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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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Ansätzen aus, aber auch darüber hinaus. 60 Sein Interesse richtet sich kritisch gegen eine<br />

<strong>Geschichte</strong>, für die das Paradigma der Kontinuität konstitutiv ist; er ist an den Diskontinuitäten<br />

interessiert. Eine <strong>Geschichte</strong>, die auf Kontinuität aufbaut, baut zugleich auf die<br />

„Stifterfunktion des Subjekts“ auf. 61 Daher ist für Foucault mit der Kritik an der Kontinuität<br />

auch die Kritik am Subjekt verbunden. Foucault fordert „an Stelle der bisherigen,<br />

vom Subjektivismus und von der Identitäts- und Kontinuitätskategorie und dem Totalitätspostulat<br />

best<strong>im</strong>mten Historie (man könnte auch sagen: des Historismus), eine ‚erkenntnistheoretische<br />

Veränderung der <strong>Geschichte</strong>‘ <strong>im</strong> Sinne einer allgemeinen Theorie<br />

der Diskontinuität“ 62 . Und da das Subjekt <strong>Geschichte</strong> sprachlich verfaßt, ist auch eine<br />

Kritik an der Sprache unerläßlich. Diese Kritik äußert sich darin, daß Foucault nicht<br />

mehr die in Sprache gefaßte <strong>Geschichte</strong> der Ideen betrachtet, sondern die dahinterliegenden<br />

Praktiken bzw. Diskurse. Denn Dinge und Worte treten nur hervor, weil sie einer<br />

best<strong>im</strong>mten Praktik bzw. einem Diskurs Ausdruck verleihen. 63 Von daher nennt er seine<br />

Methode Archäologie, die, ausgehend von einem historischen Apriori, „einer <strong>Geschichte</strong>,<br />

die gegeben ist“ 64 , die mit dieser gegebenen Ereignisse und Dinge, die in ihrer Gesamtheit<br />

von Foucault „Archiv“ genannt werden, „die Diskurse als spezifizierte Praktiken<br />

<strong>im</strong> Element des Archivs“ beschreibt. 65 Foucault versucht also, sich von der Oberfläche<br />

der <strong>Geschichte</strong> zu lösen und die unter und hinter den Daten, Fakten, Ereignissen<br />

und Erzählungen stehenden Diskurse und Praktiken herauszuarbeiten. Dies kann verstanden<br />

werden als eine „Revolutionierung der <strong>Geschichte</strong>“. 66 Intention ist es, die Oberfläche<br />

der <strong>Geschichte</strong> aufzugraben und festzustellen, daß diese Oberfläche eine Objektivation<br />

der darunterliegenden Diskurse ist. 67 Foucault geht es darum, die Kohärenz<br />

dieser Diskurse in best<strong>im</strong>mten Epochen aufzuweisen und deren Beziehung „zu anderen<br />

Ebenen, zu Praktiken, Institutionen, sozialen und politischen Verhältnissen usw.“ 68 .<br />

Foucault führt dazu den Begriff der „Episteme“ ein, den er so definiert: „Unter Episteme<br />

versteht man (…) die Gesamtheit der Beziehungen, die in einer gegebenen Zeit die<br />

diskursiven Praktiken vereinigen können, durch die die epistemologischen Figuren,<br />

Wissenschaften und vielleicht formalisierten Systeme möglich werden (…). Die<br />

60 Vgl. Peter Sloterdijk, Michel Foucaults strukturale Theorie der <strong>Geschichte</strong>, in: PhJ 79/1972, 161–<br />

184; Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt/M. 1995 7 , 27ff, 283ff; Maurice Blanchot,<br />

Michel Foucault, Tübingen 1987, 17ff. Siehe auch die Interviews mit Foucault in: Adelbert Reif<br />

(Hg.), Antworten der Strukturalisten, Hamburg 1973, 143ff.<br />

61 Foucault, Archäologie des Wissens 23. Vgl. auch János Békési, „Denken“ der <strong>Geschichte</strong>. Zum<br />

Wandel des Geschichtsbegriffs bei Jacques Derrida, München 1995, 143ff.<br />

62 Karl-Georg Faber, Theorie der Geschichtswissenschaft, München1982 5 , 228f, Anm. 26.<br />

63 Zu „Diskurs“ siehe Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses (1972), Frankfurt/M. 1991 sowie<br />

Foucault, Archäologie des Wissens 31ff; zu „Praktiken“ und ihrem Verhältnis zu „Diskursen“ vgl.<br />

Hubert L. Dreyfus, Paul Rabinow, Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik,<br />

Frankfurt/M. 1987, 27ff.<br />

64 Foucault, Archäologie des Wissens 184.<br />

65 Foucault, Archäologie des Wissens 190. Zur Historie als Archäologie, die Widerpart der Ideengeschichte<br />

ist, vgl. Sloterdijk, Michel Foucaults strukturale Theorie der <strong>Geschichte</strong> 178ff.<br />

66 Paul Veyne, Foucault: Die Revolutionierung der <strong>Geschichte</strong>, Frankfurt/M. 1992. Pathetisch schreibt<br />

Veyne: „Foucault ist der vollendete Historiker, ist die Vollendung der Historie. Daß dieser Philosoph<br />

einer der sehr großen Historiker unserer Zeit ist, daran zweifelt niemand, er könnte jedoch auch der<br />

Urheber der wissenschaftlichen Revolution sein, um die alle Historiker bis jetzt nur herumgeschlichen<br />

sind“ (7f).<br />

67 Vgl. Veyne 32f, 36f, 40f.<br />

68 Michel Foucault, Über verschiedene Arten <strong>Geschichte</strong> zu schreiben. Ein Gespräch mit Raymond<br />

Bellour, in: Reif, Antworten, 157–175, hier 163; vgl. auch 164.<br />

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