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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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als auch ontologisch fundamental ist. Wie die Zeit Raum der Sprache ist, so ist die<br />

Sprache Medium der Zeit. 108<br />

2.2.8 Zusammenfassung<br />

Die verschiedenen Untersuchungen zur Zeitwahrnehmung, zum Zeitverständnis und zur<br />

Entwicklung von Zeitbewußtsein kommen je nach ihrer Fragerichtung und ihrem Interesse<br />

zu unterschiedlichen Einsichten.<br />

2.2.8.1 Wahrnehmung<br />

Sowohl empirische Untersuchungen als auch philosophische Überlegungen fragen danach,<br />

wie die Zeit wahrgenommen wird. Empirisch-psychologisch wird Zeit als Dauer<br />

wahrgenommen; für James ist die Wahrnehmung der Zeit pr<strong>im</strong>är durch den Ablauf von<br />

Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft geprägt, wobei diese Wahrnehmung in einer als<br />

specious present bezeichneten Gegenwart sich vollzieht. Das Stellen der Gegenwart in<br />

das Zentrum des Zeitverständnisses wird von Husserl phänomenologisch abgestützt.<br />

Lévinas zeichnet diesen Zusammenhang in seine Ontologie ein. Dabei kommt es zu<br />

tendenziell übereinst<strong>im</strong>menden Ergebnissen: Pr<strong>im</strong>är wird Zeit durch ihr Vergehen<br />

wahrgenommen, also an „äußeren“ Veränderungen. Direkte Zeitwahrnehmung, also<br />

unmittelbare, unvermittelte Wahrnehmung der Zeit gibt es nicht. Übereinst<strong>im</strong>mung<br />

besteht tendenziell auch darin, daß die Gegenwart als eine Form von Zeit nur <strong>im</strong><br />

Denken, so Augustin, zu einem Punkt zusammenschmilzt, in der Wahrnehmung aber<br />

eine gewisse Ausdehnung besitzt, sei es nun der specious present von James oder die<br />

durch Retention und Protention geprägte Gegenwart Husserls. Alle diese Überlegungen<br />

greifen auf Phänomene zurück, die <strong>im</strong> Einzelnen freilich unterschiedlich best<strong>im</strong>mt<br />

werden, und beziehen sich mehr oder weniger ausdrücklich auf Kant, der die Zeit als<br />

eine reine Anschauungsform analysiert, der keine empirische Realität zukommt, die<br />

aber konstitutiv ist für menschliche Wahrnehmung. Die Wahrnehmung der Zeit wird, so<br />

ist zu vermuten, Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Deutung der <strong>Geschichte</strong><br />

haben. Der empirische Befund wird durch die philosophischen Untersuchungen<br />

unterstützt. Diese fragen weiter nach der ontologischen Bedeutung der Zeit.<br />

2.2.8.2 Ontologie<br />

Das weitere Interesse an der Frage nach dem erkenntnistheoretischen, anthropologischen<br />

und ontologischen Status von Zeit taucht – man möchte sagen: systemgemäß – bei einer<br />

empirischen Fragestellung nicht auf, gewinnt aber starkes Gewicht unter den verhandelten<br />

Philosophen. Sie kommen dabei nicht nur auf die Zeitlichkeit des Seienden zu<br />

sprechen, sondern entdecken die Zeitlichkeit als Grundstruktur des Seins selbst. Zeitlichkeit<br />

als harter Kern der Zeit, als ihre Fundierung, so könnte man spitz formulieren,<br />

108 Auf die Relevanz und die Konsequenzen des Einsatzes bei der Sprache werde ich später noch ausführlicher<br />

zu sprechen kommen, vgl. Kap. 1.6 (Sprache und <strong>Geschichte</strong>).<br />

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