DR. SAMUEL PFEIFER: SEELISCHES TRAUMAVegetative Symptome – HypervigilanzEin <strong>Trauma</strong> kann auch die körperlichen Reaktionennachhaltig durcheinan<strong>der</strong>bringen.Jede Nervenfaser ist auf Wachsamkeitund Überleben eingestellt. <strong>Die</strong>se Hypervigilanz(= übermäßige Wachsamkeit) kanndas ganze Leben dominieren. Hinter je<strong>der</strong>Ecke lauert Gefahr, man ist immer daraufeingestellt, zu flüchten o<strong>der</strong> zu kämpfen.Ständig wird die Umgebung darauf hinabgecheckt, ob sich etwas Verdächtigeszeigt, und in <strong>der</strong> Tasche führt man einenPfefferspray sowie ein Mobiltelefon, das dieNummer <strong>der</strong> Polizei einprogrammiert hat.Manche unserer Patienten wagen nichteinzuschlafen, weil sie dann hilflos ausgeliefertwären. An<strong>der</strong>e zucken beim kleinstenGeräusch zusammen, als wäre eine Explosiongeschehen (übermäßige Schreckreaktion).Doch diese ständige Wachsamkeit for<strong>der</strong>tihren Preis: Oft ist man nicht bei <strong>der</strong>Sache — kann sich also nicht konzentrierenund wirkt abwesend. Der Schlafmangelund die ständige Anspannung führenzu unangemessenen Reaktionen, Reizbarkeitund Wutausbrüchen. Indirekt gibt mandamit auch ein Signal: Komm mir nicht zunah! Aber für die Angehörigen und Freundewirkt dieses Verhalten abson<strong>der</strong>lich, abstoßendund entfremdend.Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhangauch die Hypervigilanz nach innen:Man hört auch viel stärker auf Warnsymptomedes Körpers: Schmerz, Herzklopfen,normalerweise leichte Symptome erhaltenplötzlich eine an<strong>der</strong>e Bedeutung −sie wecken Erinnerungen o<strong>der</strong> signalisierenneue Gefahr.Vermeidungsverhalten – Isolation, RückzugFür einen traumatisierten Menschenwird das ganze Leben unsicher, gespicktmit Gefahren und neuen Bedrohungen.Menschen mit einer PTBS ziehen sich deshalboft von an<strong>der</strong>n Menschen zurück.Das hat mehrere Gründe:1. Abstand: Sie möchten sich nicht in Gesprächeo<strong>der</strong> Begegnungen einlassen, diesie an das <strong>Trauma</strong> erinnern. So kann <strong>der</strong>Park, wo ein Überfall stattfand, plötzlichnicht mehr ein Ort <strong>der</strong> Entspannung sein,son<strong>der</strong>n ein Hinterhalt <strong>der</strong> Gefahr.2. Depressive Grundstimmung: Ein <strong>Trauma</strong>nimmt einem Menschen die Lebensfreudeund kann eine richtige Depressionauslösen. Teil dieses depressiven Syndromsist <strong>der</strong> Rückzug von Aktivitäten, die frühermit Freude verbunden waren. Hierzu gehörtauch die Einschränkung <strong>der</strong> Bandbreite <strong>der</strong>Gefühle (z.B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühlezu empfinden).3. Verkürzte Lebensperspektive: Nacheinem <strong>Trauma</strong> verliert alles seinen Glanzund seinen Sinn. <strong>Die</strong> Motivation, etwas zuerreichen o<strong>der</strong> eine Beziehung aufzubauenhat ihr Fundament verloren − «Es hat ohnehinkeinen Sinn!»4. <strong>Trauma</strong>spezifische Störungen <strong>der</strong> Erinnerungen:Bei manchen Opfern ergibtsich so etwas wie ein «Filmriss» − sie wissen,dass sie etwas Schlimmes erlebt haben,aber das Gedächtnis verweigert ihnendie Details. Das ist einerseits ein Schutz,aber auch eine Last.5. Dissoziatives Erleben: Nach einem<strong>Trauma</strong> entwickeln manche Opfer ein Gefühl<strong>der</strong> Losgelöstheit und Fremdheit vonan<strong>der</strong>en. Menschen, die schon als Kin<strong>der</strong>massive <strong>Gewalt</strong> erlebt haben, können unterStress in einen Zustand verfallen, indem sie von außen nicht erreichbar sind(vgl. Seite 23).11
DR. SAMUEL PFEIFER: SEELISCHES TRAUMABiologische Verän<strong>der</strong>ungen im GehirnDas Gefühl <strong>der</strong> Geborgenheit und desUrvertrauens findet seine neurobiologischeEntsprechung im Gehirn.Das psychische Gleichgewicht ist abhängigdavon, dass die neuronalen und hormonalenWarnsysteme auf «Grün» stehen.<strong>Die</strong> neurobiologischen Netzwerke <strong>der</strong>Persönlichkeit festigen sich mit jedem Lebensjahrund erhöhen die Wi<strong>der</strong>standsfähigkeitbei traumatischen Ereignissen.Eine wichtige Rolle spielt die HPA-Achse— die Hormon-Kaskade ausgehend vomZentrum <strong>der</strong> Gefühle, dem Hypothalamus(H), die sich überträgt in die Hormonsprache<strong>der</strong> Hypophyse (pituitary = P) und dieschließlich die Stresshormone in <strong>der</strong> Nebenniereaktiviert (adrenal cortex = A). Bisheute verstehen die Forscher nicht genau,was wirklich vor sich geht, wenn einMensch durch ein schweres <strong>Trauma</strong> geht.Somit sind es eher die indirekten Beobachtungen,die uns allmählich ein Bild von denneurobiologischen Verän<strong>der</strong>ungen nacheinem <strong>Trauma</strong> geben.Elemente des vertrauens> Grundbedürfnisse erfüllt(nach Maslow) − Obdach, Wärme,Kleidung − äußere Sicherheit − Wertschätzung− Liebe, Annahme − Selbständigkeit,Freiheit.> Positive Kontrollüberzeugung«Wenn ich brav bin; wenn ich meinePflichten erfülle etc. − dann stößtmir nichts Böses zu.»> Vertrauensvolle Beziehungen− zur primären Bezugsperson.− zu sich selbst − zu an<strong>der</strong>en.− zu Gott.> Verdrängung des Bösen«Mich trifft es nicht!»<strong>Trauma</strong>-Auswirkungen> Grundbedürfnisse verletztWehrlos ausgeliefert − körperlichund seelisch verletzt − Entwertung.> Infragestellung von WertenSchuldgefühle − existenzielle Fragen− «Wo ist Gott?» − «Was ist <strong>der</strong>Sinn des Lebens?»> Beziehungen unsicherStändige Wachsamkeit − Misstrauen− Angst vor neuer Verletzung.<strong>Die</strong>se Verletzung <strong>der</strong> Grundannahmen(Kognitionen) ist Teil <strong>der</strong> posttraumatischenReaktion.Weitere Informationen:Charney D.S. (2004). Psychobiological mechanisms ofresilience and vulnerability: Implications for successfuladaptation to extreme stress. American Journal ofPsychiatry 161:195—216.12