DR. SAMUEL PFEIFER: SEELISCHES TRAUMASexueller Missbrauch im KindesalterAuswirkungenLangzeitfolgenTherapeutische MöglichkeitenPräventionDer sexuelle Missbrauch von Kin<strong>der</strong>n istwohl das häufigste <strong>Trauma</strong> mit nachgewiesenenLangzeitfolgen in unserer Gesellschaft.Als <strong>Trauma</strong> ist es am meisten beschriebenund am besten erforscht — unddennoch ereignet es sich täglich neu. <strong>Die</strong>Umstände, die Langzeitfolgen und die therapeutischenAnsätze sind dabei an<strong>der</strong>s alsbei den an<strong>der</strong>n <strong>Trauma</strong>ta, von denen in diesemSeminarheft die Rede sein muss. Ausdiesem Grunde wird hier ein beson<strong>der</strong>erAbschnitt eingefügt (Seiten 15 — 29), <strong>der</strong>sich ausschließlich mit dieser Thematik beschäftigt.15
DR. SAMUEL PFEIFER: SEELISCHES TRAUMASexueller MissbrauchDefinitionDer Begriff «sexueller Missbrauch» umfaßtein weites Feld von sexuellen Handlungen.Sexueller Missbrauch liegt dannvor, wenn einem Min<strong>der</strong>jährigen o<strong>der</strong> einerabhängigen Person eine sexuelle Handlungaufgezwungen wird, die diese nicht will, fürdie sie nicht reif ist und die in erster Linie<strong>der</strong> Bedürfnisbefriedigung des Täters o<strong>der</strong><strong>der</strong> Täterin dient.Finden diese innerhalb <strong>der</strong> Familie statt,so spricht man auch von Inzest («Blutschande»).Juristisch gesehen handelt essich bei Inzest um den Straftatbestandvon sexuellen Handlungen zwischen Verwandtenund Verschwägerten in auf- undabsteigen<strong>der</strong> Linie und zwischen Geschwistern.Heute wird <strong>der</strong> Begriff allerdings weitergefaßt: Man erweitert den Täterkreisauf alle, zu denen emotionale Abhängigkeitenbestehen – unabhängig von <strong>der</strong> biologischenBeziehung (Eltern, Stief-, Pflege-,Adoptiveltern, Großeltern, Geschwister<strong>der</strong> Eltern, Geschwister, die mindestensfünf Jahre älter sind, Erzieher, Leh-Bild: www.fotolia.comrer, Gruppenleiter, Therapeuten, u.a.) – undden Opferkreis auf Erwachsene in abhängigenBeziehungen (z.B. geistig Behin<strong>der</strong>teo<strong>der</strong> Erwachsene in einer therapeutischenWohngemeinschaft).Folgende Handlungen werden dazugezählt:Beischlaf, Masturbation, hand-genitalerund oral-genitaler Kontakt, Streichelnmit dem Ziel sexueller Erregung, Entblößen(Exhibition) o<strong>der</strong> gemeinsames Betrachtenvon Porno-DVDs.<strong>Die</strong> Abgrenzung vom gesunden und erfor<strong>der</strong>lichenKörperkontakt zwischen Erwachsenenund Kin<strong>der</strong>n liegt dort, wo dasBedürfnis des Erwachsenen, nicht das desKindes befriedigt wird; wo es sich um pervertierte,kalte o<strong>der</strong> ritualisierte Kontaktehandelt, gegen die sich das Kind nicht wehrendarf o<strong>der</strong> die geheim bleiben müssen,o<strong>der</strong> Kontakte, die den Erwachsenen sexuellerregen und dann nicht beendet werden.Von Kin<strong>der</strong>n werden <strong>der</strong>artige Kontakteals «merkwürdig» o<strong>der</strong> unangenehmwahrgenommen und auf Nachfragen auchso benannt.Was macht sexuellen Missbrauchtraumatisch?1. Machtmissbrauch: Intime Handlungenwerden aufgezwungen, um den Täterzu befriedigen, ohne Rücksicht auf Gefühledes Opfers.2. Erleben <strong>der</strong> Ohnmacht: <strong>Die</strong> betroffenePerson ist ausgeliefert; Gegenwehrführt zu Drohungen, Schmerz und weiterer<strong>Gewalt</strong>.3. Reduktion zum Sexualobjekt: Das Mädchenwird nicht mehr als Person in seinerGanzheit ernst genommen, son<strong>der</strong>n nurals Lustobjekt. Es fühlt sich schmutzig,abgewertet, und kann eine gestörte Be-16