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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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topologischer Zeitbegriff einer unveränderlichen Ordnung der Zeitlichkeit reicht aus, um<br />

die Möglichkeit von Veränderung und Handeln einsichtig zu machen. Die Unveränderlichkeit<br />

der Zeitlichkeit selbst ist aber „nicht veränderungslose Statik, sondern dynamische<br />

Konstanz“ 35 . Das aus dem Begriff der Zeitlichkeit sich ergebende Kontinuum von<br />

Zeitpunkten besitzt kein intrinsisches Maß, um die Lokalisierung bzw. Datierung von<br />

Sachverhalten und Ereignissen in seinem Horizont zu ermöglichen. Dazu bedarf es einer<br />

Erweiterung des Begriffs der Zeitlichkeit hin zu einem Begriff der Zeit, der diesen<br />

Aspekt der Lokalisierung bzw. Datierung berücksichtigt, der also die Möglichkeit eines<br />

best<strong>im</strong>mten Umgangs mit der Zeitlichkeit <strong>im</strong>pliziert. Es geht dabei um den Charakter<br />

der Zeit als System. Dalferth unterscheidet nun einen chronometrischen von einem<br />

orientierenden Zeitbegriff. 36 Während ersterer „einen hohen Grad periodischer Gesetzmäßigkeit<br />

bei (best<strong>im</strong>mten) topologisch geordneten Ereignissequenzen voraussetzt<br />

(Sonnenumlauf, Uhren)“ und damit seinen Gegenstandsbereich einschränkt, hat der<br />

orientierende Zeitbegriff einen weiteren Gegenstandsbereich, da er „die Ordnung der<br />

Zeitlichkeit nicht nur extern strukturiert, sondern innerhalb dieser Ordnung eine<br />

Position als Jetzt-Punkt auszeichnet, von dem aus sich die bloße Abfolge von Früher,<br />

Gleichzeitig und Später aus dem Horizont dieser Serie selbst nach Vergangenheit,<br />

Gegenwart und Zukunft hin strukturieren läßt. (…) Vergangenheit, Gegenwart und<br />

Zukunft sind daher nur insofern Modi der Zeit, als sie Aspekte der Zeiterfahrung und<br />

damit der internen perspektivischen Strukturierung der Zeitlichkeit sind. Nicht die Zeit<br />

tritt in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auseinander, sondern wir als raumzeitliche<br />

Wesen d<strong>im</strong>ensionieren sie in dieser Weise.“ Das heißt, daß Vergangenheit, Gegenwart<br />

und Zukunft zwar die pr<strong>im</strong>ären Weisen sind, in denen sie sich uns präsentiert,<br />

„sie sind aber nicht die grundlegenden Weisen, in denen sich Zeit vollzieht. Grundlegend<br />

vollzieht sich diese vielmehr als Zeitlichkeit, so daß der epistemischen Auszeichnung<br />

des orientierenden Zeitbegriffs auf der anderen Seite die fundierende Auszeichnung<br />

des topologischen Zeitbegriffs entspricht.“ Mit dem Begriff der Zeitlichkeit<br />

läßt sich Veränderung, nicht aber Werden analysieren und einsichtig machen, da es zwar<br />

Veränderung, aber kein Werden ohne erfahrende Subjekte gibt. Damit sind aber auch<br />

„Werden und Vergehen in der Zeit kein Thema der messenden, sondern der anthropologischen<br />

Wissenschaften“ 37 .<br />

Mit den letzten Überlegungen haben wir bereits den Übergang von einer am Phänomen<br />

und der Erfahrung orientierten Betrachtung der Zeit hin zu einer am Begriff der Zeit und<br />

der Zeitlichkeit vollzogen. Denn aufgrund der oben aufgeführten Differenzierungen sind<br />

die beschränkten Möglichkeiten exper<strong>im</strong>entell-empirischer Zeiterfahrung aufgezeigt,<br />

und damit auch die Grenze der exper<strong>im</strong>entell-empirischen Zeiterfahrung, und auf die<br />

Notwendigkeit eines anders akzentuierten Zugangs hingewiesen. Es wird dabei darum<br />

gehen, einen Begriff von Zeit zu entwickeln, der Aussagen über das „Wesen“ der Zeit<br />

macht, die aber nicht aus einer vorausgesetzten Idee von Zeit abgeleitet werden, sondern<br />

Anschluß an die Erfahrungen der Wahrnehmung von Zeit suchen.<br />

35 Dalferth, Existenz Gottes 140.<br />

36 Dalferth, Existenz Gottes 140ff.<br />

37 Dalferth, Existenz Gottes 142. Vgl. dazu auch Mohr, Zeitbewußtsein und unten die Diskussion zu<br />

den Zeitmodellen.<br />

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