />

Evangelischen Hilfswerks, Stellvertreter: Stadtpfarrer Hans Koch; Heimleiter<strong>in</strong> Frieda<br />

Mess<strong>in</strong>ger, Vertreter<strong>in</strong> des Paritätischen Wohfahrtsverbandes, Stellvertreter<strong>in</strong>: Ursula<br />

Müller, Lehrer<strong>in</strong>; Justizamtmann i. R. Georg Heck, Rotes Kreuz; Stellvertreter: Diplom-<br />

Ingenieur Dr. van Erckelens<br />

Vertreter <strong>der</strong> Jugendorganisationen: Vikar Re<strong>in</strong>hard Scheuerpflug, Evangelische Jugend,<br />

Stellvertreter<strong>in</strong>: Elisabeth Ackermann, zugleich Vertreter<strong>in</strong> <strong>der</strong> Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>schaft; Martha<br />

Reih<strong>in</strong>g, Religionslehrer<strong>in</strong>, katholische Jugend, Stellvertreter: Georg Herzog; Robert<br />

Hierholzer, Masch<strong>in</strong>enschlosser, Gewerkschaftsjugend, Stellvertreter: Fritz Schafthäutle,<br />

zugleich Vertreter <strong>der</strong> Naturfre<strong>und</strong>e<br />

Zu diesen stimmberechtigten Mitglie<strong>der</strong>n kamen als beratende Mitglie<strong>der</strong> h<strong>in</strong>zu: je e<strong>in</strong><br />

Vertreter <strong>der</strong> Kirchen, <strong>der</strong> vom Ges<strong>und</strong>heitsamt bestellte Amtsarzt, e<strong>in</strong> Vorm<strong>und</strong>schaftsrichter<br />

o<strong>der</strong> Jugendrichter sowie je e<strong>in</strong> Vertreter <strong>der</strong> öffentlichen Schulbehörde, <strong>der</strong> Höheren<br />

Schulen, des Gesamtelternbeirats sowie des Arbeitsamtes<br />

Ab Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre wurden außerdem sogenannte Respiziate im Stadtrat üblich.<br />

Die städtischen Respizienten bildeten e<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dungsglied zwischen <strong>der</strong> Stadtverwaltung<br />

<strong>und</strong> den Bürgern. Zur Vertreter<strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendpflege <strong>und</strong> <strong>der</strong> Volksschulen wurde im Januar<br />

1944 Stadträt<strong>in</strong> Hilde Sturm bestimmt. 1007 Im Gegensatz zur kommunalen Jugendpflege<br />

waren die Jugendverbände verhältnismäßig gut repräsentiert. Aufgr<strong>und</strong> des damals neu<br />

e<strong>in</strong>geführten Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zips <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendpflege, das <strong>der</strong> freien Wohlfahrtspflege<br />

gegenüber <strong>der</strong> öffentlichen Jugendhilfe Vorrang e<strong>in</strong>räumte, hatten die freien Vere<strong>in</strong>igungen<br />

im Jugendwohlfahrtsausschuss e<strong>in</strong>en Anspruch darauf, e<strong>in</strong> Zehntel <strong>der</strong> stimmberechtigten<br />

Mitglie<strong>der</strong> zu stellen. Zwischen 1957 <strong>und</strong> 1961 kam <strong>der</strong> Stadtjugendwohlfahrtsausschuss<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel jeweils zwei- bis dreimal jährlich zusammen. Nachfolgend sei die<br />

Tagesordnung <strong>der</strong> Sitzung vom 24. August 1955 wie<strong>der</strong>gegeben, um e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck <strong>der</strong><br />

Bandbreite <strong>der</strong> Themen, die das Gremium damals bearbeitete, zu vermitteln. Im E<strong>in</strong>zelnen<br />

wurden folgende Punkte verhandelt:<br />

1006 Städtisches Sozial- <strong>und</strong> Jugendamt <strong>Konstanz</strong>, Heft 1 (1952-1965); Jugendwohlfahrtsausschuss; StAK,<br />

Nr. 451/250.<br />

1007 SÜDKURIER vom 22. <strong>und</strong> 23.01.1954.


VII.1 ENTWICKLUNG DER KOMMUNALEN JUGENDWOHLFAHRTSPFLEGE 261<br />

1. Jugendherberge, Mädchenwohnheim <strong>und</strong> Haus <strong>der</strong> Jugend Raiteberg<br />

2. Gebühren für das Jugendhaus<br />

3. Sowjetzonenjugendliche im Jugendhaus<br />

4. Anträge an den Landesjugendplan<br />

5. E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es Schülerhortes im Jugendhaus<br />

6. Jugendbildungswerk <strong>und</strong> Jugendpflege<br />

7. Bewährungshilfe<br />

8. Verschiedenes, K<strong>in</strong><strong>der</strong>spielplätze<br />

Auch wenn sich die Jugendämter im Zuge <strong>der</strong> neuen Gesetzgebung allmählich zu<br />

Jugendwohlfahrtsbehörden entwickelten, 1008 ist an dieser Stelle festzuhalten, dass diese<br />

Behörden im Beobachtungszeitraum <strong>und</strong> noch für viele Jahre darüber h<strong>in</strong>aus, wie<br />

GERNERT 1009 kritisiert, „e<strong>in</strong>e Instanz sozialer Kontrolle, <strong>der</strong> vor allem das E<strong>in</strong>greifen bei<br />

‚Auffälligkeiten‘ <strong>und</strong> ‚Verwahrlosung‘ oblag“, blieben. Erst im Zuge <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ungen im<br />

Bereich <strong>der</strong> B<strong>und</strong>essozialhilfe <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> des neuen K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilferechts<br />

wandelten sich die Jugendämter heutiger Prägung zu Sozialbehörden mit erweiterten<br />

Kompetenzen <strong>und</strong> differenzierten Aufgabengebieten.<br />

1.3 Neue Organisationsstrukturen <strong>der</strong> Stadtjugendpflege<br />

Die Reformierung <strong>der</strong> westdeutschen Jugendwohlfahrtspflege <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />

brachte e<strong>in</strong>e Vielzahl von Neuerungen im H<strong>in</strong>blick auf die Organisation, Aufgabenverteilung<br />

<strong>und</strong> Personalstrukturen <strong>der</strong> Stadtjugendpflege, die ab 1954 dem Jugendamt<br />

unterstellt wurde. Die Jugendpfleger <strong>in</strong> den beiden Kreisen <strong>Konstanz</strong> teilten nun das<br />

Schicksal <strong>der</strong> übrigen Vertreter ihres Berufszweigs <strong>in</strong> Westdeutschland. Das heißt, wie<br />

HAFENEGGER ausführt, sie wurden im Zuge „<strong>der</strong> neugefassten Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendämter<br />

[…] <strong>in</strong> die Verwaltungshierarchie e<strong>in</strong>geordnet <strong>und</strong> verloren e<strong>in</strong>en Teil ihrer bisherigen<br />

Handlungsfreiheit; sie wurden ausführendes Organ behördlicher Politik.“ 1010 Diese<br />

<strong>Entwicklung</strong> lässt sich für den Bereich <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Stadtjugendpflege nachzeichnen.<br />

Für den bisherigen Stadtjugendpfleger Kutscha, <strong>der</strong> 1947 mit <strong>der</strong> gesamten Planung <strong>und</strong><br />

Durchführung im Bereich <strong>der</strong> kommunalen präventiven <strong>Jugendarbeit</strong> betraut worden war,<br />

ergab sich aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong> von ihm geleiteten Dienststelle gleich <strong>in</strong> mehrfacher<br />

H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>e neue Situation. Kutscha blieb zwar nach <strong>der</strong> Neuordnung <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

weiterh<strong>in</strong> Stadtjugendpfleger, die Zuständigkeiten wurden jedoch neu verteilt.<br />

Immerh<strong>in</strong> wurden aufgr<strong>und</strong> des bereits bestehenden weitgefächerten Angebots an jugendpflegerischen<br />

E<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> Angeboten, die <strong>während</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Besatzungszeit<br />

entstanden waren, glücklicherweise ke<strong>in</strong>e Stellen e<strong>in</strong>gespart. Vielmehr wurde sogar<br />

Personal aufgestockt, <strong>in</strong>dem die Stadtverwaltung zur Mitte des Jahrzehnts e<strong>in</strong>en zweiten<br />

Stadtjugendpfleger e<strong>in</strong>stellte. Während <strong>der</strong> neue Stadtjugendpfleger Franziskus<br />

1008 SÜDKURIER vom 01.07.1954.<br />

1009 GERNERT, Jugendhilfe, S. 136 f.<br />

1010 HAFENEGGER, Jugendverbandsarbeit, <strong>in</strong>: DAMM U.A. (Hgg), Jugendverbände, S. 20-36, hier S. 22.


262 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

Dannenmayer mit <strong>der</strong> Leitung des Jugendhauses <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> offenen <strong>Jugendarbeit</strong><br />

betraut war, konzentrierte sich das Aufgabenspektrum Rudolf Kutschas künftig<br />

ausschließlich auf das Jugendbildungswerk. Dieser Aufteilung lagen vermutlich pragmatische<br />

Motive zugr<strong>und</strong>e, denn die Leitung des Bildungswerks, das <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />

kräftig expandierte, bildete schon an sich e<strong>in</strong>e umfassende Aufgabe.<br />

Die folgende Auflistung macht die neue Geschäfts- <strong>und</strong> Aufgabenverteilung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

örtlichen Jugendpflege deutlich <strong>und</strong> gibt darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>en Überblick über die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Aufgabengebiete, welche nach dem novellierten Jugendwohlfahrtsgesetz <strong>der</strong> präventiven<br />

Jugendwohlfahrtspflege zugeordnet waren. Im E<strong>in</strong>zelnen verfügte <strong>der</strong> Jugendwohlfahrtsausschuss<br />

mit Beschlussfassung vom 6. April 1955 für die beiden städtischen<br />

Jugendpfleger folgende Aufgabenverteilung: 1011<br />

Stadtjugendpfleger Rudolf Kutscha<br />

1. För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendkulturpflege<br />

2. För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendfilmarbeit<br />

3. För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Freizeitgestaltung <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

4. För<strong>der</strong>ung jugendbilden<strong>der</strong> Maßnahmen außerhalb des Schulunterrichts<br />

5. För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Maßnahmen <strong>der</strong> Berufshilfe<br />

6. Durchführung von Veranstaltungen für Mädchen zur Erziehung <strong>und</strong> Bildung für die<br />

Aufgaben <strong>der</strong> Frau <strong>in</strong> Beruf, Ehe, Haus <strong>und</strong> Familie<br />

7. Durchführung von Jugendwan<strong>der</strong>ungen<br />

Stadtjugendpfleger Franziskus Dannenmayer<br />

1. Leitung des Hauses <strong>der</strong> Jugend<br />

2. För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Tätigkeit <strong>der</strong> Jugendverbünde <strong>und</strong> Jugendgruppen sowie ihre<br />

Zusammenschlüsse<br />

3. För<strong>der</strong>ung des Baus, <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> des Betriebs von Heimen <strong>der</strong> offenen Tür für<br />

die Jugend<br />

4. För<strong>der</strong>ung des wertvollen Jugendschrifttums <strong>und</strong> Bekämpfung von Schmutz <strong>und</strong> Sch<strong>und</strong><br />

5. För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> staatspolitischen Erziehung <strong>der</strong> Jugend e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen<br />

Begegnung<br />

6. För<strong>der</strong>ung des Jugendwan<strong>der</strong>ns, des Jugendherbergswesens <strong>und</strong> des Zeltplatzwesens<br />

7. För<strong>der</strong>ung des Jugendsports <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Maßnahmen <strong>der</strong> Jugendges<strong>und</strong>heitserziehung<br />

8. Allgeme<strong>in</strong>er Jugendschutz<br />

Im Zuge <strong>der</strong> Neufassung <strong>der</strong> Wohlfahrtspflege wurden zudem die Ausbildungsregelungen<br />

für Jugendpfleger im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Professionalisierung des Berufsstandes neu geregelt.<br />

Gemäß dem R<strong>und</strong>erlass des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern vom 10. Juli 1951 führten<br />

die bisherigen Stadt- bzw. Kreisjugendbeauftragten seither die Dienstbezeichnung<br />

Jugendpfleger. 1012 Mit Inkrafttreten des Jugendwohlfahrtsgesetzes wurde e<strong>in</strong> neues<br />

Berufsbild des Jugendwohlfahrtspflegers geschaffen. Die Richtl<strong>in</strong>ien des Landesjugendplans<br />

von 1953 wirkten <strong>in</strong> diesem Punkt ergänzend <strong>und</strong> unterstützend, <strong>in</strong>dem f<strong>in</strong>anzschwachen<br />

Geme<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Kreisen bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung von Jugendpflegern f<strong>in</strong>anziell<br />

1011 StAK, S XII.<br />

1012 Erlass des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern Nr. 586 vom 10.07.1951; hier zitiert nach SCHMIDT-<br />

LIEBICH, Volkshochschule, S. 24.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 263<br />

vonseiten des Landes unter die Arme gegriffen wurde. Allerd<strong>in</strong>gs wurde die Beihilferegelung<br />

an die Auflage geb<strong>und</strong>en, dass es sich um staatlich geprüfte Wohlfahrtspfleger<br />

handelte, die ganztags als Jugendpfleger tätig se<strong>in</strong> konnten. 1013<br />

Die Personalentwicklung im Stadtkreis kann als paradigmatisch für diese neuen<br />

Strukturen angesehen werden. Franz Dannenmayer, <strong>der</strong> 1955 als Jugendpfleger zur Stadt<br />

<strong>Konstanz</strong> kam, hatte die damals neuartige Ausbildung als Wohlfahrtspfleger am pädagogischen<br />

Sem<strong>in</strong>ar für Jugendwohlfahrtspflege <strong>in</strong> Freiburg durchlaufen. Er war <strong>in</strong> unmittelbarer<br />

Nachkriegszeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> aktiv gewesen <strong>und</strong> hatte unter an<strong>der</strong>em<br />

als Vertreter <strong>der</strong> Katholischen Jugend Ende <strong>der</strong> 1940er-Jahre dem Jugendausschuss angehört.<br />

Zwischen 1952 bis zu se<strong>in</strong>em Wechsel nach <strong>Konstanz</strong> war er Kreisjugendpfleger im<br />

Landkreis Stockach.<br />

Otto Irrgang, <strong>der</strong> von 1946 bis zu se<strong>in</strong>em Tod im Jahr 1958 beim Landkreis <strong>Konstanz</strong><br />

tätig war, hatte <strong>in</strong>dessen e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Ausbildungsverlauf vorzuweisen, <strong>der</strong> eher dem<br />

älteren Typus des Kreisbeauftragten für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung <strong>der</strong> unmittelbaren<br />

Nachkriegszeit entsprach, was darauf verweist, dass zeitweise mehrere Ausbildungswege<br />

parallel möglich waren, zumal die Ausbildungsgänge jeweils Län<strong>der</strong>sache<br />

waren. Irrgang 1014 , <strong>der</strong> aus Erfurt stammte, hatte im Anschluss an se<strong>in</strong> Philosophiestudium<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Staatsexamen auf dem Gebiet des Fürsorgewesens absolviert. Zudem war die<br />

politische Integrität e<strong>in</strong> wichtiges E<strong>in</strong>stellungskriterium <strong>in</strong> unmittelbarer Nachkriegszeit.<br />

Er war zunächst Sachbearbeiter beim Wohlfahrtsamt, bevor er <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachfolge von<br />

Anton Auer im Jahr 1950 zum Jugendpfleger bestellt wurde. In dieser Eigenschaft stand er<br />

dem Jugendbildungswerk des Landkreises <strong>Konstanz</strong> vor, wo er unter an<strong>der</strong>em den<br />

Arbeitskreis für Kultur, <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> Philosophie leitete. Er war maßgeblich bei <strong>der</strong><br />

Organisation von Treffen des S<strong>in</strong>gkreises Ulli Ulner beteiligt. 1015 Se<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Engagement<br />

galt darüber h<strong>in</strong>aus <strong>der</strong> Jugendwan<strong>der</strong>bücherei des Landkreises <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ausbildung<br />

<strong>der</strong> Jugend an <strong>der</strong> Landwirtschaftsschule Engen. 1016<br />

2 Angebote <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege<br />

Die Jugende<strong>in</strong>richtungen, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>gerichtet<br />

worden waren, bestanden <strong>während</strong> <strong>der</strong> 1950er-Jahre weiter; h<strong>in</strong>sichtlich ihrer<br />

Organisation <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>haltlichen Ausrichtung ergaben sich freilich <strong>in</strong> Anpassung an die<br />

wirtschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Gegebenheiten e<strong>in</strong>ige Neuerungen, auf die im<br />

Folgenden e<strong>in</strong>zugehen ist. E<strong>in</strong>schneidende Än<strong>der</strong>ungen betrafen e<strong>in</strong>erseits das Jugendhaus,<br />

das Mitte des Jahrzehnts <strong>in</strong> den Neubau am Bismarcksteig zog, sowie an<strong>der</strong>erseits<br />

das Jugendbildungswerk, das unter neuer Rechtsform weitergeführt wurde. Während das<br />

1013 Richtl<strong>in</strong>ien für das Landesjugendnotprogramm 1952, Jugendpflege; StAK, S XII.<br />

1014 Geb. 1900 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, gest. 1958 <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>.<br />

1015 Dies geht unter an<strong>der</strong>em aus Berichten im SÜDKURIER vom 30.06.1955 bzw. 07.05.1958 hervor.<br />

1016 Die biografischen Angaben zu Otto Irrgang entstammen dem Nachruf im SÜDKURIER vom 17.05.1958<br />

sowie <strong>der</strong> Todesanzeige vom 16.05.1958.


264 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

Jugendhaus, das Jugendbildungswerk <strong>und</strong> die Jugendherberge weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Trägerschaft<br />

<strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong> verblieben, wurde die ehemals städtische E<strong>in</strong>richtung für<br />

Jugendbildung im Jahr 1955 aus <strong>der</strong> Stadtverwaltung herausgelöst <strong>und</strong> als Jugend- <strong>und</strong><br />

Volksbildungswerk mit dem Status e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>getragenen Vere<strong>in</strong>s weitergeführt.<br />

2.1 Zentrum <strong>der</strong> kommunalen <strong>Jugendarbeit</strong> – Das Jugendhaus<br />

Die <strong>Geschichte</strong> des Jugendhauses <strong>während</strong> <strong>der</strong> 1950er-Jahre lässt sich <strong>in</strong> zwei Phasen<br />

glie<strong>der</strong>n. Zum e<strong>in</strong>en ist <strong>der</strong> Zeitraum zwischen Herbst 1949 <strong>und</strong> Sommer 1954 zu nennen,<br />

als diese E<strong>in</strong>richtung noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ma<strong>in</strong>austraße untergebracht war <strong>und</strong> mit räumlichen<br />

Problemen, die <strong>der</strong> Situation <strong>während</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit entsprachen, zu<br />

kämpfen hatte. Zum an<strong>der</strong>en ist die Zeit nach dem Neubau ab 1954 zu unterscheiden, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> sich die <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong>folge äußerst günstiger räumlicher <strong>und</strong> materieller<br />

Bed<strong>in</strong>gungen sowie vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> organisatorischer Verän<strong>der</strong>ungen im Aufschwung<br />

befand. Das Jugendhaus bildete <strong>in</strong> den 1950er-Jahren weiterh<strong>in</strong> die Schaltstelle<br />

<strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong>. Die Mittelpunktstellung dieser jugendpflegerischen E<strong>in</strong>richtung<br />

basierte vor allem darauf, dass sie alle zentralen Komponenten <strong>der</strong> örtlichen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> – Stadtjugendpflege, offener Jugendtreff, Jugendbildungswerk <strong>und</strong> Unterkünfte<br />

für Jugendverbände – lokal vere<strong>in</strong>te. Darüber h<strong>in</strong>aus trugen weitere Faktoren,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die neue Jugendhilfeplanung ab 1953, <strong>der</strong> Umzug <strong>in</strong> den Neubau 1955 <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> wirtschaftliche Wohlstand, welcher <strong>der</strong> lokalen <strong>Jugendarbeit</strong> neue Gestaltungsmöglichkeiten<br />

eröffnete, zur weiteren Entfaltung dieser E<strong>in</strong>richtung bei. Den entscheidenden<br />

Impuls für die Arbeit <strong>der</strong> Stadtjugendpflege brachte <strong>der</strong> Neubau <strong>in</strong> Petershausen.<br />

Am Beg<strong>in</strong>n des neuen Jahrzehnts kämpfte das Jugendhaus, das sich zwischen 1949<br />

<strong>und</strong> 1954 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ma<strong>in</strong>austraße befand, mit Schwierigkeiten, die sehr an die ersten<br />

Betriebsjahre er<strong>in</strong>nerten <strong>und</strong> die den geregelten Betrieb stark e<strong>in</strong>schränkten. Die räumliche<br />

Unterbr<strong>in</strong>gung war <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong> Notbehelf. Bereits zu Beg<strong>in</strong>n des neuen<br />

Jahrzehnts fehlte es an Räumen für die Jugend, da sich sowohl die Mitglie<strong>der</strong>zahlen <strong>der</strong><br />

Jugendverbände als auch die Teilnehmerzahlen des Jugendbildungswerks spürbar erhöht<br />

hatten. Schon 1951 zählten die örtlichen Jugendverbände zusammen mehr als 1.200 Mitglie<strong>der</strong>,<br />

1017 <strong>während</strong> das Jugendbildungswerk im W<strong>in</strong>terhalbjahr 1950/51 über 1.319<br />

Teilnehmer <strong>und</strong> 68 Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften verbuchte. 1018 Zudem traf sich im Jugendhaus<br />

stets e<strong>in</strong>e nicht näher zu beziffernde Zahl weiterer Jugendlicher, die das Jugendhaus als<br />

offenen Sammelpunkt schätzten, um hier zu lesen, zu spielen o<strong>der</strong> sich zu treffen, ohne<br />

e<strong>in</strong>em Jugendverband o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft des Bildungswerks anzugehören.<br />

Die an sich schon missliche Lage wurde durch zusätzliche, verän<strong>der</strong>te äußere<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen negativ bee<strong>in</strong>flusst. So war das Jugendhaus von den räumlichen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen, die die Zulassung <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Spielbank im Jahr 1951 nach sich zog,<br />

1017 Etude sur la jeunesse, S. 14-15; MAE AOFAA, C 4381.<br />

1018 StAK, S XII.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 265<br />

betroffen. 1019 Die Folge war e<strong>in</strong>e Serie von Umzügen zahlreicher Kreis- <strong>und</strong> Stadtbehörden.<br />

1020 Unmittelbar nachdem <strong>der</strong> Stadtrat dem Kauf des für die Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>der</strong><br />

Spielbank vorgesehenen Gr<strong>und</strong>stückes <strong>in</strong> <strong>der</strong> Seestraße 21 zugestimmt hatte, begannen die<br />

Umbauarbeiten für das neue Kas<strong>in</strong>o. Die bisher dort untergebrachten Abteilungen <strong>der</strong><br />

Kreisverwaltung mussten das Haus räumen <strong>und</strong> zogen <strong>in</strong> das Gebäude Obere Laube 38.<br />

Das dort untergebrachte Stadtjugendamt wurde übergangsweise zunächst <strong>in</strong> den Bürgersaal<br />

verlegt, bevor bis Mitte des Jahrzehnts e<strong>in</strong>zelne Abteilungen dezentral auf verschiedene<br />

Gebäude im Stadtgebiet verteilt wurden. 1021 Im Gefolge <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> wurden die<br />

Jugendräume, die sich ohneh<strong>in</strong> bereits angesichts <strong>der</strong> wachsenden Besucherzahlen als zu<br />

kle<strong>in</strong> erwiesen hatten, weiter reduziert. Von 14 Räumen, die das Jugendhaus nutzte, trat es<br />

die Hälfte an das Kreisamt für Umsiedlung <strong>und</strong> an das Stadtjugendamt ab.<br />

Jugendliche, Eltern <strong>und</strong> Erzieher reagierten auf diese Maßnahmen mit heftigen<br />

Protesten, vor allem nachdem bekannt wurde, dass die Stadtverwaltung sich mit dem<br />

Gedanken trug, den gesamten Komplex vollständig <strong>in</strong> e<strong>in</strong> städtisches Dienstgebäude umzuwandeln.<br />

Zwar gab es Stimmen, die dem Betrieb des Hauses <strong>der</strong> Jugend vor dem<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> damals vorherrschenden Wohnungsnot offensichtlich ke<strong>in</strong>e Priorität<br />

e<strong>in</strong>räumten, dennoch blieben sie eher vere<strong>in</strong>zelt. Beispielsweise sprach sich e<strong>in</strong> Bürger <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Leserbrief, <strong>der</strong> im Sommer 1951 im SÜDKURIER veröffentlicht wurde, dafür aus,<br />

dass man das „Haus <strong>der</strong> Jugend, das <strong>in</strong> so zentraler Lage ist, dem Fürsorgeamt zur<br />

Verfügung“ 1022 stellen sollte, anstelle den ohneh<strong>in</strong> knappen Wohnraum <strong>in</strong> Büros umzuwandeln.<br />

Für „das Jugendbildungswerk, dessen Teilnehmer sich ohneh<strong>in</strong> nur abends<br />

treffen“, gäbe es – wie es weiter heißt – schließlich „ an<strong>der</strong>e Möglichkeiten“, jedoch ohne<br />

solche zu nennen. Die Mehrheit <strong>der</strong> Briefe, die die Stadtverwaltung <strong>und</strong> die Lokalredaktion<br />

des SÜDKURIERs erhielten, zeugen <strong>in</strong>dessen von e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>schaftlichen Protest<br />

über weltanschauliche Grenzen h<strong>in</strong>aus, dem sich sowohl die Teilnehmer des Jugendbildungswerks<br />

als auch die Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Jugendverbände anschlossen. Diese Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

von freier <strong>und</strong> organisierter Jugend, Eltern <strong>und</strong> Jugendlichen, die unter an<strong>der</strong>em<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er breit angelegten Unterschriftenaktion zugunsten des Erhalts des Jugendhauses<br />

zum Ausdruck kam, verdeutlicht, dass die E<strong>in</strong>richtung zum damaligen Zeitpunkt bereits <strong>in</strong><br />

weiten Teilen <strong>der</strong> Bevölkerung e<strong>in</strong>e hohe Akzeptanz genoss. Allen Schwierigkeiten zum<br />

Trotz hatte die drohende Reduzierung des Jugendhausbetriebs somit zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong>sofern<br />

e<strong>in</strong>en positiven Effekt, als sich <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> geschil<strong>der</strong>ten Probleme zahlreiche Menschen <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> im geme<strong>in</strong>samen Bemühen um die Weiterführung dieser Jugende<strong>in</strong>richtung<br />

solidarisierten.<br />

1019 Bericht im SÜDKURIER zur Zukunft des „Hauses <strong>der</strong> Jugend“ <strong>und</strong> des Jugendbildungswerks<br />

„Jugendbildungswerk kämpft um se<strong>in</strong> Heim“ vom 19.06.1951.<br />

1020 Die vom Kas<strong>in</strong>o <strong>Konstanz</strong> abgeführten Beiträge machten im Untersuchungszeitraum r<strong>und</strong> fünf Prozent<br />

<strong>der</strong> städtischen Gesamte<strong>in</strong>nahmen aus. Daten nach BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung,<br />

S. 255.<br />

1021 SÜDKURIER vom 18.11.1965.<br />

1022 Zu diesem <strong>und</strong> dem folgenden Zitat siehe SÜDKURIER vom 14.06.1951.


266 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

Allerd<strong>in</strong>gs war die Möglichkeit, das Jugendhaus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ma<strong>in</strong>austraße weiterzuführen,<br />

ohneh<strong>in</strong>, wie schon dargelegt wurde, zeitlich befristet. 1023 Als <strong>der</strong> Vertrag für die<br />

Räumlichkeiten 1954 auslief, verschlechterten sich die Bed<strong>in</strong>gungen, Jugendangebote aufrechtzuerhalten,<br />

zunächst noch weiter, 1024 obwohl das neue Jugendhaus zum damaligen<br />

Zeitpunkt bereits <strong>in</strong> Planung war. Der Gr<strong>und</strong> für die neuerlichen Raumprobleme bestand<br />

dar<strong>in</strong>, dass das bisherige Gebäude schon Ende 1954 geräumt werden sollte, <strong>während</strong> <strong>der</strong><br />

Neubau erst im Sommer 1955 bezugsfertig war. Obwohl die örtlichen Schulleitungen<br />

sowie die Militärregierung mithalfen, die Raumnot des Jugendhauses im W<strong>in</strong>ter 1954/55<br />

etwas zu mil<strong>der</strong>n, mussten E<strong>in</strong>schränkungen <strong>in</strong> Kauf genommen werden. 1025 Während <strong>der</strong><br />

Übergangsphase wichen die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften des Jugendbildungswerkes auf Schulräume<br />

aus. Das Lesezimmer, die Bibliothek <strong>und</strong> das Spielzimmer des Jugendhauses<br />

kamen durch Mithilfe <strong>der</strong> Militärregierung im Schulhaus Petershausen, das zu dieser Zeit<br />

die französische Schule beherbergte, kostenlos unter.<br />

2.1.1 Neubau des Jugendhauses Raiteberg<br />

Den entscheidenden Wendepunkt <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> des Jugendhauses <strong>während</strong> <strong>der</strong><br />

Nachkriegszeit brachte <strong>der</strong> 1953 gefasste Entschluss <strong>der</strong> Stadtverwaltung, mithilfe e<strong>in</strong>es<br />

Neubaus unterhalb des Bismarcksteiges die bestehenden Raumprobleme des Jugendhauses<br />

umfassend <strong>und</strong> vorausschauend zu lösen. 1026 Dieses Vorhaben wurde <strong>in</strong> den kommenden<br />

beiden Jahren <strong>in</strong> die Tat umgesetzt. 1027 Erste Pläne des Hochbauamtes lagen bereits im<br />

Sommer 1953 vor, 1028 <strong>und</strong> schon im Dezember des gleichen Jahres fasste <strong>der</strong> Stadtrat den<br />

Beschluss zum Neubau. 1029 Der Baubeg<strong>in</strong>n verzögerte sich allerd<strong>in</strong>gs etwas, da die Nutzungsrechte<br />

<strong>der</strong> Spitalstiftung als Gr<strong>und</strong>stückseigentümer<strong>in</strong> des <strong>in</strong>tendierten Bauplatzes<br />

am Bismarcksteig zunächst strittig waren. 1030 Nachdem die Standortfrage geklärt war,<br />

wurde das Jugendhaus Raiteberg nach etwas mehr als e<strong>in</strong>jähriger Bauzeit am 25. Juni<br />

1955 eröffnet. Die E<strong>in</strong>weihungsfeierlichkeiten wurden von zahlreichen jugendlichen<br />

Gruppierungen mitgestaltet, darunter Chöre <strong>und</strong> Jugendgruppen <strong>der</strong> konfessionellen<br />

Jugendorganisationen aus dem gesamten Kreisgebiet, die Ortsgruppen <strong>der</strong> Jugend des<br />

Deutschen Gewerkschaftsb<strong>und</strong>es, die Jugend <strong>der</strong> Pestalozzi-Siedlung Wahlwies, <strong>der</strong><br />

1023 StAK, S II 15155 <strong>und</strong> S II 15149; Vgl. hierzu Kap. IV.4.1.<br />

1024 Siehe den Bericht „Jugendbildungswerk kämpft um se<strong>in</strong> Heim“, SÜDKURIER vom 19.06.1951.<br />

1025 StAK, S II 15155 <strong>und</strong> 15149.<br />

1026 SÜDKURIER vom 29.01.1953.<br />

1027 Zu den Neubauplänen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Konzeption des Jugendhauses vgl. die Berichte im SÜDKURIER vom<br />

18.08.1953 <strong>und</strong> 05.11.1953.<br />

1028 SÜDKURIER vom 18.08.1953.<br />

1029 SÜDKURIER vom 05.12.1953.<br />

1030 Der Bauplatz gehörte <strong>der</strong> Spitalstiftung. Diese wollte zunächst nicht verkaufen, da sie das Gelände an<br />

e<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>zer vergeben hatte, <strong>der</strong> Nutzungsrechte hatte. Bis zur Beilegung dieser Streitfrage war die<br />

Stadt als Bauherr<strong>in</strong> zunächst gezwungen, e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Bauplatz zu suchen. Im Gespräch war e<strong>in</strong><br />

Gr<strong>und</strong>stück an <strong>der</strong> Wollmat<strong>in</strong>ger Straße, Ecke Bismarcksteig/Jahnstraße nahe des Gasthauses<br />

„Schützen“. Ende April 1954 erklärten sich jedoch die Spitalstiftung <strong>und</strong> die Pächter des Gr<strong>und</strong>stücks<br />

zum Verkauf bereit; vgl. dazu die Berichte im SÜDKURIER vom 23.03.1954, 07.04.1954, 28.04.1954 <strong>und</strong><br />

24.04.1954.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 267<br />

Blockflötenkreis <strong>und</strong> das Handharmonika-Orchester des Jugendbildungswerks, die Volkstanzgruppe<br />

<strong>der</strong> deutschen Jugend des Ostens sowie <strong>der</strong> B<strong>und</strong> <strong>der</strong> deutschen Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong><strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>. 1031 E<strong>in</strong>e Werkausstellung <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften des Jugendbildungswerks<br />

sowie e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Lie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen mit Ulli Ulner <strong>in</strong> <strong>der</strong> Aula <strong>der</strong><br />

Petershauser Volksschule r<strong>und</strong>eten das Programm ab. Die mitwirkenden Gruppierungen<br />

wurden an dieser Stelle deshalb ausführlich aufgelistet, da <strong>der</strong>en Zusammensetzung davon<br />

zeugt, wie breit angelegt das Spektrum <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, das sich seit Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> entwickelt hatte, <strong>in</strong> den 1950er-Jahren bereits war. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

deutet sich an, dass <strong>der</strong> Neubau des Jugendhauses weltanschauliche, soziale <strong>und</strong> herkunftsbed<strong>in</strong>gte<br />

Gegensätze, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit zwischen den unterschiedlichen<br />

jugendlichen Interessengruppen e<strong>in</strong>erseits sowie zwischen <strong>der</strong> Stadtjugendpflege<br />

<strong>und</strong> den Jugendverbänden an<strong>der</strong>erseits existierten, etwas abzumil<strong>der</strong>n vermochte.<br />

Immerh<strong>in</strong> lässt die Tatsache, dass sich die Heimatvertriebenen-Jugend an den E<strong>in</strong>weihungsfeierlichkeiten<br />

beteiligte, darauf schließen, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen <strong>der</strong><br />

Neubürger ihren Platz <strong>in</strong> <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> gef<strong>und</strong>en hatten. 1032<br />

Die Stadt übergab <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugend e<strong>in</strong> Gebäude, das – wie es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Zeitungsbericht anlässlich des Richtfestes im September 1954 heißt – „<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Großzügigkeit<br />

wohl se<strong>in</strong>esgleichen im Seegebiet suchen dürfte“ 1033 . In <strong>der</strong> Tat setzte das neue<br />

Jugendhaus, das nach den Plänen von Stadtbaurat Schwan <strong>und</strong> Diplom-Ingenieur<br />

Architekt Friemel erstellt wurde, für damalige Verhältnisse völlig neuartige Maßstäbe <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong>. Es war das größte <strong>und</strong> zugleich mo<strong>der</strong>nste Jugendhaus im<br />

Bodenseegebiet. 1034 Den Worten von Oberbürgermeister Knapp zufolge hatte <strong>der</strong> Stadtrat<br />

mit <strong>der</strong> Genehmigung des Neubaus „e<strong>in</strong>mal mehr“ unter Beweis gestellt, dass ihm „die<br />

Jugen<strong>der</strong>ziehung e<strong>in</strong>e Herzenssache sei“. Die Feststellung darf vermutlich nicht nur als<br />

Äußerung im Rahmen e<strong>in</strong>er wohlformulierten Rede, die anlässlich <strong>der</strong> E<strong>in</strong>weihung des<br />

Rohbaus gehalten wurde, verstanden werden. Vielmehr verweist diese Formulierung darauf,<br />

dass <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong> gewisser E<strong>in</strong>stellungswandel <strong>der</strong> Stadtverantwortlichen gegenüber<br />

präventiver <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong> Jugende<strong>in</strong>richtungen, <strong>der</strong> sich von <strong>der</strong> Haltung <strong>in</strong><br />

unmittelbarer Nachkriegszeit deutlich unterschied, stattgef<strong>und</strong>en hatte. Während das erste<br />

„Heim <strong>der</strong> deutschen Jugend“ am Rhe<strong>in</strong>steig vonseiten <strong>der</strong> Stadtverantwortlichen eher als<br />

e<strong>in</strong>e von außen aufoktroyierte Verpflichtung, die die Stadtkasse <strong>in</strong> schweren Zeiten<br />

zusätzlich belastete, empf<strong>und</strong>en worden war, galt e<strong>in</strong> Jahrzehnt später das neue Jugendhaus<br />

Raiteberg, wie übrigens auch die neue Haidelmoosschule, als „Repräsentationsbau“<br />

1035 <strong>der</strong> Stadtverwaltung. Nach Fertigstellung des Neubaus entwickelte sich die<br />

E<strong>in</strong>richtung bald zum Vorzeigeobjekt <strong>der</strong> örtlichen Jugendpflege.<br />

In <strong>der</strong> Tat g<strong>in</strong>g die Stadt <strong>Konstanz</strong> bei <strong>der</strong> Planung des Baus weit über ihre engeren<br />

Pflichtaufgaben auf diesem Gebiet h<strong>in</strong>aus <strong>und</strong> ließ Jugendräume errichten, die <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

1031 SÜDKURIER vom 25.06.1955.<br />

1032 SÜDKURIER vom 23.05.1955.<br />

1033 Bericht über das Richtfest im September 1954: „Das schönste Jugendheim am See“; SÜDKURIER vom<br />

04.09.1954.<br />

1034 SÜDKURIER vom 19.07.1955.<br />

1035 SÜDKURIER vom 04.09.1954.


268 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

gesamten Region Vorbildcharakter hatten. BURCHARDT weist völlig zu Recht darauf h<strong>in</strong>,<br />

dass <strong>der</strong> Neubau zu e<strong>in</strong>er Zeit erstellt wurde, als noch „viele an<strong>der</strong>e Städte“ 1036<br />

vergleichbarer „Größe gerade erst vorsichtig ihre ersten Schritte auf dem schwierigen<br />

Parkett <strong>der</strong> freien <strong>Jugendarbeit</strong> taten“. Dass diese Vorgehensweise b<strong>und</strong>esweit ke<strong>in</strong>eswegs<br />

selbstverständlich war, belegt zudem die Tatsache, dass die <strong>Konstanz</strong>er E<strong>in</strong>richtung nicht<br />

das Schicksal vieler an<strong>der</strong>er E<strong>in</strong>richtungen dieser Art teilen musste.<br />

E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>drucksvolles Beispiel dafür, dass Jugend<strong>in</strong>stitutionen <strong>in</strong>folge mangeln<strong>der</strong><br />

f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung wie<strong>der</strong> aufgegeben werden mussten, bilden die GYA-Jugendheime<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> amerikanischen Zone. Nach ihrem rasanten Aufstieg <strong>und</strong> zwischen 1946 <strong>und</strong><br />

1950 wurden <strong>in</strong> den 1950er-Jahren viele dieser E<strong>in</strong>richtungen nach dem Rückzug <strong>der</strong><br />

Militärregierungen von den Verwaltungen aufgegeben. Nachdem das GYA-Programm,<br />

das mit Unterstützung des Militärs für die E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> Unterhaltung von Jugendheimen<br />

<strong>in</strong> allen größeren Geme<strong>in</strong>den <strong>der</strong> amerikanischen Zone zuständig war, ab 1951<br />

reduziert <strong>und</strong> im Jahr 1953 schließlich vollständig e<strong>in</strong>gestellt worden war, erfolgte die<br />

sukzessive Schließung des Großteils <strong>der</strong> 246 Jugendheime im amerikanischen Zonengebiet.<br />

Die meisten Versuche, sie <strong>in</strong> deutsche Hände zu übergeben, erwiesen sich als<br />

wenig erfolgreich. Gerade e<strong>in</strong>mal 35 ehemalige GYA-Heime befanden sich 1953 <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Hand deutscher Kommunalverwaltungen. 1037<br />

Die Bemühungen <strong>der</strong> Stadt um den Erhalt des Jugendhausbetriebs beschränkten sich<br />

ke<strong>in</strong>eswegs auf die F<strong>in</strong>anzierung des Neubaus, vielmehr stellte sie zur Gewährleistung<br />

e<strong>in</strong>es geregelten Jugendhausbetriebs auch künftig stets Mittel im Haushaltsplan bereit.<br />

Beispielsweise wurde <strong>der</strong> Aufwand im ordentlichen Haushalt des Jahres 1955 für diesen<br />

E<strong>in</strong>zelposten mit 25.530 DM veranschlagt, h<strong>in</strong>zu kam e<strong>in</strong> weiterer städtischer Zuschuss <strong>in</strong><br />

Höhe von 1.870 DM für die Nutzung <strong>der</strong> Räume als zweite Jugendherberge.<br />

Es würde <strong>in</strong>dessen zu kurz greifen, deutete man die Neubaumaßnahme des Jugendhauses<br />

<strong>Konstanz</strong> lediglich als e<strong>in</strong>en Ausdruck e<strong>in</strong>es Mentalitäts- <strong>und</strong> Wertewandels<br />

vonseiten <strong>der</strong> Stadtverwaltung. Desweiteren trug zum e<strong>in</strong>en die allgeme<strong>in</strong>e günstige Wirtschaftsentwicklung<br />

zu dieser <strong>Entwicklung</strong> bei, <strong>in</strong>dem sich die F<strong>in</strong>anzsituation <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Hand erheblich verbesserte. Zum an<strong>der</strong>en gab die aus <strong>der</strong> Novellierung des Jugendhilferechts<br />

resultierende neue Jugendhilfeplanung den Kommunen erstmals umfassende<br />

För<strong>der</strong>möglichkeiten zur Umsetzung <strong>der</strong> vorgeschriebenen Standards für Jugende<strong>in</strong>richtungen<br />

an die Hand. Die <strong>Konstanz</strong>er Stadtverwaltung schöpfte e<strong>in</strong>e ganze Reihe von<br />

überregionalen F<strong>in</strong>anzhilfen aus, als es um die Realisierung des ehrgeizigen Projektes<br />

g<strong>in</strong>g, wobei vor allem die beiden Bürgermeister Diesbach <strong>und</strong> Schnei<strong>der</strong> maßgeblich dazu<br />

beitrugen, dass die f<strong>in</strong>anziellen Voraussetzungen für das Zustandekommen des Jugendhausneubaus<br />

geschaffen wurden. Die Kosten des neuen Jugendhauses beliefen sich auf<br />

<strong>in</strong>sgesamt r<strong>und</strong> 650.000 DM. 1038 Neben dem Eigenbeitrag, <strong>der</strong> sich aus kommunalen<br />

Mitteln aus dem Haushaltplan speiste, stammten aus dem Etat des Landesjugendplans, den<br />

1036<br />

Dieses <strong>und</strong> das folgende Zitat nach BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung,<br />

S. 426.<br />

1037<br />

ROSENWALD; THEIS, Enttäuschung <strong>und</strong> Zuversicht, S. 19-21.<br />

1038 SÜDKURIER vom 27.11.1954.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 269<br />

das neu gebildete Land Baden-Württemberg unmittelbar zuvor erstmals verabschiedet<br />

hatte, 110.000 DM. 1039 Weitere Gel<strong>der</strong> flossen aus Toto- <strong>und</strong> Spielbanküberschüssen des<br />

Landes e<strong>in</strong>. Auf diese Weise leistete das Land Baden-Württemberg <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />

e<strong>in</strong>en ganz wesentlichen Beitrag zur F<strong>in</strong>anzierung des Jugendhauses. Um diese Mittel<br />

möglichst umfassend ausnutzen zu können, wurde e<strong>in</strong> differenzierter F<strong>in</strong>anzierungsplan<br />

erstellt. Dieser sah im Kern das Konzept e<strong>in</strong>er multifunktionalen Nutzung des Gebäudes<br />

zur Begründung für die Geldanträge aus Totomitteln <strong>und</strong> den Jugendför<strong>der</strong>plänen des<br />

B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> des Landes vor.<br />

2.1.2 Traditionelle <strong>und</strong> neue Nutzungsformen<br />

Das neue Jugendhaus Raiteberg vere<strong>in</strong>igte <strong>in</strong> den 1950er-Jahren weiterh<strong>in</strong> die drei<br />

klassischen Säulen <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong>: offene <strong>Jugendarbeit</strong>, Veranstaltungen für<br />

die nichtorganisierte Jugend sowie Räumlichkeiten <strong>der</strong> Jugendorganisationen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

geme<strong>in</strong>samen Gebäude. Darüber h<strong>in</strong>aus es e<strong>in</strong> breites Angebot zur Bildung <strong>und</strong><br />

Unterhaltung.<br />

Als dritte Komponente neben den bereits genannten Nutzungsformen <strong>und</strong> über die<br />

eigentliche Bestimmung als Jugendtreff h<strong>in</strong>ausgehend, wurde das Jugendhaus Raiteberg <strong>in</strong><br />

den Sommermonaten zudem als zweite Jugendherberge verwendet. Vieles spricht dafür,<br />

dass diese zusätzliche Nutzungsform <strong>und</strong> die bereits erwähnte Aussicht auf Landesmittel,<br />

die zum Ausbau von Jugendherbergen zur Verfügung standen, die Chancen auf e<strong>in</strong>en<br />

Neubau des Jugendhauses maßgeblich verbesserten. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> des<br />

Anwachsens <strong>der</strong> Jugendwan<strong>der</strong>bewegung <strong>und</strong> des allgeme<strong>in</strong>en Tourismus am See geriet<br />

<strong>der</strong> Ausbau <strong>der</strong> bestehenden Jugendherberge Allmannshöhe schon zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1950er-<br />

Jahre <strong>in</strong>s Blickfeld kommunaler Planungen. Im Jahr 1953 gelang es Bürgermeister<br />

Diesbach, e<strong>in</strong>en Zuschuss aus den landeseigenen Totomitteln <strong>in</strong> Höhe von 75.000 DM für<br />

den Ausbau <strong>der</strong> örtlichen Jugendherberge sicherzustellen, die jedoch an die Auflage<br />

geb<strong>und</strong>en waren, möglichst rasch <strong>und</strong> wirtschaftlich günstig verbraucht zu werden. Der<br />

ursprüngliche Plan sah vor, die Jugendherberge Allmannshöhe zu erweitern. 1040 Nachdem<br />

sich die Situation im Haus <strong>der</strong> Jugend im Gebäude <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ma<strong>in</strong>austraße zuspitzte, sprach<br />

sich <strong>der</strong> Stadtrat Anfang 1953 dafür aus, e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation zwischen Haus <strong>der</strong> Jugend <strong>und</strong><br />

Jugendherberge zu erstellen, <strong>in</strong> das e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Totogel<strong>der</strong> e<strong>in</strong>fließen konnte, <strong>während</strong> e<strong>in</strong><br />

weiterer Teil zum Ausbau <strong>der</strong> Jugendherberge im Ortsteil Staad verwendet wurde.<br />

In den fortgeschrittenen 1950er-Jahren entwickelte sich die Jugendherberge im<br />

Jugendhaus im Gefolge steigen<strong>der</strong> Zahlen ausländischer Wan<strong>der</strong>er <strong>und</strong> Jugendherbergsbesucher<br />

<strong>und</strong> dem Ausbau <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Jugendtreffen zudem zur Stätte <strong>in</strong>ternationaler<br />

Begegnungen. Schon bald nach Inbetriebnahme wurde sie zudem <strong>während</strong> <strong>der</strong> Vor-<br />

<strong>und</strong> Nachsaison als Tagungs- <strong>und</strong> Kongressstätte für Studentengruppen <strong>und</strong> Jugendverbände<br />

genutzt. Anfang <strong>der</strong> 1960er-Jahre wurden diese Bemühungen weiter <strong>in</strong>tensiviert. So<br />

fasste <strong>der</strong> Jugendwohlfahrtsausschuss, unterstützt durch Oberbürgermeister Helmle, den<br />

1039 SÜDKURIER vom 24.04.1954.<br />

1040 SÜDKURIER vom 29.01.1953.


270 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

Beschluss, die Jugendherberge im Jugendhaus Raiteberg für den <strong>in</strong>ternationalen Jugendaustausch<br />

vermehrt zur Verfügung zu stellen. 1041 E<strong>in</strong> wesentlicher Gr<strong>und</strong> dafür war die<br />

Tatsache, dass sich <strong>der</strong> Ferienjugendaustausch mit <strong>der</strong> seit 1958 bestehenden französi-<br />

schen Partnerstadt Fonta<strong>in</strong>ebleau unter Jugendlichen bei<strong>der</strong> Nationalitäten immer größerer<br />

Beliebtheit erfreute. 1042<br />

Die eigentlichen Jugendräume befanden sich im Westflügel des Gebäudekomplexes.<br />

Dort waren <strong>der</strong> offene Jugendtreff, e<strong>in</strong> Lese- <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Musikzimmer, Bastelräume, e<strong>in</strong>e<br />

Küche, e<strong>in</strong> Speisesaal, Duschen, <strong>der</strong> große Festsaal mit Vorführgerät für K<strong>in</strong>ofilme sowie<br />

e<strong>in</strong> Fotolabor mit Dunkelkammer untergebracht. Die zuletzt genannten Anschaffungen<br />

zeugen davon, dass man sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> städtischen <strong>Jugendarbeit</strong> den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Zeit<br />

nach mo<strong>der</strong>ner Unterhaltung <strong>und</strong> neuen technischen Möglichkeiten nicht entzog. Zum<br />

an<strong>der</strong>en wurde das Gebäude des Weiteren als Mädchenwohnheim für weibliche Auszubildende<br />

(Krankenschwestern, Angestellte etc.) <strong>und</strong> als sogenanntes „Knabenauffangheim“<br />

für männliche Jugendliche, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grenzstadt aufgegriffen wurden, genutzt. Diese<br />

E<strong>in</strong>richtungen befanden sich im Ostteil des Komplexes, wo ferner e<strong>in</strong>e Hausmeisterwohnung<br />

untergebracht war. 1043 Seit Herbst 1955 diente e<strong>in</strong> Teil des Gebäudes zudem als<br />

Schülerhort für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> Petershauser Volksschule.<br />

Für die Arbeit des Jugendbildungswerks ergaben sich aufgr<strong>und</strong> des Neubaus am<br />

Bismarcksteig ebenfalls neue Impulse. Wie schon im Rhe<strong>in</strong>torturm <strong>in</strong> den Jahren 1946 bis<br />

1949 <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ma<strong>in</strong>austraße zwischen 1949 <strong>und</strong> 1954 waren im neuen Gebäude sowohl<br />

die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften als auch die Verwaltung des Jugendbildungswerks im Jugendhaus<br />

untergebracht, <strong>und</strong> die Geschäftsstelle mit angeschlossenem Sekretariat befand sich<br />

<strong>während</strong> des gesamten Jahrzehnts ebenfalls im Jugendhaus Raiteberg. Allerd<strong>in</strong>gs begann<br />

sich die enge Verwobenheit, die für die Grün<strong>der</strong>jahre bei<strong>der</strong> Jugende<strong>in</strong>richtungen charakteristisch<br />

war, im Verlauf des Jahrzehnts allmählich aufzulösen. Den Auftakt dieser <strong>Entwicklung</strong><br />

bildete die Herauslösung des Bildungswerks aus <strong>der</strong> kommunalen Verwaltung<br />

im Jahre 1953, <strong>während</strong> die Stadt weiterh<strong>in</strong> als Träger des Jugendhauses fungierte. Den<br />

zweiten Schritt stellte die bereits erwähnte E<strong>in</strong>stellung e<strong>in</strong>es zweiten Jugendpflegers im<br />

Jahr 1955 dar, wodurch künftig die beiden Jugende<strong>in</strong>richtungen jeweils personell für sich<br />

geführt wurden. Der <strong>in</strong> den 1950er-Jahren begonnene Prozess <strong>der</strong> allmählichen Loslösung<br />

bei<strong>der</strong> Jugende<strong>in</strong>richtungen vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> fand Anfang <strong>der</strong> 1960er-Jahre mit dem weiteren<br />

Schritt, <strong>der</strong> durch die Verlegung <strong>der</strong> Geschäftsstelle des Bildungswerks <strong>in</strong> die<br />

Brauneggerstraße <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> Volkshochschule <strong>Konstanz</strong> markiert wurde,<br />

se<strong>in</strong>en Abschluss.<br />

Das Jugendhausgebäude am Bismarcksteig diente auch künftig <strong>der</strong> organisierten<br />

Jugend als Treffpunkt. Für die Jugendverbände, <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong>stärke sich im Jahr <strong>der</strong><br />

Eröffnung 1955 zusammen auf etwa 3.000 belief, ergab sich durch den Bau des neuen<br />

Jugendhauses gegenüber früheren Jahren e<strong>in</strong>e spürbar bessere Situation. Denn im neuen<br />

Jugendhaus standen zum<strong>in</strong>dest den mitglie<strong>der</strong>starken Jugendgruppen erstmals jeweils<br />

1041 Städt. Sozial- <strong>und</strong> Jugendamt, Heft 1 (1953-1965), Jugendwohlfahrtsausschuss; StAK, Nr. 451/250.<br />

1042 HIRT, 40 Jahre Städtepartnerschaft <strong>Konstanz</strong>-Fonta<strong>in</strong>ebleau, <strong>in</strong>: <strong>Konstanz</strong>er Almanach 2001, S. 26-28.<br />

1043 SÜDKURIER vom 27.11.1954 <strong>und</strong> 27.6.1955.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 271<br />

eigene Räumlichkeiten zur Verfügung. Doch bald schon zeichnete sich e<strong>in</strong>e Trendwende<br />

ab, die dadurch gekennzeichnet war, dass immer mehr Jugendgruppen die Möglichkeit<br />

hatten, eigene Räume <strong>in</strong> den teils neu erstellten, teils angemieteten Gebäuden ihrer übergeordneten<br />

Verbände zu nutzen. So entstanden nach <strong>und</strong> nach das Kolp<strong>in</strong>g-Haus 1044 im<br />

Pfalzgarten (1954), das Pfarrjugendheim <strong>der</strong> Katholischen Jugend <strong>in</strong> Wollmat<strong>in</strong>gen<br />

(1957), das Johannes-Zwick-Haus <strong>der</strong> evangelischen Pauluspfarrei 1045 sowie das neue<br />

DGB-Gewerkschaftshaus 1046 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Allmannsdorfer Straße (jeweils 1958).<br />

Die für damalige Verhältnisse vorbildlichen Räumlichkeiten wirkten sich jedoch nicht<br />

nur auf die traditionellen Formen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> för<strong>der</strong>lich aus, vielmehr brachten sie<br />

darüber h<strong>in</strong>aus die mo<strong>der</strong>ne Stadtjugendpflege maßgeblich voran. E<strong>in</strong>e bessere Ausstattung<br />

des Jugendhauses mit Materialien <strong>und</strong> technischem Gerät, neue Aufgabenverteilungen<br />

im Bereich <strong>der</strong> staatlichen Jugendwohlfahrtspflege, dazu wachsende Ansprüche an<br />

das Angebot vonseiten <strong>der</strong> Nutzer, die zunehmend durch die Werbung <strong>in</strong> den neuen<br />

Medien (Illustrierte, Film <strong>und</strong> Fernsehen) gespeist wurden, führten dazu, dass neben den<br />

altbewährten Angeboten wie Volkstanz, Gitarrenkreis, Handharmonika-Orchester <strong>und</strong><br />

Volkslie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen vermehrt mo<strong>der</strong>ne Ausdruckformen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> unter E<strong>in</strong>beziehung<br />

<strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> Musik <strong>und</strong> Medien E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> das örtliche Jugendangebot<br />

fanden.<br />

Vor allem die Form des offenen Jugendtreffs gewann <strong>in</strong>nerhalb des Jugendhauses<br />

unter den verän<strong>der</strong>ten Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> 1950er-Jahre<br />

gegenüber früheren Zeiten an Bedeutung. Den Mittelpunkt bildete das „Heim <strong>der</strong> offenen<br />

Tür“. H<strong>in</strong>ter dieser Formulierung stand das für damalige Verhältnisse mo<strong>der</strong>ne Konzept<br />

<strong>der</strong> offenen <strong>Jugendarbeit</strong>. Diese zielte darauf, jedem jungen <strong>Konstanz</strong>er die Möglichkeit<br />

zu geben, e<strong>in</strong>en bestimmten Teil <strong>der</strong> Räumlichkeiten (Bibliothek, Spielzimmer, Werkräume,<br />

Küche etc.) frei zu benutzen, ohne e<strong>in</strong>er Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft des Jugendbildungswerkes<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er organisierten Jugendgruppe anzugehören. Hier fanden Jugendliche<br />

zusammen, egal ob sie Jugendverbänden o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft des Jugendbildungswerks<br />

angeschlossen waren o<strong>der</strong> nicht. Die Spielräume mit Tischtennis, Fe<strong>der</strong>ball,<br />

Billard, Brett- <strong>und</strong> Kartenspielen wurden täglich von 50 Besuchern genutzt, die<br />

Werkräume besuchten um das Jahr 1957 täglich 60 Besucher.<br />

Diese Verän<strong>der</strong>ungen s<strong>in</strong>d weniger als Folgeersche<strong>in</strong>ungen struktureller<br />

Umbildungsmaßnahmen zu werten, vielmehr handelte es sich um e<strong>in</strong>e Zeitersche<strong>in</strong>ung,<br />

die sich vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> verän<strong>der</strong>ter soziokultureller Gegebenheiten <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

Jugend vollzog. So orientierte sich die Jugend <strong>der</strong> späten 1950er-Jahre eher weg von <strong>der</strong><br />

langfristigen B<strong>in</strong>dung an weltanschauliche Gruppierungen <strong>und</strong> wandte sich mehr <strong>der</strong><br />

kurzfristigen <strong>und</strong> projektbezogenen <strong>Jugendarbeit</strong> zu. In dieser H<strong>in</strong>sicht bot das neue<br />

Jugendhaus gute Möglichkeiten für Veranstaltungen aller Art <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Stadtjugendpflege. Dazu zählten vor allem Son<strong>der</strong>veranstaltungen <strong>in</strong> Form von Vortrags-<br />

<strong>und</strong> Filmabenden, die zwar von Anfang an zum Kerngeschäft des Jugendhauses <strong>und</strong> des<br />

1044 SÜDKURIER vom 09.05.1959.<br />

1045 SÜDKURIER vom 03.11.1958.<br />

1046 SÜDKURIER vom 01.08.1958.


272 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

Jugendbildungswerks gehört hatten, <strong>der</strong>en Anteil an den allgeme<strong>in</strong>en Angeboten jetzt aber<br />

erheblich ausgeweitet wurde.<br />

Ab Mitte des Jahrzehnts engagierte sich die örtliche Jugendpflege zusammen mit dem<br />

Jugendamt angelehnt an die Vorgaben des neuen Jugendhilferechts zudem im Bereich des<br />

Jugendschutzes. In diesen Rahmen fallen zum Beispiel Informationsabende zur Medien-<br />

<strong>und</strong> Filmerziehung 1047 , Jugendbuchausstellungen 1048 , Lesungen 1049 , <strong>und</strong> die sogenannten<br />

Heftletauschaktionen 1050 , die das Jugendhaus ab 1957 jährlich durchführte. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

wartete die Stadtjugendpflege <strong>in</strong> zunehmendem Maße mit Unterhaltungsangeboten auf.<br />

Dazu zählten vor allem die zahlreichen Tanzveranstaltungen sowie Film- <strong>und</strong> Fernsehabende<br />

<strong>und</strong> Konzerte. Im Mai 1959 trafen sich die jugendlichen Fußballfans beispielsweise<br />

vor dem Fernsehgerät des Jugendhauses, um das Län<strong>der</strong>spiel Schottland-<br />

Deutschland zu sehen. 1051<br />

Ganz allgeme<strong>in</strong> zeigte sich die Jugendhausleitung gegenüber neuen Ausdruckformen<br />

<strong>der</strong> Jugendkultur aufgeschlossen <strong>und</strong> <strong>in</strong>tegrierte sie nach Möglichkeit <strong>in</strong> ihr Angebot. Dies<br />

galt vor allem für den Jazz, <strong>der</strong> unter <strong>der</strong> Jugend immer beliebter wurde. Das Jugendhaus<br />

entwickelte sich <strong>in</strong> den späten 1950er-Jahren nicht nur zum Veranstaltungsort für Jazzkonzerte,<br />

son<strong>der</strong>n darüber h<strong>in</strong>aus standen die dort untergebrachten Musikräume e<strong>in</strong>er<br />

Jazzband zu Probezwecken zur Verfügung. 1052<br />

Während bis gegen Ende des Jahrzehnts vorwiegend die älteren Jugendlichen ab 14<br />

Jahren zur Zielgruppe <strong>der</strong> offenen <strong>Jugendarbeit</strong> gezählt hatten, begann die Stadtjugendpflege<br />

zudem seither verstärkt, das Angebot für Acht- bis 14-Jährige auszuweiten, <strong>und</strong><br />

führte Filmvorführungen <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>bälle an Fastnacht e<strong>in</strong>. 1053<br />

2.2 Im Zeichen <strong>der</strong> Fremdenverkehrsentwicklung – Die Jugendherberge<br />

Die Jugendherberge <strong>Konstanz</strong>-Allmannshöhe fand <strong>in</strong> den 1950er-Jahren nach den langen<br />

