Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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02.12.2012 Aufrufe

in seiner Bedeutung vom verwendeten Theoriezusammenhang ab. Da es mehr als einen solchen Theoriezusammenhang gibt, ist Subjektivität ein vieldeutiger Begriff. Dalferth versteht unter Subjektivität die „Struktur einer Instanz (...), die fähig ist, sich selbst – im Medium des Bewußtseins (Vorstellungen) oder der Sprache (Kommunikation) – zu thematisieren“ 22 . Ein Subjekt wird dabei verstanden als eine Instanz, die die Struktur der Subjektivität besitzt. Die Struktur der Subjektivität hängt von unterschiedlichen Fähigkeiten ab, die gemeinsam mit ihr auftreten und von denen sie nur abstrahierend isoliert werden kann. Dalferth nennt als Fähigkeiten, die in der Struktur Subjektivität impliziert sind, Freiheit, Rationalität, Reflexivität, Sozialität und Zeichengebrauch. 23 Als begründungstheoretisches Konzept gerät die neuzeitliche Subjektivitätstheorie in eine Krise, insofern das Subjekt die Welt und sich selbst erst hervorbringen soll; dies gilt für jedes sich seiner selbst und der Welt bewußte Selbst. Damit aber wird die Weltvorstellung des Subjekts subjektivistisch und die Einheit der Welt wird problematisch. Darüber hinaus erscheint eine Grundaporie der Subjektivität, die darin besteht, daß das spontane Selbstbewußtsein, in dem ein Selbst sich seiner selbst bewußt wird, von einer Bedingung und Voraussetzung zehrt, die es nicht selbst setzen kann. „Das Ich ist unfähig, die Begründungslast für die gesamte Wirklichkeitserfahrung, einschließlich der Erfahrung seiner selbst, zu tragen. Es durchschaut sich gerade dann selbst als gesetzt, wenn es sich alle Gültigkeit als seine eigene Setzung durchschaubar machen will.“ 24 Der Rekurs auf Subjektivität und das Subjekt ist damit nicht geeignet, Selbstbewußtsein und Weltbewußtsein, und damit auch das Bewußtsein von Geschichte, zu begründen. Es wird deutlich, daß damit die Frage nach dem Subjekt noch nicht erledigt ist, sondern gerade erst aufgegeben. Es kann hier nicht die Aufgabe sein, alle Aspekte der Frage nach dem Subjekt anzugehen. Darum soll der Hinweis genügen, daß in der gegenwärtigen Philosophie nach A. Honneth 25 drei mögliche Antworten auf das Problem des umstrittenen Subjekts versucht werden. Der eine Weg verabschiedet das Subjekt, indem die Kräfte und Mächte von Sprache und Unbewußtem als das ‚Andere‘ der Vernunft objektiviert werden. Diesen Weg beschreitet der französische Strukturalismus und Neostrukturalismus. 26 Auf einem zweiten Weg will man die individuelle Autonomie mit transzendentalen Überlegungen retten. Dazu läßt sich M. Frank rechnen. 27 Auf dem dritten Weg geht man eine Strecke mit den Dekonstruktivisten des ersten Weges, trennt sich matisiert“ (43). Dazu zählen dann die erkenntnistheoretische Kritik, die spekulative Kritik, die existentialontologische Kritik und die sprachanalytische Kritik. 22 Dalferth, Subjektivität 21 (im Orig. kursiv). 23 Dalferth, Subjektivität 30. 24 Dalferth, Subjektivität 35. Dalferth (32–35) skizziert die Entwicklung der Subjektivitätstheorie mit dem genannten Ergebnis. 25 A. Honneth, Dezentrierte Autonomie. Moralphilosophische Konsequenzen aus der modernen Subjektkritik, in: Ch. Menke / M. Seel (Hg.), Zur Verteidigung der Vernunft gegen ihre Liebhaber und Verächter, Frankfurt/M. 1993, 149–163. 26 Zum Untergang des Subjekts bei Michel Foucault vgl. Michael Gans, Das Subjekt der Geschichte, Hildesheim/Zürich/New York 1993, 229ff. 27 Vgl. auch Klaus Müller, Das etwas andere Subjekt. Der blinde Fleck der Postmoderne, in: ZKTh 120/1998, 137–163, der resümiert: „Ein kritisch vertiefter wie inhaltlich differenzierter Subjektgedanke ist nicht nur legitim, sondern von zentraler Relevanz für die philosophische wie theologische Selbstbeschreibung des Menschen“; ein in diesem Sinne starker Subjektbegriff sollte mindestens „als heuristische oder vielleicht sogar als normative Metapher in forschungsbegleitender Funktion zur Verfügung“ stehen (159). 86

