Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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einerseits Endlichkeit als daseinskonstitutiv verstanden wird, andererseits Zeit als der<br />
Sinn von Sein best<strong>im</strong>mt wird, arbeitet Heidegger den fundamentalontologischen Zusammenhang<br />
von Sein und Zeit heraus. Das Sein selbst zeitigt sich, es gibt eine <strong>Geschichte</strong><br />
des Sich-Zeitigens von Sein. Über die erkenntnistheoretische (Kant) und die<br />
bewußtseinstheoretische (Husserl) Relevanz von Zeit weist Heidegger auf den ontologischen<br />
Ort der Zeit hin.<br />
2.2.6 Relationales Zeitverständnis<br />
Emmanuel Lévinas, der „Denker des Anderen“ 73 , setzt mit einer Frage nach der Zeit ein,<br />
die anders akzentuiert ist als bei den bisher verhandelten Denkern. Seine Grundfrage<br />
lautet: „Ist die Zeit gerade die Begrenzung des endlichen Seins oder ist sie das Verhältnis<br />
des endlichen Seins zu Gott?“ 74 Seine Hauptthese besteht darin, „die Zeit nicht als<br />
eine Abwertung der Ewigkeit zu denken, sondern als Verhältnis zu demjenigen, was, als<br />
von sich aus Unangleichbares, absolut Anderes, sich nicht durch die Erfahrung angleichen<br />
läßt, oder als Verhältnis zu dem, was, als von sich aus Unendliches, sich nicht begreifen<br />
läßt. (…) Die Zeit bedeutet dieses Immer der Nicht-Übereinst<strong>im</strong>mung, aber auch<br />
dieses Immer des Verhältnisses.“ 75 Damit wendet er sich einerseits gegen Kant, indem<br />
er die Zeit als ein „Verhältnis“, als eine Relation begreift, und nicht als Anschauungsform,<br />
die der Vernunft a priori gegeben ist. Er wendet sich andererseits auch gegen Heidegger,<br />
indem er dessen Best<strong>im</strong>mung des vereinsamten Daseins, den Ausgangspunkt bei<br />
der solipsistischen Existenz kritisiert, da sie auf ein Sein ohne Seiendes hinausläuft. Um<br />
seine Best<strong>im</strong>mung der Zeit verstehen zu können, muß – in aller Kürze – seine Ontologie<br />
dargestellt werden. 76<br />
meneutischen Konsequenzen dieser Einsichten wurden von einer Richtung der Heidegger-Interpretation<br />
aufgezeigt, zu der Gadamer und Fuchs zu zählen sind. Zur Wirkungsgeschichte Heideggers vgl.<br />
Annemarie Gethmann-Siefert, Art. Heidegger, Martin, in: TRE 14, 562–574, bes. 570ff; Otto<br />
Pöggeler, Neue Wege mit Heidegger, Freiburg/München 1992, bes. 164ff; ders. (Hg.), Heidegger.<br />
Perspektiven zur Deutung seines Werkes, Königstein/Ts. 1984; H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode,<br />
Tübingen 1965 2 ; ders., Martin Heidegger und die Marburger Theologie, in: Otto Pöggeler<br />
(Hg.), Heidegger, Perspektiven zur Deutung seines Werkes, Königstein/Ts. 1984, 169–178; Ernst<br />
Fuchs, Hermeneutik, Stuttgart/Bad Cannstatt 1963 3 .<br />
73 Wolfgang N. Krewani, Emmanuel Lévinas. Denker des Anderen, Freiburg/München 1992. Vgl. auch<br />
Bernhard Taureck, Lévinas zur Einführung, Hamburg 1991; Michael Mayer, Markus Henschel (Hg.),<br />
Lévinas. Zur Möglichkeit einer prophetischen Philosophie, Gießen 1990 (Parabel Schriftenreihe Bd.<br />
12, hg. v. Evang. Studienwerk e.V. Villigst).<br />
74 Emmanuel Lévinas, Die Zeit und der Andere, Hamburg 1989 2 , 8.<br />
75 Lévinas, Die Zeit und der Andere 9.<br />
76 Ich beschränke mich hier auf eine Rekonstruktion, die verdeutlichen soll, welche Stelle und Bedeutung<br />
die Zeit bei Lévinas einn<strong>im</strong>mt. Auf die dieser Darstellung zugrundeliegende Hintergehung der<br />
abendländischen Metaphysik bei Lévinas, genauer: Lévinas’ Verortung der Verknüpfung von Zeit<br />
und anderem in der jüdischen Tradition und nicht <strong>im</strong> griechischen Denken, kann ich hier nicht näher<br />
eingehen; vgl. dazu Taureck, Lévinas 39ff und Krewani, Lévinas 51f. Krewani, Lévinas 53ff erkennt<br />
zwei mögliche Einteilungen, Ansätze oder Phasen <strong>im</strong> Denken Lévinas’, nämlich zum einen hinsichtlich<br />
der Best<strong>im</strong>mung des Anderen (erotisch oder ethisch), zum anderen <strong>im</strong> Gegensatz von ontologischem<br />
und meta-ontologischem Denken. Krewani ordnet die erotische und die ethische Transzendenz<br />
dem ontologischen Sprachspiel zu. Die für unseren Zusammenhang wichtige Unterscheidung<br />
von synthetischer und vorsynthetischer Zeit wird in der dritten Phase, der Phase der metaontologischen<br />
Transzendenz, terminologisch ausgeführt. Zur Periodisierung des Werkes von Lévinas<br />
und deren Umstrittenheit vgl. auch Klaas Huizing, Das Sein und der Andere. Lévinas’ Auseinandersetzung<br />
mit Heidegger, Frankfurt/M. 1988, bes. 126ff; Stephan Strasser, Jenseits von Sein<br />
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