Jahren, <strong>in</strong> denen sie den unterschiedlichen politischen Interessen unterworfen <strong>und</strong> oftmals<br />

zweckentfremdet worden war, zu ihrer ursprünglichen Bestimmung als touristische E<strong>in</strong>richtung<br />

zurück. 1054 Gleichzeitig g<strong>in</strong>g <strong>der</strong> Auftrag, <strong>der</strong> dieser Jugende<strong>in</strong>richtung im<br />

Rahmen <strong>der</strong> französischen Umerziehungspolitik nach Kriegsende zugefallen war, nach<br />

Inkrafttreten des Besatzungsstatus im Jahr 1949 im Zuge des allgeme<strong>in</strong>en touristischen<br />

Aufschwungs verloren. Zwar profitierte die <strong>Konstanz</strong>er Jugendherberge zunehmend von<br />

1047<br />

Zur Jugendfilmwoche vgl. SÜDKURIER vom 05.12.1956.<br />

1048<br />

Vgl. etwa den Bericht über die Jugendbuchausstellung von 1957 im SÜDKURIER vom 07.12.1957.<br />

1049<br />

Beispielhaft genannt sei die Lesest<strong>und</strong>e mit dem Allensbacher Künstler <strong>und</strong> Jugendbuchautor Fritz<br />

Mühlenweg; vgl. SÜDKURIER vom 15.02.1957.<br />

1050<br />

Vgl. etwa den Beitrag über die „Heftletauschaktion“ im SÜDKURIER vom 01.05.1958.<br />

1051 SÜDKURIER vom 06.05.1959.<br />

1052 SÜDKURIER vom 03.06.1958.<br />

1053 SÜDKURIER vom 06.05.1959.<br />

1054 StAK, S II, 12097 <strong>und</strong> S 17806.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 273<br />

überregionalen För<strong>der</strong>mitteln des Jugendherbergsverbands für Aus- <strong>und</strong> Umbauten; sie<br />

blieb jedoch weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong> städtischer Trägerschaft. 1055<br />

Die Attraktivität <strong>der</strong> Jugendherberge speiste sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie durch ihre schöne<br />

Lage <strong>in</strong> reizvoller Landschaft unmittelbar am See. Zur Beliebtheit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung trug<br />

neben ihrer schönen Lage das allgeme<strong>in</strong> positive Image, das die Jugendherbergen <strong>in</strong> den<br />

1950er-Jahren genossen bei. Denn an<strong>der</strong>s als etwa im Fall <strong>der</strong> Camp<strong>in</strong>gplätze haftete<br />

ihnen nicht <strong>der</strong> Ruch an, e<strong>in</strong> „jugendgefährden<strong>der</strong> Ort“ zu se<strong>in</strong>. Die damaligen Herbergsordnungen<br />

waren streng, die Geschlechter übernachteten strikt getrennt vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, die<br />

Aufsicht durch die Herbergseltern war gewährleistet, bei Verstößen gegen die Regeln<br />

drohte die Ausweisung. Laut <strong>der</strong> Herbergsordnung <strong>der</strong> Herberge <strong>Konstanz</strong>-Allmannshöhe<br />

von 1949, welche die Ruhezeiten <strong>und</strong> das geme<strong>in</strong>same Zusammenleben regelte, hatten die<br />

jugendlichen Gäste den Anweisungen <strong>der</strong> Herbergseltern strikt Folge zu leisten sowie<br />

„Sitte <strong>und</strong> Anstand“ zu wahren. Interessanterweise untersagte diese erste Herbergsordnung<br />

<strong>der</strong> Nachkriegszeit, die r<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Jahrzehnt Gültigkeit hatte, darüber h<strong>in</strong>aus den<br />

Herbergsgästen explizit „<strong>und</strong>emokratisches <strong>und</strong> staatsfe<strong>in</strong>dliches Verhalten“ 1056 . Dieser<br />

Passus war e<strong>in</strong> Relikt <strong>der</strong> Umerziehungspolitik <strong>der</strong> Besatzungszeit. Auf diese Weise<br />

wirkte die nationalsozialistische Vergangenheit partiell bis <strong>in</strong> die Grün<strong>der</strong>jahre <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>esrepublik weiter nach.<br />

Der Erfolg des Jugendherbergswesens speiste sich <strong>in</strong> jenen Jahren des Weiteren aus<br />

<strong>der</strong> Tatsache, dass das Jugendwan<strong>der</strong>n <strong>in</strong> Deutschland als dem Ursprungsland des Jugendherbergswesens<br />

traditionell beson<strong>der</strong>s beliebt war. In ke<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Land gab es <strong>in</strong> den<br />

1950er-Jahren e<strong>in</strong>e größere Dichte an Jugendherbergen als <strong>in</strong> Westdeutschland <strong>und</strong> dies,<br />

obwohl nachdem viele Häuser kriegs- o<strong>der</strong> besatzungsbed<strong>in</strong>gt zerstört o<strong>der</strong> zweckentfremdet<br />

worden waren. Insgesamt wuchs <strong>der</strong> Bestand an deutschen Jugendherbergen<br />

zwischen 1947 <strong>und</strong> 1952 von 275 auf r<strong>und</strong> 650 E<strong>in</strong>richtungen an, die Zahl <strong>der</strong> Übernachtungen<br />

stieg im gleichen Zeitraum b<strong>und</strong>esweit von r<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er auf fünf Millionen. 1057<br />

Lange Zeit nahm die Jugendherberge <strong>Konstanz</strong> den ersten Platz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beliebtheitsskala<br />

<strong>der</strong> badischen Jugendherbergen e<strong>in</strong>, musste jedoch diese Position zur Mitte des<br />

Jahrzehnts an die neue <strong>und</strong> großzügig ausgebaute Jugendherberge Feldberg abgeben.<br />

Dennoch blieb die örtliche E<strong>in</strong>richtung für die wan<strong>der</strong>nde Jugend zusammen mit den<br />

Jugendherbergen im Breisgau <strong>und</strong> im Schwarzwald e<strong>in</strong> attraktiver Anlaufpunkt im Land<br />

Baden. 1058 Denn auch am Bodensee wuchsen nach <strong>der</strong> Währungsumstellung im Jahr 1948<br />

die Übernachtungszahlen <strong>in</strong> allen touristischen Sparten sprunghaft an. E<strong>in</strong>zig <strong>der</strong> verreg-<br />

1055 1958 stellte <strong>der</strong> Jugendherbergsverband Südbaden 210.000 DM für Instandsetzungen, Um- <strong>und</strong> Erweiterungsbauten<br />

für die Jugendherbergen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Sprengel, <strong>der</strong> das Gebiet des ehemals eigenständigen<br />

Landesteils umfasste, zur Verfügung.<br />

1056 Herbergsordnung <strong>der</strong> Jugendherberge Allmannshöhe von 1949; StAK, SII 13260.<br />

1057 SÜDWESTDEUTSCHE RUNDSCHAU vom 25.03.1953.<br />

1058 SÜDKURIER vom 20.05.1958.


274 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

nete Sommer 1956 führte im Bereich des gesamten Tourismus 1059 hierzulande zu e<strong>in</strong>em<br />

spürbaren Rückgang <strong>der</strong> Gästezahlen. Im Landesvergleich stand die Jugendherberge<br />

<strong>Konstanz</strong>, die schon <strong>während</strong> <strong>der</strong> Saison 1951 e<strong>in</strong>en Besucherrekord von fast 41.000<br />

Übernachtungen zählte, h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Besucherzahlen an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> badischen <strong>und</strong><br />

an sechster Stelle <strong>der</strong> b<strong>und</strong>esdeutschen Jugendherbergen. 1060 Sie zählte mit e<strong>in</strong>er<br />

Aufnahmekapazität von mehr als 250 Besuchern zu den größten E<strong>in</strong>richtungen landesweit.<br />

Die Unterkünfte verteilten sich auf zwei Gebäude. Im Turm mit se<strong>in</strong>en sieben<br />

Stockwerken waren die Schlafräume <strong>der</strong> männlichen Herbergsbesucher untergebracht,<br />

<strong>während</strong> sich die Mädchenräume im benachbarten ehemaligen Pfarrhaus befanden. Beide<br />

Gebäude waren durch e<strong>in</strong>en Verb<strong>in</strong>dungsraum, <strong>der</strong> als Geme<strong>in</strong>schaftsraum genutzt wurde<br />

<strong>und</strong> für 120 Personen ausgelegt war, verb<strong>und</strong>en. Trotz ihrer recht großzügigen räumlichen<br />

Ausdehnung reichten die Kapazitäten bald nicht mehr aus, um den wachsenden Bedarf<br />

nach günstigen Übernachtungsmöglichkeiten vonseiten <strong>der</strong> jugendlichen Wan<strong>der</strong>er zu<br />

decken. Als Konsequenz aus den stetig wachsenden Besucherzahlen wurde, wie im<br />

vorherigen Kapitel dargelegt wurde, e<strong>in</strong>e zweite Jugendherberge im Jugendhaus Raiteberg<br />

am Bismarcksteig mit e<strong>in</strong>er Kapazität von 230 Betten e<strong>in</strong>gerichtet, die e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong><br />

Ergänzung <strong>der</strong> bestehenden Jugendherberge <strong>in</strong> den Sommermonaten zusätzliche jugendliche<br />

Wan<strong>der</strong>er aufnahm, an<strong>der</strong>erseits für Gruppen, die e<strong>in</strong>en längeren Aufenthalt etwa im<br />

Rahmen von Austauschprogrammen planten, vorbehalten war. Nach dem Stand von 1955<br />

zählte man <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendherberge Allmannshöhe 23.251 Ankünfte bei 30.469 Übernachtungen,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendherberge Raiteberg waren es 3.730 Ankünfte bei 9.563 Übernachtungen.<br />

Die Zahlen machen deutlich, dass die Verweildauer <strong>der</strong> Jugendherbergsnutzer relativ<br />

kurz war. Durchschnittlich hielt sich e<strong>in</strong> Gast zwischen e<strong>in</strong>em <strong>und</strong> drei Tagen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

auf, um dann entwe<strong>der</strong> weiterzuwan<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> die Heimreise anzutreten. Dieser Fakt fußte<br />

e<strong>in</strong>erseits auf dem für Jugendliche typischen Reiseverhalten, an<strong>der</strong>erseits sahen die<br />

deutschen Jugendherbergen an sich ke<strong>in</strong>e längeren Aufenthalte vor. So wurde <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong>-Allmannshöhe beispielsweise e<strong>in</strong>e verlängerte Aufenthaltsdauer, die über e<strong>in</strong>e<br />

Nacht h<strong>in</strong>ausg<strong>in</strong>g, nur gegen die Bereitschaft zur Mithilfe etwa beim Ausfegen <strong>der</strong><br />

Zimmer gewährt. 1061 Lediglich <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Jugendherberge im Jugendhaus war es<br />

möglich, e<strong>in</strong>en längeren Aufenthalt zu buchen, da diese E<strong>in</strong>richtung <strong>in</strong> den Sommermonaten<br />

speziell für Gruppenreisende ab sechs Personen, für Tagungsteilnehmer sowie<br />

für Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler zur Verfügung stand. Der Bedarf an solchen Übernachtungsmöglichkeiten<br />

war seit Mitte des Jahrzehnts steigend, da die Schulen seither vermehrt<br />

dazu überg<strong>in</strong>gen, im Rahmen von Landschulheimaufenthalten, mehrtägige Ausflüge mit<br />

1059 Zur Tourismusentwicklung allgeme<strong>in</strong>: SPODE, Tourismus; zur <strong>Entwicklung</strong> am Seeufer: TRAPP, Seh-<br />

Zeichen, S. 9-24; VOGLER, Der Bodenseeraum als historische Reiselandschaft, <strong>in</strong>: INTERNATIONALER<br />

ARBEITSKREIS BODENSEE-AUSSTELLUNGEN (Hg.), Die touristische Entdeckung, S. 5-10; zur Situation <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong>: OCHABA, Fremdenverkehr, sowie BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung,<br />

S. 322 f.<br />

1060 SÜDKURIER vom 25.06.1952.<br />

1061 SÜDKURIER vom 15.08.1959.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 275<br />

Übernachtungsmöglichkeiten <strong>in</strong> deutschen Jugendherbergen durchzuführen. 1062 Ergänzend<br />

zu diesen Informationen sei an dieser Stelle h<strong>in</strong>zugefügt, dass das deutsche Jugendherbergswerk<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Freiburger Institut für <strong>in</strong>ternationale Begegnungen, <strong>der</strong><br />

französischen hohen Kommission <strong>und</strong> <strong>der</strong> Direction des Affaires cuturelles <strong>in</strong> Baden-<br />

Baden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit vom Mai bis September 1950 Zeltlager <strong>in</strong> L<strong>in</strong>dau, <strong>Konstanz</strong>, Titisee,<br />

Freiburg <strong>und</strong> Bühl durchführte mit dem Ziel, die im Sommer überfüllten Jugendherbergen<br />

zu entlasten. Im Rahmen e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>ternationalen Zeltlagers fand nahe <strong>Konstanz</strong> beispielsweise<br />

im Juli <strong>und</strong> August 1950 e<strong>in</strong> Schulungslager für Kanu-Bau für Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong> statt, das<br />

vom Freiburger Institut für <strong>in</strong>ternationale Begegnungen organisiert wurde. 1063<br />

Der quantitative Anstieg <strong>der</strong> Besucherzahlen, den die deutschen Jugendherbergen im<br />

Untersuchungszeitraum verbuchten, ist zudem Ausdruck des sozialgeschichtlichen<br />

Wandels des jugendlichen Reiseverhaltens. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> fortschreitenden<br />

Motorisierung, <strong>der</strong> Verbilligung des Reisens <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> neuartigen Pauschalangebote, des<br />

Aufkommens des Camp<strong>in</strong>gtourismus <strong>und</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>e Demokratisierung des Reisens<br />

erfasste die Reiselust zunehmend immer neue Gruppen aller Alters- <strong>und</strong> Gesellschaftsschichten.<br />

1064 Diese allgeme<strong>in</strong>e Tendenz, die die westdeutsche Gesellschaft <strong>in</strong>sgesamt<br />

erfasste, prägte die touristische <strong>Entwicklung</strong> am Bodensee <strong>der</strong>art nachhaltig, dass Fremdenverkehr<br />

<strong>in</strong> vielen Seegeme<strong>in</strong>den zum wichtigen Wirtschaftsfaktor wurde. 1065 E<strong>in</strong><br />

Motor dieser <strong>Entwicklung</strong> war die wachsende Mobilität <strong>der</strong> Gesellschaft. Sie drückte sich<br />

dar<strong>in</strong> aus, dass im Laufe <strong>der</strong> 1950er-Jahre wie<strong>der</strong> erstmals nach Kriegsende Gäste aus dem<br />

Ausland deutsche Herbergen besuchten. Der Anteil ausländischer Besucher an den Übernachtungen<br />

hielt sich jedoch <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> Grenzen. Er betrug <strong>in</strong> beiden Jugendherbergen<br />

zusammengenommen zur Mitte des Jahrzehnts gerade e<strong>in</strong>mal zwischen fünf <strong>und</strong> sechs<br />

Prozent. H<strong>in</strong><strong>der</strong>lich wirkten sich die unbeständigen Witterungsverhältnisse am Bodensee,<br />

die langen Anreisewege, die etwa Jugendliche aus den Nie<strong>der</strong>landen o<strong>der</strong> Skand<strong>in</strong>avien <strong>in</strong><br />

Kauf nehmen mussten, sowie möglicherweise Vorbehalte gegenüber dem ehemaligen<br />

Kriegsgegner auf die Attraktivität Deutschlands als Reiseland aus. Erst die diversen<br />

<strong>in</strong>ternationalen Jugendaustauschprogramme, darunter <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> deutsch-französische<br />

Jugendaustausch, trugen im Laufe des Jahrzehnts <strong>und</strong> <strong>in</strong> den 1960er-Jahren maßgeblich<br />

dazu bei, dass solche Befangenheiten unter den Jugendlichen an<strong>der</strong>er europäischer<br />

Län<strong>der</strong> gegenüber <strong>der</strong> deutschen Jugend allmählich abgebaut werden konnten.<br />

In den späten 1950er-Jahren nahm die Zahl <strong>der</strong> ausländischen Besucher unter den<br />

Jugendherbergsgästen analog zur allgeme<strong>in</strong>en Tourismusentwicklung am See leicht zu. Im<br />

Jahr 1957 verzeichneten alle südbadischen Jugendherbergen zusammengenommen e<strong>in</strong>en<br />

Anteil an Auslandsübernachtungen von 6,4 Prozent. 1066 Die neue Hausordnung <strong>der</strong><br />

Jugendherberge Allmannshöhe von 1959 trug <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong>sofern Rechnung, <strong>in</strong>dem<br />

sie <strong>in</strong> vier Sprachen – Deutsch, Französisch, Englisch <strong>und</strong> Italienisch – verfasst war, was<br />

1062<br />

SÜDKURIER vom 20.05.1958.<br />

1063<br />

TAGESPOST vom 22.03.1953; abgelegt <strong>in</strong>: SAF, C 16/1, Nr. 9.<br />

1064<br />

TRAPP, Seh-Zeichen, S. 22 f.<br />

1065<br />

Zur <strong>Entwicklung</strong> bis ca. 1900: ZANG, „Fremden<strong>in</strong>dustrie“, <strong>in</strong>: INTERNATIONALE BODENSEE-<br />

AUSSTELLUNGEN (Hg.), Die touristische Entdeckung, S. 93-98.<br />

1066<br />

SÜDKURIER vom 20.05.1958.


276 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

die <strong>in</strong>ternationale Bedeutung, die <strong>der</strong> örtlichen Jugendherberge <strong>in</strong>zwischen zukam, unterstreicht.<br />

1067 Zum Vergleich: Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre stammte die Mehrheit <strong>der</strong> Besucher,<br />

die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendherberge Allmannshöhe übernachteten, aus dem Umland. Die meisten<br />

Herbergsgäste waren männlichen Geschlechts. Mit Ausnahme von Staatsangehörigen aus<br />

<strong>der</strong> Schweiz kamen kaum Gäste aus dem Ausland. Zudem war <strong>der</strong> Kreis <strong>der</strong> Nutzungsberechtigten<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Reglements des deutschen Jugendherbergswesens<br />

auf Jugendgruppen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelwan<strong>der</strong>er, die im Besitze e<strong>in</strong>es gültigen Herbergsausweises<br />

waren, auf die Mitglie<strong>der</strong> des Touristenvere<strong>in</strong>s „Die Naturfre<strong>und</strong>e“ sowie auf Schulklassen<br />

<strong>und</strong> Studentengruppen beschränkt.<br />

Nicht nur das jugendliche Reiseverhalten verän<strong>der</strong>te sich im Laufe des Jahrzehnts,<br />

auch die Art des Reisens <strong>und</strong> die Wahl <strong>der</strong> Fortbewegungsmittel waren e<strong>in</strong>em Wandel<br />

unterworfen. Da die jugendlichen Reisenden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel ke<strong>in</strong>en Führersche<strong>in</strong>, geschweige<br />

denn e<strong>in</strong> Auto besaßen, hatte <strong>der</strong> motorisierte Individualverkehr bei <strong>der</strong> Anreise<br />

<strong>während</strong> des gesamten Beobachtungszeitraums lediglich e<strong>in</strong>en marg<strong>in</strong>alen Stellenwert. 1068<br />

Die Mehrheit <strong>der</strong> Besucher kam zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit öffentlichen Verkehrsmitteln<br />

o<strong>der</strong> per Anhalter an den See. Bekannt ist, dass etwa Jugendliche aus dem Rhe<strong>in</strong>-<br />

Ma<strong>in</strong>-Gebiet o<strong>der</strong> dem Ruhrgebiet mit <strong>der</strong> Bahn bis Freiburg reisten, um von dort aus über<br />

den Schwarzwald an den Bodensee zu wan<strong>der</strong>n. Hier nahmen sie entwe<strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>em <strong>der</strong><br />

vielen Camp<strong>in</strong>gplätze o<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Jugendherbergen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>, Überl<strong>in</strong>gen o<strong>der</strong> L<strong>in</strong>dau<br />

e<strong>in</strong>ige Tage Quartier. Vor allem männliche Jugendliche, <strong>und</strong> unter diesen wie<strong>der</strong>um<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Anhänger von Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen, zeigten sich äußerst mobil. So trafen<br />

beispielsweise im Jahr 1952 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendherberge <strong>Konstanz</strong> mehrere Angehörige <strong>der</strong><br />

katholischen St. Georgsbru<strong>der</strong>schaft aus Düsseldorf <strong>und</strong> Berchtesgaden, die meist per<br />

Anhalter angereist waren, zusammen.<br />

Interessanterweise verbuchte die Jugendherberge <strong>Konstanz</strong> ab <strong>der</strong> zweiten Hälfte des<br />

Jahrzehnts bis zum Mauerbau zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1960er-Jahre etliche Jugendliche, die damals<br />

offensichtlich noch nicht durch Reisebeschränkungen <strong>in</strong> ihrer Mobilität e<strong>in</strong>geschränkt<br />

waren, aus <strong>der</strong> sowjetischen Zone. In gleichem Maße wie <strong>der</strong> öffentliche Verkehr weiter<br />

ausgebaut wurde, g<strong>in</strong>g <strong>der</strong> Trend zunehmend weg vom Jugendwan<strong>der</strong>n. Stattdessen<br />

reisten junge Menschen vermehrt mit Bussen o<strong>der</strong> Son<strong>der</strong>zügen nach <strong>Konstanz</strong>. Weitere<br />

Verbreitung fand zudem das Reisen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe von Gleichges<strong>in</strong>nten im Vere<strong>in</strong> o<strong>der</strong><br />

Verband o<strong>der</strong> als Klassenfahrt, <strong>während</strong> <strong>der</strong> wan<strong>der</strong>nde Rucksacktourist, <strong>der</strong> alle<strong>in</strong> o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

Kle<strong>in</strong>gruppen unterwegs war, gleichzeitig immer seltener anzutreffen war. „Die Jugend<br />

reist, sie wan<strong>der</strong>t nicht“ 1069 , so fasste e<strong>in</strong> Bericht Ende 1954 <strong>in</strong> <strong>der</strong> SÜDWESTDEUTSCHE[N]<br />

RUNDSCHAU dieses Zeitphänomen prägnant zusammen.<br />

Während die heutige <strong>Konstanz</strong>er Jugendherberge im Otto-Moericke-Turm, die vom<br />

Deutschen Jugendherbergswerk getragen wird <strong>und</strong> 1999 gründlich saniert wurde, wie alle<br />

mo<strong>der</strong>nen Jugendherbergen mehr e<strong>in</strong> Gästehaus mit komfortablen Zimmern, e<strong>in</strong>er<br />

1067 SÜDKURIER vom 15.08.1959.<br />

1068 Zur Sozial- <strong>und</strong> Kulturgeschichte des Reisens vgl. BAUSINGER U. A. (Hg.), Reisekultur; SPODE,<br />

Goldstrand <strong>und</strong> Teutonengrill.<br />

1069 SÜDWESTDEUTSCHE RUNDSCHAU vom 27.11.1954.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 277<br />

beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tengerechten E<strong>in</strong>richtung, Tagungsräumen <strong>und</strong> speziellen Freizeitangeboten<br />

darstellt, nahm sich die Ausstattung <strong>der</strong> Herberge <strong>in</strong> den 1950er-Jahren verglichen mit den<br />

heutigen Standards äußerst bescheiden aus. Das Treppenhaus im Wasserturm <strong>und</strong> das<br />

ehemalige Pfarrheim, <strong>in</strong> dem die Mädchen untergebracht waren, waren renovierungsbedürftig<br />

<strong>und</strong> die Auffahrt nicht geteert, sodass die Anreisenden bei Regen e<strong>in</strong> „Schlammbad“<br />

1070 <strong>in</strong> Kauf nehmen mussten. Doch konnten we<strong>der</strong> solche baulichen Mängel noch<br />

Mehrbettzimmer, Massenlager, Notunterkünfte die jugendliche Lust am Reisen schmälern.<br />

Die Ansprüche, welche die damalige Jugend noch <strong>während</strong> des gesamten Jahrzehnts an<br />

den Komfort dieser E<strong>in</strong>richtung stellte, waren gemessen an heutigen Maßstäben ger<strong>in</strong>g.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs reisten <strong>in</strong> den fortgeschrittenen 1950er-Jahren immer mehr Jugendliche mit<br />

Koffern an, sodass die Jugendherberge pro Gast mehr Raum sowie e<strong>in</strong>en eigenen Schrank<br />

zur Verfügung stellen musste. 1071<br />

Wie alle Jugendherbergen im Land galt die <strong>Konstanz</strong>er E<strong>in</strong>richtung <strong>während</strong> des<br />

gesamten Jahrzehnts als preiswerte, solide Unterkunft. Obwohl sie <strong>in</strong> kommunaler Trägerschaft<br />

verblieb, entsprachen die Kosten für Übernachtung <strong>und</strong> Verpflegung den landese<strong>in</strong>heitlichen<br />

Vorgaben des südbadischen Landesjugendherbergsverbands Schwarzwald-<br />

Bodensee mit Sitz <strong>in</strong> Freiburg. So kostete e<strong>in</strong>e Übernachtung nach dem Stand von 1959<br />

lediglich 0,70 DM für Jugendliche unter 20 Jahren; ältere Herbergsbesucher entrichteten<br />

1,40 DM. E<strong>in</strong> Frühstück war für 0,75 DM erhältlich, e<strong>in</strong> warmes Essen kostete zwischen<br />

1,10 <strong>und</strong> 1,40 DM. Aufgr<strong>und</strong> dieser für Jugendliche gut erschw<strong>in</strong>glichen Preise verzichtete<br />

die Mehrheit <strong>der</strong> Besucher auf die Selbstverpflegung, obwohl die Möglichkeit dazu<br />

im Hause gegeben war. 1072<br />

Die Tatsache, dass sich das Reiseverhalten <strong>der</strong> Jugendlichen 1073 h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Wahl<br />

<strong>der</strong> Verkehrsmittel <strong>und</strong> Reiseziele sowie <strong>der</strong> Ansprüche an Unterkunft, Verpflegung <strong>und</strong><br />

Preise im Beobachtungszeitraum deutlich von dem <strong>der</strong> erwachsenen Touristen unterschied,<br />

wirkte sich <strong>in</strong> Krisenzeiten positiv auf die Buchungszahlen <strong>der</strong> Jugendherberge<br />

aus. So war die E<strong>in</strong>richtung beispielsweise nicht gleichermaßen vom E<strong>in</strong>bruch <strong>der</strong><br />

Touristenzahlen betroffen wie die übrigen touristischen Sparten. 1074 Während Fernziele,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Reisen nach Italien, bei den Deutschen immer beliebter wurden <strong>und</strong><br />

Privatzimmer von vielen Touristen nicht mehr als zeitgemäß bzw. Hotels <strong>und</strong> Gaststätten<br />

als zu teuer empf<strong>und</strong>en wurden, bevorzugte die Jugend weiterh<strong>in</strong> naturnahe Ziele <strong>und</strong><br />

Reisearten. H<strong>in</strong>gegen hatten ausländische Reiseziele noch nicht denselben Stellenwert wie<br />

<strong>in</strong> späteren Jahrzehnten. Auslandsaufenthalte kamen vorrangig im Zuge e<strong>in</strong>es Familienurlaubes<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es Jugendaustauschprogramms vor. Zudem reisten Jugendliche auch <strong>in</strong><br />

den 1950er-Jahren gerne <strong>in</strong> Gruppen, wobei das Wan<strong>der</strong>n nach wie vor sehr beliebt war<br />

<strong>und</strong> selbst durch die zunehmende Motorisierung nicht gänzlich verdrängt wurde. Von<br />

1070 SÜDKURIER vom 04.08.1956.<br />

1071 SÜDKURIER vom 05.10.1956.<br />

1072 SÜDKURIER vom 16.08.1969.<br />

1073 Zur Pädagogik des Reisens <strong>in</strong> den 1950er- <strong>und</strong> 1960er-Jahren vgl. HAFENEGER, Bewegte Jugend, <strong>in</strong>:<br />

REULECKE; STAMBOLIS, Jugendherbergen, S. 255-272.<br />

1074 TRAPP, Seh-Zeichen, S. 46.


278 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

diesem Zeitgeist profitierte neben den Jugendherbergen <strong>der</strong> billige Camp<strong>in</strong>gtourismus.<br />

Zudem hatten die Gebirgs- <strong>und</strong> Wan<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>e großen Zulauf.<br />

E<strong>in</strong>e touristische Neuerung, von <strong>der</strong> die Jugend gerne Gebrauch machte, war das<br />

spürbar verbesserte Informationsangebot. Gegen Ende des Jahrzehnts stand reiselustigen<br />

Jugendlichen aus ganz Deutschland bereits e<strong>in</strong> umfassendes Angebot an Reiseführern <strong>und</strong><br />

Fremdenverkehrsprospekten e<strong>in</strong>zelner Bodenseegeme<strong>in</strong>den zur Verfügung 1075 , zumal nun<br />

Reiseveranstalter, Verbände <strong>und</strong> die Bahn die Jugend als Zielgruppe entdeckten. So<br />

registrierte das vom deutschen Jugendherbergsverband herausgegebene Verzeichnis <strong>der</strong><br />

deutschen Jugendherbergen im B<strong>und</strong>esgebiet seit se<strong>in</strong>em erstmaligen Ersche<strong>in</strong>en im Jahr<br />

1953 alles Wissenswerte zu je<strong>der</strong> deutschen Jugendherberge. Darüber h<strong>in</strong>aus enthielt es<br />

wichtige Informationen über Fahrpreisermäßigungen <strong>der</strong> Bahn. Über Jugendson<strong>der</strong>züge<br />

<strong>der</strong> Bahn <strong>in</strong>formierte, um e<strong>in</strong> weiteres Beispiel zu nennen, e<strong>in</strong> Prospekt des Kölner<br />

Jugendfahrtendienst e. V. 1076 Des Weiteren sei auf die Vielzahl an Camp<strong>in</strong>gführern, etwa<br />

des ADAC o<strong>der</strong> des Camp<strong>in</strong>g-Clubs München, h<strong>in</strong>gewiesen. Zudem lieferten die diversen<br />

Fremdenverkehrsprospekte e<strong>in</strong>zelner Bodenseegeme<strong>in</strong>den ebenfalls zentrale Informationen<br />

über die vorhandene touristische Infrastruktur <strong>und</strong> ihre Nutzungsmöglichkeiten vor<br />

Ort. 1077<br />

2.3 Von <strong>der</strong> Jugendbildungse<strong>in</strong>richtung zur Erwachsenenbildungsstätte –<br />

Das Jugendbildungswerk<br />

Das Jugendbildungswerk <strong>Konstanz</strong> durchlief <strong>in</strong> den 1950er-Jahren zwei gegenläufige<br />

Trends: zum e<strong>in</strong>en expandierte die Jugende<strong>in</strong>richtung kräftig, zum an<strong>der</strong>en erlebte sie<br />

zahlreiche Brüche <strong>und</strong> Erneuerungen. Die wichtigsten Verän<strong>der</strong>ungsprozesse erfolgten zur<br />

Mitte des Jahrzehnts. Zu diesem Zeitpunkt erhielt das Jugendbildungswerk vor dem<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> struktureller Umgestaltungen <strong>in</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft sowie aufgr<strong>und</strong><br />

rechtlicher Neuerungen auf dem Gebiet <strong>der</strong> Wohlfahrtspflege e<strong>in</strong>e neue Rechtsstruktur.<br />

Diese <strong>Entwicklung</strong> vollzog sich <strong>in</strong> mehreren Schritten, die im Folgenden geson<strong>der</strong>t vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

betrachtet werden. Im Wesentlichen s<strong>in</strong>d drei Verlaufsphasen zu unterscheiden:<br />

- e<strong>in</strong>e Expansionsphase von 1950 bis 1953/54, <strong>in</strong> <strong>der</strong> das Jugendbildungswerk,<br />

begünstigt durch das Wirtschaftswachstum, e<strong>in</strong>e spürbaren Aufschwung nahm,<br />

- e<strong>in</strong>e Zeit <strong>der</strong> Krisen <strong>und</strong> Brüche zwischen 1954 <strong>und</strong> 1955, die im Kontext e<strong>in</strong>er<br />

allgeme<strong>in</strong>en Neuausrichtung <strong>der</strong> kommunalen <strong>Jugendarbeit</strong> betrachtet werden muss<br />

<strong>und</strong> an <strong>der</strong>en Ende das Jugendbildungswerk aus <strong>der</strong> kommunalen Trägerschaft<br />

herausgelöst wurde,<br />

- die Fortführung als Vere<strong>in</strong> <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit <strong>der</strong> Zusammenlegung von<br />

Jugendbildungswerk <strong>und</strong> Volkshochschule zum Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungswerk<br />

<strong>Konstanz</strong>.<br />

1075 TRAPP, Seh-Zeichen, S. 53 f.<br />

1076 SÜDKURIER vom 25.05.1959.<br />

1077 SACHS-GLEICH, Fremdenverkehrswerbung, <strong>in</strong>: LAS (1990), S. 23-35.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 279<br />

2.3.1 Die Expansionsphase 1950-1953<br />

In <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>der</strong> 1950er-Jahre setzte das Jugendbildungswerk se<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />

Arbeit, die es <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> seit se<strong>in</strong>er Gründung 1947 geleistet<br />

hatte, e<strong>in</strong>erseits weiter fort, an<strong>der</strong>erseits steigerte sich zusätzlich se<strong>in</strong>e Attraktivität<br />

mithilfe neuartiger Angebote. Sowohl das Kursangebot als auch die Teilnehmerzahlen<br />

entwickelten sich <strong>in</strong> diesem Zeitraum überaus günstig. 1078 Wurden im W<strong>in</strong>tersemester<br />

1949/50 lediglich 31 Kurse angeboten, so waren es 1951/52 immerh<strong>in</strong> schon 48 Veranstaltungen<br />

1079 , <strong>und</strong> die Tendenz war weiterh<strong>in</strong> steigend, sodass am Ende des Jahrzehnts, 1959,<br />

schließlich 82 Veranstaltungen auf dem Programm standen. Parallel zur Angebotsentwicklung<br />

wuchsen die Teilnehmerzahlen im gleichen Zeitraum von 1.200 im Jahr 1950 auf<br />

1.400 im Jahr 1959 an. 1080<br />

Anhand dieser Zahlen wird ersichtlich, dass das Jugendbildungswerk e<strong>in</strong>e hohe<br />

Akzeptanz genoss, die unter an<strong>der</strong>em dadurch gespeist wurde, dass weite Teile <strong>der</strong> Jugend<br />

gegenüber <strong>der</strong> organisierten <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong>e größere Befangenheit hegten, <strong>und</strong> die<br />

„anfänglich verschiedentlich festzustellende Zurückhaltung gegenüber <strong>der</strong> Arbeit des<br />

Jugendbildungswerks [...]“ – wie es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Pressebericht aus dem Jahr 1950 heißt –<br />

„erfreulicherweise fast überall überw<strong>und</strong>en“ 1081 werden konnte.<br />

Dieser positiven Tendenz lag e<strong>in</strong> ganzes Ursachenbündel zugr<strong>und</strong>e. So boten allgeme<strong>in</strong>e<br />

Trends wie <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die günstige Wohlstandsentwicklung allen Jugende<strong>in</strong>richtungen<br />

<strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>e Vielzahl neuer Möglichkeiten aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> verbesserten<br />

f<strong>in</strong>anziellen, technischen <strong>und</strong> materiellen Ausstattung. Infolge des allumfassenden Wirtschaftsaufschwungs<br />

gehörte beispielsweise beim Bildungswerk <strong>der</strong> anfangs herrschende<br />

Mangel an Materialien, Werkzeugen <strong>und</strong> Räumen bald <strong>der</strong> Vergangenheit an. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus wartete das Jugendbildungswerk mit neuen wirtschaftlichen Konzepten, neuartigen<br />

Kursangeboten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er verbesserten Öffentlichkeitsarbeit auf, auf die <strong>in</strong> den folgenden<br />

Unterabschnitten etwas ausführlicher e<strong>in</strong>gegangen wird.<br />

2.3.2 Bewährte <strong>und</strong> neue Muster bei <strong>der</strong> Programmgestaltung<br />

Analysiert man die Programmhefte des Jugendbildungswerkes für die Zeit <strong>der</strong> 1950er-<br />

Jahre, so lassen sich <strong>der</strong> Struktur nach drei größere Gattungen von Veranstaltungen<br />

unterscheiden: die größte Gruppe bilden erstens naturgemäß die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften<br />

des Jugendbildungswerks, zweitens fanden zu Beg<strong>in</strong>n des Jahrzehnts Volkshochschulkurse<br />

E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> das Programm, drittens s<strong>in</strong>d die E<strong>in</strong>zel- <strong>und</strong> Son<strong>der</strong>veranstaltungen zu<br />

nennen. Diese Dreiteilung spiegelt zeittypische Reformbestrebungen dieser E<strong>in</strong>richtung<br />

wi<strong>der</strong>: zum e<strong>in</strong>en die Zunahme von E<strong>in</strong>zelveranstaltungen wie Konzerte, Fahrten,<br />

1078 E<strong>in</strong> Nachweis s<strong>in</strong>d unter an<strong>der</strong>em die regelmäßigen Berichte über die Teilnehmerentwicklung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

örtlichen Presse, hier e<strong>in</strong>ige Beispiele: SÜDKURIER vom 24.06.1950 (lt. Bericht <strong>der</strong> Abteilung<br />

Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung über die Teilnehmer <strong>und</strong> AGs des Jugendbildungswerks);<br />

31.08.1950 <strong>und</strong> 04.10.1950 sowie 15.12.1952, 01.03.1953, 05.01.1954, 21.08.1954, 28.10.1957.<br />

1079 SÜDKURIER vom 24.01.1950.<br />

1080 SÜDKURIER vom 28.10.1959.<br />

1081 SÜDKURIER vom 24.01.1950.


280 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

Exkursionen, Vorträge, zum an<strong>der</strong>en die Integration <strong>der</strong> ehemals eigenständigen<br />

Volkshochschule.<br />

Das Programm be<strong>in</strong>haltete im Untersuchungszeitraum e<strong>in</strong> buntes Spektrum an<br />

Vorträgen, Kursen, Konzerten, Theaterabenden etc. Schon das Programmheft von 1950<br />

umfasste be<strong>in</strong>ahe 40 Seiten. 1082 Es stellte den örtlichen Gewerbetreibenden erstmals kommerzielle<br />

Werbeflächen gegen Gebühr zur Verfügung. Der Erlös wurde als Druckkostenzuschuss<br />

verwendet. Die Themenpalette deckte breite Interessensgebiete wie <strong>Geschichte</strong>,<br />

Literatur, Kunst, Wissenschaft, Technik, berufliche Bildung, Malen, Werken, Handarbeiten,<br />

Hauswirtschaft, Sport etc. ab. Das Angebot wurde <strong>in</strong> den kommenden Jahren<br />

spürbar ausgeweitet, wobei <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e neben den Kursen E<strong>in</strong>zelveranstaltungen wie<br />

Fahrten <strong>und</strong> Vorträgen, immer größere Bedeutung zufiel. Kurse mit bildungsbürgerlichem<br />

Anspruch <strong>und</strong> solche, die <strong>der</strong> Wissensbildung, <strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong> Musik o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ausübung<br />

e<strong>in</strong>er Sportart dienten, blieben <strong>während</strong> des gesamten Jahrzehnts weiterh<strong>in</strong> sehr beliebt.<br />

Im Verlauf des Jahrzehnts wurden neben den bereits etablierten Kursen zusätzlich<br />

neuartige Veranstaltungen, die thematisch <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung des gesellschaftlichen <strong>und</strong><br />

beruflichen Lebens angepasst waren, etabliert. Zum e<strong>in</strong>en wurde <strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong> beruflichen<br />

Weiterbildung <strong>und</strong> die Vermittlung von Zusatzqualifikationen für das Berufsleben<br />

zunehmend relevant. Zum an<strong>der</strong>en fanden sich vermehrt Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften zusammen,<br />

die sich mit mo<strong>der</strong>nen technischen Fragen ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzten <strong>und</strong> entsprechende<br />

Fertigkeiten <strong>in</strong> diesen Bereichen vermittelten. Beispielhaft seien etwa die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften<br />

für Radio- <strong>und</strong> Elektrotechnik sowie Kfz-Technik, die mit bis zu 60 Teilnehmern<br />

großen Zulauf hatten, genannt.<br />

Vor allem aber fanden Ausflüge, Exkursionen <strong>und</strong> Fahrten als neue Komponenten<br />

E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> das Programm. 1083 Die ersten Fahrten im größeren Stil fanden ab 1951 statt. 1084<br />

Sie führten hauptsächlich <strong>in</strong> die nähere Umgebung wie Oberschwaben, L<strong>in</strong>zgau <strong>und</strong><br />

Hegau. 1085 Den Auftakt bildeten Kunstfahrten, die im Zusammenhang mit kunstgeschichtlich<br />

orientierten Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften organisiert wurden. Diese Veranstaltungsreihe, die<br />

sich mit regionaler Architektur <strong>und</strong> Malerei befasste, war seit Beg<strong>in</strong>n des Jahrzehnts<br />

ebenfalls neu im Programm <strong>und</strong> erfreute sich sehr bald schon großer Beliebtheit. 1086 1951<br />

rief das Jugendbildungswerk e<strong>in</strong>en kunstgeschichtlichen Zyklus, bestehend aus <strong>in</strong>sgesamt<br />

fünf Veranstaltungen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>haltlichen Zusammenhang mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> standen, <strong>in</strong>s<br />

1082 Programm des W<strong>in</strong>tersemesters 1950/51; Privatarchiv R. Kutscha.<br />

1083 Vgl. die Programmhefte für die W<strong>in</strong>tersemester ab 1951 ff. sowie für die Sommersemester ab 1956 ff.<br />

sowie die Presseberichte über Reisen, Ausflüge <strong>und</strong> das Fahrtenprogramm im SÜDKURIER; aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Fülle des Materials seien hier beispielhaft genannt: die Urlaubs- <strong>und</strong> Reiseprogramme <strong>der</strong> regionalen<br />

Bildungswerke; vgl. SÜDKURIER vom 30.04. <strong>und</strong> 05.04.1954; das Sommerprogramm 1956; vgl.<br />

SÜDKURIER vom 18.04.1956; die geme<strong>in</strong>same Fahrt <strong>der</strong> Jugendbildungswerke <strong>Konstanz</strong>-Stadt <strong>und</strong><br />

<strong>Konstanz</strong>-Land nach Lugano/Italien; vgl. SÜDKURIER 21.08.1954.<br />

1084 „Mit dem Jugendbildungswerk <strong>in</strong> die Ferne“, SÜDKURIER vom 17.04.1952.<br />

1085 „Durch Fahrten <strong>und</strong> Wan<strong>der</strong>ungen die Heimat erschließen“, SÜDKURIER 11.04.1956.<br />

1086 SÜDKURIER vom 12.01.1950.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 281<br />

Leben. 1087 Das Beson<strong>der</strong>e daran stellte e<strong>in</strong>e zweitägige Busfahrt dar, die als Abschluss <strong>der</strong><br />

Veranstaltungsreihe zu den Stätten des oberschwäbischen Barocks, wie beispielsweise die<br />

Klöster We<strong>in</strong>garten, Zwiefalten, Marchtal, Ottobeuren führte. 1088 Diese Fahrt stand am<br />

Beg<strong>in</strong>n zahlreicher Ausflüge <strong>und</strong> Reisen aller Art, die für die Programmgestaltung des<br />

Bildungswerks <strong>in</strong> den kommenden Jahren charakteristisch werden sollten. Noch im<br />

gleichen Jahr besichtigte die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft „Neues Bauen – Neues Wohnen“ unter<br />

<strong>der</strong> Leitung des <strong>Konstanz</strong>er Baurats Schwan mo<strong>der</strong>ne Bauten <strong>in</strong> Zürich <strong>und</strong> Basel, 1089 <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e weitere Kunstfahrt führte die Teilnehmer <strong>in</strong> den L<strong>in</strong>zgau. 1090 Dort hatten sie die<br />

Gelegenheit, Teilnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Teilnehmer <strong>der</strong> Jugendbildungswerke Überl<strong>in</strong>gen <strong>und</strong><br />

Radolfzell kennenzulernen. Ab 1952 avisierte das Jugendbildungswerk neben Ausflügen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat zunehmend weiter entfernte Ziele, darunter solche im Ausland. E<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

ersten Veranstaltungen dieser Art dürfte die Kunstfahrt nach Italien, geführt von Baurat<br />

Schwan <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Kunstmaler Sepp Biehler, gewesen se<strong>in</strong>. 1091 Wie allen<br />

Kunst- <strong>und</strong> Bildungsreisen g<strong>in</strong>g dieser Fahrt üblicherweise e<strong>in</strong>e umfassende Vorbereitungsphase<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> W<strong>in</strong>termonate voraus, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich die Teilnehmer durch e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>tensive Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> lokalen Kunstgeschichte o<strong>der</strong> dem Erwerb von<br />

Sprachkenntnissen akribisch auf die Reise vorbereiteten. E<strong>in</strong> spezielles Engagement<br />

zeitigte das Jugendbildungswerk im Zusammenhang mit den deutsch-französischen<br />

Jugendtreffen <strong>in</strong> Annecy <strong>und</strong> Fonta<strong>in</strong>ebleau.<br />

Das Fahrtenprogramm des Jugendbildungswerks stieß auf e<strong>in</strong>e äußerst große<br />

Resonanz. Viele Ausflüge wie beispielsweise die Busfahrt über Pf<strong>in</strong>gsten des Jahres 1961,<br />

die durch die Schweiz nach Südfrankreich führte, waren rasch ausgebucht <strong>und</strong> mussten<br />

mitunter aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> großen Nachfrage wie<strong>der</strong>holt werden. Dass die Jugend vom neuen<br />

Angebot begeistert war, ersche<strong>in</strong>t wenig verw<strong>und</strong>erlich, wenn man sich bewusst macht,<br />

dass das Reisen nach dem Krieg erst allmählich wie<strong>der</strong> möglich wurde. Während <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

zweiten Jahrzehnthälfte von deutschen Touristen <strong>in</strong>- <strong>und</strong> ausländische Reiseziele bereits<br />

wie<strong>der</strong> häufig besucht wurden, waren Auslandsfahrten zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1950er-Jahre für<br />

viele Menschen noch die Ausnahme. Zwar entfielen die Reisebeschränkungen, die<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit die Mobilität <strong>der</strong> Bevölkerung e<strong>in</strong>geengt hatten. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

hemmten, wie BURCHARDT betont, Faktoren wie Geld- <strong>und</strong> Devisenmangel o<strong>der</strong> das<br />

schlechte Image, das die Deutschen aufgr<strong>und</strong> ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit<br />

<strong>in</strong> vielen europäischen Län<strong>der</strong>n hatten, für die <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung <strong>in</strong> den Anfangsjahren<br />

<strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik die Reisemöglichkeiten. 1092 Nur wenige junge Deutsche<br />

konnten <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> nationalsozialistischen Bildungspolitik Fremdsprachkenntnisse vorzuweisen,<br />

<strong>und</strong> ihr f<strong>in</strong>anzieller Spielraum war aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> ungünstigen wirtschaftlichen<br />

1087<br />

Im E<strong>in</strong>zelnen handelte es sich um die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften „Literatur“, „Musik“, „Schnitzen <strong>und</strong><br />

Modellieren“, „Zeichnen <strong>und</strong> Malen“, „Architektur <strong>und</strong> Plastik“.<br />

1088<br />

DEUTSCHE BODENSEEZEITUNG vom 11.01.1950.<br />

1089<br />

DAS VOLK vom 17.04.1951.<br />

1090<br />

Auf dem Programm standen die Klosterkirche Birnau, das Salemer Münster, Schloss Heiligenberg <strong>und</strong><br />

Überl<strong>in</strong>gen.<br />

1091<br />

W<strong>in</strong>terprogramm des Jugendbildungswerks 1950/51; Privatarchiv R. Kutscha.<br />

1092<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 428.


282 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

Situation <strong>der</strong> frühen 1950er-Jahre begrenzt. Für die meisten Jugendlichen blieb daher,<br />

sofern sie überhaupt reisten, nur die Möglichkeit, auf althergebrachte, aus <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>vogelbewegung<br />

stammende Formen des Jugendwan<strong>der</strong>ns zurückzugreifen.<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> großen Nachfrage <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage e<strong>in</strong>er neuen Organisationsstruktur<br />

begann das Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungswerk das Fahrtenwesen seit Mitte des<br />

Jahrzehnts merklich zu erweitern. Dabei nutzte man die Schulferien an Ostern, Pf<strong>in</strong>gsten<br />

<strong>und</strong> <strong>während</strong> <strong>der</strong> Sommermonate <strong>und</strong> bot Ausflüge o<strong>der</strong> mehrtägige bis mehrwöchige<br />

Fahrten kostengünstig an. E<strong>in</strong>en wichtigen Impuls brachte die E<strong>in</strong>führung des Sommersemesters<br />

ab 1957. Dadurch konnten nun viele Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften ihre <strong>während</strong> des<br />

W<strong>in</strong>terhalbjahrs begonnene Tätigkeit im Sommer fortführen. Während das W<strong>in</strong>tersemester<br />

vor allem durch die Tätigkeit <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel wöchentlich<br />

zusammentrafen, geprägt war, umfasste das Sommerprogramm darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e ganze<br />

Reihe von Son<strong>der</strong>veranstaltungen, die zum Teil <strong>in</strong> Kooperation mit dem Kreisjugendbildungswerk<br />

durchgeführt wurden. Dazu gehörten <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die zahlreichen<br />

Ausflüge <strong>und</strong> Fahrten sowie die Treffen des S<strong>in</strong>gkreises Ulli Ulner. 1093<br />

Nachdem schon zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1950er-Jahre erste Sommerveranstaltungen <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung mit dem Kreisjugendbildungswerk im Angebot waren, erschien 1957 erstmals<br />

e<strong>in</strong> eigenes gedrucktes Programm für das Sommerhalbjahr. 1094 Am Ende des Jahrzehnts<br />

bestanden über 80 Prozent aller Veranstaltungen im Sommersemester aus Exkursionen<br />

<strong>und</strong> Reisen. Die Reiseziele weisen auf e<strong>in</strong> recht hohes Maß an Mobilität h<strong>in</strong>. Zwar führten<br />

die meisten Fahrten <strong>in</strong>s nahe o<strong>der</strong> weitere Umland (Bodensee, Voralpen <strong>und</strong> Alpenland,<br />

Schwarzwald etc.); neben diesen heimatk<strong>und</strong>lichen Fahrten wurden aber bereits etliche<br />

e<strong>in</strong>- bis mehrwöchige Reisen zu Fernzielen angeboten. Diese führten dem Semesterprogramm<br />

von 1958 zufolge unter an<strong>der</strong>em nach Frankreich, England, Griechenland, Italien,<br />

Österreich o<strong>der</strong> zur Weltausstellung nach Brüssel. 1095<br />

In die Kategorie Son<strong>der</strong>veranstaltungen fallen zudem Konzerte, Theateraufführungen<br />

<strong>und</strong> Werksbesichtigungen, welche im Rahmen <strong>der</strong> Programmgestaltung ebenfalls im<br />

Verlauf des Jahrzehnts immer größere Bedeutung gewannen. Als ursächlich für die wachsende<br />

Nachfrage nach E<strong>in</strong>zelveranstaltungen können allgeme<strong>in</strong>e gesellschaftliche Tendenzen,<br />

die bereits angesprochen wurden, gelten. So fühlte sich offenbar die sogenannte<br />

„b<strong>in</strong>dungslose Jugend“, die ke<strong>in</strong>e längerfristige Verpflichtung für e<strong>in</strong>en Kurs e<strong>in</strong>gehen<br />

wollte, von solchen punktuell durchgeführten Projekten beson<strong>der</strong>s angesprochen.<br />

Während die Jugendlichen, die e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nvollen Freizeitbeschäftigung nachzugehen<br />

wünschten, <strong>in</strong> <strong>der</strong> frühen Nachkriegsphase e<strong>in</strong>zig zwischen dem eher temporären Angebot<br />

des Jugendbildungswerks o<strong>der</strong> <strong>der</strong> auf Langfristigkeit angelegten Mitgliedschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Jugendverband wählen konnten, betraf die Entscheidung darüber, ob sich e<strong>in</strong> Jugendlicher<br />

1093<br />

Vgl. etwa die Berichte über das Adventss<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> Radolfzell, SÜDKURIER vom 09.12.1958 o<strong>der</strong> das<br />

Frühl<strong>in</strong>gslie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen, SÜDKURIER vom 07.05.1958.<br />

1094<br />

Sommerprogramme des Jugendbildungswerks 1957 ff.; Privatarchiv R. Kutscha; SÜDKURIER vom<br />

30.04.1953 sowie vom 18.04.1957.<br />

1095<br />

Sommerprogramm des Jugendbildungswerks 1958; Privatarchiv R. Kutscha.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 283<br />

sachbezogen <strong>und</strong> längerfristig engagieren wollte, somit im Verlauf <strong>der</strong> 1950er-Jahre<br />

zusätzlich die <strong>in</strong>terne Arbeit des Jugendbildungswerks.<br />

Im Rahmen des Ausbaus von E<strong>in</strong>zelveranstaltungen <strong>und</strong> <strong>der</strong> zunehmenden<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung des Angebots setzte das Jugendbildungswerk als e<strong>in</strong> weiteres Novum <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Veranstaltungsplanung im Laufe des Jahrzehnts auf e<strong>in</strong>e Kooperation mit unterschiedlichen<br />

Partnern aus Kunst, Kultur <strong>und</strong> Geschäftswelt. So hatten beispielsweise die<br />

Teilnehmer <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft KfZ-Technik durch die Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>er örtlichen<br />

Fahrschule <strong>und</strong> dem Autohaus Fürstenberg die Möglichkeit, im Anschluss an den<br />

Kurs ihren Führersche<strong>in</strong> zu erwerben. 1096 Paradigmatisch für diese <strong>Entwicklung</strong> stehen<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Jugends<strong>in</strong>foniekonzerte, die das Jugendbildungswerk zusammen mit dem<br />

„Städtischen Orchester“, dem späteren „Bodensee-Symphonie-Orchester“ 1097 , erstmals<br />

Anfang 1953 durchführte. Die Konzerte fanden zwei- bis dreimal jährlich <strong>während</strong> <strong>der</strong><br />

W<strong>in</strong>termonate im Rahmen <strong>der</strong> Spielzeit des Orchesters statt. Sie standen jeweils unter dem<br />

Motto e<strong>in</strong>zelner musikgeschichtlicher Epochen, wobei vorzugsweise Klassik <strong>und</strong> Romantik<br />

gespielt wurden. Die Veranstaltungsreihe verfolgte das Ziel, jungen Menschen e<strong>in</strong>en<br />

Komponisten <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Werk vertraut zu machen. Um diesen musikerzieherischen Anspruch<br />

zu verwirklichen, g<strong>in</strong>gen jedem Konzert e<strong>in</strong>leitende Erklärungen des <strong>Konstanz</strong>er<br />

Musikkritikers Karl Gerhard Buzengeiger voraus. Die Veranstaltung, die im oberen<br />

Konzilsaal stattfand, stieß anfangs auf große Resonanz. 1098 Zeitweise zählten die Konzertreihen<br />

bis zu 1.000 Gäste. 1099 Die hohen Besucherzahlen wurden e<strong>in</strong>erseits durch die enge<br />

Zusammenarbeit mit den Schulen erreicht, die ebenso wie die Stadtverwaltung <strong>in</strong> das<br />

Projekt e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en waren. An<strong>der</strong>erseits waren die Veranstaltungen ebenso beim älteren<br />

Publikum sehr beliebt, zumal viele Eltern <strong>und</strong> Verwandte im Publikum vertreten waren,<br />

<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong> als Solisten mitwirkten.<br />

Die Kooperation <strong>und</strong> Zusammenarbeit des Jugendbildungswerks mit an<strong>der</strong>en Institutionen<br />

aus <strong>der</strong> örtlichen Kunstszene sowie <strong>der</strong> Musik- <strong>und</strong> Geschäftswelt hatte nicht<br />

zuletzt e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Werbeeffekt für beide Partner. Diese <strong>Entwicklung</strong> korrespondierte<br />

mit <strong>der</strong> Tatsache, dass die öffentlichkeitswirksame Präsentation <strong>der</strong> Arbeit des<br />

Jugendbildungswerks <strong>in</strong>sgesamt im Beobachtungszeitraum immer mehr an Bedeutung<br />

gewann. Schon seit se<strong>in</strong>em Bestehen nahm das Jugendbildungswerk stets die Gelegenheit<br />

wahr, um öffentlich auf die Betätigungen e<strong>in</strong>zelner Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften o<strong>der</strong> das<br />

Wirken <strong>der</strong> Institution aufmerksam zu machen. So beteiligte man sich an wichtigen<br />

Jugendveranstaltungen wie <strong>der</strong> E<strong>in</strong>weihung des neuen Jugendhauses, den Jugendschutzwochen,<br />

<strong>der</strong> Jugendfilmwoche o<strong>der</strong> den diversen Jugendbuchausstellungen, <strong>in</strong>dem diese<br />

musikalisch etwa vom Handharmonika-Orchester, dem Gitarrenkreis <strong>und</strong> dem S<strong>in</strong>gkreis<br />

1096 SÜDKURIER vom 05.01.1954.<br />

1097 Das 1932 gegründete Städtische Orchester stand seit April 1950 unter <strong>der</strong> Leitung von Dr. Richard<br />

Treiber. 1962 wurde es <strong>in</strong> Bodensee-Symphonie-Orchester (BSO), 1989 offiziell <strong>in</strong> Südwestdeutsche<br />

Philharmonie umbenannt, nachdem letztere Bezeichnung schon seit 1964 für Engagements im Ausland<br />

gebräuchlich war. Zur Nachkriegsgeschichte: WELSCH, Kulturpolitik, S. 88 <strong>und</strong> 93; Daten nach<br />

http://www.konstanz.de/philharmonie [Stand 02.12.2004].<br />

1098 SÜDKURIER vom 26.03.1953, 20.02.1953, 28.02.1953, 28.10.1954, 11.12.1954, 28.10.1954, 17.03.1955<br />

02.12.1956 <strong>und</strong> 05.12.1958.<br />

1099 SÜDKURIER vom 28.02.1953.


284 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

umrahmt wurden, o<strong>der</strong> führte öffentlichkeitswirksame Aktionen durch. E<strong>in</strong>e solche bildete<br />

e<strong>in</strong>e Werkschau im Jahr 1950 1100 , bei <strong>der</strong> Näh-, Bastel- <strong>und</strong> Werkarbeiten, die im Verlauf<br />

des W<strong>in</strong>tersemesters 1949/50 hergestellt worden waren, gezeigt wurden. Die Hauptattraktion<br />

bildete die große Modelleisenbahn, welche die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft für<br />

Eisenbahn-Modellbau beigesteuert hatte. Dass die Waggons aus Konservendosenblechen,<br />

Holz <strong>und</strong> Pappe hergestellt worden waren, verweist darauf, dass das Jugendbildungswerk<br />

trotz erster Verbesserungen im H<strong>in</strong>blick auf die materielle Ausstattung noch zu Beg<strong>in</strong>n<br />

<strong>der</strong> 1950er-Jahre mit zahlreichen Relikten aus <strong>der</strong> Nachkriegszeit, darunter dem Materialmangel,<br />

zu kämpfen hatte. Selbst wenn Werkzeuge <strong>und</strong> Bastelmaterial <strong>in</strong>zwischen im<br />

Gegensatz zur unmittelbaren Nachkriegsphase ausreichend vorhanden waren, standen<br />

diese Utensilien längst nicht im Überfluss zur Verfügung. E<strong>in</strong> sorgsamer Umgang mit<br />

Materialien <strong>und</strong> die Wie<strong>der</strong>verwendung von Rohstoffen waren daher <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

offensichtlich aufgr<strong>und</strong> des Mangels selbstverständlich. Veranstaltungen wie diese dienten<br />

dazu, <strong>der</strong> Öffentlichkeit E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> das Schaffen <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften zu<br />

zeigen, um auf diese Weise neue Teilnehmer zu werben. Im Laufe des Jahrzehnts wurden<br />

die Werbemaßnahmen <strong>in</strong>tensiviert <strong>und</strong> neue Interessengruppen geworben. Zu neuen<br />

Zielgruppen entwickelten sich beispielsweise e<strong>in</strong>erseits die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, an<strong>der</strong>seits die<br />

Hausfrauen. So wurde das Programm auf die Bereiche Hauswirtschaft, Säugl<strong>in</strong>gs- <strong>und</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>pflege, K<strong>in</strong><strong>der</strong>zeichnen <strong>und</strong> Basteln spürbar ausgeweitet. 1101<br />

E<strong>in</strong> probates Mittel, um die Öffentlichkeit über das Schaffen des Bildungswerks zu<br />

<strong>in</strong>formieren, stellte die Präsentation des W<strong>in</strong>terprogramms im Rahmen e<strong>in</strong>er öffentlichen<br />

Feierst<strong>und</strong>e dar, <strong>der</strong> stets Vertreter aus dem politischen <strong>und</strong> kulturellen Leben <strong>der</strong> Stadt<br />

beiwohnten. Zur alljährlichen Programmvorstellung im Bürgersaal gehörten üblicherweise<br />

Ansprachen des Oberbürgermeisters, des Jugendbildungswerksleiters sowie Darbietungen<br />

<strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften Volkstanz, Akkordeon, Blockflöten, Gitarren- <strong>und</strong> S<strong>in</strong>gkreis,<br />

Theater-AG <strong>und</strong> Streichorchester. 1102<br />

Nicht zuletzt trug die Lokalpresse <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er ausführlichen Berichterstattung über<br />

die Aktivitäten des Bildungswerks entscheidend zum Bekanntheitsgrad <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung<br />

bei. Zahlreiche Pressemitteilungen <strong>und</strong> Eigenberichte vonseiten <strong>der</strong> Abteilung für Jugendpflege<br />

<strong>und</strong> Jugendbildung r<strong>und</strong>en das Bild e<strong>in</strong>er mo<strong>der</strong>n anmutenden <strong>und</strong> professionell<br />

gelenkten Öffentlichkeitsarbeit ab, die für die Arbeit des Jugendbildungswerkes <strong>in</strong> den<br />

1950er-Jahren zur Selbstverständlichkeit wurde.<br />

Der Erfolg <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung wurde darüber h<strong>in</strong>aus durch das engagierte Mitarbeiterteam<br />

garantiert. Obwohl das ideelle Engagement sowie <strong>der</strong> Zeitaufwand e<strong>in</strong>es Kursleiters<br />

nicht <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang mit <strong>der</strong> materiellen Entlohnung standen, gelang es dem Leiter des<br />

Bildungswerks, Rudolf Kutscha, stets, Fachleute für diese Aufgabe zu gew<strong>in</strong>nen, <strong>der</strong>en<br />

Themen auf breites Interesse stießen <strong>und</strong> an die neuen Gegebenheiten <strong>in</strong> Industrie <strong>und</strong><br />

1100 SÜDKURIER vom 08.07.1950.<br />

1101 Das geht aus den Programmen des Jungendbildungswerks 1950 ff., Privatarchiv R. Kutscha, sowie aus<br />

diversen Berichten des SÜDKURIER hervor; vgl. dazu etwa den Bericht vom 24.10.1958, „Vom Schach<br />

bis zur Säugl<strong>in</strong>gspflege“, <strong>in</strong> dem das Programm des W<strong>in</strong>tersemesters 1958/59 vorgestellt wurde.<br />

1102 Vgl. z. B. den Beitrag „Bildung, die man fürs Leben braucht. Oberbürgermeister Knapp eröffnete die<br />

W<strong>in</strong>terarbeit des Jugendbildungswerks“ im SÜDKURIER vom 21.11.1951.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 285<br />

Gesellschaft angepasst waren. Unter den Kursleitern fanden sich Ingenieure, Elektromechaniker,<br />

Techniker, Handarbeitslehrer<strong>in</strong>nen, Grafiker, K<strong>in</strong><strong>der</strong>ärzte <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>schwestern<br />

sowie viele Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, wie Baurat Schwan<br />

o<strong>der</strong> Stadtarchivar Feger. Die Bedeutung, die diese Form des ehrenamtlichen „bürgerlichen<br />

Engagements“, um e<strong>in</strong>en mo<strong>der</strong>nen Ausdruck zu gebrauchen, hatte, wurde durchaus<br />

erkannt. So würdigte Oberbürgermeister Knapp im Vorwort zum Programmheft von<br />

1950/51 die „selbstlose H<strong>in</strong>gabe <strong>der</strong> Lehrkräfte“ 1103 , womit nicht zuletzt die Tatsache umschrieben<br />

ist, dass die Lehrkräfte bis weit <strong>in</strong> die 1950er-Jahre für diese E<strong>in</strong>richtung meist<br />

honorarfrei arbeiteten. Dass den Zeitgenossen diese Ambivalenz, die mit <strong>der</strong> Ausübung<br />

dieser Tätigkeit verb<strong>und</strong>en war, durchaus bewusst war, belegt e<strong>in</strong> Zitat aus <strong>der</strong><br />

SÜDWESTDEUTSCHE[N] RUNDSCHAU 1104 vom Mai 1950, wonach „Dozent am Jugendbildungswerk“<br />

zu se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>erseits bedeute, „Idealist zu se<strong>in</strong>“, an<strong>der</strong>erseits aber „auch jung<br />

bleiben mit Jungen“ heiße.<br />

2.3.3 Organisatorische Verän<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> Krisenzeit 1953/54<br />

Bis Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre behielt das Jugendbildungswerk den Status e<strong>in</strong>er kommunalen<br />

Jugende<strong>in</strong>richtung, bevor es <strong>in</strong> den Jahren 1953 bis 1955 e<strong>in</strong>er ganzen Reihe weitreichen<strong>der</strong><br />

Umstrukturierungsmaßnahmen unterworfen war. 1105 Was den Verlauf <strong>der</strong> geschil<strong>der</strong>ten<br />

<strong>Entwicklung</strong> anbelangt, so g<strong>in</strong>gen 1954 zunächst die Zuständigkeiten von <strong>der</strong> städtischen<br />

Abteilung für Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendpflege, die das Bildungswerk zwischen<br />

1947 <strong>und</strong> 1953 organisatorisch betreut hatte, nach <strong>der</strong>en Auflösung an das Jugendamt<br />

über. 1106 Die Regelung war zunächst für e<strong>in</strong> Jahr vorgesehen. Gleichzeitig stand jedoch<br />

bereits die Frage nach dem Selbstverständnis <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung im Raum. Im Kern g<strong>in</strong>g es<br />

darum zu klären, ob das Jugendbildungswerk nach Ablauf dieser Frist weiterh<strong>in</strong> als<br />

jugendpflegerische E<strong>in</strong>richtung o<strong>der</strong> vorwiegend als kulturelle E<strong>in</strong>richtung def<strong>in</strong>iert<br />

werden sollte. Mit dieser Frage verb<strong>und</strong>en war die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> den kommunalen<br />

Geschäftsverteilungsplan. Als E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> Jugendpflege wäre es weiterh<strong>in</strong> beim<br />

Ressort des Jugendamtes anzusiedeln, als Kulture<strong>in</strong>richtung wäre die Zuordnung zum<br />

Geschäftsbereich des städtischen Kulturausschusses denkbar gewesen. 1107 Letztendlich<br />

wurde jedoch e<strong>in</strong> dritter Weg beschritten, <strong>in</strong>dem die E<strong>in</strong>richtung 1955 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>getragenen<br />

Vere<strong>in</strong> umgewandelt wurde. Als ursächlich für dieses Vorgehen ist e<strong>in</strong>erseits die<br />

Neuregelung des Jugendwohlfahrtsgesetzes im Jahr 1953 zu nennen. An<strong>der</strong>erseits erfolgte<br />

<strong>der</strong> Wandel unter dem Druck verän<strong>der</strong>ter wirtschaftlicher <strong>und</strong> gesellschaftlicher Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

sowie e<strong>in</strong>er spezifisch lokalgeschichtlich geführten Kontroverse, die <strong>in</strong><br />

Stadtratskreisen vor<strong>der</strong>gründig h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Frage über den S<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Zweck des ausge-<br />

1103<br />

Programm des W<strong>in</strong>tersemesters 1950/51; Privatarchiv R. Kutscha.<br />

1104<br />

SÜDWESTDEUTSCHE RUNDSCHAU vom 07.05.1953.<br />

1105<br />

Siehe dazu den Bericht „Jugendbildungswerk wird selbstständig werden“ im SÜDKURIER vom<br />

02.02.1955.<br />

1106<br />

Vgl. den Erlass des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern betr. Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung vom<br />

06.06.1947 Nr. 11124; u. a. KrAK, LRA <strong>Konstanz</strong>, 352.105/I.<br />

1107<br />

SÜDKURIER vom 24.08.1955.


