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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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[nicht]“). Auf der Ebene dieses Diskurses gerät Gott dann in einen performativen<br />

Widerspruch, der aber durch die sprachliche Konstruktion der <strong>Geschichte</strong> hervorgerufen<br />

wird. Damit ist das Problem der Theodizee nicht gelöst, aber vielleicht ein Aspekt des<br />

Entstehungszusammenhangs dieses Problems erhellt. 35<br />

6.3.3 Die Story des Glaubens<br />

Wurde bisher der Zusammenhang von Sprache, Wort Gottes und sprachlicher Konstruktion<br />

von <strong>Geschichte</strong> erörtert, so frage ich nun weiter, ob es für den Glauben spezifische<br />

Formen und Normen der sprachlichen Konstruktion von <strong>Geschichte</strong>n und <strong>Geschichte</strong><br />

gibt. Ein Blick auf die Genese der biblischen Texte zeigt dabei, daß sich Glaubensgeschichte<br />

an einem konkreten Ereignis entzündet, etwa der Berufung Abrahams<br />

oder dem Untergang Jerusalems. Um dieses Ereignis gruppieren sich dann weitere <strong>Geschichte</strong>n,<br />

das Ereignis zieht Kreise und ebenso tun es die <strong>Geschichte</strong>n. 36 Sie werden<br />

dabei aufgenommen, einer relecture unterzogen, neu interpretiert und in neue Zusammenhänge<br />

eingebettet. 37 In diesem Prozeß werden zwei Tendenzen sichtbar. Die eine<br />

Tendenz geht hin zu einer in unterschiedlicher Weise autorisierten verbindlichen Erzählung,<br />

die neue Variationen und Weiterschreibungen ausschließen soll, die mithin<br />

einen universalen Anspruch erhebt. Demgegenüber steht eine Tendenz, die die Offenheit<br />

und Lebendigkeit des Rezeptionsprozesses hervorhebt und die Relevanz der <strong>Geschichte</strong>n<br />

und Texte gerade in ihrer <strong>im</strong>mer neuen relecture betont. Die singuläre <strong>Geschichte</strong><br />

ist dabei bedeutsamer als der größere Zusammenhang, in den sie eingebettet<br />

ist. 38 Sie besitzt einen für ihren Zusammenhang subversiven Charakter. Dabei kann<br />

diese Tendenz auch in die erste umkippen, wenn die Autoren der relecture hegemonialen<br />

Interessen erliegen.<br />

Aus dem bislang Gesagten scheint es mir angemessener, die Sprache, die Texte und die<br />

<strong>Geschichte</strong>n des Glaubens eher mit der zweiten Tendenz in Verbindung zu bringen.<br />

Würde die erste Tendenz den Horizont der Glaubensgeschichten abgeben, so wären<br />

diese letztlich abschließende <strong>Geschichte</strong>n und befänden sich in einem performativen<br />

Widerspruch zu dem, wovon sie erzählen und zeugen, nämlich der Offenheit für ein von<br />

Gott herkommendes Neues, verstanden als ein neues schöpferisches Wort oder verstanden<br />

als Ereignis des anbrechenden Reiches Gottes.<br />

35 Das Theodizeeproblem kann in einem seelsorgerlichen Gespräch jedoch kaum durch den Verweis auf<br />

seine Entstehungszusammenhänge bearbeitet werden. Ein seelsorgerliches Gespräch bildet eine andere<br />

Diskursart als eine sprachanalytische oder theologische Erörterung.<br />

36 Dietrich Ritschl, Zur Logik der Theologie, München 2 1988, 46: „Wenn Israel sagen will, was es<br />

selbst ist und wer Gott ist, so erzählt es seine <strong>Geschichte</strong>n. Dabei steuert die Vision der Gesamt-Story<br />

die Selektion und Kombination der einzelnen <strong>Geschichte</strong>n. Wenn die frühesten Christen sagen wollten,<br />

wer Jesus war, so erzählten sie viele Einzelgeschichten, wiederum kombiniert und selektiert nach<br />

der Steuerung einer schwer oder gar nicht erzählbaren Gesamt- oder Meta-Story.“<br />

37 Schön aufgezeigt wird das exemplarisch von Stefan Ark Nitsche, David gegen Goliath. Die <strong>Geschichte</strong><br />

der <strong>Geschichte</strong>n einer <strong>Geschichte</strong>. Zur fächerübergreifenden Rezeption einer biblischen<br />

Story, Münster 1998.<br />

38 Ich übertrage hier Einsichten von Joach<strong>im</strong> Track, Sprachkritische Untersuchungen, über die Möglichkeiten<br />

der Einführung des Wortes Gott <strong>im</strong> Rahmen einer Klassifikation (185ff) bzw. über religiöse<br />

Erfahrung (239ff).<br />

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