Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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durch geschichtliches Gewordensein konstituierte Subjekte sind sie in der <strong>Geschichte</strong><br />
auch ein Gegenüber der <strong>Geschichte</strong>. Sie sind von der <strong>Geschichte</strong> gefangengenommen, in<br />
<strong>Geschichte</strong> und <strong>Geschichte</strong>n verstrickt, aber auf Hoffnung hin auch bereits befreit. Sie<br />
sind „schwache Subjekte“ 7 in der <strong>Geschichte</strong>, in deren Schwachheit aber die Kraft Gottes<br />
mächtig werden kann. Gott als geschichtliches Subjekt denken bedeutet dann, ihn<br />
auch in dieser Ambivalenz gegenüber der <strong>Geschichte</strong> zu sehen. Dies vor allem darum,<br />
weil er sich in Jesus Christus der <strong>Geschichte</strong> ausgeliefert hat und darin in ihr wirksam<br />
wurde. Für eine Theologie der <strong>Geschichte</strong> wird darum die <strong>Geschichte</strong> des Jesus von Nazareth<br />
als dem Christus eine zentrale Funktion für alle Aussagen zu übernehmen haben.<br />
Die Rede von „der <strong>Geschichte</strong>“ und einer „Theologie der <strong>Geschichte</strong>“ beruht streng genommen<br />
auf dieser einen <strong>Geschichte</strong> von der Geschichtwerdung Gottes. Alle anderen<br />
<strong>Geschichte</strong>n sowie die Extrapolation oder Antizipation einer universalen <strong>Geschichte</strong><br />
sind in theologischer Perspektive zu beziehen auf diese eine <strong>Geschichte</strong>.<br />
4. Eine Theologie der <strong>Geschichte</strong>, sagte ich, erzählt keine eigene <strong>Geschichte</strong>, sondern<br />
reflektiert über <strong>Geschichte</strong>. Ihre Aufgabe ist es, zu erhellen, wie <strong>Geschichte</strong>n und <strong>Geschichte</strong><br />
erzählt werden und sie zu der einen für den christlichen Glauben zentralen <strong>Geschichte</strong><br />
in Beziehung zu setzen. Theologie der <strong>Geschichte</strong> hat darin einen praktischen<br />
Impetus, denn sie formuliert ihre Aussagen darauf hin, daß diese <strong>Geschichte</strong> für den<br />
christlichen Glauben und seine Mitteilung in der je gegenwärtigen Zeit präsent wird und<br />
bleibt. Sie n<strong>im</strong>mt Bezug auf die „einfache Gottesrede“ 8 , auf die Stories, die für eine<br />
christliche Daseins- und Handlungsorientierung relevant sind. In diesen Bezügen wird<br />
sie sich ihrer eigenen Relativität und Perspektivität bewußt und gewinnt Abstand von<br />
universalen und totalitären Aussagen. Sie wird sich selbst nicht als die eine Theologie<br />
der <strong>Geschichte</strong> verstehen, sondern als ein Versuch, dem andere zur Seite gestellt werden<br />
können; freilich ein Versuch, der für sich Gründe geltend macht und den Anspruch auf<br />
eine zutreffende und erhellende Deutung des Phänomens <strong>Geschichte</strong> aus christlicher<br />
Perspektive erhebt. Ein derartiges Selbstverständnis erleichtert es m.E., in ein geschichtliches<br />
Gespräch über <strong>Geschichte</strong> einzutreten und Orientierung in und gegenüber<br />
der <strong>Geschichte</strong> zu vermitteln.<br />
5. Auch wenn die <strong>Geschichte</strong> an einer Jahrtausendwende in besonderer Weise zum<br />
Thema wird und sich die Theologie diesem Thema nicht verschließen darf, wäre es ihrer<br />
unangemessen, sich zur Herrin der <strong>Geschichte</strong> zu erheben. „Die <strong>Geschichte</strong>“ selbst ist<br />
plural und vielfältig. 9 Eine Theologie der <strong>Geschichte</strong> hat dies elementar zu berücksich-<br />
7<br />
Nach der neuzeitlichen Stärkung und der darauffolgenden Kritik des erkennenden Subjekts als zentralem<br />
Punkt des Geschichtsdenkens ist der Subjektgedanke nicht als der zentrale Aspekt einer<br />
Theologie der <strong>Geschichte</strong> zu benennen; gegen Brauer, Theologie <strong>im</strong> Horizont der <strong>Geschichte</strong> 383<br />
u.ö.<br />
8<br />
Zur „einfachen Gottesrede“ vgl. Friedrich Mildenberger, Biblische Dogmatik Bd. 1, Stuttgart 1991,<br />
14ff.<br />
9<br />
„(…) schließlich ist alles Sein geschichtlich oder zeitlicher Prozeß und wird, in diesem Sinn, von <strong>Geschichte</strong><br />
der Erde, des H<strong>im</strong>mels, ohnehin von Naturgeschichte gesprochen. Verstehen wir aber unter<br />
‚<strong>Geschichte</strong>‘, ohne Präfix, <strong>Geschichte</strong> des Menschen – und natürlich tun wir das –, so ist des Menschen<br />
Tun und Leiden längst in unzählige Arten und Abarten aufgespalten, und es gibt, konsequenterweise,<br />
so viele Zweige der <strong>Geschichte</strong>, wie es Zweige des Wissens und des Könnens, des Forschens<br />
und des Schöpfens, des Glaubens und des Aberglaubens, des Erwerbens und Spielens, des<br />
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