286 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

dehnten Fahrtenprogramms geführt wurde. Letztlich g<strong>in</strong>g es jedoch um den Bildungsauftrag<br />

dieser Jugend<strong>in</strong>stitution. Die Diskussion offenbart, dass sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Hälfte<br />

des Jahrzehnts aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Rahmenbed<strong>in</strong>gungen offenbar bei allem Lob<br />

über die Arbeit des Jugendbildungswerks e<strong>in</strong> ganz erhebliches Konfliktpotenzial<br />

angesammelt hatte, das jetzt im Kontext <strong>der</strong> Neustrukturierung <strong>der</strong> Jugendwohlfahrtspflege<br />

zum Tragen kam. Denn obwohl sich das Jugendbildungswerk <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Hälfte<br />

des Jahrzehnts zu e<strong>in</strong>er anerkannten Bildungse<strong>in</strong>richtung, die weit über <strong>Konstanz</strong> h<strong>in</strong>aus<br />

Anerkennung genoss, etabliert hatte, war die Existenz <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung vor Ort offensichtlich<br />

nicht gänzlich unumstritten.<br />

Die Debatte entlud sich Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre, als das Jugendbildungswerk immer<br />

mehr Ausflüge <strong>und</strong> Fahrten <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Programm aufnahm. Während diese Art <strong>der</strong> Veranstaltung<br />

sehr bald zum Publikumsmagneten avancierte, bestanden zugleich bei e<strong>in</strong>igen<br />

Stadträten erhebliche Ressentiments. 1108 E<strong>in</strong>zelne Mitglie<strong>der</strong> des Stadtrats sprachen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Debatte um den S<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Zweck <strong>der</strong> Fahrten des Jugendbildungswerks gar abschätzig<br />

vom „Reisebüro des Jugendbildungswerks“ o<strong>der</strong> nannten diese Veranstaltungen „organisatorischen<br />

Blöds<strong>in</strong>n“ 1109 . Solch heftigen Reaktionen lagen letztlich gegenläufige Auffassungen<br />

über die Ziele <strong>und</strong> Aufgaben des Jugendbildungswerks sowie unterschiedliche<br />

kommerzielle Interessen zugr<strong>und</strong>e. Während es <strong>der</strong> Leitung des Jugendbildungswerks vor<br />

allem darum g<strong>in</strong>g, die Attraktivität <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung zu steigern <strong>und</strong> diese die Fahrten daher<br />

als Ergänzung zu den Vorträgen bzw. als Anreiz für die Teilnahme an weiteren Kursen als<br />

„unerlässliches B<strong>in</strong>deglied zwischen abgeschlossener <strong>und</strong> kommen<strong>der</strong> W<strong>in</strong>terarbeit“ 1110<br />

betrachtete, waren manche Stadträte mit Blick auf den wachsenden städtischen Zuschussbedarf<br />

<strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung, dass solche Reiseveranstaltungen nicht dem ursprünglichen<br />

Bildungsauftrag dieser E<strong>in</strong>richtung entsprächen.<br />

Im Laufe <strong>der</strong> Diskussion, die zum Teil öffentlich <strong>und</strong> <strong>in</strong> Form zahlreicher Leserbriefe<br />

geführt wurde, setzten sich zahlreiche Sympathisanten <strong>und</strong> Teilnehmer des Jugendbildungswerks<br />

vehement für die Fortführung <strong>der</strong> Fahrten e<strong>in</strong>. Im Juli 1953 brachte die<br />

SÜDWESTDEUTSCHE RUNDSCHAU zum Beispiel e<strong>in</strong>en Bericht e<strong>in</strong>er Teilnehmer<strong>in</strong>, die an<br />

e<strong>in</strong>er mehrtägigen Studienfahrt zu den deutschen Kaiserdomen <strong>und</strong> zum B<strong>und</strong>eshaus nach<br />

Bonn teilgenommen hatte. 1111 Parallel veröffentlichte <strong>der</strong> SÜDKURIER e<strong>in</strong>e Reihe von<br />

Leserzuschriften, die sich mehrheitlich für die Fortführung von Studienfahrten aussprachen,<br />

<strong>der</strong>en „Notwendigkeit“ – wie es hieß – <strong>in</strong> letzter Zeit „von verschiedenen Seiten<br />

stark angezweifelt“ 1112 worden wäre.<br />

Oberbürgermeister Knapp nahm <strong>in</strong> dieser Frage übrigens e<strong>in</strong>e äußerst mo<strong>der</strong>ate<br />

Haltung e<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem er im Gegensatz zu e<strong>in</strong>igen Stimmen aus dem Stadtrat das Fahrtenprogramm<br />

zwar nicht gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>in</strong>frage stellte, jedoch bisweilen die Reiseziele<br />

1108 Vgl. die ausführliche Berichterstattung im SÜDKURIER vom 30.05.1953.<br />

1109 Die beiden hier zitierten Ausdrücke s<strong>in</strong>d Berichten <strong>der</strong> SÜDWESTDEUTSCHEN RUNDSCHAU vom<br />

07.05.1953 sowie e<strong>in</strong>em Leserbrief, <strong>der</strong> im SÜDKURIER vom 02.07.1953 veröffentlicht wurde,<br />

entnommen.<br />

1110 SÜDWESTDEUTSCHE RUNDSCHAU vom 07.05.1953.<br />

1111 SÜDWESTDEUTSCHE RUNDSCHAU vom 09.07.1953.<br />

1112 SÜDKURIER vom 11.06. <strong>und</strong> 02.07.1953.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 287<br />

kritisierte. So vertrat er die Ansicht, dass heimatk<strong>und</strong>liche Fahrten vor weiten Reisen <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Auslandsfahrten Prioritäten hätten. Diese Position korrespondierte mit <strong>der</strong><br />

generellen E<strong>in</strong>stellung, die Franz Knapp e<strong>in</strong>nahm, wenn es um die Programmgestaltung<br />

des Bildungswerks g<strong>in</strong>g. Se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach gehörten nicht „alle ausgefallenen<br />

D<strong>in</strong>ge“ 1113 zum Jugendbildungswerk, so dass e<strong>in</strong>ige Angebote, sofern ke<strong>in</strong> Bezug zur<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> bestehe, „weggelassen werden“ sollten.<br />

2.3.4 Neubeg<strong>in</strong>n 1955 – Das Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungswerk e. V.<br />

Die Debatte, die durch den Streit über das Fahrtenprogramm des Jugendbildungswerks<br />

ausgelöst wurde, mündete schließlich <strong>in</strong> die Überlegung, ob sich das Jugendbildungswerk<br />

vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> des wachsenden Angebots an Jugendangeboten behaupten konnte,<br />

wenn es als städtische E<strong>in</strong>richtung weitergeführt würde <strong>und</strong> <strong>in</strong>wieweit die Programmgestaltung<br />

<strong>der</strong> eher konservativen Haltung <strong>der</strong> Stadtverantwortlichen angepasst werden<br />

müsse. Als sich Ende 1955 <strong>der</strong> Jugendwohlfahrtsausschuss erneut mit <strong>der</strong> Zukunft des<br />

Jugendbildungswerks befasste, wurde erstmals ausführlich über <strong>der</strong>en künftige Privatisierung<br />

nachgedacht. So diskutierte man über Fragen wie den S<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Zweck <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>richtung, das Ausmaß <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung vonseiten <strong>der</strong> Stadt <strong>und</strong> die <strong>in</strong>haltliche<br />

Ausgestaltung des Programms. Der Me<strong>in</strong>ungsaustausch offenbarte zudem, dass sich die<br />

Jugendorganisationen gegenüber dem Jugendbildungswerk als benachteiligt empfanden.<br />

So vertraten e<strong>in</strong>ige Vertreter <strong>der</strong> organisierten <strong>Jugendarbeit</strong> die Ansicht, dass diese<br />

E<strong>in</strong>richtung „von <strong>der</strong> Stadt zu stark bezuschusst“ <strong>und</strong> daher „e<strong>in</strong>e Konkurrenz“ 1114 für sie<br />

darstellen würde. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Neuregelung des Jugendhilferechts <strong>und</strong><br />

verän<strong>der</strong>ter gesellschaftlicher Rahmenbed<strong>in</strong>gungen erhielten offenbar die alten<br />

weltanschaulichen Gegensätze zwischen organisierter <strong>und</strong> freier <strong>Jugendarbeit</strong>, die <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

unmittelbaren Besatzungszeit durch strenge Reglements <strong>der</strong> französischen Militärregierung<br />

überdeckt worden waren, neuen Nährboden. Stadtjugendpfleger Kutscha wies im<br />

Laufe <strong>der</strong> Diskussion zwar darauf h<strong>in</strong>, dass das Jugendbildungswerk vor allem die<br />

nichtorganisierte Jugend ansprechen wollte, sprach sich jedoch gleichzeitig für e<strong>in</strong>e<br />

Auflösung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung als re<strong>in</strong> kommunale Jugend<strong>in</strong>stanz aus. Im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Überlegungen stand dabei die Aussicht, künftig bei <strong>der</strong> Gestaltung des Programms auf<br />

Basis e<strong>in</strong>es Vere<strong>in</strong>s unabhängiger als bislang operieren zu können.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Argument, das für e<strong>in</strong>e Neuausrichtung sprach, erwuchs dem Jugendbildungswerk<br />

aus se<strong>in</strong>er neuen Aufgabe, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er engeren Verknüpfung von Jugend-<br />

<strong>und</strong> Erwachsenenarbeit bestand. Schon seit Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre kooperierten das<br />

örtliche Jugendbildungswerk <strong>und</strong> die Volkshochschule eng mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Während <strong>der</strong><br />

ersten Hälfte des Jahrzehnts g<strong>in</strong>g das Angebot <strong>der</strong> Volkshochschule mehr <strong>und</strong> mehr im<br />

Jugendbildungswerk auf. Insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Sprachenbereich sowie Kurse aus den<br />

Themengebieten Literatur, Kunstgeschichte <strong>und</strong> Musik waren e<strong>in</strong>e ehemalige Domäne <strong>der</strong><br />

Volkshochschule gewesen, die zu Beg<strong>in</strong>n des Jahrzehnts E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> das Programm<br />

1113 Dieses <strong>und</strong> das folgende Zitat entstammen dem SÜDKURIER vom 30.05.1953.<br />

1114 SÜDWESTDEUTSCHE RUNDSCHAU vom 09.07.1953.


288 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

fanden. 1115 Nachdem die <strong>Konstanz</strong>er Volkshochschule als eigenständige Bildungs<strong>in</strong>stitution<br />

aufgehört hatte zu bestehen, sollte nach Wunsch des Trägers <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die<br />

Zielgruppe <strong>der</strong> Erwachsenen stärker als bisher angesprochen werden.<br />

Als Ergebnis dieser Debatten beschloss die Stadt Ende November 1955, das bisherige<br />

städtische Jugendbildungswerk <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Vere<strong>in</strong> umzustrukturieren <strong>und</strong> den Bereich <strong>der</strong><br />

Erwachsenenbildung zu stärken. 1116 Der Hauptgr<strong>und</strong> für die Zusammenlegung <strong>der</strong> beiden<br />

Bildungs<strong>in</strong>stitutionen bestand dar<strong>in</strong>, dass diese als getrennt geführte E<strong>in</strong>richtungen<br />

jeweilig für sich nicht bestehen konnten. Vielleicht erwies sich die E<strong>in</strong>wohnerzahl als zu<br />

ger<strong>in</strong>g, um jeweils genügend potenzielle Interessierte zu b<strong>in</strong>den. Möglicherweise g<strong>in</strong>g es<br />

<strong>der</strong> Stadtverwaltung zudem darum, För<strong>der</strong>mittel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen Bildungse<strong>in</strong>richtung zu<br />

bündeln. Zeitzeuge Rudolf Kutscha, <strong>der</strong> das Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungswerk bzw. die<br />

spätere Volkshochschule <strong>Konstanz</strong> zwischen 1955 <strong>und</strong> 1971 leitete, machte im Rahmen<br />

e<strong>in</strong>er späteren Befragung im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Entstehung dieser Arbeit auf e<strong>in</strong>en<br />

weiteren Aspekt aufmerksam, <strong>der</strong> die damalige Entscheidung mit auf den Weg gebracht<br />

haben dürfte. So begründete er die Zusammenlegung bei<strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtungen damit, dass<br />

Mitte <strong>der</strong> 1950er Jahre e<strong>in</strong>e neue Klientel, die mit dem Jugendbildungswerk erwachsen<br />

geworden wäre, als Zielgruppe <strong>in</strong> zunehmendem Maße an Bedeutung gewonnen hätte,<br />

wodurch die Nachfrage nach weiteren Angeboten im Bereich <strong>der</strong> Erwachsenenbildung<br />

stark angewachsen sei. E<strong>in</strong> Blick auf die Teilnehmerdaten <strong>der</strong> 1950er-Jahre vermag diese<br />

Aussage zu stützen, denn zu Beg<strong>in</strong>n des Jahrzehnts bildeten die 16- bis 20-Jährigen mit<br />

e<strong>in</strong>em Anteil von über 37 Prozent unter den Teilnehmern des Jugendbildungswerks die<br />

größte Gruppe, die Altersklasse <strong>der</strong> über 21 Jahre alten Kursteilnehmer machte immerh<strong>in</strong><br />

noch e<strong>in</strong>en Anteil von mehr als 27 Prozent aus 1117 . Diese Klientel erreichte zur Mitte des<br />

Jahrzehnts das Erwachsenenalter <strong>und</strong> wechselte <strong>in</strong> die Erwachsenenbildungskurse <strong>der</strong><br />

Volkshochschule über.<br />

Die Vere<strong>in</strong>igung des städtischen Jugendbildungswerks <strong>Konstanz</strong> mit <strong>der</strong> Volkshochschule<br />

vollzog sich <strong>in</strong> mehreren Etappen. Ende 1955 wurden beide Bildungse<strong>in</strong>richtungen<br />

unter e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Leitung zu e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>heitlichen rechtlichen Gebilde zusammengefasst<br />

<strong>und</strong> künftig als Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungswerk e. V. weitergeführt. Der Kurs des<br />

Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungswerks wurde seither durch e<strong>in</strong> Kuratorium bestimmt. An dessen<br />

Spitze stand anfangs <strong>der</strong> spätere Oberbürgermeister Dr. Bruno Helmle 1118 , dem 1959<br />

<strong>der</strong> Prokurist Ludwig Hetges als Vorsitzen<strong>der</strong> im Amt nachfolgte 1119 . Des Weiteren setzte<br />

sich <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong> satzungsgemäß aus e<strong>in</strong>em geschäftsführenden Ausschuss <strong>und</strong> <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>versammlung<br />

zusammen. Die Stadtverwaltung unterstützte das Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungswerk<br />

weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht. Zum e<strong>in</strong>en verblieb die Geschäftsführung <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Hand Rudolf Kutschas, <strong>der</strong> weiterh<strong>in</strong> als städtischer Angestellter geführt wurde,<br />

1115<br />

Programm des W<strong>in</strong>tersemesters 1950/51; Privatarchiv R. Kutscha, sowie <strong>der</strong> Bericht im SÜDKURIER<br />

vom 12.01.1956.<br />

1116<br />

„Das Jugendbildungswerk wird selbstständig“; SÜDKURIER vom 20.11.1954; SCHMIDT-LIEBICH,<br />

Volkshochschule, S. 21-23.<br />

1117<br />

Quelle: SCHWARZWÄLDER-POST/BODENSEEPOST vom 19.08.1950.<br />

1118 SÜDKURIER vom 30.11.1955.<br />

1119 SCHMIDT-LIEBICH, Volkshochschule, S. 21.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 289<br />

sodass die Personalkosten durch den städtischen Haushalt abgedeckt waren. Zum an<strong>der</strong>en<br />

lief die materielle Unterstützung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung im Wesentlichen über städtische<br />

Zuschüsse, die durch Mitgliedsbeiträge <strong>und</strong> freiwillige Spenden ergänzt wurden.<br />

Doch selbst nach <strong>der</strong> Fusion bei<strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtungen herrschte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

offensichtlich noch längere Zeit Unklarheit h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Bezeichnung <strong>und</strong> Funktion<br />

des neuen Gebildes. In <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> 1950er-Jahre ist <strong>in</strong> den Quellen entwe<strong>der</strong><br />

von e<strong>in</strong>em Jugendbildungswerk o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Volksbildungswerk sowie vom Jugend- <strong>und</strong><br />

Volksbildungswerk die Rede. Erst <strong>in</strong> den 1960er-Jahren setzte sich die alle<strong>in</strong>ige Bezeichnung<br />

„Volkshochschule <strong>Konstanz</strong>“ durch.<br />

Neben <strong>der</strong> organisatorischen Verän<strong>der</strong>ung ergab sich <strong>in</strong> räumlicher H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong><br />

Wechsel. So war das Jugendbildungswerk traditionell seit se<strong>in</strong>er Gründung <strong>in</strong> früher<br />

Nachkriegszeit h<strong>in</strong>sichtlich se<strong>in</strong>er Raumnutzung eng mit dem Jugendhaus verb<strong>und</strong>en.<br />

Unter an<strong>der</strong>em nutze es die Räume des Jugendhauses <strong>in</strong>tensiv für die Durchführung von<br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften. Dieser Konnex hatte zur Folge, dass die gestalterischen Möglichkeiten<br />

an die jeweiligen räumlichen Verhältnisse angepasst werden mussten. Die Probleme<br />

des Jugendhauses bee<strong>in</strong>flussten somit die Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich <strong>der</strong><br />

Jugendbildung. Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te die Raumnot des Jugendhauses bis Mitte des Jahrzehnts die<br />

Arbeit des Jugendbildungswerks, so profitierte die E<strong>in</strong>richtung seit 1954 vom Neubau des<br />

Jugendhauses <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erweiterung von Schulräumen. Die Kooperation von Jugendhaus<br />

<strong>und</strong> Jugendbildungswerk wurde nach dem Neubau des Hauses Raiteberg <strong>und</strong> <strong>der</strong> Umwandlung<br />

des Bildungswerks <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Vere<strong>in</strong> weiter aufrechterhalten. So zog die Geschäftsstelle<br />

des Jugendbildungswerks zunächst <strong>in</strong>s neue Jugendhaus. Ab 1958 wurde mit<br />

dem Wechsel <strong>in</strong> die Obere Laube <strong>und</strong> schließlich 1966 <strong>in</strong> die Brauneggerstraße auch<br />

räumlich e<strong>in</strong>e Trennung zwischen Stadtjugendpflege <strong>und</strong> dem Bereich Jugend- <strong>und</strong> Volksbildung<br />

vollzogen. Die Verlegung <strong>der</strong> Geschäftsstelle bildete somit letztlich die Konsequenz<br />

aus den organisatorischen Verän<strong>der</strong>ungen, die das Jugendbildungswerk auf se<strong>in</strong>em<br />

Weg von e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong>en Jugendbildungsstätte h<strong>in</strong> zur Erwachsenenbildungs<strong>in</strong>stitution <strong>in</strong> den<br />

1950er- <strong>und</strong> 1960er-Jahren durchlief. 1120<br />

2.3.5 Kulturauftrag <strong>und</strong> Bildungsanspruch<br />

Die Umstrukturierungsmaßnahme ist nicht zuletzt als Reaktion auf gesellschaftliche<br />

Verän<strong>der</strong>ungen zu werten. Während <strong>der</strong> 1950er-Jahre war das Bildungswerk mit <strong>der</strong><br />

wachsenden Konkurrenz an<strong>der</strong>er Anbieter konfrontiert. Zu nennen s<strong>in</strong>d die immer reger<br />

werdende Vere<strong>in</strong>sarbeit, die zunehmenden Veranstaltungen <strong>der</strong> offenen <strong>Jugendarbeit</strong><br />

sowie die Offerten <strong>der</strong> kommerziellen Träger wie K<strong>in</strong>obesitzer o<strong>der</strong> Konzertveranstalter.<br />

Zwar hielt sich die Wettbewerbssituation im Vergleich zu späteren Zeiten <strong>in</strong> Grenzen. So<br />

profitierten beispielsweise Kursangebote zur musikalisch-rhythmischen Erziehung noch<br />

lange Zeit vom Fehlen an<strong>der</strong>er Institutionen, <strong>in</strong> diesem Fall e<strong>in</strong>er städtischen Musikschule,<br />

<strong>der</strong>en Gründung <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> erst <strong>in</strong> die 1980er-Jahre datiert. Dennoch musste das<br />

Jugendbildungswerk, wollte es weiter für se<strong>in</strong> Publikum <strong>in</strong>teressant bleiben, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

1120 SCHMIDT-LIEBICH, Volkshochschule, S. 2-22.


290 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

Programmgestaltung vermehrt auf höhere Ansprüche e<strong>in</strong>er neuen Jugendgeneration, die<br />

im relativen Wohlstand <strong>der</strong> späten 1950er-Jahre aufwuchs, e<strong>in</strong>gehen.<br />

Um dem gesellschaftlichen Wandel zu begegnen, beschritt das Jugendbildungswerk<br />

im Laufe des Jahrzehnts <strong>in</strong>haltlich <strong>und</strong> didaktisch viele neue Wege. Neben <strong>der</strong> erwähnten<br />

Ausweitung <strong>der</strong> Fahrten <strong>und</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelveranstaltungen sowie <strong>in</strong>tensiven Werbeanstrengungen<br />

versuchte man mithilfe e<strong>in</strong>er attraktiven Preisgestaltung <strong>und</strong> zahlreicher Vergünstigungen<br />

möglichst vielen Jugendlichen den Zugang zu e<strong>in</strong>er außerschulischen Bildung zu<br />

ermöglichen. Diese Methode war an sich nicht neu, sie wurde bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren<br />

Nachkriegszeit angewandt, um Jugendliche für das Jugendbildungswerk zu begeistern.<br />

Während es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gründungsphase jedoch noch vor allem darum g<strong>in</strong>g, überhaupt Jugendliche<br />

für das Angebot zu <strong>in</strong>teressieren, verlagerte sich die Werbetätigkeit des Jugendbildungswerks<br />

nach 1949/50 zunehmend auf die Erschließung neuer Zielgruppen über das<br />

bisherige Stammpublikum h<strong>in</strong>aus.<br />

Im Zuge dieser Bemühungen sowie um <strong>der</strong> fortschreitenden Mo<strong>der</strong>nisierung aller<br />

Lebensbereiche Rechnung zu tragen, hielten ab Mitte des Jahrzehnts neue Medien vermehrt<br />

E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die Bildungsarbeit des Jugendbildungswerks. Spätestens <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten<br />

Jahrzehnthälfte waren mediale Darbietungen wie Filmvorführungen, Musik vom Band etc.<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Arbeit des Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungswerks e<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit.<br />

Allen Wandlungen zum Trotz blieben jedoch viele Aspekte, die das Jugendbildungswerk<br />

seit se<strong>in</strong>er Gründung geprägt hatten, bis weit <strong>in</strong> die 1950er-Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> aktuell. So<br />

begriff sich die E<strong>in</strong>richtung wie schon <strong>während</strong> <strong>der</strong> Gründungsphase weiterh<strong>in</strong> als „überparteiliche,<br />

überkonfessionelle Bildungsstätte“, <strong>der</strong>en Bildungsanspruch gegen Ende folgen<strong>der</strong>maßen<br />

lautete:<br />

„[…] für alle Kreise <strong>der</strong> Bevölkerung strebsamen jungen Menschen, aber auch<br />

<strong>in</strong>teressierten Erwachsenen auf allgeme<strong>in</strong> verständlicher Gr<strong>und</strong>lage Bildung <strong>und</strong><br />

Wissen vermitteln <strong>und</strong> durch frohe Geselligkeit zu e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nvollen Gestaltung <strong>der</strong><br />

Freizeit beitragen.“ 1121<br />

Mit diesem Selbstverständnis korrespondierte <strong>der</strong> Fakt, dass das Jugendbildungswerk <strong>in</strong><br />

den 1950er Jahren nach wie vor hauptsächlich e<strong>in</strong> Magnet für Jugendliche war, die ke<strong>in</strong>er<br />

Jugendorganisation angehörten. So waren zwischen 60 bis 80 Prozent <strong>der</strong> Teilnehmer <strong>der</strong><br />

nichtorganisierten Jugend zuzurechnen. 1122 Im Jahr 1951 verteilten sich die Relationen<br />

zum Beispiel wie folgt: Von 1.318 Teilnehmern gehörten 1.106 <strong>der</strong> nichtorganisierten<br />

Jugend an, <strong>während</strong> nur 213 Teilnehmer Mitglied e<strong>in</strong>er Jugendorganisation waren. Alle<strong>in</strong><br />

125 Teilnehmer waren Mitglied <strong>der</strong> Katholischen Jugend, weitere 49 s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Evangelischen<br />

Jugend, 17 <strong>der</strong> Naturfre<strong>und</strong>ejugend <strong>und</strong> 22 den Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>n zuzuordnen.<br />

Zu den Überbleibseln, die das Bildungswerk aus <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit <strong>in</strong><br />

die 1950er übernehm, gehörte das Selbstverständnis als Bildungsstätte für Demokratie. So<br />

bezeichnete Bürgermeister Diesbach im Jahr 1958 die E<strong>in</strong>richtung als „Hochschule <strong>der</strong><br />

1121 Vgl. z. B. das Vorwort im Programmheft für das W<strong>in</strong>tersemester 1958/1959; Privatarchiv R. Kutscha,<br />

siehe auch das folgende Zitat.<br />

1122 Quelle: SÜDKURIER vom 27.06.1951.


VII.2 ANGEBOTE UND EINRICHTUNGEN DER KOMMUNALEN JUGENDPFLEGE 291<br />

Demokratie“ 1123 . Möglicherweise wirkten <strong>in</strong> solchen Äußerungen die Vorstellungen <strong>der</strong><br />

französischen Jugendpolitik weiter nach, wahrsche<strong>in</strong>licher ist jedoch die Annahme, dass<br />

Elemente <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen staatsbürgerlichen Erziehung <strong>in</strong> diesen Anspruch mit e<strong>in</strong>flossen.<br />

Gleichzeitig ist zu vermuten, dass am Ende <strong>der</strong> 1950er-Jahre die Er<strong>in</strong>nerung daran, dass<br />

<strong>der</strong> bildungspolitische Auftrag zur Demokratieerziehung für kommunale Jugend<strong>in</strong>stitutionen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> ehemaligen französischen Zone ursprünglich besatzungspolitische Wurzeln<br />

hatte, im öffentlichen Bewusstse<strong>in</strong> stark verblasst war.<br />

Dass zudem <strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong> Jugendfürsorge <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Hälfte des Jahrzehnts <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Bildungsarbeit noch e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielte, belegt die Tatsache, dass das Jugendbildungswerk<br />

im Jugendhaus e<strong>in</strong>e Hausaufgabenbetreuung anbot, die vor allem „von<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n berufstätiger Mütter, <strong>der</strong>en Väter im Felde geblieben s<strong>in</strong>d“ 1124 , genutzt wurde. .<br />

Während dieses Aufgabengebiet noch sehr an die erste Zeit nach dem Krieg er<strong>in</strong>nert,<br />

rückten <strong>in</strong> späteren Jahren vermehrt e<strong>in</strong>erseits <strong>der</strong> kulturelle <strong>und</strong> schöngeistige Auftrag,<br />

an<strong>der</strong>erseits Aspekte <strong>der</strong> Freizeitgestaltung <strong>und</strong> Entspannung stärker <strong>in</strong> den Blick. Zeitbed<strong>in</strong>gt<br />

rückten zudem Fragen <strong>der</strong> beruflichen Bildung noch stärker als bisher <strong>in</strong> den<br />

Mittelpunkt <strong>der</strong> Programmgestaltung. Doch neben „Fragen des Berufs <strong>und</strong> des materiellen<br />

Lebens“ sollte das Jugendbildungswerk, wie <strong>der</strong> frisch gewählte <strong>Konstanz</strong>er Oberbürgermeister<br />

Helmle 1959 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vorwort zum W<strong>in</strong>terprogramm von 1959/60 schreibt,<br />

immer auch <strong>der</strong> Pflege „<strong>der</strong> nicht messbaren Werte, […] als <strong>in</strong>nerer Ausgleich <strong>und</strong> wertvolle<br />

Bereicherung unseres Dase<strong>in</strong>s dienen“ 1125 . Dessen ungeachtet prägte <strong>der</strong> Gesichtspunkt<br />

<strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung die Diskussion um den Bildungsauftrag <strong>der</strong> Volkshochschulen<br />

<strong>der</strong> Region <strong>in</strong> den 1960er-Jahren, als im Gefolge des weiter fortschreitenden<br />

rapiden technischen Fortschritts die Ausweitung <strong>der</strong> berufsqualifizierenden Kurse mit<br />

anerkannten Abschlüssen <strong>und</strong> Zertifikaten relevant wurde. Zu den exponierten För<strong>der</strong>ern<br />

dieser Richtung gehörte <strong>der</strong> S<strong>in</strong>gener Kulturamtsleiter Dr. Herbert Berner, <strong>der</strong> die Auffassung<br />

vertrat, dass sich die Volkshochschulen <strong>der</strong> Region vor allem auf Veranstaltungen<br />

konzentrieren sollten, die den Erfor<strong>der</strong>nissen <strong>der</strong> Arbeits- <strong>und</strong> Berufswelt angepasst<br />

waren. 1126<br />

Neben den genannten Zielsetzungen war <strong>der</strong> Jugendbildungsarbeit zweifellos immer<br />

e<strong>in</strong>e gesellige Komponente immanent, selbst wenn sich <strong>der</strong>en Ausmaß <strong>und</strong> Bedeutung für<br />

den e<strong>in</strong>zelnen Jugendlichen freilich schwer ermessen lassen. Neben Wissensvermittlung,<br />

den diversen jugendfürsorgerischen <strong>und</strong> jugendpolitischen Zielsetzungen wie s<strong>in</strong>nvolle<br />

Freizeitarbeit, Demokratie- <strong>und</strong> staatsbürgerliche Erziehung war das Jugendbildungswerk<br />

für junge Leute <strong>in</strong> hohem Maße zudem stets e<strong>in</strong> Ort <strong>der</strong> Begegnung.<br />

1123 Programm zum W<strong>in</strong>tersemester 1958/59; Privatarchiv R. Kutscha; Diesbach führte die Amtsgeschäfte <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Übergangsphase nach den umstrittenen Kommunalwahlen 1957 bis zur E<strong>in</strong>setzung von Bürgermeister<br />

Dr. Helmle kommissarisch.<br />

1124 SÜDWESTDEUTSCHE RUNDSCHAU vom 07.05.1953.<br />

1125 Programm zum W<strong>in</strong>tersemester 1959/60; Privatarchiv R. Kutscha.<br />

1126 SCHMIDT-LIEBICH, Volkshochschule, S. 22.


292 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

2.3.6 Regionale Volkshochschule <strong>Konstanz</strong>-S<strong>in</strong>gen e. V.<br />

Die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Jugend- <strong>und</strong> Erwachsenenbildung <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> ist ke<strong>in</strong>eswegs isoliert<br />

zu betrachten. Vielmehr ist sie als Teil e<strong>in</strong>er räumlich weiter gespannten <strong>Entwicklung</strong><br />

aufzufassen. E<strong>in</strong>e parallele <strong>Entwicklung</strong> ist beispielsweise auf Landkreisebene zu beobachten,<br />

wo die Erwachsenenbildung gegenüber <strong>der</strong> Jugendbildung im Untersuchungszeitraum<br />

ebenfalls stärkere Bedeutung im Kontext <strong>der</strong> außerschulischen Bildungsarbeit<br />

gewann. Im Zuge dieser <strong>Entwicklung</strong> wurden etwa <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Radolfzell ab Mitte des<br />

Jahrzehnts die bislang organisatorisch <strong>und</strong> <strong>in</strong>haltlich getrennt vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> geführten<br />

Bereiche Jugend- <strong>und</strong> Erwachsenenbildung stärker koord<strong>in</strong>iert. In Radolfzell wurde zur<br />

Jahreswende 1953/54 e<strong>in</strong>e eigene Volkshochschule gegründet, <strong>während</strong> das Jugendbildungswerk<br />

des Landkreises dort weiterh<strong>in</strong> Kurse anbot. In S<strong>in</strong>gen wurde das Jugendbildungswerk<br />

wenige Monate nach Amtsantritt des neuen Kulturamtsleiters Dr. Herbert<br />

Berner Mitte 1955 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e kommunale Volkshochschule umgewandelt. Im Gefolge <strong>der</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> war das Jugendbildungswerk <strong>Konstanz</strong> ab <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> 1950er-<br />

Jahre im Kreisgebiet nicht mehr flächendeckend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weiterbildungsarbeit tätig.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs kooperierten die genannten E<strong>in</strong>richtungen bisweilen im Bereich <strong>der</strong> Sommerveranstaltungen,<br />

die oftmals an mehreren Orten angeboten wurden. E<strong>in</strong> B<strong>in</strong>deglied stellten<br />

die S<strong>in</strong>gtreffen mit Stationen <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen, Radolfzell, auf <strong>der</strong> Insel Reichenau <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

sowie <strong>in</strong> Überl<strong>in</strong>gen dar.<br />

Während die Zusammenführung <strong>der</strong> Bereiche Jugend- <strong>und</strong> Erwachsenenbildung <strong>in</strong><br />

den drei größten Städten des damaligen Landkreises <strong>Konstanz</strong> zur Mitte des Jahrzehnts<br />

abgeschlossen war, erfolgte diese Maßnahme auf Landkreisebene mit mehr als e<strong>in</strong>em<br />

Jahrzehnt Verzögerung. Mit Beschluss des Kreistags vom 1. Februar 1968 wurde das bisherige<br />

Jugendbildungswerk des Landkreises <strong>in</strong> e<strong>in</strong> „Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungswerk des<br />

Landkreises <strong>Konstanz</strong>“ erweitert. 1127 Die Geschäftsführung wurde dem Kreisjugendamt<br />

zugewiesen. Ausdrücklich wurde e<strong>in</strong>e enge Zusammenarbeit mit den Volkshochschulen<br />

<strong>und</strong> Volksbildungswerken <strong>der</strong> Städte <strong>Konstanz</strong>, Radolfzell <strong>und</strong> S<strong>in</strong>gen angestrebt. Als<br />

beson<strong>der</strong>e Aufgaben des neuen Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungswerks im Kreis <strong>Konstanz</strong><br />

wurden genannt: die Durchführung von Vorträgen <strong>und</strong> Vortragsreihen, Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften,<br />

Jugendfilmarbeit <strong>und</strong> -dienst, Büchereiwesen, musische Bildung (S<strong>in</strong>gtreffen,<br />

Musikkurse, Werkkurse, Tanzkurse), Fahrten <strong>und</strong> Lager, Jugendsporttage, För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

freien Jugendgruppenarbeit. Zu diesem Zeitpunkt war die Diskussion um die Gründung<br />

e<strong>in</strong>er regionalen Volkshochschule im Kreisgebiet <strong>Konstanz</strong> allerd<strong>in</strong>gs bereits im Gang.<br />

Treibende Kraft dieser <strong>Entwicklung</strong> war wie<strong>der</strong>um <strong>der</strong> S<strong>in</strong>gener Kulturamtschef Herbert<br />

Berner, <strong>der</strong> SCHMIDT-LIEBICH zufolge als „Motor <strong>der</strong> RVHS“ 1128 bezeichnet werden kann.<br />

Neben <strong>in</strong>haltlichen Erwägungen trugen Faktoren wie vor allem die bevorstehende Kreisreform<br />

<strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>ene <strong>in</strong>haltliche Diskussionen etwa über Stellung, Aufgaben <strong>und</strong><br />

F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong> Erwachsenenbildung zur Umbildung bei.<br />

1127 GÖTZ, Landkreis <strong>Konstanz</strong>, S. 123.<br />

1128 Berner setzte sich Ende <strong>der</strong> 1960er-Jahre für e<strong>in</strong>e überlokal strukturierte <strong>und</strong> berufsorientierte<br />

Volkshochschule e<strong>in</strong>; ausführlich dargestellt bei: SCHMIDT-LIEBICH, Volkshochschule, S. 25 f.


VII.3 NEUE FORMEN UND THEMEN DER JUGENDARBEIT 293<br />

Zum 1. Januar 1972 wurde als Zusammenschluss aus den bisherigen Volkshochschulen<br />

S<strong>in</strong>gen sowie des Landkreises <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong> die „Regionale Volkshochschule<br />

<strong>Konstanz</strong>-S<strong>in</strong>gen e. V.“ <strong>in</strong>s Leben gerufen. 1129 Rudolf Kutscha fungierte bis Herbst<br />

1973 als Geschäftsführer <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> blieb nach se<strong>in</strong>er Pensionierung <strong>der</strong> Bildungsarbeit<br />

im Rahmen <strong>der</strong> Volkshochschule Radolfzell sowie dem S<strong>in</strong>gkreis Ulli Ulner, an<br />

dessen Gründung er maßgeblich beteiligt war, verb<strong>und</strong>en. 1130<br />

3 Neue Formen <strong>und</strong> Themen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

3.1 Veranstaltungen <strong>der</strong> Stadtjugendpflege<br />

Im Laufe <strong>der</strong> 1950er-Jahre unterlag die örtliche <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong>em Wandel, <strong>der</strong> dadurch<br />

geprägt war, dass sich etliche Strukturen, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> direkten Besatzungszeit entstanden<br />

waren, unter den verän<strong>der</strong>ten gesellschaftlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Voraussetzungen als<br />

kaum mehr tragfähig erwiesen. In <strong>der</strong> Folge sahen sich Jugendverbände <strong>und</strong> kommunale<br />

E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> Jugendpflege gleichermaßen gezwungen, sich mit neuen Fragen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich ihres erzieherischen Auftrags <strong>und</strong> ihrer Eigenschaft als Sozialisations<strong>in</strong>stanzen<br />

für die junge Generation kritisch ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen. Sofern ke<strong>in</strong> Umdenken erkennbar<br />

war, blieb die Jugend fern, zumal es gegen Ende des Jahrzehnts h<strong>in</strong>reichend Freizeitangebote<br />

<strong>und</strong> Zerstreuungsmöglichkeiten für diese Zielgruppe <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> gab.<br />

Die <strong>Entwicklung</strong> erwies sich nicht für alle Bereiche <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> von<br />

Nachteil. Während die traditionellen Formen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> gegen Ende des Jahrzehnts<br />

E<strong>in</strong>bußen verzeichneten, erlangten an<strong>der</strong>e Formen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong>en enormen<br />

Bedeutungszuwachs. Hervorzuheben ist <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Arbeit <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Stadtjugendpflege.<br />

Das Zentrum dieser neuen Ausdruckform <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen städtischen <strong>Jugendarbeit</strong>,<br />

die ab Mitte des Jahrzehnts immer stärkere Bedeutung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> örtlichen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> erlangte, war das Jugendhaus Raiteberg. Hier traf sich die Jugend <strong>der</strong> späten<br />

1950er- <strong>und</strong> 1960er-Jahre <strong>in</strong> geselliger R<strong>und</strong>e o<strong>der</strong> nahm die Angebote aus den Bereichen<br />

Kultur, Bildung <strong>und</strong> Unterhaltung wahr, <strong>der</strong>en Fülle an dieser Stelle lediglich angedeutet<br />

werden kann. Das neue Angebot unterschied sich von den älteren Veranstaltungsarten, die<br />

<strong>in</strong> ihrer <strong>in</strong>haltlichen <strong>und</strong> formalen Ausrichtung noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit<br />

verhaftet blieben, durch offenere Formen <strong>der</strong> Gruppenarbeit wie Sport, Kochen, Basteln,<br />

Werken, Filmvorführungen, geme<strong>in</strong>sames Fernsehen, Tanzabende, Kulturveranstaltungen<br />

etc.. Neben <strong>der</strong> Kultur- <strong>und</strong> Jugendfreizeitarbeit widmete sich die Stadtjugendpflege<br />

überdies dem Thema Jugendschutz sowie dem Bereich <strong>der</strong> politischen Bildungsarbeit.<br />

1129<br />

Zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> regionalen Volkshochschule <strong>Konstanz</strong>-S<strong>in</strong>gen e.V. vgl. SCHMIDT-LIEBICH, Volkshochschule,<br />

S. 27 f.<br />

1130<br />

Lebenslauf R. Kutscha; Privatarchiv R. Kutscha, sowie mündliche Auskunft von Rudolf Kutscha vom<br />

19.10.1999.


294 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

3.2 Politische Bildungsarbeit <strong>und</strong> Staatsbürgerk<strong>und</strong>e<br />

In <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> 1950er-Jahre wurde allgeme<strong>in</strong> <strong>in</strong> Westdeutschland <strong>der</strong> Aspekt<br />

<strong>der</strong> politischen Bildungsarbeit e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> Staatsbürgerk<strong>und</strong>e <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

<strong>in</strong>tensiviert. Ziel dieser Maßnahme war es, das politische Interesse <strong>der</strong> Jugend zu<br />

wecken <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Kenntnisse auf den Gebieten Recht <strong>und</strong> Politik zu för<strong>der</strong>n. Diese<br />

Tendenz fand auch <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> ihren Nie<strong>der</strong>schlag, wobei hier die Initiative <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

von <strong>der</strong> Stadtverwaltung, den politischen Parteien, den Jugendorganisationen <strong>und</strong> Jugend<strong>in</strong>stitutionen<br />

sowie den örtlichen Kultur- <strong>und</strong> Bildungsträgern ausg<strong>in</strong>g.<br />

Schon frühzeitig wurde <strong>der</strong> „B<strong>und</strong> <strong>der</strong> Katholischen Jugend“ <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Erzdiözese<br />

Freiburg auf diesem Gebiet aktiv. Bereits im Frühjahr 1950 führte <strong>der</strong> Verband e<strong>in</strong>e<br />

Jugendwoche mit 1.100 Teilnehmenden aus Baden <strong>und</strong> Württemberg-Hohernzollern mit<br />

dem Ziel durch, die Jugend zur politischen Mitarbeit zu animieren. Unmittelbar im<br />

Anschluss veranstaltete die Katholische Jugend <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong> Jugendforum im Bürgersaal<br />

durch. Dabei handelte es sich um e<strong>in</strong>en Ausspracheabend, zu dem Vertreter des<br />

öffentlichen Lebens aus den Bereichen Stadtverwaltung, Landratsamt, Arbeitsamt, Sport,<br />

Gewerkschaften etc. geladen worden waren, um mit <strong>der</strong> Jugend über lokalpolitische<br />

Themen, darunter Wohnungsbau, Wohnungsplanung, Jugendbildung, Jugendbewegung,<br />

Zelt- <strong>und</strong> Sportplätze zu diskutieren. 1131<br />

Auch das Jugendbildungswerk reagierte auf die neue Zeitströmung <strong>und</strong> bot ab dem<br />

W<strong>in</strong>tersemester 1957/58 e<strong>in</strong>e Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft „Politik <strong>und</strong> Recht“ an, die ebenfalls <strong>in</strong><br />

Form von Diskussionsabenden geführt wurde, bei denen Männer des öffentlichen Lebens<br />

<strong>in</strong>teressierten Jugendlichen Auskunft über politische <strong>und</strong> rechtliche Fragen gaben. 1132 Auf<br />

dem Programm standen unter an<strong>der</strong>em Vorträge zum Thema „Staatsbürgerliche Rechte<br />

<strong>und</strong> Pflichten“, zur Tätigkeit <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Geme<strong>in</strong>devertretung sowie über die deutsche<br />

Teilung <strong>und</strong> Politik <strong>in</strong> beiden deutschen Staaten. 1133 Als Referenten hatte man unter<br />

an<strong>der</strong>en Franz Göpfrich, den früheren Jugendbeauftragten des Landkreises <strong>Konstanz</strong><br />

sowie Herbert Scheffler, den damaligen Vorsitzenden des baden-württembergischen<br />

Landesjugendr<strong>in</strong>gs, geladen. 1134<br />

Regelmäßig führten zudem die Nachwuchsorganisationen <strong>der</strong> Parteien Informationsveranstaltungen<br />

zu bestimmten politischen Themenstellungen durch; diese bezogen sich<br />

meist auf konkrete politische Anlässe o<strong>der</strong> Gesetzesän<strong>der</strong>ungen. E<strong>in</strong> Beispiel ist die E<strong>in</strong>führung<br />

<strong>der</strong> neuen baden-württembergischen Geme<strong>in</strong>deordnung zum 1. Oktober 1956.<br />

Zeitnah führten die Junge Union, die Jungsozialisten <strong>und</strong> die Jungliberalen e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />

Informationsveranstaltung, die sich unter an<strong>der</strong>em mit Detailfragen zur Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>ats-<br />

<strong>und</strong> Bürgerausschussverfassung befasste, im Vorfeld <strong>der</strong> Verabschiedung durch. 1135<br />

1131 Ankündigung im SÜDKURIER vom 09.05.1950.<br />

1132 SÜDKURIER vom 05.03.1957 <strong>und</strong> 24.10.1958.<br />

1133 SÜDKURIER vom 06.12.1958.<br />

1134 SÜDKURIER vom 23.05.1956.<br />

1135 SÜDKURIER vom 24.04.1956.


VII.3 NEUE FORMEN UND THEMEN DER JUGENDARBEIT 295<br />

Im Rahmen e<strong>in</strong>er Probeabstimmung sprach sich e<strong>in</strong>e deutliche Mehrheit <strong>der</strong> Jugend für<br />

die E<strong>in</strong>führung des Bürgerausschusses, <strong>der</strong> am 11. November 1956 erstmals gewählt<br />

wurde, aus. 1136<br />

3.3 Jungbürgerfeiern<br />

In den Kontext <strong>der</strong> staatsbürgerk<strong>und</strong>lich orientierten Veranstaltungen fügen sich die<br />

Jungbürgerfeiern, bei denen die volljährig gewordenen Jugendlichen offiziell <strong>in</strong> den Kreis<br />

<strong>der</strong> wahlberechtigten mündigen Bürger aufgenommen wurden, e<strong>in</strong>. Die erste Jungbürgerfeier<br />

fand 1957 erstmals auf Initiative <strong>der</strong> Stadtverwaltung im Stadttheater <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

statt. 1137 Seither trafen e<strong>in</strong>mal im Jahr führende Köpfe <strong>der</strong> Stadtverwaltung mit den<br />

21-jährigen Bürgern, denen im jeweiligen Jahr die Wahlberechtigung verliehen wurde,<br />

zusammen. Die Durchführung oblag neben <strong>der</strong> Stadtverwaltung <strong>der</strong> Bürgerrechtsgesellschaft<br />

im Bodenseegebiet. Nachdem die erste Jungbürgerfeier <strong>in</strong> Deutschland 1951<br />

<strong>in</strong> Frankfurt nach dem Vorbild an<strong>der</strong>er europäischer Län<strong>der</strong> wie <strong>der</strong> Schweiz, Belgien <strong>und</strong><br />

Österreich stattgef<strong>und</strong>en hatte, führten zwischen Hochrhe<strong>in</strong>, Schwarzwald <strong>und</strong> Bodensee<br />

zu diesem Zeitpunkt bereits die Städte Vill<strong>in</strong>gen, L<strong>in</strong>dau, Überl<strong>in</strong>gen, Radolfzell <strong>und</strong><br />

S<strong>in</strong>gen solche Feierlichkeiten für junge Erwachsene durch.<br />

In ihren Anfängen trugen die Feiern den Charakter von politischen Bildungsveranstaltungen,<br />

die dazu dienten, die Vertreter <strong>der</strong> Stadtverwaltung, des öffentlichen Lebens<br />

sowie <strong>der</strong> Parteien kennenzulernen <strong>und</strong> das staatsbürgerliche Bewusstse<strong>in</strong> zu schärfen.<br />

Diesem Gedanken trug <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Jungbürgerbrief, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Stadt Kostanz verliehen<br />

wurde, Rechnung. Se<strong>in</strong>e Verleihung war e<strong>in</strong> fester Bestandteil <strong>der</strong> Jugendbürgerfeiern.<br />

In den Anfangsjahren se<strong>in</strong>er Existenz trug dieses Schriftstück folgenden Wortlaut:<br />

„Sie treten mit Vollendung des 21. Lebensjahres <strong>in</strong> alle politischen Rechte <strong>und</strong><br />

Pflichten e<strong>in</strong>. Aus diesem Anlass nehmen die <strong>Konstanz</strong>er Bürger Sie <strong>in</strong> ihre<br />

Geme<strong>in</strong>schaft auf. Wir bitten Sie, Ihrer Heimatstadt <strong>Konstanz</strong>, dem Lande Baden-<br />

Württemberg <strong>und</strong> <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland stets mit Rat <strong>und</strong> Tat uneigennützig<br />

zu dienen.“ 1138<br />

Die Urk<strong>und</strong>e stand damit ganz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tradition <strong>der</strong> staatsbürgerlichen Jugen<strong>der</strong>ziehung <strong>der</strong><br />

1950er- <strong>und</strong> 1960er-Jahre, die im Wesentlichen an die politische „Leitkultur“ <strong>der</strong> Erwachsenen<br />

angelehnt war. Vermittelt wurden die zentralen Leitl<strong>in</strong>ien <strong>der</strong> offiziellen Regierungspolitik,<br />

wie das Bekenntnis zur westlichen Welt, die soziale Markwirtschaft o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

christlich-konservative Wertekodex. Erst im Gefolge <strong>der</strong> 1968er-Bewegung wurde mit<br />

dieser Tradition gebrochen. In den späten 1950er- <strong>und</strong> frühen 1960er-Jahren tat diese<br />

Ausrichtung <strong>der</strong> Beliebtheit <strong>der</strong> Veranstaltung jedoch noch ke<strong>in</strong>erlei Abbruch. Nachdem<br />

schon die erste Veranstaltung des Jahres 1957 gut ankam, entwickelten sich die Jung-<br />

1136 Zur E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Bürgerausschussverfassung, den Wahlen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zusammensetzung des örtlichen<br />

Bürgerausschusses ab 1956 vgl. BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 263.<br />

1137 SÜDKURIER vom 05.11.1958.<br />

1138 Zitiert nach dem Bericht im SÜDKURIER vom 10.11.1958.


296 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

bürgerfeiern <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> zu e<strong>in</strong>er festen E<strong>in</strong>richtung, die damals von 50 Prozent <strong>der</strong><br />

Jugend besucht wurde. 1139 Zum Vergleich: Die Jungbürgerfeier im November 1999<br />

besuchten lediglich etwas mehr als 18 Prozent <strong>der</strong> 700 geladenen jungen <strong>Konstanz</strong>er<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>er. Somit bleibt als abschließendes Fazit an dieser Stelle festzuhalten, dass<br />

die pauschale Annahme, die damalige Jugend hätte sich für politische Themen nicht<br />

<strong>in</strong>teressiert, zu relativieren ist <strong>und</strong> manche <strong>der</strong> angewandten Methoden, um die Jugend<br />

über ihre Rechte <strong>und</strong> Pflichten als Staatsbürger aufzuklären, offenbar den Zeitgeist traf.<br />

3.4 Die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> NS-Vergangenheit bleibt defizitär<br />

Während sich die politischen Bildungs- <strong>und</strong> Informationsveranstaltungen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

mit <strong>der</strong> jungen Demokratie <strong>und</strong> ihren politischen Institutionen befassten, blieb die<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> nationalsozialistischen Vergangenheit jedoch für längere Zeit<br />

e<strong>in</strong> Tabuthema <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft. In <strong>der</strong> Folge erfuhren viele Jugendliche <strong>in</strong> den ersten<br />

Nachkriegsjahren aus Gründen <strong>der</strong> Scham o<strong>der</strong> aus Gleichgültigkeit kaum etwas über<br />

diese Thematik. Den wohl ersten wichtigen Schritt <strong>in</strong> Richtung Vergangenheitsbewältigung<br />

<strong>und</strong> Information wagte 1957 das Stadttheater, <strong>in</strong>dem es eigens für Jugendliche<br />

das dramaturgisch umgesetzte „Tagebuch <strong>der</strong> Anne Frank“ <strong>in</strong>szenierte. Mit dieser Aufführung<br />

wurde zwölf Jahre nach dem Tod des jüdischen Mädchens deutscher Herkunft im<br />

nie<strong>der</strong>ländischen Exil wohl erstmals <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> das bis dah<strong>in</strong> vorherrschende Schweigen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit über den Holocaust <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Folgen gebrochen 1140 , zumal dieses<br />

Kapitel <strong>der</strong> deutschen Vergangenheit im Geschichtsunterricht nicht auf dem Lehrplan<br />

stand. Lei<strong>der</strong> ist nicht überliefert, wie die Jugend dieses Stück aufnahm. Diese Frage ist<br />

umso <strong>in</strong>teressanter, wenn man die weitreichenden Folgen <strong>und</strong> die Reaktionen auf diese<br />

Inszenierung betrachtet. Denn für das Stadttheater hatte die für die damalige Zeit mutige<br />

dramaturgische Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem Thema Judenverfolgung weiterreichende<br />

Konsequenzen. Ebenso wie das antimilitaristische Stück „Draußen vor <strong>der</strong> Tür“ von<br />

Wolfgang Borchert, das im gleichen Jahr <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> zur Aufführung kam, stieß es beim<br />

überwiegend konservativen Publikum mehrheitlich auf Ablehnung. Die anschließend<br />

äußerst polemisch geführte Debatte provozierte noch im selben Jahr bei den städtischen<br />

Bühnen den Intendantenwechsel von Erich Kreibig zu Theo Stachel. 1141<br />

Die heftigen öffentlichen Reaktionen auf diese beiden Inszenierungen, die <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong> zu beobachten waren, korrespondierten mit <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Stimmung <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

<strong>und</strong> zeugen davon, welche Brisanz das Thema „Nationalsozialismus“ zum<br />

damaligen Zeitpunkt <strong>in</strong> <strong>der</strong> breiten Öffentlichkeit besaß. 1142 Das Thema Vergangenheitsbewältigung<br />

spielte b<strong>und</strong>esweit <strong>in</strong> den 1950er-Jahren kaum e<strong>in</strong>e Rolle. Erst nach dem<br />

Auschwitz-Prozess 1963 <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im Gefolge <strong>der</strong> 1968er-Bewegung begannen<br />

1139 SÜDKURIER vom 15.11.1999.<br />

1140 SÜDKURIER vom 02.02.1957.<br />

1141 Ausführlich dazu BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 454.<br />

1142 Vgl. GARBE, Er<strong>in</strong>nerungsverweigerung, <strong>in</strong>: SCHILDT; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung, S. 693-716.


