Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
„diejenige kognitive Organisation, mit der wir in der Dauer des Universums dessen<br />
Wechsel erfassen“ 153 . Damit ist vorausgesetzt, daß das Universum seine eigene Zeit in<br />
Form von Dauer hat, die an der Dynamik, an den sich verändernden Zuständlichkeiten<br />
erkannt wird. Dux geht aufgrund seiner Untersuchungen davon aus, daß die Art, in der<br />
in der Wahrnehmung „der Dauer der zuständlichen Dynamik des Universums dessen<br />
Zeit mit in Bezug zu nehmen“ ist, „von dem Entwicklungsstand der Zeit als einer kognitiven<br />
Organisation abhängig“ ist. 154 Seine These lautet also, daß es in der <strong>Geschichte</strong><br />
der Menschheit auch eine <strong>Geschichte</strong> der Zeit, genauer: der Konstruktion der Zeit als<br />
einer kognitiven Organisationsform gibt. Er sieht dabei Entsprechungen von Ontogenese<br />
und Phylogenese des Menschen. Die <strong>Geschichte</strong> des Menschen <strong>im</strong>pliziert also die <strong>Geschichte</strong><br />
der Zeit.<br />
Während Dux eine <strong>Geschichte</strong> der Zeit mit der Entwicklungsgeschichte der Menschheit<br />
verbindet und „<strong>Geschichte</strong> der Zeit“ eher epistemologisch versteht, geht A.M.K. Müller<br />
einen Schritt weiter. Er entwirft mit seiner Theorie des offenen Systems und der Wahrheitsplateaus<br />
eine Kosmologie, in der die Zeitmodi dreistellig (und möglicherweise<br />
noch komplexer) verschränkt sind und sich daraus eine Evolution der Zeit selbst ableiten<br />
läßt. 155<br />
Man kann, vereinfacht und verallgemeinert, die Entwicklung des Zeitbewußtseins also<br />
folgendermaßen rekonstruieren: Auf eine zyklische Phase, die lineare Elemente in sich<br />
einschloß, folgte eine lineare Phase, die zyklische Elemente einschloß. Diese wurde abgelöst<br />
durch eine Phase, die Zyklizität und Linearität in ihrer gegenseitigen Vernetzung<br />
wahrn<strong>im</strong>mt. Gegenwärtig wird diese Vernetzung abstrahiert und eine Theorie der offenen<br />
Zeit entworfen. Die unterschiedlichen Phasen des Zeitverständnisses tragen je unterschiedliche<br />
Best<strong>im</strong>mungen dessen mit sich, was <strong>Geschichte</strong> sein könnte. Ein lineares<br />
Zeitverständnis <strong>im</strong>pliziert eine lineare <strong>Geschichte</strong>, die möglicherweise von einer die<br />
Gegenwart best<strong>im</strong>menden Zeit des Mythos begleitet wird. Ein zyklisches Verständnis<br />
der Zeit <strong>im</strong>pliziert ein Verständnis von <strong>Geschichte</strong>, die die Wiederkehr des ewig Gleichen<br />
beinhaltet, das möglicherweise von einem Mythos best<strong>im</strong>mt wird. Das Verständnis<br />
einer vernetzten Zeit ermöglicht die Integration (und den Widerstreit) von linearer und<br />
zyklischer Zeit und <strong>im</strong>pliziert dadurch sowohl die Gestaltung von <strong>Geschichte</strong> als auch<br />
die Möglichkeit des unerwartet Neuen; dieses Neue kann sich evolutionär einstellen,<br />
aber auch durch einen Sprung, ein „Es geschieht“, eine Offenbarung.<br />
2.5 Zusammenfassung<br />
1. Zeit, so haben wir gesehen, muß verstanden und begriffen werden als ein grundlegendes<br />
Element für das Verstehen und Begreifen von <strong>Geschichte</strong>, auch <strong>im</strong> Blick auf deren<br />
theoretische Betrachtung. Alles Wahrnehmen, Erkennen, Nachdenken und Handeln<br />
vollzieht sich in der Zeit. Es gibt keinen arch<strong>im</strong>edischen Punkt außerhalb der Zeit. Zeit<br />
Gottes und von Ewigkeit zu vereinbaren ist, wird noch zu klären sein (vgl. unten zu Pannenberg und<br />
Moltmann sowie die Überlegungen unter 3.2).<br />
153 So die Best<strong>im</strong>mung von Dux, Zeit 36.<br />
154 Dux, Zeit 36f. Vgl. auch Fraser, Zeit 23.<br />
155 Müller, Das unbekannte Land 226ff.<br />
67