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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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wird elementar erfahren durch Veränderung. Damit erweist sich, auf der reflexiven<br />

Ebene, Zeitlichkeit als der harte Kern der Zeit. Darauf weisen die Analysen Husserls<br />

und Heideggers ebenso hin wie die Reflexionen über das Verhältnis der Zeitreihen. Zeit<br />

ist eine notwendige Voraussetzung von <strong>Geschichte</strong> <strong>im</strong> phänomenalen und reflexiven<br />

Sinn. Sie besitzt damit einen herausragenden epistemologischen Status.<br />

2. Zeit hat darüber hinaus auch einen herausragenden ontologischen Status, wenn man<br />

davon ausgeht, daß Wahrnehmung und Reflexion sich auf eine Wirklichkeit beziehen.<br />

Das gilt unabhängig davon, ob man nun eine Wirklichkeit „an sich“ zu erkennen meint,<br />

oder Aussagen über die Wirklichkeit durchgehend als hypothetisch, auf Bewährung angewiesen,<br />

versteht. Es bleibt hier unerheblich, ob man dabei substanzontologisch oder<br />

relationsontologisch denkt. Im substanzontologischen Paradigma nötigt die Differenz<br />

von Sein und Seiendem, genauer der Übergang vom Sein zum Seienden dazu, die Zeit<br />

als Sein (Picht) bzw. die Zeit als den Sinn von Sein (Heidegger) oder die Zeit als Modus<br />

des Seienden (Husserl) zu denken. Relationsontologisch ist das Geschehen und das<br />

Wahrnehmen von Beziehung fundamental mit der Zeit verknüpft. Zeit schafft Beziehung,<br />

Beziehung hat Zeit zu ihrer Voraussetzung (Lévinas). Zeit ist die Notwendigkeit<br />

der Verkettung (Lyotard).<br />

3. Es steht dabei auch die Frage nach der Wirklichkeit der Zeit auf dem Spiel. Die Vertreter<br />

einer Irrealität der Zeit können diese These nur halten aufgrund der These der<br />

Realität eines transzendentalen Subjekts, das apriorische Formen der Anschauung oder<br />

andere Potentiale besitzt, die wirklichkeitskonstituierend sind. Ob diese Prämisse trägt,<br />

wird noch zu analysieren sein. Jedenfalls weisen die Überlegungen zur Zeitwahrnehmung<br />

darauf hin, daß man sich aus dem Dilemma der Zeitlichkeit nicht entfernen kann,<br />

gleichwohl genötigt ist, Zeit zu (re-)konstruieren. Zeitlichkeit als Strukturmoment von<br />

(„existenter“ oder „konstruierter“) Wirklichkeit ist jedoch unhintergehbar. Dies allein ist<br />

bereits ein starkes Argument für die Annahme einer „realen“ Zeit. Ein weiteres Indiz für<br />

diese Annahme ist es, daß in der Forschung das Zeitproblem sich als der Bereich erwiesen<br />

hat, auf dem unterschiedliche Theorieansätze und Wissenschaftsbereiche sich verknüpfen.<br />

4. Über den epistemologischen und wissenschaftsgeschichtlichen Aspekt hinaus werden<br />

an der Frage nach der Zeit auch ontologische Grundstrukturen erkennbar. So wie Sein<br />

nur als Seiendes erscheint, wird Zeit nur durch Zeitlichkeit zugänglich. Nun kann man<br />

sich mit der Frage nach dem Seienden bescheiden, man kann aber auch weiter danach<br />

fragen, was <strong>im</strong> Seienden als Seiendem erscheint; <strong>im</strong> Blick auf die Zeit: was in der Zeitlichkeit<br />

als erfahrener Zeitlichkeit aufscheint. Wenn die Zeit Bedingung der Möglichkeit<br />

und Modus des Erscheinens von Sein ist (Lévinas), dann ist deutlich, daß die ontologische<br />

Möglichkeit, <strong>Geschichte</strong> wahrzunehmen, von der Realität der Zeit abhängt.<br />

(<strong>Geschichte</strong> verwende ich hier noch als undifferenzierten, umgangssprachlichen Ausdruck.)<br />

5. Zeit und Zeitlichkeit müssen also verstanden werden als notwendige, wenn auch nicht<br />

hinreichende Bedingung der Möglichkeit von <strong>Geschichte</strong>. <strong>Geschichte</strong> kann, unter die-<br />

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