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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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Diesen Doppelaspekt betont unter anderen Hermann Lübbe <strong>im</strong>mer wieder in seinen<br />

Schriften. Ausgehend von dem sich beschleunigenden strukturellen Wandel unserer Lebensverhältnisse<br />

beschreibt er, daß geschichtliche Identität <strong>im</strong>mer auf etwas zurückverwiesen<br />

ist, über das man nicht verfügt, nämlich die kontingente Herkunftsprägung. Er<br />

interpretiert <strong>Geschichte</strong> dann in der Art, daß nicht die Handlungsintentionen und deren<br />

Realisierung eine <strong>Geschichte</strong> ausmachen, sondern das, was statt dessen der Fall war.<br />

Wir verwenden üblicherweise das Wort „Zufall“ „zur Kennzeichnung von Ereignissen<br />

(…), die aus Handlungsabläufen eine <strong>Geschichte</strong> machen, aber selber nicht Handlungen<br />

sind“ 30 . Mit diesem Verständnis von <strong>Geschichte</strong> wird nun die konstitutive Bedeutung<br />

von Handlungen für <strong>Geschichte</strong> nahezu abgestritten. Die Handlungsnebenfolgen, die<br />

nicht erwartbaren und nicht planbaren Ereignisse, die sich kontingent ergeben, machen<br />

das aus, was als <strong>Geschichte</strong> tradiert wird. Insofern ist zwar Handeln in der <strong>Geschichte</strong><br />

eine logisch notwendige Bedingung der Möglichkeit von <strong>Geschichte</strong>, bewirkt aber nicht<br />

unmittelbar <strong>Geschichte</strong>, sondern nur vermittels seiner kontingenten Nebenfolgen, die<br />

Widerfahrnischarakter haben.<br />

Ein derartiges Verständnis von <strong>Geschichte</strong> kann die traditionelle Geschichtsphilosophie<br />

verabschieden, insofern durch die Kategorie der Kontingenz die Frage nach Sinn und<br />

Ziel der <strong>Geschichte</strong> obsolet werden. Allerdings kann Kontingenz hier auch so verstanden<br />

werden, daß innerhalb der Geschichtsprozesse Kontingenz statthat, damit aber<br />

noch nichts über <strong>Geschichte</strong> als Gesamtzusammenhang gesagt sein soll. Der Streitpunkt<br />

wäre hier, welcher Status der Kontingenz <strong>im</strong> Welt- und Geschichtsverständnis zukäme.<br />

Unbestreitbar ist m.E., daß sich in der <strong>Geschichte</strong> kontingente Ereignisse konstatieren<br />

lassen, Ereignisse also, die auf keine intentionale Handlung zurückzuführen sind. Offen<br />

aber muß bleiben, ob <strong>Geschichte</strong> als Gesamtzusammenhang als kontingent verstanden<br />

werden muß, der Kollektivsingular <strong>Geschichte</strong> somit seinen semantischen Gehalt verliert.<br />

Hier taucht das Problem auf, das ein elementares Strukturproblem der Beschäftigung<br />

mit <strong>Geschichte</strong>, Zeit, Handeln, Sprache und Subjekt ist, daß nämlich nicht von<br />

einem Standpunkt außerhalb Wahrnehmungen gemacht oder Urteile gefällt werden können.<br />

3.4 Konstruktion der <strong>Geschichte</strong> als Handlung<br />

Im Blick auf die <strong>Geschichte</strong> konstituierenden Handlungen empfiehlt es sich, zwei Sorten<br />

von Handlungen zu unterscheiden. Zum einen sind das Handlungen, die das<br />

„Material“ der <strong>Geschichte</strong> darstellen. Dazu gehören physische und interpretatorische<br />

Handlungen. Davon zu unterscheiden sind die Handlungen, mit denen <strong>Geschichte</strong> 31<br />

konstruiert wird. Versteht man nämlich eine Handlung, wie oben dargestellt, als interpretatorische<br />

Konstruktion, so trifft sich das mit der Beschreibung, die Danto von der<br />

Aufgabe des Historikers gibt: Aufgabe des Historiker sei es, die Vergangenheit zu orga-<br />

30 Hermann Lübbe, Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse. Analytik und Pragmatik der Historie,<br />

Basel / Stuttgart 1977, 65. Dazu auch Reinhard Koselleck, Der Zufall als Motivationsrest in der Geschichtsschreibung<br />

(1968), in: ders., Vergangene Zukunft 158–175.<br />

31 Diese Konstruktionshandlung bezieht sich auf <strong>Geschichte</strong> <strong>im</strong> Singular ebenso wie alle weiteren Formen<br />

der Rede von <strong>Geschichte</strong>, also vom Kollektivsingular bis zur Geschichtsphilosophie und Geschichtstheologie.<br />

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