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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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der Kommunikation ja <strong>im</strong>mer um Relationen. Eine <strong>Geschichte</strong> ist in jedem Fall auch ein<br />

Geflecht von Beziehungen, und zwar von Beziehungen zu einem Außen, einer „Welt“,<br />

zu Anderen und zu mir selbst. Eine <strong>Geschichte</strong> ist, wie auch das Subjekt von Geschich-<br />

te, verstrickt in <strong>Geschichte</strong>n. 37<br />

Ein Subjekt ist als geschichtliches Individuum Teil einer Vielzahl von <strong>Geschichte</strong>, es<br />

partizipiert an einer Pluralität von <strong>Geschichte</strong>. 38 Zugleich muß sich ein Subjekt, das sich<br />

seiner Lokalisierung in einer Pluralität von <strong>Geschichte</strong> bewußt ist, sowohl zu den einzelnen<br />

<strong>Geschichte</strong>n als auch deren Verbindungen verhalten. Es ist darauf angewiesen,<br />

eine gewisse Korrespondenz der einzelnen <strong>Geschichte</strong>n und eine gewisse Kohärenz der<br />

Pluralität der <strong>Geschichte</strong> zu erkennen oder zu konstruieren. Die Korrespondenz wird<br />

dadurch ermöglicht, daß <strong>Geschichte</strong>n als solche bewußt und gewußt werden und sich für<br />

das Subjekt miteinander verknüpfen lassen bzw. sich verknüpfen. Sie können korrespondieren,<br />

weil sie von gleicher Art sind. Die Kohärenz wird dadurch ermöglicht,<br />

daß sich unterschiedliche <strong>Geschichte</strong>n (kontingent) verknüpfen bzw. verknüpft werden,<br />

sich dadurch gegenseitig erhellen und dem Subjekt sich die einzelnen <strong>Geschichte</strong>n bzw.<br />

deren Verknüpfung neu erschließen.<br />

Wie sich ein derart relational und sprachlich konstituiertes Subjekt für die <strong>Geschichte</strong><br />

namhaft machen lassen kann, soll mich <strong>im</strong> Folgenden beschäftigen.<br />

4.3 Das Subjekt von <strong>Geschichte</strong>(n)<br />

Bevor Menschen <strong>Geschichte</strong>(n) machen, erleiden sie <strong>im</strong>mer schon <strong>Geschichte</strong>(n). 39 Dies<br />

ist die Folge des Geworfenseins ins Dasein, der anthropologischen Grundgegebenheit<br />

des Menschen. Es ist auch ein Implikat der Zeitlichkeit und der räumlichen Existenz.<br />

Menschen finden sich <strong>im</strong>mer schon vor in familiären, gesellschaftlichen, politischen<br />

Zusammenhängen. Sie leben in best<strong>im</strong>mten Räumen, Landschaften und Kulturen und<br />

haben sich diese Orte – zunächst und in der Regel – nicht selbst ausgesucht. Menschen<br />

sind geprägt durch Familiengeschichten, Volksgeschichten und Nationalgeschichten. 40<br />

Daß Menschen Herkunft nicht nur haben, sondern auch brauchen, um Zukunft zu haben,<br />

ist ein Grunddatum des Menschseins. 41 Auf den Begriff gebracht wurde diese Stellung<br />

des Menschen der Welt und sich selbst gegenüber mit dem Ausdruck Schicksal<br />

37 Vgl. Wilhelm Schapp, In <strong>Geschichte</strong>n verstrickt. Zum Sein von Mensch und Ding, Wiesbaden 1976 2 .<br />

Schapp vollzieht darin eine „fällige Überwindung der Beschränkungen der Bewußtseinsphänomenologie“,<br />

so Hermann Lübbe <strong>im</strong> Vorwort der zweiten Auflage, S. VI.<br />

38 Leicht verdeutlichen läßt sich das, wenn ein geschichtliches Individuum hinsichtlich seiner sozialen<br />

Rollen betrachtet wird. Als Mitarbeiter an der <strong>Augustana</strong>-<strong>Hochschule</strong> partizipiere ich an deren <strong>Geschichte</strong>,<br />

als Bürger von <strong>Neuendettelsau</strong> an der <strong>Geschichte</strong> dieser Gemeinde, als Ehemann und Vater<br />

an verschiedenen Familiengeschichten und so fort.<br />

39 Die Schreibweise „<strong>Geschichte</strong>(n)“ soll hier darauf hinweisen, daß es nicht nur um <strong>Geschichte</strong> <strong>im</strong><br />

umfassenden, gleichsam universalen Sinn geht, sondern auch um singuläre, partikulare, individuelle<br />

<strong>Geschichte</strong>n.<br />

40 Auf die Prägung durch Familiengeschichten weist, neben der Psychologie, besonders die systemische<br />

Familientherapie hin; die Prägung durch Volksgeschichten und Nationalgeschichten lassen sich an<br />

Deutschen (Nationalsozialismus) und US-Amerikanern (Mythos des go west) studieren.<br />

41 Vgl. Odo Marquard, Apologie des Zufälligen. Philosophische Überlegungen zum Menschen, in:<br />

ders., Apologie des Zufälligen, Stuttgart 1986, 117–139.<br />

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