VII.4 FINANZIELLE AUFWENDUNGEN FÜR JUGENDHILFEEINRICHTUNGEN 297<br />

sich Repräsentanten des öffentlichen Lebens aus Politik, Theater, Publizistik <strong>und</strong> Literatur,<br />

mit <strong>der</strong> deutschen <strong>Geschichte</strong> zwischen 1933 <strong>und</strong> 1945 <strong>in</strong>tensiv ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen.<br />

4 F<strong>in</strong>anzielle Aufwendungen für Jugendhilfee<strong>in</strong>richtungen<br />

vonseiten <strong>der</strong> öffentlichen Hand<br />

Wie schon <strong>in</strong> den Jahren zuvor stellte die Stadtverwaltung für die kommunalen Jugende<strong>in</strong>richtungen<br />

Zuschüsse aus dem städtischen Haushalt bereit. Im Haushaltsentwurf für<br />

das Rechnungsjahr 1955 wurde beispielsweise für den Bereich präventive Jugendpflege<br />

e<strong>in</strong> Zuschussbedarf <strong>in</strong> Höhe von 37.460 DM veranschlagt. Den größten Posten stellte<br />

davon <strong>der</strong> Neubau des Jugendhauses e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> dort <strong>in</strong>tegrierten Jugendherberge<br />

dar, wofür e<strong>in</strong> Aufwand von 27.400 DM veranschlagt wurde. Darüber h<strong>in</strong>aus wurden<br />

weitere jugendpflegerische Posten unterstützt. Unter dem zusammengefassten E<strong>in</strong>zelposten<br />

Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Jugendpflege standen 1955 den E<strong>in</strong>nahmen von 176.480 DM<br />

Ausgaben von 562.830 DM gegenüber, woraus sich e<strong>in</strong> Zuschussbedarf von 386.350 DM<br />

ergab. Aus diesem Bereich, <strong>der</strong> zudem die Zuschüsse für die Spitalstiftung sowie die<br />

Sportför<strong>der</strong>ung umfasste, wurden neben <strong>der</strong> bereits genannten E<strong>in</strong>richtung „Jugendhaus<br />

<strong>und</strong> Jugendherberge Raiteberg“ weitere 3.000 DM dem Stadtjugendr<strong>in</strong>g sowie 7.060 DM<br />

<strong>der</strong> Jugendherberge zur Verfügung gestellt. 1143<br />

Für den Bereich <strong>der</strong> Fürsorge <strong>und</strong> Jugendhilfe waren weitere 462.600 DM vorgesehen.<br />

Diese Summe war selbst für damalige Verhältnisse ger<strong>in</strong>g. Allerd<strong>in</strong>gs darf aus<br />

dieser Zahl nicht geschlussfolgert werden, dass es nur e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Anzahl an Fürsorgeempfängern<br />

im Stadtgebiet gegeben hätte. H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> dieser niedrig angesetzten Bezuschussung<br />

bildete <strong>der</strong> Fakt, dass vielmehr zu diesem Zeitpunkt bereits <strong>der</strong> Landkreis den<br />

größten Teil <strong>der</strong> Aufwendungen auf dem Gebiet <strong>der</strong> Fürsorge trug, <strong>während</strong> sich die Stadt<br />

an den Zweckleistungen nur im Rahmen <strong>der</strong> Kreisumlage beteiligte. Diese Regelung war<br />

e<strong>in</strong>e Folge <strong>der</strong> bereits erwähnten Kreisreform von 1953. An dieser Stelle sei noch<br />

anmerkt, dass die Stadt, nachdem sie dem Landkreis zugeschlagen worden war, hauptsächlich<br />

für die Verwaltungskosten <strong>der</strong> Jugendhilfe aufzukommen hatte <strong>und</strong> außerdem die<br />

freie Wohlfahrtspflege sowie anteilig die Schulspeisung <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen wie die Wal<strong>der</strong>holungsstätte,<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>horte <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten sowie das Wessenberg’sche Erziehungsheim<br />

für Mädchen f<strong>in</strong>anziell unterstützte.<br />

Gemessen am Gesamthaushaltsvolumen <strong>in</strong> Höhe von 13.875.380 DM muss <strong>der</strong><br />

Zuschussbedarf für jugendpflegerische E<strong>in</strong>richtungen allerd<strong>in</strong>gs als eher ger<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>geschätzt<br />

werden, entsprach er doch gerade e<strong>in</strong>mal knapp 0,3 Prozent des Gesamthaushalts.<br />

Der Zuschuss für den Bereich Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Jugendpflege, worunter Posten wie die<br />

Betreuung <strong>der</strong> drei Krankenanstalten, die Vere<strong>in</strong>s- <strong>und</strong> Sportför<strong>der</strong>ung sowie das<br />

Bodenseestadion <strong>und</strong> die Eisbahn subsumiert wurden, lag bei 2,8 Prozent. Somit wurden<br />

1143 Quelle: Haushaltspläne <strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong>, StAK, gedruckte Quellen <strong>und</strong> SÜDKURIER vom 23.07.1955<br />

<strong>und</strong> 03.08.1955.


298 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

umgerechnet pro Kopf <strong>der</strong> Bevölkerung nur 7,90 DM angesetzt. E<strong>in</strong> Vergleich mit dem<br />

Zuschussbedarf für das Bau- <strong>und</strong> Wohnungswesen, für welches im gleichen Zeitraum<br />

1.707.790 DM veranschlagt wurden, vermag die Relationen zu verdeutlichen. So schlug<br />

<strong>der</strong> Anteil für den Wohnungsbau am Gesamthaushalt mit über zwölf Prozent zu Buche,<br />

sodass dieses Ressort umgerechnet auf die E<strong>in</strong>wohnergröße mit fast 35 DM pro Kopf <strong>der</strong><br />

Bevölkerung subventioniert wurde.<br />

Die Aufwendungen für die Jugendpflege wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte des Jahrzehnts<br />

beträchtlich erhöht. 1957 lagen die städtischen Zuschussleistungen für die allgeme<strong>in</strong>e<br />

Jugendpflege, worunter die För<strong>der</strong>ung des Jugendhauses, des Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungswerks,<br />

die Jugendherbergen <strong>und</strong> das Mädchenwohnheim zu rechnen s<strong>in</strong>d, bei 80.000 DM.<br />

Für K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätten <strong>und</strong> Spielplätze waren weitere 72.000 DM vorgesehen, sodass die<br />

gesamte K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> vonseiten <strong>der</strong> Stadtverwaltung mit 151.000 DM unterstützt<br />

wurde. Das zuständige Stadtjugendamt zeigte sich mit diesen Beihilfen sehr<br />

zufrieden, was unter an<strong>der</strong>em im Jahresbericht für 1958 zum Ausdruck gebracht wurde, <strong>in</strong><br />

welchem „<strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> ihrem Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at vorbehaltlos [...] für das große<br />

Verständnis, das man <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>“ 1144 entgegenbr<strong>in</strong>ge, gedankt wurde.<br />

5 Freie <strong>und</strong> private Träger <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

5.1 Etablierung <strong>der</strong> Jugendverbände <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> örtlichen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong><br />

Die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> westdeutschen Jugendverbandsarbeit <strong>während</strong> <strong>der</strong> 1950er-Jahre zählt<br />

zu den vergleichsweise gut erforschten Teilgebieten <strong>der</strong> historischen Jugendforschung.<br />

Das Gesagte ist auf die lokale Situation <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>, speziell was die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong><br />

örtlichen Jugendorganisationen <strong>und</strong> die <strong>Geschichte</strong> des Stadtjugendr<strong>in</strong>gs anbelangt, durchaus<br />

übertragbar. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich daher auf ausgewählte Aspekte,<br />

die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschungsentwicklung bislang weniger beachtet wurden. Im Mittelpunkt <strong>der</strong><br />

nachfolgenden Unterabschnitte stehen die Verän<strong>der</strong>ungen, welche die örtliche Jugendverbandsarbeit<br />

nach 1949 bis zum Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1960er-Jahre durchlief. Dabei wird <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

nach den Auswirkungen zu fragen se<strong>in</strong>, die erstens <strong>der</strong> Wegfall französischer<br />

Kontrollen, zweitens das neue Jugendhilferecht sowie drittens die Gründung horizontaler<br />

<strong>und</strong> vertikaler Zusammenschlüsse <strong>in</strong> Form von Landes- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esverbänden <strong>und</strong><br />

Jugendr<strong>in</strong>gen auf die Jugendverbände hatten. Darüber h<strong>in</strong>aus ist <strong>der</strong> Frage nachzugehen,<br />

<strong>in</strong>wieweit sich die lokalen Strukturen <strong>in</strong> die allgeme<strong>in</strong>e <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> deutschen<br />

Jugendverbandsarbeit e<strong>in</strong>fügten. Wie bereits dargestellt wurde, war die Reorganisation <strong>der</strong><br />

Jugendverbandsarbeit zum e<strong>in</strong>en durch unterschiedliche zonenspezifische Konzeptionen<br />

geprägt, zum an<strong>der</strong>en erfolgte <strong>der</strong> Aufbau <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Zonen von unten nach<br />

oben, getragen durch lokal agierende Jugendgruppen, die <strong>in</strong> ihrer praktischen Tätigkeit an<br />

Strukturen <strong>der</strong> bündischen <strong>Jugendarbeit</strong> aus <strong>der</strong> Zeit vor 1933 anknüpften.<br />

1144 Das Zitat entstammt dem SÜDKURIER vom 10.12.1958.


VII.5 FREIE UND PRIVATE TRÄGER DER JUGENDHILFE 299<br />

Auf die Grün<strong>der</strong>zeit folgte <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit e<strong>in</strong>e neue Phase. Diese<br />

ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Jugendverbände im Gesamtkontext <strong>der</strong> örtlichen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> weiter etablierten <strong>und</strong> ab 1949, wie <strong>der</strong> Erziehungswissenschaftler Josef<br />

KRAFELD 1145 konstatiert, „endgültig ihren festen Platz im Gesellschaftsgefüge <strong>der</strong> jungen<br />

BRD“ fanden. Die <strong>Konstanz</strong>er <strong>Entwicklung</strong> verlief <strong>in</strong> diesem Punkt parallel zur allgeme<strong>in</strong>en<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> deutschen Jugendverbandsarbeit. Dieser <strong>Entwicklung</strong> lag e<strong>in</strong><br />

ganzes Ursachenbündel zugr<strong>und</strong>e. So profitierten zum e<strong>in</strong>en selbstverständlich auch die<br />

Jugendorganisationen wie die übrigen Anbieter von <strong>Jugendarbeit</strong> vom wirtschaftlichen<br />

Aufschwung, <strong>in</strong>dem die meisten Gruppierungen ihr Angebot aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> besseren<br />

f<strong>in</strong>anziellen Ausstattung erheblich ausdehnen <strong>und</strong> qualitativ verbessern konnten. Seit dem<br />

Ende <strong>der</strong> Mangelwirtschaft Ende <strong>der</strong> 1940er-Jahre scheiterte die Durchführung von<br />

Aktionen wie Sport, Musik, Tanz, Theater, Werkarbeit o<strong>der</strong> Filmabenden nicht mehr an<br />

fehlendem Werk- o<strong>der</strong> Bastelmaterial o<strong>der</strong> an e<strong>in</strong>er mangelnden Ausstattung wie zum<br />

Beispiel e<strong>in</strong>em Filmprojektor etc. Zum an<strong>der</strong>en setzte <strong>der</strong> Neubau des Jugendhauses e<strong>in</strong>en<br />

wichtigen Impuls im H<strong>in</strong>blick auf die Verbandsarbeit. Während sich die Jugendverbände<br />

<strong>in</strong> den früheren Gebäuden, <strong>in</strong> denen das Jugendhaus zwischen 1946 <strong>und</strong> 1954<br />

untergebracht war, das heißt dem Rhe<strong>in</strong>torturm <strong>und</strong> dem Gebäude <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ma<strong>in</strong>austraße,<br />

sowohl untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> als auch mit dem Jugendbildungswerk die knapp bemessenen<br />

Räumlichkeiten teilen mussten 1146 , stand nunmehr im Jugendhaus Raiteberg für nahezu<br />

jede Organisation e<strong>in</strong> eigener Gruppenraum zur Verfügung. Die neue Raumkonzeption ab<br />

1954 begünstigte beson<strong>der</strong>s die kle<strong>in</strong>eren Gruppierungen, die im Unterschied zu den<br />

größeren Verbänden wie den konfessionellen Jugendgruppen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gewerkschaftsjugend<br />

ke<strong>in</strong>e Räumlichkeiten ihrer Dachorganisationen nutzen konnten.<br />

Zusätzliche Akzentverschiebungen ergaben sich ab 1953 durch die Reformierung des<br />

deutschen Jugendhilferechts, das unter an<strong>der</strong>em das Verhältnis <strong>der</strong> Verbände <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

staatlichen Jugendpflege neu regelte. E<strong>in</strong>erseits wurden nun die Jugendverbände <strong>in</strong>nerhalb<br />

des westdeutschen Jugendhilfesystems organisatorisch <strong>der</strong> Jugendpflege, die künftig durch<br />

das Jugendamt <strong>und</strong> den Jugendwohlfahrtsausschuss repräsentiert wurde, zugewiesen.<br />

An<strong>der</strong>erseits stärkte das Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip, das freien Trägern politisch <strong>und</strong> rechtlich<br />

den Vorrang vor staatlichen Trägern e<strong>in</strong>räumte, <strong>der</strong>en Position <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> örtlichen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong>. Darüber h<strong>in</strong>aus entwickelten sich die Jugendpläne des B<strong>und</strong>es, des Landes<br />

Baden-Württemberg <strong>und</strong> des Landkreises <strong>Konstanz</strong> zur f<strong>in</strong>anziellen Basis <strong>der</strong> Jugendverbände.<br />

In dieser H<strong>in</strong>sicht g<strong>in</strong>g von <strong>der</strong> Neuregelung des Jugendhilferechts für die<br />

Jugendverbände e<strong>in</strong>e äußerst belebende Wirkung aus. Die <strong>Entwicklung</strong> erhielt im<br />

ehemaligen französischen Zonengebiet zudem e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Note, da hier die Jugendorganisationen<br />

zuvor ke<strong>in</strong>e solch starke Position e<strong>in</strong>genommen hatten wie etwa <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

amerikanischen Zone, wo diesen e<strong>in</strong>e führende Rolle beim Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

nach dem Krieg zugewiesen wurde. Stattdessen bildete, wie schon dargelegt wurde, die<br />

1145 KRAFELD, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 137.<br />

1146 Laut Schreiben <strong>der</strong> Abteilung Jugendpflege zur Haushaltssatzung für das Rechnungsjahr 1949 nutzten<br />

die Römisch-katholische Jugend, die Evangelische Jugend, die Alt-katholische Jugend, die<br />

Naturfre<strong>und</strong>ejugend, die Freie Jugend <strong>und</strong> die Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen das Jugendhaus für ihre Heim- <strong>und</strong><br />

Gruppenabende, StAK, S II 15147.


300 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

organisierte <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>der</strong> Verbände im besetzten Deutschland nach französischem<br />

Verständnis lediglich e<strong>in</strong>e von mehreren Komponenten <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong>, <strong>der</strong>en<br />

Gr<strong>und</strong>konzept vielmehr darauf ausgerichtet war, dass sowohl Jugend<strong>in</strong>stitutionen als auch<br />

Jugendorganisationen geme<strong>in</strong>sam über jugendpolitische Themen entschieden.<br />

5.2 Landesverbände <strong>und</strong> Landesjugendr<strong>in</strong>ge – Gründung des<br />

Stadtjugendr<strong>in</strong>gs <strong>Konstanz</strong><br />

In den ersten Besatzungsjahren beschränkte sich <strong>der</strong> Wirkungskreis <strong>der</strong> Jugendorganisationen<br />

re<strong>in</strong> auf die Ebene <strong>der</strong> eigenen Geme<strong>in</strong>de. Während sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> amerikanischen<br />

Zone die Jugendorganisationen bereits 1946 vertikal zu Landesverbänden zusammenschlossen,<br />

gab es im französisch besetzten deutschen Südwesten zunächst ke<strong>in</strong>e übergreifenden<br />

B<strong>in</strong>dungen unter den Jugendverbänden. Stattdessen nahmen Jugendausschüsse, die<br />

von den Kommunen bis zur Landesebene h<strong>in</strong> aufgebaut wurden, die Interessen <strong>der</strong><br />

Jugendorganisationen geme<strong>in</strong>sam mit denjenigen <strong>der</strong> übrigen Träger <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

wahr. Da es sich vorwiegend um staatliche Gremien handelte, die mit <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> als<br />

Ganzes befasst waren, wurden aus Sicht <strong>der</strong> Jugendverbände <strong>der</strong>en Interessen <strong>und</strong><br />

Erfor<strong>der</strong>nisse nicht genügend berücksichtigt.<br />

Ab dem Jahr 1947 gründeten sich im deutschen Südwesten mit Genehmigung <strong>der</strong><br />

Franzosen erste Jugendr<strong>in</strong>ge. Dabei handelte es sich um freiwillige vertikale o<strong>der</strong><br />

horizontale Zusammenschlüsse von Jugendorganisationen auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Kommunen, später auch des B<strong>und</strong>es. 1147 Gleichzeitig entstanden die Landesverbände,<br />

denen sich die lokalen Gruppen anschlossen. In Baden formierte sich als e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> ersten<br />

<strong>und</strong> größten Zusammenschlüsse dieser Art <strong>der</strong> „B<strong>und</strong> <strong>der</strong> Katholischen Jugend.“ 1148 Die<br />

Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>verbände waren <strong>in</strong> Baden <strong>in</strong> zwei französischen Verbänden, dem „Scoutisme<br />

Français“ <strong>und</strong> dem „Scoutisme des Personnes Déplacées“ sowie <strong>in</strong> den deutschen<br />

Landesbünden organisiert. 1149 Die ersten Landesjugendverbände, die nach Ende des<br />

Zweiten Weltkriegs entstanden, konnten an Traditionen aus <strong>der</strong> Weimarer Zeit anknüpfen.<br />

So war im Jahr 1919 erstmals e<strong>in</strong> Ausschuss <strong>der</strong> deutschen Jugendverbände auf Reichs-<br />

<strong>und</strong> Län<strong>der</strong>ebene <strong>in</strong>s Leben gerufen worden. 1150 Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1950er-Jahre bestanden<br />

neben zahlreichen kommunalen Jugendr<strong>in</strong>gen im Gebiet des heutigen Baden-Württemberg<br />

bereits vier vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> unabhängige Landesjugendr<strong>in</strong>ge bzw. Landesjugendausschüsse.<br />

Der Landesjugendr<strong>in</strong>g Baden wurde Anfang Juli 1950 <strong>in</strong>s Leben gerufen. 1151 Zum<br />

1147 SCHARINGER, Jugendr<strong>in</strong>ge, <strong>in</strong>: BÖHNISCH U. A. (Hgg.), Handbuch Jugendverbände, S. 241-247.<br />

1148 Der B<strong>und</strong> <strong>der</strong> Deutschen Katholischen Jugend, gegr. 1947, ist <strong>der</strong> Dachverband aller katholischen<br />

Jugendverbände. Zu se<strong>in</strong>en Zielen <strong>und</strong> Aktivitäten zählten: die För<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> Unterstützung <strong>der</strong><br />

Tätigkeit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Mitgliedsverbände; die Interessenvertretung <strong>in</strong> Kirche, Gesellschaft, Staat <strong>und</strong><br />

im <strong>in</strong>ternationalen Bereich; die Durchführung von Bildungsmaßnahmen sowie Informations- <strong>und</strong><br />

Öffentlichkeitsarbeit; <strong>der</strong> BKJ gehört zu den Gründungsmitglie<strong>der</strong>n des Deutschen B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>gs;<br />

zur <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong> siehe BÖHNISCH U. A. (Hgg.), Handbuch Jugendverbände, S. 885-887.<br />

1149 SÜDKURIER vom 20./21.11.1948.<br />

1150 GIESECKE, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 158.<br />

1151 Quelle: SUSO-BLATT vom 02.07.1950.


VII.5 FREIE UND PRIVATE TRÄGER DER JUGENDHILFE 301<br />

Jahresende 1952 g<strong>in</strong>gen sämtliche Landesjugendr<strong>in</strong>ge im Bereich des Südweststaats im<br />

Landesjugendr<strong>in</strong>g Baden-Württemberg auf.<br />

Bald nach Gründung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik schlossen sich die Landesjugendr<strong>in</strong>ge sowie<br />

die Dachorganisationen <strong>der</strong> Jugendverbände schließlich zudem auf B<strong>und</strong>esebene zusammen.<br />

1152 Der Deutsche B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>g als freiwilliger Zusammenschluss <strong>und</strong><br />

geme<strong>in</strong>same Interessenvertretung <strong>der</strong> auf B<strong>und</strong>esebene tätigen Jugendverbände <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Landesjugendr<strong>in</strong>ge wurde Anfang Oktober 1949 gegründet. 1153 Zu dessen wichtigsten<br />

Aufgabenbereichen zählten die För<strong>der</strong>ung des gegenseitigen Verständnisses, <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>same<br />

Erfahrungsaustausch, Aktionen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Jugendpflege, Stellungnahme<br />

zu jugendpolitischen Fragen <strong>und</strong> Pflege <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Begegnungen, Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

des Auflebens militärischer, nationalistischer <strong>und</strong> totalitärer Tendenzen <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong> Jugend. Darüber h<strong>in</strong>aus verurteilte <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>g die totalitäre Vergangenheit<br />

Deutschlands <strong>und</strong> sah e<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er zentralen Aufgaben <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>beziehung <strong>der</strong> Jugendverbände<br />

<strong>in</strong> den Gesamtprozess e<strong>in</strong>er demokratischen politischen Bildung <strong>der</strong> Jugend. 1154<br />

Durch die Bildung übergeordneter o<strong>der</strong> paralleler Strukturen nahmen die E<strong>in</strong>flussmöglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Jugendverbände auf die lokale <strong>und</strong> überregionale staatliche Jugendför<strong>der</strong>ung<br />

<strong>und</strong> Jugendpolitik merklich zu. Auch die <strong>Konstanz</strong>er Jugendverbände vertraten<br />

<strong>in</strong> den 1950er-Jahren über ihre lokalen Anliegen h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> zunehmendem Maße die<br />

Interessenpolitik ihrer Dachorganisationen vor Ort. Zudem führten sie zahlreiche Bezirks-<br />

<strong>und</strong> Landestreffen diverser Jugendorganisationen. Zu nennen s<strong>in</strong>d etwa die bereits<br />

erwähnten Esperanto-Jugendkongresse ab 1949, 1155 die Vollversammlung des Deutschen<br />

B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>gs auf <strong>der</strong> Insel Ma<strong>in</strong>au 1951, 1156 die Treffen von Jugendgewerkschaftern<br />

aus vier europäischen Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gewerkschaftsjugend des badischen Bodenseegebietes<br />

auf E<strong>in</strong>ladung <strong>der</strong> Gewerkschaftsjugend <strong>Konstanz</strong> 1951, 1157 die Vollversammlung<br />

des Bezirksjugendr<strong>in</strong>gs Südbaden <strong>in</strong> Radolfzell 1953, 1158 die Kreisjugendkonferenz<br />

des Deutschen Gewerkschaftsb<strong>und</strong>es <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>, 1159 die DGB-Schulung Jugendhaus<br />

Raiteberg für Betriebsjugendleiter <strong>der</strong> Kreise <strong>Konstanz</strong>, Stockach, Überl<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Städte <strong>Konstanz</strong>, Radolfzell <strong>und</strong> S<strong>in</strong>gen 1955 1160 o<strong>der</strong> die beiden Bezirkstreffen <strong>der</strong><br />

Evangelischen Geme<strong>in</strong>dejugend <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> 1953 <strong>und</strong> 1958. 1161<br />

1152 Folgende Jugendverbände gehörten neben den Landesverbänden dem Deutschen B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>g als<br />

Gründungsmitglie<strong>der</strong> an: B<strong>und</strong> <strong>der</strong> Deutschen Katholischen Jugend, Evangelische Jugend Deutschlands,<br />

Gewerkschaftsjugend, Sportjugend, Falken, Naturfre<strong>und</strong>ejugend, Deutscher Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>r<strong>in</strong>g, Deutsche<br />

Landjugend, Deutsche Angestellten Gewerkschaftsjugend.<br />

1153 Die konstituierende Versammlung fand vom 01. bis 03.10.1949 statt.<br />

1154 FALTERMAIER, B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>g, S. 52.<br />

1155 SÜDKURIER vom 22.09.1949.<br />

1156 SÜDKURIER vom 05.05.1951.<br />

1157 SÜDKURIER vom 18.05.1953.<br />

1158 SÜDKURIER vom 03.01.1953.<br />

1159 SÜDKURIER vom 29.03.1955.<br />

1160 SÜDKURIER vom 06.12.1955.<br />

1161 SÜDKURIER vom 19.05.1953; 20.09.1957; 02.03.1952.


302 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

Ziel <strong>der</strong> Jugendr<strong>in</strong>ge war es, die Jugendverbandsarbeit nach außen <strong>und</strong> gegenüber den<br />

kommunalen Verwaltungen koord<strong>in</strong>ierter <strong>und</strong> wirkungsvoller vertreten zu können. 1162<br />

Obwohl e<strong>in</strong>e solche geme<strong>in</strong>same Interessenvertretung auf kommunaler Ebene viele<br />

Vorteile bot, vere<strong>in</strong>igten sich die <strong>Konstanz</strong>er Jugendorganisationen erst Mitte des Jahres<br />

1951 <strong>und</strong> damit vergleichsweise spät <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Stadtjugendr<strong>in</strong>g. 1163 E<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> für diese<br />

Verzögerung war offenbar die mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit <strong>der</strong> örtlichen<br />

Organisationen wie aus e<strong>in</strong>em Leserbrief, den die damalige Vorsitzende <strong>der</strong> Gewerkschaftsjugend,<br />

Ilse Wirth, im SÜDKURIER 1951 unter dem Titel „Wo bleibt <strong>der</strong> Stadtjugendr<strong>in</strong>g?“<br />

1164 verfasste, hervorgeht. Nach e<strong>in</strong>igen Anlaufschwierigkeiten nahm das<br />

neue Gremium se<strong>in</strong>e Tätigkeit auf. 1165 Dem Stadtjugendr<strong>in</strong>g <strong>Konstanz</strong> gehörten <strong>in</strong> den<br />

1950er-Jahren folgende Jugendorganisationen an: die drei konfessionellen Verbände, die<br />

Gewerkschaftsjugend, die Naturfre<strong>und</strong>ejugend, die Esperantojugend <strong>und</strong> die Ortsgruppe<br />

<strong>der</strong> „Deutschen Jugend des Ostens“, welche vor allem junge Heimatvertriebene vere<strong>in</strong>te.<br />

Die Ortsgruppe <strong>der</strong> Freien Jugend <strong>Konstanz</strong> hatte sich, wie erwähnt, bereits im Jahr 1949<br />

aufgelöst.<br />

Die führende Rolle <strong>in</strong>nerhalb des Stadtjugendr<strong>in</strong>gs nahmen als mitglie<strong>der</strong>stärkste<br />

Jugendorganisationen die Katholische Jugend sowie die Gewerkschaftsjugend e<strong>in</strong>. Die<br />

exponierte Stellung bei<strong>der</strong> Gruppierungen kam dar<strong>in</strong> zum Ausdruck, dass die Katholische<br />

Jugend <strong>Konstanz</strong> <strong>während</strong> des gesamten Jahrzehnts den ersten Vorsitzenden stellte,<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> zweite Vorsitzende aus den Reihen <strong>der</strong> Gewerkschaftsjugend stammte. 1166<br />

Nach <strong>der</strong> Gründung im Juli 1951 führte zunächst Rudi Hartmann, <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Katholischen<br />

männlichen Jugend, den Stadtjugendr<strong>in</strong>g. Ihm folgte an <strong>der</strong> Spitze des Vorstands<br />

im Mai 1957 Mario Campiglieo, <strong>der</strong> ebenfalls Mitglied <strong>und</strong> Jugendführer im B<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) war. 1167 Die Gründe für diese Strukturen s<strong>in</strong>d<br />

e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> <strong>der</strong> örtlichen Tradition <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, die stark durch die römischkatholische<br />

Kirche geprägt war, zu suchen, wie e<strong>in</strong> Blick auf die Mitglie<strong>der</strong>daten belegt.<br />

So vere<strong>in</strong>te die Katholische Jugend bis zu 1.600 Mitglie<strong>der</strong>, gefolgt von <strong>der</strong> Gewerkschaftsjugend<br />

mit bis zu 500 Angehörigen. 1168 An<strong>der</strong>erseits korrespondierte die<br />

<strong>Konstanz</strong>er <strong>Entwicklung</strong> mit <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Situation im Land. So war <strong>der</strong> B<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Deutschen Katholischen Jugend <strong>in</strong> den entsprechenden Interessenverbänden auf Landes-<br />

<strong>und</strong> B<strong>und</strong>esebene allgegenwärtig. Während <strong>der</strong> Gründungsphase des B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>gs<br />

nahm die Katholische Jugend e<strong>in</strong>e führende Position e<strong>in</strong>. Ihr Führungsanspruch zeigte sich<br />

dar<strong>in</strong>, dass Josef Rommelskirchen den Vorsitz zugleich im B<strong>und</strong> <strong>der</strong> Deutschen<br />

Katholischen Jugend <strong>und</strong> im B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>g stellte. Außerdem fand die Gründungsversammlung<br />

des B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen B<strong>und</strong>eszentrale des „B<strong>und</strong>es <strong>der</strong><br />

1162<br />

STADTJUGENDRING KONSTANZ (Hg.): 40 Jahre Stadtjugendr<strong>in</strong>g.<br />

1163<br />

SÜDKURIER vom 31.07.1951; BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 431.<br />

1164<br />

SÜDKURIER vom 07.04.1951.<br />

1165<br />

SÜDKURIER vom 07.04.1951.<br />

1166<br />

Dabei handelte es sich um Ilse Wirth (1951-1957) <strong>und</strong> Hermann Jäckle (nach 1957), beide Angehörige<br />

<strong>der</strong> DGB-Gewerkschaftsjugend.<br />

1167<br />

SÜDKURIER vom 23.05.1957.<br />

1168<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 430.


VII.5 FREIE UND PRIVATE TRÄGER DER JUGENDHILFE 303<br />

Deutschen Katholischen Jugend“ auf Schloss Altenburg statt. In Anlehnung an die<br />

„allgeme<strong>in</strong>en politischen Gr<strong>und</strong>strömungen <strong>der</strong> fünfziger Jahre“ war <strong>der</strong> Stadtjugendr<strong>in</strong>g<br />

BURCHARDT zufolge durch die drei gesellschaftspolitischen Determ<strong>in</strong>anten Konservatismus,<br />

Antikommunismus <strong>und</strong> Katholizismus geprägt. 1169<br />

Zu den wichtigen Aufgaben des Stadtjugendr<strong>in</strong>gs zählten die Beantragung <strong>und</strong><br />

Verteilung von För<strong>der</strong>mitteln <strong>der</strong> öffentlichen Hand sowie die Ausschöpfung kommunaler<br />

F<strong>in</strong>anzmittel. 1170 Darüber h<strong>in</strong>aus nahm <strong>der</strong> Stadtjugendr<strong>in</strong>g an den Jugendveranstaltungen<br />

des Jugendamtes, dem die Jugendverbände ab 1953 organisatorisch angeschlossen waren,<br />

teil. In <strong>der</strong> zweiten Hälfte des Jahrzehnts engagierte sich das Gremium <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auf<br />

dem Gebiet des Jugendschutzes. Um die Jugend an gute Filme heranzuführen, unterhielt<br />

<strong>der</strong> Stadtjugendr<strong>in</strong>g seit Herbst 1955 e<strong>in</strong>en eigenen Filmdienst. Die Auswahl <strong>der</strong> Filme<br />

erfolgte durch Vertreter aller dem Stadtjugendr<strong>in</strong>g angeschlossenen Jugendorganisationen.<br />

Die Son<strong>der</strong>vorführungen wurden durch Referate über die künstlerische Bedeutung <strong>und</strong> die<br />

Beson<strong>der</strong>heiten des jeweiligen Films ergänzt. Die Ausführungen sollten nicht zuletzt zur<br />

anschließenden Diskussion anregen, die nach <strong>der</strong> Idealvorstellung <strong>der</strong> Organisatoren <strong>in</strong><br />

den e<strong>in</strong>zelnen Gruppenst<strong>und</strong>en fortgesetzt werden sollte. 1171 Unterstützung fanden die im<br />

Stadtjugendr<strong>in</strong>g zusammengeschlossenen Jugendverbände <strong>in</strong> ihrem Bemühen um den<br />

Jugendmedienschutz sowohl bei <strong>der</strong> Stadtverwaltung als auch bei den örtlichen K<strong>in</strong>obesitzern,<br />

die zu günstigen Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>mal im Monat e<strong>in</strong>en Jugendfilm <strong>in</strong>s Programm<br />

aufnahmen. Neben se<strong>in</strong>em Engagement für den Jugendschutz setzte sich <strong>der</strong> Stadtjugendr<strong>in</strong>g<br />

für weitere gesellschaftlich <strong>und</strong> politisch relevante Themen e<strong>in</strong>. So rief er 1957 zur<br />

Solidarität mit den Ungarnflüchtl<strong>in</strong>gen auf <strong>und</strong> <strong>in</strong>itiierte zu diesem Zweck e<strong>in</strong>e Spendenaktion<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung; ebenso beteiligte er sich 1958 an <strong>der</strong><br />

Organisation von Protestaktionen im Rahmen <strong>der</strong> Antiatombewegung.<br />

Im Rahmen se<strong>in</strong>es gesellschaftlichen Engagements verhielt sich die Gesamtvertretung<br />

<strong>der</strong> örtlichen Jugendverbände stets weitestgehend systemkonform. Zudem unterschied sich<br />

ihre Tätigkeit kaum von an<strong>der</strong>en Stadtjugendr<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region. So standen <strong>während</strong><br />

<strong>der</strong> 1950er-Jahre beispielsweise Aktivitäten wie Filmarbeit, Integration <strong>der</strong> noch abseits<br />

stehenden Jugend, Beantragung <strong>und</strong> Verteilung von öffentlichen För<strong>der</strong>mitteln auf <strong>der</strong><br />

Agenda des Stadtjugendr<strong>in</strong>gs S<strong>in</strong>gen. 1172<br />

Die Schaffung e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>samen Organs <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit tangierte jedoch<br />

nicht die Interessen <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Verbände. Ihre Selbstständigkeit wurde nach <strong>der</strong><br />

Gründung des Stadtjugendr<strong>in</strong>gs stets gewahrt. Ebenso blieb die pluralistische Organisationsform<br />

<strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit, die nach wie vor durch die unterschiedlichen gesellschaftspolitischen,<br />

weltanschaulichen <strong>und</strong> konfessionellen Ansichten bestimmt wurde,<br />

unangetastet.<br />

1169 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 432.<br />

1170 Vgl. etwa den Beitrag im SÜDKURIER vom 15.11.1951: „Jugendr<strong>in</strong>g: Mehr Mittel für die Jugendpflege“.<br />

1171 SÜDKURIER vom 30.09.1955.<br />

1172 SÜDKURIER vom 03.10.1955.


304 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

5.3 Angebote, Aktivitäten, Mitglie<strong>der</strong>entwicklung <strong>der</strong> Jugendverbände<br />

Die Praxis <strong>der</strong> örtlichen Jugendverbandsarbeit entsprach im Wesentlichen den bereits<br />

aufgezeigten Strukturen <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit. Schwerpunktmäßig boten die<br />

örtlichen Jugendgruppen weiterh<strong>in</strong> Heimabende im Rahmen ihrer Weltanschauung,<br />

Traditionen, gesellschaftlichen <strong>und</strong> politischen Orientierung unter Berücksichtigung<br />

verbandseigener Interessen sowie musische, gesellige <strong>und</strong> sportliche Aktivitäten an. In<br />

Verb<strong>in</strong>dung mit <strong>der</strong> Stadtjugendpflege <strong>und</strong> dem Jugendamt waren sie bei Jugendschutzveranstaltungen,<br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>weihung des Jugendhauses o<strong>der</strong> anlässlich von Jugendbürgerfeiern<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit vertreten.<br />

Zur Attraktivitätssteigerung <strong>der</strong> Verbandsarbeit trug die Ausweitung des Angebots<br />

von Fahrten <strong>und</strong> Ausflügen bei. Diese neue Form <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>sam organisierten Freizeitgestaltung<br />

fand bereits seit den späten 1940er-Jahren nach dem Wegfall <strong>der</strong> französischen<br />

Reglements bald wie<strong>der</strong> E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> die Arbeit <strong>der</strong> örtlichen Jugendverbände. Nachdem<br />

das Fahrtenwesen schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit vor 1933 e<strong>in</strong>en hohen Stellenwert <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

Jugendbünde gehabt hatte <strong>und</strong> nach 1945 wie<strong>der</strong>belebt worden war, blieb diese Form <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong>, die durch bündische Rituale wie geme<strong>in</strong>sames Liedgut, Jugendwan<strong>der</strong>n,<br />

Zeltlager etc. geprägt war, <strong>in</strong> den 1950er-Jahren bei <strong>der</strong> Jugend weiterh<strong>in</strong> sehr beliebt. In<br />

<strong>der</strong> zweiten Hälfte des Jahrzehnts kamen Fahrten nicht nur bei den Teilnehmern des<br />

Jugendbildungswerks, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Verbände im Gefolge <strong>der</strong><br />

neuen gesellschaftlichen Mobilität <strong>und</strong> <strong>der</strong> wirtschaftlichen Prosperität immer mehr <strong>in</strong><br />

Mode. Gerade kirchliche Jugendgruppen sowie die Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> die Naturfre<strong>und</strong>ejugend<br />

waren schon damals äußerst mobil. Beispielsweise bot die <strong>Konstanz</strong>er Sektion <strong>der</strong><br />

Naturfre<strong>und</strong>e zur Mitte des Jahrzehnts mehr als 20 Ausflüge <strong>in</strong>s Donautal, <strong>in</strong>s<br />

Säntisgebiet, <strong>in</strong>s Allgäu <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Schwarzwald an 1173 , <strong>der</strong> Stadtjugendr<strong>in</strong>g organisierte<br />

ebenfalls Fahrten <strong>und</strong> Zeltlager 1174 , <strong>und</strong> im Jahr 1956 fuhren 70 Teilnehmer des<br />

Kreisausschusses <strong>der</strong> Gewerkschaftsjugend <strong>Konstanz</strong> zum B<strong>und</strong>esjugendtreffen nach<br />

Hannover 1175 .<br />

Das anfängliche Misstrauen, das viele Jugendliche nach Kriegsende <strong>der</strong> organisierten<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> gegenüber besaßen, gehörte aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> demokratischen Neuausrichtung,<br />

<strong>der</strong> erfolgreichen Erziehungs- <strong>und</strong> Integrationsarbeit <strong>der</strong> Jugendverbände sowie aufgr<strong>und</strong><br />

neuer Angebote wie v. a. Ausflüge <strong>und</strong> Fahrten bald <strong>der</strong> Vergangenheit an. In <strong>der</strong> Folge<br />

nahm die Bereitschaft <strong>der</strong> Jugend, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Verband zu engagieren, merklich zu.<br />

Während <strong>der</strong> ersten Hälfte des Jahrzehnts wuchs die Mitglie<strong>der</strong>zahl des Stadtjugendr<strong>in</strong>gs<br />

<strong>Konstanz</strong> von knapp 2.500 im Gründungsjahr 1951 auf 3.000 Mitglie<strong>der</strong> an. Das bedeutete,<br />

dass zeitweise nahezu 40 bis 50 Prozent <strong>der</strong> Jugendlichen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Jugendorganisation angehörten, e<strong>in</strong> Trend <strong>der</strong> durchaus dem b<strong>und</strong>esdeutschen Schnitt entsprach.<br />

So engagierten sich <strong>in</strong> den 1950er- <strong>und</strong> 1960er-Jahren r<strong>und</strong> 40 Prozent <strong>der</strong><br />

westdeutschen Jugend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Jugendverband. 1176<br />

1173 SÜDKURIER vom 01.02.1955.<br />

1174 SÜDKURIER vom 01.07.1954.<br />

1175 SÜDKURIER vom 01.08.1956.<br />

1176 DAMM (Hg.), Jugendverbände, S. 23.


VII.5 FREIE UND PRIVATE TRÄGER DER JUGENDHILFE 305<br />

Während junge Menschen von <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Jugendorganisationen offensichtlich<br />

überzeugt waren, mussten Jugendleiter bei Eltern <strong>und</strong> Erwachsenen allerd<strong>in</strong>gs oftmals<br />

Überzeugungsarbeit leisten, wenn es um die Teilnahme an e<strong>in</strong>er Fahrt o<strong>der</strong> um die<br />

Mitgliedschaft g<strong>in</strong>g. Denn nicht alle Eltern standen dem Vorhaben ihres K<strong>in</strong>des, sich e<strong>in</strong>er<br />

Jugendorganisation anzuschließen, aufgeschlossen gegenüber. Neben Fragen <strong>der</strong> Moral<br />

mag die Er<strong>in</strong>nerung an Krieg <strong>und</strong> Vertreibung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verlust naher Angehöriger<br />

manche Eltern dazu veranlasst haben, zu zögern, wenn es darum g<strong>in</strong>g, ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit<br />

e<strong>in</strong>er Jugendorganisation <strong>in</strong> die Ferne ziehen zu lassen. Wie schon dargelegt wurde,<br />

wuchsen viele K<strong>in</strong><strong>der</strong> nach dem Krieg ohne Väter <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong> auf, an<strong>der</strong>e stammten aus<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien o<strong>der</strong> hatten e<strong>in</strong> Vertriebenenschicksal, woraus e<strong>in</strong>e enge B<strong>in</strong>dung zu<br />

den noch verbliebenen Verwandten o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> fester Familienzusammenhang mit entsprechend<br />

e<strong>in</strong>geschränktem Spielraum <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Mitglie<strong>der</strong> resultiert haben mag. Um die<br />

Bedenken <strong>der</strong> Erziehungsberichtigten zu zerstreuen, versuchten viele Organisationen ihre<br />

Arbeit transparent zu machen. So veranstalteten die Georgspfadf<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong> im Jahr<br />

1956 e<strong>in</strong>en Elternabend, bei dem die „Eltern <strong>der</strong> Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Gäste mit dem Wesen <strong>und</strong><br />

Ziel dieser Bewegung bekannt gemacht“ wurden. 1177 Zu diesem Zweck bot man e<strong>in</strong><br />

Theaterstück, das zeittypische Probleme thematisierte, mit denen Jugendliche zu kämpfen<br />

hatten, die damals Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong> werden wollten. Des Weiteren wurden die <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong><br />

Strukturen <strong>der</strong> Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>bewegung beleuchtet.<br />

Während die meisten <strong>der</strong> örtlichen Jugendorganisationen <strong>in</strong> den 1950er-Jahren eher<br />

traditionellen Wertmaßstäben <strong>und</strong> staatsbürgerlichen Interessen im Rahmen ihrer Jugen<strong>der</strong>ziehung<br />

<strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> verpflichtet waren, tat sich die Gewerkschaftsjugend <strong>in</strong> immer<br />

wie<strong>der</strong> als Organisator <strong>und</strong> Unterstützer politischer Aktionen hervor, vor allem wenn es<br />

um Fragen <strong>der</strong> deutschen Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung, die Nie<strong>der</strong>schlagung von Volksaufständen<br />

<strong>in</strong> den Län<strong>der</strong>n des Ostblocks o<strong>der</strong> die Atompolitik Adenauers g<strong>in</strong>g. 1178 Die lokale <strong>Entwicklung</strong><br />

ist im Kontext e<strong>in</strong>es überörtlichen Prozesses zu sehen, <strong>in</strong> dessen Verlauf<br />

e<strong>in</strong>zelne gesellschaftliche Gruppierungen allmählich gesellschaftskritische politische Positionen<br />

zu entwickeln begannen. Dazu zählten <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Jugendverbände des DGB,<br />

die Naturfre<strong>und</strong>ejugend sowie die Falkenjugend. 1179<br />

Dass die Gewerkschaften im Bezirk <strong>Konstanz</strong> im Rahmen <strong>der</strong> politischen Erziehung<br />

<strong>der</strong> Nachkriegsgeneration e<strong>in</strong>e zentrale Rolle e<strong>in</strong>nahmen, belegt e<strong>in</strong> Jugendbericht <strong>der</strong><br />

<strong>Konstanz</strong>er Bezirksmilitärregierung aus dem Jahr 1951, <strong>in</strong> dem unter an<strong>der</strong>em berichtet<br />

wird, dass die Jugend, sofern sie überhaupt Interesse an Politik zeigte, mehr durch die<br />

Gewerkschaften als durch die Parteien politisiert worden wäre. 1180 Während die Franzosen<br />

diese Tendenz durchaus positiv bewerteten, standen deutsche Politiker den gewerkschaftlichen<br />

Aktivitäten <strong>der</strong> Jugend allerd<strong>in</strong>gs skeptisch gegenüber, denn die Haltung <strong>der</strong><br />

Gewerkschaften g<strong>in</strong>g oftmals nicht mit <strong>der</strong> offiziellen Politik <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung<br />

son<strong>der</strong>n mit dem Kurs <strong>der</strong> Opposition konform. Diese Tendenz wird aus <strong>der</strong> historischen<br />

1177 SÜDKURIER vom 28.06.1956.<br />

1178 Beispielhaft sei auf folgende Beiträge h<strong>in</strong>gewiesen: „Für Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung <strong>und</strong> Deutsche E<strong>in</strong>heit“<br />

sowie „Gewerkschaftsjugend gedachte des 17. Juni 1955“; SÜDKURIER vom 18.06.1955.<br />

1179 DAMM, Jugendverbände, S 25.<br />

1180 Etude sur la jeunesse, S. 20; MAE AOFAA, C 4381.


306 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

Orientierung <strong>der</strong> Gewerkschaften heraus verständlich, <strong>der</strong>en Arbeit <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />

nicht ausschließlich auf arbeitsrechtliche Fragen beschränkt war. 1181 So engagierten sich<br />

die Gewerkschaften beispielsweise geme<strong>in</strong>sam mit <strong>der</strong> SPD gegen die weltweite<br />

Aufrüstung sowie die Wie<strong>der</strong>bewaffnung <strong>und</strong> die Atompolitik <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik. 1182<br />

Entsprechend stand die traditionelle K<strong>und</strong>gebung des DGB <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> am 1. Mai 1958<br />

ganz im Zeichen des Wi<strong>der</strong>stands gegen die Atombewaffnung. 1183 Im Rahmen <strong>der</strong> Veranstaltung<br />

fand e<strong>in</strong> großer Schweigemarsch durch die Innenstadt, dem r<strong>und</strong> 300 Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Gewerkschaftsjugend aus <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> dem Umland folgten, statt. 1184 Zudem riefen<br />

Gewerkschaftsmitglie<strong>der</strong> zusammen mit engagierten Mitglie<strong>der</strong>n des Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>ats <strong>und</strong><br />

Kirchenvertretern die Bewegung „Kampf dem Atomtod“ im gleichen Jahr <strong>in</strong>s Leben. 1185<br />

Die Gewerkschaften konnten bei diesen Themen zu Beg<strong>in</strong>n des Jahrzehnts auf e<strong>in</strong>en<br />

breiten Rückhalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung hoffen. Bed<strong>in</strong>gt durch die Ausweitung <strong>der</strong> Industrie<br />

<strong>in</strong>nerhalb des <strong>Konstanz</strong>er Wirtschaftslebens stieg die Zahl <strong>der</strong> Gewerkschaftsmitglie<strong>der</strong><br />

weiter an. Schon 1950 zählte man <strong>in</strong> beiden Kreisen <strong>Konstanz</strong> zusammengenommen etwa<br />

15.000 Mitglie<strong>der</strong>. 1186 Alle<strong>in</strong> im Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> waren 4.000 Arbeitnehmer gewerkschaftlich<br />

organisiert. Der Anteil <strong>der</strong> Jugendlichen unter 21 Jahren lag bei r<strong>und</strong> zehn Prozent.<br />

Die verschiedenen Gewerkschaften (Textil, Metall etc.) sowie <strong>der</strong> 1949 gegründete<br />

Kreisverband des DGB unterhielt jeweils eigene Nachwuchsorganisationen mit Ortsgruppen<br />

<strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen, Radolfzell <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>. Die Gruppenabende <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Gewerkschaftsjugend<br />

fanden bis zum Bau des Gewerkschaftshauses <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beyerlestraße seit<br />

Ende des Jahrzehnts im Jugendhaus statt. Die Leitung oblag e<strong>in</strong>em Jugendleiter, <strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

Abstimmung mit den Mitglie<strong>der</strong>n Themenabende organisierte. Über die engeren gewerkschaftlichen<br />

Angelegenheiten h<strong>in</strong>aus standen kulturelle Themenstellungen <strong>und</strong> Veranstaltungen<br />

für die Jugendlichen auf dem Programm. Beliebt waren zudem Filmabende, wobei<br />

vorwiegend Dokumentarfilme <strong>und</strong> Berichte über fremde Län<strong>der</strong> gezeigt wurden.<br />

5.4 Die Krise <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Jahrzehnthälfte<br />

Erlebte die Arbeit <strong>der</strong> Jugendverbände <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>der</strong> 1950er-Jahre e<strong>in</strong>en<br />

spürbaren Aufwärtstrend, kehrte sich <strong>der</strong> Trend zur Mitte des Jahrzehnts, als die<br />

Verbandsarbeit von den allgeme<strong>in</strong>en gesellschaftlichen Wandlungsprozessen erfasst<br />

wurde, um. Seither hatte sich organisierte <strong>Jugendarbeit</strong> mit neuen gesellschaftlichen<br />

1181<br />

Für <strong>Konstanz</strong>: BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 293.<br />

1182<br />

Dazu trug <strong>der</strong> Wechsel an <strong>der</strong> Spitze des Kreisvorsitzes des DGB im Jahr 1957 zum Sozialdemokraten<br />

Reisacher bei, <strong>während</strong> zuvor seit dem Gründungsjahr 1949 <strong>der</strong> christliche Gewerkschafter Henseler an<br />

<strong>der</strong> Spitze stand; vgl. BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 394; biografisch:<br />

Erw<strong>in</strong> Reisacher, Er<strong>in</strong>nerungen.<br />

1183<br />

RADKAU, Atomwirtschaft.<br />

1184<br />

SÜDKURIER vom 02.05.1958.<br />

1185<br />

Zur b<strong>und</strong>esweiten Wi<strong>der</strong>standsbewegung gegen die atomare Aufrüstung: KOHNERT, Bewegungen, <strong>in</strong>:<br />

SIEPMANN (Hg.), Bik<strong>in</strong>i, S. 157-180; MASCHUFF, Protestliteratur unter Adenauer, <strong>in</strong>: SIEPMANN (Hg.),<br />

Bik<strong>in</strong>i, S. 181-190.<br />

1186<br />

Quelle: Etude sur la jeunesse, S. 20-21; MAE AOFAA, C 4381.


VII.5 FREIE UND PRIVATE TRÄGER DER JUGENDHILFE 307<br />

Phänomenen, darunter den langen Arbeitszeiten <strong>und</strong> <strong>der</strong> konkurrierenden kommerziellen<br />

Freizeit<strong>in</strong>dustrie, ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzten. BINDER spricht <strong>in</strong> diesem Kontext von „vergesellschafteter<br />

<strong>Jugendarbeit</strong>“ 1187 . In <strong>der</strong> Folge mussten sich die meisten Jugendorganisationen<br />

auf e<strong>in</strong>en Mitglie<strong>der</strong>schw<strong>und</strong> e<strong>in</strong>stellen, <strong>während</strong> gleichzeitig an<strong>der</strong>e Formen <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> im Rahmen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Stadtjugendpflege an Stellenwert gewannen. 1188<br />

Nach dem ungebrochenen Aufwärtstrend, den die Mitglie<strong>der</strong>entwicklung <strong>der</strong> örtlichen<br />

Jugendorganisationen <strong>in</strong> den Jahren 1950 bis 1954 genommen hatte, herrschte bereits zur<br />

Mitte des Jahrzehnts Stagnation, bevor die Mitglie<strong>der</strong>zahlen mehr o<strong>der</strong> weniger aller<br />

örtlichen Jugendorganisationen spürbar rückläufig waren.<br />

Wie aus e<strong>in</strong>er Umfrage hervorgeht, die <strong>der</strong> Stadtjugendr<strong>in</strong>g unter allen Jugendlichen<br />

im Stadtbezirk im Jahr 1954 durchführte, führte e<strong>in</strong>e ganze Reihe von zeittypischen<br />

gesellschaftlichen Phänomenen dazu, dass die Jugend den organisierten Gruppen fernblieb.<br />

So begann sich die damalige Jugend früher als bisher für das an<strong>der</strong>e Geschlecht zu<br />

<strong>in</strong>teressieren. Viele junge <strong>Konstanz</strong>er<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>er wollten mit dem Fre<strong>und</strong> o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Fre<strong>und</strong><strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sam die Freizeit gestalten, was etwa <strong>in</strong> <strong>der</strong> Katholischen Jugend<br />

durch die erwähnte strenge Geschlechtertrennung, die <strong>in</strong> den Jugendgruppen üblicherweise<br />

praktiziert wurde, nicht möglich war. 1189 Des Weiteren trugen <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> engen<br />

Konfessionsb<strong>in</strong>dung <strong>und</strong> die Zunahme kommerzieller Jugendangebote zur Krise <strong>der</strong><br />

Jugendorganisationen bei.<br />

Zu den Gew<strong>in</strong>nern <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> zählte <strong>der</strong> Bereich Jugend- <strong>und</strong> Volksbildung, die<br />

Stadtjugendpflege sowie die kommerziellen Anbieter wie die örtlichen K<strong>in</strong>obesitzer,<br />

<strong>der</strong>en Angebote sich durch ke<strong>in</strong>erlei enge ideologische o<strong>der</strong> zeitliche B<strong>in</strong>dung auszeichneten,<br />

was <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e denjenigen Jugendlichen, die bereits im Beruf standen o<strong>der</strong> die<br />

lediglich e<strong>in</strong>e lose bzw. temporäre B<strong>in</strong>dung an e<strong>in</strong> Projekt e<strong>in</strong>gehen wollten, entgegenkam.<br />

Kurse des Jugendbildungswerks o<strong>der</strong> die Veranstaltungen <strong>der</strong> Stadtjugendpflege wie<br />

Film- <strong>und</strong> Tanzabende waren kurzfristig <strong>und</strong> offen angelegt <strong>und</strong> konnten von jedem<br />

Jugendlichen unverb<strong>in</strong>dlich genutzt werden.<br />

Die organisierte <strong>Jugendarbeit</strong> versuchte dem Trend mithilfe neuer Angebote zu<br />

begegnen, wobei man sich am offenen Angebot <strong>der</strong> Stadtjugendpflege sowie an allgeme<strong>in</strong>en<br />

gesellschaftlichen Trends orientierte. Im Zuge dieser <strong>Entwicklung</strong> kam es zu<br />

Akzentverschiebungen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit. Der Trend führte eher weg<br />

von dogmatischen <strong>und</strong> ideologisch ausgerichteten Veranstaltungen <strong>und</strong> h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er<br />

stärkeren Betonung von Unterhaltung, Sport, Freizeitangeboten, Bildung <strong>und</strong> Geselligkeit.<br />

Beispielsweise veranstaltete die Katholische Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Jahrzehnthälfte Sporttage<br />

für die Mitglie<strong>der</strong> aller Jugendorganisationen <strong>der</strong> Region. 1190 Begleitend wurde die<br />

zunehmende Professionalisierung im Rahmen <strong>der</strong> Jugendleiterausbildung angestrebt. 1191<br />

Die aufgezählten Versuche än<strong>der</strong>ten freilich nichts an <strong>der</strong> Tatsache, dass die organisierte<br />

1187<br />

BINDER, Die jugendliche Rebellion <strong>und</strong> die „vergesellschaftete“ <strong>Jugendarbeit</strong>, <strong>in</strong>: DEUTSCHE JUGEND,<br />

Heft 5 (1968), S. 218 ff.<br />

1188<br />

DAMM, <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krise. Frankfurt 1978.<br />

1189<br />

BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 433.<br />

1190 SÜDKURIER vom 08.10.1958.<br />

1191 DAMM, Jugendverbände, S. 24.


308 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> ab Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre ihren Zenit überschritten hatte <strong>und</strong> sich die Jugend<br />

von althergebrachten Mustern <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit zu verabschieden begann.<br />

5.5 Soziale Bedeutung <strong>und</strong> Gesellschaftsauftrag <strong>der</strong> Jugendverbände<br />

Fragt man nach dem gesellschaftlichen Auftrag von Jugendverbandsarbeit, so ist zwischen<br />

<strong>der</strong> Rolle, die diese e<strong>in</strong>erseits für die Vertreter aus Politik <strong>und</strong> Gesellschaft sowie<br />

an<strong>der</strong>erseits für die Mitglie<strong>der</strong> hatte, zu unterscheiden. KRAFELD zufolge erhielt die<br />

„<strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> den Verbänden“ nach dem Zweiten Weltkrieg „schnell <strong>und</strong> durchgängig<br />

die Funktion, e<strong>in</strong>e politisch relativ desorientierte <strong>und</strong> orientierungslose Jugend e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den<br />

<strong>in</strong> die je spezifische Interessenspolitik gesellschaftlich relevanter Gruppen“. 1192<br />

Aus dem Blickw<strong>in</strong>kel <strong>der</strong> Jugendpolitik betrachtet, zählen demzufolge Komponenten wie<br />

Jugen<strong>der</strong>ziehung, Integration <strong>in</strong> die durch Erwachsene geprägte Gesellschaft <strong>und</strong><br />

Verbandspolitik zu den zentralen Aufgaben <strong>der</strong> damaligen Jugendverbandsarbeit <strong>der</strong><br />

Nachkriegsära. Das Gesagte ist auf die Situation <strong>der</strong> örtlichen Jugendgruppen durchaus<br />

übertragbar. Wie alle Jugendgruppen waren die im Nachkriegs-<strong>Konstanz</strong> vertretenen<br />

Jugendverbände Untergruppen von Erwachsenenverbänden. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit<br />

standen Aspekte wie die Werbung neuer Mitglie<strong>der</strong>, die Wahrung <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Verbands<strong>in</strong>teressen o<strong>der</strong> die Brauchtumspflege. Der erzieherische Auftrag <strong>der</strong> Jugendorganisationen<br />

lag <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vermittlung sozialer <strong>und</strong> demokratischer Werte, Normen <strong>und</strong><br />

Verhaltensweisen.<br />

Für die Mehrheit <strong>der</strong> jugendlichen Mitglie<strong>der</strong> mögen diese Themen, welche die überregionale<br />

Verbandspolitik beschäftigten <strong>und</strong> die auf E<strong>in</strong>flussnahme auf jugendpolitische<br />

Planungen, gesetzgeberische Maßnahmen, Beschaffung von För<strong>der</strong>gel<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Mitwirkungen<br />

<strong>in</strong> den Organen des Landes- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esjugendr<strong>in</strong>gs o<strong>der</strong> auf Verbandebene<br />

zielten, jedoch zweitrangig gewesen se<strong>in</strong>. Die meisten Jugendlichen kamen freilich vor<br />

allem deshalb zu den Gruppenzusammenkünften, um Fre<strong>und</strong>e zu sehen, geme<strong>in</strong>same<br />

Interessen zu pflegen o<strong>der</strong> dem an<strong>der</strong>en Geschlecht zu begegnen, was freilich nicht heißen<br />

soll, dass die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit den <strong>in</strong>haltlichen Zielen <strong>und</strong> Aktionen wie kirchliche<br />

Lehre o<strong>der</strong> Gottesdienstgestaltung für die Mitglie<strong>der</strong> ke<strong>in</strong>e Rolle gespielt hätte.<br />

Für viele Heranwachsende gaben die Jugendorganisationen darüber h<strong>in</strong>aus vor allem<br />

<strong>in</strong> den ersten Jahren nach dem Krieg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unsicheren Zeit Halt, als es für Jugendliche<br />

kaum Perspektiven gab. Die Jugendverbände boten <strong>in</strong> diesem Punkt ihren Mitglie<strong>der</strong>n<br />

Identifikationsmöglichkeiten. Sie vermittelten Fertigkeiten <strong>und</strong> boten vielen jungen<br />

Menschen <strong>in</strong> Zeiten wirtschaftlicher Not Räume <strong>und</strong> Material, um mit wenig f<strong>in</strong>anziellen<br />

Eigenleistungen e<strong>in</strong>er Freizeitgestaltung o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Hobby nachzugehen.<br />

Neben dem erzieherischen Auftrag ist die <strong>in</strong>tegrative Wirkung <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit<br />

auf die Jugend hervorzuheben. Für nicht wenige K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche wurden die<br />

Jugendorganisationen <strong>in</strong> den Wirren <strong>der</strong> Nachkriegszeit zur zweiten Heimat. Das gilt <strong>in</strong><br />

1192 KRAFELD, <strong>Jugendarbeit</strong>, S. 137.


VII.5 FREIE UND PRIVATE TRÄGER DER JUGENDHILFE 309<br />

beson<strong>der</strong>em Maße für die jugendlichen Heimatvertriebenen <strong>und</strong> die Flüchtl<strong>in</strong>gsjugend. So<br />

wurden ohne Zweifel viele <strong>Konstanz</strong>er<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>er, die <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />

aufwuchsen, <strong>in</strong> ihrer Persönlichkeit <strong>und</strong> Sozialisation nachhaltig durch ihre Mitgliedschaft<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> örtlichen Jugendorganisationen geprägt.<br />

5.6 Zum Verhältnis von Jugendverbandsarbeit <strong>und</strong> Jugendpflege<br />

Wie <strong>in</strong> früheren Abschnitten dargelegt wurde, war die <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> unmittelbarer<br />

Nachkriegszeit darauf ausgerichtet, das Zusammenwirken aller mit Jugendlichen befassten<br />

Personen <strong>und</strong> Institutionen zu för<strong>der</strong>n. Diese Auffassung spiegelte sich beispielsweise <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Struktur <strong>der</strong> Jugendausschüsse, <strong>in</strong> denen Vertreter <strong>der</strong> freien <strong>und</strong> öffentlichen Träger,<br />

Schulen, Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Jugendfürsorge <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wohlfahrtspflege an e<strong>in</strong>em Tisch<br />

saßen, wi<strong>der</strong>. Im Jugendhaus mussten sich Jugendverbände <strong>und</strong> Jugendpflege die Räume<br />

teilen <strong>und</strong> sich über die Nutzung e<strong>in</strong>igen. Als Integrationsfigur wirkte vor allem die<br />

Person des Kreisjugendpflegers, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Planung <strong>der</strong> gesamten <strong>Jugendarbeit</strong> im Stadtkreis<br />

betraut war. Mit diesen H<strong>in</strong>weisen soll die französische Jugendpolitik im besetzten<br />

deutschen Südwesten ke<strong>in</strong>eswegs idealisiert werden, zumal auf die Probleme, die mit den<br />

Regelungen verb<strong>und</strong>en waren, bereits ausführlich e<strong>in</strong>gegangen wurde. 1193 Doch solange <strong>in</strong><br />

früher Nachkriegszeit die Entscheidungskompetenzen im Bereich <strong>der</strong> Jugendpolitik noch<br />

bei den Militärregierungen lagen, blieben weltanschauliche Gegensätze zwischen<br />

kommunalen Trägern <strong>und</strong> freien Verbänden unter dem Deckmantel behördlicher Politik<br />

verborgen.<br />

Vor allem drei gesellschaftliche Gruppen zeigten sich gegenüber <strong>der</strong> kommunalen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong>, die es bis 1946 <strong>in</strong> dieser Form <strong>in</strong> Deutschland gegeben hatte, aus Gründen<br />

des Konkurrenzdenkens o<strong>der</strong> aufgr<strong>und</strong> weltanschaulicher Divergenzen skeptisch: Schulen,<br />

Kirchen <strong>und</strong> Jugendverbände. So f<strong>in</strong>den sich e<strong>in</strong>ige H<strong>in</strong>weise darauf, dass die Jugendverbände<br />

die Konkurrenz <strong>der</strong> neuen kommunalen E<strong>in</strong>richtungen fürchteten. Beispielsweise<br />

wies <strong>der</strong> Vill<strong>in</strong>ger Dekanatsjugendseelsorger im März 1946 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben an<br />

das Kreisjugendbildungswerk Zugriffsversuche vonseiten <strong>der</strong> öffentlichen Jugendpflege<br />

auf die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Katholischen Jugend auf das Schärfste zurück, nachdem er erfahren<br />

hatte, dass das Kreisjugendbildungswerk Angehörige <strong>der</strong> männlichen Pfarrjugend für<br />

Arbeiten für das entstehende neue Jugendhaus zu werben versucht hatte. Der Vikar<br />

bemerkte dazu, dass man es „niemals dulden“ werde, dass unsere Jugend von uns weggezogen<br />

wird. 1194 Gleichzeitig erteilte er jeglichen Versuchen, e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tegrierte <strong>Jugendarbeit</strong><br />

zu för<strong>der</strong>n, <strong>in</strong> <strong>der</strong> organisierte <strong>und</strong> nichtorganisierte Jugendliche geme<strong>in</strong>sam Projekte<br />

gestalteten, e<strong>in</strong>e Absage. Se<strong>in</strong>en Worten zufolge werde sich die Kirche „niemals damit<br />

e<strong>in</strong>verstanden erklären, dass unsere Jugend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Jugendbewegung aufgehen<br />

soll“. Für <strong>Konstanz</strong> ist e<strong>in</strong> ähnlicher Fall belegt. So heißt es im französischen<br />

Jugendbericht von 1951, dass es Ressentiments <strong>der</strong> Katholischen Jugend gegenüber <strong>der</strong><br />

1193 Vgl. hierzu <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Kap. II.7.<br />

1194 Zitiert nach KrAVS, LRA Vill<strong>in</strong>gen, Nr. 2417; siehe auch das folgende Zitat.


310 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

städtischen Jugendpflege gegeben hätte, nachdem bekannt geworden war, dass 22 Prozent<br />

<strong>der</strong> organisierten Jugendlichen, darunter mehrheitlich Angehörige <strong>der</strong> Katholischen<br />

Jugend, zugleich im Jugendbildungswerk aktiv waren. 1195<br />

Dass sich auch die Schulen <strong>in</strong> Konkurrenz zur außerschulischen Bildung sahen, geht<br />

aus e<strong>in</strong>em Schreiben des damaligen badischen Kultusm<strong>in</strong>isters <strong>und</strong> späteren M<strong>in</strong>isterpräsidenten<br />

Wohleb aus dem Jahr 1949 an die Landratsämter hervor. Dar<strong>in</strong> weist er darauf<br />

h<strong>in</strong>, dass von Seiten „<strong>der</strong> Lehrerschaft die Befürchtung entstehen“ könnte, „als bee<strong>in</strong>trächtige<br />

die Betätigung im Jugendbildungswerk das Interesse <strong>der</strong> Schuljugend am<br />

Unterricht“. Aus se<strong>in</strong>er Sicht ersche<strong>in</strong>e es daher, wie es weiter heißt<br />

„[…] zum Erweis des Unterschieds <strong>und</strong> des Willens zur Zusammenarbeit<br />

unerlässlich, von Seiten <strong>der</strong> Leitung des Jugendbildungswerkes die Schüler [...]<br />

immer wie<strong>der</strong> auf die Notwendigkeit h<strong>in</strong>zuweisen, sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule das notwendige<br />

Rüstzeug des Wissens für die formale <strong>und</strong> materiale Bildung zu erwerben.“ 1196<br />

Nach dem Wegfall besatzungspolitischer E<strong>in</strong>flussnahmen <strong>und</strong> Kontrollen begannen nach<br />

1949/50 die bisweilen künstlich zusammengefügten Bereiche erneut ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zudriften.<br />

Zwar wirkte sich die Rücknahme <strong>der</strong> französischen Reformen im Bereich <strong>der</strong> außerschulischen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> weniger gravierend aus als dies etwa im Bildungsbereich <strong>der</strong><br />

Fall war. Dennoch ist zu konstatieren, dass gerade diejenigen Bereiche, die für <strong>in</strong>tegrative<br />

Formen <strong>der</strong> Jugendhilfearbeit <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> standen, zurückgenommen o<strong>der</strong> so umgeformt<br />

wurden, dass <strong>der</strong> Zusammenhalt verloren g<strong>in</strong>g. Neben <strong>der</strong> Gründung e<strong>in</strong>er Gesamtvertretung<br />

<strong>der</strong> Jugendorganisationen <strong>in</strong> Gestalt des Jugendr<strong>in</strong>gs, sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e das<br />

neue Jugendhilferecht diesen Prozess beschleunigt zu haben, <strong>in</strong>dem es freien Trägern<br />

Vorrang vor <strong>der</strong> staatlichen Jugendpflege e<strong>in</strong>räumte <strong>und</strong> so <strong>der</strong>en Position <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> gestärkt wurde. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> s<strong>in</strong>d die Versuche des<br />

Stadtjugendr<strong>in</strong>gs, zur Mitte des Jahrzehnts die öffentliche Hand zur Anhebung <strong>der</strong><br />

För<strong>der</strong>mittel für die Jugendverbandsarbeit zu bewegen, zu deuten. Noch weiter g<strong>in</strong>gen<br />

Teile <strong>der</strong> Katholischen Jugend, welche die Auflösung des Jugendbildungswerks for<strong>der</strong>ten<br />

<strong>und</strong> dafür plädierten, die für diese Institution vorgesehenen För<strong>der</strong>mittel auf die<br />

Jugendorganisationen umzulegen. 1197 Selbst wenn solche Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen zwischen<br />

Jugendverbänden <strong>und</strong> Jugendbildungswerk nur bruchstückweise überliefert s<strong>in</strong>d, deutet<br />

sich an, dass es <strong>in</strong> den 1950er-Jahren viele Spannungen zwischen Vertretern <strong>der</strong> freien<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> behördlichen <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> gab.<br />

1195<br />

Etude sur la Jeunesse, S. 15; MAE AOFAA, C 4381.<br />

1196<br />

Zitiert nach e<strong>in</strong>em Schreiben des Kreisjugendbeauftragten Kutscha an die Leiter <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften<br />

vom 22.04.1949; StAK, S XII.<br />

1197<br />

Vgl. BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 432.


