Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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Die Matrix der zweistelligen Zeitmodiverschränkung läßt sich so darstellen: 143<br />
64<br />
VV VG VZ<br />
GV GG GZ<br />
ZV ZG ZZ<br />
Müller fragt dann weiter nach verschiedenen Erfahrungsbereichen, in denen die Zeitmodi<br />
miteinander ins Spiel kommen. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich<br />
hier nur seine Ergebnisse referieren. Für den Phänomenbereich des (objektivierbaren)<br />
Wissens, also der Physik bzw. in einem weiteren Sinn der Naturwissenschaften, stellt er<br />
fest, daß dieser durch den aus der Einheit von GV, GG, GZ sich konstituierenden<br />
Zeithorizont charakterisiert ist. Die Gegenwärtigkeit des Wissens ist dabei das Entscheidende.<br />
„In den Fakten erscheint die Gegenwärtigkeit des Wissens von Vergangenem,<br />
in den Wahrscheinlichkeiten die Gegenwärtigkeit des Wissens von Zukünftigem,<br />
<strong>im</strong> ‚Jetzt‘ des Vorwissens die Gegenwärtigkeit des Gegenwärtigen, nämlich des Beobachters.“<br />
144 Hier steht also die mittlere Zeile der Matrix der zweistelligen Zeitmodiverschränkungen<br />
zur Diskussion. Damit ist aber die Matrix nicht ausgeschöpft. Der Phänomenbereich<br />
der Kunst hebt nach Müller auf die mittlere Spalte mit den Zeithorizonten<br />
VG, GG und ZG ab. Er wird durch den aus der Einheit von VG, GG, ZG sich konstituierenden<br />
Zeithorizont charakterisiert. Wir können dabei beobachten, daß sich in diesem<br />
Zeithorizont das Husserlsche Zeitverständnis der durch Protention und Retention charakterisierten<br />
Gegenwart wiederfinden läßt. Als weiteren Phänomenbereich nennt Müller<br />
<strong>Geschichte</strong>, Glauben und Religion, dem er die Eckpunkte der Matrix der zweistelligen<br />
Zeitmodiverschränkungen zuordnet, also VV, VZ, ZV und ZZ. „Die erschütternde<br />
(seismische) Wirklichkeit der nichtphänomenalen Welt wird durch die Einheit des sich<br />
aus ZV, VV, ZZ, VZ konstituierenden Zeithorizonts charakterisiert; er ist der Horizont<br />
der <strong>Geschichte</strong>, des Glaubens und der Religion.“ 145 Es ist allerdings nicht einzusehen,<br />
warum der Modus der Gegenwart in diesem Horizont nicht erscheinen soll. Mir scheint<br />
hier die Interpretation dieser Matrix dem Bedürfnis nach einem struktural erschöpfenden,<br />
kohärenten Muster deshalb so stark zu folgen, weil dahinter eine Vorstellung der<br />
Phänomenbereiche steht, die diese starr voneinander trennt. Die Interdependenzen dieser<br />
Phänomenbereiche kommen bei Müller erst auf der Stufe des dreistelligen Zeitgefüges<br />
zum Tragen. Ich kann Müllers Zuordnungen in diesem Fall nur so verstehen, daß ZV,<br />
VV, ZZ, VZ die Zeithorizonte bezeichnen, die der Phänomenbereich von <strong>Geschichte</strong>,<br />
Glaube und Religion über die Phänomenbereiche von Wissen und Kunst hinaus berührt.<br />
Vergangenheit und Zukunft wirken auf die Gegenwart ein, best<strong>im</strong>men sie mit. Vergangenheit<br />
ist nur zu haben als vergegenwärtigte Vergangenheit, Zukunft nur als vergegenwärtigte,<br />
antizipierte Zukunft. Dies ist aber nicht nur auf die Gegenwart bezogen,<br />
sondern dieses Modell der Bezogenheit verschiebt sich innerhalb der Zeiten.<br />
143 Müller, Das unbekannte Land 211.<br />
144 Müller, Das unbekannte Land 215.<br />
145 Müller, Das unbekannte Land 226 (i. Orig. kursiv).