dann aber, um aufzuzeigen, daß Freiheit und Selbstbestimmung aus kontingenten Kräften entstehen und auf diesen beruhen können. 28 Alle drei Wege finden sich auch in Überlegungen zur Bedeutung des Subjekts im Blick auf die Geschichte. 29 Daher erscheint es nötig, wenigstens kurz zu skizzieren, unter welchen Aspekten die Rede vom Subjekt im Blick auf Geschichtsphilosophie und Geschichtstheologie nötig und möglich ist. Zunächst möchte ich unterscheiden zwischen Subjekt, Person und Individuum. 30 Während Frank aber Subjekt, Person und Individuum transzendental versteht, indem er „von Subjekten als von allgemeinen, von Personen als besonderen und von Individuen als von einzelnen Selbstbewußtseinen spricht“ 31 , scheint mir eine andere Verhältnisbestimmung im Blick auf die Geschichte sinnvoller zu sein. Denn ich halte eine allein transzendentale Subjekttheorie für unterbestimmt. Vom Subjekt läßt sich sowohl transzendental als auch empirisch sprechen. Die transzendentale Bestimmung des Subjekts ist unumgänglich, sie bleibt aber ohne weitere Bestimmung idealistisch. Unumgänglich ist diese Transzendentalität des Subjekts, weil ohne sie ein Bewußtsein von Geschichte nicht vorstellbar ist. Geschichte ist allerdings ebensowenig vorstellbar ohne empirische Subjekte, die näher als Handlungs- und Referenzsubjekte bezeichnet werden müssen. Empirisch vorfindliche Subjekte sind aber Personen oder Institutionen. Eine Person ist zwar notwendig transzendentales Subjekt, ist darüber hinaus aber ebenso notwendig leiblich und zeitlich verfaßt, hat darin Existenz (und weiter auch Sprache). Personalität kann also verstanden werden als „Selbsteingrenzung des absoluten Geistes“, „ihr Seinsstatus [muß] der einer Beraubung, einer Defizienz sein“. 32 Dies beschreibt Personalität aus einer bestimmten Perspektive heraus, nämlich aus einer bewußtseinsphilosophischen. Meines Erachtens formuliert diese Perspektive aber nur einen, allerdings unumgänglichen Aspekt von Personalität. Einer Institution nun kann nur vermittels Personen eine transzendentale Subjektivität zugeschrieben werden. Zeitlichkeit und Leiblichkeit einer Person nötigen dazu, von Individualität zu sprechen. 33 Wenn man mit Frank „die Konstitution selbstbewußter Individualität als eine Folge kontinuierlicher Transformationen von Zuständen“ vorstellt, „die einer Person zu einer Zeit zukommen“, wobei die Transformationen nicht grundlos, sondern motiviert sind, 34 so folgt daraus, daß die Kategorie der Individualität grundlegend für ein Verständnis des Subjekts in der Geschichte ist. Dies nicht nur aufgrund der erkenntnistheoretisch notwendigen Elementarisierung von Subjekt, sondern auch aufgrund der Kategorie des Ereignisses für die Konstruktion von Geschichte. Erkenntnistheoretisch notwendig ist das Verständnis des Subjekts als Individualität, weil nur dadurch individuelle Geschichte, 28 Vgl. auch Barnikol-Oettler-Jörgensen, Subjekt 25f; er stellt diesen dritten Weg anhand der Positionen von Tugendhat und Habermas dar. 29 Vgl. Marquard, Geschichtsphilosophie 463ff. 30 Vgl. Manfred Frank, Subjekt, Person, Individuum, in: Frank/Raulet/van Reijen (Hg.), Subjekt 7–28. 31 Frank, Subjekt 9; zur Diskussion vgl. Barnikol-Oettler-Jörgensen, Subjekt 116ff. 32 Frank, Subjekt 16. 33 Frank, Subjekt 22ff. 34 Frank, Subjekt 26. „Nicht grundlos“ meint, mit einer kausalen Erklärung vereinbar, wobei hier die Gründe keine Wirkungsursachen, sondern Motive sind. Frank versteht „unter einem Motiv einen Grund, der nur im Lichte einer ihn als Grund erschließenden vorgängigen Interpretation meine Handlung bestimmen könnte. Nezessitiert (durch physische Ursachen ausgelöst) wäre dagegen ein Ereignis, das aufgrund gegebener empirischer Konstellationen unmöglich nicht eintreten könnte.“ 87

dann aber, um aufzuzeigen, daß Freiheit und Selbstbest<strong>im</strong>mung aus kontingenten Kräften<br />

entstehen und auf diesen beruhen können. 28 Alle drei Wege finden sich auch in<br />

Überlegungen zur Bedeutung des Subjekts <strong>im</strong> Blick auf die <strong>Geschichte</strong>. 29<br />

