Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

02.12.2012 Aufrufe

Heilsgeschichte verbindet. Was Heilsgeschichte ist, zeigt sich an und in der Geschichte Jesu Christi. Das Ereignis von Kreuz und Auferstehung bildet in sich die Struktur der Geschichte ab. Es ist ein Zeichen für die Ambivalenz der Geschichte und der unverfügbaren Auflösung dieser Ambivalenz. Die Geschichte erschließt sich als einheitliche Geschichte nur in ihrer Differenziertheit und nur in der Erzählung einer Geschichte, die die Geschichte insgesamt zu lesen anleitet. In diesem hermeneutischen Prozeß der Lektüre der Geschichte gerät sowohl die Geschichte insgesamt wie auch die singuläre Geschichte, die die Regel für die Lektüre der Geschichte angibt, in Fluß. Die Lektüre der Geschichte wird auch zu einer Relektüre jener einen Geschichte. Diese singuläre Geschichte steht damit nicht ein für allemal fest, sondern wird je und je neu gelesen, erzählt und interpretiert. Und in der Folge wird auch die Geschichte insgesamt je und je in neuer Perspektive gesehen. Der Interpretationszusammenhang, der zwischen der Erzählung der einen geschichtlichen Begebenheit, die als Geschichtszeichen fungiert, und dem Zusammenhang der Geschichte, der sich aus der Erzählung jener einen Geschichte ergibt, hat keinen unveränderlichen Pol, sondern die Bedeutungen jener singulären Geschichte und des Geschichtszusammenhangs werden in Verknüpfung beider je neu erschlossen bzw. re-konstruiert. Wenn dem so ist, dann reicht es nicht, auf jene singuläre Geschichte nur zu verweisen, um ihre Bedeutung zu erweisen, sondern sie muß neu erzählt werden. Es ist keine Geschichte, die man haben kann, sondern die ihre Bedeutung in ihrer Erzählung je neu erschließt und ereignet. Für den christlichen Glauben ist diese eine Geschichte die Geschichte von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi. Die Erzählung dieser Geschichte kann sie als Geschichtszeichen verstehbar machen und so Hoffnung begründen. 270

6 Geschichte kommt zur Sprache 6.1 Einleitung Und Gott sprach … Gen 1 Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Johannes 1,1 Im philosophischen Kapitel zur Sprache hatte ich festgehalten, daß Sprache eine Grundvoraussetzung des Menschen für die Entstehung eines Verhältnisses zur Welt ist. Insbesondere Geschichte ist auf die sprachliche Vermittlung durch Erzählung und Bericht konstitutiv angewiesen. Geschichte entsteht durch ein Sprachhandeln. Bei den theologischen Überlegungen zur Sprache ist nun auf die Frage einzugehen, wie Sprache, Glaube und Geschichte in ihrem Verhältnis zueinander zu bestimmen sind (6.3). Da der christliche Glaube davon ausgeht, daß sich alles dem schöpferischen Wort Gottes verdankt und ich von einem Verständnis Gottes als dem Grund aller Wirklichkeit ausgehe, ist zunächst jedoch das Verhältnis von Gottes Wort, Wirklichkeit der Welt, Geschichte und Sprache zu erörtern (6.2). Abschließend werde ich einige Bemerkungen zur Sprachform einer Theologie der Geschichte machen (6.4). 6.2 Wort Gottes und Geschichte 6.2.1 Zum Verständnis des Wortes Gottes „Und Gott sprach…“ leitet die biblische Urgeschichte die Erzählung vom schöpferischen Handeln Gottes, das die Welt ins Dasein rief, ein. Kritische hermeneutische Überlegungen machen sogleich bewußt, daß diese Erzählung von Menschen geschaffen worden ist, daß sie eine Ätiologie darstellt und ein anthropomorphes Gottesbild vermittelt. Dennoch drücken sich in dieser Rede vom Sprachhandeln Gottes wesentliche Zusammenhänge von Welt und Sprache aus. Der hebräische Ausdruck dabar bedeutet Wort und Sache/Ereignis zugleich. In diesem Ausdruck findet sich damit der Sache nach bereits der enge Zusammenhang von Sprache und Wirklichkeit. Wirklichkeit wird durch Sprache nicht nur vermittelt, sondern „geschaffen“. Dies gilt insbesondere für das Wirklichkeit schaffende Wort Gottes. Sein Wort, so der christliche Glaube, ruft die Welt ins Leben. Gottes Wort ist schöpferisches Wort. Durch sein Wort erhält Gott die Welt, im Zuspruch der Gnade handelt er rechtfertigend am Menschen, im Wort der Verheißung eröffnet Gott Zukunft. Gottes Wort ist auch Ausdruck seiner Relationalität. 271

Heilsgeschichte verbindet. Was Heilsgeschichte ist, zeigt sich an und in der <strong>Geschichte</strong><br />

Jesu Christi.<br />

Das Ereignis von Kreuz und Auferstehung bildet in sich die Struktur der <strong>Geschichte</strong> ab.<br />

Es ist ein Zeichen für die Ambivalenz der <strong>Geschichte</strong> und der unverfügbaren Auflösung<br />

dieser Ambivalenz. Die <strong>Geschichte</strong> erschließt sich als einheitliche <strong>Geschichte</strong> nur in<br />

ihrer Differenziertheit und nur in der Erzählung einer <strong>Geschichte</strong>, die die <strong>Geschichte</strong><br />

insgesamt zu lesen anleitet. In diesem hermeneutischen Prozeß der Lektüre der <strong>Geschichte</strong><br />

gerät sowohl die <strong>Geschichte</strong> insgesamt wie auch die singuläre <strong>Geschichte</strong>, die<br />

die Regel für die Lektüre der <strong>Geschichte</strong> angibt, in Fluß. Die Lektüre der <strong>Geschichte</strong><br />

wird auch zu einer Relektüre jener einen <strong>Geschichte</strong>. Diese singuläre <strong>Geschichte</strong> steht<br />

damit nicht ein für allemal fest, sondern wird je und je neu gelesen, erzählt und interpretiert.<br />

Und in der Folge wird auch die <strong>Geschichte</strong> insgesamt je und je in neuer Perspektive<br />

gesehen. Der Interpretationszusammenhang, der zwischen der Erzählung der<br />

einen geschichtlichen Begebenheit, die als Geschichtszeichen fungiert, und dem Zusammenhang<br />

der <strong>Geschichte</strong>, der sich aus der Erzählung jener einen <strong>Geschichte</strong> ergibt,<br />

hat keinen unveränderlichen Pol, sondern die Bedeutungen jener singulären <strong>Geschichte</strong><br />

und des Geschichtszusammenhangs werden in Verknüpfung beider je neu erschlossen<br />

bzw. re-konstruiert. Wenn dem so ist, dann reicht es nicht, auf jene singuläre <strong>Geschichte</strong><br />

nur zu verweisen, um ihre Bedeutung zu erweisen, sondern sie muß neu erzählt werden.<br />

Es ist keine <strong>Geschichte</strong>, die man haben kann, sondern die ihre Bedeutung in ihrer Erzählung<br />

je neu erschließt und ereignet.<br />

Für den christlichen Glauben ist diese eine <strong>Geschichte</strong> die <strong>Geschichte</strong> von Kreuz und<br />

Auferstehung Jesu Christi. Die Erzählung dieser <strong>Geschichte</strong> kann sie als Geschichtszeichen<br />

verstehbar machen und so Hoffnung begründen.<br />

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