VII.6 DAS INTERNATIONALE INSTITUT SCHLOSS MAINAU 311<br />

6 Das Internationale Institut Schloss Ma<strong>in</strong>au<br />

Den Jugende<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region <strong>Konstanz</strong> ist das Internationale Schloss Ma<strong>in</strong>au,<br />

das seit den späten 1940er-Jahre bis Ende <strong>der</strong> 1960er-Jahre existierte, h<strong>in</strong>zuzurechnen,<br />

obwohl es sich <strong>in</strong> vielerlei H<strong>in</strong>sicht von den bisher behandelten E<strong>in</strong>richtungen unterschied.<br />

Das wichtigste Wesensmerkmal dieser E<strong>in</strong>richtung bestand dar<strong>in</strong>, dass se<strong>in</strong>e<br />

Arbeit nicht auf die Zielgruppe <strong>der</strong> örtlichen Jugend ausgerichtet war, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>ternationalen Personenkreis, <strong>der</strong> vorwiegend aus gehobenen Schichten <strong>und</strong><br />

unterschiedlichen europäischen Län<strong>der</strong>n stammte, ansprach. 1198 Aufgr<strong>und</strong> dieser Orientierung<br />

handelte es sich um e<strong>in</strong>e für damalige Verhältnisse äußerst <strong>in</strong>novative <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>teressante Form <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>. Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Tätigkeit standen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

zwei Arbeitsfel<strong>der</strong>. Zum e<strong>in</strong>en war dies <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationale Jugendaustausch, zum an<strong>der</strong>en<br />

die politische Bildungsarbeit. Im Zuge dieser Schwerpunktlegung entwickelte sich die<br />

Bodensee<strong>in</strong>sel bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu e<strong>in</strong>em Zentrum für Jugendtreffen,<br />

die speziell Erholungs- <strong>und</strong> Schulungszwecken dienten.<br />

Ab Mitte 1947 fanden zunächst re<strong>in</strong> deutsch-schwedische Freizeiten des Evangelischen<br />

Jugendmännerwerks Deutschland, das auf <strong>der</strong> Insel Ma<strong>in</strong>au e<strong>in</strong> Freizeitlager<br />

unterhielt, statt. 1199 Das Projekt wurde <strong>in</strong>itiiert <strong>und</strong> unterstützt durch Graf Lennart<br />

Bernadotte. 1200 So stellte die gräfliche Familie Räume im Schloss <strong>und</strong> den dazugehörigen<br />

Gebäuden zur Verfügung. Bei den frühen Treffen dieser Art traf sich die männliche<br />

Jugend unterschiedlicher Gesellschaftsschichten aus Baden o<strong>der</strong> Württemberg für 14 Tage<br />

im „Schwedisch-Deutschen Freizeitwerk des YMCA“, so die <strong>in</strong>ternationale Bezeichnung<br />

für die Jugendorganisation <strong>der</strong> überkonfessionell ausgerichteten <strong>in</strong>ternationalen Jugendorganisation<br />

CVJM. Die Treffen dienten vorwiegend den übergeordneten Zwecken des<br />

Verbandes; entsprechend stand die christliche Erziehung im Mittelpunkt <strong>der</strong> <strong>in</strong>haltlichen<br />

Arbeit mit den Jugendlichen. Neben den geme<strong>in</strong>samen Mahlzeiten <strong>und</strong> Gottesdiensten<br />

wurden Freizeitaktivitäten wie Sport <strong>und</strong> Spiel, Gesang <strong>und</strong> Erzählungen sowie Ausflüge<br />

<strong>in</strong> die Umgebung geboten. In <strong>der</strong> ersten Nachkriegszeit war außerdem die Ernährung <strong>der</strong><br />

Teilnehmer e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> zentralen Gesichtspunkt <strong>der</strong> Tätigkeit des Instituts, das sich die<br />

„körperliche <strong>und</strong> geistige Erholung“ <strong>der</strong> Besucher, wozu auch e<strong>in</strong>e „tägliche Lebertrandosis“<br />

1201 gehörte, zum Ziel setzte. Unterstützt durch die Jungmännerwerke <strong>in</strong> Schweden<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Schweiz sowie durch die Familie Bernadotte wurden die Jugendlichen mit<br />

Lebensmitteln wie etwa Milchkakao versorgt, die damals <strong>in</strong> Deutschland vielen Bevölkerungsschichten<br />

nicht zugänglich waren.<br />

Im Sommer 1949 entstand aus diesen Vorläufern das Internationale Institut Schloss<br />

Ma<strong>in</strong>au für Jugendführung, dessen Freizeitleitung seither dem CVJM unterstand <strong>und</strong> das<br />

gelegentlich auch als „Europäische Jugendakademie“ o<strong>der</strong> „Europäische Volkshochschule“<br />

bezeichnet wurde. Gemäß den Zielen des YMCA/CVJM sah das Institut se<strong>in</strong>e<br />

Aufgabe dar<strong>in</strong>, „jungen Menschen Wegweiser zu se<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Fragen, die sie bewegen <strong>und</strong><br />

1198 Etude sur la jeunesse, S. 16; MAE AOFAA, C 4381.<br />

1199 SÜDKURIER vom 30.06.1947.<br />

1200 SÜDKURIER vom 11.03.1957.<br />

1201 SÜDWESTDEUTSCHE VOLKSZEITUNG vom 06.09.1948.


312 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

sie gleichzeitig e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> nahe zu br<strong>in</strong>gen“. 1202 Die Institution unterstand <strong>der</strong> Schirmherrschaft<br />

des Weltb<strong>und</strong>es YMCA/CVJM, des Nationalkomitees des Schwedischen<br />

CVJM <strong>und</strong> des Verbands <strong>der</strong> evangelischen Jungmännerbünde Deutschlands <strong>und</strong> för<strong>der</strong>te<br />

<strong>in</strong> dieser Eigenschaft die Kontaktaufnahme zwischen europäischen Mitarbeitern <strong>der</strong><br />

CVJM-Verbände. In den Anfangsjahren bot das Institut <strong>in</strong> den Monaten April bis<br />

November jährlich e<strong>in</strong>erseits zweiwöchige Freizeiten für Jugendliche <strong>und</strong> bildete an<strong>der</strong>erseits<br />

darüber h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> zehnwöchigen Kursen Jugendliche, Jugendleiter, Lehrer <strong>und</strong><br />

Pfarrer zu Leitern <strong>der</strong> verschiedenen christlichen Jugendorganisationen aus. Vorbildung,<br />

Konfession <strong>und</strong> Nationalität spielten bei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Interessenten ke<strong>in</strong>e Rolle. Der<br />

Lehrkörper, bestehend aus Deutschen, Schweden, Amerikanern <strong>und</strong> Franzosen, war <strong>in</strong>ternational.<br />

Das Kursangebot umfasste soziale Fragen, <strong>in</strong>ternationale Probleme, Religionsgeschichte,<br />

Jugendpsychologie, Soziologie, Sprachen, Musik <strong>und</strong> Sport.<br />

Im Zuge e<strong>in</strong>er umfassenden Neuausrichtung, die unter neuer Leitung des<br />

schwedischen Pastors Tore Littmarck ab 1957 e<strong>in</strong>geleitet wurde, begann sich das Institut<br />

zehn Jahre, nachdem die ersten Treffen auf <strong>der</strong> Ma<strong>in</strong>au stattgef<strong>und</strong>en hatten, zeitbed<strong>in</strong>gt<br />

zusätzlich zu den altbewährten Veranstaltungen wie den <strong>in</strong>ternationalen Studententagungen,<br />

vermehrt nach außen h<strong>in</strong> zu öffnen. 1203 Neben den <strong>in</strong>ternen Lehrgängen des<br />

CVJM als Träger des Instituts, standen die Räumlichkeiten nun weiteren Organisationen<br />

zu Tagungszwecken <strong>und</strong> für Freizeiten zur Verfügung, darunter dem Deutschen Roten<br />

Kreuz o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Evangelischen Akademie Baden. Zudem suchte man e<strong>in</strong>en stärkeren<br />

Regionalbezug, <strong>in</strong>dem zunehmend Interessenten aus <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> dem Bodenseeraum zu<br />

Lehrgängen <strong>und</strong> Referaten e<strong>in</strong>geladen werden sollten. E<strong>in</strong>en ersten Nie<strong>der</strong>schlag fand<br />

diese neue L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kulturwoche unter dem Motto „Das Bodenseegebiet als<br />

kulturelles <strong>und</strong> religiöses Zentrum“. 1204<br />

Die <strong>in</strong>haltlichen Schwerpunkte lagen <strong>in</strong> den ausgehenden 1950er- <strong>und</strong> den 1960er-<br />

Jahren auf <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Zusammenarbeit <strong>und</strong> dem Erfahrungsaustausch zwischen<br />

Vertretern unterschiedlicher Nationalitäten. Im Mittelpunkt stand die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />

mit neuen Fragen <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> ganz Europa, die aus den rapiden wirtschaftlichen,<br />

gesellschaftlichen <strong>und</strong> kulturellen <strong>Entwicklung</strong>en resultierten. Die Aufarbeitung solcher<br />

Themen oblag den e<strong>in</strong>zelnen Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften, die sich beispielsweise Themen wie<br />

„Die Automatisierung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Mensch“ o<strong>der</strong> „Jugend, Politik <strong>und</strong> christlicher Glaube“<br />

widmeten. Die <strong>Entwicklung</strong> vollzog sich vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Tatsache, dass Reisen<br />

<strong>in</strong> an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong> <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> wirtschaftlichen Prosperität <strong>und</strong> <strong>der</strong> wachsenden Mobilität<br />

für breitere Schichten von Jugendlichen möglich war. Im Gegensatz zur Gründungsphase<br />

des Instituts g<strong>in</strong>g es nun <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie nicht mehr darum, die Jugend verschiedener<br />

Län<strong>der</strong> zusammenzubr<strong>in</strong>gen.<br />

1202 SÜDKURIER vom 17.05.1949.<br />

1203 E<strong>in</strong>en Überblick über das zehnjährige Bestehen <strong>und</strong> die Organisation des Instituts gibt <strong>der</strong> Bericht im<br />

SÜDKURIER vom 12.02.1957; zur 10. Studententagung vgl. SÜDKURIER vom 23.08.1958.<br />

1204 SÜDKURIER vom 25.05.1957.


VII.7 FREIZEITMÖGLICHKEITEN AUßERHALB DER ORGANISIERTEN JUGENDARBEIT 313<br />

Im Jahr 1967 stellte das Internationale Institut Schloss Ma<strong>in</strong>au se<strong>in</strong>e Tätigkeit e<strong>in</strong>.<br />

Se<strong>in</strong>e Arbeit hatte sich, wie BURCHARDT 1205 feststellt, „<strong>in</strong> gewisser Weise erledigt“, weil<br />

die Jugend mittlerweile „nahezu unbegrenzt Möglichkeiten besaß, <strong>in</strong>s Ausland zu reisen<br />

o<strong>der</strong> ausländische Fre<strong>und</strong>e <strong>in</strong> die B<strong>und</strong>esrepublik“ zu holen.<br />

7 Freizeitmöglichkeiten außerhalb <strong>der</strong> organisierten <strong>Jugendarbeit</strong><br />

– Vere<strong>in</strong>sarbeit, <strong>in</strong>dividuelle Freizeitgestaltung<br />

Im Verlauf des Jahrzehnts weitete sich vor allem das kommerzielle Angebot an<br />

Jugendveranstaltungen merklich aus. Insbeson<strong>der</strong>e Tanzveranstaltungen <strong>und</strong> K<strong>in</strong>obesuche<br />

standen bei <strong>der</strong> Jugend hoch im Kurs. Schulen, Vere<strong>in</strong>e, freie <strong>und</strong> öffentliche Träger <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> wie Bildungswerk, Stadtjugendpflege <strong>und</strong> Jugendverbände führten ab <strong>der</strong><br />

zweiten Hälfte des Jahrzehnts vermehrt Unterhaltungsveranstaltungen <strong>und</strong> Aktionstage<br />

durch. E<strong>in</strong> Beispiel ist <strong>der</strong> erste <strong>Konstanz</strong>er Ski-Jugendtag, <strong>der</strong> im Januar 1959 auf<br />

Initiative des örtlichen Schulamts <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Skiclub <strong>Konstanz</strong> am damals<br />

noch unverbauten Sonnenbühl veranstaltet <strong>und</strong> von <strong>der</strong> Jugend begeistert aufgenommen<br />

wurde. 1206<br />

Als Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre die Beschränkungen <strong>der</strong> Franzosen für das Vere<strong>in</strong>swesen<br />

entfielen, erlebte dieses e<strong>in</strong>e neue Blütezeit. Im Gefolge formierten sich vor allem<br />

Sportvere<strong>in</strong>e, die beson<strong>der</strong>s von besatzungsbed<strong>in</strong>gten E<strong>in</strong>schränkungen betroffen gewesen<br />

waren, wie<strong>der</strong> neu. So wurde schon 1950 <strong>der</strong> von den Militärbehörden erzwungene<br />

Zusammenschluss <strong>der</strong> beiden Allsportvere<strong>in</strong>e, SV-<strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong> für Leibesübungen<br />

(VfL), revidiert. Im Gefolge <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> formierten sich von nun an vor<br />

allem viele Sportvere<strong>in</strong>e, darunter die Turner-, Velo- <strong>und</strong> Tennis-Clubs. Wassersportvere<strong>in</strong>e<br />

<strong>und</strong> Luftsportvere<strong>in</strong>e, die aus militärischen Gründen beson<strong>der</strong>s lange den<br />

Beschränkungen unterworfen waren, nahmen ihre Vere<strong>in</strong>stätigkeit ebenfalls wie<strong>der</strong> auf,<br />

darunter <strong>der</strong> Ru<strong>der</strong>-Club o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Aero-Club. Ebenso gründeten sich im musischen <strong>und</strong><br />

kulturellen Bereich viele Gruppierungen. Im Zuge dieser <strong>Entwicklung</strong> reaktivierten<br />

sämtliche örtliche Vere<strong>in</strong>e selbstverständlich ihre <strong>Jugendarbeit</strong> als wichtige Form <strong>der</strong><br />

Nachwuchsför<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> Sicherung <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>zahlen. In <strong>der</strong> zweiten Jahrzehnthälfte<br />

konnten die zahlreichen Sportvere<strong>in</strong>e ihre <strong>Jugendarbeit</strong> weiter <strong>in</strong>tensivieren, wobei sie<br />

neben e<strong>in</strong>er verbesserten Vere<strong>in</strong>sför<strong>der</strong>ung <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e vom Bau neuer Schulturnhallen<br />

profitierten, die von den Vere<strong>in</strong>en am Abend mitgenutzt werden konnten. Maßgeblichen<br />

Anteil an dieser <strong>Entwicklung</strong> hatte die 1952 gegründete „Interessengeme<strong>in</strong>schaft Sport“,<br />

<strong>der</strong> 38 Vere<strong>in</strong>e angeschlossen waren. Diese Vere<strong>in</strong>igung setzte sich mit Nachdruck für die<br />

Sportför<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>, namentlich für den Bau von Sportanlagen, Turnhallen sowie für die<br />

Ausweitung <strong>der</strong> kommunalen Vere<strong>in</strong>sför<strong>der</strong>ung.<br />

1205 Zitiert nach BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 436.<br />

1206 SÜDKURIER vom 19.01.1959.


314 VII JUGENDARBEIT NACH 1949 BIS ZUM BEGINN DER 1960ER-JAHRE<br />

Selbstverständlich verbrachten viele Jugendliche <strong>in</strong> den 1950er-Jahren trotz des<br />

wachsenden Angebotes ihre Freizeit unabhängig von den organisierten Vorschlägen <strong>der</strong><br />

Jugendpflege, <strong>der</strong> Jugendorganisationen, <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>e <strong>und</strong> <strong>der</strong> kommerziellen K<strong>in</strong>os o<strong>der</strong><br />

Tanzbars. Beson<strong>der</strong>s großer Beliebtheit erfreute sich bei <strong>der</strong> Jugend unzweifelhaft im<br />

Sommer das Baden im See. Bevorzugte Treffpunkte waren das Strandbad Horn, das<br />

kostenlos genutzt werden konnte, sowie <strong>der</strong> Stadtgarten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Anlegesteg am Inselhotel.<br />

Die Tatsache, dass dort zum Teil bis spät <strong>in</strong> die Nacht gebadet wurde, führte allerd<strong>in</strong>gs<br />

immer wie<strong>der</strong> zu Klagen vonseiten <strong>der</strong> Anwohner. 1207<br />

Ansonsten traf sich die Jugend auf öffentlichen Plätzen <strong>und</strong> Straßen. Im Zuge des<br />

wachsenden Auto- <strong>und</strong> Straßenverkehrs entwickelte sich gegenüber dieser Form des Freizeitverhaltens<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte des Jahrzehnts jedoch allmählich e<strong>in</strong> öffentliches<br />

Problembewusstse<strong>in</strong>. So for<strong>der</strong>ten Eltern <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Jugendverantwortliche die Stadtverwaltung<br />

auf, Plätze für die Jugend zu schaffen. Obwohl diesem Ans<strong>in</strong>nen neben Kostengründen<br />

die Befürchtungen von Anwohnern h<strong>in</strong>sichtlich des zu erwartenden Lärms entgegenstanden,<br />

griff <strong>der</strong> Stadtrat auf Initiative des Bürgermeisters Diesbach 1955 dieses<br />

Thema auf <strong>und</strong> beriet sich darüber, welche Plätze für die Anlegung von Spielstätten für<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche geeignet wären. Die Stadt besserte im weiteren Schritt nach <strong>und</strong><br />

stellte im Nachtragshaushalt 12.000 DM für die Anlegung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>spielplätzen <strong>und</strong> die<br />

Anschaffung von Sportgeräten zur Verfügung. Unter an<strong>der</strong>em wurden aus diesen Mitteln<br />

e<strong>in</strong>ige bereits von <strong>der</strong> Jugend benutzte Treffpunkte am Döbele, am Friedrich-Pecht-Weg<br />

sowie im Rhe<strong>in</strong>gut, wo sich damals die männliche Jugend zum Fußballspielen traf, etwas<br />

hergerichtet.<br />

1207 Vgl. BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 401.


VIII Neue Ansätze bei Jugendschutz, Pädagogik,<br />

Sozialarbeit <strong>und</strong> Strafrecht <strong>in</strong> den 1950er- <strong>und</strong> den<br />

frühen 1960er-Jahren<br />

1 Jugendschutz – Begriffsbestimmung <strong>und</strong> Fragestellung<br />

Jugendschutz bezieht sich auf das Verhältnis von Staat <strong>und</strong> nachwachsen<strong>der</strong> Generation.<br />

Se<strong>in</strong>e erzieherische Funktion zielt darauf, K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche vor psychischen <strong>und</strong><br />

physischen Schäden zu bewahren. Darüber h<strong>in</strong>aus ist Jugendschutz e<strong>in</strong> Mittel zur Wahrung<br />

von Kontroll- <strong>und</strong> Ordnungs<strong>in</strong>teressen des Staates. 1208 Wenn <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> des<br />

gesetzlichen Jugendschutzes <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit im Rahmen dieser Arbeit e<strong>in</strong><br />

ausführliches Kapitel gewidmet wird, so geschieht dies vor allem aus zwei Gründen:<br />

Zum e<strong>in</strong>en entwickelte sich <strong>der</strong> gesetzliche Jugendschutz neben <strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Jugendför<strong>der</strong>ung im Verlauf <strong>der</strong> 1950er-Jahre zur „dritten Säule <strong>der</strong> Jugendpolitik“ 1209 ;<br />

zum an<strong>der</strong>en spiegelt die damalige Jugendschutzgesetzgebung zeittypische Befürchtungen<br />

<strong>der</strong> Erwachsenen <strong>in</strong> Bezug auf die Jugend wi<strong>der</strong>. Damit ist zugleich darauf h<strong>in</strong>gewiesen,<br />

dass dem sozioökonomischen Wandel nicht nur e<strong>in</strong>e fortschrittsorientierte Komponente<br />

zugr<strong>und</strong>e lag. Vielmehr rief die rasante Mo<strong>der</strong>nisierung aller Lebensbereiche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Ängsten hervor, die nicht zuletzt mithilfe von Mutmaßungen<br />

über potenzielle Gefährdungen <strong>der</strong> Jugend zum Ausdruck gebracht wurden.<br />

1.1 Jugendschutz als Reaktion auf die beson<strong>der</strong>e Gefährdungslage <strong>der</strong><br />

Jugend nach Kriegsende zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949<br />

Die allgeme<strong>in</strong>e Notlage <strong>der</strong> Bevölkerung nach Kriegsende brachte viele Gefahrenmomente<br />

für Jugendliche mit sich. E<strong>in</strong> großer Teil aller E<strong>in</strong>flüsse, die vonseiten <strong>der</strong> Eltern<br />

<strong>und</strong> Erzieher damals als jugendgefährdend e<strong>in</strong>gestuft wurden, hatte ihre tiefere Ursache <strong>in</strong><br />

den kriegsbed<strong>in</strong>gten Auflösungsersche<strong>in</strong>ungen <strong>der</strong> Gesellschaft. Zahlreiche Facetten<br />

dieser <strong>Entwicklung</strong> kamen im Verlauf <strong>der</strong> Untersuchung bereits zur Sprache <strong>und</strong> müssen<br />

aus diesem Gr<strong>und</strong> nicht mehr detailliert behandelt werden. Gesichtspunkte wie <strong>der</strong> Verlust<br />

<strong>der</strong> Heimat, <strong>der</strong> Familie, <strong>der</strong> Arbeit o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Leben im Flüchtl<strong>in</strong>gslager Egg auf beengtem<br />

Raum unter schlechten hygienischen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> ohne Privatsphäre s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem<br />

Kontext ebenso zu nennen wie die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher <strong>in</strong>folge<br />

Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> die dadurch bed<strong>in</strong>gte soziale Isolation <strong>und</strong> die schlechte Wirtschafts-<br />

<strong>und</strong> Ernährungslage. In den Jahren zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Währungsreform wurden<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche zu illegalen „Hamsterfahrten“ aufs Land geschickt. Viele<br />

Jugendliche beg<strong>in</strong>gen, um die Not <strong>und</strong> den Hunger zu l<strong>in</strong><strong>der</strong>n, Diebstähle o<strong>der</strong> beteiligten<br />

sich an unerlaubten Schwarzmarktgeschäften. E<strong>in</strong> spezielles Problem stellte die Nähe <strong>der</strong><br />

1208 GERNERT, Institutionen <strong>und</strong> Organisationen, <strong>in</strong>: BIENEMANN (Hg.), Handbuch, S. 91-96.<br />

1209 FIPPINGER, Institutionalisierter Jugendschutz, <strong>in</strong>: BIENEMANN (Hg.), Handbuch, S. 78-86, hier S. 80.


316 VIII NEUE ANSÄTZE BEI JUGENDSCHUTZ, PÄDAGOGIK, SOZIALARBEIT UND STRAFRECHT<br />

Stadt <strong>Konstanz</strong> zur schweizerischen Grenze dar. So wurden <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsmonaten<br />

zahlreiche Jugendliche aus ganz Deutschland am Zoll <strong>in</strong> Kreuzl<strong>in</strong>gen aufgegriffen,<br />

weil sie <strong>in</strong> die Schweiz fliehen wollten. 1210<br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> wurde vonseiten <strong>der</strong> politisch Handelnden e<strong>in</strong>e ganze Reihe<br />

an Schutzmechanismen <strong>in</strong>stalliert. Der gesetzliche Jugendschutz gewann zwar erst im<br />

Laufe <strong>der</strong> 1950er-Jahre an Kontur, jedoch schützten unmittelbar nach Kriegsende die<br />

rigiden Anordnungen <strong>und</strong> Verbote <strong>der</strong> französischen Militärregierung die Jugend vor<br />

drohenden Gefahren. So schränkten Maßnahmen wie die Sperrst<strong>und</strong>en, das Ausgehverbot<br />

<strong>während</strong> <strong>der</strong> Nacht <strong>und</strong> das Verbot öffentlicher Vergnügungen wie Tanzveranstaltungen,<br />

K<strong>in</strong>o, Varieté o<strong>der</strong> Kabarett e<strong>in</strong>erseits den Bewegungsspielraum aller Bevölkerungsgruppen<br />

im militärisch besetzten <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>, an<strong>der</strong>erseits hatten solche Regelungen<br />

e<strong>in</strong>en jugendschützerischen Effekt. 1211<br />

1.1.1 Anordnungen h<strong>in</strong>sichtlich jugendgefährden<strong>der</strong> Orte<br />

Bereits ab Herbst 1945 wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone kommerzielle<br />

Freizeitangebote wie K<strong>in</strong>o o<strong>der</strong> Revuen wie<strong>der</strong> sukzessive erlaubt. Ab Herbst 1945 gab es<br />

zudem erste Theateraufführungen <strong>und</strong> Konzerte, die <strong>der</strong> Zerstreuung <strong>und</strong> kulturellen<br />

Erbauung sowohl <strong>der</strong> Angehörigen <strong>der</strong> Militärregierung als auch <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung<br />

dienten. Allerd<strong>in</strong>gs war es wie etwa im Fall <strong>der</strong> Tanztruppe „Lycette d’Arsonval<br />

de L’Opéra“, die im Spätsommer 1945 e<strong>in</strong> Gastspiel <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> gab, üblich, die Veranstaltungen<br />

jeweils getrennt für das französische <strong>und</strong> das deutsche Publikum durchzuführen.<br />

1212<br />

In gleichem Maße, wie die Bevölkerung ihre Freizügigkeit zurückgewann <strong>und</strong> erste<br />

Vergnügungen <strong>und</strong> Freizeitaktivitäten wie<strong>der</strong> möglich wurden, wuchsen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

die Bedenken, dass Jugendliche die neuen Freiheiten missbrauchen könnten. Vor<br />

diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> ist die bald e<strong>in</strong>setzende gesellschaftliche Diskussion um die<br />

Verschärfung des Jugendschutzes zu betrachten. Da es ke<strong>in</strong>e übergeordneten staatlichen<br />

Strukturen zu diesem Zeitpunkt gab, g<strong>in</strong>gen die ersten jugendschützerischen Maßnahmen,<br />

die vonseiten <strong>der</strong> deutschen Politik zu verantworten waren, analog zu an<strong>der</strong>en<br />

adm<strong>in</strong>istrativen Bereichen zuerst von <strong>der</strong> kommunalen Verwaltungsebene aus. Auf<br />

organisatorischem Gebiet waren <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die<br />

Jugendausschüsse mit Fragen des kommunalen Jugendschutzes befasst. Gegen Ende <strong>der</strong><br />

1940er-Jahre wurde zudem <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Stadtrat auf das Thema aufmerksam. Deren<br />

E<strong>in</strong>stellung korrespondierte mit <strong>der</strong> <strong>in</strong> Westdeutschland damals gängigen Auffassung des<br />

traditionellen Jugendschutzes, <strong>der</strong> davon ausg<strong>in</strong>g, dass die Jugendlichen vor Gefahren<br />

abgeschirmt werden müssten. E<strong>in</strong>ige Jugendverantwortliche g<strong>in</strong>gen sogar so weit, alle<strong>in</strong><br />

schon e<strong>in</strong>e unstrukturierte Freizeitgestaltung als jugendgefährdend zu bewerten.<br />

Möglicherweise spielten hierbei Befürchtungen, die Kontrolle über das Freizeitverhalten<br />

1210 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 95.<br />

1211 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 62 f.<br />

1212 Bericht <strong>der</strong> Militärregierung, Distrikt <strong>Konstanz</strong> vom 03.09.1945, S. 2; MAE AOFAA, C 1101/1.


VIII.1 JUGENDSCHUTZ – BEGRIFFSBESTIMMUNG UND FRAGESTELLUNG 317<br />

<strong>der</strong> Jugend zu verlieren, e<strong>in</strong>e Rolle. Beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit wurde <strong>der</strong> Def<strong>in</strong>ition<br />

jugendgefährden<strong>der</strong> Orte gewidmet. Erstmals wurden neben den Zugangsbeschränkungen<br />

zum öffentlichen Konsum Reglements im H<strong>in</strong>blick auf die Medienwelt diskutiert. 1213<br />

Somit konzentrierten sich die frühen jugendschützerischen Maßnahmen nach 1945 darauf,<br />

beliebte Freizeitbeschäftigungen <strong>der</strong> Jugend, die nur schwer zu beobachten waren, zu<br />

reglementieren o<strong>der</strong> vollständig zu verbieten.<br />

Das Haupt<strong>in</strong>teresse richtete sich auf den Besuch öffentlicher Tanzveranstaltungen<br />

durch Jugendliche. Diese Form <strong>der</strong> Unterhaltung fand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit sowohl bei<br />

Erwachsenen als auch unter <strong>der</strong> Jugend großen Anklang. Tanzveranstaltungen, die <strong>in</strong><br />

größeren Sälen o<strong>der</strong> Nebenräumen von Gaststätten stattfanden, boten <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

etwas Zerstreuung <strong>und</strong> Unterhaltung im ansonsten eher tristen Nachkriegsalltag <strong>und</strong><br />

stellten <strong>in</strong> Zeiten mangeln<strong>der</strong> Freizeit e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> wenigen Gelegenheiten dar, sich zu treffen,<br />

sich zu amüsieren <strong>und</strong> dem an<strong>der</strong>en Geschlecht zu begegnen. Bald nachdem 1946 das<br />

nach Kriegsende erlassene Verbot aller Tanzveranstaltungen aufgehoben wurde, erlebten<br />

diese e<strong>in</strong>en enormen Aufschwung. 1214 Im Kreisjugendausschuss stand das Thema erstmals<br />

im Herbst 1947 auf <strong>der</strong> Tagesordnung. 1215 Nach längerer Diskussion kam die<br />

Versammlung übere<strong>in</strong>, <strong>der</strong> Jugend e<strong>in</strong>mal im Monat die „Gelegenheit zu öffentlichem<br />

Tanz“ zu genehmigen. Im Oktober 1948 befasste sich auch <strong>der</strong> Stadtjugendausschuss mit<br />

dem Thema, nachdem <strong>der</strong> Besuch von Tanzveranstaltungen durch Jugendliche <strong>in</strong><br />

<strong>Konstanz</strong>, wie Stadtrat Ba<strong>der</strong> es ausdrückte, „e<strong>in</strong>en unerträglichen Umfang angenommen“<br />

hatte. Dabei for<strong>der</strong>te das Gremium schärfere polizeiliche Kontrollen <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Verbot von<br />

Tanzveranstaltungen für Jugendliche unter 15 Jahren. Bei Verstößen sollten die Eltern<br />

verständigt <strong>und</strong> eventuell <strong>der</strong> Lehrmeister vorgeladen werden. 1216<br />

Die Maßnahmen sollten Jugendliche vor zahlreichen Gefahren, die ihre seelische <strong>und</strong><br />

körperliche Ges<strong>und</strong>heit betrafen, schützen. Dazu zählten <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> Konsum von<br />

Genussmitteln wie Alkohol <strong>und</strong> Nikot<strong>in</strong> sowie <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> Moral durch neue körperbetonte<br />

Tänze <strong>und</strong> amerikanische Musik. Sie zeugen jedoch auch von Vorbehalten <strong>der</strong><br />

Erwachsenen gegenüber neuen gesellschaftlichen E<strong>in</strong>flüssen. Spezielle Vorurteile<br />

existierten unter den deutschen Jugendschützern, wie schon erwähnt wurde, im H<strong>in</strong>blick<br />

auf den Jazz 1217 , <strong>während</strong> sich viele Franzosen dieser Musikrichtung gegenüber<br />

aufgeschlossen zeigten. So diente zeitgenössischen Berichten zufolge e<strong>in</strong>e von <strong>der</strong><br />

Militärregierung landesweit durchgeführte Konzertreihe „Du classique au jazz“ eher <strong>der</strong><br />

„Erbauung des Besatzungspersonals“ 1218 , <strong>während</strong> die Konzerte für „deutsche Ohren“<br />

ungewohnt waren.<br />

Teile <strong>der</strong> Bevölkerung befürchteten zudem, dass die Teilnahme Jugendlicher an<br />

Tanzveranstaltungen zum Verlust ihres Interesses an <strong>der</strong> Kultur führen könnte. Dass<br />

1213 BÖNISCH, Jugendschutz als Jugendpolitik, <strong>in</strong>: BIENEMANN (Hg.), Handbuch, S. 67-72.<br />

1214 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 150.<br />

1215 Dieses <strong>und</strong> das nachfolgende Zitat entstammen dem Protokoll des Jugendausschusses für den Landkreis<br />

<strong>Konstanz</strong> vom 10.07.1947; StAK, S XII.<br />

1216 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 06.10.1948; StAK, S XII.<br />

1217 Vgl. hierzu Kap. VI. 5.<br />

1218 WOLFRUM, Zeit <strong>der</strong> schönen Not, <strong>in</strong>: DERS. U. A. (Hg.), Krisenjahre, S. 201-212, hier S. 209.


318 VIII NEUE ANSÄTZE BEI JUGENDSCHUTZ, PÄDAGOGIK, SOZIALARBEIT UND STRAFRECHT<br />

etliche Jugendliche den eigens für sie angebotenen Veranstaltungen wie Konzerten,<br />

Theater, Filmvorführungen, Jugend- <strong>und</strong> Volksbildungsangeboten etc. fernblieben, hatte<br />

jedoch viele Gründe. So sprach das überwiegend bildungsbürgerlich ausgerichtete<br />

Jugendangebot nicht die Gesamtheit <strong>der</strong> Jugendlichen an, zumal <strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong> Unterhaltung<br />

bis weit <strong>in</strong> die 1950er-Jahre dabei e<strong>in</strong>e eher marg<strong>in</strong>ale Bedeutung hatte. Auch<br />

waren jugendkulturelle Aktivitäten eher e<strong>in</strong> städtisches Phänomen, da Jugendbildungswerke<br />

<strong>und</strong> Jugendhäuser vor allem <strong>in</strong> Städten wie <strong>Konstanz</strong>, S<strong>in</strong>gen, Radolfzell, Engen<br />

existierten. Darüber h<strong>in</strong>aus kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong><br />

jungen Generation aus Mangel an Interesse den Veranstaltungen fernblieb.<br />

Neben dem Schutz <strong>der</strong> Jugend vor jugendgefährdenden Orten gab es bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

unmittelbaren Nachkriegsphase erste Überlegungen im H<strong>in</strong>blick auf den Jugendmedienschutz,<br />

auch wenn dieser Begriff zum damaligen Zeitpunkt nicht verwendet wurde.<br />

Vielmehr rekurrierte man <strong>in</strong>haltlich wie term<strong>in</strong>ologisch auf das aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Weimarer<br />

Republik stammende „Gesetz zur Bewahrung <strong>der</strong> Jugend vor Sch<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Schmutzschriften“–<br />

kurz „Schmutz- <strong>und</strong> Sch<strong>und</strong>gesetz“ –, das zwischen 1926 <strong>und</strong> 1935 existiert<br />

hatte. Es sollte Jugendliche vor jugendgefährdenden Schriften, <strong>der</strong> sogenannten Sch<strong>und</strong>literatur<br />

schützen. Die damals angewandten Methoden zielten darauf ab, die Jugend vor<br />

schlechten Filmen, Büchern o<strong>der</strong> Illustrierten <strong>und</strong> Zeitungen zu bewahren.<br />

Während des ersten Nachkriegsjahres waren K<strong>in</strong>os, R<strong>und</strong>funk <strong>und</strong> Pr<strong>in</strong>tmedien<br />

zunächst verboten. Die Sperrst<strong>und</strong>enregelung mit nächtlichem Ausgehverbot beschränkte<br />

die Zahl <strong>der</strong> Abendvorführungen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> zunächst auf maximal drei Filme.<br />

Öffentliche Plakate, Flugblätter <strong>und</strong> Lautsprecherdurchsagen <strong>der</strong> französischen Militärregierung<br />

standen bis Ende 1945 <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung weitestgehend als e<strong>in</strong>zige<br />

Informationsquellen zur Verfügung <strong>und</strong> beschränkten sich auf Anweisungen <strong>und</strong><br />

Befehle. 1219 Der R<strong>und</strong>funk <strong>und</strong> die nationalsozialistische „Bodensee-R<strong>und</strong>schau“ hatten<br />

ebenso wie die Karlsruher NS-Zeitung „Der Führer“, die <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> gedruckt wurde,<br />

kurz vor dem E<strong>in</strong>marsch <strong>der</strong> Franzosen ihr Ersche<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>gestellt.<br />

Bereits am 30. August 1945 eröffnete mit Genehmigung <strong>der</strong> Franzosen als erstes K<strong>in</strong>o<br />

das „Gloria“ se<strong>in</strong>e Pforten. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> beschränkter Freizeitveranstaltungen<br />

<strong>und</strong> gleichzeitigem Bedürfnis <strong>der</strong> Bevölkerung nach Unterhaltung <strong>und</strong> Zerstreuung waren<br />

die K<strong>in</strong>os <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit gut besucht. Die Auswahl <strong>der</strong> Filme oblag anfangs e<strong>in</strong>er<br />

Kommission <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Militärregierung. Berichten <strong>der</strong> Militärregierung zufolge galt<br />

es als wünschenswert, Dokumentarfilme <strong>und</strong> Filme mit aktuellem Bezug zu zeigen, die<br />

nach Möglichkeit die Anliegen <strong>der</strong> Franzosen <strong>in</strong> Bezug auf die Demokratisierung bzw. die<br />

Umerziehung <strong>der</strong> Deutschen zu unterstützen vermochten. Bald nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>eröffnung<br />

<strong>der</strong> K<strong>in</strong>os setzte e<strong>in</strong>e breite öffentliche Debatte über die Gefährdung <strong>der</strong> Jugend durch das<br />

Medium Film e<strong>in</strong>. Den Auslöser <strong>der</strong> Diskussionen bildeten Missstände, die <strong>in</strong> den<br />

örtlichen Lichtspielhäusern beobachtet wurden. So kam es vor, dass Jugendliche Filme<br />

besuchten, die, wie das Protokoll des Jugendausschusses des Stadtkreises <strong>Konstanz</strong> dieses<br />

Phänomen umschreibt, „mit mehr Verständnis für Erwachsene als für Jugendliche gedreht<br />

1219 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 133 f.


VIII.1 JUGENDSCHUTZ – BEGRIFFSBESTIMMUNG UND FRAGESTELLUNG 319<br />

waren“. 1220 Zudem wurde bekannt, dass Jugendliche nicht nur jugendgefährdende Filme,<br />

son<strong>der</strong>n darüber h<strong>in</strong>aus Varietés <strong>und</strong> Striptease-Veranstaltungen besuchten. Es würde<br />

jedoch zu kurz greifen, führte man diese Beobachtungen lediglich auf das Fehlverhalten<br />

junger Menschen zurück. Neben <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en jugendlichen Neugier wurden diese<br />

Ereignisse vor allem durch e<strong>in</strong> rechtliches Vakuum begünstigt. Denn nachdem das alte<br />

Lichtspielgesetz von 1934, das den K<strong>in</strong>obesuch von Jugendlichen <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im<br />

Nationalsozialismus geregelt <strong>und</strong> beschränkt hatte, mit Kriegsende aufgehoben worden<br />

war, galt lediglich die Polizeiverordnung zum Schutz <strong>der</strong> Jugend vom 1. Juni 1943. Diese<br />

verbot es <strong>der</strong> Jugend nur, Abendveranstaltungen zu besuchen, die nach 21 Uhr endeten. 1221<br />

Bis zur Verabschiedung des Jugendschutzgesetzes 1951 hatten somit jugendliche<br />

K<strong>in</strong>obesucher <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit im Endeffekt viele Freiheiten.<br />

1.1.2 För<strong>der</strong>ung von Jugendzeitschriften durch die Alliierten<br />

Analog zur Diskussion um jugendgefährdende Orte wurden zuerst die Kommunen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Frage des Medienschutzes aktiv. Die Kommunalverwaltungen for<strong>der</strong>ten die übergeordneten<br />

Verwaltungen des Landes <strong>und</strong> des B<strong>und</strong>es zu Maßnahmen auf diesem Gebiet<br />

auf. So wandte sich die <strong>Konstanz</strong>er Stadtverwaltung <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Jugendausschuss<br />

1948 an die badische Landesregierung mit <strong>der</strong> Bitte, e<strong>in</strong>deutige Regelungen zu<br />

erlassen, damit sie Missständen vorbeugen könne. Beim M<strong>in</strong>isterium des Innern <strong>in</strong><br />

Freiburg <strong>und</strong> damit an „maßgeblicher Stelle“ wollte man „dafür e<strong>in</strong>stehen, dass „im Fall<br />

des K<strong>in</strong>obesuchs durch Jugendliche „e<strong>in</strong>e gesetzliche Regelung geschaffen wird, um<br />

wirksam gegen die unhaltbaren Zustände e<strong>in</strong>schreiten zu können“. 1222 Abhilfe sollte die<br />

Schaffung e<strong>in</strong>er örtlichen Prüfungskommission br<strong>in</strong>gen. Dieser Vorschlag des Jugendausschusses<br />

stand jedoch den Plänen <strong>der</strong> französischen Militärregierung, die e<strong>in</strong>e eigene<br />

zentrale Prüfstelle für Südbaden mit Sitz <strong>in</strong> Freiburg schaffen wollte, entgegen <strong>und</strong> wurde<br />

daher abgelehnt.<br />

Nachdem die Medienlandschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone unter <strong>der</strong> Kontrolle <strong>der</strong><br />

Franzosen nach demokratischen Maßstäben restituiert worden war, konnten seit<br />

September 1945 e<strong>in</strong>zelne Zeitungen ersche<strong>in</strong>en. Dazu zählte auch <strong>der</strong> SÜDKURIER, <strong>der</strong><br />

unter <strong>der</strong> Herausgeberschaft Johannes Weyls erstmals am 8. September 1945 <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

erschien. 1223 Zuvor war bereits am 31. März 1946 <strong>der</strong> Südwestfunk als R<strong>und</strong>funkanstalt<br />

für die gesamte französische Besatzungszone, ausgenommen das Saargebiet, auf Sendung<br />

gegangen. Er wurde zur Landesr<strong>und</strong>funkanstalt für Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz <strong>und</strong> die südlichen,<br />

französisch besetzten Län<strong>der</strong> Baden <strong>und</strong> Württemberg-Hohenzollern. Allerd<strong>in</strong>gs hatten<br />

die Franzosen im Mai 1945 e<strong>in</strong>en Großteil <strong>der</strong> R<strong>und</strong>funkgeräte beschlagnahmt, sodass<br />

noch nicht alle Haushalte auf dieses Medium zurückgreifen konnten.<br />

1220<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 26.07.1948; STAK, S XII.<br />

1221<br />

SÜDKURIER vom 25./26.03.1950.<br />

1222<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 06.10.1948 sowie Protokoll des<br />

Jugendausschusses für den Landkreis vom 10.12.1947; StAK, S XII.<br />

1223<br />

JOHN; SCHWARZMAIER, Presse <strong>und</strong> R<strong>und</strong>funk, <strong>in</strong>: GENERALLANDESARCHIV KARLSRUHE (Hg.), St<strong>und</strong>e<br />

Null, S. 193-209, hier S. 200; BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 136.


320 VIII NEUE ANSÄTZE BEI JUGENDSCHUTZ, PÄDAGOGIK, SOZIALARBEIT UND STRAFRECHT<br />

Weiterh<strong>in</strong> stark reglementiert wurde das Zeitschriftenwesen. Bis etwa 1948 erhielten<br />

Verleger von Illustrierten ke<strong>in</strong>e Lizenzen. Dies hatte zur Folge, dass die französische Zone<br />

<strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren „praktisch frei von Zeitschriften jugendgefährdenden<br />

Inhaltes“ war. 1224 Die Ausnahme bildeten e<strong>in</strong>zelne Jugendzeitschriften. Sie kamen,<br />

<strong>in</strong>itiiert von den Alliierten, <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren <strong>in</strong> allen drei Westzonen neu auf<br />

den Markt. Auf diese Weise versuchten die Militärregierungen, die Jugend über das<br />

Zeitschriften- <strong>und</strong> Zeitungswesen zu erreichen. Die Herausgabe von Jugendzeitschriften<br />

war Teil <strong>der</strong> kulturpolitischen Maßnahmen, welche die Alliierten zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949<br />

im Nachkriegsdeutschland <strong>in</strong> die Wege im Rahmen <strong>der</strong> Reeducation <strong>in</strong> die Wege leiteten.<br />

Jugendzeitschriften standen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit, wie HUSSONG ausführt, mehrheitlich<br />

„im Dienste <strong>der</strong> Jugendpflege“ 1225 . Sie wurden durch die Militärregierung unter an<strong>der</strong>em<br />

durch Papierzuteilungen geför<strong>der</strong>t. Als Herausgeber verpflichtete man vorzugsweise<br />

Journalisten o<strong>der</strong> Schriftsteller, die aufgr<strong>und</strong> ihrer Verfolgung durch den Nationalsozialismus<br />

als politisch unbelastet galten.<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> französischen Umerziehungspolitik wurde im Jugendhaus 1946 e<strong>in</strong>e<br />

Bibliothek mit 200 Bänden <strong>und</strong> gängigen Jugendzeitschriften auf Anordnung von<br />

Jugendoffizier Marot e<strong>in</strong>gerichtet 1226 , welche trotz F<strong>in</strong>anznot <strong>und</strong> mehrmaligen Umzügen<br />

des Jugendhauses stets aufrechterhalten <strong>und</strong> weiter gepflegt wurde. Im Juni 1947<br />

genehmigte <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugendausschuss die Belieferung des Jugendhauses mit<br />

Jugendzeitschriften durch den vor Ort angesiedelten Asmus-Verlag. Die Schriften wurden<br />

im Jugendhaus ausgelegt <strong>und</strong> konnten von allen jungen <strong>Konstanz</strong>ern gelesen werden.<br />

Obwohl die e<strong>in</strong>zelnen Titel nicht näher genannt s<strong>in</strong>d, ist davon auszugehen, dass es sich<br />

mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit um zwei Schriften handelte, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone<br />

üblicherweise verbreitet waren: erstens die von Werner Ste<strong>in</strong>berg herausgegebene<br />

Jugendzeitschrift „Zukunft – Unabhängige Zeitschrift junger Menschen“; zweitens die<br />

Druckschrift „Das Ziel – Zeitschrift junger Menschen“, die unter <strong>der</strong> Schriftleitung Franz<br />

Bauers erschien. Neben den genannten beiden Jugendzeitschriften gab es außerdem noch<br />

die anthroposophisch geprägte Zeitschrift „Die Kommenden. Zeitschrift <strong>der</strong> jungen<br />

Generation“. Ob zudem Jugendzeitschriften, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> amerikanischen o<strong>der</strong> britischen<br />

Zone gedruckt wurden, im Jugendhaus zur Verfügung standen, ist nicht bekannt. Offen<br />

bleibt daher beispielsweise die Frage, ob die <strong>Konstanz</strong>er Jugend über das Jugendhaus<br />

öffentlich Zugang zu Erich Kästners Monatszeitschrift „P<strong>in</strong>gu<strong>in</strong>“ hatte, die im Herbst<br />

1946 als erste Jugendzeitschrift unter amerikanischer Lizenz <strong>in</strong> Stuttgart erschien. Ende<br />

<strong>der</strong> 1950er-Jahre umfasste die Jugendbibliothek des Jugendhauses Raiteberg ansehnliche<br />

1.600 Bände sowie zahlreiche Jugendzeitschriften. 1227<br />

1224<br />

MOMBERT, Buch <strong>und</strong> Verlagspolitik, <strong>in</strong>: KNIPPING; LE RIDER (Hgg.), Kulturpolitik, S. 227-241;<br />

JÄSCHKE, Produktionsbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> gesellschaftliche E<strong>in</strong>schätzungen, <strong>in</strong>: DODERER (Hg.), Zwischen<br />

Trümmern <strong>und</strong> Wohlstand, S. 209-520, hier S. 218.<br />

1225<br />

HUSSONG, Jugendzeitschriften, <strong>in</strong>: DODERER (Hg.), Zwischen Trümmern <strong>und</strong> Wohlstand, S. 521-626,<br />

hier S. 551.<br />

1226<br />

Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 16.12.1950; StAK, S XII.<br />

1227 SÜDKURIER vom 07.12.1957.


VIII.1 JUGENDSCHUTZ – BEGRIFFSBESTIMMUNG UND FRAGESTELLUNG 321<br />

1.2 <strong>Entwicklung</strong> des gesetzlichen Jugendschutzes <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />

Während Fragen r<strong>und</strong> um das Thema Jugendschutz bis 1949 eher e<strong>in</strong>e nachrangige<br />

Bedeutung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Besatzungspolitik e<strong>in</strong>nahmen, fokussierte sich die b<strong>und</strong>esdeutsche<br />

Jugendpolitik bald nach Gründung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik auf dieses Thema. Die<br />

Ursachen dafür s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> den gesellschaftlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Verän<strong>der</strong>ungsprozessen, die <strong>in</strong> jenen Jahren e<strong>in</strong>traten, zu suchen. Zudem schützen im<br />

Gegensatz zur direkten Nachkriegsphase die Verbote <strong>der</strong> Militärregierungen die Jugend<br />

nicht mehr vor Gefahren. Infolge <strong>der</strong> dadurch gewonnenen neuen Freiheiten sowie<br />

aufgr<strong>und</strong> des wachsenden Wohlstands <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verbreitung mo<strong>der</strong>ner Medien war von nun<br />

an e<strong>in</strong>e größere Zahl an Jugendlichen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, Tanzveranstaltungen, K<strong>in</strong>os, Kabaretts<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Treffpunkte, die von den Erwachsenen als jugendgefährdend angesehen<br />

wurden, aufzusuchen, zumal sich im Verlauf des Jahrzehnts die kommerziellen<br />

Freizeitangebote stark ausweiteten. Die gesetzgeberischen Maßnahmen im Bereich des<br />

Jugendschutzes zielten <strong>in</strong> den 1950er-Jahren im Wesentlichen auf zwei Bereiche. Zum<br />

e<strong>in</strong>en galt <strong>der</strong> Blick den Gefahren, die <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit drohten, zum<br />

an<strong>der</strong>en <strong>der</strong> Medienentwicklung. In dieser H<strong>in</strong>sicht ist Jugendschutz auch als Reaktion auf<br />

die gesellschaftlichen Mo<strong>der</strong>nisierungsprozesse zu verstehen.<br />

Nachdem die Lösung <strong>der</strong> Frage, wie die Jugend vor Gefahren geschützt werden kann,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> direkten Nachkriegsphase <strong>in</strong> die Zuständigkeit <strong>der</strong> Kommunalverwaltungen fiel,<br />

wurde <strong>der</strong> Jugendschutz nach 1949 durch die Bonner Regierung b<strong>und</strong>ese<strong>in</strong>heitlich geregelt.<br />

Am Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es umfangreichen Maßnahmenpakets stand das „Gesetz zum Schutz<br />

<strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit“ vom 3. Januar 1952. Ganz im S<strong>in</strong>ne des klassischen<br />

Jugendschutzes, <strong>der</strong> darauf abzielte, die Jugend von schädlichen E<strong>in</strong>flüssen fernzuhalten,<br />

regelte das neue Gesetz den Zugang <strong>der</strong> Jugend zur öffentlichen Konsum- <strong>und</strong> Medienwelt.<br />

1228 Es stellte K<strong>in</strong><strong>der</strong> unter 14 Jahren <strong>und</strong> Jugendliche von 14 bis 18 Jahren unter<br />

beson<strong>der</strong>en Schutz vor sittlichen <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlichen Schäden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit <strong>und</strong><br />

verbot Jugendlichen unter 18 Jahren den Aufenthalt an Orten, an denen ihnen e<strong>in</strong>e sittliche<br />

Gefahr o<strong>der</strong> Verwahrlosung drohte.<br />

Interessanterweise waren dem neuen Gesetz neben traditionellen Elementen<br />

gleichfalls fortschrittsorientierte Komponenten immanent. Innovativ war vor allem die<br />

Verankerung des erzieherischen Gedankens <strong>in</strong>nerhalb des Jugendschutzes, <strong>der</strong> zuvor<br />

strafenden Charakter hatte. Dieser Gr<strong>und</strong>satz wurde <strong>in</strong> den nachfolgenden Gesetzesnovellen<br />

aus den Jahren 1957, 1985 <strong>und</strong> 1991 beibehalten. Neuartig war die Tatsache,<br />

dass Kommunen, Jugendverbände sowie Eltern, Lehrer, Erzieher, Seelsorger <strong>und</strong><br />

Veranstalter, Wirte <strong>und</strong> Gewerbetreibende auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Neuregelung gesetzlich<br />

zum Jugendschutz verpflichtet waren. Aus diesem Gr<strong>und</strong> richteten sich Strafandrohungen<br />

nunmehr nicht vorwiegend gegen die Jugend, <strong>während</strong> die Erwachsenen seither stärker <strong>in</strong><br />

die Pflicht genommen wurden. Der Blick richtete sich vor allem auf Gewerbetreibende<br />

1228 Im Dezember 1951 wurde das „B<strong>und</strong>esgesetz zum Schutz <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit“ gegen die<br />

Stimmen <strong>der</strong> FDP, KPD <strong>und</strong> Teile <strong>der</strong> SPD v. a. mit den Stimmen <strong>der</strong> CDU/CSU, DP, BP, Zentrum,<br />

WAV <strong>und</strong> Teilen <strong>der</strong> SPD verabschiedet; vgl. dazu BÖNISCH, Jugendschutz als Jugendpolitik, <strong>in</strong>:<br />

BIENEMANN (Hg.), Handbuch, S. 67-72.


