Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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2.2.7 Die Zeit der Sprache<br />
Jean-François Lyotard betrachtet die Zeit unter dem Aspekt der Sprache. Gegeben sind<br />
der Übergang, der Satz und die Zeit als zweifelsfreier Anfang. 99 Er geht davon aus, daß<br />
die Verkettung von Sätzen der Notwendigkeit folgt, d.h. der Zeit. 100 Die <strong>Geschichte</strong><br />
steht an den Nahtstellen der Sätze auf dem Spiel. Indem er die Zeit mit der Verkettung<br />
von Sätzen ins Spiel bringt, geht er von der Zeit als einer Reihe von „früher - später“<br />
aus; er spricht von der zeitlichen Reihe, 101 von der Zeit, die es gibt und darum keine<br />
Ausnahme be<strong>im</strong> Definieren, sondern ein endloses Voranschreiten in der Abfolge der<br />
Ereignissätze. 102 In diesem Zusammenhang redet Lyotard auch davon, daß die Zeit<br />
möglicherweise unbegrenzt ist. 103 Diese Offenheit der Verknüpfung <strong>im</strong>pliziert die<br />
Notwendigkeit der Kontingenz der Zukunft, nämlich der Art der Verknüpfung der Sätze<br />
(wenn man auch Schweigen als eine Verknüpfung zuläßt). Ausgeschlossen ist die Zeit<br />
allerdings prinzipiell aus dem logischen Diskurs. 104 Daneben gilt aber auch, daß das<br />
„und“ der Verkettung von Sätzen die Diskontinuität (oder das Vergessen) am bedrohlichsten<br />
erscheinen läßt.<br />
Zugleich sagt Lyotard aber: „Raum und Zeit gäbe es nicht unabhängig von einem<br />
Satz.“ 105 In dieser Aussage findet sich die sprachanalytische Zuspitzung der Phänomenologie,<br />
auf die sich Lyotard <strong>im</strong>mer wieder bezieht. Damit wird die Zeit als abhängig<br />
vom Seienden, der Sprache, verstanden; das Sein ist nicht die Zeit, 106 sondern Zeit und<br />
Raum sind Titel, die situative Wirkungen zusammenfassen. 107<br />
Diese auf den ersten Blick widersprüchlichen Best<strong>im</strong>mungen von Zeit (die Zeit sei<br />
gleich ursprünglich mit Satz und Verkettung und Zeit gäbe es nicht ohne Satz) lassen<br />
sich dahingehend verstehen, daß der Begriff der Zeit unterschiedlich situiert wird. Zum<br />
einen geht es um die Zeit als Reihe, in der Sätze sich ereignen, verknüpft werden; damit<br />
ist die elementare Form der Zeit als Zeitlichkeit angesprochen. Zum anderen geht es um<br />
die Zeit als Titel, die in den Satzuniversen situiert sind. Der Begriff der Zeit hat also<br />
einen unterschiedlichen Status, je nachdem, ob er die Funktion der Situierung in einem<br />
Satzuniversum erfüllt, oder ob er die Einsicht in die Verkettung von Sätzen ermöglicht.<br />
Dieser unterschiedliche Status der Zeit <strong>im</strong> Sprach- und Seinszusammenhang führt noch<br />
einmal die doppelte Relevanz der Zeit, ihre amphibologische Struktur vor Augen. Sie<br />
wird bei Lyotard auf sprachlich elementarer Ebene vorgeführt. Der doppelte Gebrauch<br />
der Sprache weist darüber hinaus darauf hin, daß auch die Sprache von ähnlicher<br />
Struktur wie die Zeit ist, das heißt, daß auch die Sprache sowohl erkenntnistheoretisch<br />
99 Jean-François Lyotard, Der Widerstreit, München 1989 2 , Nr. 101.<br />
100 Lyotard, Widerstreit 11.<br />
101 Lyotard, Widerstreit Nr. 94.<br />
102 Lyotard, Widerstreit Nr. 106.<br />
103 Lyotard, Widerstreit 50, Exkurs zu Platon.<br />
104 Lyotard, Widerstreit Nr. 98.<br />
105 Lyotard, Widerstreit Nr. 120.<br />
106 Lyotard, Widerstreit 133, Exkurs zu Aristoteles.<br />
107 Lyotard, Widerstreit Nr. 121.<br />
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