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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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nen sind als Extreme zu verstehen, denen es nicht gelingt, die Komplexität von Handlungen<br />

so zu beschreiben, daß sie weder reduziert physisch noch ausufernd typologisch<br />

dargestellt werden.<br />

Es ist zu vermuten, daß Handlungen mehr sind als bloße Körperbewegungen. Handlungen<br />

werden zwar in gewissem Sinn durch Bewegungen des Körpers realisiert. Folgen<br />

Handlungen aber technischen oder sozialen Handlungsregeln, dann werden diese Körperbewegungen<br />

mitvollzogen, sind aber nicht selbst diese Handlung. 17 Thalberg 18 setzte<br />

hier mit seiner Komponententheorie an, die Handlungen nicht als Summe von Bewegungen<br />

und zusätzlichen mentalen Akten versteht, sondern die mentalen Phänomene als<br />

notwendige Komponenten oder konstituierende Teile der Handlung auffaßt; dabei ist zu<br />

beachten, daß konstitutive Teile keine Ursachen darstellen können. Was aber würde übrigbleiben,<br />

wenn man von einer Handlung die physische Bewegung abzieht? Was ist<br />

dieses „mehr“? Was muß zu einer physischen Bewegung hinzuaddiert werden, um daraus<br />

eine Handlung werden zu lassen? Nach Wittgenstein 19 „nichts“, jedenfalls nichts<br />

ontologisches. Sicher ist aber auch eine bloße, physische Bewegung (z.B. eine Reflexbewegung)<br />

noch keine Handlung. Erst eine Interpretation macht eine physische Bewegung<br />

zu einer Handlung.<br />

„Eine Handlung ist nicht eine ontologische Entität, sondern ein interpretatorisches Konstrukt,<br />

eine semantisch gedeutete Entität; Handlungen sind semantisch geladen (…); sie<br />

sind nicht einfach Begriffe der Objektsprache, sondern theoretische Begriffe, die sich<br />

wesentlich auch auf Interpretationen, Perspektiven, Konzepte beziehen. Sie sind Interpretationskonstrukte<br />

von (oder: samt; oder: über) beobachtbaren Bewegungen (und die<br />

Bewegungen sind das, was man höchstens beobachten kann).“ 20 „Alle Handlungen sind<br />

Interpretationskonstrukte, perspektivisch, kontext- und begriffsabhängig.“ 21<br />

Ein derartiges Verständnis von Handlungen geht über ein Verständnis des Handelns als<br />

Tun, genauer: als physisches Tun, hinaus. Eine Handlung wird zu einer solchen, indem<br />

sie durch Bewußtseinsprozesse als Handlung verstanden wird. Das Prädikat „Handlung“<br />

wird <strong>im</strong> Bewußtsein einem Tun beigelegt, das (mehr oder weniger präzise) best<strong>im</strong>mten<br />

Bedingungen genügt. Darüber hinaus beschränkt sich menschliche Tätigkeit nicht auf<br />

physisches Tun. Auch Sprechen und Denken wird als Tun verstanden, und zwar über<br />

den Aspekt physischer und neurophysiologischer Vorgänge hinaus. Die Sprechakttheorie<br />

von John L. Austin 22 weist darauf hin, daß sowohl mit dem illokutionären als<br />

auch dem perlokutionären Akt eines Satzes Wirkungen hervorgerufen werden, wie es<br />

auch (physische) Handlungen tun. Noch deutlicher wird der Handlungsaspekt sprachlicher<br />

Äußerungen bzw. die sprachliche D<strong>im</strong>ension von Handlungen in performativen<br />

17 Vgl. Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns Bd. 1, Frankfurt/M. 1985 3 , 145f. Habermas<br />

hält das Verständnis von Körperbewegungen als Basishandlungen für ein falsches Konzept.<br />

„Eine Körperbewegung ist Element einer Handlung, aber keine Handlung“ (146, i. Orig. kursiv).<br />

18 I. Thalberg, Perception, emotion and action, 1977.<br />

19 L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 1953; § 621.<br />

20 Lenk, Art. Handlung(stheorie) 126.<br />

21 Lenk, Art. Handlung(stheorie) 126.<br />

22 John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words), Stuttgart 1989 2 .<br />

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