322 VIII NEUE ANSÄTZE BEI JUGENDSCHUTZ, PÄDAGOGIK, SOZIALARBEIT UND STRAFRECHT<br />

<strong>und</strong> Veranstalter, die Jugendliche aus Gründen des Profits gefährdeten, o<strong>der</strong> auf<br />

Erziehungsberechtigte <strong>und</strong> Eltern, sofern e<strong>in</strong>e Verletzung ihrer Aufsichtspflicht gegenüber<br />

den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nachgewiesen werden konnte.<br />

1.3 „Jugendschutz geht alle an“ – Praktizierter Jugendschutz vor Ort<br />

E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> zentralen Maximen <strong>der</strong> damaligen Jugendschutzregelungen lautete: „Jugendschutz<br />

geht alle an“. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wurden Wirte, Gewerbetreibende, K<strong>in</strong>obesitzer<br />

<strong>und</strong> Veranstalter dazu verpflichtet, die neuen Vorschriften deutlich sichtbar per Aushang<br />

bekannt zu geben. Die Aufsichtspflicht über die K<strong>in</strong><strong>der</strong> lag bei den Eltern. Parallel zur<br />

Gesetzgebung wurde die Institutionalisierung des Jugendschutzes <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

weiter vorangetrieben. Für die Umsetzung <strong>der</strong> b<strong>und</strong>ese<strong>in</strong>heitlichen Regelungen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich des Jugendschutzes zeichneten die Sozial- <strong>und</strong> Ordnungsbehörden <strong>der</strong><br />

Kommunalverwaltungen verantwortlich. In <strong>Konstanz</strong> waren die Ordnungs-, Gewerbe- <strong>und</strong><br />

Jugendämter <strong>der</strong> Stadtverwaltung <strong>und</strong> des Landkreises sowie die Stadtjugendpflege <strong>und</strong><br />

das Jugendbildungswerk <strong>in</strong> diese Thematik <strong>in</strong>volviert.<br />

Um die neue Gesetzeslage den Verantwortlichen nahezubr<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong>itiierte die<br />

Stadtverwaltung <strong>Konstanz</strong> unmittelbar nach <strong>der</strong> Verabschiedung <strong>der</strong> Gesetzesnovelle im<br />

Januar 1952 e<strong>in</strong>e Informationsveranstaltung im Ratssaal unter <strong>der</strong> Leitung von Bürgermeister<br />

Schnei<strong>der</strong>. Geladen waren Vertreter aus Politik, Verwaltung, Bildung, <strong>Jugendarbeit</strong><br />

<strong>und</strong> Justiz. 1229 Auf <strong>der</strong> Tagesordnung standen juristische Gesichtspunkte, Aufgaben<br />

<strong>der</strong> Stadtverwaltung, ordnungsbehördliche Aspekte sowie die polizeilichen Aufgaben, die<br />

mit <strong>der</strong> neuen Jugendschutzgesetzgebung verb<strong>und</strong>en waren.<br />

Im weiteren Verlauf <strong>der</strong> 1950er-Jahre kamen zahlreiche weitere Jugendschutzveranstaltungen<br />

für Jugendliche <strong>und</strong> Erwachsene, welche die Gefahren von Filmen, <strong>der</strong><br />

Literatur, vorehelicher Sexualität o<strong>der</strong> Nikot<strong>in</strong>- <strong>und</strong> Alkoholkonsum thematisierten, h<strong>in</strong>zu.<br />

Dazu zählten Jugendfilmwochen, Jugendbuchausstellungen <strong>und</strong> „Hefttauschaktionen“.<br />

Die wohl aufwendigste Veranstaltung dieser Art <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region westlicher Bodensee war<br />

e<strong>in</strong>e Jugendschutzwoche, die <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Seegeme<strong>in</strong>den im Frühjahr 1953<br />

durchführten. Da sich am Beispiel dieser Veranstaltung alle wesentlichen Inhalte <strong>und</strong><br />

Zielsetzungen, die für den Jugendschutz <strong>der</strong> westdeutschen Nachkriegsära charakteristisch<br />

waren, nachzeichnen lassen, sei hier auf den Ablauf dieser Veranstaltung etwas<br />

ausführlicher e<strong>in</strong>gegangen. Vorweg sei jedoch darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass die Jugendschutzwoche<br />

ke<strong>in</strong> s<strong>in</strong>guläres Ereignis darstellte; vielmehr fanden diese Aktionen <strong>in</strong> ganz<br />

Westdeutschland statt. Sie dienten dem Ziel, das neue Jugendschutzgesetz bekannt zu<br />

machen. Koord<strong>in</strong>ator <strong>der</strong> b<strong>und</strong>esweiten Jugendschutzbewegung war die 1951 gegründete<br />

„B<strong>und</strong>esarbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Jugendschutz“ (BAJ), die <strong>in</strong> Stuttgart e<strong>in</strong>e Landesstelle für<br />

Baden-Württemberg unterhielt. Letztere <strong>in</strong>itiierte auch zahlreiche Veranstaltungen <strong>und</strong><br />

Vortragsreihen zum Thema Jugendschutz, darunter die <strong>Konstanz</strong>er Jugendschutzwoche.<br />

1229 SÜDKURIER vom 02.02.1952.


VIII.1 JUGENDSCHUTZ – BEGRIFFSBESTIMMUNG UND FRAGESTELLUNG 323<br />

Diese Aktionswoche fand vom 8. bis 14. März statt <strong>und</strong> war Teil e<strong>in</strong>er kreisübergreifenden<br />

Kampagne, an <strong>der</strong> sich im Bodenseegebiet <strong>in</strong>sgesamt 14 Städte <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den<br />

<strong>der</strong> Kreise <strong>Konstanz</strong>, Überl<strong>in</strong>gen, Stockach <strong>und</strong> Engen beteiligten. 1230 Die Aktion wurde<br />

<strong>in</strong> weiteren Geme<strong>in</strong>den bis zum 23. März fortgeführt. Die Stadt beteiligte sich mit 500<br />

DM an den Gesamtkosten <strong>in</strong> Höhe von 3.500 DM. Der Betrag wurde dem Ausgabenhaushalt<br />

des Jugendamtes zugewiesen. Die Organisation oblag vor Ort e<strong>in</strong>er Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Vertreter aus Verwaltung, Justiz, Kirchen, Schulen, Gewerkschaften<br />

<strong>und</strong> kommunaler Jugendpflege zusammengefasst waren. 1231 Das Programm be<strong>in</strong>haltete<br />

unterschiedliche Veranstaltungen für Eltern <strong>und</strong> Jugendliche sowie für Angehörige<br />

bestimmter Berufszweige, darunter Pädagogen, Sozialbeamte, Gastwirte, Polizeibeamte,<br />

Industrielle, Gewerbetreibende, Auszubildende <strong>und</strong> Meister. Das Begleitprogramm bot<br />

den Jugendorganisationen, den Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften des Jugendbildungswerks <strong>und</strong><br />

weiteren Institutionen, die sich mit Jugendthemen beschäftigten, die Gelegenheit, ihre<br />

Arbeit öffentlich zu präsentieren. So <strong>in</strong>itiierte die Stadtbibliothek e<strong>in</strong>e Jugendbuchausstellung,<br />

die beiden großen Kirchen organisierte e<strong>in</strong>e religionspädagogische Tagung<br />

für Seelsorger <strong>und</strong> Erzieher, <strong>und</strong> das Stadttheater sowie die K<strong>in</strong>os stimmten e<strong>in</strong>en Teil<br />

ihres Programms auf die Jugendschutzwoche ab. Die Vere<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Gewerbetreibenden<br />

waren außerdem angehalten, möglichst ke<strong>in</strong>e ablenkenden o<strong>der</strong> konkurrierenden Angebote<br />

<strong>und</strong> Veranstaltungen anzubieten. Sogar die geplanten Abiturprüfungen an <strong>der</strong> Oberrealschule<br />

wurden verlegt. 1232<br />

Die <strong>Konstanz</strong>er Jugendschutzwoche ist wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong> Beispiel dafür, wie sehr sich<br />

Tradition <strong>und</strong> Mo<strong>der</strong>ne <strong>in</strong> Erziehungsfragen zum damaligen Zeitpunkt überlappten. Schon<br />

die Eröffnungsrede des Oberbürgermeisters Knapp wies <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht ambivalente<br />

Züge auf. Ganz im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> konservativen Tradition stand se<strong>in</strong> Rat an die Jugend, zu den<br />

christlichen Werten zurückzukehren <strong>und</strong> sich an e<strong>in</strong>er „besseren“ Vergangenheit vor 1933<br />

zu orientieren, um die zeitnahen Probleme zu lösen. Gleichzeitig rief er jedoch die<br />

Erwachsenen dazu auf, mehr Verständnis <strong>und</strong> E<strong>in</strong>fühlungsvermögen für die Jugend zu<br />

zeigen <strong>und</strong> drückte somit e<strong>in</strong>e Haltung aus, die vielen Eltern <strong>und</strong> Erziehern ungewohnt<br />

erschien. Denn die Realitäten <strong>in</strong> Elternhaus, Schule <strong>und</strong> Ausbildung standen dazu oftmals<br />

im Wi<strong>der</strong>spruch; viele Jugendliche sahen sich mit autoritären Normen <strong>und</strong><br />

Verhaltensweisen <strong>der</strong> Erwachsenen konfrontiert. Dazu zählten laut e<strong>in</strong>em Pressebericht<br />

unter an<strong>der</strong>em „schlüpfrige Reden von Arbeitskollegen, forsche Behandlung durch<br />

Vorgesetzte o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e allzu engstirnige E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> Eltern“. 1233<br />

1230 E<strong>in</strong> Exemplar <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen Werbeschrift bef<strong>in</strong>det sich im KrAK Bestand Landratsamt <strong>Konstanz</strong>,<br />

352.105/I; auch abgedruckt im SÜDKURIER vom 06.03.1953.<br />

1231 Im E<strong>in</strong>zelnen handelte es sich um Bürgermeister Schnei<strong>der</strong> <strong>und</strong> Diesbach, Rechtsrat Kirchgässner,<br />

Jugendamtsleiter Eberhard, Stadtjugendpfleger Kutscha, Stadtpfarrer Ganner (Römisch-katholische<br />

Kirche), Dekan Mono (Evangelische Kirche), Stadtpfarrer Grzuna (Alt-katholische Geme<strong>in</strong>de),<br />

Gewerkschaftsleiter Henseler, Jugendrichter Kley, Oberstudiendirektor Mazacher, Kreischulrat Diesch,<br />

Stadtschuldirektor Trautwe<strong>in</strong>, Schularzt <strong>und</strong> Leiter <strong>der</strong> Erziehungsberatungsstelle Dr. Widmann sowie<br />

<strong>der</strong> Vorsitzende des Stadtjugendr<strong>in</strong>gs Rudi Hartmann; StAK, S XII „Jugendschutzgesetz <strong>und</strong> Jugendschutzveranstaltungen“.<br />

1232 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 429.<br />

1233 SÜDKURIER vom 03.03.1953.


324 VIII NEUE ANSÄTZE BEI JUGENDSCHUTZ, PÄDAGOGIK, SOZIALARBEIT UND STRAFRECHT<br />

Wenn es allerd<strong>in</strong>gs um die Behandlung typischer Themen, die die Jugend h<strong>in</strong>sichtlich<br />

ihres Körpers, ihrer Psyche, ihres Umgangs mit dem an<strong>der</strong>en Geschlecht, den Eltern o<strong>der</strong><br />

den Lehrherren bewegten, g<strong>in</strong>g, so vermittelten die e<strong>in</strong>zelnen Veranstaltungen eher<br />

bodenständige Ratschläge. Der Wertekodex war auch auf diesem Gebiet durch die<br />

bürgerlich-konservative Gr<strong>und</strong>haltung <strong>der</strong> christlichen Unionsparteien <strong>und</strong> die Auffassung<br />

<strong>der</strong> katholischen Kirche geprägt, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Mittelpunkt Moral, Ehe, Familie <strong>und</strong> christliche<br />

Normen standen. Im Umgang mit dem an<strong>der</strong>en Geschlecht, beim Sport o<strong>der</strong> mit Blick auf<br />

den Alkohol- <strong>und</strong> Nikot<strong>in</strong>konsum riet man Jugendlichen, „Maß zu halten <strong>in</strong> allen<br />

Lebenslagen.“ Was den Genuss von alkoholischen Getränken <strong>und</strong> Zigaretten anbelangte,<br />

waren viele Erwachsene <strong>in</strong> den 1950er-Jahren freilich ke<strong>in</strong> Vorbild für die Jugend. 1234<br />

Trotz <strong>der</strong> <strong>in</strong>sgesamt traditionell ausgerichteten Orientierung kam die Veranstaltung<br />

bei <strong>der</strong> Jugend gut an. 1235 Insbeson<strong>der</strong>e war die Abschlussveranstaltung im Konzilsaal mit<br />

r<strong>und</strong> 1.200 vorwiegend jugendlichen Teilnehmern nahezu überfüllt. Die gute Resonanz<br />

lag sicherlich e<strong>in</strong>erseits mit daran, dass es die Jugendorganisationen, das Jugendbildungswerk<br />

<strong>und</strong> die Stadtjugendpflege <strong>in</strong> ihrer Eigenschaft als Mitveranstalter <strong>der</strong><br />

Jugendschutzwoche verstanden hatten, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren. An<strong>der</strong>erseits<br />

sprachen die Themen <strong>und</strong> die Art, wie diese präsentiert wurden, die jungen<br />

<strong>Konstanz</strong>er<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>er offensichtlich an. Obwohl eher althergebrachte Werte<br />

vermittelt wurden, beschritten die Organisatoren vielfach neue Wege, um mit <strong>der</strong> jungen<br />

Generation <strong>in</strong>s Gespräch zu kommen. Zu den fortschrittlichen Strategien zählten <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

die Bemühungen <strong>der</strong> Veranstalter, auch Tabuthemen zu thematisieren, darunter<br />

das aus damaliger Sicht „brenzlige“ 1236 Thema <strong>der</strong> jugendlichen Sexualität. In <strong>der</strong><br />

allgeme<strong>in</strong> recht prüden Ära <strong>der</strong> 1950er-Jahre war es ke<strong>in</strong>eswegs selbstverständlich, dass<br />

die Fragen <strong>der</strong> Jugend, sofern sie um „erotische <strong>und</strong> sexuelle Probleme kreisten“,<br />

beantwortet wurden. Wie wenig die Belange <strong>der</strong> Jugend zuvor beachtet worden waren,<br />

wird daran deutlich, dass die Zeitgenossen alle<strong>in</strong> die Tatsache, dass im Anschluss an die<br />

Vorträge Fragen zugelassen waren, als bemerkenswert empfanden. Die Jugendschutzwoche<br />

lag mit diesen neuartigen Tendenzen ganz auf <strong>der</strong> L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> damaligen<br />

fortschrittlichen Erziehungswissenschaft, die e<strong>in</strong> Mehr an Verständnis <strong>und</strong> Kommunikation<br />

zwischen den Generationen for<strong>der</strong>te.<br />

Während die Jugend die Veranstaltung überwiegend positiv aufnahm, waren die<br />

Veranstalter <strong>in</strong>dessen weniger vom Erfolg <strong>der</strong> Aktion überzeugt, weil aus ihrer Sicht <strong>der</strong><br />

Effekt <strong>der</strong> Jugendschutzwoche nicht den hohen f<strong>in</strong>anziellen <strong>und</strong> organisatorischen<br />

Aufwand rechtfertigte. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wurde <strong>in</strong> den kommenden Jahren auf die<br />

Durchführung weiterer Veranstaltungen <strong>in</strong> dieser aufwendigen Form verzichtet. 1237<br />

1234 SÜDKURIER vom 14.03.1953.<br />

1235 SÜDKURIER vom 17.03.1953.<br />

1236 Dieses <strong>und</strong> das folgende Zitat entstammen dem SÜDKURIER vom 16.03.1953.<br />

1237 BURCHARDT, Zwischen Kriegsende <strong>und</strong> Universitätsgründung, S. 429.


VIII.1 JUGENDSCHUTZ – BEGRIFFSBESTIMMUNG UND FRAGESTELLUNG 325<br />

1.4 Jugendschutzverordnungen mit Regionalbezug: Jugendschutz an<br />

Fastnacht sowie auf Camp<strong>in</strong>gplätzen<br />

Zusätzlich zur B<strong>und</strong>esgesetzgebung erließen die Kreisverwaltungen begleitende <strong>und</strong><br />

ergänzende Jugendschutzverordnungen mit regionalem Bezug. Beson<strong>der</strong>e Regelungen<br />

dieser Art bezogen sich <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> e<strong>in</strong>erseits auf die Durchführung von Fastnachtsveranstaltungen,<br />

an<strong>der</strong>erseits auf den Tourismus.<br />

Das fastnächtliche Treiben <strong>der</strong> Jugend war über die allgeme<strong>in</strong>e Jugendschutzgesetzgebung<br />

geregelt. War <strong>der</strong> Besuch von Fastnachtsveranstaltungen für Jugendliche<br />

unter 16 Jahren nach dem Gesetz von 1953 zunächst <strong>in</strong> Begleitung <strong>der</strong> Eltern noch erlaubt<br />

worden, so führte die Novellierung des Jugendschutzgesetzes Anfang 1957 zu erheblichen<br />

Verschärfungen im H<strong>in</strong>blick auf den Besuch von öffentlichen Veranstaltungen, die gerade<br />

die bevorstehende Fastnacht <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>em Maße betrafen. Jugendliche bis 18 Jahre<br />

durften seither lediglich bis 24 Uhr an e<strong>in</strong>er Veranstaltung teilnehmen, wobei sie sich<br />

bereits ab 22 Uhr <strong>in</strong> Begleitung von Erziehungsberechtigten zu bef<strong>in</strong>den hatten. Fastnachtsveranstaltungen<br />

mit Varieté- o<strong>der</strong> Kabarettcharakter waren für Jugendliche generell<br />

tabu. Unter diese Regelung fielen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> unter an<strong>der</strong>em die beliebten Revuen mit<br />

Karl Steurer.<br />

Schon im Vorfeld <strong>der</strong> Fastnacht 1957 lud die Stadtverwaltung alle beteiligten Bevölkerungsgruppen<br />

zu e<strong>in</strong>em Informationsgespräch über die neuen Bestimmungen e<strong>in</strong>.<br />

Geladen waren Vertreter <strong>der</strong> Narrenvere<strong>in</strong>igungen, des Stadtjugendr<strong>in</strong>gs, <strong>der</strong> Elternschaft,<br />

<strong>der</strong> Schulen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kirchen, des Jugendamtes, <strong>der</strong> Wohlfahrtsverbände, des Ges<strong>und</strong>heitsamtes,<br />

des Ordnungsamtes, <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>atsfraktionen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Polizei sowie Gaststätten-<br />

<strong>und</strong> K<strong>in</strong>obesitzer. Zu diesem Anlass referierte <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Sozialbehörde, Ludwig<br />

Eberhard, über die juristische Seite <strong>der</strong> Neuregelung des Jugendschutzes, Polizeikommissar<br />

Strittmatter <strong>in</strong>formierte über die Erfahrungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis <strong>und</strong> Dr. Faust, <strong>der</strong><br />

Leiter <strong>der</strong> Erziehungsberatungsstelle des Landkreises <strong>Konstanz</strong>, g<strong>in</strong>g auf die psychologische<br />

Wirkung <strong>der</strong> Fastnacht auf Jugendliche e<strong>in</strong>. Der Stadtjugendr<strong>in</strong>g <strong>und</strong> das Volksbildungswerk<br />

stellten anschließend ihr geme<strong>in</strong>sames Programm über sämtliche Jugendveranstaltungen<br />

an Fastnacht im „Jugendhaus Raiteberg“ vor. Die anwesenden Eltern<br />

waren gehalten, auf die Jugendlichen <strong>während</strong> <strong>der</strong> Fastnacht beson<strong>der</strong>s zu achten, selbst<br />

Vorbild zu se<strong>in</strong> <strong>und</strong> den Jugendschutz zu berücksichtigen. „Bedenkt trotz Ausgelassenheit,<br />

was ihr <strong>der</strong> Jugend schuldig seid, <strong>und</strong> treibet eure Narretei von Unmaß <strong>und</strong> von<br />

Zoten frei“ 1238 , so lautete die auf e<strong>in</strong>em Merkblatt <strong>in</strong> Reimform gefasste Empfehlung an<br />

die Adresse <strong>der</strong> Erziehungsberechtigten.<br />

Nach Inkrafttreten des novellierten Jugendschutzgesetzes verschärften Polizei <strong>und</strong><br />

Jugendamt ihre Kontrollen an Fastnacht. Jugendliche, die gegen das Gesetz verstießen,<br />

mussten mit Konsequenzen rechnen. Das Jugendamt bzw. die Fürsorge nahm bei<br />

Verstößen gr<strong>und</strong>sätzlich Verb<strong>in</strong>dung mit den Erziehungsberechtigten auf. Die Jugendlichen<br />

wurden von <strong>der</strong> Fürsorger<strong>in</strong> Charlotte Göhr<strong>in</strong>ger <strong>und</strong> <strong>der</strong> Polizei nach Hause<br />

gebracht <strong>und</strong> den Eltern übergeben.<br />

1238 SÜDKURIER vom 01.02.1957.


326 VIII NEUE ANSÄTZE BEI JUGENDSCHUTZ, PÄDAGOGIK, SOZIALARBEIT UND STRAFRECHT<br />

Über die allgeme<strong>in</strong>e Gesetzgebung h<strong>in</strong>aus sah sich die Stadtverwaltung zusätzlich<br />

gezwungen, weiterreichende Regelungen zu erlassen, um das fastnächtliche Treiben <strong>in</strong><br />

geordnete Bahnen zu lenken. Die lokalen Statuten sahen im E<strong>in</strong>zelnen vor, dass<br />

Jugendliche bei Fastnachtskonzerten, Programmabenden o<strong>der</strong> Maskenbällen nicht als<br />

Akteure mitwirken durften. 1239 Fastnachtsveranstaltungen für K<strong>in</strong><strong>der</strong> hatten ausschließlich<br />

nachmittags stattzuf<strong>in</strong>den. K<strong>in</strong><strong>der</strong>bälle mussten von „zuverlässigen Organisationen“ beantragt<br />

werden. E<strong>in</strong>e Genehmigung erhielten nur solche Veranstaltungen, die „jugendgemäß<br />

<strong>und</strong> erzieherisch e<strong>in</strong>wandfrei“ 1240 waren. Die Entscheidung lag beim Ordnungsamt des<br />

Landratsamtes. Zu den erlaubten Vergnügungen zählten zum Beispiel „Kasperltheater,<br />

Wurstschnappen, Eierlaufen <strong>und</strong> ähnliche Spiele“. Die e<strong>in</strong>schlägigen Bestimmungen<br />

wurden vor Fastnachtsbeg<strong>in</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> Presse veröffentlicht.<br />

Die strengen Maßnahmen zeigten Wirkung: Polizei, Vertreter <strong>der</strong> Stadtverwaltung,<br />

des Jugendamtes, <strong>der</strong> Fürsorge sowie des Stadtrates bilanzierten <strong>der</strong> Fastnacht des Jahres<br />

1958 e<strong>in</strong>en ruhigen Verlauf <strong>und</strong> zeigten sich darüber sehr zufrieden. Wie aus e<strong>in</strong>em<br />

Bericht im SÜDKURIER hervorgeht, beobachtete man h<strong>in</strong>sichtlich des<br />

„Fastnachtsverhalten[s]“ <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bevölkerung zwischen 1948 <strong>und</strong> 1959 e<strong>in</strong>e<br />

allmählich immer gemäßigter werdende Tendenz, sodass es trotz gut besuchter Veranstaltungen<br />

kaum zu „Auswüchse[n], Ausschreitungen <strong>und</strong> Schlägereien“ kam. Zum<br />

„harmonischen Verlauf“ 1241 <strong>der</strong> Fastnacht trugen das Jugendschutzgesetz <strong>in</strong> Ergänzung<br />

<strong>der</strong> kommunalen Verordnungen <strong>und</strong> <strong>der</strong> konsequent durchgeführten Kontrollen von<br />

Polizei <strong>und</strong> Jugendamt maßgeblich bei. Diese Maßnahmen setzten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Summe dem<br />

Treiben <strong>der</strong> Jugend <strong>während</strong> <strong>der</strong> „fünften Jahreszeit“ <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />

enge Grenzen.<br />

Auch, was den Jugendschutz auf Camp<strong>in</strong>gplätzen anbelangte, gab es Son<strong>der</strong>regelungen<br />

vor Ort. Ende <strong>der</strong> 1940er-Jahre befasste man sich vor Ort mit e<strong>in</strong>em neuen<br />

gesellschaftliches Phänomen: die zunehmende Beliebtheit <strong>der</strong> Camp<strong>in</strong>gbewegung.<br />

Getragen vom Wunsch nach Freizügigkeit, Individualität, billigen Reisen <strong>und</strong> Zivilisationsflucht<br />

fand die Camp<strong>in</strong>gbewegung <strong>in</strong> diesem Zeitraum e<strong>in</strong>en enormen Zulauf. Schon<br />

im August 1949 zählte man im Jakobswald zwischen dem Wasserwerk <strong>und</strong> dem „Hörnle“<br />

254 Zelte. Diese <strong>Entwicklung</strong> verursachte erhebliche Folgeschäden für Natur <strong>und</strong><br />

Umwelt. Denn die Camper zelteten zwischen den Bäumen ohne Wasser-, Abwasser- <strong>und</strong><br />

Müllversorgung unter m<strong>in</strong>imalen hygienischen Bed<strong>in</strong>gungen, kochten an offenen<br />

Feuerstellen <strong>und</strong> ließen ihren Müll liegen. 1242<br />

Die Kommunalverwaltung reagierte auf <strong>der</strong>artige Missstände mit Verordnungen, die<br />

dazu dienen sollten, die Camp<strong>in</strong>gbewegung <strong>in</strong> geordnete Bahnen zu lenken. Die<br />

Regelungen konzentrierten sich auf Fragen <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Moral, des Natur- <strong>und</strong><br />

Umweltschutzes sowie auf das Thema Jugendschutz. Anfang Juni 1950 erließen die Landratsämter<br />

<strong>der</strong> seenahen Kreise <strong>Konstanz</strong>, Überl<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Stockach e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />

1239 SÜDKURIER vom 17.02.1958.<br />

1240 SÜDKURIER vom 01.02.1957; siehe auch das folgende Zitat.<br />

1241 So Stadtrat Philipp Blum, zitiert nach dem Bericht im SÜDKURIER vom 20.02.1958.<br />

1242 SÜDKURIER vom 13./14.08.1949.


VIII.1 JUGENDSCHUTZ – BEGRIFFSBESTIMMUNG UND FRAGESTELLUNG 327<br />

bezirkspolizeiliche Verordnung. Sie diente dem Ziel, das „wilde Campen“ <strong>in</strong> allen Seegeme<strong>in</strong>den<br />

e<strong>in</strong>zudämmen. Die Geme<strong>in</strong>deverwaltungen bekamen die Auflage, Zeltplätze<br />

mit e<strong>in</strong>em gewissen Standard an Hygiene, Tr<strong>in</strong>kwasserversorgung, Toilettenanlagen <strong>und</strong><br />

Müllversorgung e<strong>in</strong>zurichten. Das Baden <strong>in</strong> unmittelbarer Ortsnähe, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe von<br />

öffentlichen Plätzen <strong>und</strong> Parkanlagen sowie <strong>in</strong> Naturschutzgebieten wie dem<br />

Wollmat<strong>in</strong>ger Ried o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Fischbrutgebieten wurde gänzlich verboten. 1243 Die Stadt<br />

<strong>Konstanz</strong> setzte diese Verordnung umgehend um <strong>und</strong> verbot ab Sommer 1950 das wilde<br />

Campen im Jakobswald. Stattdessen wies sie westlich des Wasserwerks auf e<strong>in</strong>em Spital-<br />

<strong>und</strong> Stadtgelände e<strong>in</strong>en offiziellen städtischen <strong>und</strong> damit gebührenpflichtigen Camp<strong>in</strong>gplatz<br />

mit Anmeldepflicht, sanitären E<strong>in</strong>richtungen, Müllbeseitigung <strong>und</strong> Fahrradabstellplätzen<br />

aus. Beson<strong>der</strong>en Wert legte man dort zudem auf die E<strong>in</strong>haltung von Sitte<br />

<strong>und</strong> Moral. 1244 So war es gr<strong>und</strong>sätzlich verboten, nackt im See zu baden. Außerdem<br />

durften die Camper außerhalb <strong>der</strong> Zelt- <strong>und</strong> Badeplätze ke<strong>in</strong>e Badekleidung tragen.<br />

Unverheirateten Camp<strong>in</strong>ganhängern war das geme<strong>in</strong>same Übernachten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zelt<br />

verboten. Daher wurden jugendliche Paare, die nur mit e<strong>in</strong>em Zelt anreisten, generell nicht<br />

aufgenommen. In <strong>der</strong> Praxis waren Verstöße gegen diese Ordnung trotz <strong>der</strong> zahlreichen<br />

Kontrollen allerd<strong>in</strong>gs nur schwer <strong>in</strong> den Griff zu bekommen.<br />

Vielen Menschen g<strong>in</strong>gen die Regelungen ohneh<strong>in</strong> nicht weit genug. Vor allem die<br />

katholische Kirche sprach sich dafür aus, Jugendlichen das Zelten gänzlich zu verbieten.<br />

Das „Katholische Männerwerk <strong>Konstanz</strong>“ wandte sich 1954 schriftlich an die Stadtverwaltung<br />

<strong>und</strong> beklagte, dass das Campen seit 1949 „Formen angenommen habe, die mit<br />

dem Wohl unserer Jugend nicht mehr vere<strong>in</strong>bar“ 1245 wären. Man for<strong>der</strong>te zusätzliche<br />

Maßnahmen, die weit über den gesetzlichen Jugendschutz h<strong>in</strong>ausg<strong>in</strong>gen: getrennte Camp<strong>in</strong>gplätze<br />

für Männer <strong>und</strong> Frauen, Familien-, Männer- <strong>und</strong> Frauenbereiche auf bestehenden<br />

Plätzen, geme<strong>in</strong>deeigene Platzwarte zur Kontrolle <strong>und</strong> polizeiliche Überwachung.<br />

Eltern <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>er waren aufgerufen, K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche von Camp<strong>in</strong>gplätzen<br />

fernzuhalten <strong>und</strong> ihnen „wertvolle Möglichkeiten zur Erfüllung ihres Erholungsbedürfnisses“<br />

zu bieten. Als solches erachtete man das „Heimatwan<strong>der</strong>n“ <strong>und</strong> das „Geme<strong>in</strong>schaftsleben<br />

<strong>in</strong> Jugendverbänden“ sowie den Besuch von Jugendherbergen anstelle von<br />

Zeltplätzen. For<strong>der</strong>ungen, die auf e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>dämmung bzw. e<strong>in</strong> Verbot des Camp<strong>in</strong>gtourismus<br />

zielten, erwiesen sich jedoch vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> des stetigen Anwachsens<br />

dieser Reiseform als vollkommen illusorisch. Im Gegenteil: Die Beliebtheit des Campens<br />

nahm im Verlauf des Jahrzehnts weiter zu. Schon 1954 gab es im Bodenseegebiet 22<br />

offizielle, vorwiegend geme<strong>in</strong>deeigene Zeltplätze; im gesamten B<strong>und</strong>esgebiet wurden 500<br />

Zeltplätze ausgewiesen. Führer des ADAC sowie Wan<strong>der</strong>karten <strong>der</strong> Fremdenverkehrs–<br />

ämter <strong>und</strong> <strong>der</strong> Fremden<strong>in</strong>dustrie halfen den Reisenden dabei, den gewünschten Platz zu<br />

f<strong>in</strong>den. Bald schon erkannten die Seegeme<strong>in</strong>den die positiven Seiten, die <strong>der</strong> Massentourismus<br />

auf die e<strong>in</strong>heimische Wirtschaft <strong>und</strong> die Geme<strong>in</strong>dekassen zeitigte. Im Zuge <strong>der</strong><br />

geschil<strong>der</strong>ten <strong>Entwicklung</strong> wuchs dem städtischen Camp<strong>in</strong>gplatz neue Bedeutung als<br />

1243 SÜDKURIER vom 10.11.1954.<br />

1244 SÜDKURIER vom 20.06.1950.<br />

1245 „Resolution“ des „Katholischen Männerwerks <strong>Konstanz</strong>“ vom 25.08.1954; StAK, S XII, Loseblatt-<br />

sammlung.


328 VIII NEUE ANSÄTZE BEI JUGENDSCHUTZ, PÄDAGOGIK, SOZIALARBEIT UND STRAFRECHT<br />

Beherbergungsbetrieb zu. Im Gefolge dieser <strong>Entwicklung</strong> wurde das Campen Jugendlicher<br />

letztlich gesellschaftlich toleriert.<br />

1.5 Die Intensivierung des Jugendmedienschutzes <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />

Hatten sich die jugendschützerischen Aktivitäten lange Zeit überwiegend auf die<br />

Def<strong>in</strong>ition jugendgefährden<strong>der</strong> Orte konzentriert, so fiel im Verlauf <strong>der</strong> 1950er-Jahre<br />

parallel zur wachsenden Verbreitung neuer Medien dem Jugendmedienschutz e<strong>in</strong>e<br />

zentrale Bedeutung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Diskussion zum Wohle <strong>und</strong> Schutz <strong>der</strong><br />

Jugend zu. Der damals praktizierte Jugendmedienschutz bezog sich e<strong>in</strong>erseits auf die<br />

Kontrolle <strong>der</strong> Literatur, an<strong>der</strong>erseits konzentrierte er sich auf die Film<strong>in</strong>dustrie. Die<br />

Maßnahmen im Bereich des „literarischen Jugendschutzes“ stehen e<strong>in</strong>erseits paradigmatisch<br />

für viele Tendenzen <strong>in</strong>nerhalb des gesetzlichen Jugendschutzes; an<strong>der</strong>erseits<br />

waren die Diskussionen um die Bekämpfung von „Schmutz <strong>und</strong> Sch<strong>und</strong>literatur“ mehr<br />

noch als <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Bereichen des Jugendschutzes von großer Emotionalität geprägt, die<br />

auf e<strong>in</strong>e starke Verunsicherung unter den Erwachsenen <strong>in</strong> dieser Frage schließen lässt. Auf<br />

E<strong>in</strong>zelheiten dieser <strong>Entwicklung</strong> ist im Folgenden näher e<strong>in</strong>zugehen.<br />

AN dieser Stelle sei zudem vermerkt, dass es im Unterschied zu <strong>der</strong> Literatur <strong>und</strong> dem<br />

Film <strong>in</strong> Bezug auf R<strong>und</strong>funk <strong>und</strong> Fernsehen <strong>in</strong> den 1950er-Jahren <strong>in</strong>dessen ke<strong>in</strong>e<br />

Jugendschutzverordnungen gab. Die rechtliche Regelung des R<strong>und</strong>funk- <strong>und</strong> des<br />

Fernsehbereiches wurde gemäß den alliierten Vorgaben nach 1945 den Län<strong>der</strong>–<br />

parlamenten zugewiesen. 1246 Obwohl das Radio zusammen mit Zeitungen <strong>und</strong> Zeit–<br />

schriften das <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung am weitesten verbreitete öffentliche Medium war, wurde<br />

es damals nicht als jugendgefährdend e<strong>in</strong>gestuft. Jugendschutzbestimmungen fanden erst<br />

<strong>in</strong> späteren Jahrzehnten E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> die R<strong>und</strong>funkstaatsverträge <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>. So<br />

wurden beispielsweise län<strong>der</strong>übergreifende Jugendschutzbestimmungen erst 1992 im<br />

R<strong>und</strong>funkstaatsvertrag verankert.<br />

1.5.1 Literarischer Jugendschutz<br />

Als nach <strong>der</strong> Währungsreform (1948) e<strong>in</strong>e Flut an Romanen, Groschenheften <strong>und</strong><br />

Illustrierten auf den Markt kam, befürchteten weite Teile <strong>der</strong> Gesellschaft, die Lektüre<br />

dieser Schriften verleite die Jugend zu krim<strong>in</strong>ellen Handlungen. Die ersten Bewältigungsstrategien<br />

<strong>der</strong> Erwachsenen bestanden <strong>in</strong> Abwehrreaktionen, die den Zugang <strong>der</strong> Jugend<br />

zu <strong>der</strong>artigen Schriften zu verbieten versuchten. Dieser Wunsch e<strong>in</strong>te Vertreter <strong>der</strong><br />

Schulen, <strong>der</strong> Kirchen, des Jugendausschusses, des Stadtrats, <strong>der</strong> kommunalen Jugendbehörden<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugende<strong>in</strong>richtungen (Jugendamt, Jugendbildungswerk, Jugendhaus)<br />

sowie <strong>der</strong> im Stadtjugendr<strong>in</strong>g zusammengeschlossenen Jugendverbände. Schon zu Beg<strong>in</strong>n<br />

<strong>der</strong> 1950er-Jahre war trotz zahlreicher Gegenmaßnahmen <strong>und</strong> Kampagnen überall <strong>in</strong><br />

1246 MONNSSEN-ENGBERDING, Jugendmedienschutz, <strong>in</strong>: BIENEMANN (Hg.), Handbuch, S. 103-111.


VIII.1 JUGENDSCHUTZ – BEGRIFFSBESTIMMUNG UND FRAGESTELLUNG 329<br />

<strong>Konstanz</strong> „Sch<strong>und</strong>literatur nach wie vor ohne Schwierigkeit zu bekommen“ 1247 , wie das<br />

katholische SUSO-BLATT ernüchtert feststellte.<br />

Unter den Jugendorganisationen setzte vor allem die örtliche Katholische Jugend auf<br />

dem Gebiet des „literarischen Jugendschutzes“ deutliche Akzente, <strong>in</strong>dem sie ihre<br />

Mitglie<strong>der</strong> zum „aktiven Verbraucherschutz“ aufrief. So sollten Angehörige katholischer<br />

Jugendgruppen freiwillig auf den Kauf kommerzieller Magaz<strong>in</strong>e verzichten <strong>und</strong><br />

stattdessen kirchliche Blätter wie „Wacht“ <strong>und</strong> „Michael“ lesen. Die Aktivitäten <strong>der</strong><br />

Katholischen Jugend im Bereich des Jugendmedienschutzes beschränkten sich nicht alle<strong>in</strong><br />

auf Empfehlungen, welche Literatur für Jugendliche geeignet wäre. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

setzten sich ihre Mitglie<strong>der</strong> für e<strong>in</strong>e Reduzierung des Angebots von schlechter Literatur,<br />

die teilweise <strong>in</strong>formell am Kiosk o<strong>der</strong> Bahnhof verkauft wurde, e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> R<strong>und</strong>schreiben<br />

<strong>der</strong> KJG-Ortsgruppe <strong>Konstanz</strong> for<strong>der</strong>te die Kiosk-Besitzer des Weiteren dazu auf, „billige,<br />

empfehlenswerte Schriftenreihen“ 1248 für Jugendliche anzubieten. Von wenigen Aus–<br />

nahmen abgesehen, beteiligten sich alle örtlichen Kioske an dieser Aktion. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

führten alle Versuche, die Heftchenflut e<strong>in</strong>zudämmen, langfristig nicht zum gewünschten<br />

Erfolg. Mehr Wirkung zeigte dagegen das neue Gesetz gegen jugendgefährdende<br />

Schriften aus dem Jahr 1953. Im B<strong>und</strong>estag brachte Gustav He<strong>in</strong>emann bereits im Juli<br />

1949 e<strong>in</strong>en entsprechenden Gesetzesentwurf <strong>in</strong> erster Lesung e<strong>in</strong>. Das Zustandekommen<br />

e<strong>in</strong>er b<strong>und</strong>ese<strong>in</strong>heitlichen Regelung zog sich <strong>in</strong>des über mehrere Jahre bis 1953 h<strong>in</strong>. Als<br />

Kontroll<strong>in</strong>stanz wurde zudem e<strong>in</strong> Jahr später, 1954, die B<strong>und</strong>esprüfstelle für jugend–<br />

gefährdende Schriften e<strong>in</strong>gerichtet.<br />

Während sich b<strong>und</strong>esweit die Gegner des Gesetzes gegen jugendgefährdende<br />

Schriften aus Teilen <strong>der</strong> Sozialdemokratie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schriftstellervere<strong>in</strong>igung des deutschen<br />

PEN-Zentrums um Erich Kästner rekrutierten, wurde die neue Regelung <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

allgeme<strong>in</strong> begrüßt, zumal die Stadtverwaltung bereits Ende <strong>der</strong> 1940er-Jahre an das<br />

Badische M<strong>in</strong>isterium des Innern <strong>in</strong> Freiburg mit <strong>der</strong> Bitte herangetreten war, auf Bonn<br />

e<strong>in</strong>zuwirken, zügig e<strong>in</strong> Gesetz zum Schutz <strong>der</strong> Jugend gegen gefährdende Schriften zu<br />

erlassen. Im Januar 1950 <strong>in</strong>formierte Rechtsrat Kirchgässner den Jugendausschuss über<br />

den Stand <strong>der</strong> Gesetzgebung, die sowohl auf Län<strong>der</strong>- als auch auf B<strong>und</strong>esebene erst am<br />

Beg<strong>in</strong>n stand. 1249<br />

Mit dem Ausdruck „jugendgefährdendes Schrifttum“ war nach <strong>der</strong> neuen Gesetzeslage<br />

pornografische o<strong>der</strong> erotische Literatur, die profan als „Schmutz“ bezeichnet wurde,<br />

geme<strong>in</strong>t. Der Begriff „Sch<strong>und</strong>“ schloss diverse Druckschriften aller Art e<strong>in</strong>. So fielen <strong>in</strong><br />

diese Kategorie e<strong>in</strong>erseits Schriften, die nach heutigen Maßstäben als harmlos gelten,<br />

darunter Abenteuerromane, Illustrierte, Heftchen <strong>und</strong> Comics sowie „Krim<strong>in</strong>alreisser“ 1250 :<br />

an<strong>der</strong>erseits schloss die Bezeichnung auch Kriegsschriften mit problematischen Inhalten<br />

mit e<strong>in</strong>. Nach Aussage des sozialdemokratischen Stadtrats <strong>und</strong> späteren Bürgermeisters<br />

1247 SUSO-BLATT vom 02.07.1950, Nr. 27.<br />

1248 Protokoll des Jugendausschusses für den Stadtkreis <strong>Konstanz</strong> vom 24.01.1950; StAK, S XII.<br />

1249 Als erstes B<strong>und</strong>esland brachte Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen im Jahr 1949 e<strong>in</strong> landesweites Gesetz „Zum<br />

Schutze <strong>der</strong> Jugend gegen Schmutz <strong>und</strong> Sch<strong>und</strong>schriften“ auf den Weg.<br />

1250 SÜDKURIER vom 18.04.1950 (siehe auch das folgende Zitat).


330 VIII NEUE ANSÄTZE BEI JUGENDSCHUTZ, PÄDAGOGIK, SOZIALARBEIT UND STRAFRECHT<br />

Diesbach war schon 1950 e<strong>in</strong>e Fülle <strong>der</strong> teilweise im Ausland hergestellten Hefte, die<br />

„den Militarismus <strong>und</strong> Neofaschischmus pflegen“, auf dem örtlichen Markt erhältlich.<br />

Im Verlauf des Jahrzehnts nahm die Gesellschaft die Existenz „schlechter“ Bücher<br />

<strong>und</strong> Hefte immer eher als gegeben h<strong>in</strong>. Anstelle <strong>der</strong> bisherigen Verbotsfor<strong>der</strong>ungen zum<br />

Schutz <strong>der</strong> Jugend g<strong>in</strong>gen die Jugendschützer stattdessen <strong>in</strong> zunehmendem Maße dazu<br />

über, Information <strong>und</strong> Aufklärung anzubieten. So wie <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> verfuhren viele Städte<br />

<strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Westdeutschland im H<strong>in</strong>blick auf den Umgang Jugendlicher mit den<br />

Medien. In <strong>der</strong> Folge wurden <strong>in</strong> den 1950er-Jahren e<strong>in</strong>e ganze Reihe unterschiedlicher<br />

Jugendveranstaltungen vonseiten <strong>der</strong> Stadtverwaltung, Jugendpflege, Stadtbibliothek <strong>und</strong><br />

den konfessionellen Jugendgruppen e<strong>in</strong>zeln o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Kooperation organisiert, um K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> Jugendliche an gute Literatur heranzuführen. Zur bewährten Maßnahme, um die<br />

Jugend zur Lektüre „guter Bücher“ zu erziehen, entwickelten sich die Jugendbuchausstellungen<br />

auf Initiative <strong>der</strong> Stadtjugendpflege, des örtlichen Buchhandels <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stadtbibliothek.<br />

Neben <strong>der</strong> Stadtjugendpflege machte es sich die Stadtbücherei unter <strong>der</strong><br />

Leitung von Dr. Bernhard Möck<strong>in</strong>g zur Aufgabe, die Jugendlichen zur guten Lektüre h<strong>in</strong>zuführen,<br />

zumal von den mehr als 4.000 jährlichen Bibliotheksnutzern r<strong>und</strong> 1.300 Jungen<br />

<strong>und</strong> Mädchen jünger als 16 Jahre waren. 1251 Im Mai 1950 veranstalteten das Jugendbildungswerk,<br />

die Evangelische <strong>und</strong> die Katholische Jugend, unterstützt durch den<br />

Börsenvere<strong>in</strong> deutscher Buchhändler, im Haus <strong>der</strong> Jugend am Rhe<strong>in</strong>steig erstmals e<strong>in</strong>e<br />

Jugendbuchausstellung dieser Art. Mit dieser Aktion, die vom örtlichen Buchhandel<br />

unterstützt wurde, wollte man e<strong>in</strong>en positiven Beitrag zur Bekämpfung von „Schmutz <strong>und</strong><br />

Sch<strong>und</strong>“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur leisten. 1252 Gezeigt wurden unter an<strong>der</strong>em e<strong>in</strong>e Auswahl billiger<br />

<strong>und</strong> guter Heftreihen <strong>und</strong> Jugendblätter, die auch im Haus <strong>der</strong> Jugend öffentlich auslagen.<br />

Die Themengebiete im Bereich <strong>der</strong> Monografien widmeten sich den Bereichen Kunst,<br />

Musik, Gesang, Technik, Natur. Beliebt waren zudem Reise- <strong>und</strong> Abenteuergeschichten<br />

sowie Märchen. E<strong>in</strong>e spezielle Abteilung <strong>der</strong> ersten <strong>Konstanz</strong>er Jugendbuchausstellung<br />

beschäftigte sich mit christlicher Literatur. Darüber h<strong>in</strong>aus gab es spezielle Buchempfehlungen<br />

für Mädchen. Die Bücher trugen dem damals allgeme<strong>in</strong>gültigen Zeitgeschmack<br />

Rechnung. Sie sollten „echte <strong>und</strong> wahre“ Charaktere beschreiben „<strong>und</strong> wertvolle ethische<br />

Werte vermitteln.“ Johanna Spyris „Heidi-Bücher“ o<strong>der</strong> Ruth Schaumanns „Der<br />

We<strong>in</strong>berg“ wurden diesbezüglich als vorbildlich angesehen<br />

Das Stadtjugendamt führte ebenfalls regelmäßige Lesest<strong>und</strong>en mit dem Ziel durch,<br />

den Jugendlichen „wertvolle Literatur“ zu vermitteln. Auf dem Programm standen Lesungen<br />

aus Abenteuerromanen, Liebesgeschichten, Novellen, Tiergeschichten o<strong>der</strong> Märchen,<br />

die durch Schauspieler des Stadttheaters präsentiert wurden. So lud man im Februar 1957<br />

den Jugendschriftsteller <strong>und</strong> Maler Fritz Mühlenweg aus Allensbach e<strong>in</strong>, um aus se<strong>in</strong>en<br />

Büchern vorzulesen. Zur Auswahl standen Werke wie „Großer Tiger <strong>und</strong> Kompassberg“<br />

<strong>und</strong> „Null Uhr fünfzehn <strong>in</strong> Kurumtschi“ 1253 , für die <strong>der</strong> Autor mit dem Gerstäckerpreis für<br />

das beste Abenteuerbuch ausgezeichnet worden war.<br />

1251 SÜDKURIER vom 22.11.1954.<br />

1252 SÜDKURIER vom 20.05.1950.<br />

1253 SÜDKURIER vom 16.02.1957.


VIII.1 JUGENDSCHUTZ – BEGRIFFSBESTIMMUNG UND FRAGESTELLUNG 331<br />

Mit dem Thema „Das gute Jugendbuch“ beschäftigte sich des Weiteren <strong>der</strong> Kulturausschuss<br />

des Deutschen Städtetags anlässlich <strong>der</strong> Beratungen im Mai 1955 <strong>in</strong> Meersburg.<br />

Die Teilnehmer sprachen sich etwa für den Aufbau von Jugend-Leser<strong>in</strong>gen nach dem<br />

Vorbild des österreichischen Jugendbuch-Clubs aus. Solche Leser<strong>in</strong>ge können als e<strong>in</strong>e<br />

spezielle Form damals üblicher Maßnahmen zur positiven Abwehr schlechter Literatur<br />

gewertet werden. Sie basierten auf <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung von Tauschstellen an Schulen o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

Büchereien. 1254 Das Projekt wurde allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> Umgebung nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

projektierten Form realisiert.<br />

Die Vorgehensweise vor Ort stimmt weitestgehend mit den Untersuchungsergebnissen,<br />

die JÄSCHKE 1255 für dieses Teilgebiet des Jugendschutzes für die 1950er-<br />

Jahre vorgelegt hat, übere<strong>in</strong>. Demzufolge stand am Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Diskussion um den literarischen<br />

Jugendschutz die „negative Phase“, welche von e<strong>in</strong>er ideologischen Diskussion über<br />

„Schmutz <strong>und</strong> Sch<strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur“ geprägt war. Dieser Zeitabschnitt mündete 1953 <strong>in</strong><br />

die Verabschiedung des B<strong>und</strong>esgesetzes gegen jugendgefährdende Schriften. In <strong>der</strong><br />

„Zwischenphase“, die von 1953 bis 1954 dauerte, war man bemüht, das „Schmutz- <strong>und</strong><br />

Sch<strong>und</strong>gesetz“ konsequent anzuwenden. In e<strong>in</strong>er dritten Phase, die ab Mitte des Jahrzehnts<br />

e<strong>in</strong>setzte, erkannten die Jugendschützer, dass schlechte Literatur nicht e<strong>in</strong>zudämmen<br />

war. Fortan konzentrierten sich die Bemühungen auf diesem Gebiet e<strong>in</strong>erseits auf<br />

Maßnahmen, die sich kritisch mit jugendgefährdenden Schriften ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzten,<br />

an<strong>der</strong>erseits auf Veranstaltungen, die <strong>der</strong> positiven Erziehung <strong>der</strong> Jugend h<strong>in</strong> zum „guten<br />

Buch“ dienlich waren. Die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung darüber, welche Lektüre o<strong>der</strong> welcher<br />

Film für Jugendliche als geeignet o<strong>der</strong> als gefährdend angesehen wurde, folgte e<strong>in</strong>em<br />

immer wie<strong>der</strong>kehrenden Muster: Die erste Reaktion auf neue Konsumangebote am<br />

literarischen Markt waren Verbotsfor<strong>der</strong>ungen, danach g<strong>in</strong>g man zwangsläufig dazu über,<br />

sie zu tolerieren.<br />

1.5.2 Comics erobern den Markt<br />

H<strong>in</strong>sichtlich des Jugendmedienschutzes setzte sich recht bald die E<strong>in</strong>sicht durch, dass es<br />

vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> massenhaften Verbreitung von K<strong>in</strong>ofilmen nicht ausreiche, die<br />

Jugend per Gesetz von den Vorführungen auszuschließen. Die Erkenntnis führte zu e<strong>in</strong>er<br />

Abkehr von tradierten Methoden des bisherigen Jugendschutzes, die darauf abgezielt<br />

hatten, die Jugend vor Gefahren zu bewahren <strong>und</strong> zu behüten. H<strong>in</strong>ter den<br />

Verbotsfor<strong>der</strong>ungen stand nicht zuletzt e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es Misstrauen vieler Jugendverantwortlicher<br />

gegenüber den Angeboten <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Unterhaltungs<strong>in</strong>dustrie. Diesem<br />

Schema folgte <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Diskussion um die damals <strong>in</strong> Deutschland neuartige<br />

Gattung <strong>der</strong> Comics, die ab Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre aus den USA <strong>und</strong> gegen Ende des<br />

Jahrzehnts zudem aus Frankreich <strong>und</strong> Belgien nach Deutschland importiert wurde.<br />

Während die neuen Bildgeschichten unter <strong>der</strong> Jugend bald äußerst beliebt waren, fielen sie<br />

1254 SÜDKURIER vom 16.05.1955.<br />

1255 JÄSCHKE, Produktionsbed<strong>in</strong>gungen, <strong>in</strong>: DODERER (Hg.), Zwischen Trümmern <strong>und</strong> Wohlstand,<br />

S. 321-323.


332 VIII NEUE ANSÄTZE BEI JUGENDSCHUTZ, PÄDAGOGIK, SOZIALARBEIT UND STRAFRECHT<br />

nach Ansicht des zeitgenössischen Jugendschutzes unter die Abteilung „Sch<strong>und</strong>literatur“.<br />

Wie sehr das Thema <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> die Gemüter beschäftigte, belegt unter an<strong>der</strong>em die<br />

Tatsache, dass die Jugendschutzwoche 1956 <strong>der</strong> neuen Zeitersche<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>e breite<br />

Aufmerksamkeit schenkte.<br />

Die heftigen Abwehrreaktionen, die Comics – heute e<strong>in</strong>e feste Größe auf dem Zeitschriftenmarkt<br />

– <strong>in</strong> den 1950er-Jahren hervorriefen, entsprachen ganz <strong>der</strong> damals verbreiteten<br />

öffentlichen Me<strong>in</strong>ung vieler Vertreter des westdeutschen Jugendschutzes, die mehrheitlich<br />

von e<strong>in</strong>er gr<strong>und</strong>sätzlich schädlichen Wirkung dieser Bil<strong>der</strong>geschichten auf die<br />

geistig-seelische <strong>und</strong> körperliche Ges<strong>und</strong>heit <strong>der</strong> Jugend ausg<strong>in</strong>gen. So warnte <strong>der</strong> Hauptreferent<br />

<strong>der</strong> oben erwähnten <strong>Konstanz</strong>er Jugendschutzwoche, Büchereidirektor Hoppe aus<br />

Hagen/Westfalen, vor <strong>der</strong> „neuen Form <strong>der</strong> Sch<strong>und</strong>literatur“ 1256 <strong>und</strong> sprach sich für e<strong>in</strong><br />

generelles Verbot <strong>der</strong> „Comic-Strips“ aus. Die spezielle Sorge galt vor allem dem<br />

potenziellen Sprachverfall. E<strong>in</strong>e Befürchtung lautete dah<strong>in</strong>gehend, dass übermäßiger<br />

Comics-Konsum aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> „abgehackte[n] Stammelsprache“ 1257 dazu führen werde,<br />

dass die Jugend nicht mehr <strong>in</strong> ganzen Sätzen sprechen könne.<br />

E<strong>in</strong>en speziellen Weg, um die verme<strong>in</strong>tliche Comicflut e<strong>in</strong>zudämmen, wählte gegen<br />

Ende des Jahrzehnts die Stadtjugendpflege. Auf Initiative von Stadtjugendpfleger<br />

Dannenmayer wurde im Mai 1958 <strong>der</strong> „Heftletauschr<strong>in</strong>g <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugend“ <strong>in</strong>s<br />

Leben gerufen. 1258 K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche waren aufgerufen, ihre geliebten „Tarzan-,<br />

Tom Mix-, Akim-, Rote Schlange-, Buffalo Bill- <strong>und</strong> Sigurd-Heftchen“ zur<br />

„Hefletauschaktion“ <strong>in</strong>s Jugendhaus zu br<strong>in</strong>gen. Bei Abgabe <strong>der</strong> Comics erhielten sie für<br />

jedes Exemplar e<strong>in</strong>e Sammelmarke sowie e<strong>in</strong> neues Heft aus e<strong>in</strong>er Serie „guter Hefte“, die<br />

23 deutsche Verlage eigens für Jugendliche im Programm hatten. Diese deckten Themen<br />

wie Abenteuer, Technik, Forschung, Motor <strong>und</strong> Motorisierung, Reisen <strong>und</strong> Seefahrt ab.<br />

Für jeweils zehn Sammelmarken gab es e<strong>in</strong> Buch. Außerdem begleiteten e<strong>in</strong> Preisausschreiben<br />

für K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche, e<strong>in</strong>e Werkausstellung sowie e<strong>in</strong>e Jugendbuchausstellung<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Vorlesenachmittag die Tauschaktion. Ob diese Aktion von <strong>der</strong> Jugend<br />

angenommen wurde, ist nicht näher bekannt.<br />

Solche Umtauschaktionen beschränkten sich räumlich nicht auf <strong>Konstanz</strong>, son<strong>der</strong>n<br />

waren b<strong>und</strong>esweit verbreitet, wobei sie bisweilen bizarre Formen annehmen konnten.<br />

Beson<strong>der</strong>s umstritten war die „Aktion Scheiterhaufen“, die <strong>der</strong> „B<strong>und</strong> <strong>der</strong> Katholischen<br />

Jugend“ 1957 <strong>in</strong> Frankfurt <strong>in</strong>itiierte. Weil dabei „generalstabsmäßig“ 1259 Bücher <strong>und</strong> Hefte<br />

verbrannt wurden, er<strong>in</strong>nerte diese Kampagne an Methoden aus <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus.<br />

Erst <strong>in</strong> den 1960er-Jahren verloren Comics ihren Makel, e<strong>in</strong>e m<strong>in</strong><strong>der</strong>wertige Lektüre<br />

zu se<strong>in</strong>. Zu dieser <strong>Entwicklung</strong> trug die hohe <strong>in</strong>haltliche Qualität, die e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> francobelgischen<br />

bandes dess<strong>in</strong>ées – darunter die Asterix-Hefte – erreichten, entscheidend bei.<br />

1256 SÜDKURIER vom 24.10.1956.<br />

1257 SÜDKURIER vom 24.10.1956.<br />

1258 SÜDKURIER vom 21.05.1958; siehe auch die folgenden Zitate.<br />

1259 JÄSCHKE, Produktionsbed<strong>in</strong>gungen, <strong>in</strong>: DODERER (Hg.), Zwischen Trümmern <strong>und</strong> Wohlstand, S. 329 f.


