Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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Anerkennung der Subjekte der <strong>Geschichte</strong> durch sich selbst‘ verbinde.“ 49 Lübbe plädiert<br />
daher für einige Differenzierungen der Art, daß <strong>Geschichte</strong> sich nicht machen läßt und<br />
die „Menschheit“ nicht in dem Sinn Subjekt sein kann nach Analogie des Subjektcharakters<br />
handelnder Staatsmänner. Damit ist die Anwendbarkeit des Begriffs Subjekt auf<br />
die <strong>Geschichte</strong> fraglich, wenn er sich nicht auf identifizierte Personen oder Gruppen<br />
bezieht. Die Menschheit kann als Subjekt der <strong>Geschichte</strong> in diesem Sinn nur als Idee<br />
fungieren. 50<br />
Der Satz, <strong>Geschichte</strong>n seien Vorgänge ohne Handlungssubjekt, beschreibt lediglich eine<br />
Struktur. Damit ist für Lübbe keine materielle Behauptung über die Grenzen menschlicher<br />
Handlungsmacht verknüpft. Es geht um Klarheit über die Rede vom Subjekt der<br />
<strong>Geschichte</strong>.<br />
Lübbe geht dazu nun doch vom Begriff der Handlung aus. Denn Handlungen sind es ja,<br />
durch die <strong>Geschichte</strong> „gemacht“ wird. Auch Kambartel geht vom Handlungsbegriff<br />
aus 51 und „erklärt zunächst ‚die Rede vom individuellen Subjekt einzelner Handlungen‘<br />
für ‚unproblematisch‘. Problem ist ihre Übertragbarkeit aufs Handeln von Gruppen“ 52 .<br />
Für Gruppen kann der Subjektbegriff erst angewendet werden, wenn die der Gruppe<br />
angehörenden Individuen über ihr Handeln in Kommunikation stehen und gemeinsam<br />
beraten und entscheiden. Das verlangt aber eine institutionelle Absicherung, wie die<br />
Soziologie gelehrt hat. Gesichert müssen sein die Rechte der Minderheiten, Existenz<br />
eines Min<strong>im</strong>alkonsenses, der die Zumutung der Loyalität der <strong>im</strong> Beratungsergebnis unterlegenen<br />
Minderheit legit<strong>im</strong>iert, ein System von Sanktionen für Fälle des Bruchs dieser<br />
Loyalität usw. 53 Letztlich beschreibt Kambartel die Menschheit nur „auf dem Weg in<br />
eine Subjektposition“, die <strong>im</strong>merhin <strong>im</strong> Rahmen der UN in best<strong>im</strong>mten Fragen auch<br />
erreichbar zu sein scheint.<br />
Soweit ist die Rede von Subjekten als individuellen oder institutionellen Subjekten von<br />
Handlungen trivial. Nicht trivial ist es nach Lübbe, diese Trivialität gegen die Neigung<br />
festzuhalten, <strong>Geschichte</strong>n nach Analogie von Handlungen Subjekte zu unterschieben.<br />
Denn bei Handlungen unterstellen wir <strong>im</strong> Normalfall eine Koinzidenz der Resultate<br />
einer Handlung mit den Absichten ihres Subjekts. Das ist aber, wie Lübbe an Beispielen<br />
zeigt, nicht der Fall.<br />
„‚Das hätte man doch voraussehen können‘, lässt sich in der Tat vorwerfend sagen.<br />
Aber wenn einer dann geltend macht, was ihn an dieser Voraussicht hinderte, oder wenn<br />
er umgekehrt die Gründe nennt, die ihn in diesem besonderen Fall die allerdings vorausgesehenen<br />
Nebenwirkungen seines Handelns in Kauf nehmen liessen, so erzählt er<br />
zu seiner Entschuldigung <strong>Geschichte</strong>n, das heisst er verweist auf Vorgänge und Gege-<br />
49<br />
Lübbe, Geschichtsbegriff 70, unter Bezug auf Hans Jörg Sandkühler, Zur Spezifik des Geschichtsbewußtseins<br />
in der bürgerlichen Gesellschaft, in: PH 5, 499–503; hier 499.<br />
50<br />
Vgl. Friedrich Kambartel, Zur Rede vom Subjekt in der <strong>Geschichte</strong>, in: PH 5, 477–478.<br />
51<br />
52<br />
A.a.O.<br />
Lübbe, Geschichtsbegriff 71.<br />
53<br />
Lübbe, Geschichtsbegriff 71; vgl. dazu Jürgen Habermas, Über das Subjekt der <strong>Geschichte</strong>, in: PH 5,<br />
470–476.<br />
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