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Interview - Familienzentrum Sankt Nikolaus kath. Kindergarten ...

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Der 55-Jährige, der wie seine beiden Mitbewohner seit<br />

etwa 30 Jahren erkrankt ist, interessiert sich für Musik<br />

und fürs Kino. In seinem Zimmer liegt ein Stapel Langspielplatten,<br />

die er in einem Second-Hand-Laden in<br />

Münster gekauft hat. Dort fährt<br />

er oft mit seinem besten<br />

Freund Günter Schellpeper hin.<br />

Im Vergleich zu früher fühlt er<br />

sich viel wohler, „man lebt ganz<br />

anders“. Die Männer bekommen<br />

ihren Arbeitslohn, den sie bei der Montage oder im<br />

Küchendienst in den Freckenhorster Werkstätten verdienen,<br />

hinzu kommt die Grundsicherung – insgesamt<br />

ein wenig mehr als der Hartz-IV-Satz. Für die Betreuungskosten<br />

kommt die LWL-Behindertenhilfe auf.<br />

Die drei mieten selbst ihre Wohnung, gehen einkaufen<br />

und finanzieren ihre Freizeit. Diese neue Unabhängigkeit<br />

mag Günter Schellpeper am liebsten: „Ich kann<br />

mit der EC-Karte selbst Geld abholen“, erzählt der 55-<br />

Jährige stolz. „Unser Konto können wir nicht überziehen,<br />

aber das war auch noch nie nötig.“<br />

Wolfgang Müller ist der Stillste der drei. Er sitzt ruhig in<br />

seinem Sessel, die Hände gefaltet. Trotz seiner weißen<br />

„Je mehr sie auf sich selbst<br />

gestellt sind, umso mehr<br />

trauen sie sich auch zu.“<br />

Mehr Familie als Zweckgemeinschaft.<br />

Alltag in der Wohngemeinschaft.<br />

Haare hat der 52-Jährige ein jugendliches Gesicht.<br />

Er interessiert sich für die Welt, wie er sagt, in seinem<br />

Bücherregal steht ein gutes Dutzend Fischer-<br />

Weltalmanache. „Man hat hier, wenn man will, seine<br />

Ruhe. Oder man geht eben<br />

ins Wohnzimmer, wo die<br />

anderen sind“, sagt er.<br />

„Streit haben wir noch nie<br />

gehabt. Das ist sehr angenehm“,<br />

fügt er leise hinzu.<br />

„Seitdem die drei hier wohnen, gab es noch keine<br />

Probleme“, bestätigt Heike Gruchot, die für die St.<br />

Vincenz-Gesellschaft das Betreute Wohnen leitet.<br />

Sie zieht ein positives Fazit der ersten Jahre. „Auf<br />

Grund psychischer Krisen ist noch niemand in den<br />

stationären Bereich zurückgekommen. Nur wenn<br />

jemand körperlich krank wird und nicht mehr vernünftig<br />

betreut werden kann, muss er zurück ins<br />

Wohnheim.“ So wie Wolfgang, als seine Krankheit<br />

schlimmer wurde. Er verstarb im St. Joseph-Heim,<br />

nach wenigen Wochen. „Aber wir haben ihn bis<br />

zuletzt immer noch besucht“, sagt Schellpeper.<br />

Und Köppl schaut traurig. „Wir vermissen ihn immer<br />

noch.“<br />

Die Bewohner der Wohngemeinschaft in Neubeckum<br />

werden wie rund 55.000 andere behinderte Menschen<br />

in der Region von der LWL-Behindertenhilfe unterstützt.<br />

Ein Großteil des LWL-Etats, etwa 1,5 Milliarden Euro,<br />

fließt in die Eingliederungshilfe, mit der zum Beispiel<br />

den behinderten Menschen der Aufenthalt in Wohnheimen,<br />

die Betreuung in eigenen Wohnungen oder die<br />