VIII.1 JUGENDSCHUTZ – BEGRIFFSBESTIMMUNG UND FRAGESTELLUNG 333<br />

1.5.3 Filmerziehung<br />

Analog zur Literatur setzte sich im Rahmen <strong>der</strong> Filmerziehung nach e<strong>in</strong>er kurzen<br />

Verbotsphase ab Mitte des Jahrzehnts die Auffassung durch, dass die Jugend zum eigenverantwortlichen<br />

Umgang mit dem Medium Film erzogen werden müsste. Da das Fernsehen<br />

kaum verbreitet war, konzentrierte sich <strong>der</strong> filmische Jugendschutz zu Beg<strong>in</strong>n des<br />

Jahrzehnts auf das K<strong>in</strong>o. Im Mittelpunkt standen neben e<strong>in</strong>igen <strong>in</strong>ländischen Filmen<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e amerikanische Hollywood-Produktionen, darunter <strong>der</strong> „Gangsterfilm“ 1260 .<br />

Was die Gesetzeslage betrifft, so regelte seit 1951 das „B<strong>und</strong>esgesetz zum Schutz <strong>der</strong><br />

Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit“ zugleich den Besuch von Veranstaltungen <strong>und</strong> K<strong>in</strong>ovorführungen<br />

durch Jugendliche. 1261 Zuvor waren lediglich die Eltern aufgerufen, den<br />

Jugendlichen den Besuch nicht altersgemäßen Filmen jugendgefährdenden Inhalts zu<br />

untersagen. Nach <strong>der</strong> neuen Gesetzeslage durften Jugendliche öffentliche Filmvorführungen<br />

nur noch dann besuchen, wenn die Filme e<strong>in</strong>e Jugendfreigabe erhalten hatten.<br />

Zu diesem Zweck wurde <strong>in</strong> den 1950er-Jahren die „Freiwillige Selbstkontrolle <strong>der</strong><br />

Filmwirtschaft“, die sich aus Filmproduzenten, Vertretern <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung, <strong>der</strong><br />

Kultusm<strong>in</strong>isterien <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Kirchen, <strong>der</strong> Öffentlichkeit, <strong>der</strong> Filmverleiher <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong>obesitzer zusammensetzt, als b<strong>und</strong>esweite Kontroll<strong>in</strong>stanz <strong>in</strong>s Leben gerufen. Die<br />

wichtigste Aufgabe dieser Prüfstelle besteht bis heute dar<strong>in</strong>, K<strong>in</strong>ofilme zu prüfen <strong>und</strong><br />

Altersgrenzen vorzuschlagen. 1262<br />

Vor den <strong>Konstanz</strong>er K<strong>in</strong>os kontrollierten die örtliche Polizei <strong>und</strong> die städtische<br />

Fürsorger<strong>in</strong>, über die es hieß, ihr „Auftauchen vor den Lichtspielhäusern“ hätte mehr<br />

bewirkt „als jedes Verbot“. 1263 Außerdem hatten die K<strong>in</strong>obesitzer Anweisung, e<strong>in</strong>en „Teil<br />

<strong>der</strong> erzieherischen Aufgabe“ im Medienschutz zu übernehmen, <strong>in</strong>dem sie die Altersangaben<br />

überprüften <strong>und</strong> Jugendliche gegebenenfalls nach Hause schickten. Gegen Ende<br />

des Jahrzehnts wurde <strong>der</strong> Medienschutz für K<strong>in</strong><strong>der</strong> weiter verschärft. K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die noch<br />

ke<strong>in</strong>e sechs Jahre alt waren, durften generell ke<strong>in</strong>e öffentlichen K<strong>in</strong>ovorführungen mehr<br />

besuchen. 1264 Das Jugendhaus Raiteberg reagierte auf die neuen Bestimmungen mit e<strong>in</strong>em<br />

neuartigen, eigens für K<strong>in</strong><strong>der</strong> geschaffenen Filmangebot für Sechs- bis 14-Jährige, das<br />

Filmst<strong>und</strong>en mit anschließen<strong>der</strong> Diskussionsmöglichkeit be<strong>in</strong>haltete.<br />

Auf Initiative <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esarbeitsstelle „Aktion Jugendschutz“ fanden <strong>in</strong> den 1950er-<br />

Jahren zudem Filmwochen <strong>in</strong> allen mittleren <strong>und</strong> größeren westdeutschen Städten,<br />

darunter im Mai 1955 <strong>in</strong> Engen, S<strong>in</strong>gen, Radolfzell <strong>und</strong> <strong>Konstanz</strong>, statt. 1265 In den<br />

folgenden beiden Jahren führten das Stadtjugendamt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stadtjugendr<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

geme<strong>in</strong>samen Aktion die „<strong>Konstanz</strong>er Woche Jugend <strong>und</strong> Film“ durch. Im Mittelpunkt<br />

stand <strong>der</strong> Gedanke e<strong>in</strong>er „positiven Filmerziehung“. Ziel war es, die <strong>Konstanz</strong>er Jugendlichen<br />

durch „fruchtbare Filmerziehung“ 1266 zum kritischen eigenverantwortlichen Aus-<br />

1260 SÜDKURIER vom 02.12.1956.<br />

1261 Kurzfassung im SÜDKURIER vom 12.07.1951.<br />

1262 WONDRASCHKE (Hg.), Jugendschutz <strong>und</strong> Massenmedien.<br />

1263 Dieses <strong>und</strong> das folgende Zitat nach SÜDKURIER vom 25./26.03.1950.<br />

1264 SÜDKURIER vom 02.10.1957.<br />

1265 SÜDKURIER vom 09.05.1955.<br />

1266 SÜDKURIER vom 30.01.1956.


334 VIII NEUE ANSÄTZE BEI JUGENDSCHUTZ, PÄDAGOGIK, SOZIALARBEIT UND STRAFRECHT<br />

wählen <strong>und</strong> Sehen <strong>der</strong> Filme zu erziehen. Je<strong>der</strong> Jugendliche sollte <strong>in</strong>dividuell lernen, sich<br />

mit se<strong>in</strong>em eigenen Verhältnis zum Film ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen. Die Filme wurden im<br />

Jugendhaus <strong>und</strong> im Theater gezeigt: Referate <strong>und</strong> Vorträge begleiteten die Vorführungen.<br />

Die „<strong>Konstanz</strong>er Woche Jugend <strong>und</strong> Film“ vermittelte e<strong>in</strong>en äußerst <strong>in</strong>tellektuellen<br />

Zugang zum Film, etwa <strong>in</strong>dem bewusst e<strong>in</strong>e Auswahl „schwieriger künstlerischer wie<br />

geistig sehr anspruchsvoller Filme“ 1267 geboten wurde. Breiten Raum widmete man <strong>der</strong><br />

Erörterung möglicher Gefahren, die das neue Medium für Jugendliche darstellen könnte.<br />

Die Diskussion zeugt davon, dass viele Eltern <strong>und</strong> Erzieher befürchteten, sie könnten<br />

ihren E<strong>in</strong>fluss auf die Jugend verlieren. Obwohl sich die Aktion zum Ziel setzte,<br />

Jugendliche zu „kritischen <strong>und</strong> denkenden Filmbesucher[n]“ zu erziehen <strong>und</strong> den Film<br />

„als Zeichen <strong>und</strong> Ausdrucksmittel unserer Zeit“ anzuerkennen, kamen junge Menschen<br />

kaum zu Wort. Die Veranstaltung hatte vielmehr den Charakter e<strong>in</strong>er Fachtagung für<br />

Eltern, Erzieher <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>er <strong>und</strong> fand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit kaum Beachtung.<br />

Im Zuge <strong>der</strong> weiteren Verbreitung e<strong>in</strong>er mo<strong>der</strong>nen Unterhaltungs<strong>in</strong>dustrie akzeptierte<br />

die Gesellschaft <strong>in</strong> zunehmendem Maße die Tatsache, dass Filme nicht zuletzt <strong>der</strong> Zerstreuung<br />

dienten. 1268 Dieser Trend wurde auch von den Anbietern <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong><br />

erkannt. E<strong>in</strong>e äußerst <strong>in</strong>novative Jugendmedienarbeit g<strong>in</strong>g von <strong>der</strong> Stadtjugendpflege<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Jugendamt <strong>und</strong> den örtlichen Jugendorganisationen aus.<br />

Wie erwähnt zeigte sich die Jugendhausleitung gegenüber neuen Medien stets<br />

aufgeschlossen. Schon zur Mitte des Jahrzehnts unterhielt das Jugendhaus e<strong>in</strong>en eigenen<br />

Filmdienst, <strong>der</strong> 1958 unter an<strong>der</strong>en Fell<strong>in</strong>is „Die Nächte <strong>der</strong> Cabria“ <strong>und</strong> den Western<br />

„Zwölf Uhr mittags“ zeigte. Zudem setzten auch nichtkommerzielle Anbieter von <strong>Jugendarbeit</strong><br />

wie die Verbände, das Bildungswerk o<strong>der</strong> die Stadtjugendpflege vermehrt neue<br />

Medien e<strong>in</strong>, um junge Menschen zu erreichen <strong>und</strong> sie für ihre Ziele <strong>und</strong> Angebote zu<br />

gew<strong>in</strong>nen. Im geme<strong>in</strong>sam gestalteten Programmheft des Jugendbildungswerks <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Stadtjugendpflege aus dem Jahr 1959 f<strong>in</strong>det sich dazu folgen<strong>der</strong> Passus:<br />

„In Film, Fernsehen <strong>und</strong> Vorträgen mit anschließen<strong>der</strong> Aussprache werden<br />

Zeitprobleme heutiger Jugend aufgegriffen, bewusst gemacht <strong>und</strong> mit Ernst nach<br />

Antworten auf diese Fragen gesucht, die heutige Gesellschaft verlangt nach neuen<br />

Formen mo<strong>der</strong>ner Geselligkeit. Die Jugend f<strong>in</strong>det sie bei Tanz <strong>und</strong> Spiel.“ 1269<br />

Die <strong>in</strong> dieser kurzen Sequenz enthaltenen Gedanken machen auf e<strong>in</strong> weiteres Novum <strong>der</strong><br />

damaligen <strong>Jugendarbeit</strong> aufmerksam: Die mo<strong>der</strong>ne Jugendpflege trug den für damalige<br />

Zeiten neuen Formen des Umgangs mit Jugendlichen Rechnung, <strong>in</strong>dem sie sich um e<strong>in</strong><br />

besseres Verständnis von Jugendfragen bemühte. So versuchte die Stadtjugendpflege<br />

erklärtermaßen, „mit <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong>s Gespräch“ zu kommen, <strong>während</strong> ansonsten <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Nachkriegszeit eher Gespräche „über die Jugend“ 1270 geführt worden waren.<br />

1267 SÜDKURIER vom 05.12.1956.<br />

1268 SÜDKURIER vom 02.10.1958.<br />

1269 Programm des Volks- <strong>und</strong> Jugendbildungswerkes im W<strong>in</strong>terhalbjahr 1954/55, Vorwort; Privatarchiv.<br />

1270 Programm des Volks- <strong>und</strong> Jugendbildungswerkes im W<strong>in</strong>terhalbjahr 1959/60, Vorwort; Privatarchiv.


VIII.2 ENTWICKLUNGEN IN PÄDAGOGIK, JUGENDSOZIALARBEIT UND JUGENDSTRAFRECHT 335<br />

1.6 Resümee<br />

Überblickt man die <strong>Entwicklung</strong> des gesetzlichen Jugendschutzes von den 1950er-Jahren<br />

bis heute, so ist festzustellen, dass die Def<strong>in</strong>ition <strong>in</strong> Bezug darauf, welche Orte, Medien<br />

o<strong>der</strong> Modetrends von den Erwachsenen als jugendgefährdend e<strong>in</strong>geschätzt werden, <strong>in</strong><br />

hohem Maße von den jeweiligen Bewertungen <strong>der</strong> Zeitgenossen abhängt. Neben zahlreichen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen weist die <strong>Entwicklung</strong> ebenso e<strong>in</strong>e ganze Reihe an Konstanten<br />

auf. Gerade im H<strong>in</strong>blick auf den Jugendmedienschutz ersche<strong>in</strong>en viele <strong>der</strong> Fragestellungen,<br />

die die Zeitgenossen <strong>in</strong> den 1950er-Jahren bewegten, trotz <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten gesellschaftlichen<br />

Sichtweisen <strong>und</strong> <strong>der</strong> unterschiedlichen wirtschaftlichen <strong>und</strong> technischen<br />

Ausgangssituation bis heute aktuell geblieben zu se<strong>in</strong>. Manche Befürchtungen, die<br />

vonseiten <strong>der</strong> Erwachsenen mit Blick auf den Medienkonsum ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> damals zur<br />

Sprache kamen, muten bis heute als zeitgemäß an. Zu nennen ist etwa die Sorge, dass <strong>der</strong><br />

Film neben Elternhaus, „Kirche <strong>und</strong> Schule zum stillen, aber e<strong>in</strong>flussreichen Miterzieher<br />

<strong>der</strong> Jugend“ werden könnte. Zudem wurde bereits die bis heute vieldiskutierte Frage, ob<br />

<strong>der</strong> Konsum bestimmter Filme zur verstärkten Gewaltbereitschaft <strong>der</strong> Jugendlichen führt,<br />

verhandelt. Solche Ängste erreichten <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte des Jahrzehnts e<strong>in</strong>e neue<br />

Qualität, als die zweite Nachkriegsgeneration die althergebrachte Werteordnung <strong>der</strong><br />

Erwachsenen <strong>in</strong>frage zu stellen <strong>und</strong> sich verstärkt an eigenen Vorbil<strong>der</strong>n, die vor allem<br />

durch die beiden damals zentralen Medien, den Film <strong>und</strong> den R<strong>und</strong>funk, vermittelt<br />

wurden, zu orientieren begann. Zudem ist beispielsweise <strong>der</strong> Debatte über den Medienkonsum<br />

<strong>der</strong> Jugend, die <strong>in</strong> den 1950er-Jahren e<strong>in</strong>setzte, immer noch e<strong>in</strong>e stark jugendschützerische<br />

Komponente immanent, obwohl <strong>in</strong>zwischen die Kommunikationsmittel <strong>und</strong><br />

die Technik e<strong>in</strong>em vollkommenen Wandel unterlagen. Auf die umfassenden<br />

Verän<strong>der</strong>ungen auf dem Gebiet <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Unterhaltungselektronik wurde <strong>in</strong>zwischen<br />

vonseiten des Gesetzgebers reagiert. Seit 2003 regelt das neue Jugendschutzgesetz<br />

sämtliche Gebiete des Jugendschutzes, darunter <strong>der</strong> Aspekt des Jugendmedienschutzes.<br />

Während sich <strong>der</strong> Jugendschutz mittlerweile auf das Privatfernsehen, digitale Datenträger<br />

<strong>und</strong> das Internet ausgeweitet hat, beschränkte sich die Diskussion über Fragen, die den<br />

Jugendmedienschutz betrafen, im Untersuchungszeitraum auf Teile <strong>der</strong> Literatur sowie<br />

auf das K<strong>in</strong>o. Die <strong>Entwicklung</strong> des Jugendmedienschutzes spiegelt somit auch den<br />

Wandel <strong>der</strong> Medienlandschaft wi<strong>der</strong>.<br />

2 <strong>Entwicklung</strong>en <strong>in</strong> Pädagogik, Jugendsozialarbeit <strong>und</strong><br />

Jugendstrafrecht<br />

E<strong>in</strong>ige Prozesse, die sich im Bereich des Jugendschutzes <strong>während</strong> <strong>der</strong> 1950er-Jahre<br />

vollzogen, wurden von ähnlichen <strong>Entwicklung</strong>en <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en jugendbezogenen Gesellschaftsbereichen<br />

begleitet <strong>und</strong> zum Teil ergänzt. So setzte sich <strong>in</strong> den Bereichen Pädagogik,<br />

Sozialarbeit <strong>und</strong> im Jugendstrafrecht <strong>der</strong> erzieherische Gedanke ebenfalls nach <strong>und</strong><br />

nach durch. Innerhalb <strong>der</strong> Gesellschaft vollzog sich e<strong>in</strong> Wertewandel <strong>in</strong> Erziehungs- <strong>und</strong>


336 VIII NEUE ANSÄTZE BEI JUGENDSCHUTZ, PÄDAGOGIK, SOZIALARBEIT UND STRAFRECHT<br />

Jugendfragen, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>en Ausdruck <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er breit angelegten Theoriedebatte fand, welche<br />

b<strong>und</strong>esweit über Jugendfragen geführt wurde <strong>und</strong> die das Bodenseegebiet nicht unberührt<br />

ließ. Die Suche nach neuen Wegen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erziehung wurde lokal <strong>und</strong> überlokal <strong>in</strong> Form<br />

von Publikationen, Arbeitsgruppen, Diskussionsforen, Vortragsreihen <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Medien<br />

zum Ausdruck gebracht. Beför<strong>der</strong>t wurde die Diskussion durch e<strong>in</strong>e geisteswissenschaftliche<br />

Theoriedebatte <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e neuartige Kulturpädagogik, die durch die Gedanken<br />

namhafter Reformpädagogen wie DILTHEY, NOHL, LITT, SPRANGER, FISCHER <strong>und</strong><br />

KERSCHENSTEINER geprägt wurde. 1271<br />

Zu den vieldiskutierten Teilaspekten dieses Themas zählte die Frage nach den<br />

Ursachen für Jugendprobleme, die als Folgen <strong>der</strong> beschleunigten körperlichen <strong>Entwicklung</strong>,<br />

den zahlreichen Belastungen <strong>der</strong> Zeit, vor allem den hohen Leistungsanfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>in</strong> Schule, Ausbildung <strong>und</strong> Beruf, sowie des Zerfalls traditioneller Familienstrukturen<br />

gewertet wurden. 1272 So erschien im Jahr 1950 <strong>in</strong> verschiedenen Zeitungen, darunter dem<br />

SÜDKURIER <strong>Konstanz</strong>, Carl Zuckmayers umfassendes Essay „Jugend im Niemandsland“,<br />

<strong>in</strong> dem neben althergebrachten negativen Sichtweisen über die Jugend als neuartige Komponente<br />

nach den Ursachen für Jugendprobleme gefragt wurde. 1273 Im gleichen Jahr lud<br />

das „Internationale Institut Schloss Ma<strong>in</strong>au“ führende Köpfe <strong>der</strong> deutschen Wirtschaft zu<br />

e<strong>in</strong>er Aussprache über die Situation <strong>der</strong> deutschen Jugend e<strong>in</strong>. Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Diskussion<br />

stand die Frage, wie die ansteigende Jugendkrim<strong>in</strong>alität bekämpft werden könnte. 1274<br />

1954 sprach sich die „Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendfürsorge“ im<br />

Kreis <strong>Konstanz</strong> aus Anlass ihrer Hauptversammlung für die Schaffung e<strong>in</strong>es<br />

umfangreichen <strong>und</strong> neuartigen K<strong>in</strong><strong>der</strong>betreuungsangebots von Geburt an aus. Zudem<br />

plädiert man für die Ausweitung <strong>der</strong> Erholungsfürsorge durch E<strong>in</strong>richtung von Jugendheimen<br />

<strong>und</strong> for<strong>der</strong>te die Ausweitung des <strong>Jugendarbeit</strong>sschutzes sowie die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Freizeitbeschäftigung <strong>der</strong> Landjugend durch die E<strong>in</strong>richtung von Dorfbüchereien, mobilen<br />

K<strong>in</strong>os <strong>und</strong> Sportstätten. 1275 Im gleichen Jahr veranstaltete das Stadtjugendamt <strong>Konstanz</strong><br />

e<strong>in</strong>e Vortragsreihe über Erziehung für Eltern <strong>und</strong> Pädagogen. Dabei wurde Vertrauen<br />

zwischen Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n sowie Harmonie im Elternhaus als Gr<strong>und</strong>lagen jeglicher<br />

Erziehung def<strong>in</strong>iert. Des Weiteren wurde über die unterschiedlichen psychischen <strong>und</strong><br />

physischen Phasen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendentwicklung <strong>in</strong>formiert, darunter <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

die Zeit <strong>der</strong> Pubertät.<br />

E<strong>in</strong> weiteres wichtiges Thema bildete <strong>der</strong> Umgang mit den Alltagsdrogen Alkohol<br />

<strong>und</strong> Nikot<strong>in</strong>. In dieser Frage wurde e<strong>in</strong>e vorbildhafte Verhaltensweise <strong>der</strong> Erwachsenen<br />

statt <strong>der</strong> bis dah<strong>in</strong> üblichen Verbote, die sich ausschließlich an die Adresse <strong>der</strong><br />

Jugendlichen richteten, empfohlen. 1276 Im Jahr 1956, als die Debatte um die „Halbstarkenprobleme“<br />

die deutsche Medienlandschaft <strong>und</strong> die Öffentlichkeit zu bewegen<br />

begann, riefen westdeutsche B<strong>und</strong>estags- <strong>und</strong> Landtagsabgeordnete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Pressekon-<br />

1271 REBLE, <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Pädagogik, S. 357 f.<br />

1272 SÜDKURIER vom 26.04.1956.<br />

1273 SÜDKURIER vom 21./22.01.1950.<br />

1274 SÜDKURIER vom 06.06.1950.<br />

1275 SÜDKURIER vom 14.06.1954.<br />

1276 SÜDKURIER vom 26.03.1954.


VIII.2 ENTWICKLUNGEN IN PÄDAGOGIK, JUGENDSOZIALARBEIT UND JUGENDSTRAFRECHT 337<br />

ferenz <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen B<strong>und</strong>eshauptstadt Bonn dazu auf, die Jugendlichen nicht durch<br />

grobe Verallgeme<strong>in</strong>erungen zu „Halbstarken“ <strong>und</strong> „Rowdies“ abzustempeln. 1277 Die<br />

Beispiele zeugen von e<strong>in</strong>er neuartigen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit Erziehungsfragen, die sich<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> 1950er-Jahre vollzog.<br />

Zudem wurden neue Wege im Bereich <strong>der</strong> Jugendsozialarbeit beschritten. Während<br />

Beratungsangebote <strong>in</strong> den Bereichen Erziehung, Familien, K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

heutigen Jugendhilfe mittlerweile breit gefächert <strong>und</strong> selbstverständlich s<strong>in</strong>d, stellte die<br />

Schaffung <strong>der</strong> Erziehungsberatungsstelle <strong>Konstanz</strong> für die damalige Zeit e<strong>in</strong> Novum<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> örtlichen Jugendsozialarbeit dar. Anlass für die Gründung <strong>der</strong> Beratungsstelle<br />

<strong>Konstanz</strong>, die im April 1952 ihre Arbeit aufnahm, bildeten gesellschaftliche<br />

Verän<strong>der</strong>ungen, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Folge alte Strategien <strong>der</strong> Erziehung sich als nicht mehr wirksam<br />

erwiesen, <strong>während</strong> neue Wege erst gef<strong>und</strong>en werden mussten. 1278 Dazu zählten e<strong>in</strong>erseits<br />

die zeittypischen Jugendgefährdungen wie <strong>der</strong> wachsende Konsum von Alkohol <strong>und</strong><br />

Tabak; an<strong>der</strong>erseits zeigt die Maßnahme, dass e<strong>in</strong> großer Beratungsbedarf bei Eltern <strong>und</strong><br />

Jugendlichen bestand <strong>und</strong> es vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> neuerer gesellschaftlicher <strong>Entwicklung</strong>en<br />

zahlreiche Unsicherheiten <strong>in</strong> Erziehungsfragen gab. Alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> den ersten drei<br />

Jahren ihres Bestehens suchten r<strong>und</strong> 250 Jugendliche die Erziehungsberatungsstelle auf.<br />

Sie kamen entwe<strong>der</strong> auf Veranlassung des Jugendamts, <strong>der</strong> Schule, <strong>der</strong> Eltern o<strong>der</strong> aus<br />

eigenem Antrieb. Die Diensträume befanden sich zunächst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Trägerschaft <strong>der</strong> Stadt,<br />

bevor sie im Zuge <strong>der</strong> Kreisreform an den Landkreis überg<strong>in</strong>g. Das Aufgabenspektrum<br />

umfasste auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite die Diagnose bei Verhaltensauffälligkeiten, Erziehungs- <strong>und</strong><br />

Lernschwierigkeiten <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong>sschwierigkeiten von Jugendlichen im Kreisgebiet,<br />

<strong>und</strong> auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite das Angebot zur Beratung <strong>und</strong> Hilfe <strong>in</strong> solchen Fällen. Die<br />

Erziehungsberatungsstelle <strong>Konstanz</strong> befand sich zunächst auf <strong>der</strong> Marktstätte <strong>in</strong> den<br />

Räumen des Ges<strong>und</strong>heitsamtes, dem sie angeglie<strong>der</strong>t war, <strong>und</strong> wurde Ende <strong>der</strong> 1950er-<br />

Jahre nach Petershausen verlegt. Ab 1955 wurden zusätzliche Sprechst<strong>und</strong>en <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gen<br />

<strong>und</strong> weiteren Kreisgeme<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>gerichtet. In Radolfzell existierte zudem ab Mitte des<br />

Jahrzehnts e<strong>in</strong> eigenes Beratungsangebot.<br />

Der damalige Leiter <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Erziehungsberatungsstelle, Dr. Bernd Faust, hatte<br />

trotz fortschrittlicher Tendenzen jedoch im Untersuchungszeitraum e<strong>in</strong>ige Aufklärungsarbeit<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit zu leisten, um die Ziele <strong>und</strong> Aufgaben se<strong>in</strong>er Dienststelle zu<br />

erläutern. So erläuterte er im Jahr 1957 im Rahmen e<strong>in</strong>es öffentlichen Vortrags, dass die<br />

von ihm geführte Institution nur ergänzend beratend <strong>und</strong> situationsbezogen arbeite.<br />

Gleichzeitig stellte er klar, dass die erzieherische Autonomie <strong>der</strong> Familie unangefochten<br />

bleibe. Mit diesem H<strong>in</strong>weis g<strong>in</strong>g er auf zeittypische Ängste von Eltern <strong>und</strong> Pfarrern<br />

e<strong>in</strong>. 1279 Vor allem kirchliche Kreise blieben <strong>während</strong> des gesamten Jahrzehnts gegenüber<br />

den neuen staatlichen <strong>und</strong> laizistischen Erziehungse<strong>in</strong>richtungen skeptisch. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

für die katholische Kirche hatte stets die Familie <strong>in</strong> allen Erziehungsfragen Priorität vor<br />

1277 SÜDKURIER vom 28.09.1956.<br />

1278 SÜDKURIER vom 27.06.1956.<br />

1279 SÜDKURIER vom 22.06.1957.


338 VIII NEUE ANSÄTZE BEI JUGENDSCHUTZ, PÄDAGOGIK, SOZIALARBEIT UND STRAFRECHT<br />

öffentlichen Institutionen wie <strong>der</strong> Schule o<strong>der</strong> <strong>der</strong> kommunalen <strong>Jugendarbeit</strong>. Wie Bischof<br />

Dr. Hasler anlässlich se<strong>in</strong>es Besuchs <strong>während</strong> des Konradifestes 1958 <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

ausführte, fasste die Kirche die K<strong>in</strong><strong>der</strong>erziehung als e<strong>in</strong>en „göttliche[n] Auftrag an die<br />

Eltern“ 1280 auf.<br />

Auch die Reform des Jugendrechts trug dem erzieherischen Gedanken Rechnung. Im<br />

Zuge e<strong>in</strong>er breit angelegten Strafrechtsreform trat zum 1. Oktober 1953 e<strong>in</strong> neues Jugendgerichtsgesetz<br />

<strong>in</strong> Kraft. Dabei wurden Maßnahmen wie die Herabsetzung des Strafmaßes<br />

bzw. Strafm<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen für Jugendliche, die E<strong>in</strong>führung von Schöffengerichten <strong>und</strong> die<br />

Durchführung erzieherischer Schritte im Jugendvollzug als neue Komponenten <strong>der</strong><br />

Jugendgerichtsbarkeit verankert. Außerdem fanden Maßnahmen wie die Bewährungshilfe<br />

sowie die Möglichkeit, e<strong>in</strong>e Jugendstrafe vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> von Schul- <strong>und</strong> Ausbildungszeiten<br />

bis zu e<strong>in</strong>em Jahr auszusetzen bzw. den Vollzug aufzuschieben, E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong><br />

das novellierte Jugendrecht.<br />

1280 SÜDKURIER vom 24.11.1958.


IX Schlussbetrachtungen<br />

1 Zusammenfassung<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> ist ke<strong>in</strong> Produkt <strong>der</strong> pädagogischen Neuorientierung <strong>während</strong> <strong>der</strong> 1970er-<br />

Jahre, auch wenn diese gesellschaftliche Aufgabe gerade <strong>in</strong> jenen Jahren spannende<br />

Impulse erfuhr. Vielmehr reichen ihre Wurzeln weit bis <strong>in</strong> das vorige Jahrh<strong>und</strong>ert zurück.<br />

So lässt sich die Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> Jugendverbände <strong>in</strong> Deutschland zeitlich bis<br />

zum Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>vogelbewegung <strong>in</strong>s frühe 20. Jahrh<strong>und</strong>ert zurückverfolgen,<br />

<strong>während</strong> die Anfänge <strong>der</strong> kommunalen <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> die Zeit nach dem Ende des<br />

Zweiten Weltkriegs datieren. Die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für jugendliches Aufwachsen <strong>und</strong><br />

die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> s<strong>in</strong>d zu allen Zeiten von den jeweiligen politischen <strong>und</strong><br />

sozioökonomischen Determ<strong>in</strong>anten ihrer Zeit geprägt. Im Fokus dieser Untersuchung<br />

standen die Nachkriegsjahre zwischen 1945 <strong>und</strong> 1963. Diese Zeitspanne ist für die Fragestellung<br />

dieser Arbeit vor allem deshalb <strong>in</strong>teressant, weil damals neue Strukturen<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> aufgebaut wurden, die im Wesentlichen durch die Besatzungsbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>und</strong> die zeittypischen Konstellationen <strong>der</strong> Nachkriegsära bee<strong>in</strong>flusst wurden.<br />

Der Neubeg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> nach Ende des Zweiten Weltkriegs war<br />

e<strong>in</strong>e Reeducation-Maßnahme <strong>und</strong> ist daher im Gesamtkontext <strong>der</strong> französischen Demokratiepolitik<br />

zu sehen. Die Jugendpolitik Frankreichs im besetzten Deutschland unterlag<br />

e<strong>in</strong>erseits den zentralen Strategien <strong>der</strong> Westalliierten nach Entnazifizierung <strong>und</strong><br />

Demokratisierung <strong>der</strong> deutschen Gesellschaft, an<strong>der</strong>erseits spielten nationale Interessen<br />

e<strong>in</strong>e gewichtige Rolle. Dieser Teilbereich <strong>der</strong> französischen Besatzungspolitik war zum<br />

e<strong>in</strong>en geprägt durch e<strong>in</strong>e starke Betonung <strong>der</strong> Kultur, die e<strong>in</strong>e för<strong>der</strong>liche Wirkung auf die<br />

Ausgestaltung von <strong>Jugendarbeit</strong> zeitigte. Neben diesen konstruktiven Ansätzen wirkten<br />

sich zum an<strong>der</strong>en Komponenten wie etwa dezentrale Organisationsstrukturen <strong>und</strong><br />

umfassende Kontrollmaßnahmen, die aus dem beson<strong>der</strong>s starken Sicherheitsbedürfnis <strong>der</strong><br />

Franzosen resultierten, eher hemmend aus.<br />

Inhaltlich nahm die Bildungspolitik im Gesamtkomplex <strong>der</strong> Demokratisierungspolitik<br />

e<strong>in</strong>e Mittelpunktstellung e<strong>in</strong>. Entsprechend stellte die Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> Schulen im<br />

Herbst 1945 den ersten praktischen Schritt dar, um jugendpolitische Zielsetzungen im<br />

besetzten deutschen Südwesten umzusetzen. Nichtsdestoweniger stand jedoch letztlich<br />

auch die außerschulische <strong>Jugendarbeit</strong> ganz im Zeichen <strong>der</strong> Demokratisierung. Offene<br />

<strong>Jugendarbeit</strong>, Kulturangebote, Bildungsreformen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationale Jugendtreffen waren<br />

Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. So folgte <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone ab <strong>der</strong> Jahreswende<br />

1945/1946 dem Wie<strong>der</strong>aufbau des Bildungswesens im zweiten Schritt die Neukonzeption<br />

<strong>der</strong> außerschulischen <strong>Jugendarbeit</strong>. Die Ergebnisse bestanden aus e<strong>in</strong>em Mix aus<br />

Althergebrachtem <strong>und</strong> Neuem: Während man im Fall <strong>der</strong> Reorganisation <strong>der</strong> Jugendverbände<br />

auf bestehende gesellschaftliche Strukturen <strong>der</strong> Kirchen, Vere<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Verbände<br />

zurückgriff, bildete die Schaffung e<strong>in</strong>es kommunalen Jugendangebotes, das konfessionell<br />

<strong>und</strong> weltanschaulich neutral war, e<strong>in</strong> Novum <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>.


340 IX SCHLUSSBETRACHTUNGEN<br />

Konzeptionell zeichnete die französische Erziehungsbehörde bei <strong>der</strong> Militärregierung<br />

<strong>in</strong> Baden-Baden unter Leitung von Raymond Schmittle<strong>in</strong> für die französische<br />

Jugendpolitik im besetzten deutschen Südwesten verantwortlich. Mit <strong>der</strong> Schaffung <strong>der</strong><br />

adm<strong>in</strong>istrativen Gegebenheiten von <strong>der</strong> zonalen Behördenstruktur über die Län<strong>der</strong>ebene<br />

bis h<strong>in</strong> zur kommunalen Ebene wurden die wesentlichen Voraussetzungen für den Aufbau<br />

e<strong>in</strong>er strukturierten Jugendbildungsarbeit geschaffen, was jedoch unterschiedliche lokalspezifische<br />

<strong>Entwicklung</strong>en nicht ausschloss. So konnte die Akzentuierung jugendpolitischer<br />

Aktivitäten <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Regionen je nach Zusammensetzung, Erwerbsstruktur<br />

<strong>und</strong> Religionszugehörigkeit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wohnerschaft durchaus mehr o<strong>der</strong> weniger stark<br />

variieren. Neben unterschiedlichen sozioökonomischen Strukturen resultierten die Unterschiede<br />

aus <strong>der</strong> Tatsache, dass sich die Kompetenzen auf dem Gebiet <strong>der</strong> Jugendpolitik<br />

auf verschiedene Stellen <strong>in</strong>nerhalb <strong>und</strong> außerhalb <strong>der</strong> Militärverwaltung verteilten.<br />

Dezentrale Strukturen, wie sie <strong>in</strong> allen deutschen Organisationen, <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, den<br />

Verbänden <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verwaltung im französischen Zonengebiet aus Sicherheitsgründen<br />

üblich waren, trugen zum unterschiedlichen Lokalkolorit, das die <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Städten <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit annehmen konnte,<br />

ebenfalls wesentlich bei.<br />

Die <strong>Konstanz</strong>er <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit zeichnete sich durch folgende<br />

Merkmale aus: Erstens war das Angebotsspektrum sowohl im Bereich <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit<br />

als auch im kommunalen Bereich außerordentlich reichhaltig. Zweitens<br />

entstanden hier die kommunalen Jugende<strong>in</strong>richtungen nach Ende des Zweiten Weltkriegs<br />

im Landesvergleich äußerst frühzeitig. Drittens bestand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frühzeit <strong>der</strong> Besatzung<br />

zwischen 1946 <strong>und</strong> 1947 e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive organisatorische <strong>und</strong> personelle Verflechtung mit<br />

dem Landkreis. Dieser Bef<strong>und</strong> fügt sich e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> die überregionalen Verläufe e<strong>in</strong>,<br />

weist aber an<strong>der</strong>erseits im Vergleich zu an<strong>der</strong>en Regionen e<strong>in</strong>ige signifikante lokalspezifische<br />

Beson<strong>der</strong>heiten im H<strong>in</strong>blick auf zeitliche Verläufe o<strong>der</strong> auf die <strong>Geschichte</strong><br />

e<strong>in</strong>zelner kommunaler Jugende<strong>in</strong>richtungen auf. E<strong>in</strong>en Gr<strong>und</strong> für die Vielfalt <strong>und</strong> den<br />

raschen Aufbau <strong>der</strong> örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> nach Ende des Zweiten Weltkriegs bildete die<br />

Tatsache, dass hier die Ausgangslage für den Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> vergleichsweise<br />

günstig war. Beför<strong>der</strong>nd wirkten <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e das Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unzerstörten<br />

Bausubstanz <strong>und</strong> Infrastruktur nach 1945, die Kle<strong>in</strong>räumlichkeit des Stadtkreises bis 1953.<br />

Das Beispiel <strong>Konstanz</strong> belegt zudem e<strong>in</strong>drucksvoll, dass theoretische Konzeptionen <strong>und</strong><br />

strukturbed<strong>in</strong>gte Gegebenheiten für sich betrachtet nicht ausreichten, wenn Jugende<strong>in</strong>richtungen<br />

<strong>und</strong> -projekte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis Bestand haben sollten. Stets prägten zudem e<strong>in</strong>zelne<br />

Personen die örtliche <strong>Jugendarbeit</strong> maßgeblich.<br />

Dass die Resultate französischer Jugendpolitik vonseiten weiter Teile <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wohnerschaft<br />

nicht immer positiv bewertet wurden, lag unter an<strong>der</strong>em daran, dass sich diese<br />

gesellschaftspolitische Aufgabe trotz konstruktiver Zielsetzungen stets <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em starken<br />

Spannungsfeld zwischen Kontrolle <strong>und</strong> Liberalität bewegte. Das Dilemma <strong>der</strong> Militärregierung<br />

bestand dar<strong>in</strong>, dass man versuchte, demokratisches Verhalten mit militärischen<br />

Mitteln umzusetzen, o<strong>der</strong> mit an<strong>der</strong>en Worten: vieles wurde angeordnet, weniges erklärt.<br />

Mancher Vorstoß <strong>der</strong> Militärregierung, präventive <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> wirtschaftlich


IX.1 ZUSAMMENFASSUNG 341<br />

unsicheren Zeiten <strong>in</strong> die Wege zu leiten, erwies sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis daher als kaum dazu<br />

geeignet, das Vertrauen <strong>der</strong> Bevölkerung für demokratiepolitische Maßnahmen, die<br />

oftmals mit e<strong>in</strong>er rigorosen Vorgehensweise gegenüber deutschen Behörden e<strong>in</strong>herg<strong>in</strong>gen,<br />

zu gew<strong>in</strong>nen. E<strong>in</strong> hervorstechendes Beispiel für die Ambivalenz französischer Kultur- <strong>und</strong><br />

Jugendpolitik ist <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bezirksdelegierte Marcel Degliame. Auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite<br />

wurden <strong>in</strong> dessen Amtszeit die für die örtliche <strong>Jugendarbeit</strong> entscheidenden Weichen<br />

gestellt. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ist se<strong>in</strong>e Vorgehensweise zugleich e<strong>in</strong> Paradigma dafür,<br />

dass demokratiepolitische Maßnahmen schnell <strong>in</strong> Vergessenheit gerieten, wenn sie mit<br />

autoritären Mitteln durchgesetzt wurden – e<strong>in</strong> Phänomen, das HÜSER als „doppelte<br />

Deutschlandpolitik“ 1281 <strong>der</strong> Pariser Regierungsebene umschreibt. Dieser Begriff illustriert<br />

das „signifikante Spannungsverhältnis zwischen generöser, versöhnungsbereiter<br />

Reformkonzeption <strong>und</strong> hartem Besatzungsalltag.“ 1282<br />

Die örtliche Jugend gab, an<strong>der</strong>s als viele Erwachsene, ihre anfängliche Skepsis, die<br />

teilweise aus Vorbehalten gegenüber <strong>der</strong> gleichgeschalteten staatlichen <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>der</strong><br />

NS-Zeit resultierte, im H<strong>in</strong>blick auf die von <strong>der</strong> Besatzungsmacht <strong>in</strong>itiierte <strong>und</strong> anfangs<br />

stark durch französische Kontrollmechanismen geprägte <strong>Jugendarbeit</strong> bald auf. Auch<br />

wenn die präventiven Maßnahmen <strong>der</strong> örtlichen Jugendwohlfahrtspflege nicht alle<br />

Jugendlichen vor Ort erreichten, so nahm dennoch e<strong>in</strong> großer Teil <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Jugend<br />

das Angebot <strong>der</strong> Jugendorganisationen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stadtjugendpflege gut an, versprach es<br />

doch allerlei Abwechslung im ansonsten eher tristen Nachkriegsalltag. Die <strong>Jugendarbeit</strong><br />

<strong>der</strong> ersten Nachkriegsjahre profitierte zudem davon, dass es nahezu ke<strong>in</strong>e kommerziellen<br />

Jugendangebote wie Jugendclubs o<strong>der</strong> Themenzirkel gab. Ab dem Jahr 1948 führten<br />

schließlich die Bemühungen um e<strong>in</strong>e Annäherung <strong>und</strong> Verständigungspolitik zwischen<br />

Franzosen <strong>und</strong> Deutschen zur Normalisierung im Besatzungsalltag; zeitgleich wurden im<br />

Gefolge des Zusammenrückens <strong>der</strong> Westmächte im Kalten Krieg französische<br />

Son<strong>der</strong>wege, auch im Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, sukzessive aufgegeben. Auf lokaler Ebene<br />

setzte <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> <strong>Konstanz</strong>er Bezirksdelegierte André Noël mit se<strong>in</strong>er menschlichen<br />

Art neue Akzente im Bereich <strong>der</strong> Jugendför<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> trug so <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit <strong>der</strong><br />

neuen Ausrichtung <strong>der</strong> französischen Besatzungspolitik zu e<strong>in</strong>em Mehr an Kooperation<br />

entscheidend bei. Diese beson<strong>der</strong>e Konstellation führte zu sehr guten Resultaten gerade<br />

auch auf dem Gebiet <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>.<br />

Der E<strong>in</strong>fluss e<strong>in</strong>zelner französischer Persönlichkeiten reichte jedoch ebenso wenig<br />

wie die Existenz behördlicher Bestimmungen aus, um den langfristigen Erhalt jugendpflegerischer<br />

E<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> Aktivitäten zu garantieren. Zusätzlich mussten auf<br />

deutscher Seite genügend Menschen gef<strong>und</strong>en werden, die bereit waren, sich für die<br />

Jugend e<strong>in</strong>zusetzen, um langfristig e<strong>in</strong>e tragfähige <strong>Jugendarbeit</strong> zu gewährleisten. Dazu<br />

zählten <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Schulleiter, Pädagog<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Pädagogen, Jugendleiter, Volkshochschullehrer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> -lehrer, Leiter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Leiter <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften des<br />

Jugendbildungswerks, ebenso wie die Jugendpfleger im Landkreis <strong>und</strong> beim Kreis bzw.<br />

1281 HÜSER, Frankreichs „doppelte Deutschlandpolitik“, S. 266-404 sowie S. 722 f.<br />

1282 WOLFRUM, Die französische Politik, <strong>in</strong>: HOCHSTUHL (Hg.), Deutsche <strong>und</strong> Franzosen, S. 61-72; hier<br />

S. 69.


342 IX SCHLUSSBETRACHTUNGEN<br />

<strong>der</strong> Stadtverwaltung <strong>Konstanz</strong>, die Jugendherbergseltern o<strong>der</strong> viele Lokalpolitiker, Geistliche<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.<br />

Nach 1949 trat die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue Phase e<strong>in</strong>. In gleichem<br />

Maße, wie die neu gegründete B<strong>und</strong>esrepublik wie<strong>der</strong> die volle Souveränität über alle<br />

<strong>in</strong>neren Angelegenheiten, darunter die Bildungs-, Jugend- <strong>und</strong> Sozialpolitik erhielt,<br />

wurden diese Aufgabengebiete ab 1949 durch die deutsche Politik <strong>und</strong> Rechtsprechung<br />

auf B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Län<strong>der</strong>ebene geformt. Entscheidende Maßnahmen zur strukturellen Neuorientierung<br />

<strong>der</strong> westdeutschen Jugendhilfe bildeten die Novellen des Jugendhilferechts<br />

von 1953 bzw. 1961. Das neue Jugendhilferecht stellte gleich <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong><br />

Novum dar. Zum e<strong>in</strong>en regelte es die Jugendwohlfahrt für ganz (West-)Deutschland erstmals<br />

e<strong>in</strong>heitlich; zum an<strong>der</strong>en wurde die bisherige strikte behördliche Trennung von<br />

Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendfürsorge aufgehoben <strong>und</strong> unter dem Begriff <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

vere<strong>in</strong>t. Zugleich wurde die Eigenverantwortung von B<strong>und</strong>, Län<strong>der</strong>n, Kreisen <strong>und</strong> Stadtverwaltung<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> Jugendhilfe gestärkt <strong>und</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> Militärregierungen<br />

zurückgedrängt. Dadurch ergab sich <strong>in</strong> Bezug auf die Zuständigkeitsverteilung<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Jugendwohlfahrtspflege e<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>legende strukturelle Neuausrichtung,<br />

<strong>in</strong>dem sich die Jugendämter zum Mittelpunkt <strong>der</strong> öffentlichen Jugendhilfe<br />

entwickelten, <strong>während</strong> die Abteilungen für Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung, die aus <strong>der</strong><br />

direkten Besatzungsphase hervorgegangen waren, aufgelöst wurden.<br />

Die Neuerungen im Bereich <strong>der</strong> westdeutschen Jugendhilfe <strong>der</strong> 1950er-Jahre implizierten<br />

zugleich e<strong>in</strong>e entschiedene Zurückdrängung französischer E<strong>in</strong>flüsse <strong>in</strong>nerhalb des<br />

deutschen Erziehungswesens. Damit beschleunigte sich e<strong>in</strong> Prozess, <strong>der</strong> bereits im Zuge<br />

<strong>der</strong> Neuausrichtung <strong>der</strong> französischen Deutschlandpolitik <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bildung <strong>der</strong> Trizone<br />

nach 1947 e<strong>in</strong>gesetzt hatte. Nach <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik wurden viele <strong>der</strong> bis<br />

dah<strong>in</strong> geltenden Län<strong>der</strong>rechte sowie besatzungsbed<strong>in</strong>gte Son<strong>der</strong>wege aufgegeben. Fanden<br />

e<strong>in</strong>ige Konzepte <strong>der</strong> Briten <strong>und</strong> Amerikaner zum<strong>in</strong>dest teilweise E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> die deutsche<br />

Jugendhilfe <strong>der</strong> 1950er-Jahre, so wurden französische Auffassungen <strong>in</strong> diesem Bereich<br />

h<strong>in</strong>gegen kaum adaptiert. Während die b<strong>und</strong>ese<strong>in</strong>heitliche Regelung <strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>in</strong><br />

vielen Regionen den Aufbau e<strong>in</strong>er geregelten <strong>Jugendarbeit</strong> überhaupt erst ermöglichte,<br />

wurden im zunächst noch eigenständigen badischen Landesteil, wo kommunale <strong>Jugendarbeit</strong><br />

bereits <strong>während</strong> <strong>der</strong> direkten Nachkriegszeit als Pflichtaufgabe <strong>der</strong> Land- <strong>und</strong> Stadtkreise<br />

def<strong>in</strong>iert war, analog zur Schulpolitik viele französische Son<strong>der</strong>wege im außerschulischen<br />

Bereich aufgegeben – auch wenn <strong>der</strong> Bruch mit <strong>der</strong> französischen Reformpolitik<br />

weniger radikal als im Bildungswesen ausfiel. Darunter befanden sich so<br />

<strong>in</strong>teressante Ansätze wie die Betonung <strong>der</strong> Eigenständigkeit <strong>der</strong> Jugendpflege gegenüber<br />

<strong>der</strong> Jugendfürsorge o<strong>der</strong> die pr<strong>in</strong>zipielle Gleichstellung von freier <strong>und</strong> behördlicher<br />

Jugendpflege. Desgleichen wurde den französischen Versuchen, alle mit Jugendfragen<br />

beschäftigten Bevölkerungsgruppen an e<strong>in</strong>en Tisch zu br<strong>in</strong>gen, <strong>und</strong> dem weltanschaulich<br />

neutralen, laizistischen E<strong>in</strong>fluss mit <strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong> Jugendausschüsse e<strong>in</strong>e klare<br />

Absage erteilt. Fortan blieb <strong>der</strong> französische E<strong>in</strong>fluss im Bereich <strong>der</strong> außerschulischen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> bis zum Ende <strong>der</strong> Besatzungsphase im Jahr 1955 auf die Schaffung von<br />

<strong>in</strong>ternationalen Begegnungsmöglichkeiten für junge Menschen beschränkt.


IX.1 ZUSAMMENFASSUNG 343<br />

Neben den zahlreichen Umgestaltungen ist auch auf zwei maßgebliche Kont<strong>in</strong>uitäten<br />

im Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> h<strong>in</strong>zuweisen. Erstens behielten die Novellen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

von 1953 <strong>und</strong> 1961 das seit 1922 im deutschen Jugendhilferecht verankerte duale Pr<strong>in</strong>zip<br />

freier <strong>und</strong> öffentlicher Träger bei. Für die <strong>Konstanz</strong>er Jugendlichen bedeutete dies, dass<br />

sie pr<strong>in</strong>zipiell wählen konnten, ob sie sich den freien Jugendverbänden o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Vere<strong>in</strong><br />

anschließen wollten o<strong>der</strong> das Angebot <strong>der</strong> kommunalen Jugendpflege zur Freizeitgestaltung<br />

bevorzugten. Zugleich stellte jedoch das Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip die bisher vorherrschende<br />

pr<strong>in</strong>zipielle Gleichstellung öffentlicher <strong>und</strong> freier Träger <strong>in</strong>frage. Dadurch trat die<br />

Konkurrenz zwischen den Jugendorganisationen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stadtjugendpflege im Gegensatz<br />

zur stark reglementierten unmittelbaren Besatzungszeit offen zutage.<br />

Zweitens blieben <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> alle Jugende<strong>in</strong>richtungen, die auf Geheiß <strong>der</strong> Franzosen<br />

zwischen 1946 <strong>und</strong> 1948 entstanden waren, erhalten. Die Stadtverwaltung zeigte sich zu<br />

diesem Zeitpunkt gr<strong>und</strong>sätzlich aufgeschlossen gegenüber Jugendfragen <strong>und</strong> Maßnahmen<br />

im Rahmen <strong>der</strong> präventiven <strong>Jugendarbeit</strong>, was man wohl zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong>direkt als langfristigen<br />

Effekt französischer Jugendpolitik werten darf. Während das Jugendbildungswerk<br />

von e<strong>in</strong>er Reihe von Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen war, konnte das<br />

Jugendhaus im Laufe <strong>der</strong> 1950er-Jahre se<strong>in</strong>e Mittelpunktfunktion <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> örtlichen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> durch die Schaffung neuer Räumlichkeiten <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>beziehung von<br />

Veranstaltungen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Stadtjugendpflege weiter festigen. Dazu trug auch die mit<br />

<strong>der</strong> Gesetzgebung von 1953 verb<strong>und</strong>ene reformierte neue Jugendhilfeplanung maßgeblich<br />

bei, <strong>in</strong>dem sie die Durchführung jugendpflegerischer Maßnahmen <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>den <strong>und</strong> die<br />

Tätigkeit <strong>der</strong> freien Träger (Jugendorganisationen, Vere<strong>in</strong>e etc.) erleichterte. Mithilfe <strong>der</strong><br />

neuen Jugendpläne <strong>und</strong> zusätzlicher regionaler <strong>und</strong> überregionaler F<strong>in</strong>anzhilfen kamen<br />

e<strong>in</strong>erseits die kommunalen E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> den Genuss öffentlicher För<strong>der</strong>gel<strong>der</strong>,<br />

an<strong>der</strong>erseits profitierten die Jugendorganisationen <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>e von <strong>der</strong> neuartigen<br />

Verbands- <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>sför<strong>der</strong>ung auf örtlicher <strong>und</strong> regionaler Ebene durch B<strong>und</strong>, Län<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> Kommunen.<br />

War <strong>während</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Besatzungsphase, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Jugendpolitik im Wesentlichen<br />

unter dem E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> Direction de L’Education Publique stand, <strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong><br />

Demokratieerziehung e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Hauptaufgaben französischer Demokratisierungs- <strong>und</strong><br />

Kulturpolitik, so erwuchsen im Zuge <strong>der</strong> politischen Verän<strong>der</strong>ungen nach 1949 neue<br />

Perspektiven für die deutsch-französische Annäherungs- <strong>und</strong> Verständigungspolitik.<br />

Dabei wirkten sich die Bemühungen um e<strong>in</strong>e Verständigung zwischen Militärregierung<br />

<strong>und</strong> Bevölkerung günstig auf die Gestaltungsmöglichkeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> örtlichen Kulturarbeit<br />

aus. Zudem trugen kulturelle Veranstaltungen wie die <strong>in</strong>ternationalen Jugendtreffen,<br />

Theaterveranstaltungen, Schüleraustauschprogramme o<strong>der</strong> Konzerte zur Entfaltung <strong>der</strong><br />

deutsch-französischen Beziehungen bei.<br />

Der Aufbau neuer Strukturen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> war des Weiteren das Resultat<br />

wirtschaftlicher, gesellschaftlicher <strong>und</strong> demografischer Transformationsprozesse. Die<br />

Umbildungen im Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> trugen somit nicht nur <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten<br />

Rechtslage <strong>und</strong> den neuen politischen Gegebenheiten Rechnung. Vielmehr s<strong>in</strong>d sie auch<br />

als Versuch <strong>der</strong> Verantwortlichen für <strong>Jugendarbeit</strong> zu werten, auf den Strukturwandel <strong>in</strong>


344 IX SCHLUSSBETRACHTUNGEN<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft zu reagieren. So sahen sich <strong>in</strong> den späten 1950er-Jahren die<br />

traditionellen Jugend<strong>in</strong>stitutionen <strong>und</strong> Verbände mit e<strong>in</strong>er ganzen Reihe umfassen<strong>der</strong><br />

sozialgeschichtlicher Verän<strong>der</strong>ungen konfrontiert, die nahezu alle Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsbereiche<br />

erfassten, darunter die zentralen jugendrelevanten Bereiche wie Schule,<br />

Ausbildung, Arbeit <strong>und</strong> Freizeitgestaltung, Mode <strong>und</strong> Musikgeschmack.<br />

Zudem s<strong>in</strong>d generationsspezifische Verhaltensweisen zu berücksichtigen, seit sich im<br />

Zuge des demografischen Wandels e<strong>in</strong>e neue „Jugendgeneration“ zur Zielgruppe <strong>der</strong><br />

örtlichen <strong>Jugendarbeit</strong> entwickelte, die we<strong>der</strong> den Nationalsozialismus noch den Krieg<br />

bewusst erlebt hatte, bereits e<strong>in</strong>en gewissen Wohlstand kannte <strong>und</strong> daher an<strong>der</strong>e<br />

Ansprüche an <strong>Jugendarbeit</strong> stellte als die Generation, die unmittelbar nach dem Krieg<br />

aufwuchs. Begleitet von <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Medien bildete sich allmählich<br />

e<strong>in</strong>e eigene Jugendkultur aus. Viele Jugendliche verloren das Interesse an den<br />

traditionellen Jugendangeboten, die e<strong>in</strong>e langfristige B<strong>in</strong>dung, e<strong>in</strong>e Mitgliedschaft o<strong>der</strong><br />

großes Engagement erfor<strong>der</strong>ten. Vor allem die Jugendverbände waren von diesem<br />

E<strong>in</strong>stellungswandel betroffen <strong>und</strong> verbuchten seit Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre teils drastische<br />

Mitglie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>bußen, <strong>während</strong> beispielsweise das Jugendbildungswerk mit neuen<br />

Angeboten wie dem Fahrtenprogramm auf den gesellschaftlichen Wandel zu reagieren<br />

versuchte. Neben den älteren Formen <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> gewann im Zuge dieser<br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte des Jahrzehnts die offene <strong>Jugendarbeit</strong> unter Führung<br />

<strong>der</strong> Stadtjugendpflege an Bedeutung. Begleitet wurde die Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> gegen Ende des Jahrzehnts von neuen Ansätzen im Bereich <strong>der</strong> Sozialpolitik,<br />

<strong>der</strong> Pädagogik <strong>und</strong> des Jugendschutzes, die auf e<strong>in</strong> vertrauensvolles Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von<br />

Jugendlichen <strong>und</strong> Erwachsenen zielten. Doch trotz e<strong>in</strong>iger neuer Denkanstöße auf diesen<br />

Gebieten verän<strong>der</strong>ten sich die vorherrschenden autoritären Strukturen, die <strong>in</strong> vielen<br />

Familien, Schulen <strong>und</strong> Ausbildungsbetrieben <strong>während</strong> <strong>der</strong> 1950er-Jahre üblich waren,<br />

<strong>in</strong>dessen kaum. Die Verankerung des gesetzlichen Jugendschutzes im westdeutschen<br />

Jugendhilferecht verweist überdies darauf, dass den rasanten wirtschaftlichen, technischen<br />

<strong>und</strong> gesellschaftlichen Verän<strong>der</strong>ungen nicht nur e<strong>in</strong> une<strong>in</strong>geschränkter Fortschrittsglaube<br />

immanent war, son<strong>der</strong>n diese <strong>Entwicklung</strong> auch Ängste <strong>der</strong> Gesellschaft evozierte.<br />

Die Ergebnisse <strong>der</strong> vorliegenden Untersuchung bestätigen <strong>in</strong> wesentlichen Punkten<br />

die zentralen Thesen <strong>der</strong> jüngeren Zeitgeschichtsforschung zur deutschen Nachkriegszeit.<br />

So ist <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Annahme neuerer Untersuchungen zur französischen<br />

Besatzungsgeschichte <strong>in</strong> Deutschland zu unterstreichen, die davon ausgehen, dass analog<br />

zu den an<strong>der</strong>en westdeutschen Zonengebieten auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone frühzeitig<br />

Konzepte <strong>in</strong> Bezug auf den Aufbau des Bildungswesens <strong>und</strong> <strong>der</strong> außerschulischen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> existierten. In Anlehnung an jüngere zeitgeschichtliche Untersuchungen zur<br />

b<strong>und</strong>esdeutschen Nachkriegszeit ist außerdem zu konstatieren, dass <strong>der</strong> sozioökonomische<br />

Wandel zu gravierende Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> örtlichen Jugendhilfe führte, seit die<br />

„Mo<strong>der</strong>nisierung im Wie<strong>der</strong>aufbau“ 1283 ab 1957 voll zum Tragen kam. In <strong>Konstanz</strong> traten<br />

viele Erneuerungen etwa im H<strong>in</strong>blick auf die Ausbildung e<strong>in</strong>er eigenen Jugendkultur erst<br />

1283 SCHILD; SYWOTTEK (Hgg.), Mo<strong>der</strong>nisierung.


IX.2 AUSBLICK – GRUNDZÜGE DER JUGENDHILFEENTWICKLUNG SEIT DEN 1960ER-JAHREN 345<br />

mit e<strong>in</strong>iger Verzögerung <strong>in</strong> den 1960er-Jahren e<strong>in</strong> – e<strong>in</strong> Phänomen, das ABELSHAUSER 1284<br />

mit dem Begriff <strong>der</strong> „langen fünfziger Jahre“ umschreibt.<br />

Freilich hatte sich die Forschung bislang nur ansatzweise mit <strong>der</strong> Frage beschäftigt,<br />

<strong>in</strong>wiefern die theoretischen Konzeptionen, die <strong>der</strong> französischen Jugendpolitik zugr<strong>und</strong>e<br />

lagen, auf <strong>der</strong> mittleren <strong>und</strong> unteren Verwaltungsebene zur Anwendung kamen. Auf <strong>der</strong><br />

Basis e<strong>in</strong>er engen Verknüpfung zwischen regionalen <strong>und</strong> lokalen Quellen konnte im<br />

Rahmen dieser Untersuchung nachgewiesen werden, dass im südbadischen Landesteil <strong>der</strong><br />

französischen Zone frühzeitig Strukturen geschaffen wurden, um die konzeptionellen<br />

Vorgaben <strong>in</strong> den Kreisen <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den im Land umzusetzen. Mit Blick auf die<br />

kommunale Ebene wurde zudem deutlich, dass <strong>der</strong> Aufbau <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Maßnahme zur L<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendnot darstellte. Außerdem ließen sich viele Beispiele<br />

dafür f<strong>in</strong>den, dass dem <strong>in</strong>dividuellen Engagement e<strong>in</strong>zelner Persönlichkeiten des<br />

öffentlichen Lebens gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umbruchphase nach dem Zweiten Weltkrieg e<strong>in</strong>e<br />

zentrale Bedeutung zufiel, wenn <strong>Jugendarbeit</strong> vor Ort gel<strong>in</strong>gen sollte. Die für <strong>Konstanz</strong><br />

charakteristische Nachhaltigkeit auf diesem Gebiet, welche die direkte Besatzung<br />

überdauerte, war das Ergebnis <strong>der</strong> Bemühungen vieler Persönlichkeiten des öffentlichen<br />

Lebens französischer <strong>und</strong> deutscher Nationalität. Indem diese Arbeit sowohl<br />

strukturgeschichtliche als auch wirtschafts-, sozial- <strong>und</strong> kulturgeschichtliche<br />

Fragestellungen e<strong>in</strong>bezieht, konnte zudem gezeigt werden, dass es letztlich von vielen<br />

Faktoren abh<strong>in</strong>g, ob <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis zu guten Ergebnissen führte.<br />

Als abschließendes Fazit bleibt festzuhalten: Auch wenn <strong>in</strong> Südbaden nicht allenorts<br />

gleiche Ergebnisse erreicht wurden <strong>und</strong> nicht je<strong>der</strong> Jugende<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong> dauerhafter<br />

Erfolg beschieden war, so bildete letztlich die von den Franzosen <strong>in</strong>itiierte <strong>Jugendarbeit</strong><br />

lokal wie regional betrachtet zweifellos e<strong>in</strong>e gewichtige Größe im kulturellen Leben,<br />

brachte sie <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> vielen an<strong>der</strong>en Städten <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den im französischen<br />

Zonengebiet <strong>in</strong>novative Jugende<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> Projekte hervor. Das wichtigste<br />

Ergebnis aber bestand dar<strong>in</strong>, dass an die Stelle <strong>der</strong> gleichgeschalteten nationalsozialistischen<br />

<strong>Jugendarbeit</strong> mit ihrer ausgeprägten Hierarchie <strong>und</strong> totalitären Organisationsstrukturen<br />

nach 1945 e<strong>in</strong>e neue Art <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> trat, die pluralistisch strukturiert,<br />

weltanschaulich neutral orientiert war <strong>und</strong> <strong>der</strong> demokratischen Gr<strong>und</strong>ordnung entsprach.<br />

Auf diese Weise wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit Wertmaßstäbe im Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

verankert, welche <strong>der</strong> heutigen Jugendhilfe <strong>in</strong> Deutschland weiterh<strong>in</strong> immanent s<strong>in</strong>d.<br />

2 Ausblick – Gr<strong>und</strong>züge <strong>der</strong> Jugendhilfeentwicklung seit den<br />

1960er-Jahren<br />

Während die Nachkriegszeit <strong>in</strong> politischer H<strong>in</strong>sicht mit dem Rücktritt Adenauers im Jahr<br />

1963 zu Ende g<strong>in</strong>g, ist <strong>der</strong> gesellschaftliche Wendepunkt im Jahr 1968 anzusiedeln, als<br />

weite Kreise <strong>der</strong> Bevölkerung, allen voran die Jugend, die Autoritäten <strong>in</strong> Politik, Wirt-<br />