Daher erscheint es nötig, wenigstens kurz zu skizzieren, unter welchen Aspekten die<br />

Rede vom Subjekt <strong>im</strong> Blick auf Geschichtsphilosophie und Geschichtstheologie nötig<br />

und möglich ist. Zunächst möchte ich unterscheiden zwischen Subjekt, Person und Individuum.<br />

30 Während Frank aber Subjekt, Person und Individuum transzendental versteht,<br />

indem er „von Subjekten als von allgemeinen, von Personen als besonderen und von<br />

Individuen als von einzelnen Selbstbewußtseinen spricht“ 31 , scheint mir eine andere<br />

Verhältnisbest<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Blick auf die <strong>Geschichte</strong> sinnvoller zu sein. Denn ich halte<br />

eine allein transzendentale Subjekttheorie für unterbest<strong>im</strong>mt. Vom Subjekt läßt sich sowohl<br />

transzendental als auch empirisch sprechen. Die transzendentale Best<strong>im</strong>mung des<br />

Subjekts ist unumgänglich, sie bleibt aber ohne weitere Best<strong>im</strong>mung idealistisch. Unumgänglich<br />

ist diese Transzendentalität des Subjekts, weil ohne sie ein Bewußtsein von<br />

<strong>Geschichte</strong> nicht vorstellbar ist. <strong>Geschichte</strong> ist allerdings ebensowenig vorstellbar ohne<br />

empirische Subjekte, die näher als Handlungs- und Referenzsubjekte bezeichnet werden<br />

müssen. Empirisch vorfindliche Subjekte sind aber Personen oder Institutionen. Eine<br />

Person ist zwar notwendig transzendentales Subjekt, ist darüber hinaus aber ebenso<br />

notwendig leiblich und zeitlich verfaßt, hat darin Existenz (und weiter auch Sprache).<br />

Personalität kann also verstanden werden als „Selbsteingrenzung des absoluten Geistes“,<br />

„ihr Seinsstatus [muß] der einer Beraubung, einer Defizienz sein“. 32 Dies beschreibt<br />

Personalität aus einer best<strong>im</strong>mten Perspektive heraus, nämlich aus einer bewußtseinsphilosophischen.<br />

Meines Erachtens formuliert diese Perspektive aber nur<br />

einen, allerdings unumgänglichen Aspekt von Personalität. Einer Institution nun kann<br />

nur vermittels Personen eine transzendentale Subjektivität zugeschrieben werden. Zeitlichkeit<br />

und Leiblichkeit einer Person nötigen dazu, von Individualität zu sprechen. 33<br />

Wenn man mit Frank „die Konstitution selbstbewußter Individualität als eine Folge kontinuierlicher<br />

Transformationen von Zuständen“ vorstellt, „die einer Person zu einer Zeit<br />

zukommen“, wobei die Transformationen nicht grundlos, sondern motiviert sind, 34 so<br />

folgt daraus, daß die Kategorie der Individualität grundlegend für ein Verständnis des<br />

Subjekts in der <strong>Geschichte</strong> ist. Dies nicht nur aufgrund der erkenntnistheoretisch notwendigen<br />

Elementarisierung von Subjekt, sondern auch aufgrund der Kategorie des Ereignisses<br />

für die Konstruktion von <strong>Geschichte</strong>. Erkenntnistheoretisch notwendig ist das<br />

Verständnis des Subjekts als Individualität, weil nur dadurch individuelle <strong>Geschichte</strong>,<br />

28<br />

Vgl. auch Barnikol-Oettler-Jörgensen, Subjekt 25f; er stellt diesen dritten Weg anhand der Positionen<br />

von Tugendhat und Habermas dar.<br />

29<br />

Vgl. Marquard, Geschichtsphilosophie 463ff.<br />

30<br />

Vgl. Manfred Frank, Subjekt, Person, Individuum, in: Frank/Raulet/van Reijen (Hg.), Subjekt 7–28.<br />

31<br />

Frank, Subjekt 9; zur Diskussion vgl. Barnikol-Oettler-Jörgensen, Subjekt 116ff.<br />

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Frank, Subjekt 16.<br />

33<br />

Frank, Subjekt 22ff.<br />

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Frank, Subjekt 26. „Nicht grundlos“ meint, mit einer kausalen Erklärung vereinbar, wobei hier die<br />

Gründe keine Wirkungsursachen, sondern Motive sind. Frank versteht „unter einem Motiv einen<br />

Grund, der nur <strong>im</strong> Lichte einer ihn als Grund erschließenden vorgängigen Interpretation meine<br />

Handlung best<strong>im</strong>men könnte. Nezessitiert (durch physische Ursachen ausgelöst) wäre dagegen ein<br />

Ereignis, das aufgrund gegebener empirischer Konstellationen unmöglich nicht eintreten könnte.“<br />

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