Beschäftigung in einer Werkstatt finanziert wird.<br />

Kontakt<br />

LWL-Behindertenhilfe-Westfalen<br />

Sozialdezernent: Matthias Münning<br />

Warendorfer Str. 26–28<br />

48133 Münster<br />

Telefon: 0251 591-237<br />

Fax: 0251 591-265<br />

E-Mail: soziales@lwl.org<br />

Mehr Infos<br />

www.lwl.org Soziales <br />

LWL-Behindertenhilfe Westfalen<br />

Literaturtipp<br />

Ludwig Köppl liebt Schallplatten.<br />

Bilder mit dem ehemaligen Mitbewohner<br />

(2. von rechts) sind in jedem Zimmer.<br />

Selbstständigkeit zieht ein: Ambulant Betreutes Wohnen<br />

<strong>Interview</strong><br />

Fünf Fragen an Matthias Münning,<br />

LWL-Sozialdezernent<br />

Herr Münning, warum hat sich der LWL vorgenommen, immer<br />

mehr Menschen mit Behinderung ambulant betreut in der eigenen<br />

Wohnung leben zu lassen, anstatt sie weiterhin behütet<br />

im Heim unterzubringen?<br />

Weil die Lebensqualität für diese Menschen wächst. Ganz normal<br />

wohnen, in den eigenen vier Wänden, das ist für viele Menschen<br />

mit Behinderung ein Traum.<br />

Die Lebensqualität der Menschen, die ambulant betreut wohnen,<br />

wächst. Steigen damit auch die Kosten?<br />

Im Gegenteil – ein Platz im Heim kostet pro Tag durchschnittlich<br />

100 Euro, Ambulant Betreutes Wohnen dagegen zwischen 50<br />

und 70 Euro täglich. Langfristig können wir so in Westfalen-Lippe<br />

Kostenvorteile von rund 25 Millionen Euro pro Jahr erzielen.<br />

Wie viele Menschen leben mit Unterstützung des LWL in eigenen<br />

Wohnungen, seitdem der Verband für das Ambulant<br />

Betreute Wohnen zuständig ist?<br />

Ende 2007 wurden in der Region Westfalen-Lippe rund 12.500<br />

Menschen mit Behinderung in ihrer eigenen Wohnung betreut,<br />

2003 waren es nur 6.100 Menschen. Das ist ein riesiger Erfolg.<br />

Warum ist es Ihrer Meinung nach sinnvoll, dass der LWL und nicht<br />

die Kommunen das Ambulant Betreute Wohnen organisiert?<br />

In Westfalen-Lippe gibt es große Unterschiede bei den Angeboten<br />

in den einzelnen Städten und Kreisen. Bis in die 90er Jahre hinein<br />

hat man die Menschen fast ausschließlich in großen Einrichtungen<br />

in Ostwestfalen oder im Münsterland versorgt. Wenn man gleiche<br />

Lebensverhältnisse in allen Städten und Kreisen will, dann müssen<br />

die Kommunen diese Aufgabe gemeinsam anpacken. Eben durch<br />

den Kommunalverband, den LWL, der im Übrigen viel Know-how<br />

bei der Unterstützung von Menschen mit Behinderung hat.<br />

Welche Projekte hat das LWL-Sozialdezernat in den kommenden<br />

Jahren vor?<br />

Wir wollen das Ambulant Betreute Wohnen in Gastfamilien noch<br />

stärker ausbauen. Auch für Kinder mit Behinderungen wollen wir<br />

stärker diese Möglichkeit nutzen. Außerdem planen wir ein Projekt<br />

zur besseren Unterstützung von Familien mit Behinderten. Ein weiteres<br />

großes Thema lautet: „Bessere Teilhabe am Arbeitsleben für<br />

Menschen mit Behinderung“.<br />

8 9<br />

Selbstständigkeit zieht ein:<br />

Ambulant Betreutes Wohnen.<br />

LWL-Ratgeber für Menschen mit Behinderungen.<br />

www.lwl.org

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