1284 ABELSHAUSER, Die langen fünfziger Jahre, S. 77.


346 IX SCHLUSSBETRACHTUNGEN<br />

schaft, Justiz <strong>und</strong> Lehre anzuzweifeln begannen. Mit <strong>der</strong> <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong>her g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e<br />

neuartige Debatte um die nationalsozialistische Vergangenheit <strong>der</strong> Väter sowie vieler<br />

Träger des öffentlichen Lebens, vor allem Richter, Professoren <strong>und</strong> Industrielle. Als Vorbote<br />

dieser <strong>Entwicklung</strong> ist die „Spiegelaffäre“ vom Oktober 1962 zu werten. Die Beschlagnahmung<br />

von Unterlagen <strong>und</strong> die Festnahme des Herausgebers Rudolf Augste<strong>in</strong><br />

führten zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>nenpolitischen Krise, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Verlauf erstmals <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>esrepublik die Entscheidungen <strong>der</strong> offiziellen Politik von weiten Teilen <strong>der</strong><br />

Bevölkerung <strong>in</strong>frage gestellt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erhalt <strong>der</strong> Presse- <strong>und</strong> Me<strong>in</strong>ungsfreiheit dezidiert<br />

e<strong>in</strong>gefor<strong>der</strong>t wurde. Die Studentenrevolte, die ihren Nährboden <strong>in</strong> Ereignissen wie <strong>der</strong><br />

Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg im Juni 1967 im Zusammenhang mit dem<br />

umstrittenen Besuch des persischen Schahs <strong>und</strong> <strong>der</strong> militärischen Präsenz <strong>der</strong> USA <strong>in</strong><br />

Vietnam fand, ist Ausdruck <strong>und</strong> Höhepunkt dieser <strong>Entwicklung</strong>. Schließlich verwies <strong>der</strong><br />

Kernsatz „Wir wollen mehr Demokratie wagen“, den <strong>der</strong> damalige B<strong>und</strong>eskanzler Willy<br />

Brandt aus Anlass se<strong>in</strong>er Wahl durch den deutschen B<strong>und</strong>estag am 21. Oktober 1969<br />

verkündete, darauf, dass neuartige gesellschaftliche Strömungen vor <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>esregierung <strong>während</strong> <strong>der</strong> späten 1960er- <strong>und</strong> 1970er-Jahre nicht haltmachten.<br />

Im Gegensatz zu den fortschrittlichen gesellschaftlichen Tendenzen gerieten <strong>in</strong>novative<br />

Gedanken im Bereich <strong>der</strong> Jugendhilfe seit den 1960er-Jahren zunächst <strong>in</strong><br />

Vergessenheit. Erst <strong>in</strong> jüngster Zeit rückt <strong>der</strong> Präventionsgedanke <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong> vor<br />

dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> gegenwärtiger Jugendprobleme wie Migration, Gewaltzunahme unter<br />

Jugendlichen, Arbeitslosigkeit, Medienkonsum <strong>und</strong> Drogenproblemen soziale Randgruppenarbeit<br />

wie<strong>der</strong> stärker <strong>in</strong> den Blickpunkt <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion. Dem Reformstau<br />

im Bereich <strong>der</strong> Jugendhilfe lagen folgende Ursachen zugr<strong>und</strong>e: Umstrukturierungen im<br />

Bereich <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>, Gesetzesän<strong>der</strong>ungen wie die Novelle des Reichswohlfahrtsgesetzes<br />

von 1961, Gebietsreformen (Gründung des Südweststaats 1953, Kreisreform<br />

1971) <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>en E<strong>in</strong>sparungen, Stellenwegfall, Neuverteilung von<br />

Aufgaben, allgeme<strong>in</strong>e politische <strong>und</strong> gesellschaftliche Verän<strong>der</strong>ungen, diverse jugendkulturelle<br />

<strong>Entwicklung</strong>en, neue pädagogische Konzepte <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kampf um die<br />

Verfassungsmäßigkeit des Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zips.<br />

Das Inkrafttreten des heute gültigen K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfegesetzes vom 26. Juni<br />

1990 leitete e<strong>in</strong>en entscheidenden Paradigmenwechsel <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> westdeutschen<br />

Jugendhilfe e<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem es <strong>Jugendarbeit</strong> als Leistung <strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>und</strong> als Pflichtaufgabe<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfeträger def<strong>in</strong>iert. Letztere s<strong>in</strong>d daher per Gesetz dazu verpflichtet, „jungen<br />

Menschen die zur För<strong>der</strong>ung ihrer <strong>Entwicklung</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Angebote <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong><br />

zur Verfügung zu stellen“ (§ 11). Letztlich führte das mehrfach novellierte Jugendhilferecht<br />

im Laufe <strong>der</strong> Zeit zu e<strong>in</strong>em verän<strong>der</strong>ten Selbstverständnis von Jugendhilfe. So liegen<br />

beispielsweise <strong>der</strong> heutigen Jugendhilfe im Gegensatz zur Jugendwohlfahrtspflege <strong>der</strong><br />

1950er- <strong>und</strong> 1960er-Jahre kaum noch ordnungspolitische Aufgaben zugr<strong>und</strong>e. 1285 Vielmehr<br />

wandelte sich diese gesellschaftliche Aufgabe, so <strong>der</strong> Erziehungswissenschaftler<br />

FALTERMEIER 1286 , seit den 1950er-Jahren bis <strong>in</strong> unsere Zeit allmählich von <strong>der</strong> „diszipli-<br />

1285 JORDAN; SENGLING, Jugendhilfe, S. 14.<br />

1286 FALTERMEIER, Jugendhilfe, S. 9.


IX.2 AUSBLICK – GRUNDZÜGE DER JUGENDHILFEENTWICKLUNG SEIT DEN 1960ER-JAHREN 347<br />

nierenden“ Fürsorge h<strong>in</strong> „zum sozialpolitischen Seismographen“. Zudem wurden bereits<br />

<strong>in</strong> den 1970er-Jahren wegweisende Maßnahmen im Jugendrecht e<strong>in</strong>geleitet. So wurden im<br />

Zuge <strong>der</strong> sozialliberalen Reformen das Jugendrecht über das Elternrecht gestellt <strong>und</strong> die<br />

Volljährigkeit von 21 auf 18 Jahre gesenkt.<br />

Die Schwerpunkte <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen <strong>Jugendarbeit</strong> liegen auf Aktivitäten <strong>in</strong> den Bereichen<br />

Sport, Spiel, Geselligkeit, arbeitswelt-, schul- <strong>und</strong> familienbezogene <strong>Jugendarbeit</strong>, <strong>in</strong>ternationale<br />

<strong>Jugendarbeit</strong>, K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugen<strong>der</strong>holung, Jugendberatung. Der Leistungskatalog<br />

umfasst Tagesbetreuung, Beratungsangebote für K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Jugendliche <strong>und</strong><br />

Familien bei Problemen, Jugendsozialarbeit, K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendschutz sowie familienersetzende<br />

E<strong>in</strong>richtungen. Die genannten Aufgaben werden sowohl von freien als auch<br />

von staatlichen Trägern wahrgenommen, wobei das Verhältnis freier Jugendorganisationen<br />

zum Staat weiterh<strong>in</strong> subsidiär strukturiert ist <strong>und</strong> lizenzierte Gruppen vom Staat<br />

materiell unterstützt werden. Ganz <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne präsentiert sich das kommunale<br />

Jugendzentrum (JUZE) <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gustav-Schwab-Straße als „För<strong>der</strong>maßnahme jugendlicher<br />

<strong>Entwicklung</strong>, Sozialisation <strong>und</strong> Bildung“ 1287 . Als Mittel zur Umsetzung dieses Anspruchs<br />

s<strong>in</strong>d die Schaffung von Angeboten <strong>und</strong> die Bereitstellung von Räumlichkeiten für die<br />

Jugend zu nennen. Darüber h<strong>in</strong>aus wird Unterstützung <strong>und</strong> Begleitung <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Lebenslagen <strong>und</strong> Situationen angeboten <strong>und</strong> vermehrt mit an<strong>der</strong>en E<strong>in</strong>richtungen, <strong>in</strong> die<br />

die Besucher e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d, kooperiert. Die Ziele <strong>und</strong> Leitl<strong>in</strong>ien <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Mitarbeiter<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Mitarbeiter des JUZE <strong>Konstanz</strong> bilden „entwicklungs- <strong>und</strong> sozialpsychologische<br />

sowie sozialpädagogische Ansätze“. E<strong>in</strong>e wichtige Bedeutung erfahren<br />

hierbei „Konzepte <strong>der</strong> produktiven Bewältigung von <strong>Entwicklung</strong>saufgaben, <strong>der</strong> sozialen<br />

Unterstützung sowie <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>satz e<strong>in</strong>er Pädagogik des Jugendraums“. Um diese Ziele <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Praxis umzusetzen, wird „für <strong>und</strong> mit Jugendlichen“ gearbeitet. Mit an<strong>der</strong>en Worten:<br />

Die mo<strong>der</strong>ne <strong>Jugendarbeit</strong> ist vorrangig an den Wünschen <strong>und</strong> Bedürfnissen <strong>der</strong><br />

Jugendlichen orientiert. 1288 Damit ist e<strong>in</strong> Ansatz beschrieben, <strong>der</strong> über die gängigen Auffassungen<br />

von <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>während</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit weit h<strong>in</strong>ausgeht.<br />

Dagegen bleibt die Frage nach den Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen präventiver <strong>Jugendarbeit</strong>,<br />

wie sie sich – wenngleich unter an<strong>der</strong>en politischen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />

Vorzeichen – nach 1945 stellte, vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Vielzahl heutiger<br />

Jugendprobleme unterschiedlichster Art <strong>und</strong> Provenienz weiterh<strong>in</strong> aktuell.<br />

1287 http://www.juze-konstanz.de [Stand 03.10.2007]; siehe auch die folgenden Zitate.<br />

1288 E<strong>in</strong>en guten E<strong>in</strong>blick über die aktuellen Themen <strong>und</strong> Konzeptionen mo<strong>der</strong>ner städtischer K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> gibt die im Rahmen des Landesprogramms „Qualitätssicherung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>“<br />

geför<strong>der</strong>te Broschüre <strong>der</strong> Stadt S<strong>in</strong>gen/Htw. DIES. (Hg.), Kommunale K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>.


Quellen- <strong>und</strong> Literaturverzeichnis<br />

1 Quellen<br />

1.1 Ungedruckte Quellen<br />

M<strong>in</strong>istère des Affaires Etrangères, Archives de l’Occupation française en Allemagne et en<br />

Autriche, Colmar (MAE AOFAA):<br />

C 1101 Adm<strong>in</strong>istrative (jusqu’en 1949), Délégation de District de Constance<br />

C 1101/1 Délégation Provenciale du Bade Sud, L 1-101.<br />

Rapports périodiques 1945-1949, Bezirk <strong>Konstanz</strong>; Détachement F de Constance;<br />

Gouvernement militaire d’Allemagne, Pays de Bade, Détachement I de Constance<br />

C 1101/2 Rapports périodiques, Rapports trimestriels 1950-1951<br />

C 4381 Etude sur la Jeunesse<br />

Staatsarchiv Freiburg (SAF);<br />

Bestand C Badisches M<strong>in</strong>isterium des Innern (Landtag, Staatskanzlei, M<strong>in</strong>isterien <strong>und</strong><br />

Zentralbehörden des Landes (Süd-) Baden, 1945-1952)<br />

C 16/1 Nr. 9, 10, 39, 61, 90, 96<br />

Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStA):<br />

Bestand EA 2/150 Bü 303 (telefonische Auskunft vom 05.03.2007)<br />

Stadtarchiv <strong>Konstanz</strong> (StAK):<br />

Bestand S II Unterlagen des Hauptamts<br />

Nr. 12097, 12106, 12320, 12360, 13200, 13260, 15146, 15147, 15149, 15150,<br />

15155, 17806, 2417, 4184, 451/250<br />

Bestand S XII Akten <strong>der</strong> Abteilung Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendbildung bei <strong>der</strong> Stadtverwaltung. 1289<br />

Haushaltspläne ab 1946<br />

Kreisarchiv Bodenseekreis (KrAFN):<br />

Bestand Bezirksamt/Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, Akten:<br />

ÜB-A Nr. 47g, 48 a, 48 b, 49a, 80a, 80c<br />

Kreisarchiv Schwarzwald-Baar-Kreis (KrAVS):<br />

Bestand Landratsamt Vill<strong>in</strong>gen Nr. 2417, 4164<br />

Kreisarchiv <strong>Konstanz</strong> (KrAK):<br />

Bestand Landratsamt <strong>Konstanz</strong> Nr. 352.105/I<br />

Privatarchiv Rudolf Kutscha:<br />

W<strong>in</strong>terprogramme des Jugendbildungswerks <strong>Konstanz</strong> 1946-1960<br />

Lebenslauf<br />

1289 Zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Abfassung <strong>der</strong> Arbeit lag noch ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelaktenverzeichnung vor.


350 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

Schriftliche <strong>und</strong> mündliche Auskünfte<br />

Rudolf KUTSCHA, ehemaliger Stadtjugendpfleger <strong>und</strong> Leiter des Jugendbildungswerks<br />

<strong>Konstanz</strong>, am 22.10.1998 (persönliches Gespräch)<br />

Kurt GALLMANN, Leiter des S<strong>in</strong>gkreises Uli Ullner, am 02.06.1999 (telefonische<br />

Auskunft)<br />

1.2 Gedruckte Quellen<br />

CONZE, Werner (Hg.): Ploetz, Deutsche <strong>Geschichte</strong>. Epochen <strong>und</strong> Daten, Freiburg i. Br.,<br />

Würzburg 1996.<br />

ESTRADE, Jean Lucien: Tuttl<strong>in</strong>gen April 1945 – September 1949. Die französische<br />

Militärregierung <strong>in</strong> Tuttl<strong>in</strong>gen, hg. vom Geschichtsvere<strong>in</strong> für den Landkreis<br />

Tuttl<strong>in</strong>gen, Tuttl<strong>in</strong>gen 1990.<br />

FISCHER, Joachim (Bearb.): Staatsarchiv Freiburg. Gesamtübersicht <strong>der</strong> Bestände.<br />

Kurzfassung. Stand 1993, Stuttgart 1994.<br />

GÖTZ, Franz: Amtsbezirke <strong>und</strong> Kreise im badischen Bodenseegebiet, Radolfzell 1971.<br />

HEISER, Sandr<strong>in</strong>e: Guide des Archives de l’Occupation française en Allemagne et en<br />

Autriche, Strasbourg 1990.<br />

JANS, Karl-Wilhelm; HAPPE, Günther: Kommentar zum Jugendwohlfahrtsgesetz,<br />

Köln 1987.<br />

KREISARCHIV BODENSEEKREIS (Hg.); ZANG, Gert (Bearb.): Archiv<strong>in</strong>ventar Bezirksamt<br />

bzw. Landratsamt Überl<strong>in</strong>gen, Generalia <strong>und</strong> Spezialia, Friedrichshafen 2005<br />

(Inventare des Kreisarchivs Bodenseekreis 3/1), 2 Bände.<br />

MAITRON, Jean: Degliame-Fouché, Marcel, <strong>in</strong>: DERS.; PENNETIER, Claude: Dictionnaire<br />

Biographique du Mouvement Ourvrier Français, Band 24, Paris 1985 (ke<strong>in</strong>e<br />

Seitenzählung).<br />

NOELLE, Elisabeth; NEUMANN, Erich Peter: Jahrbuch <strong>der</strong> öffentlichen Me<strong>in</strong>ung<br />

1947-1955, Band 1 (Allensbacher Jahrbücher <strong>der</strong> Demoskopie), Allensbach 1956.<br />

STADT SINGEN (Hg.): Kommunale K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>. Konzeption <strong>der</strong><br />

Jugendpflege <strong>und</strong> <strong>der</strong> städtischen Jugendhäuser, S<strong>in</strong>gen 2001.<br />

STADTARCHIV ROTTWEIL (Hg.): Chronique du cercle de Rottweil depuis le 27 avril 1945<br />

jusqu'au 30 septembre 1949. Chronik des Kreises Rottweil vom 17. April 1945 bis<br />

30. September 1949. Zweisprachige Edition bearbeitet <strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>leitung<br />

versehen von Jürgen KLÖCKLER, Rottweil 2000.<br />

STATISTISCHES LANDESAMT BADEN-WÜRTTEMBERG (Hg.): Statistisches Jahrbuch<br />

deutscher Geme<strong>in</strong>den, 37. Jg., Nationalatlas B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland – Dörfer<br />

<strong>und</strong> Städte 2002.<br />

STATISTISCHES LANDESAMT BADEN (Hg.): Endgültige Ergebnisse <strong>der</strong> Volks- <strong>und</strong><br />

Berufszählung vom 29. Oktober 1946, Freiburg i. Br. o. J.<br />

WOHLEB, Leo: Eröffnungsrede zu Beg<strong>in</strong>n des 2. Kurses auf dem Höllhof, <strong>in</strong>:<br />

MITTEILUNGSBLATT DES HÖLLHOF, 1. Jg. Nr. 1, Juli 1948.


1 QUELLEN 351<br />

Gesetzes- <strong>und</strong> Amtsblätter<br />

B<strong>und</strong>esgesetzblatt vom 18.06.1957 (BGBL I, S. 609).<br />

Sozialgesetzbuch (SBG), Achtes Buch (VIII), K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe vom 26.06.1990<br />

(BGBl. I S.1163), <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fassung <strong>der</strong> Bekanntmachung vom 15.03.1996 (BGBl. I<br />

S. 477), zuletzt geän<strong>der</strong>t am 29.05.1998 durch das zweite Gesetz zur Än<strong>der</strong>ung des<br />

Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Gesetze (BGBl. I S. 1188).<br />

Badisches Gesetz- <strong>und</strong> Verordnungsblatt: (= 1945: Amtsblatt <strong>der</strong> Militärregierung Baden;<br />

1946-1947: Amtsblatt <strong>der</strong> Landesverwaltung Baden; 1947-1952: Regierungsblatt <strong>der</strong><br />

Landesregierung Baden, Beilagen: 1946-1949)<br />

Staatsanzeiger Württemberg Nr. 27 vom 02.02.1934<br />

Reichsgesetzblatt, hier: 1936/I <strong>und</strong> 1939/Nr. 66 vom 06.04.1939<br />

Zeitungen 1290<br />

SÜDKURIER, Ausgabe <strong>Konstanz</strong> 1945 ff.<br />

Berichte aus <strong>der</strong> Pressemappe <strong>der</strong> Abteilung Jugendbewegung <strong>und</strong> Jugendbildung im<br />

StAK, Bestand S XII aus folgenden Zeitungen:<br />

SÜDWESTDEUTSCHE RUNDSCHAU<br />

SÜDWESTDEUTSCHE VOLKSZEITUNG<br />

SCHWARZWÄLDER-POST/BODENSEEPOST<br />

DEUTSCHE BODENSEEZEITUNG<br />

DAS VOLK<br />

SUSO-BLATT<br />

E<strong>in</strong>zelausgaben:<br />

SCHWÄBISCHE ZEITUNG, Ausgabe Friedrichshafen, Nr. 99 vom 28.04.1984;<br />

SÜDKURIER, Ausgabe Vill<strong>in</strong>gen (1946/1947)<br />

Periodika <strong>und</strong> Jahrbücher<br />

KONSTANZER ALMANACH, 1954 ff.<br />

HALLO/BONJOUR, 1949 ENTRE NOUS (Bullet<strong>in</strong> Hebdomadaire d'<strong>in</strong>formation); 1994 ff.<br />

HEGAU. Zeitschrift für <strong>Geschichte</strong>, Volksk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Naturgeschichte des Gebietes<br />

zwischen Rhe<strong>in</strong>, Donau <strong>und</strong> Bodensee, 1956 ff.<br />

LEBEN AM SEE (LAS). Heimatjahrbuch des Bodenseekreises 1983 ff.<br />

E<strong>in</strong>zelausgaben:<br />

DER SPIEGEL, NR. 13-16 (2002)<br />

SPIEGEL SPEZIAL, Juni 2002<br />

JAHRBUCH DES LANDKREISES FREUDENSTADT 2004<br />

SINGENER JAHRBUCH 1982<br />

ALMANACH DES SCHWARZWALD-BAAR-KREISES 2000<br />

1290 Das jeweilige Tagesdatum ist <strong>in</strong> den Fußnoten wie<strong>der</strong>gegeben.


352 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

1.3 Onl<strong>in</strong>e-Quellen 1291<br />

http://www.landesarchiv-bw.de<br />

http://www.ordredelaliberation.fr<br />

http://www.b<strong>und</strong>esrecht.juris.desgb_8/<strong>in</strong>dex.html<br />

http://www.gedenkstaette-mor<strong>in</strong>gen.de<br />

http://www.dfv-konstanz.de/htm/8_de.html<br />

http://www.diplomatie.gouv.fr/.../zone-occupation-française-allemagneautriche_11662/<strong>in</strong>dex.html<br />

http://www.konstanz.de/rathaus/ämter/ha/sw/statistik/bevoelkerung/<strong>in</strong>dex.html<br />

http://www.fh-konstanz.de<br />

http://www.konstanz.de/philharmonie<br />

1291 Der jeweilige letzte Zugriff ist <strong>in</strong> den Fußnoten angegeben.


2 SEKUNDÄRLITERATUR 353<br />

2 Sek<strong>und</strong>ärliteratur<br />

ABELE, Sab<strong>in</strong>e: Das Deutsche Theater <strong>Konstanz</strong> 1948-1950 unter Leitung He<strong>in</strong>z Hilperts,<br />

<strong>in</strong>: SCHRR VG BODENSEE 105 (1987), S. 151-189.<br />

ABELSHAUSER, Werner: Wirtschaftsgeschichte <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

(1945-1989), Frankfurt a. M. 1983.<br />

DERS.: Wirtschaft <strong>und</strong> Besatzungspolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone 1945-1959, <strong>in</strong>:<br />

SCHARF, Claus; SCHRÖDER, Hans-Jürgen (Hgg.): Die Deutschlandpolitik Frankreichs<br />

<strong>und</strong> die französische Zone 1945-1949, Wiesbaden 1983, S. 111-140.<br />

DERS.: Die Langen Fünfziger Jahre. Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland 1949-1966, Düsseldorf 1987.<br />

DERS.: Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft <strong>der</strong> 1950er Jahre <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reihe Fernstudium <strong>Geschichte</strong><br />

des Deutschen Instituts für Fernstudien an <strong>der</strong> Universität Tüb<strong>in</strong>gen. Deutsche<br />

<strong>Geschichte</strong> nach 1945, Teil 1.6., Tüb<strong>in</strong>gen 1987.<br />

ABENDROTH, Wolfgang: Frankreich <strong>und</strong> das Potsdamer Abkommen, <strong>in</strong>: ZFP, Nf. 2 (1954),<br />

S. 71-74.<br />

ACHBERGER, Franz U. A.: „H<strong>in</strong>ter mir <strong>der</strong> Krieg ... vor mir <strong>der</strong> Friede“. Das Kriegsende<br />

1945 am Bodensee, <strong>Konstanz</strong> 2003.<br />

ACKERMANN, Volker: Der „echte Flüchtl<strong>in</strong>g“. Deutsche Vertriebene <strong>und</strong> Flüchtl<strong>in</strong>ge aus<br />

<strong>der</strong> DDR (1945-1961), Essen 1995.<br />

ALLERBECK, Klaus: E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Jugendsoziologie. Theorie, Methoden, empirische<br />

Materialien, Heidelberg 1976.<br />

ALTMANN, PETER (Hg.): Hauptsache Frieden. Kriegsende, Befreiung, Neubeg<strong>in</strong>n. Vom<br />

antifaschistischen Konsens zum Gr<strong>und</strong>gesetz 1949, Frankfurt a. M. 1985.<br />

AMBROSIUS, Gerold: Wirtschaftlicher Strukturwandel <strong>und</strong> Technikentwicklung, <strong>in</strong>:<br />

SCHILDT, Axel; SYWOTTEK, Arnold (Hgg.): Mo<strong>der</strong>nisierung im Wie<strong>der</strong>aufbau. Die<br />

westdeutsche Gesellschaft <strong>der</strong> 50er Jahre, Bonn 2 1998, S. 107-128.<br />

ARBEITSGEMEINSCHAFT DER KREISARCHIVE BEIM LANDKREISTAG BADEN-WÜRTTEMBERG<br />

(Hg.); ANGERBAUER, Wolfram (Red.): Die Amtsvorsteher <strong>der</strong> Oberämter,<br />

Bezirksämter <strong>und</strong> Landratsämter <strong>in</strong> Baden-Württemberg 1819-1972, Stuttgart 1996.<br />

ARBEITSGEMEINSCHAFT GESCHICHTE MARKDORF (Hg.): Markdorf 1939-1948, Markdorf<br />

1992 (<strong>Geschichte</strong> am See, 46).<br />

ARBEITSKREIS FÜR HEIMATGESCHICHTE AN DEN FRIEDRICHSHAFENER SCHULEN: Friedrichshafen<br />

<strong>in</strong> Diktatur, Krieg <strong>und</strong> Besatzungszeit 1933-1950, Friedrichshafen 1994.<br />

ARIÈS, Philippe: <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit, Deutsche Ausgabe München <strong>und</strong> Wien 1975.<br />

AUERBACH, Helmuth: Die europäische Wende <strong>der</strong> französischen Deutschlandpolitik<br />

1947/48, <strong>in</strong>: HERBST, Ludolf U. A. (Hgg.): Vom Marshallplan zur EWG. Die<br />

E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland <strong>in</strong> die westliche Welt, München<br />

1990, S. 577-591.<br />

AUST, Stefan; BURGDORFF, Stefan (Hgg.): Die Flucht. Über die Vertreibung <strong>der</strong> Deutschen<br />

aus dem Osten mit Beiträgen von Rudolf AUGSTEIN <strong>und</strong> Thomas DARNSTÄTT,<br />

München 2002.<br />

BAACKE, Dieter: E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die außerschulische Pädagogik, München 1985.<br />

DERS. U. A. (Hgg.): Jugend 1900-1970, Opladen 1991.


354 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

BALD, Detlef: „Bürger <strong>in</strong> Uniform“. Tradition <strong>und</strong> Neuanfang des Militärs <strong>in</strong><br />

Westdeutschland, <strong>in</strong>: SCHILDT, Axel; SYWOTTEK, Arnold (Hgg.): Mo<strong>der</strong>nisierung im<br />

Wie<strong>der</strong>aufbau. Die westdeutsche Gesellschaft <strong>der</strong> 50er Jahre, Bonn 2 1998,<br />

S. 392-402.<br />

DERS.: Die B<strong>und</strong>eswehr. E<strong>in</strong>e kritische <strong>Geschichte</strong> 1955-2005, München 2005.<br />

BAUM, Detlef: <strong>Jugendarbeit</strong>sschutz, <strong>in</strong>: BIENEMANN, Georg U. A. (Hgg.): Handbuch des<br />

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356 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

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2 SEKUNDÄRLITERATUR 357<br />

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358 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

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2 SEKUNDÄRLITERATUR 359<br />

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GORKA, Cornelius: Die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> Kreisselbstverwaltung <strong>in</strong> Baden 1919-1939,<br />

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Alltag <strong>und</strong> Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949, München 1996,<br />

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360 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

GRÖSCHL, Roland: <strong>Jugendarbeit</strong> <strong>und</strong> Jugendpolitik, <strong>in</strong>: HERRMANN, Ulrich (Hg.):<br />

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2 SEKUNDÄRLITERATUR 361<br />

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<strong>und</strong> Franzosen im zusammenwachsenden Europa, Stuttgart 2003.<br />

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362 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

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DERS.: Landesgründung <strong>und</strong> Verfassungsgebung im Spannungsfeld von Besatzungsmacht<br />

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HUMBLOT, Henrie: Kontrolle <strong>und</strong> Anregung <strong>der</strong> Jugendbewegungen <strong>in</strong> Süd-Württemberg.<br />

E<strong>in</strong> Erlebnisbericht aus den Jahren 1945-1949, <strong>in</strong>: VAILLANT, Jérôme (Hg.):<br />

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2 SEKUNDÄRLITERATUR 363<br />

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DODERER, Klaus (Hg.): Zwischen Trümmern <strong>und</strong> Wohlstand. Literatur <strong>der</strong> Jugend<br />

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DERS.: Autonomistische Neuglie<strong>der</strong>ungspläne für Südwestdeutschland nach 1945.<br />

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(Rorschacher Neujahrsblatt 1995).<br />

DERS.: Abendland – Alpenland – Alemannien. Frankreich <strong>und</strong> die Neuglie<strong>der</strong>ungsdiskussion<br />

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München 1998.<br />

DERS.: E<strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>er Vorschlag zur Staatsbildung <strong>in</strong> Südwestdeutschland nach 1945.<br />

Otto Fegers schwäbisch-alemannische Alternative, <strong>in</strong>: CRIVELLARI, Fabio: Baden am<br />

Scheideweg. <strong>Konstanz</strong> <strong>und</strong> die Gründung des Südweststaats, <strong>Konstanz</strong> 2002,<br />

S. 25-36.


2 SEKUNDÄRLITERATUR 365<br />

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<strong>und</strong> knapp. Alltagswelten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grenzstadt <strong>Konstanz</strong> 1920-1960, <strong>Konstanz</strong> 2002,<br />

S. 29-39.<br />

DERS.: Die <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> das Wachstum <strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong> zwischen 1920 <strong>und</strong> 1960,<br />

<strong>in</strong>: STADT KONSTANZ, ROSGARTENMUSEUM (Hg.): Mager <strong>und</strong> knapp. Alltagswelten <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Grenzstadt <strong>Konstanz</strong> 1920-1960, <strong>Konstanz</strong> 2002, S. 40-48.<br />

KLÖNNE, Arno: Hitler-Jugend. Die Jugend <strong>und</strong> ihre Organisation im Dritten Reich,<br />

Hannover 1960.<br />

DERS.: Jugendgeschichte <strong>in</strong> Trümmerzeiten – Streiflichter, <strong>in</strong>: BAACKE, Dieter U. A.<br />

(Hgg.): Jugend 1900-1970, Opladen 1991, S. 91-105.<br />

DERS.: Jugendopposition gegen HJ <strong>und</strong> NS-Staat, <strong>in</strong>: BECK, Johannes (Hg.): Terror <strong>und</strong><br />

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DERS.: Was war die Hitler-Jugend?, <strong>in</strong>: BECK, Johannes (Hg.): Terror <strong>und</strong> Hoffnung <strong>in</strong><br />

Deutschland 1933-1945. Leben im Faschismus, Re<strong>in</strong>bek 1980, S. 421-435.<br />

KLOSTER ZOFFINGEN (Hg.): Zweih<strong>und</strong>ert Jahre Schule Zoff<strong>in</strong>gen, <strong>Konstanz</strong> 1975.<br />

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Frankreichs Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland 1945-1950, Tüb<strong>in</strong>gen 1987.<br />

DERS.: Umerziehung <strong>der</strong> Verwaltung? Zur Gründungsgeschichte <strong>der</strong> Hochschule für<br />

Verwaltungswissenschaften <strong>in</strong> Speyer, <strong>in</strong>: DERS.; LE RIDER, Jacques (Hgg.):<br />

Frankreichs Kulturpolitik <strong>in</strong> Deutschland 1945-1950, Tüb<strong>in</strong>gen 1987, S. 91-110.<br />

KOCH, Michael: Theater <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong>. 1000 Jahre Theaterspiel, <strong>Konstanz</strong> 1985.<br />

KOHNERT, Birger: Bewegungen gegen die atomare Bewaffnung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eswehr <strong>in</strong> den<br />

Jahren 1957/58, <strong>in</strong>: SIEPMANN, Eckhard (Hg.): Bik<strong>in</strong>i, Die Fünfziger Jahre. Kalter<br />

Krieg <strong>und</strong> Capri-Sonne. Fotos, Texte, Comics, Analysen, Berl<strong>in</strong> 1981, S. 157-180.<br />

KONSTANZER, Eberhard: Die Entstehung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart 1969.<br />

KOSELLECK, Re<strong>in</strong>hart: Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos im<br />

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KÖSTER, Helmut: Politik <strong>und</strong> Verwaltung. Das Land Baden <strong>und</strong> die Regierung Leo<br />

Wohleb, <strong>in</strong>: SCHWEICKERT, Alexan<strong>der</strong> (Hg.): Südbaden, S. 100.<br />

KRAFELD, Franz Josef: <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>. Von den Anfängen bis zur<br />

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KRAHULEC, Peter: Die <strong>Entwicklung</strong> <strong>der</strong> FDJ, <strong>in</strong>: BÖHNISCH, Lothar U. A. (Hgg.):<br />

Handbuch Jugendverbände. E<strong>in</strong>e Ortsbestimmung <strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit <strong>in</strong><br />

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366 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

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KRÜGER, He<strong>in</strong>z-Hermann (Hg.): Die Elvis-Tolle, die hatte ich mir unauffällig wachsen<br />

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ARBEITSGEMEINSCHAFT DER KREISARCHIVE BEIM LANDKREISTAG BADEN-WÜRTTEMBERG<br />

(Hg.); ANGERBAUER, Jürgen (Red.): Die Amtsvorsteher <strong>der</strong> Oberämter, Bezirksämter<br />

<strong>und</strong> Landratsämter <strong>in</strong> Baden-Württemberg 1810-1972, S. 39-41.<br />

KUSTERER, Hermann: Der Kanzler <strong>und</strong> <strong>der</strong> General, Stuttgart 1995.<br />

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LANDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG BADEN-WÜRTTEMBERG (Hg.): Der Weg zum<br />

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DIES. (Hg.): Deutschland <strong>in</strong> den fünfziger Jahren, Bonn 1997.<br />

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2 SEKUNDÄRLITERATUR 367<br />

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MARTENS, Stefan (Hg.): Vom „Erbfe<strong>in</strong>d“ zum „Erneuerer“. Aspekte <strong>und</strong> Motive <strong>der</strong><br />

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1945-1949, Strasbourg 1995.


368 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

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– Thesen, <strong>in</strong>: SCHILDT, Axel; SYWOTTEK, Arnold (Hgg.):<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung im Wie<strong>der</strong>aufbau. Die westdeutsche Gesellschaft <strong>der</strong> 50er Jahre,<br />

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DERS.: Von <strong>der</strong> Fischbrutanstalt zur französischen Schule. Ungewöhnliche Nutzungen <strong>der</strong><br />

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MOSER, Eva: Rückkehr <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne. Zum kulturellen Neuanfang im deutschen<br />

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AUSSTELLUNGEN (Hg.), Redigiert von Louis Specker: Endlich Friede! Kriegsende<br />

1945 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bodenseeregion. Vorarlberg, Süddeutschland, Ostschweiz, Fürstentum<br />

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MÜLLER, Bernhard: 150 Jahre Zeppel<strong>in</strong>-Gewerbeschule <strong>Konstanz</strong>, <strong>Konstanz</strong> 1984.<br />

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NEUGEBAUER, Manuela: Der Weg <strong>in</strong> das Jugendschutzlager Mor<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>e entwicklungspolitische<br />

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westdeutsche Gesellschaft <strong>der</strong> 50er Jahre, Bonn 2 1998, S. 316-335.


2 SEKUNDÄRLITERATUR 369<br />

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PALLOWSKI, Katr<strong>in</strong>: Leben im halben Zimmer. Jugendzimmer <strong>in</strong> den 50er Jahren, <strong>in</strong>:<br />

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370 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

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PUNSCHART, Adam: Die Heimat ist weit. Erlebnisse im Spanischen Bürgerkrieg, im KZ,<br />

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RADKAU, Joachim: Aufstieg <strong>und</strong> Krise <strong>der</strong> deutschen Atomwirtschaft 1945-1975.<br />

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Kontroverse, Re<strong>in</strong>bek 1983.<br />

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S. 129-154.<br />

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REISCH, Erw<strong>in</strong>: Schulzeit <strong>in</strong> Friedrichshafen von 1946-1949, <strong>in</strong>: VHS-FRIEDRICHSHAFEN<br />

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REISACHER. Erw<strong>in</strong>: Ste<strong>in</strong>ige Wege am See. Er<strong>in</strong>nerungen e<strong>in</strong>es Gewerkschaftssekretärs<br />

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REULECKE, Jürgen: Jugend <strong>und</strong> Jugendpolitik im mentalitätsgeschichtlichen Kontext <strong>der</strong><br />

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München 1993, S. 75-90.<br />

DERS.: 100 Jahre Jugendherbergen 1909-2009. Anfänge – Wandlungen – Rück- <strong>und</strong><br />

Ausblicke, Essen 2009.<br />

DERS.: Vaterlose Söhne, <strong>in</strong>: SCHULZ, Hermann U. A.: Söhne ohne Väter. Erfahrungen <strong>der</strong><br />

Kriegsgeneration, Berl<strong>in</strong> 2007 2, S. 144-159.<br />

RIEDEL, Hermann: Ausweglos! Letzter Akt des Krieges im Schwarzwald <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ostbaar<br />

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DERS.: Halt! Schweizer Grenze. Das Ende des 2. Weltkriegs im Südschwarzwald <strong>und</strong> am<br />

Hochrhe<strong>in</strong> <strong>in</strong> dokumentarischen Berichten deutscher, französischer <strong>und</strong><br />

schweizerischer Beteiligter <strong>und</strong> Betroffener, <strong>Konstanz</strong> 1983.<br />

DERS.: Vill<strong>in</strong>gen 1945. Bericht aus e<strong>in</strong>er schweren Zeit, Vill<strong>in</strong>gen o. J.<br />

ROLL, Siegmar: Gesetz zum Schutz <strong>der</strong> Jugend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit, <strong>in</strong>: BIENEMANN,<br />

Georg U. A. (Hgg.): Handbuch des K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendschutzes, Münster 1995,<br />

S. 96-112.


2 SEKUNDÄRLITERATUR 371<br />

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ROTHERMEL, Helmut: Den Landkreis tief geprägt. Zum Tod von Dr. Robert Lienhart, Alt-<br />

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ROVAN, Joseph: Er<strong>in</strong>nerungen e<strong>in</strong>es Franzosen, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Deutscher war,<br />

München 2000.<br />

DERS.: Im Zentrum Europas. Deutschland <strong>und</strong> Frankreich im 20. <strong>und</strong> 21. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />

München 2000.<br />

RUGE-SCHATZ, Angelika: Umerziehung <strong>und</strong> Schulpolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen<br />

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S. 111-132.<br />

RUHL, Iris: Studien zur Situation alle<strong>in</strong>stehen<strong>der</strong> Frauen <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> nach 1945,<br />

Magisterarbeit, Universität <strong>Konstanz</strong> 1994.<br />

RUPIEPER, Herman-Josef: Die amerikanische Demokratisierungspolitik <strong>in</strong><br />

Westdeutschland 1945-1952, <strong>in</strong>: OBERREUTER, He<strong>in</strong>rich; WEBER, Jürgen (Hgg.):<br />

Fre<strong>und</strong>liche Fe<strong>in</strong>de? Die Alliierten <strong>und</strong> die Demokratiegründung <strong>in</strong> Deutschland,<br />

München 1996, S. 197-216.<br />

RÜRUP, Re<strong>in</strong>hard: Historische Sozialwissenschaften, Gött<strong>in</strong>gen 1977.<br />

SACHS-GLEICH, Petra: „Auf nach dem Bodensee!“ o<strong>der</strong> vom Verschw<strong>in</strong>den des<br />

Panoramas. Fremdenverkehrswerbung am Bodensee am Beispiel Langenargens, <strong>in</strong>:<br />

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SAUER, Paul: Demokratischer Neubeg<strong>in</strong>n <strong>in</strong> Not <strong>und</strong> Elend. Das Land Württemberg-<br />

Baden von 1945-1952, Ulm 1978.<br />

SAUZAY, Brigitte: Deutschland <strong>und</strong> Frankreich. Die Herausfor<strong>der</strong>ungen für e<strong>in</strong>e<br />

geme<strong>in</strong>same Zukunft, <strong>in</strong>: APUZ 53 (2003), Band 3-4, S. 3-5.<br />

SCHÄFER, Franz: Petershauser K<strong>in</strong><strong>der</strong>tage zwischen Vor- <strong>und</strong> Nachkriegszeit, <strong>in</strong>:<br />

DELPHIN-KREIS (Hg.): R<strong>und</strong> um <strong>Konstanz</strong> … <strong>und</strong> dort selbst ( <strong>Konstanz</strong>er Beiträge zu<br />

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SCHÄFERS, Bernhard: Die westdeutsche Gesellschaft. Strukturen <strong>und</strong> Formen, <strong>in</strong>: SCHILDT,<br />

Axel; SYWOTTEK, Arnold (Hgg.): Mo<strong>der</strong>nisierung im Wie<strong>der</strong>aufbau. Die<br />

westdeutsche Gesellschaft <strong>der</strong> 50er Jahre, Bonn 2 1998, S. 307-315.<br />

SCHARINGER, Karl: Jugendr<strong>in</strong>ge, <strong>in</strong>: BÖNISCH, Lothar U. A. (Hgg.): Handbuch <strong>der</strong><br />

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SCHARF, Claus; SCHRÖDER, Hans-Jürgen (Hgg.): Politische <strong>und</strong> ökonomische<br />

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SCHÄTZLE, Julius: Stationen zur Hölle. Konzentrationslager <strong>in</strong> Baden-Württemberg<br />

1933-1945, Frankfurt a. M. 1980.


372 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

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DERS.; SYWOTTEK, Arnold (Hgg.): Mo<strong>der</strong>nisierung im Wie<strong>der</strong>aufbau. Die westdeutsche<br />

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DERS.; SYWOTTEK, Arnold (Hgg.): Mo<strong>der</strong>nisierung im Wie<strong>der</strong>aufbau. Die<br />

westdeutsche Gesellschaft <strong>der</strong> 50er Jahre, Bonn 2 1998, S. 335-348.<br />

DERS.: Der Beg<strong>in</strong>n des Fernsehzeitalters. E<strong>in</strong> neues Massenmedium setzt sich durch, <strong>in</strong>:<br />

DERS.; SYWOTTEK, Arnold (Hgg.): Mo<strong>der</strong>nisierung im Wie<strong>der</strong>aufbau. Die<br />

westdeutsche Gesellschaft <strong>der</strong> 50er Jahre, Bonn 2 1998, S. 477-492.<br />

DERS.: Hegemon <strong>der</strong> häuslichen Freizeit. R<strong>und</strong>funk <strong>in</strong> den 50er Jahren, <strong>in</strong>: DERS.;<br />

SYWOTTEK, Arnold (Hgg.): Mo<strong>der</strong>nisierung im Wie<strong>der</strong>aufbau. Die westdeutsche<br />

Gesellschaft <strong>der</strong> 50er Jahre, Bonn 2 1998, S. 458-476.<br />

SCHILLING, Robert: Sch<strong>und</strong> <strong>und</strong> Schmutzgesetz. Handbuch <strong>und</strong> Kommentar zum Gesetz<br />

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SCHUNCK, Peter: Vom Erbfe<strong>in</strong>d zum Partner. Die Deutschlandpolitik Charles de Gaulles,<br />

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2 SEKUNDÄRLITERATUR 373<br />

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se<strong>in</strong>e Zeit: Politik <strong>und</strong> Persönlichkeit des ersten B<strong>und</strong>eskanzlers, Band 1: Beiträge<br />

von Weg- <strong>und</strong> Zeitgenossen, Stuttgart 1976, S. 370-376.<br />

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STADT KONSTANZ, ROSGARTENMUSEUM (Hg.) mit Beiträgen von Jürgen KLÖCKLER,<br />

Lothar BURCHARDT U. A.: Alltagswelten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grenzstadt <strong>Konstanz</strong> 1920-1960<br />

(Begleitkatalog zur Ausstellung „Mager <strong>und</strong> Knapp“. Vom Hitlergruß zum Petticoat.<br />

16. März bis 2. Juli 2002 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alten Sparkasse, Bodanplatz), <strong>Konstanz</strong> 2002.<br />

STADT KONSTANZ (Hg.): <strong>Konstanz</strong>. Die Stadt <strong>und</strong> ihre Schulen, <strong>Konstanz</strong> 1976.<br />

STADTJUGENDRING KONSTANZ (Hg.): 40 Jahre Stadtjugendr<strong>in</strong>g <strong>Konstanz</strong> 1952-1992,<br />

<strong>Konstanz</strong> 1992.<br />

STADTWERKE KONSTANZ (Hg.): Autofähre <strong>Konstanz</strong>-Meersburg. Die schwimmende<br />

Brücke über den Bodensee, <strong>Konstanz</strong> 1989.<br />

STARK, Barbara: Die <strong>Konstanz</strong>er Kunstwochen 1946 – e<strong>in</strong>e Brücke zur Welt, <strong>in</strong>:<br />

STÄDTISCHE WESSENBERG-GALERIE KONSTANZ (Hg.): Konturen neuer Kunst.<br />

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<strong>Konstanz</strong> vom 07.09-06.10.1996 (Ausstellungskatalog), <strong>Konstanz</strong> 1996, S. 23-26.


374 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

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STINGL, Mart<strong>in</strong>: Der „Kartoffelkrieg“. Das Verhältnis zwischen deutscher Landesverwaltung<br />

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2 SEKUNDÄRLITERATUR 375<br />

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Wilfried U. A. (Hgg.): Land <strong>der</strong> Hoffnung, Land <strong>der</strong> Krise. Jugendkulturen im<br />

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WESSENBERG-SCHULE KONSTANZ (Hg.): Wessenberg-Schule <strong>Konstanz</strong> 1885-1985.<br />

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376 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

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Fre<strong>und</strong>liche Fe<strong>in</strong>de? Die Alliierten <strong>und</strong> die Demokratiegründung <strong>in</strong> Deutschland,<br />

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Axel; SYWOTTEK, Arnold (Hgg.): Mo<strong>der</strong>nisierung im Wie<strong>der</strong>aufbau. Die<br />

westdeutsche Gesellschaft <strong>der</strong> 50er Jahre, Bonn 2 1998, S. 275-289.<br />

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WILL, Hans-Dieter: Die verlorene Schlacht <strong>der</strong> Jugendhilfe. Die Stellung des Jugendamtes<br />

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WILLIS, F. Roy: The French <strong>in</strong> Germany 1945-1949, Stanford 1962.<br />

WINKELER, Rolf: Das Scheitern e<strong>in</strong>er Schulreform <strong>in</strong> <strong>der</strong> Besatzungszeit. Analyse <strong>der</strong><br />

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Hohenzollerns von 1945-1949, <strong>in</strong>: HEINEMANN, Manfred (Hg.): Umerziehung <strong>und</strong><br />

Wie<strong>der</strong>aufbau. Die Bildungspolitik <strong>der</strong> Besatzungsmächte <strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong><br />

Österreich, Stuttgart 1981, S. 211-227.<br />

WINTZEN, René: L’<strong>in</strong>fluence de personalités, d’<strong>in</strong>stituitons et d’<strong>in</strong>itiatives privées sur la<br />

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WIRTZ, Ra<strong>in</strong>er: Alles authentisch – so war’s, <strong>in</strong>: FISCHER, Thomas; WIRTZ, Ra<strong>in</strong>er (Hgg.):<br />

Alles authentisch? Popularisierung <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> im Fernsehen, <strong>Konstanz</strong> 2008,<br />

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WOLFRUM, Edgar: Das französische Besatzungsarchiv <strong>in</strong> Colmar. Quelle neuer E<strong>in</strong>sichten<br />

<strong>in</strong> die deutsche Nachkriegsgeschichte 1945-55, <strong>in</strong>: GWU 40 (1989), S. 84-90.<br />

DERS.: Französische Neuglie<strong>der</strong>ungspläne für Südwestdeutschland 1945/46, <strong>in</strong>: ZGO Rh<br />

NF 137 (1989), S. 428-452.<br />

DERS.: Französische Besatzungspolitik <strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie. Politische<br />

Neuansätze <strong>in</strong> <strong>der</strong> „vergessenen Zone“ bis zur Bildung des Südweststaates<br />

1945-1952, Düsseldorf 1991.<br />

DERS.: Das Bild <strong>der</strong> „düsteren Franzosenzeit“. Alltagsnot, Me<strong>in</strong>ungsklima <strong>und</strong><br />

Demokratisierungspolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Besatzungszone nach 1945, <strong>in</strong>:<br />

MARTENS, Stefan (Hg.): Vom „Erbfe<strong>in</strong>d“ zum „Erneuerer“. Aspekte <strong>und</strong> Motive <strong>der</strong><br />

französischen Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, Sigmar<strong>in</strong>gen 1993,<br />

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DERS.: Badisch, christlich <strong>und</strong> sozial. Zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> BCSV/CDU im französisch<br />

besetzten Land Baden (1945-1952), Frankfurt a. M. 1995.


2 SEKUNDÄRLITERATUR 377<br />

DERS.: Die Besatzungsherrschaft <strong>der</strong> Franzosen 1945 bis 1949 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung <strong>der</strong><br />

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DERS. U. A. (Hgg.): Krisenjahre <strong>und</strong> Aufbruchzeit. Alltag <strong>und</strong> Politik im französisch<br />

besetzten Baden 1945-1949 (Nationalsozialismus <strong>und</strong> Nachkriegszeit <strong>in</strong><br />

Südwestdeutschland, 3), München 1996.<br />

DERS.: „Zeit <strong>der</strong> schönen Not“. Kultur als Umerziehung <strong>und</strong> Trostspen<strong>der</strong><strong>in</strong>, <strong>in</strong>:<br />

DERS. U. A. (Hgg.): Krisenjahre <strong>und</strong> Aufbruchzeit. Alltag <strong>und</strong> Politik im französisch<br />

besetzten Baden 1945-1949, München 1996, S. 203-213.<br />

DERS.: In napoleonischer Tradition? Die Zukunft Deutschlands <strong>in</strong> französischer Sicht<br />

1940-1945, <strong>in</strong>: DERS. U. A. (Hgg.): Krisenjahre <strong>und</strong> Aufbruchzeit. Alltag <strong>und</strong> Politik<br />

im französisch besetzten Baden 1945-1949, München 1996, S. 20-43.<br />

DERS.: Not <strong>und</strong> Neubeg<strong>in</strong>n – die französische Besatzungszeit, <strong>in</strong>: HAUS DER GESCHICHTE<br />

DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND (Hg.): Vis-à-vis. Deutschland <strong>und</strong> Frankreich.<br />

Begleitbuch zur Ausstellung im Haus <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland, Bonn, 4. Juni bis 20. September <strong>und</strong> anschließend im Maison de Radio<br />

France, Paris, Köln 1998, S. 81-92.<br />

DERS.: Französische Besatzungspolitik, <strong>in</strong>: BENZ, Wolfgang (Hg.): Deutschland unter<br />

alliierter Besatzung 1945-1949/55. E<strong>in</strong> Handbuch, Berl<strong>in</strong> 1999, S. 60-76.<br />

DERS.: Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation, <strong>in</strong>: BENZ, Wolfgang<br />

(Hg.): Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949/55. E<strong>in</strong> Handbuch, Berl<strong>in</strong><br />

1999, S. 267-271.<br />

DERS.: „Jammert im Leid <strong>der</strong> Besiegte, so ist auch <strong>der</strong> Sieger verloren“. Kollektive<br />

Alltagserfahrung <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Besatzungszone nach 1945, <strong>in</strong>: JURT, Joseph<br />

(Hg.): Die „Franzosenzeit“ im Lande Baden von 1945 bis heute. Zeitzeugnisse <strong>und</strong><br />

Forschungsergebnisse, Freiburg i. Br. 1992, S. 21-38.<br />

DERS.: Die französische Politik im besetzten Deutschland. Neue For<strong>der</strong>ungen, alte<br />

Klischees, vernachlässigte Fragen, <strong>in</strong>: HOCHSTUHL, Kurt (Hg.): Deutsche <strong>und</strong><br />

Franzosen im zusammenwachsenden Europa 1945-2000, Stuttgart 2003, S. 61-72.<br />

DERS.; GROHNERT, Re<strong>in</strong>hard: Befreiung <strong>und</strong> Besatzungsschock. Das Kriegsende im<br />

Südwesten 1944/46, <strong>in</strong>: DERS. U. A. (Hgg.): Krisenjahre <strong>und</strong> Aufbruchzeit. Alltag <strong>und</strong><br />

Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949, München 1996, S. 17-29.<br />

WOLLENWEBER, Horst (Hg.): Außerschulische Jugendbildung <strong>und</strong> <strong>Jugendarbeit</strong>,<br />

Pa<strong>der</strong>born, München, Wien, Zürich 1981.<br />

WONDRASCHKE, Georg (Hg.): Jugendschutz <strong>und</strong> Massenmedien, München 1983.<br />

ZANG, Gert: Die unaufhaltsame Annäherung an das E<strong>in</strong>zelne. Über den theoretischen <strong>und</strong><br />

praktischen Nutzen <strong>der</strong> Regional- <strong>und</strong> Alltagsgeschichte, <strong>Konstanz</strong> 1985.<br />

DERS.: „Fremden<strong>in</strong>dustrie“. Wie <strong>der</strong> Fremdenverkehr im öffentlichen Bewusstse<strong>in</strong><br />

allmählich zum entscheidenden Wirtschaftsfaktor <strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong> wurde, <strong>in</strong>:<br />

INTERNATIONALER ARBEITSKREIS BODENSEEAUSSTELLUNGEN (Hg.): Sommerfrische.<br />

Die touristische Entdeckung e<strong>in</strong>er Bodenseelandschaft, Rorschach 1991, S. 93-98.<br />

DERS.: Der lange Traum vom besseren Leben. Alltag <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> 1920-1960, <strong>in</strong>: STADT<br />

KONSTANZ, ROSGARTENMUSEUM (Hg.) mit Beiträgen von Jürgen KLÖCKLER, Lothar<br />

BURCHARDT U. A.: Mager <strong>und</strong> knapp. Alltagswelten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grenzstadt <strong>Konstanz</strong><br />

1920-1960, <strong>Konstanz</strong> 2002, S. 81-99.


378 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS<br />

ZAUNER, Stefan: Demokratischer Neubeg<strong>in</strong>n? Die Universitäten <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen<br />

Besatzungszone 1945-1949, <strong>in</strong>: RAUH-KÜHNE, Cornelia; RUCK, Michael (Hgg.):<br />

Regionale Eliten zwischen Diktatur <strong>und</strong> Demokratie. Baden <strong>und</strong> Württemberg 1930-<br />

1952, München 1993, S. 333-361.<br />

DERS.: Erziehung <strong>und</strong> Kulturmission. Frankreichs Bildungspolitik <strong>in</strong> Deutschland<br />

1945-1949 (Studien zur Zeitgeschichte, 43), München 1994.<br />

ZERVAKIS, Peter A.; GOSSLER, Sébastien von: 40 Jahre Elysée-Vertrag. Hat das deutschfranzösische<br />

Tandem noch e<strong>in</strong>e Zukunft? <strong>in</strong>: APUZ 53 (2003), Band 3-4, S. 6-13.<br />

ZIEBURA, Gilbert: Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945. Mythen <strong>und</strong><br />

Realitäten, Stuttgart 1997.<br />

ZIMMER, Jochen (Hg.): Mit uns zieht die neue Zeit. Die Naturfre<strong>und</strong>e. Zur <strong>Geschichte</strong><br />

e<strong>in</strong>es alternativen Verbandes <strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeiterkulturbewegung, Köln 1986.<br />

ZINNECKER, Jürgen: Jugendkultur 1940-1985, Opladen 1987.


Anhang A: Dokumente zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Jugendpflege <strong>und</strong><br />

<strong>Jugendarbeit</strong> <strong>in</strong> Südbaden <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>Konstanz</strong> <strong>während</strong><br />

<strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

1 Richtl<strong>in</strong>ien <strong>der</strong> französischen Militärregierung auf Zonenebene<br />

1.1 Auszug betreffend die Lage <strong>der</strong> Jugend aus dem Monatsbericht <strong>der</strong><br />

französischen Bezirksmilitärregierung <strong>Konstanz</strong> vom 17.09.1945 1<br />

1 MAE AOFAA C 1101/1.


380 ANHANG A: DOKUMENTE<br />

1.2 Bestimmung über die Benutzung <strong>der</strong> Jugendherbergen <strong>in</strong> <strong>der</strong> französisch<br />

besetzten Zone Badens vom November 1946 2<br />

2 StAK, S II 12097.


A.1 RICHTLINIEN DER FRANZÖSISCHEN MILITÄRREGIERUNG AUF ZONENEBENE 381<br />

1.3 Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern an die Landräte <strong>und</strong><br />

Oberbürgermeister <strong>der</strong> kreisfreien Städte <strong>in</strong> Baden über die Notwendigkeit <strong>und</strong><br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Gründung von Theaterr<strong>in</strong>gen im Land 3<br />

3 KrAFN, Bestand Überl<strong>in</strong>gen, Akten, ÜB-A 49a.


382 ANHANG A: DOKUMENTE<br />

2 Landesbestimmungen<br />

2.1 Richtl<strong>in</strong>ien des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern an die Verwaltungen <strong>der</strong><br />

kreisfreien Städte <strong>in</strong> Baden betreffend die E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> Stellung <strong>der</strong><br />

Jugendbildungswerke <strong>und</strong> „Häuser <strong>der</strong> Jugend“ <strong>in</strong> Südbaden vom 26.08.1946 4<br />

4 StAK, S II 13260.


A.2 LANDESBESTIMMUNGEN 383


384 ANHANG A: DOKUMENTE<br />

2.2 Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern vom 22.04.1947 an die<br />

Landratsämter <strong>und</strong> kreisfreien Städte <strong>in</strong> Baden betreffend die Stellung <strong>der</strong><br />

Jugendorganisationen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugendbildungswerke im Lande 5<br />

5 StAK, S XII.


A.2 LANDESBESTIMMUNGEN 385<br />

2.3 Schreiben des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern an die Landratsämter <strong>und</strong><br />

Verwaltungen <strong>der</strong> kreisfreien Städte bezüglich <strong>der</strong> Erleichterung des Reisens<br />

von Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Jugendorganisationen <strong>in</strong> Baden <strong>und</strong> Württemberg vom<br />

25.11.1947 6<br />

6 StAK, S XII.


386 ANHANG A: DOKUMENTE<br />

2.4 Landesverordnung über die Stellung <strong>der</strong> Kreisbeauftragten für die<br />

Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendbewegung sowie Landesverfügung über die<br />

E<strong>in</strong>richtungen für die Jugendbildung vom 03.05.1947 7<br />

7 Amtsblatt <strong>der</strong> Landesverwaltung Baden vom 24.05.1947.


A.2 LANDESBESTIMMUNGEN 387<br />

2.5 Ausführungsbestimmungen des Badischen M<strong>in</strong>isteriums des Innern bezüglich<br />

<strong>der</strong> Gründung von Abteilungen für Jugendbildung <strong>und</strong> Jugendpflege an die<br />

Landratsämter vom 06.06.1947 unter Bezugnahme auf die Landesverordnung<br />

vom 24.05.1947. 8<br />

8 StAK, SII 12418.


388 ANHANG A: DOKUMENTE<br />

3 Lokale Verordnungen betreffend den Bezirk <strong>Konstanz</strong><br />

3.1 Anweisungen des Bezirksdelegierten Marcel Degliame an den<br />

Oberbürgermeister <strong>der</strong> Stadt <strong>Konstanz</strong> betreffend die Verlegung <strong>der</strong><br />

Stadtbibliothek zwecks E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es „Hauses <strong>der</strong> Jugend“ im<br />

Rhe<strong>in</strong>torturm, <strong>Konstanz</strong>, vom 29.04.1946 [Transkription] 9<br />

9 StAK, SII 15146.


A.3 LOKALE VERORDNUNGEN BETREFFEND DEN BEZIRK KONSTANZ 389<br />

3.2 Schreiben <strong>der</strong> Zentral-Requisitionsstelle <strong>Konstanz</strong> an den Oberbürgermeister <strong>der</strong><br />

Stadt <strong>Konstanz</strong> vom 17.02.1947 betreffend die E<strong>in</strong>richtung des Jugendheims<br />

Rhe<strong>in</strong>steig 10<br />

10 StAK, SII 15146.


390 ANHANG A: DOKUMENTE<br />

4 Zeitungsbericht<br />

„Jugendbewegung <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Zone“ 11<br />

11 SÜDKURIER vom 23.05.1947.


Anhang B: Fotografien <strong>Konstanz</strong>er Jugende<strong>in</strong>richtungen<br />

1 „Heim <strong>der</strong> Deutschen Jugend“<br />

Das erste <strong>Konstanz</strong>er Jugendhaus im Rhe<strong>in</strong>torturm (1946-1949) 12<br />

Außenansichten ca. 1920er/30er-Jahre<br />

Innenansicht: Der große Saal<br />

12 StAK, Sammlungsbestand Fotos.


392 ANHANG B: FOTOGRAFIEN<br />

2 Jugendhaus Raiteberg 13<br />

Das <strong>Konstanz</strong>er Jugendhaus (erbaut 1954)<br />

Außenansichten ca. 1950er/1960er-Jahre<br />

13 Sammlungsbestand, Faltprospekt des Jugendhauses Raiteberg [1950er/60er-Jahre]


B KONSTANZER JUGENDEINRICHTUNGEN 393<br />

Innenansichten ca. 1950er/1960er-Jahre<br />

Vortragsraum<br />

Aufenthaltsraum Treppenhaus


394 ANHANG B: FOTOGRAFIEN<br />

3 Jugendherberge <strong>Konstanz</strong> <strong>in</strong> Allmannsdorf 14<br />

Außenansicht ca. 1950er-Jahre<br />

Innenansichten ca. 1950er/60er-Jahre<br />

Speisesaal<br />

14 StAK, Sammlungsbestand Fotos.


B KONSTANZER JUGENDEINRICHTUNGEN 395<br />

Aufenthaltsraum<br />

Küche

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